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Das neue Landhaus

Deutsch von Alexander Eliasberg

I

Drei Werst vom Dorfe Obrutschanowo baute man eine Riesenbrücke. Vom Dorfe aus, das auf dem hohen, steilen Flußufer stand, konnte man das Gerippe sehen, und bei Nebel und an stillen Wintertagen, wenn die eisernen Träger und die Wälder ringsum von Rauhreif bedeckt waren, bot die Brücke ein malerisches und sogar phantastisches Bild. Durch das Dorf fuhr manchmal in einem Jagdwagen oder einer Equipage der Ingenieur Kutscherow, der die Brücke baute, ein korpulenter, breitschultriger, bärtiger Mann in weicher, zerknüllter Mütze; an Feiertagen kamen ins Dorf manchmal die Strolche, die am Brückenbau arbeiteten; sie bettelten, verhöhnten die Weiber und stahlen auch zuweilen dies oder jenes. Das kam aber nur selten vor; die Tage vergingen gewöhnlich still und ruhig, als ob gar keine Brücke da wäre, und nur in den Abendstunden, wenn in der Nähe des Baues Feuer brannten, brachte der Wind manchmal die Lieder der Arbeiter. Am Tage hörte man zuweilen ein trauriges metallisches Klopfen.

Zum Ingenieur Kutscherow kam einmal seine Frau gefahren. Die Flußufer und die prachtvolle Aussicht auf das grüne Tal mit den Dörfern, Kirchen und Herden gefielen ihr so gut, daß sie ihren Mann bat, hier ein Stück Land zu kaufen und ein Landhaus zu bauen. Der Ingenieur ging darauf ein. Sie kauften zwanzig Deßjatinen Land und bauten auf dem hohen Ufer, auf der Wiese, wo vorher die Kühe von Obrutschanowo geweidet hatten, ein schönes einstöckiges Haus mit einer Terrasse, Balkons und einem Turm, auf dem an Sonntagen eine Fahne wehte; das Haus war in drei Monaten fertig; den ganzen Winter über pflanzte man um das Haus herum große Bäume, und als der Frühling anbrach und alles grünte, gab es hier schon Alleen, ein Gärtner und zwei Arbeiter in weißen Schürzen legten Beete an, vor dem Hause sprang eine kleine Fontäne, und eine Glaskugel leuchtete so hell, daß einem die Augen weh taten. Und das neue Gut hatte auch schon einen Namen: das »Neue Landhaus«.

An einem heiteren warmen Morgen Ende Mai brachte man vom Gute zum Dorfschmied von Obrutschanowo, Rodion Petrow, zwei Pferde zum Beschlagen. Die Pferde waren weiß, schlank, gut gepflegt und einander auffallend ähnlich.

»Wie die Schwäne!« sagte Rodion, sie mit Andacht anblickend.

Seine Frau Stepanida, die Kinder und die Enkel gingen auf die Straße, um die Pferde zu sehen. Allmählich sammelte sich eine ganze Menge Leute an. Auch die beiden Lytschkows, Vater und Sohn, beide bartlos von Geburt, mit geschwollenen Gesichtern und ohne Mützen, kamen herbei. Auch Kosow, ein großgewachsener schmächtiger Greis mit langem dünnem Bart und einem Hakenstock in der Hand trat herzu; er zwinkerte immer mit seinen schlauen Augen und lächelte spöttisch, als wüßte er irgendein Geheimnis.

»Weiß sind sie, aber was hat man von ihnen?« sagte er. »Wenn man die meinigen mit Hafer füttert, so werden sie ebenso glatt ausschauen. Vor den Pflug sollte man sie spannen und mit der Knute antreiben ...«

Der Kutscher warf ihm nur einen verächtlichen Blick zu und sagte kein Wort. Während der Schmied Feuer machte, rauchte der Kutscher Zigaretten und erzählte allerhand. Die Bauern erfuhren von ihm, daß seine Herrschaft sehr reich sei, daß die Gnädige, Jelena Iwanowna, vor der Verheiratung als Gouvernante in Moskau gelebt habe; daß sie gutmütig und mitleidsvoll sei und den Armen gerne helfe. Auf dem neuen Gute, erzählte er, wird man weder säen noch ernten, sondern nur zu seinem Vergnügen leben und frische Luft atmen. Als er fertig war und die Pferde zurückführte, folgte ihm eine ganze Schar von Bauernjungen, die Hunde bellten, und Kosow blickte ihm nach und zwinkerte spöttisch mit den Augen.

