Giacomo Casanova
Eduard und Elisabeth bei den Megamikren
Giacomo Casanova

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Anfang Dezember rief ich meine sechs Reisegefährten in mein Zimmer und hielt ihnen folgende Ansprache, die ich mir vorher ausgearbeitet hatte. »Der Neujahrstag des Jahres 57 nähert sich, meine lieben Kinder, und ich werde morgen aufbrechen, um diesen Tag in Karls Hauptstadt zu verleben. Das ganze Jahr werde ich damit zubringen, seinen Bezirk zu bereisen und alles mit meinen eignen Augen zu prüfen. Im Jahre 58 werde ich dann bei David und im Jahre 59 bei Simeon sein. Gegen Ende dieses Jahres verspreche ich, euch zu besuchen. Auch ihr, Heinrich und Judith, werdet morgen abreisen, um bereits in drei Tagen mit diesen beiden blühenden Paaren, die ich dem Tode entrissen habe, in eurer Hauptstadt einzutreffen. Ihr müßt dann eure Vorbereitungen für die Feier des Neujahrstages treffen, aber an Stelle von neunundachtzig werdet ihr einundneunzig Ehen einsegnen. Auch diese vier Kinder, deren Hochzeit im vorigen Jahre nicht gefeiert werden konnte, werdet ihr vermählen, doch soll Eustachius nicht Ursulas sondern Annas Gatte werden, während Hilarius Ursula heimführen soll. Denn Gott will nicht, daß Ehen ohne Liebe geschlossen werden, sondern nur die, deren gegenseitige Liebe verrät, daß die Natur sie füreinander bestimmt hat, sollen sich vermählen. Aber das genügt noch nicht, drum hört mir aufmerksam zu! Gleich wenn ihr in eurer Hauptstadt angekommen seid, ruft die Eltern der Kinder zu euch und teilt ihnen meine Entschlüsse mit. Sagt ihnen, daß vom Neujahrstage 58 an zwischen ihren Familien eine beständige Verbindung bestehen soll. Die Liebe, die diese beiden Ehen stiftet, ist mir ein Zeichen Gottes. In diesen beiden Familien soll es nun hinfort so gehalten werden, daß nicht Zwillingsbruder und -schwester einander heiraten, sondern Vetter und Base. Ihr werdet, das weiß ich, bei den Eltern keinen Widerstand finden, und ihr alle werdet die Gesetze der Vorsehung, die mein Mund euch kundtut, preisen. Am Neujahrtage werdet ihr also unsern jungen Paaren hier den Segen erteilen, und ihr werdet mir zu Karl Nachricht geben, wie die beiden Familien diese Neuigkeiten aufgenommen haben.«

Das war alles, was ich ihnen sagte. Heinrich und Judith schienen völlig versteinert, doch die vier Kinder warfen sich mir zu Füßen und sagten, sie fänden keine Worte, mir ihr Glück zu schildern. Ich meinerseits war hocherfreut, vier Menschenkinder mit so leichter Mühe glücklich gemacht zu haben, und dies um so mehr, als die Vorurteile meiner Erziehung mich eine Ehe zwischen Vetter und Base viel passender finden ließen wie eine solche zwischen Geschwistern.

Nach vier Tagen traf ich bei Karl ein und nach weiteren vier Tagen teilte mir Heinrich durch einen Kurier mit, daß die Häupter der beiden Familien meine Anordnung nicht nur mit Ergebung sondern mit Freude begrüßt hätten, denn sie empfanden diese schönen Verbindungen als Auszeichnung gegenüber den andern.

Nachdem ich am Stiftungstage meinen Pflichten nachgekommen war, bereiste ich mit meinem Sohn, dem Statthalter, seinen ganzen Regierungsbezirk, um alles in Augenschein zu nehmen.

