Giacomo Casanova
Eduard und Elisabeth bei den Megamikren
Giacomo Casanova

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Am nächsten Tage marschierten wir eine halbe Stunde lang durch einen sehr engen, unregelmäßigen und niedrigen Gang, der etwas abwärts führte; am Ende desselben sahen wir zu unserm großen Erstaunen uns oben auf einer verfallenen Steintreppe, deren Stufen aber noch deutlich zu erkennen waren. Wir konnten unsere Füße auf diese stellen. Mit einiger Schwierigkeit gelang es uns, diese Treppe hinabzusteigen. Unten fanden wir ein Ziegelpflaster unter einem Dach; dieses wurde von Balken gehalten, die aber so morsch waren, daß sie jeden Augenblick einzustürzen drohten. Es war offenbar ein großer Saal, der zu einem Gebäude gehörte, das von der Erde verschlungen sein mußte. Wir gingen weiter und fanden zwei Türen, von denen die eine von Steinen versperrt war, die zu den Mauern eines eingestürzten Hauses gehörten. Wir gingen durch die andere Tür und fanden ein Gemach mit Tischen, Holzstühlen und Lehnsesseln, die mit Leder gepolstert waren. Wir sahen auch Schränke und Säulen, die zu einem Bett gehört hatten; die Matratzen desselben würden wir ebenfalls gesehen haben, wenn sie nicht ganz mit Schutt bedeckt gewesen wären. Wir gingen vorsichtig durch dieses Gemach und kamen an ein Fenster, aus dem ich hinausstieg, als ich sah, daß ich draußen festen Fuß fassen konnte. Sonst hätten wir nämlich umkehren müssen, was ich nur mit großem Widerstreben getan haben würde. Es kam mir vor, wie wenn ich mich in einem kleinen Hof befände, der durch eine Tür mit zwei Flügeln verschlossen war. Ich trat durch diese ein und sah große Bücher, deren Papier fast ganz zu Staub zerfallen war. Ich bemerkte jedoch auf einigen Blättern Schriftzeichen, die ich als gotische erkannte. Ich las sie, ohne ihren Sinn begreifen zu können, obgleich ich in den sechs Zeilen, die noch vorhanden waren, ganz sicherlich acht oder zehn englische Wörter fand.

Dies alles waren sichere Anzeichen, daß wir in unmittelbarer Nähe von der Oberfläche unserer Erde waren, daß wir uns aber in einem verschütteten Gebäude befanden. Wir gelangten in ein anderes Zimmer, dessen Fußboden völlig zerstört war; wir konnten jedoch die Tür erreichen und sahen uns nun vor einer anderen Treppe. Wir sahen uns in einem Brunnen mit einem so niedrigen Gewölbe, daß wir gebückt gehen mußten, um vorwärts zu kommen. Ich hielt unseren Megamikren an der Hand und wir kamen wieder an eine Tür, durch die wir in einen Gang traten, der eine Viertelstunde lang steil aufwärts führte. Oben angelangt, sahen wir abgestorbene Bäume; über uns war ein niedriges, unregelmäßiges Gewölbe, das höchstens zwei Klafter hoch war.

Nach diesem anstrengenden Marsch vernahmen wir ein Geräusch, das immer stärker wurde, je weiter wir vorwärts kamen. Schließlich kamen wir an die Stelle, von der dieses Geräusch ausging: es waren kleine Wasserfälle, die zum Teil Gräben füllten, während andere über die Ebene hinflossen.

Mit einer Überraschung, die uns ein starkes Herzklopfen verursachte, sahen wir ein Licht, das wir ganz deutlich unterschieden, obwohl es nur schwach und in großer Entfernung schimmerte. In drei Viertelstunden waren wir in einem leeren Wasserbecken angelangt, über dessen Mitte das Licht senkrecht oberhalb unserer Köpfe stand! Es kam uns vor, wie wenn wir auf dem Boden eines ausgetrockneten Teiches gingen. Das Licht fiel durch ein Loch ein, das in der Deckenwölbung sich befand; es war unregelmäßig rund und der größte Durchmesser betrug höchstens zwei geometrische Schritte, also ungefähr drei Meter. Einige Schritte weiter kamen wir an einen großen Haufen von Muschelschalen; als ich auf diesen hinaufgestiegen war, stieß ich mit dem Kopf oben gegen das Gewölbe an. Natürlich war aber jetzt das Loch zwanzig Schritte reichlich von mir entfernt.

Mit größter Sehnsucht sah ich nach diesem Loch, durch das ein trübes Dämmerlicht fiel: es mußte sich sicherlich auf der Oberfläche unserer Erde befinden. Wir dankten Gott, daß wir am Ende unserer Wanderung waren; aber wir mußten erst das Loch erreichen und dazu sah ich durchaus kein Mittel. Wir waren allem Anschein nach in einem großen Brunnengewölbe ohne Wasser. Da wir das Bedürfnis hatten, etwas zu essen, so setzten wir uns am Fuß des Muschelschalenhügels nieder und nahmen einige Austern zu uns. Der Megamikre füllte eine unserer Schalen mit Wasser, das wir sehr gut fanden; nachdem wir unser leichtes Mahl beendigt hatten, sahen wir aber kein Loch und kein Licht mehr und legten uns in großer Traurigkeit schlafen.

Nach unserem Erwachen sagte der Megamikre uns, wir könnten aus der Höhle nur herauskommen, wenn wir durch das eingestürzte Haus wieder zurückgingen; wir befänden uns in einer riesigen Grotte, die keinen anderen Ausgang hätte. Ich machte mich schon bereit, wieder umkehren zu müssen, da sah ich plötzlich das Loch wieder. Es waren zehn Stunden vergangen, seitdem wir es zuletzt gesehen hatten; unsere Uhren waren ausgezeichnet und gingen ganz genau; nachdem ich kurze Zeit mich mit meiner Frau beraten hatte, kamen wir überein, daß die Dunkelheit des Loches nur von der Nacht herrühren könne. Wir entschlossen uns daher, den ganzen Tag an Ort und Stelle zu verbringen, um zu sehen, ob nach Ablauf von vierzehn Stunden das Licht wieder verschwinden werde. Es verschwand in der Tat und ich war daher gewiß, daß es das Licht unserer Oberwelt war. Ich konnte nicht erraten, in welchem Lande unserer Erde wir uns befänden; aber dies war für uns ziemlich gleichgültig. Die Hauptsache war, hinauszukommen, und ich würde geglaubt haben, fünfzig Schritte von London entfernt zu sein, selbst wenn ich mich am Südpol befunden hätte.

Wir erhoben mehrere Male unsere Stimmen und riefen laut, in der Hoffnung, daß man uns oben hören und zu Hilfe kommen werde; aber diese Hoffnung war vergeblich. Nachdem wir wieder eine leichte Mahlzeit zu uns genommen hatten, schliefen wir ein. Fünf Stunden darauf erwachten wir schon wieder, da wir an mehreren Stellen unserer Grotte ein verstärktes Geräusch des Wassers hörten. Unser Freund sagte uns, die kleinen Wasserfälle seien bedeutend stärker geworden. Als nach vier Stunden das Licht wieder erschien, da sahen wir, daß das Becken überschwemmt wurde. Wir zogen uns auf den Gipfel des Muschelberges zurück, der eine kleine Insel geworden war. Wir konnten nicht mehr daran denken, ohne große Gefahr die Höhle zu verlassen; ich gab daher auch jeden Versuch auf. Nach meiner Meinung konnte uns kein größeres Glück begegnen, als wenn die ganze Grotte vollständig mit Wasser angefüllt werde und bis an den Rand des Loches reichte. Ich durfte darauf hoffen, denn die Grotte reichte höher hinauf als das Loch, das sich gerade an der niedrigsten Stelle des Gewölbes befand. Wenn das Wasser über den Muschelhaufen hinaufstieg, mußten wir das Loch schwimmend erreichen können, denn die Entfernung betrug nur zwanzig Schritte. Wenn wir aber die Wände des Loches erreichen konnten, so durfte ich hoffen, daß wir auch würden hinaufklettern können.