»Das sind mir auch Gutsbesitzer!« sagte er. »Ein Haus haben sie gebaut, Pferde angeschafft, aber zu fressen haben sie nichts. Das wollen auch Gutsbesitzer sein!«

Kosow haßte gleich vom ersten Augenblick an das neue Landhaus, die weißen Pferde und den hübschen, wohlgenährten Kutscher. Kosow war Witwer und lebte ganz allein. Sein Leben war langweilig; (irgendeine Krankheit, die er bald mit Würmern, bald mit Gicht bezeichnete, hinderte ihn am Arbeiten), das Geld für seinen Lebensunterhalt bekam er von seinem Sohn, der in Charkow in einer Konditorei angestellt war. Er trieb sich den ganzen Tag vom frühen Morgen müßig am Flußufer oder im Dorfe herum, und wenn er einen Bauern einen Balken fahren oder mit der Angel sitzen sah, so pflegte er zu sagen: »Dieser Balken ist faul,« oder: »Bei diesem Wetter wird kein Fisch anbeißen.« Bei trockenem Wetter sagte, er, daß es bis zum Winter nicht mehr regnen würde, und wenn es regnete, behauptete er, daß alles Getreide im Felde verfaulen werde, daß schon alles verloren sei. Dabei zwinkerte er mit den Augen, als wüßte er irgendein Geheimnis.

Auf dem Gute zündete man abends bengalisches Feuer an und ließ Raketen steigen; manchmal fuhr ein Segelboot mit roten Lampions am Dorfe vorbei. Eines Morgens kam ins Dorf die Frau des Ingenieurs, Jelena Iwanowna, mit ihrer kleinen Tochter in einem mit einem Paar dunkelbrauner Ponys bespannten Wagen mit gelben Rädern; beide, Mutter und Tochter trugen Strohhüte mit breiten, an die Ohren gebogenen Krempen.

Das war gerade an dem Tage, als die Felder gedüngt wurden. Der großgewachsene, magere, alte Schmied Rodion stand ohne Mütze, barfuß, mit geschulterter Mistgabel neben seinem schmutzigen, unschönen Wagen und starrte erstaunt auf die Ponys. Es war ihm anzusehen, daß er noch nie im Leben so kleine Pferde gesehen hatte.

»Die Ingenieurin ist gekommen!« flüsterte man ringsum. »Schau, die Ingenieurin!«

Jelena Iwanowna musterte die Häuser und ließ den Wagen vor dem ärmsten Hause halten, aus dessen Fenstern eine Menge von blonden, braunen und roten Kinderköpfen herausschaute. Stepanida, Rodions Weib, eine volle Alte, kam aus dem Hause gelaufen; das Tuch war ihr von ihrem grauen Kopfe gerutscht, sie stand mit dem Gesicht zur Sonne, blickte den Wagen an, und ihr Gesicht lächelte und bildete Runzeln, wie wenn sie blind wäre.

»Das ist für deine Kinder,« sagte Jelena Iwanowna und reichte ihr drei Rubel.

Stepanida fing plötzlich zu weinen an und verbeugte sich bis zur Erde; auch Rodion fiel hin, seine große braune Glatze zeigend, und stach dabei seine Frau mit der Mistgabel beinahe in die Hüfte. Jelena Iwanowna wurde verlegen und kehrte um.

 

II

Die Lytschkows, Vater und Sohn, erwischten auf ihrem Heuschlag zwei Arbeitspferde, ein Pony und einen jungen Zuchtstier und brachten sie mit Hilfe des roten Wolodjka, des Sohnes des Schmiedes Rodion, ins Dorf. Sie riefen den Dorfältesten, nahmen Zeugen mit und gingen hin, den Flurschaden festzustellen.

»Sollen sie nur!« sagte Kosow, mit den Augen zwinkernd. »Gut! Nun sollen sie sich herauswinken, diese Ingenieure. Sie glauben wohl, daß es kein Gericht gibt? Gut! Den Landgendarmen soll man kommen lassen und ein Protokoll aufsetzen! ...«

»Ja, ein Protokoll aufsetzen!« schrie der jüngere Lytschkow immer lauter und lauter, und sein bartloses Gesicht schien dabei immer mehr anzuschwellen. »Eine neue Mode haben sie eingeführt! Wenn man ihnen die Freiheit läßt, werden sie alle Wiesen kaputt machen! Ihr habt kein Recht, das Volk zu schädigen! Leibeigene gibt's heut' nicht mehr!«

»Leibeigene gibt's nicht mehr!« wiederholte Wolodjka.

»Wir haben bisher ohne Brücke gelebt,« versetzte Lytschkow-Vater finster. »Wir haben keine Brücke verlangt, was brauchen wir eine Brücke? Wir wollen sie nicht!«

»Brüder, Rechtgläubige, das darf man nicht so lassen!«

»Gut, sollen sie nur!« sprach Kosow dazwischen. »Sollen sie sich jetzt herauswinden! Das sind mir auch Gutsbesitzer!« Die ganze Gesellschaft ging ins Dorf zurück, und Lytschkow-Sohn schlug sich die ganze Zeit mit der Faust vor die Brust und schrie; auch Wolodjka schrie und wiederholte seine Worte. Im Dorfe hatte sich inzwischen um den Stier und die Pferde herum eine ganze Menge angesammelt. Der Stier schien verlegen und blickte mürrisch; plötzlich senkte er den Kopf zur Erde und begann, mit den Hinterbeinen ausschlagend, zu rennen; Kosow erschrak und drohte ihm mit dem Stock, und alle lachten. Dann sperrte man den Stier und die Pferde ein und wartete, was nun geschehen würde.