Der 5. Oktober war ein denkwürdiger Tag, denn er brachte mir eine große Überraschung. Heinrich teilte mir in aller Kürze mit, daß sowohl Ursula wie Anna entbunden worden waren. Aber während sonst stets ein Zwillingspärchen – Knabe und Mädchen – geboren wurde, hatte Ursula nur einem Söhnchen und Anna nur einem Töchterchen das Leben gegeben. Dieses Ereignis hatte meinen armen Heinrich ganz überwältigt. Der ganze Stamm war in Aufregung, denn sie alle faßten das als eine Strafe Gottes auf. Besonders bitter empfand er es, daß sowohl die Wöchnerinnen wie überhaupt die ganze Jugend des Ephebeions anstatt das verhängnisvolle Ereignis zu beklagen, sich darüber freuten. Er hielt das für ein Zeichen beginnenden Sittenverfalls in seiner Familie und unterbreitete alles meiner Weisheit. Von mir nur wollte er wissen, wie er sich zu verhalten hätte, denn Heinrich war der beste Sohn der Welt.

Ich befahl dem Kurier, nach dem Mittagessen wiederzukommen, und nachdem ich die Sache eingehend mit meiner Frau besprochen hatte, schrieb ich folgende Zeilen:

»Mein lieber Heinrich! Die beiden Entbindungen, die Du mir mitteilst, werden sowohl von mir wie von Deiner lieben Mutter als etwas angesehen, wofür ihr alle Gott zu Ehren am Neujahrstage ein Dankfest mit der schönsten Musik des ganzen Stammes veranstalten sollt. Bei dieser Gelegenheit sollst Du Deinen Kindern und Kindeskindern als meinen und Deinen Willen verkündigen, daß die neugeborenen Riesenkinder, sobald sie das Reifealter erreicht haben, die Ehe miteinander eingehen sollen. Wir küssen Dich und unsere liebe Judith und ich sende Dir den Segen des Allerhöchsten, als dessen Werkzeug ich mich fühle.« Nachdem wir allein waren, sprachen wir noch lange über das merkwürdige Ereignis. Wie sinnreich und gesetzmäßig wirkte doch die Natur! – Wir konnten ebenso die Freude der Jugend wie den Kummer der Eltern verstehen, die das Ereignis nur als schlechte Vorbedeutung auffaßten. Meine Kinder waren über alle natürlichen Vorgänge nur insoweit unterrichtet, als es mir beliebt hatte, sie aufzuklären, und ich hatte mich vollkommen auf das ihnen Notwendige beschränkt. So glaubten sie denn, daß es nichts Richtigeres und Natürlicheres geben könnte als das, was sie in unserer Familie erlebten, so daß sie nur die Ehe zwischen Zwillingen als etwas Vollkommenes und Wahres betrachteten. Ebenso begreiflich aber fanden wir die Freude der jungen Generation an diesem Ereignis. Nach kurzer Prüfung hatten die Jünglinge erkannt, wieviel reizvoller es sein mußte, eine Base wie eine Schwester zu heiraten, denn dadurch gewannen sie gewissermaßen etwas, was ihnen vorher noch nicht gehörte, und nach solchen Dingen verlangt das menschliche Herz. Die Mädchen dagegen freuten sich, daß die neue Verbindung sie von der Last befreite, zwei Kinder zu gebären und zu ernähren. Eins schien ihnen genug, um ihnen den Ruf der Fruchtbarkeit zu erhalten, worauf sie viel Wert legten. Alle Zöglinge des Ephebeions müßten zwar das Vorrecht dieser beiden Familien mit einigem Neid betrachten, doch konnten sie sich mit der Hoffnung trösten, einst dasselbe zu erreichen. Was mich anbelangt, so machte mir das alles nur Freude, denn es bedeutete für mich eine wichtige Entdeckung. Die Fruchtbarkeit meiner Nachkommen begann mich nämlich schon zu beängstigen, doch wußte ich kein Mittel dagegen. Nun aber gab Gott selbst mir ein solches in die Hand, so daß ich die Vermehrung auf die Hälfte einschränken konnte. Ich durfte mich sogar der Hoffnung hingeben, daß Gottes heiliger Wille, wenn die Zeit gekommen wäre, die Fruchtbarkeit noch mehr einschränken würde. Dabei mußte ich an das Wort eines großen italienischen Dichters denken: »Tarde non furon mai grazie divine!« – »Göttliche Gnaden kamen nie zu spät!«