Gegen Abend war das Wasser so hoch gestiegen, daß es an der Stelle, wo wir saßen, uns bis an die Waden reichte. Niemals haben Menschen heißer zu Gott gefleht, als wir darum, daß er eine vollständige Überschwemmung der Grotte senden möge. Wir aßen etwas, aber ohne jeden Appetit. Unser lieber Freund war entzückt, daß er sich über etwas freuen durfte, was ihn sonst zur Verzweiflung gebracht haben würde; da er aber sah, daß wir die völlige Überschwemmung nicht fürchteten, sondern sie im Gegenteil herbeiflehten, so wünschte auch er sie. Er sagte mir, nachdem er zu den Wasserfällen geschwommen war, die Überschwemmung werde sicherlich eine vollständige sein, denn die Wasserströme seien viel stärker geworden. Alle Augenblicke schwamm er unter das Loch und berichtete uns dann, er sehe einen bläulichen Himmel, an dem Rauch vorüberziehe. Dieser Rauch bestand aus Wolken, die er natürlich nicht kennen konnte. Er sagte uns, er habe ungeheuer große Vögel gesehen; und es machte uns die größte Freude, als er uns später berichtete, ein großer Vogel sei in der Luft vom Blitz getroffen worden, den er deutlich gesehen habe. Wir schlössen daraus, daß auf der Erde über uns Jäger sein mußten, daß also das Land keine Wüste sein konnte.

Fünf Stunden nach dem Verschwinden des Lichtes schliefen wir wieder ein; aber das Wasser, das bei Tagesanbruch bereits den Gipfel unseres Muschelhügels erreicht hatte, nötigte uns, an unsere Sicherheit zu denken. Die Ränder des Loches, das ich nicht mehr sah, waren von der Oberfläche des Wassers nur noch zehn Zoll entfernt; es war also keine Zeit mehr zu verlieren: wir mußten unseren Entschluß fassen und uns der Vorsehung anvertrauen.

Der Megamikre schwamm zu dem Loch, klomm an der Wand empor und meldete uns nach fünf Minuten, das Loch sei vier Ellen hoch; der Fels sei an der einen Seite zerklüftet und es sei ihm gelungen, bis oben hinaufzuklettern und ins Freie zu gelangen. Er habe eine weite Ebene gesehen; in kurzer Entfernung von dem Loche habe er Jäger gesehen, die zu Pferde verschiedene wilde Tiere, größere und kleinere, verfolgt hätten. Einige von diesen Tieren hätten auf dem Kopf zwei Bäume gehabt. Diese Nachricht machte uns große Freude: wenn Hirsche dort waren, waren wir also nicht in Afrika und die berittenen Jäger waren ein Zeichen, daß wir an einem Ort in Europa oder Asien uns befanden, wo eine reiche Gesellschaft vorhanden sein mußte. Unsere Neugier war so groß, daß wir beinahe gar nicht mehr daran dachten, daß wir noch die größten Schwierigkeiten haben mußten, aus dem Loch heraus zu gelangen. Während wir uns darüber unterhielten, brachte der Megamikre nach und nach alle unsere Sachen nach dem Loch; wir saßen vollkommen naß auf unserm Muschelhaufen. Gegen Abend sprang ich in die Flut und schwamm unter dem Wasser, um das Loch zu untersuchen. Es war halb sechs Uhr, und wenn wir in Europa waren, so mußten wir uns nach meiner Berechnung im Monat April oder im Monat August befinden.

Ich sah sofort die Unmöglichkeit ein, durch Klettern aus dem Loch heraus zu gelangen. Dieses war eine Art von Brunnen, dessen Wände überall Unregelmäßigkeiten aufwiesen; die Vorsprünge waren jedoch so gering, daß man sich nicht an sie anklammern konnte. Mit einem Seufzer kehrte ich zu meiner lieben Gattin zurück und berichtete ihr, was ich gesehen hatte und was ich mit Recht befürchten mußte. Der herrliche Megamikre bat mich, in seiner Sprache ihm zu sagen, was ich meiner Frau mitgeteilt hätte; als er alles gehört hatte, sagte er mir, das Loch sei weit genug, daß wir uns auf der Oberfläche des Wassers ausstrecken könnten. In dieser Stellung könnten wir bleiben, bis das wachsende Wasser uns an die Oberfläche der Erde mit emporhöbe. Ich wußte dies wohl selber, aber ich befürchtete auch, daß, in einer solchen Stellung auf dem Wasser zu bleiben, nur für eine sehr kurze Zeit möglich sein würde.

Wir saßen die ganze Zeit zusammengekauert auf dem Muschelhaufen; als es acht Uhr war, berührten unsere Köpfe bereits das Gewölbe, da wir uns hatten aufrichten müssen; wir hatten keine Minute mehr zu verlieren. Wir schwammen daher unter dem Wasser bis zu dem Brunnen, ohne auch nur einen einzigen Atemzug zu tun. Als wir unterhalb des Loches waren, berührte der Kleine unsere Köpfe und wir hoben diese aus dem Wasser empor. Unsere vier Karfunkel gaben uns genügendes Licht in der dichten Finsternis, die der sehr trübe Himmel noch dichter machte. Unser erster Versuch bestand darin, daß wir einige Steine packten, um unser Gewicht zu vermindern; meine Frau hing auf der einen, ich auf der anderen Seite des Brunnens. Wir konnten uns eine Viertelstunde lang in dieser Weise halten, weil in dem Wasser unser Körpergewicht sehr vermindert war. Plötzlich begann es zu regnen. Unsere Lage wurde dadurch sehr unangenehm, aber trotzdem mußten wir über eine Bemerkung des Megamikren lachen: »Der Regen«, sagte er, »kommt von der Sonne her, anstatt in der Richtung auf sie zu fallen; ich sehe aber die Sonne nicht; wenn sie anderswo ist, wie kann sie uns den Regen schicken?«

Es war nicht der Ort und die Zeit, ihm Unterricht in der Physik zu geben. Der Regen wurde zu einem Wolkenbruch und dauerte die ganze Nacht hindurch; er war so heftig, wie wir ihn in England höchstens zwei- oder dreimal jedes Jahr sehen, wo er aber dann höchstens eine halbe Stunde dauert.

Als wir müde waren und uns kaum noch an der Felswand halten konnten, versuchten wir uns auf dem Wasser auf den Rücken zu legen. Wir fanden es jedoch unmöglich, die Kraft aufzubringen, die dazu gehörte, um beständig über Wasser zu bleiben. Da kam der Megamikre uns zu Hilfe, indem er tauchte und mein Gesäß, wie das meiner Frau, mit je einer Hand unterstützte. Er versicherte uns, dies mache ihm nur sehr geringe Mühe; denn wir könnten höchstens zehn Pfund wiegen. Wir hatten keinen Anlaß, an seinen Worten zu zweifeln; denn wir wußten, daß er lieber gestorben wäre, als daß er eine Lüge gesagt hätte. Aber der Gedanke wurde uns peinlich, daß der ausgezeichnete Kleine unter uns gewiß doch leiden müßte. Nach zwei Stunden wollten wir wieder die Vorsprünge an der Brunnenwand anfassen, aber wir fanden sie nicht mehr und der Megamikre sagte uns, das Wasser sei bereits bis ungefähr auf die Hälfte des Brunnens hinaufgestiegen; wir würden an der einen Seite Vorsprünge finden, an denen wir uns viel bequemer halten könnten.