Gegen Abend schickte der Ingenieur fünf Rubel für den Flurschaden, und beide Pferde, das Pony und der Stier, die man den ganzen Tag weder gefüttert noch getränkt hatte, gingen mit gesenkten Schnauzen und schuldbewußtem Ausdruck, als ob man sie zur Richtstätte führte, heim.

Nachdem sie die fünf Rubel bekommen hatten, fuhren die Lytschkows, Vater und Sohn, der Dorfälteste und Wolodjka mit einem Boote über den Fluß ins Dorf Krjakowo, wo es eine Schenke gab. Dort blieben sie sehr lange. Man hörte sie singen und den jungen Lytschkow schreien. Im Dorfe konnten die Weiber die ganze Nacht vor Unruhe nicht einschlafen. Auch Rodion schlief nicht.

»Eine böse Sache,« sagte er, sich von der einen Seite auf die andere wälzend. »Wenn der Herr böse wird und zu prozessieren anfängt, hat man Sorgen genug ... Sie haben den Herrn gekränkt ... Das ist nicht gut ...«

Die Bauern – auch Rodion war dabei – gingen einmal in ihren Wald, um den Heuschlag unter sich aufzuteilen, und begegneten auf dem Heimwege dem Ingenieur. Er hatte ein rotes Bauernhemd und Schaftstiefel an; ihm folgte mit heraushängender Zunge ein Hühnerhund.

»Guten Tag, Brüder!« sagte er.

Die Bauern blieben stehen und zogen die Mützen.

»Ich möchte schon längst mit euch sprechen, Brüder,« fuhr er fort. »Die Sache ist die. Vom Frühjahr an kommt eure Herde tagtäglich zu mir in den Garten und in den Wald. Alles ist verwüstet, eure Schweine haben mir die ganze Wiese aufgewühlt, ruinieren mir den Gemüsegarten, und im Walde ist das ganze Jungholz vernichtet. Mit euren Hirten ist gar nicht zu reden: ich bitte sie, und sie werden gleich grob. Jeden Tag habe ich einen Flurschaden, und trotzdem beschwere ich mich nicht und verlange von euch kein Geld; ihr aber habt meine Pferde und meinen Stier ins Dorf getrieben und von mir fünf Rubel genommen. Ist das gut? Benehmen sich Nachbarn so?« fuhr er fort. Seine Stimme klang sanft und überzeugend, und seine Augen blickten gar nicht streng. »Benehmen sich anständige Menschen so? Vorige Woche hat jemand von euch in meinem Walde zwei junge Eichen gefällt. Ihr habt die Straße nach Jeresnewo umgegraben, und ich muß jetzt einen Umweg von drei Werst machen. Warum schädigt ihr mich auf Schritt und Tritt? Was habe ich euch getan, um Gotteswillen? Ich und meine Frau geben uns die größte Mühe, mit euch in Frieden und Eintracht zu leben und den Bauern nach unseren Kräften zu helfen. Meine Frau ist eine herzensgute Person, sie versagt euch niemals ihre Hilfe, sie sehnt sich danach, euch und euren Kindern nützlich zu sein. Ihr bezahlt aber das Gute mit Bösem. Ihr seid ungerecht, Brüder. Denkt doch darüber nach. Ich bitte euch sehr, denkt doch nach. Wir behandeln euch menschlich, bezahlt auch uns mit der gleichen Münze.«

Er wandte sich um und ging. Die Bauern standen noch eine Weile da, setzten die Mützen auf und gingen weiter. Rodion, der das, was man ihm sagte, immer verkehrt auslegte, seufzte und sagte:

»Wir müssen zahlen. Brüder, hat er gesagt, bezahlt mit der gleichen Münze ...«

Bis zum Dorfe gingen sie schweigend. Nach Hause zurückgekehrt, bekreuzigte sich Rodion vor dem Heiligenbild, zog sich die Schuhe aus und setzte sich auf die Bank neben seine Frau. Er und Stepanida saßen immer nebeneinander, gingen auch immer Seite an Seite durch die Straße, aßen, tranken und schliefen immer zusammen, und je älter sie wurden, um so mehr liebten sie einander. In ihrem Hause war es eng und schwül, und überall waren Kinder – auf dem Fußboden, auf den Fensterbänken und auf dem Ofen ... Stepanida setzte trotz ihres reifen Alters noch immer Kinder in die Welt, und man konnte sich in diesem Haufen Kinder schwer zurechtfinden, welche dem Rodion und welche seinem Sohn Wolodjka gehörten. Wolodjkas Frau, Lukerja, ein junges, unschönes Weib mit Glotzaugen und Vogelnase knetete in einem Troge Teig; Wolodjka selbst saß auf dem Ofen und ließ die Beine herunterhängen.