Nach fünf Tagen schon erhielt ich wieder einen Brief von Heinrich. Ein besonders schneller Kurier hatte ihn mir schon innerhalb achtunddreißig Stunden überbracht. Ich öffnete das Schreiben unter heftigem Herzklopfen, das ich zeit meines Lebens nicht überwand. Heinrich dankte mir zuerst, daß ich ihn würdig befunden hatte, meine Befehle auszuführen und meine Gesetze zu verkünden. Alle seine Kinder und Kindeskinder, auch die, die im Rufe besonderer Weisheit stünden, wären durch meine erhabene Lehre wieder vollkommen beruhigt. Er bat mich dann, ihm durch den gleichen Kurier, also auf die allerschnellste Weise, Antwort zukommen zu lassen, denn er bedürfte meines Rates und meiner Entscheidung in einer sehr dunklen Angelegenheit. Sämtliche Zöglinge des Ephebeions hätten ihm nämlich eine Eingabe überreichen lassen, die von dem größten Megamikren-Arzt des Ortes verfaßt und von ihnen allen unterzeichnet wäre. Sie erklärten darin kategorisch, daß sie sich nicht mehr mit ihren Zwillingsschwestern vermählen wollten, wohl aber mit der Base, deren Bruder ihre Zwillingsschwester heiraten würde, so wie es bei Eustachius und Hilarius der Fall gewesen wäre. Heinrich sah in dieser Eingabe vor allem das Verbrechen des Ungehorsams und hob hervor, wie sehr es der Vermehrung des Stammes schaden würde, wenn eine einmalige Erlaubnis zur Regel erhoben würde. Bei mir stünde nun die Entscheidung. Übrigens teilte er mir am Schluß des Briefes noch einen Umstand mit, der mein höchstes Interesse erregte. Bisher waren alle Frauen meines Geschlechts von Zwillingen entbunden worden, deren jeder einen Fuß und einen Zoll lang war, während das gemeinsame Gewicht zehn Pfund betrug. Die beiden neugeborenen Riesenkinder aus den Vettern- und Basenehen jedoch waren jedes einen Fuß acht Zoll groß und wogen jedes acht Pfund. Darüber war ich hocherfreut.

In meiner Antwort machte ich ihm zunächst klar, daß die Eingabe der Ephebeionszöglinge nicht vom Ungehorsam diktiert wäre, vielmehr bereitete sich auf diese Weise ein Gott wohlgefälliges Naturgesetz vor. Ich befahl ihm, die 200 Jünglinge, deren Vermählung am nächsten Neujahrstage stattfinden sollte, mit ihren Eltern im Ephebeion zu versammeln und ihnen folgendes als meinen unabänderlichen Willen zu verkündigen. Von nun an verbot ich für Heinrichs ganzen Stamm die Geschwisterehen. Dafür setzte ich die Ehen zwischen Vettern und Basen als die allein Gott wohlgefälligen und gesetzlich zulässigen ein. Übrigens bestimmte ich noch, daß diese Ehen immer von Gleichaltrigen und immer innerhalb der beiden Familien geschlossen werden sollten, in denen sie angefangen hatten.

Das Jahr 58 verbrachte ich bei David, den ich zum Statthalter beförderte. In der ersten Hälfte des Jahres 59 hielt ich mich dann bei Simeon auf. Da nun meine vier anderen Söhne, als sie von dem neuen Gesetz, das ich für Heinrichs Stamm erlassen hatte, Kenntnis bekamen, mich durch Eilboten anflehen ließen, ihnen die gleiche Gunst zu gewähren, so ließ ich dem ganzen Geschlecht der Riesen verkündigen, daß fortan die Geschwisterehen verboten, die Ehen zwischen Vettern und Basen aber zum Gesetz erhoben wären. Von meinem Lehen Heliopalu aus sandte ich dies Gesetz an den Patriarchen Jakob mit dem Befehl, es am Neujahrstage 60 in Kraft treten zu lassen. Ich sandte es ferner an meine Stadt Alfrede, an die Hauptstadt des Reiches Neunzig, an meine Gesandten und an Johann, Matthias, Ludwig und Leopold, die, wie man sich erinnern wird, in den vier Königreichen die herrschaftlichen Güter bewohnten.

Viel Vergnügen bereitete mir übrigens eine Schmähschrift, die der Präsident der naturwissenschaftlichen Hochschule meiner Hauptstadt verfaßt hatte. Er war ein Megamikre mit einer Hautfarbe wie Milchkaffee. Wenn ich über dieses Pamphlet auch lachen mußte, so konnte ich mir andrerseits nicht verhehlen, daß es einige richtige Beobachtungen enthielt, z. B. daß ich die Gleichalterigkeit der Ehegatten aus nationalökonomischen Gründen zum Gesetz gemacht hatte.