Der Megamikre stieg aus dem Brunnen heraus und sah nach meiner Uhr, die ich genau gestellt hatte; es war zwei Uhr morgens. Das Wasser in dem Brunnen war so hoch gestiegen, daß es nur noch zwei Fuß und vier Zoll vom Rande entfernt war. Er sagte mir: wenn ich mich aufrichten und Wasser treten könnte, so würde er mir einen solchen Stoß unter die Füße geben, daß ich den Rand des Brunnens erreichen und mich hinaufziehen könnte. Ich tat dies sofort und die Wirkung trat auch in der Tat ein: ich vermochte mit beiden Händen und der Brust den Rand des Brunnens zu erreichen, worauf es nicht mehr schwer war, ein Bein nach oben zu bringen und mich allmählich aufzurichten. Ich drehte mich sofort um, legte mich auf den Bauch und forderte meine Frau auf, mir ihre Hände zu reichen. An diesen zog ich sie aus dem Loch heraus.

E quindi uscimmo a riveder le stelle.

Unsere Seele erhob sich zu Gott, während wir zugleich auf die Knie fielen, um dem Allmächtigen die reinste Huldigung unserer Dankbarkeit darzubringen für die vielen Wunder, die er uns erwiesen hatte, um uns so oft dem nahen Tode zu entreißen. Freudentränen stürzten aus unseren Augen; sie waren die wahre Quintessenz der Freude unserer Herzen.

Im strömenden Regen auf der Erde sitzend, konnten wir nicht daran denken, uns abzutrocknen: wir hatten keine Wäsche oder Tücher, womit wir dies hätten tun können; auch unsere Mäntel waren vollkommen getränkt von dem wohltätigen Wasser, das Gott uns vom Himmel gesandt hatte, um uns das Leben zu schenken. Wir konnten dieses Wasser nur segnen, aber es war uns doch angenehm, von seinem Überfluß uns zu befreien. Wir banden daher die Tücher los, die wir uns um den Kopf gewickelt hatten, und drückten sie aus. Dann rangen wir unsere Haare aus und hüllten unsere Leiber in die Tücher; wir mußten laut lachen, als unser Megamikre mit der ernstesten Miene uns die beiden Muschelschalen auf den Kopf setzte; aber er hatte recht, denn sie bedeckten uns in diesem Augenblick besser, als wenn wir die besten Hüte aus der Fabrik von Kensington gehabt hätten. Wir stiegen etwa hundert Schritte aufwärts, da der Brunnen sich in der Tiefe einer Schlucht befand, und setzten uns nieder, als wir sicher glaubten, nicht mehr von der Überschwemmung erreicht werden zu können, die natürlich bald eintreten mußte, wenn das Wasser in derselben Weise und mit der gleichen Schnelligkeit weiterstieg, und wenn der sintflutartige Regen nicht aufhörte.

Kaum drei Stunden später war es heller Tag und wir sahen uns in einem schönen Wiesengrund, der hier und dort mit Bäumen aller Arten bestanden war. Die Ebene dehnte sich unermeßlich weit aus; später erfuhr ich, daß sie an der Stelle, wo wir uns befanden, etwa drei englische Meilen breit war bei einer Länge von zehn Meilen. Auf dieser breiten Fläche sah ich zehn oder zwölf überschwemmte Stellen; ich glaubte, die Überschwemmung müßte vom Regen herrühren; dies war aber nicht richtig, denn wie ich später erfuhr, kam das Wasser aus andern Brunnen empor, die viel tiefer als das Loch waren, aus dem wir an die Oberfläche gelangt waren. Ich sah an den noch nicht überschwemmten Stellen Vierfüßler, die nach einem nicht fernen, sehr dichten Walde zu fliehen schienen. Diese Vierfüßler waren Hirsche, Wildschweine, viele Wölfe, auch einige Bären, die mit langsamen Schritten gingen und von denen einige stehen blieben, um uns zu betrachten; sie kamen jedoch uns nicht so nahe, daß wir Furcht zu haben brauchten.

Ich beschloß, nach dem Rande dieses Tales zu gehen, aus dem in spätestens vierundzwanzig Stunden ein großer See werden mußte, wenn das Wasser von unten und der Regen vom Himmel in derselben Weise andauerten. Wir kleideten uns an und nach einer halbstündigen Wanderung mit verschiedenen Umwegen, die wir machen mußten, um die überschwemmten Stellen zu vermeiden, machte ich bei einem Brunnen halt, aus dem das Wasser grade eben hervorzusprudeln begann. Ich blieb eine Zeitlang stehen, um eine große Unzahl von Fischen verschiedener Arten zu betrachten, die aus dem brodelnden Wasser hervorkamen: es machte den Eindruck, wie wenn das Wasser kochte, es war jedoch ganz kalt. Ich bemerkte Forellen, Schleie, Karpfen und sehr dicke Aale. Ich würde lange Zeit dieses schöne Schauspiel betrachtet haben, das die Natur mir bot, aber das Wetter war zu schlecht, außerdem sah ich, daß das Wasser immer stärker empordrang und ich befürchten mußte, das höher gelegene Erdreich nicht mehr rechtzeitig erreichen zu können. »Wo sind wir?« sagte ich zu meiner guten Frau. »Was ist dies für ein Land, dem wir unsere merkwürdigen Gestalten zeigen werden? Und welcher Nation gehören die Bewohner dieses Landes an?«

Am Ende der Senkung kamen wir an Erdreich, das sich ungefähr vier Schritte über dem Boden erhob; wir trafen dort einen schmalen Weg, der wie ein richtiger Uferweg aussah. In ziemlich weiter Entfernung sahen wir ein großes Dorf und machten uns dorthin auf den Weg. Es war eine ärmliche Stadt, von der der See den Namen hat. Ich sah bebautes Ackerland und rechts und links Bauernhäuser; eine große Sehnsucht hatte ich aber, endlich Menschen zu sehen. Obgleich unsere Mäntel und Wämser vom Regen vollständig durchtränkt waren, hatten wir sie doch angezogen, um nicht die ersten Leute, denen wir begegnen würden, abzuschrecken; denn wir waren doch in der Lage, sie um einen Zufluchtsort bitten zu müssen. Endlich trafen wir auf drei Männer, die mit einem jungen Burschen uns entgegenkamen. Trotz dem Regen trug jeder von ihnen eine Flinte; ihre Kleidung bestand aus groben grauen Tuchröcken, die von einem Gürtel zusammengehalten wurden und ihnen bis an die Knie reichten; sie trugen große Stiefel, die aus Fellen mit den Haaren gemacht waren, dazu große Hüte; ihre Schnurrbärte waren sehr lang, die Haare hatten sie im Nacken zusammengebunden.

Sobald wir sie herankommen sahen, setzten wir uns am Fuß eines Baumes nieder; unsere Hände hielten wir gekreuzt über der Brust, der Megamikre stand zwischen uns aufrecht in derselben Haltung. Ich war so vorsichtig gewesen, alle unsere Ringe in die Taschen zu stecken; außerdem hatten wir die Säume unserer Mäntel eingebogen, so daß man die Agraffen mit den Edelsteinen nicht sehen konnte. Unsere Kleidung, mein Bart, die Gestalt des vollkommen nackten Megamikren und die beiden Muscheln, die wir auf dem Kopf trugen – dies alles war danach angetan, die Neugier zu erwecken. Wir sahen durchaus nicht furchterregend aus, aber wir erweckten auch kein Mitleid, sondern man mußte nur über uns lachen. So kam es denn auch. Die Leute blieben vor uns stehen und lachten immer lauter, je mehr sie uns betrachteten. Wir begrüßten sie nur durch Neigungen des Kopfes, als sie uns ansprachen; denn von der Sprache, in der sie uns anredeten, verstanden wir kein Wort.