»Auf der Straße, bei Nikitas Buchweizen ... der Ingenieur mit einem Hündchen ...« begann Rodion, nachdem er ausgeruht hatte, sich die Seiten und die Ellbogen kratzend. »Man muß, sagt er, zahlen ... Mit Münzen, sagt er ... Ein Rubel wäre wohl zu viel, aber zehn Kopeken von jedem Hof müßte man schon einsammeln. Wir kränken den Herrn zu sehr. Er tut mir leid ...«

»Wir haben ohne Brücke gelebt,« sagte Wolodjka, ohne jemand anzublicken. »Wir wollen keine Brücke.«

»Was geht's uns an? Die Brücke gehört dem Staat.«

»Wir wollen sie nicht.«

»Man fragt dich gar nicht danach. Was hast du zu sagen!«

»Man fragt dich nicht danach ...« äffte Wolodjka nach. »Wir fahren doch nirgends hin, was brauchen wir die Brücke? Und wenn wir auf das andere Ufer wollen, so rudern wir einfach hinüber.«

Jemand klopfte ans Fenster so heftig, daß das ganze Haus erzitterte.

»Ist Wolodjka zu Hause?« tönte die Stimme des jüngeren Lytschkow. »Wolodjka, komm heraus, wir wollen gehen!«

Wolodjka sprang vom Ofen und begann seine Mütze zu suchen.

»Wolodjka, geh nicht hin,« sagte Rodion schüchtern. »Geh nicht mit ihnen, mein Sohn. Du bist dumm wie ein kleines Kind, und sie werden dich nichts Gutes lehren. Geh nicht hin!«

»Geh nicht hin, Sohn!« bat Stepanida und zwinkerte mit den Augen, wie wenn sie weinen wollte. »Sie rufen dich wohl in die Schenke.«

»In die Schenke ...« äffte Wolodjka nach.

»Kommst wieder besoffen heim, Hund!« sagte Lukerja, ihn haßerfüllt anblickend. »Geh nur, geh, daß du vom Schnaps verbrennst, du schwanzloser Satan!«

»Schweig!« schrie sie Wolodjka an.

»Mit einem Narren hat man mich verheiratet, zugrunde gerichtet hat man mich Unglückliche ... Der rothaarige Trunkenbold ...« begann Lukerja zu jammern, sich das Gesicht mit der Hand, an der Teig klebte, wischend. »Gar nicht ansehen mag ich den Kerl!«

Wolodjka gab ihr eine Ohrfeige und ging hinaus.

 

III

Jelena Iwanowna kam mit ihrem Töchterchen zu Fuß ins Dorf. Sie gingen spazieren. Es war ein Sonntag, und die Weiber und die jungen Mädchen standen in ihren grellfarbigen Kleidern auf der Straße. Rodion und Stepanida, die vor ihrem Hause nebeneinander saßen, nickten und lächelten Jelena Iwanowna und ihrem Mädchen wie alten Bekannten zu. Aus den Fenstern sahen über ein Dutzend Kinder heraus; ihre Gesichter drückten Erstaunen und Neugier aus. Man hörte flüstern:

»Die Ingenieurin! Die Ingenieurin ist gekommen!«

»Guten Tag,« sagte Jelena Iwanowna stehenbleibend; sie schwieg eine Weile und fragte dann: »Nun, wie lebt ihr?«

»Wir leben, Gott sei gedankt,« antwortete Rodion, die Worte schnell hervorstoßend. »Man weiß ja, wie unsereins lebt.«

»Was ist das für ein Leben!« sagte Stepanida mit einem Lächeln. »Sie sehen ja selbst, liebe Gnädige, diese Armut! Wir sind unser vierzehn Seelen, haben aber nur zwei Verdiener im Hause. Er nennt sich bloß Schmied, wenn man aber ein Pferd zum Beschlagen bringt, so haben wir keine Kohle und auch kein Geld, um welche zu kaufen. Es ist eine furchtbare Plage, Gnädige,« fuhr sie fort und fing zu lachen an. »Diese Plage!«

Jelena Iwanowna setzte sich auf die Stufen, umarmte ihr Töchterchen und wurde nachdenklich; auch die Kleine hatte wohl, nach ihrem Gesichtsausdruck zu schließen, traurige Gedanken; nachdenklich spielte sie mit dem eleganten Spitzenschirm, den sie ihrer Mutter aus der Hand genommen hatte.