Im Monat Juni erschien ich plötzlich und unerwartet mit meiner Frau beim Statthalter Heinrich und seiner Gemahlin. Es machte mir großes Vergnügen, ein Vierteljahr bei ihnen zuzubringen, um mich an dem Glück meiner beiden jungen Paare zu erfreuen und die beiden Riesenkinder zu bewundern, die wirklich ungewöhnlich groß zu werden versprachen.

Mitte Oktober traf ich im Königreich Siebenundachtzig ein, wo wir unsern Sohn Johann ausgezeichnet untergebracht fanden. Unsere Tochter Thekla führte uns ihre Neugeborenen vor und sagte, daß sie im nächsten Jahr ihr letztes Wochenbett zu überstehen hoffte. Sie erwähnte noch, daß alle jungen Mädchen glückselig wären, durch mein neues Gesetz zur Hälfte von einer so drückenden Verpflichtung befreit zu sein. Ich hörte ein leises Neidgefühl aus ihren Worten heraus, und wenn Thekla, die doch schon fast am Ende ihrer Laufbahn angelangt war, schon so empfand, was sollten da erst diejenigen sagen, die vor weniger als Jahresfrist ihre Brüder geheiratet hatten. Zwar trugen sie ihre Last geduldig, doch erleichterten sie sich wenigstens durch Aussprechen, wie einst der heilige Hiob, von dem sie übrigens nichts wußten.

Johann erzählte uns zu unserer großen Freude, wie mannigfaltige Gnaden und Ehren er von dem König empfing. Er führte uns in seinen Tempel, sein Theater, seine Seminare, und als wir in sein Ephebeion kamen, ließ ich all die Jünglinge herbeirufen, um die Gattinen kennenzulernen, die man ihnen erwählt hatte. Ich vergoß Freudentränen, als ich die glücklichen Paare sah. Die jungen Leute liebten ihre Schwestern von ganzem Herzen, aber sie wollten doch bei weitem lieber ihre Basen heiraten. Den jungen Mädchen verbot ihr weibliches Schamgefühl, sich so offen auszusprechen. Ich küßte sie alle herzlich und versprach ihnen, die Trauungen selbst zu vollziehen.

Johann stellte uns am andern Morgen dem Barcalon vor, der uns eine halbe Stunde darauf zum König führte. Das Königspaar empfing uns mit vollendeter Liebenswürdigkeit. Man sprach viel von meinem neuen Gesetz, das zwar die Zahl meiner Nachkommenschaft auf die Hälfte einschränken würde, aber dennoch allgemeine Bewunderung fand.

Dann ließen wir uns beim Erzbischof melden und wurden am nächsten Morgen zur Audienz befohlen. Er empfing uns zwar sehr freundlich, doch als ich ihn zum Feste der Religionsstiftung einlud, lehnte er das unter einem höflichen Vorwand ab. Von Johann erfuhr ich, daß er sehr fromm wäre, doch meinem Stamm nicht besonders wohlgesinnt, weil dieser mehr als 50000 Bäume von den Schlangen gesäubert hatte. Der fromme Prälat erwiderte meinen Besuch nicht. Mein Sohn erzählte mir, daß der König vor versammeltem Hofe seinen Unwillen darüber ausgedrückt hätte. Er machte dem Erzbischof den Vorwurf, daß er nicht bedacht hätte, welch ein Wundertäter der Riese Eduard wäre. Er wäre doch der Vater von 200000 Riesen und schon 300 Jahre alt. Auch wäre er der Summepiskopus seiner Religion und Herr zweier großer Lehen.