Ich sprach mit ihnen englisch, lateinisch und ein paar griechische Wörter, die ich kannte. Dies waren die einzigen Sprachen, die ich verstand. Sie verstanden aber kein einziges Wort von dem, was ich sagte. Besonders erstaunt waren sie über den Megamikren, den sie ohne den geringsten Zweifel für ein hübsches kleines Tier hielten. Nachdem wir sie untereinander hatten reden lassen, beschloß ich, mich ihnen durch Gebärden verständlich zu machen. Es gelang mir auch, ihnen begreiflich zu machen, daß wir Unterkunft und Nahrung verlangten, wofür wir bezahlen würden. Wir fragten sie, wohin wir gehen müßten, um dies zu finden. Einer von ihnen wandte sich zu dem jungen Burschen, den sie bei sich hatten; dieser nahm einen Befehl entgegen und entfernte sich. Bis zur Rückkehr dieses Burschen machte einer von den drei Männern unserm Megamikren freundliche Lockzeichen, wie wir Menschen es mit kleinen Hunden machen, die wir nicht anzurühren wagen. Ich bemerkte, daß sie uns für Scharlatane hielten.

Der Bursche kam mit zwei andern Männern und einer Frau zurück, die nur die Neugier zu uns geführt zu haben schien. Ich ließ den Megamikren tanzen und das große Kompliment singen und sah, daß dies großen Eindruck auf die Leute machte; die Frau aber war ganz entzückt und geradezu außer sich, als er auf meinen Befehl zu ihr herantrat und ihr die Hand küßte. Sie wagte es nun, ihn zu liebkosen. Alle diese Menschen interessierten sich nur für ihn und kümmerten sich gar nicht darum, daß wir nötig hatten, Nahrung und ein Obdach zu finden, wo wir unsere Kleider trocknen könnten. Meine Gattin machte der Frau durch Gebärden klar, was wir nötig hätten, und machte dabei zugleich die übliche Fingerbewegung, um ihr anzudeuten, daß wir bar bezahlen wollten. Nachdem die Frau einige Worte zu ihrem Begleiter gesagt hatte, schickte sie den Burschen nach dem Städtchen; eine Stunde darauf kehrte er mit einem Priester zurück. Diesem sagte ich in lateinischer Sprache alles, was notwendig war; da er mir aber nicht antworten konnte, sagte er der Gesellschaft einige Worte und entfernte sich, um nach abermals einer Stunde mit zwei Kapuzinern zurückzukehren, die Latein verstanden. Nun konnte ich mich endlich erklären und einer von den beiden Mönchen antwortete ziemlich höflich auf alle meine Fragen. Er sagte mir, man könnte mir wohl ein Obdach verschaffen, wir müßten jedoch bezahlen; die Leute wollten aber sicher gehen, daß sie auch wirklich Bezahlung erhalten würden, und wir mußten ihnen deshalb Geld zeigen. Hierauf löste meine Frau von ihrem Halse ein kleines Brillantenkreuz in roter Goldfassung und gab dieses Kreuz dem Kapuziner in die Hand. Er prüfte es und sagte sehr höflich zu uns, er verstehe sich auf solche Wertsachen nicht. Dann sprach er in seiner Sprache mit dem Priester und das Ende ihres Gespräches war, daß der Priester sich entfernte. Wiederum nach zwei Stunden kam er mit zwei Männern zurück, von denen der eine, wie ich später erfuhr, der Apotheker, der andere der Arzt des Ortes war. Dieser sagte, er verstehe sich auf Diamanten. Das Kreuz in der Hand haltend, richtete er mehrere Fragen an uns. Auf seine Frage, wer wir seien, erklärte ich ihm, wir seien Engländer, die von Bengalen kämen; wir wären auf der Reise nach Konstantinopel, unsere Bedienten hätten uns beraubt und hilflos in einem Walde gelassen. Zufällig wären wir an diesen Ort gekommen, nachdem wir mehrere Tage zu Fuß gewandert wären. Wir wüßten nicht, wo wir wären. Besonders dies zu erfahren war für uns sehr wichtig, damit ich mich danach richten konnte; denn ich hatte die Aufgabe, ihm einen völligen Roman zu erzählen. Der Arzt sagte mir, wir seien in Niederkrain und die Stadt, die wir in der Nähe sähen, heiße Zirknitz. Er fragte mich, was für ein Tier unser guter Freund sei; ich antwortete ihm, er sei ein Mensch und Christ; er stamme aus einem erst kürzlich entdeckten Lande in der Südsee. Ich schloß mit den Worten, wir brauchten Unterkunft und Kleidung und Nahrung; über alles andere könnten wir am nächsten Tage sprechen, denn es regnete in Strömen und die Nacht drohte bereits hereinzubrechen. Er sagte mir, unser seltsamer Aufputz mache uns verdächtig; er wolle nicht leugnen, daß auch er selber nicht ganz frei von Verdacht sei; aber die Menschlichkeit erlaube ihm nicht, uns auf offener Straße zu lassen. Nur könne er weiter nichts tun, als uns ein Nachtlager in seinem Hause zu geben. Er werde den Kapuziner, der am nächsten Tage nach der großen Stadt Laibach gehen wolle, beauftragen, das Kreuz dort zu verkaufen; natürlich nur, wenn die Steine echt seien, wie er übrigens selber glaube. Ich erklärte mich mit allem einverstanden und wir machten uns endlich auf den Weg nach der Stadt. Der brave Mann wies uns ein ärmliches Kämmerchen an; aber er hatte kein anderes und seine Frau, die uns sehr übel empfing, war nicht einmal damit einverstanden, für uns eine Matratze herzugeben. Ich sagte dem Doktor, wir bäten nur um etwas Stroh; vor allen Dingen aber brauchten wir ein Feuer, gutes Wasser, gutes Fleisch, Mehl und Reis. Nachdem ich ihm versichert hatte, er werde mit uns sehr zufrieden sein, bat ich, mit dem guten Kapuziner sprechen zu dürfen, der das kleine Kreuz nach Laibach bringen sollte. Der Kapuziner kam mit dem Priester, der ihm einen Empfehlungsbrief an einen Juden geben mußte, welcher nach seiner Behauptung bereits Diamanten an den Erzherzog verkauft habe. Ich sagte dem Priester, er möge einen Kaufmann veranlassen, uns Hemden und Kleider zu schicken; er verstand dies jedoch nicht. Der Kapuziner erklärte, er werde selber dafür sorgen, wenn das Kreuz genügenden Wert habe. Ich fragte ihn, wie es möglich sei, daß ein Priester der lateinischen Sprache nicht kundig sei; er antwortete mir, der Priester sei ein Fremder, nämlich ein Slawonier; die slawonischen Priester aber könnten gelehrte Männer sein und auch würdige Diener Gottes, ohne Latein zu verstehen. Denn sie hielten ihren Gottesdienst in illyrischer Sprache und alle ihre heiligen Bücher seien in dieser Sprache geschrieben. Nachdem alle wieder gegangen waren, ließ der brave Arzt in mein Zimmer alles von mir Gewünschte bringen. Er ließ mir auch ein Feuer anzünden, vor dem wir allein blieben und unsere Kleider trocknen konnten.