»Ja, die Armut;« sagte Rodion. »Viele Sorgen haben wir, arbeiten immerzu, und es ist gar kein Ende abzusehen. Nun will uns Gott auch keinen Regen geben ... Schlecht leben wir, was soll man noch viel darüber reden.«

»In diesem Leben habt ihr es schwer,« entgegnete Jelena Iwanowna, »dafür werdet ihr im anderen glücklich sein.«

Rodion verstand sie nicht und hüstelte nur in die hohle Hand. Stepanida aber sagte:

»Liebe Gnädige, der Reiche hat es im anderen Leben gut. Der Reiche stiftet Kerzen und läßt Messen lesen, der Reiche gibt Almosen, – aber was kann der Bauer? Er hat nicht einmal Zeit sich zu bekreuzigen, ist selbst bettelarm, wie soll er da noch an sein Seelenheil denken? Wegen unserer Armut haben wir gar viel Sünden auf dem Gewissen, vor lauter Kummer fluchen wir wie die Hunde, man bekommt von uns kein einziges gutes Wort zu hören ... Und es kommen die ärgsten Dinge bei uns vor, liebe Gnädige. Es ist uns wohl gar kein Glück, weder in dieser noch in jener Welt beschieden. Das ganze Glück ist den Reichen zugefallen.«

Sie sagte es mit vergnügter Miene: offenbar war sie es schon gewohnt, von ihrem schweren Leben zu sprechen. Auch Rodion lächelte; es war ihm angenehm, daß er eine so kluge und redselige Alte hatte.

»Es scheint euch bloß so, daß die Reichen es leicht haben,« sagte Jelena Iwanowna. »Jeder Mensch hat seinen Kummer. Mein Mann und ich zum Beispiel, wir leben nicht schlecht, wir haben Mittel, sind wir aber auch glücklich? Ich bin noch jung, aber ich habe schon vier Kinder; die Kinder kränkeln, auch ich bin krank und immer in ärztlicher Behandlung.«

»Was hast du für eine Krankheit?« fragte Rodion.

»Eine Frauenkrankheit. Ich schlafe schlecht und habe immer Kopfweh, ich fühle eine Schwäche im ganzen Körper und würde die schwerste Arbeit diesem Zustand vorziehen. Auch meine Seele ist unruhig. Immer bin ich in Unruhe, bald wegen der Kinder, bald wegen meines Mannes. Jede Familie hat ihren Kummer, auch wir haben den unsrigen. Ich bin nicht vom Adel. Mein Großvater war einfacher Bauer, mein Vater war Händler in Moskau, ein einfacher Mensch. Mein Mann aber hat vornehme und reiche Eltern. Sie wollten nicht, daß er mich heiratete, er folgte ihnen aber nicht, verzankte sich mit ihnen, und sie können ihm seinen Schritt immer noch nicht verzeihen. Dies regt meinen Mann auf und macht ihm immer Sorgen, denn er liebt seine Mutter, er liebt sie sehr. Darum bin ich auch in ewiger Unruhe. Meine Seele tut mir weh.«

Vor dem Hause Rodions hatten sich schon mehrere Bauern und Bauernweiber angesammelt, die dem Gespräch zuhörten. Auch Kosow stand dabei und schüttelte seinen langen dünnen Bart. Die beiden Lytschkows, Vater und Sohn kamen auch herbei.

»Man kann eben nicht glücklich und zufrieden sein, wenn man sich nicht auf seinem Platze fühlt,« fuhr Jelena Iwanowna fort. »Ein jeder von euch hat seinen Beruf und weiß, wozu er arbeitet; mein Mann baut seine Brücken, mit einem Worte, ein jeder hat etwas. Und ich? Ich gehe nur spazieren. Ich habe keinen Beruf, ich arbeite nicht und fühle mich wie eine Fremde. Ich sage das alles, damit ihr nicht nach dem Aeußeren urteilt; wenn ein Mensch reich gekleidet ist und Mittel hat, so heißt es noch nicht, daß er mit seinem Leben zufrieden ist.«

Sie erhob sich, um weiterzugehen, und nahm ihre Kleine bei der Hand.

»Es gefällt mir so gut hier bei euch,« versetzte sie lächelnd, und dieses schwache, schüchterne Lächeln sagte, daß sie in der Tat krank war und dabei noch so jung und hübsch; sie hatte ein blasses, schmales Gesicht mit dunklen Brauen und blondes Haar. Und die Kleine war ebenso schmächtig und blond wie ihre Mutter. Beide rochen nach Parfüm.

»Der Fluß gefällt mir so gut, auch der Wald und das Dorf ...« fuhr Jelena Iwanowna fort. »Ich könnte hier wohl mein ganzes Leben verbringen, und es scheint mir, daß ich hier gesund werden und mir einen Platz im Leben finden würde. Mein sehnlichster Wunsch ist, euch zu helfen, euch nützlich und nahe zu sein. Ich kenne eure Not, und was ich noch nicht kenne, das errate ich mit meinem Herzen. Ich bin krank und schwach, und es ist mir wohl unmöglich, mein Leben so zu ändern, wie ich es wollte. Aber ich habe Kinder und ich werde mich bemühen, sie so zu erziehen, daß sie sich an euch gewöhnen und euch lieben. Ich werde sie lehren, daß ihr Leben nicht ihnen, sondern euch gehört. Nur bitte ich euch sehr, ich flehe euch an, habt Vertrauen zu uns, laßt uns in Eintracht leben. Mein Mann ist ein herzensguter Mensch. Regt ihn nicht auf, reizt ihn nicht. Er ist gegen jede Kleinigkeit empfindlich; gestern war aber eure Herde in unserem Gemüsegarten, jemand von euch hat den Zaun an unserer Imkerei abgebrochen. Dieses schlechte Verhältnis zu uns bringt meinen Mann zur Verzweiflung. Ich bitte euch,« fuhr sie mit flehender Stimme fort und drückte die Hände an die Brust, »ich bitte euch, behandelt uns wie gute Nachbarn, laßt uns in Eintracht leben! Ihr kennt doch das Sprichwort: Ein schlechter Frieden ist besser als ein guter Streit, und: Man kauft kein Gut, sondern einen Nachbarn. Ich wiederhole, mein Mann ist ein herzensguter Mensch; wenn alles gut geht, so werden wir, ich verspreche es euch, alles tun, was in unseren Kräften ist; wir werden die Straße ausbessern, wir werden eine Schule für eure Kinder bauen. Das verspreche ich euch.«