Der Neujahrstag 60 verlief ungetrübt, das Stiftungsfest war ganz prächtig, und während des dreiviertel Jahrs, das ich dort zubrachte, ereignete sich nichts Bemerkenswertes. Ich stellte noch fest, daß die Natur sich nicht verleugnete, indem alle meine Urenkelinnen nur von einem Kinde entbunden wurden, und zwar brachten sie immer entweder einen Knaben oder ein Mädchen zur Welt. Dann reiste ich innerhalb zwanzig Tagen nach der Hauptstadt des Königreichs Achtundachtzig und traf Matthias und Katharina bei bestem Wohlsein an. Ich besuchte auch hier den Hof und ward mit großen Ehren empfangen. Dann beförderte ich meinen Sohn zum Statthalter und vermählte selbst sein ganzes Ephebeion gemäß meinem neuen Gesetz. Gegen Ende des Jahres reiste ich wieder ab und zwar nach der Hauptstadt von Neunundachtzig zu Ludwig und Charlotte, die vor Freude über unsere Ankunft fast außer sich gerieten. Am Neujahrstage 52 setzte ich Ludwig zum Statthalter ein und verlebte bei ihm neun weitere Monate unter immer neuen Festen. Sein Theater war das Entzücken des Königs, der den ganzen Stamm mit Ehren überhäufte. Anfang Dezember siedelte ich dann zu Leopold über. Sein schönes Seminar verdiente unsere höchste Anerkennung und seine Gießhäuser waren sehenswert. Er hatte übrigens für 600000 Unzen Schulden gemacht, die ich ihm aber bezahlte. Gerade als ich bei ihm war, berief der Große Genius ein ökumenisches Konzil in Heliopalu und zwar zwölf Jahre nach dem Datum des Urbitorbe. Die Teilnehmer des Konzils sollten sich gegen Mitte unseres Jahres 65 in Heliopalu einfinden. Man lud dazu alle Erzbischöfe der Welt und vor allem mich ein, ebenso meine beiden Söhne, die Patriarchen. Kein Mensch hatte eine Ahnung, aus welchem Grunde das Konzil einberufen wurde. Ich wunderte mich besonders darüber, daß meine Gesandten, die ich einzig und allein für solche Zwecke mit großen Kosten am Heiligen Hofe unterhielt, mir nicht früher etwas davon mitgeteilt hatten. Das große Konzil sollte acht Jahre dauern. Am Neujahrstage 63 weihte ich den Tempel ein und ernannte Leopold zum Statthalter.

Am 8. Januar traf ein Eilbote ein, der mir einen Brief von Jakob brachte. Er schrieb mir, er hätte mich nicht eher von dem Konzil benachrichtigen können, weil er erst jetzt die Gründe dafür erfahren konnte. Der Hauptgrund war ein Ereignis, das der Große Genius nicht vorhergesehen hatte, obwohl bei uns schon ein kleiner Geist genügt hätte, um zu erkennen, was daraus entstehen mußte, wenn man im eignen Lande Fremde eine Religion frei ausüben ließ, die schöner war wie die eigene. Tatsache war, daß in meinem Lehen Heliopalu und in der Stadt Heliopalu selbst die Eingeborenen in Scharen unsere Gottesdienste besuchten und Tausende von ihnen die Taufe begehrten. Das war der Erfolg unserer schönen Liturgien, unserer Sitten und unserer klaren schlichten Gesetze. Ihre eignen Tempel verödeten in allen Städten, wo wir uns niedergelassen hatten. Die eingeborenen Christen beteten die Sonne nicht mehr an, sie gaben kein Geld mehr dafür aus, Orakel zu befragen; sie kamen zu uns, bei denen sie kostenlos Rat erhielten, und dadurch hatten wir den Zorn der gesamten Geistlichkeit auf uns gezogen. Der Heilige Hof wurde von klageführenden Erzbischöfen bestürmt, er antwortete ihnen durch sehr dunkle Orakelsprüche und tat nichts in der Sache, weil er sich nicht zu helfen wußte. Der Erzbischof meiner Hauptstadt begab sich endlich in Person an den Heiligen Hof und gab der Meinung Ausdruck, daß er bereits in zwanzig Jahren ein Hirte ohne Herde sein würde, wenn keine Gegenmaßregeln ergriffen würden. Bei diesem beunruhigenden Stande der Dinge berief der Große Genius ein allgemeines Konzil, zu dem er uns weniger ein- als vorlud. Ich entschied mich dafür, mit Jakob und Theodor hinzugehen, doch hatte ich nicht etwa nötig, mich zu beeilen. Ich nahm vier geschickte Augenärzte aus Leopolds Stamm mit mir, die den blinden Herzog der Republik Achtzig heilen sollten. Er war mir nämlich vom König des Reiches Neunzig empfohlen worden. Ich hatte nämlich Lust, diese Republik, die berühmteste von den zehn in dieser Welt noch übriggebliebenen Republiken, kennenzulernen.