Unser bis zum Gerippe abgemagerter Megamikre ließ uns keine Hoffnung übrig, daß wir ihn noch retten könnten; denn das letztemal, als Elisabeth ihm die Milch abgesaugt hatte, waren kaum noch zwei Unzen vorhanden gewesen. In diesem Augenblick konnte sie nicht einmal mehr einen einzigen Tropfen aus seinem Busen hervorsaugen; sein Busen selber war sogar verschwunden, denn sobald die Quelle, die früher durch ihn ihren Ausweg gefunden hatte, versiegt war, brauchte die Natur auch die Kanäle nicht mehr zu erhalten. Wir waren in der größten Betrübnis. Ich ließ alle Töpfe, die man mir gebracht hatte, auf das Feuer setzen, und kochte besonders Milch mit Reis. Ich ließ diesen drei Stunden kochen, da ich noch einige Hoffnung hatte, unseren kleinen Engel durch diese Nahrung wieder zu Kräften zu bringen; denn sie enthielt in der Tat zwei Substanzen, die den Hauptbestandteilen der Megamikrennahrung ähnlich waren. Der Kleine, der die Sanftmut selber war, nahm die Nahrung in unserer Gegenwart zu sich, sagte uns aber sofort, mit ihm sei es aus, denn ein Megamikre könne nicht am Leben bleiben ohne die Flüssigkeit, die die Voraussetzung seines Daseins sei. Er war vollkommen bei Besinnung und sprach mit der größten Ruhe von der Glorie des Jenseits; er versicherte uns, er sterbe zufrieden, da er überzeugt sei, uns bei unserer großen Wanderung von Nutzen gewesen zu sein. Wir konnten unsere Tränen nicht zurückhalten.

Wir selber hielten ein vortreffliches Mahl von den Speisen, die wir gekocht hatten, besonders von dem köstlichen Fleisch, das uns eine herrliche Brühe lieferte. Den Wein wagten wir nur mit reichlichem Wasser vermischt zu trinken. Wir waren erstaunt über unsern guten Gesundheitszustand; denn wir hatten vierzig Stunden lang kein Auge zugetan und uns während dieser Zeit immer im Wasser oder im Regen befunden. Wir wurden am Morgen von dem Arzt aufgeweckt, der uns sagte, es habe bereits acht Uhr geschlagen. Wir hatten die ganze Zeit geschlafen, aber es kam uns vor, wie wenn wir nur einen Augenblick die Augen geschlossen hätten, so tief und ruhig war unser Schlummer gewesen. Wir baten unsern Wirt, uns neue Nahrungsmittel wie am vorhergehenden Tage zu besorgen; zugleich sagten wir ihm, unser kleiner Begleiter werde sterben, weil er keine für ihn passende Nahrung bekommen könnte.

Natürlich lachte der Arzt über meine Behauptung; denn ein solches Urteil zu fällen, könnte nur ihm als Gelehrten zukommen. Nachdem er dem Kranken den Puls gefühlt hatte, hielt er einen gelehrten Vortrag, der mit vielen Fachausdrücken gespickt war. Ich brachte ihn aber zum Schweigen, indem ich ihm sagte, das sterbende Geschöpf sei von einer Natur, wie Hippokrates sie überhaupt nicht geahnt habe. Er verstummte vollends, als ich ihm erklärte: er habe vor seinen Augen einen Kranken, der niemals schlafe, dessen Blut weiß sei und der von seiner eigenen Milch sich nähre. Ein solches Geschöpf müsse einen Magensaft haben, der von dem unsrigen vollständig verschieden sei; die ganze Bildung der inneren Teile müsse von der unsrigen abweichen, denn er sei aus einem Ei geboren, das durch einen Kanal gelegt worden sei, der sich zwischen Speise- und Luftröhre befinde. Dieser Kanal gehe von einer Gebärmutter aus, welcher die Natur ihren Platz in der Nähe des Zwerchfells angewiesen habe. Mein lieber Doktor hielt mich nun für einen Visionär oder im günstigsten Fall für einen gelehrten Betrüger, von dem er sogar annehmen wollte, daß er über größere Kräfte verfüge als er selber.

Da er seine eigene Scharlatanerie nicht mit der meinigen messen wollte, so lächelte er fein und sagte mir: was ich ihm da erzählt habe, sei ebenso unterhaltend wie interessant. Hierauf brachte er das Gespräch auf ein anderes Thema und sagte mir, die Kapuziner seien vor Tagesanbruch mit drei Briefen und dem Kreuz abmarschiert; auch habe der Stadthauptmann an den Gouverneur in Laibach über meine Person, meine Begleiter und unsere ganze Erscheinung ausführlich berichtet; er habe nicht nötig gehabt, mich zu sehen oder mit mir zu sprechen; dies habe er für gänzlich überflüssig gehalten, als man ihm gesagt habe, ich spreche nur Latein. Denn er habe sein Latein vergessen, weil er bereits vor sehr langer Zeit seine Studien beendigt habe.

Hierauf betrachtete der Arzt mit großer Aufmerksamkeit unsere Uhren, von denen die eine aus rotem, die andere aus gelbem Gold gemacht war. Er bewunderte besonders die gelbe, indem er mich fragte, ob sie von Gold sei; als ich diese Frage bejahte, stellte er sich, wie wenn er das Werk bewunderte, und bat mich, ich möchte ihm doch erlauben, sie einem mit ihm befreundeten Liebhaber solcher Sachen zu zeigen. Ich gab ihm natürlich diese Erlaubnis. Die sogenannte Stadt war ein Haufen von dreihundert schlechten Häusern; es befand sich nicht einmal ein Uhrmacher in ihr, doch war ein Goldschmied vorhanden, der sich für die Arbeit des Uhrwerks nicht interessierte, aber gerne gewußt hätte, ob sie wirklich von Gold sei. Mein guter Arzt hörte mit Freuden, daß sie einen Goldwert von vierzig Gulden besäße; er war viel höflicher, als er mir die Uhr zurückbrachte; ich sah, daß er jetzt nicht mehr an dem Wert seines Kreuzes zweifelte. Er war gut und ein anständiger Mensch und ich schätzte ihn auch nicht geringer wegen seiner Zweifel; denn der Zweifel entspringt oft nur der Vorsicht und kann niemals einen Menschen entehren, wenn er darüber nicht die Höflichkeit außer acht läßt. Was ich dem braven Mann über unseren Megamikren gesagt hatte, hatte ihn mißtrauisch gemacht und er glaubte, er würde um die sechs Gulden geprellt werden, die er bis zur Rückkehr der drei Kapuziner für uns auslegen mußte. Er hatte recht und ich hatte unrecht, ihm etwas zu sagen, was jeden Menschen in Erstaunen setzen mußte, besonders aber einen Halbgelehrten; denn diese Leute glauben immer nur das, was sie in den Büchern irgendeiner Autorität gelesen haben. Ich sagte ihm, das Gold der anderen Uhr sei bedeutend mehr wert als das gelbe Gold, weil es eben rotes Gold sei. Hierüber lachte er und sagte mir, er wisse in der Alchimie ganz gut Bescheid. Nun erkannte ich, daß ich den Mund halten mußte.

Ich fragte ihn nach dem Datum und war außerordentlich überrascht, als er mir antwortete, wir schrieben den 21. August des Jahres 1614. Am selben Tage des Jahres 1533 fielen wir in die Kiste, die mit uns im Strudel des Maëlstromes verschwand. Mußten wir da nicht glauben, daß alles, was uns zustieß, von Gottes eigener Vorsehung ausging? Gott erweist den sterblichen Menschen Gnaden, ohne die Ordnung der Natur umzustoßen, und der Mensch muß diese Gnaden als Wundertaten anerkennen, obgleich sie natürlich sind. Schon der einzige Umstand, daß wir an demselben Jahrestage in den Abgrund stürzten und wieder befreit wurden, diese Welt verließen und wieder in sie zurückkehrten, mußte uns genügen, um unsere Herzen in Dankbarkeit dem Allerhöchsten gegenüber zerfließen zu lassen. Wir hatten außerdem noch tausend andere Gründe. Mag man mich deshalb für abergläubisch halten, das wird meine Seelenruhe nicht stören. Solange wir noch leben, werden wir am 20. August in stiller Betrachtung die Vorsehung Gottes anbeten. Ich bat durch unseren Doktor den Apotheker, er möchte mir alles schicken, was er an aromatischen Kräutern habe, die bei der Verbrennung angenehm riechende Dämpfe gäben. Er schickte mir indische Aloe, festen und flüssigen Borax, arabische Myrrhen und mehrere Harze. Ich verbrannte diese im Zimmer, um durch die wohlriechenden Dämpfe unserm herzgeliebten Megamikren das Leben zu erhalten. Aber alles war vergeblich. Er konnte keine einzige von den ihm gereichten Speisen verdauen und es wurde jeden Augenblick schlimmer mit ihm.