»Dafür sind wir natürlich dankbar, Gnädige,« sagte Lytschkow-Vater, zu Boden blickend. »Sie sind gebildet, also wissen Sie es besser. Aber da hat neulich in Jeresnewo der reiche Bauer Woronow versprochen, eine Schule zu bauen; auch er sagte immer: ich mache euch dies, und ich mache euch das. Er stellte aber nur die vier Wände hin und wollte nicht weiter bauen. Nun mußten die Bauern selbst das Dach machen und die Schule fertig bauen, und das kam ihnen auf tausend Rubel zu stehen. Dem Woronow macht das nichts, er streichelt sich nur seinen Bart, aber die Bauern sind schwer gekränkt.«

»Das war ein Woronow, nun kommt aber ein Kutscherow,« sagte Kosow und zwinkerte mit den Augen.

Man lachte.

»Wir wollen keine Schule,« sagte Wolodjka mürrisch. »Unsere Kinder gehen nach Petrowskoje zur Schule, sollen sie nur hingehen. Wir wollen keine.«

Jelena Iwanowna verlor auf einmal jeden Mut. Sie wurde blaß, schrumpfte gleichsam ein, wie wenn man sie roh berührt hätte, sagte kein Wort mehr und ging fort. Sie ging immer schneller und schneller und sah sich nicht um.

»Gnädige!« rief sie Rodion an, ihr folgend. »Gnädige, wart einmal, ich will dir was sagen.«

Er folgte ihr ohne Mütze und sprach so leise, als ob er bettelte.

»Gnädige! Wart, ich will dir was sagen.«

Sie waren schon außerhalb des Dorfes. Jelena Iwanowna blieb im Schatten einer alten Eberesche neben einem Wagen stehen.

»Nimms nicht übel, Gnädige,« sagte Rodion. »Ist nicht so schlimm. Habe Geduld. Habe zwei Jahre Geduld. Wenn du hier eine Zeitlang lebst und Geduld hast, wird schon alles gut werden. Unsere Leute sind ja gut und friedlich. Gar nicht schlecht sind die Leute, das sage ich dir wie vor Gott. Auf Kosow und auf Lytschkows sollst du lieber gar nicht schauen, auch auf meinen Wolodjka nicht, er ist ein Narr: er folgt immer dem ersten besten. Die übrigen sind aber friedliche Leute und sagen nichts ... Gar mancher möchte wohl ein Wort vom Herzen sagen, möchte für euch eintreten, kann es aber nicht. Er hat eine Seele, er hat auch ein Gewissen, aber er versteht nicht zu sprechen. Nimms nicht übel ... Habe Geduld ... Ist nicht so schlimm!«

Jelena Iwanowna blickte auf den breiten, ruhig dahinfließenden Strom, dachte über etwas nach, und Tränen liefen ihr die Wangen herab. Diese Tränen regten Rodion so auf, daß auch er beinahe weinte.

»Ist nicht so schlimm ...« stammelte er. »Hab an die zwei Jahre Geduld. Kannst eine Schule bauen und auch die Straßen ausbessern, aber nur nicht auf einmal ... Wenn du zum Beispiel auf jenem Hügel Korn bauen willst, so mußt du ihn zuerst ausroden, und alle Steine heraustun, und dich lange abmühen, dann erst kannst du pflügen ... Ebenso ist es mit den Leuten ... mußt dich so lange abmühen, bis du sie bezwingst.«

Die Leute, die vor Rodions Hause gestanden hatten, gingen nun die Straße zur Eberesche herauf. Sie sangen und spielten Ziehharmonika. Immer näher und näher kamen sie.

»Mama, fahren wir von hier fort!« sagte die Kleine ganz blaß, sich an die Mutter schmiegend und am ganzen Körper zitternd. »Fahren wir von hier fort!«

»Wohin?«

»Nach Moskau ... Fahren wir fort, Mama!«

Das Kind begann zu weinen. Rodion kam ganz aus der Fassung, und Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er holte aus der Tasche eine kleine, verwachsene, halbmondförmige Gurke, an der Brotkrümel klebten, und versuchte sie der Kleinen in die Hand zu drücken.