Ich brauchte zwanzig Tage, um die Hauptstadt der Republik zu erreichen. Um dort etwas zu essen zu bekommen, mußte ich einen ganzen Gasthof kaufen. Inzwischen ernährten wir uns von Feigenkompott, das wir mitgenommen hatten. Es gab wunderschöne Bauten in dieser großen Stadt. Auch war sie eigenartig und merkwürdig, sowohl was die Regierung als auch was die Denkart ihrer Bürger nicht nur, sondern die des ganzen Volkes betraf, und dadurch unterschied sie sich von allen andern Städten. So trugen z.B. alle Gelehrten Brillen, selbst wenn sie ausgezeichnet sahen. Die Edlen des Rates trugen eine Toga, ähnlich wie einst die Römer, und niemand, wer es auch sei, ließ sich in den Straßen ohne einen langen Mantel sehen.

In den Häusern des Adels waren im Vestibül unzählige Gedenksteine aufgestellt, auf denen die Taten und Namen berühmter Vorfahren verzeichnet waren. Es waren Halbsäulen aus Galazith und anderen halbedlen Steinen. Prahlerische Inschriften auf viereckigen Marmorplatten sah ich überhaupt nicht. Man bediente sich ihrer nur für die Namen der Übeltäter und Geächteten. Die Uhren zeichneten sich durch ein Zifferblatt mit hundert Stunden statt deren zwanzig aus. Der Zeiger mußte also seinen ganzen Lauf vollenden, ehe eine Pentamaine vorüber war. Mit der einundzwanzigsten Stunde begann der Tag des Schmetterlings, mit der einundvierzigsten der Tag des Leichnams, mit der einundsechzigsten der Tag des Staubes, mit der einundachtzigsten der Tag des Eis, und mit der hundertsten Stunde war die Pentamaine zu Ende. Ich habe niemals ergründen können, wodurch sie zu einer um soviel klareren Zeiteinteilung gekommen waren wie alle andern in ihrer Welt. Ihr besonderes Steckenpferd war die Beredsamkeit, – sie sprachen überhaupt nur in Enthymemen. Der erste Satz war immer ein Paradox, der zweite erklärte den Sophismus und gerade diesen zweiten Satz erhoben sie stets zum Axiom. Sie waren mit großem natürlichen Verstande, leichter Auffassung und gewandter Ausdrucksweise begabt. Dazu kam, daß sie sich selbst sehr hoch einschätzten und allen, die ihnen mit Gegengründen kamen, eine ungeheure Verachtung entgegensetzten. Sie waren verwegen, aber nicht mutig, denn sie gaben ein Unternehmen leicht auf, wenn sie keine Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang hatten. Es fehlte ihnen an Beständigkeit. Sie waren Starrköpfe, auch da, wo es sich gar nicht verlohnte, und die einzige Art, sie zum Schweigen zu bringen, war, wenn man sie unsicher machte. Ihre unglaublich schlechte Erziehung hatte in ihnen einen geradezu impertinenten Hochmut großgezogen, den sie ganz offen zur Schau trugen. Als Republikaner waren sie natürlich von großer Verachtung gegen das Königtum erfüllt und waren sich selbst nicht klar darüber, daß ihre sogenannte Freiheit nichts weiter wie ein Zerrbild, – nämlich Gesetzlosigkeit und Willkür war. Ihre Staatsform war ebenso alt wie die Welt, in der sie lebten, und sie waren sehr stolz darauf, daß sie daran festgehalten hatten. Wer immer die Schäden der Regierung erkannte und sie zu bessern suchte, wurde als Revolutionär betrachtet. Diese verhaßten Rebellen suchte man dann zum allgemeinen Gespött zu machen, doch ertrugen sie das mit wahrhaft stoischer Ruhe. Wagte es einer dieser Geächteten, Widerstand zu leisten, so verschwand er eines Tages und wurde nie wieder erblickt. Die Furcht ließ alle verstummen. Niemand erkannte, daß zwar das Götterbild der Freiheit noch vorhanden war, daß aber die Göttin selbst längst entflohen war. Die Staatsräte hatten alle Gewalt in Händen. Sie wurden Konservatoren genannt und konnten ohne Gerichtsverfahren jedes Urteil, das sie zu fällen beliebten, vollziehen lassen. Sie fühlten sich verpflichtet, aufs strengste einzugreifen, sobald die Verfassung, die ihrer Meinung nach ein wahres Palladium war, von jemand angegriffen wurde. Sie glaubten nämlich, daß mit dem Untergang ihrer Verfassung auch der Untergang ihrer Republik kommen müßte. Im übrigen hingen sie eigensinnig am Alten und waren jedem Fortschritt unzugänglich. Auch in ihrer Redekunst fand sich keine Spur demosthenischen oder ciceronischen Geistes, sondern ihre Reden waren äußerst langweilig und pedantisch.