Da der Regen aufgehört hatte, so hatte ich nach meinem Aufstehen gleich in der Frühe erkannt, daß es einen sehr schönen Tag geben würde. Ich ging zu meinem Megamikren und fragte ihn, ob er nicht unsere Sonne sehen wolle, die bald erscheinen würde, um dreizehn Stunden lang unsere ganze Halbkugel zu beleuchten. Ich versicherte ihm, er könne die Sonne ansehen, ohne damit ein Verbrechen zu begehen. Er ging mit mir hinaus und eine Viertelstunde darauf hatte ich das Vergnügen, sein Erstaunen zu sehen, als er unser schönes Gestirn aufgehen sah. Zur Mittagsstunde wünschte er die Sonne wieder zu sehen und richtete bei dieser Gelegenheit sehr zufrieden über den Anblick mehrere Fragen an mich, auf die ich ihm aber nicht eingehend antworten konnte, denn es war zu spät, ihm das alles zu erklären: er war dem Tode nahe.

Am sechsten Tage waren die beiden Kapuziner wieder da. Sie betraten meine Kammer und meldeten mit Namen und Titeln zwei vornehme Herren an, die ich mit allen Zeichen der Achtung empfing. In demselben Augenblick erschien auch der Arzt. Es waren der Graf Eckemberg, der Gouverneur von Kroatien, und Graf Prainer, Kommissarius des Kaisers Matthias. Sie sagten mir, der Wunsch, meine Bekanntschaft zu machen, führe sie zu mir. Ich nannte ihnen sofort meinen Namen, mein Vaterland und sagte ihnen, wie alt ich sei. Ich brauchte ihnen allerdings mein Alter nicht zu sagen; aber ich kam aus einer Welt, in welcher über allem majestätisch die Wahrheit thronte. Graf Eckemberg erwies mir die Ehre, mir in ausgezeichnetem Englisch zu antworten und mir ein Kompliment darüber zu machen, daß ich die Tante Karls V. habe kennen müssen, die Heinrich VIII. verstoßen habe, um Anna Boleyn zu heiraten. Ich sagte ihm, ich habe nicht bei Hofe gelebt, wisse aber, daß König Heinrich den Entschluß, Katharina zu verstoßen, bereits gefaßt habe, bevor er Anna Boleyn gekannt habe. Denn Kardinal Wolsey verhandelte auf Befehl des Königs mitsamt den Ersten wegen der Vermählung seiner Schwester, der Herzogin von Angoulême. Ich wüßte dies aus dem eigenen Munde des Kardinals Campeggio, der seine Zustimmung zur Heirat Heinrichs VIII. standhaft verweigerte, indem er den Grund, daß Katharina nicht seine Frau sein könne, weil sie die Witwe seines Bruders sei, für nichtig erklärte. Als der Graf sah, daß ich besser Bescheid wußte als er selber, hielt er es für besser, nichts weiteres darüber zu sprechen, und ließ die Frage meines Alters, welchem allerdings mein Aussehen nicht entsprach, unerörtert.

Er zog aus seiner Tasche das Kreuz und die Diamanten, die er aus der Fassung hatte nehmen lassen, und fragte mich, ob ich mit 6000 Gulden zufrieden sein würde. Er versicherte mir, man habe sie auf 1000 Gulden höher geschätzt als Diamanten von derselben Größe vom reinsten Wasser, weil die Arbeit außerordentlich gut sei; denn sie seien mit doppelten Facetten geschliffen, wodurch mehr als ein Drittel der Steine der Schönheit derselben aufgeopfert worden sei. Er sagte ferner, er möchte mich um eine Freundlichkeit bitten, nämlich ihm, falls ich meine Diamanten um diesen Preis nicht verkaufen wolle, den Preis des Metalls zu nennen, aus dem das Kreuz angefertigt sei; denn er wünsche dieses selber zu besitzen und sei bereit, mir dafür das Doppelte zu bezahlen, was es kosten würde, wenn es von Gold wäre. Ich antwortete ihm ohne Umschweife, es sei rubinrotes Gold, und wenn er dieses Stück zu besitzen wünsche, so zeige mir dies, daß er Kenner sei; dies ermutige mich dazu, ihm die Fassung als Geschenk anzubieten. Ich sei mit 6000 Gulden vollkommen zufrieden. Er drückte mir mit großer Anmut die Hand, steckte das Kreuz und die Diamanten in seine Tasche und zählte mir augenblicklich die ganze Summe in Gold auf. Hierauf sagte er mir, mit diesem Metall werde er ganz Europa in Erstaunen versetzen. Unser Doktor, der sich angeblich auf Alchimie verstand, nahm nun meine Uhr in die Hand und sagte, sie bestehe aus demselben Metall; sie könne aber nur einen Liebhaberwert besitzen, denn aus der Farbe ersehe man, daß sie nicht aus Gold bestehe, das doch das kostbarste aller Metalle sei. Ich lächelte nur, der Graf aber machte sich über seine Rede lustig, so daß der gute Doktor ganz rot wurde. Nachdem der Graf meine Uhr untersucht hatte, sagte er, er würde 2000 Gulden dafür geben. Ich tat aber, wie wenn ich dies nicht hörte. Er fragte nun, ob er wissen dürfe, welcher Zufall uns in dieses Land geführt habe. Ich erzählte ihm hierauf die Fabel, die ich mir vorgenommen hatte, überall zu verbreiten; weil er jedoch ein vornehmer Herr war, so durfte ich meine Erzählung nicht allzu kurz fassen.

Ich berichtete also folgendes: Auf der Reise nach Indien scheiterte in der Südsee unser Schiff bei einem Sturm an einer Korallenbank, die 400 Meilen jenseits von Madagaskar liegt. Die ganze Besatzung außer mir und meiner Frau kam um; uns gelang es mit Hilfe einer Planke, uns an die Küste einer großen Insel zu retten, die auf keiner Karte verzeichnet steht. Wir wurden von sehr freundlichen Menschen gut aufgenommen und sie erwiesen uns alle Hilfe, die wir nur wünschen konnten. Sie nahmen uns mit sich in eine sehr volkreiche Stadt mit einer republikanischen Verfassung, wo alles zum Leben Notwendige im Überfluß vorhanden war. Seehandel treiben sie durchaus nicht, weil sie desselben nicht bedürfen, um reicher zu werden; denn sie besitzen reiche Minen von allen Metallen, sogar viele Diamanten. Ihre Felder bringen in großer Fruchtbarkeit alles hervor. In ihrem Lande gibt es alle Tiere, besonders auch Schafe mit herrlicher Wolle. Sie haben Fabriken und Werkstätten von aller Art. Dort auf dieser Insel befindet sich auch das Bergwerk, worin das Gold gefunden wird, das Sie hier gesehen haben; die Bearbeitung der Diamanten ist dort in dieser Weise üblich. Die Gerechtigkeit wird von ihnen mit der größten Strenge gehandhabt; dafür sind aber ihre Gesetze sehr milde und über deren Auslegung kann niemals ein Zweifel bestehen, denn ihre Worte widersprechen niemals ihrem Denken. Außerdem haben sie auch nur sehr wenige Gesetze und ihr kleines Gesetzbuch besitzt jedermann. Es ist in griechischer Sprache abgefaßt, denn in jenem Lande kennt man keine andere. Während ich mich dort aufhielt, wurde ein junger Kaufmann angeklagt, falsche Münzen geprägt zu haben. Die Behörde fand bei ihm viele Goldstücke, die bei der Probe als falsch erkannt wurden; er wurde zum Tode verurteilt. Der junge Mensch erschien vor den Richtern und sagte ihnen, er sei keineswegs schuldig, er verlange im Gegenteil die Rückerstattung aller falschen Münzen und seines Prägestocks. Er verlange von ihnen, daß sie ihm eine Entschädigung bezahlten, auf Grund eines von ihm angerufenen Gesetzes, dessen Worte folgendermaßen lauteten: Jeder Bürger kann in seinem Hause tun, was er will; unter der Voraussetzung, daß seine Handlungen keinem Menschen weder an seinem Leben, noch an seinem Nutzen, noch an seiner Freiheit, noch an seiner Ehre schaden. Er sagte den Richtern, seit zehn Jahren arbeite er zu seinem Vergnügen daran, diese Medaillen herzustellen, die sie mit Unrecht Münzen nennten; denn er habe sie niemals in Umlauf gebracht. Sie könnten ihn daher nicht eher bestrafen, bevor sie ihn dieses Verbrechens schuldig fänden. Die Richter vermochten keinen einzigen Kläger aufzustellen und mußten ihm daher alles zurückgeben und außerdem noch eine starke Entschädigung auszahlen.