»Nun, nun ...« murmelte er streng. »Nimm doch die Gurke und iß ... Darfst nicht weinen, sonst schlägt dich die Mutter, wird es dem Vater zu Hause sagen ... Nun, nun ...«

Sie gingen weiter, und Rodion, der irgend etwas Freundliches und Ueberzeugendes sagen wollte, ging ihnen nach. Als er sah, daß sie mit ihren eigenen Gedanken und ihrem Kummer beschäftigt waren und ihn nicht beachteten, blieb er stehen und blickte ihnen, die Augen vor der Sonne mit der Hand beschattend, lange nach, bis sie in ihrem Walde verschwanden.

 

IV

Der Ingenieur war offenbar aufs Höchste gereizt und sah in jeder Bagatelle einen Diebstahl oder ein Attentat. Er hielt sein Tor auch bei Tage verschlossen, und nachts gingen in seinem Garten zwei Wächter mit Klappern umher. Die Bauern von Obrutschanowo bekamen von ihm auch keine Arbeit mehr. Nun traf es sich noch, daß jemand (ob von den Bauern oder den Bahnarbeitern, ist unbekannt) an einem seiner Wagen die neuen Räder mit alten vertauschte; bald darauf stahl man ihm zwei Zäume und eine Zange; selbst im Dorfe verurteilte man den Diebstahl. Man sagte, daß man bei den Lytschkows und bei Wolodjka eine Haussuchung machen müßte; und gleich darauf fand man die Zäume und die Zange vor dem Zaun des Ingenieursgartens: jemand hatte sie ihm heimlich zugeworfen.

Einmal ging ein Haufen Bauern aus dem Walde und sie begegneten auf der Straße wieder dem Ingenieur. Er blieb stehen und begann, ohne sie zu grüßen, bald den einen, bald den anderen böse anblickend:

»Ich bat euch, keine Pilze in meinem Park und in der Nähe meines Hofes zu sammeln, sondern sie meiner Frau und meinen Kindern zu lassen; aber eure Mädchen kommen in aller Frühe und lassen keinen einzigen Pilz stehen. Ob ich euch bitte oder nicht, ist euch wohl gleich. Ich sehe, daß alle Bitten und freundlichen Worte nichts nützen.«

Er richtete seinen empörten Blick auf Rodion und fuhr fort:

»Ich und meine Frau behandelten euch wie Menschen, wie unseresgleichen. Und ihr uns? Ach, was soll ich davon noch reden! Es wird wohl damit enden, daß wir euch verachten werden. Es bleibt uns nichts anderes übrig!«

Er hielt seinen Zorn zurück, beherrschte sich, um nicht ein Wort zu viel zu sagen, kehrte ihnen den Rücken und ging weiter.

Nach Hause zurückgekehrt, bekreuzigte sich Rodion vor dem Heiligenbilde, zog sich die Schuhe aus und setzte sich auf die Bank neben sein Weib.

»Ja ...« begann er, nachdem er etwas ausgeruht hatte. »Wir gingen eben aus dem Wald und begegneten dem gnädigen Herrn Kutscherow ... Ja ... er hat in aller Frühe Mädchen aus dem Dorfe gesehen ... Warum, sagt er, bringen sie keine Pilze her ... für seine Frau, sagt er, und für die Kinder. Dann schaut er mich an und sagt: Ich, sagt er, und meine Frau werden dich verachten. Ich wollte vor ihm niederfallen, hatte aber keinen Mut ... Gott gebe ihm Gesundheit ... Gott gebe ihnen alles Gute ...«

Stepanida bekreuzigte sich und seufzte.

»Die Herrschaften sind gut und einfach ...« fuhr Rodion fort. »Wir werden euch verachten, – das hat er mir vor allen Leuten versprochen. Auf meine alten Tage ... Ewig würde ich für sie zu Gott beten ... Die Himmelskönigin gebe ihnen ...«

Am 14. September, am Tage der Kreuzeserhöhung feierte man im Dorfe Kirchweih. Die beiden Lytschkows, Vater und Sohn fuhren schon am frühen Morgen aufs andere Flußufer und kamen zu Mittag betrunken zurück. Lange trieben sie sich singend und unflätig fluchend im Dorfe umher, dann gerieten sie in Streit und gingen aufs Gut, sich über einander zu beklagen. Zuerst kam Lytschkow-Vater mit einem langen Espenstecken in den Hof; er blieb unschlüssig stehen und zog die Mütze. Der Ingenieur saß gerade mit seiner Familie auf der Terrasse beim Tee.

»Was willst du?« schrie ihn der Ingenieur an.

»Euer Hochwohlgeboren, gnädiger Herr ...« begann Lytschkow und fing zu weinen an. »Erweisen Sie mir die göttliche Gnade und schützen Sie mich ... Mein Sohn läßt mich nicht leben ... Zugrunde gerichtet hat er mich, Euer Hochwohlgeboren, und er schlägt mich auch ...«

Auch Lytschkow-Sohn kam in den Hof ohne Mütze, mit einem Stecken in der Hand; er blieb stehen und richtete seinen trunkenen, stumpfsinnigen Blick auf die Terrasse.