Was ihre Religion anbetraf, so bestand sie in leeren äußerlichen Formen, die auf ihren Lebenswandel nicht den mindesten Einfluß hatten. Zwar verachteten sie die Priester nicht geradezu, doch freuten sie sich darüber, wenn diese sich selbst verächtlich machten. Hauptsächlich aber gefielen sie sich darin, allen Anordnungen des Großen Genius Widerstand entgegenzusetzen, um dadurch die Unabhängigkeit ihrer Republik darzutun.

Eigentlich war die Republik ein reiches Land, – die schlechte Verwaltung hatte es dahingebracht, daß sowohl die einzelnen wie auch die Allgemeinheit unter dem Druck der Armut seufzten. Handel und Wandel lagen darnieder, denn die Gesetzgebung war nicht dazu angetan, den Wettbewerb anzuspornen. Genau so war es um die Landwirtschaft bestellt. Die Minister waren beschränkte Köpfe, die das Heil einzig und allein in der Sparsamkeit fanden. Sie konnten nicht ernten, wo sie nicht säten, und sie säten nicht, weil sie befürchteten, der Ernte verlustig zu gehen. Ihr Hochmut führte sie dazu, einen ungeheuren Luxus zu treiben, der weit über ihre Verhältnisse ging. Das ging so weit, daß Söhne, deren Väter gestorben waren, diese für zahlungsunfähig erklären ließen, um dadurch der Verpflichtung zu entgehen, deren Schulden zu bezahlen. Zwar war es verboten, Landbesitz an die Gläubiger zu verpfänden, doch fand man Mittel und Wege genug, um dieses Gesetz zu umgehen. Auf dem Wege der Bestechung war einfach alles erreichbar, weshalb man verarmten Adligen hohe Ämter gab, durch die sie Geld erpressen konnten.

Ich lernte alle, die irgendwelchen Ruf genossen, bald kennen, wurde in alle Intrigen eingeweiht und war in kurzer Zeit bis ins einzelne über alles unterrichtet.

Die Jugend dieses Landes war den schamlosesten Ausschweifungen ergeben, während die Alten ihre Lasterhaftigkeit heuchlerisch zu verbergen wußten. Angeblich erholten sie sich auf diese Weise von ihren schweren Regentenpflichten. Ihrer Meinung nach waren sie dem Staate so unentbehrlich, daß sie sich in ihrem Privatleben einfach alles erlauben konnten. Doch sahen sie mit größter Kleinlichkeit darauf, die Jugend im Stande der Unschuld zu erhalten, besonders sollte ihr alles, was die Fortpflanzung anbetraf, verborgen bleiben. Die eingeborenen Bastarde hatten, wenn sie aus den Eiern schlüpften, weder Käfige noch Wächter, die Roten hatten auch keine Käfige, wohl aber Wächter, und diese hatten strengen Befehl, aufzupassen, daß keine unpassenden Vertraulichkeiten zwischen ihnen vorkamen. Doch verheirateten sich diese Unzertrennlichen, indem sie sich von Herzen verachteten; Scham war ihnen ein ganz unbekannter Begriff. Ebensowenig waren sie einander treu, – ja, sie brüsteten sich öffentlich mit dieser Untreue, angeblich, um sich über niedrige Eifersucht erhaben zu zeigen. Das Familienleben war daher im allgemeinen äußerst unglücklich. Die Erziehung der Jugend lag hauptsächlich in den Händen von Tänzern. Allerdings waren sie meistens nüchtern, doch nur aus Todesfurcht und Altersschwäche. Auch bedienten sie sich in Konzerten eines vom Erzbischof verbotenen Reizmittels, das in Verbindung mit der Musik sie völlig berauschte. Über dies Verbot des Erzbischofs machten sie sich einfach lustig.