Ich bat die Insulaner, sie möchten mir erlauben, auf meine Kosten ein Boot bauen zu lassen, das mit zwei Segeln auf die hohe See fahren könnte; außerdem Menschen zu bezahlen, die auf den Höhen Wache hielten, um mir zu melden, sobald sie Schiffe in einer gewissen Nähe entdeckten. Sie fanden mein Verlangen sehr billig. Eines schönen Tages wurde mir gemeldet, ein Schiff sei in einer Entfernung von zehn Meilen von der Insel durch die Windstille zurückgehalten. Ich kam an Bord dieses Schiffes und wurde von dem Kapitän, der ein Engländer war und nach dem Kap der guten Hoffnung segelte, sehr gut empfangen. Am Kap der guten Hoffnung beschaffte ich mir den Megamikren, den sie hier sehen, leider liegt er jetzt im Sterben. Vom Kap kamen wir nach Holland, wo ich den kleinen guten Kerl in der christlichen Religion unterrichten und taufen ließ. Von Holland reiste ich nach Danzig, um dort von einem mir gehörenden Handlungshause Gelder einzuziehen. Hierauf reiste ich zu meinem Vergnügen mit zwei Bedienten nach Venedig; sie dienten mir treu auf der Reise durch Pommern, Brandenburg, Sachsen und Böhmen. In Bayern aber beraubten sie uns in einem Walde unserer ganzen Habe. Wir blieben hilflos in diesem ungeheuren Walde zurück, ohne etwas anderes als unser Leben und das, was wir in unseren Taschen hatten, gerettet zu haben. Nach einer langen Wanderung schliefen wir eines Abends vor Müdigkeit ein und wachten auf, als plötzlich das Wasser die ganze Ebene, in der wir uns befanden, überschwemmte. Wir trafen auf wackere Leute, die uns den Arzt vorstellten, der uns gütig Gastfreundschaft gewährte. Wir gedenken nun nach Venedig weiterzureisen, wo wir uns von irgendeinem Handlungshause das Geld werden auszahlen lassen, das wir zur Fortsetzung unserer Reise nach Konstantinopel und weiter nach Giulta, einer Vorstadt von Ispahan bedürfen, wo wir ein Haus und Geschäft besitzen. Dies ist der Roman, den wir erfunden hatten und den ich erzählte, unbekümmert darum, ob man ihn mir glaubte oder nicht.

Wir hätten die Neugier zu sehr erregt, wenn wir ihnen über unsere Lage die Wahrheit gesagt hätten. Wir behielten uns jedoch vor, unsere Erlebnisse in unserer Heimat niederzuschreiben; denn wenn ein Mensch Wahrheiten, die er weiß, niemandem mitteilen kann, so ist er unglücklich.

Mein kleiner Roman wurde wunderbar, aber auch interessant gefunden. Der Graf, der mir ruhig zugehört hatte, richtete drei oder vier kluge Fragen an mich, die mir zeigten, daß er mir wohl hätte Einwendungen machen können, wenn ihm nicht die Höflichkeit geboten hätte, diese für sich zu behalten. Indessen sagte er mir folgendes:

»Es ist überraschend, daß das reiche Land, aus welchem Ihr kommt, seine Freiheit behaupten kann; noch überraschender aber, daß die Leute so einfach jemanden abreisen lassen, der dieses Land kennengelernt hat, denn die Herren müssen doch sehr eifersüchtig auf ihre Freiheit sein und es kann ihnen nicht unbekannt sein, daß alle Fürsten dieser Welt ein unbestreitbares Recht haben, für sich Länder in Besitz zu nehmen, die bisher keinen Herrn haben. Sobald Ihr Eure Geschäfte in Persien abgemacht habt, werdet Ihr wohl Eure Entdeckung dem König Jakob von England mitteilen. Offenbar werdet Ihr auf diese Weise den Ruhm erwerben, der Krone von Großbritannien einen so schönen neuen Edelstein einzufügen. Darum gestattet mir, Euch dazu Glück zu wünschen sowie mir selber, daß ich Eure Bekanntschaft gemacht habe. Ich gestatte mir sogar, Euch den Rat zu geben, daß Ihr Euch beeilt; denn zur Stunde schon muß Holland daran denken, Euch zuvorzukommen. Ein unbekanntes und so reiches Land, das nicht weit von Madagaskar liegt, muß für jede handeltreibende Nation, die über eine starke Flotte verfügt, von großem Interesse sein.«

Hierauf sagte der Kapuziner mir, er habe mir Tuch, Leinwand, Hüte, Strümpfe und Stiefel bringen lassen. Er ließ den Kaufmann, einen Juden, sofort damit eintreten. Der Graf sagte mir: da die Leute meine Sprache nicht verständen, würde er mir gerne bei allen Einkäufen als Dolmetscher dienen; ich war ihm für seine Gefälligkeit sehr dankbar. In weniger als einer halben Stunde kaufte und bezahlte ich alles, was wir brauchten, und gab dem Arzt die ganze Leinwand, um uns vor allen Dingen in größter Eile Hemden anfertigen zu lassen. Das Tuch gab ich Schneidern, um jedem von uns einen Anzug und einen guten Mantel zu machen.

Der Graf wandte nun seine ganze Aufmerksamkeit dem Megamikren zu, der seine volle geistige Lebhaftigkeit und seine Vernunft bewahrt hatte, obgleich er beinah schon ein Leichnam war; seine Augen funkelten so lebhaft wie zuvor. Der Doktor, der mir vielleicht eine Falle stellen wollte, sagte dem Herrn Grafen in seiner Sprache alles, was ich ihm vom Megamikren erzählt hatte. Ich erzählte ihm darauf viel mehr in englischer Sprache und der Graf wie der kaiserliche Kommissar waren aufrichtig betrübt, als ich ihnen sagte, das wundervolle Geschöpf habe kaum noch vierundzwanzig Stunden zu leben, da es seine Milch verloren habe. Der Graf nahm den Kleinen in seine Arme und untersuchte seine Stirnkappe, die Zähne, die getigerte Haut und gab ihm hundert Küsse, die er erwiderte. Dann sang zur großen Überraschung der Herrschaften unser Kleiner mit einer wahren Nachtigallenstimme eines jener wundervollen Lieder, die zwar nur einem Megamikren bis in die Seele dringen können, die aber auch die unsrigen entzücken. Der Arzt konnte sich nicht enthalten, zu behaupten, er würde ihn am Leben erhalten haben, wenn ich ihm erlaubt hätte, ihm ausgezeichnete Pillen zu geben.