»Es ist nicht meine Sache, eure Streitigkeiten zu untersuchen,« sagte der Ingenieur. »Geht zum Semstwo-Vorstand oder zum Pristaw.«

»Ueberall bin ich schon gewesen ... habe auch eine Bittschrift eingereicht ...« sagte Lytschkow-Vater schluchzend. »Wo soll ich jetzt noch hingehen? Also darf er mich auch umbringen? Alles darf er? Seinen leiblichen Vater? Den Vater?«

Er hob seinen Stecken und schlug den Sohn auf den Kopf; auch jener hob seinen Stecken und schlug den Alten auf die Glatze, so daß der Stock zurückprallte. Lytschkow-Vater wankte nicht einmal und schlug den Sohn wieder auf den Kopf. Und so standen sie da und schlugen einander auf die Schädel; es sah gar nicht wie eine Schlägerei aus, sondern eher wie ein Spiel. Draußen vor dem Tore drängten sich aber die Bauern mit ihren Weibern und blickten stumm und ernst in den Hof. Die Bauern waren gekommen, um dem Ingenieur zum Fest zu gratulieren, als sie aber die Lytschkows sahen, schämten sie sich und blieben draußen.

Jelena Iwanowna fuhr am anderen Tag mit ihren Kindern nach Moskau. Und es ging das Gerücht, daß der Ingenieur sein Gut verkaufen wolle ...

 

V

An die Brücke hatte man sich schon längst gewöhnt, und man konnte sich den Fluß an dieser Stelle unmöglich ohne die Brücke vorstellen. Die Kehrichthaufen, die an der Baustelle geblieben waren, waren schon längst mit Gras bewachsen; auch die Bahnarbeiter hatte man schon vergessen, und statt ihrer Lieder hört man fast jede Stunde das Dröhnen der vorbeifahrenden Züge.

Das Neue Landhaus ist schon längst verkauft; jetzt gehört es einem Beamten, der an Feiertagen mit seiner Familie herkommt, auf der Terrasse Tee trinkt und dann wieder in die Stadt zurückfährt. Er hat an seiner Mütze eine Kokarde, er spricht und hustet wie ein sehr hoher Beamter, obwohl er nur im Range eines Kollegiensekretärs steht, und wenn die Bauern sich vor ihm verbeugen, erwidert er ihren Gruß nicht.

In Obrutschanowo sind alle alt geworden; Kosow ist gestorben, in Rodions Hause gibt es noch mehr Kinder, und Wolodjka ist ein langer, roter Bart gewachsen. Sie leben in gleicher Armut wie früher.

Im Frühjahr sägen die Bauern von Obrutschanowo bei der Station Holz. Nach der Arbeit gehen sie langsam im Gänsemarsch nach Hause; die breiten Sägen biegen sich auf ihren Schultern und funkeln in der Sonne. Im Gebüsch am Ufer schlagen die Nachtigallen, im Himmel schmettern die Lerchen. Beim Neuen Landhause ist es still, keine Seele regt sich da, und nur die goldenen Tauben – sie sind von der Sonne vergoldet – fliegen über dem Hause. Alle – auch Rodion, die beiden Lytschkows und Wolodjka – erinnern sich der weißen Pferde, der kleinen Ponys, des Feuerwerks, der Boote mit den Lampions, sie erinnern sich, wie die hübsche und feingekleidete Frau des Ingenieurs zu ihnen ins Dorf gekommen war und wie freundlich sie zu ihnen gesprochen hatte. Nun ist es, als wäre es nie gewesen. Es war wie ein Traum, wie ein Märchen.

Sie gehen im gleichen Schritt, sie sind müde und denken sich das ihrige ...

In ihrem Dorfe, so denken sie, wohnen lauter gute, friedliche und vernünftige Leute, die Gott fürchten; auch Jelena Iwanowna war friedlich, gut und sanft, und es tat einem das Herz weh, sie anzuschauen. Warum haben sie mit ihr nicht auskommen können und sind wie Feinde auseinandergegangen? Was war das für ein Nebel, der vor ihren Augen das Wichtigste verdeckte und sie nur die Flurschäden, Zäume, Zangen und alle die Kleinigkeiten sehen ließ, die jetzt in der Erinnerung als Unsinn erscheinen? Warum leben sie mit dem neuen Besitzer in Frieden, konnten sich aber mit dem Ingenieur niemals vertragen?

Niemand kann diese Fragen beantworten, alle schweigen, und nur Wolodjka allein brummt etwas.

»Was sagst du?« fragt Rodion.

»Wir haben ohne Brücke gelebt ...« sagt Wolodjka finster. »Wir haben ohne Brücke gelebt, wir wollten keine und brauchten sie nicht.«

Niemand antwortet darauf, und alle gehen schweigend, mit gesenkten Köpfen weiter.


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