Graf Prainer nahm der Arzt beiseite und sprach mit ihm einige Worte; gleich darauf lud der Doktor uns ein, bei ihm mit den beiden hohen Herren zusammen zu speisen, die ihm diese Ehre erweisen wollten. Wir konnten natürlich eine solche Einladung nicht abschlagen. Der Arzt gab uns ein großartiges Festmahl: gutes Wild, ausgezeichnete Fische und einen sehr guten Wein aus der Umgegend, den er Refosco nannte.

Gegen Abend sagte eine Magd dem Arzt, man glaube, daß das kleine Geschöpf, das ich in meiner Kammer gelassen habe, tot sei; der Doktor übersetzte mir diese Meldung. Ich bat die Gesellschaft um Erlaubnis, mich entfernen zu dürfen, und eilte zu unserm kleinen Engel, den ich unbeweglich mit geschlossenen Äugen liegen sah; er war aber noch nicht tot, sondern sein Puls ließ sich in der Armbeuge noch fühlen, nachdem ich ihn einigemale sanft gestreichelt hatte, sagte er mir: er sterbe und bitte mich, seinen Leichnam zu verbrennen. Ich sagte ihm, er möge sich um diese Sachen nicht beunruhigen, sondern nur Gott wegen seiner Sünden um Vergebung bitten und als Beweis dessen einem Priester, den ich kommen lassen werde, um ihm die ewige Seligkeit zu sichern, die Versicherung geben, daß er als Christ sterbe. Gerade in diesem Augenblick trat die Gesellschaft mit dem Priester ein; ich bat den Grafen, ihm zu sagen, daß der Sterbende römisch-katholischer Religion sei – ich konnte nichts anderes sagen – so daß er auf mein Wort hin ihm die Absolution geben könne. Der Priester erwiderte, er müsse von dem kleinen Geschöpf einen Beweis seiner Reue sehen und müsse von ihm versichert werden, daß er auch Religion habe. Ich sagte ihm, er würde ihm durch Zeichen sagen, daß er an Gott glaube und werde ihm darauf dreimal die Hand drücken, um damit die Absolution zu erlangen. Der Priester war damit zufrieden. Auf die Frage des Pfarrers nach dem Wesen Gottes, die ich dem Megamikren übersetzte, zeigte er von der rechten Hand erst einen Finger, darauf drei Finger. Auf die Frage, daß er seine Sünden bereue, gab er ihm die Hand und drückte er die Hand des Priesters dreimal, worauf er sie küßte. Dann schloß er die Augenlider, die er nicht wieder öffnete.

Der Auftritt rührte alle Anwesenden. Ich sagte dem Doktor, ich wünsche, daß der Leib des lieben Geschöpfes einbalsamiert werde und daß man ihm aus dem besten Stein ein Grabmal errichte. Zum Sarge solle man das teuerste Holz nehmen, das man in der Gegend finde; außerdem solle man zu seiner Beerdigung sämtliche religiöse Gemeinschaften der Gegend einladen und überhaupt das Begräbnis mit größtem Pomp, den die Kirche erlaube, veranstalten.

Ach, wie groß war unser Schmerz! Wie hätten wir auch nicht für dieses Wesen, dem wir das Leben verdankten, die größte Liebe empfinden sollen? Wir beweinten ihn bitterlich und beweinen ihn noch jetzt, sooft wir an ihn denken.

Ich gab dem Arzt die Inschrift, die auf den Stein gemeißelt werden sollte; sie war ganz einfach, in lateinischer Sprache, und die Neugier konnte durch nichts anderes als das Wort »Megamikre« erregt werden, das man dort in jenem abgelegenen Winkel kaum beachten wird. Die Beerdigung kostete mich ungefähr 800 Gulden; außerdem gab ich 200 Gulden dem Pfarrer, um Messen zu lesen, und ebensoviel dem Kapuzinerkloster zu demselben Zweck. Ferner ließ ich 1000 Gulden zurück, um das Grabdenkmal zu errichten.

Acht Tage später waren unsere Kleider und Mäntel fertig und wir machten uns zur Abreise bereit. Die beiden Grafen verließen uns keinen Augenblick; sie wollten uns durchaus in ihrem sechsspännigen Wagen nach Laibach bringen. Dieses Anerbieten lehnte ich dankend ab. Als wir Abschied nahmen, war alle Welt betrübt; denn, nachdem ich dem Arzt und Apotheker, den Schneidern, Näherinnen alles bezahlt hatte, verteilte ich noch hundert Gulden unter die Bedienten und schenkte dem Doktor eine schöne Dose von gelbem Gold; er glaubte mit dieser besser zu fahren, als der Graf, dem meine Frau eine Dose von rotem Golde schenkte. Er nahm diese voller Freude unter der Bedingung an, daß wir von ihm einen zweispännigen Wagen annehmen möchten, den er in Laibach habe. Ich bat den Grafen, uns freundlich zu gestatten, daß wir in Laibach keinen Menschen sähen, und lehnte auch dankend den Bedienten ab, den er uns mitgeben wollte. Ich bat ihn nur um die einzige Gnade, uns bis Görz von vier Berittenen begleiten zu lassen, die von dort wieder umkehren sollten, ohne über uns mit irgendeinem Menschen gesprochen zu haben. Nachdem ich mich rasiert hatte, sah ich vollkommen jung aus. Allmählich gewöhnten wir uns wieder an die europäische Kleidung. Als wir in Görz ankamen, hatte ich 700 Zechinen in meiner Börse. Ein Graf Cobenzl, dem wir einen Brief vom Grafen Eckemberg überbrachten, empfing uns auf die vornehmste Weise; er war gelehrt, in allen Wissenschaften sehr unterrichtet, sprachliebend und dabei persönlich sehr einfach. Er war sehr neugierig, ohne indessen seine Wißbegierde zu verraten, und es tat mir aufrichtig leid, daß ich ihm die Wahrheiten, die zu wissen er verdient hätte, nicht mitteilen konnte. Er gab uns zwei Berittene mit, die uns bis Udine brachten, nachdem wir uns vergewissert hatten, daß wir uns Unannehmlichkeiten aussetzen würden, wenn wir nach Triest gingen, um von dort uns zur See nach Venedig zu begeben. Denn die Republik lag damals im Kriege mit den Uskoken und daher mittelbar mit dem Erzherzog Ferdinand, der diese unter der Hand begünstigte. Der merkwürdige Graf Cobenzl gab uns einen Empfehlungsbrief an den Dogen Marc Antonio Memmo, mit welchem zusammen er auf der Schule gewesen war.

Am 15. September kamen wir in Venedig an, wo wir eine sehr gute Herberge fanden. Wir brachten dort einen ganzen Monat zu, ohne jemanden zu sehen. Nur ein wackerer englischer Kaufmann nahm uns sehr freundlich auf, ohne uns nach unserer Herkunft oder unserem Namen zu fragen; er besorgte uns den Verkauf der Diamanten unserer Agraffen für 8000 Zechinen. Unsere Karfunkel zeigten wir keinem Menschen. Wir kleideten uns auf englische Art und überbrachten unseren Empfehlungsbrief an den Dogen Memmo, der uns einen ausgezeichneten Empfang bereitete.

Nach vier Wochen reisten wir mit einem Bedienten ab und erreichten ohne Unfall Bologna; von dort ritten wir über die Apenninen auf Maultieren nach Florenz, wo wir in unserem Gasthof einen englischen Kapitän kennenlernten, der am nächsten Tage nach Livorno reiste, wo sein Schiff segelfertig lag, um auf geradem Wege nach London zu fahren. Wir benutzten diese Gelegenheit und kamen mit sehr günstigem Winde in achtundzwanzig Tagen in unserem teuren Vaterlande wieder an. Zu unserer großen Freude trafen wir wider alles Erwarten unsere guten Eltern noch am Leben. Damit waren alle unsere Wünsche erfüllt und damit ist auch unsere Geschichte aus.


 << zurück