Die Regierung der Republik lag in den Händen der Aristokratie. Man hätte meinen sollen, daß alle Willkür dort verhaßt gewesen wäre, und man tat auch so, als glaubte man das. Aber schon allein das Gesetz, das bei Todesstrafe verbot, über Staatsangelegenheiten zu sprechen, bewies das Gegenteil. Alle betrachteten sich gegenseitig mit äußerstem Mißtrauen, wie es einer so sittenlosen Verfassung entspringen mußte.

Für Spione wurden Unsummen ausgegeben, und das Land bedurfte ihrer ja auch. Wie konnte es aber hier Glückliche geben, wo einer immer zum Verräter am andern ward! Es gab dort nur falsche Freunde und geheime Feinde. In jeder Gesellschaft mußte man in beständiger Angst schweben, auch nur den Mund aufzutun, denn man konnte nie wissen, ob nicht ein bezahlter Spitzel dabei war, der aus jedem harmlosen Wort ein Verbrechen zu machen verstand. Die Regierung dieses Landes mußte ihre eignen Räte mehr fürchten wie die benachbarten Fürsten, obwohl auch diese alle ihr feindlich gesinnt waren. Trotz ihrer Schwäche zeigte die Republik diesen nicht das geringste Entgegenkommen, sie brüstete sich vielmehr mit ihren Vorrechten. Kam ein neues Gesetz heraus, so wurde es gleich mit dem Zusatz verkündet, daß Übertreter die Todesstrafe träfe. Das Verdienst wurde nie anerkannt. Im Gegenteil; es war geratener, seine Verdienste zu verbergen.

Wenn es wahr ist, daß das Einfachste auch das Vollkommenste ist, so war dies Land, wo alles möglichst verwickelt war, außerordentlich weit von der Vollkommenheit entfernt. Doch die Macht der Gewohnheit ließ das unwissende Volk nicht nur seine Ketten nicht fühlen, sondern es betete seine Tyrannen noch förmlich an.

Dies Land, von dem ich Ihnen, meine Herren, eine so wenig verlockende Schilderung entwerfe, verstand es dennoch, den Schein seines alten Glanzes aufrechtzuerhalten. Trotzdem es mehr und mehr verarmte, entwickelte es bei festlichen Anlässen eine verschwenderische Pracht. Bei Besuchen fremder Fürsten wurde stets Befehl gegeben, nichts zu sparen. Auf diese Weise suchten sich die Staatsräte über ihre schlechten Finanzen zu täuschen. Sie machten neue Schulden, nur um fremde Fürsten prunkvoll aufnehmen zu können. Innerlich wurden sie dabei fast von Groll zerfressen, doch war ihr Hochmut noch stärker wie ihr Geiz und half ihnen, ihre Mißstimmung zu verbergen.

Zehn Tage nach meiner Ankunft wurde ich von dem Gesandten des Königreichs Neunzig, wie auch von dem des Großen Genius, dem Herzog, der gleichzeitig das Oberhaupt der Republik war, vorgestellt. Er saß auf einem Thronsessel inmitten seiner Räte und Barcalons, als er mich mit meiner Frau und unsern Kindern empfing. Meine Frau und ich erhielten Sessel ohne Armlehnen, meine Kinder mußten auf Schemeln Platz nehmen. Es schien, daß der blinde Fürst mir einige besonders verbindliche Worte sagte, doch verstand keiner von uns seine Sprache. Am andern Morgen sandte man uns zwei Edle, die in höherem Alter Senatoren werden sollten, angeblich, um uns überall Zutritt zu erwirken und für unsere Unterhaltung zu sorgen. In Wirklichkeit sollten sie uns heimlich beobachten und über alles, was sie ausspionierten, Bericht erstatten. Man glaubte mir nämlich nicht, daß ich nur aus Wißbegierde und um dem Herzog das Augenlicht zurückzugeben hierhergekommen wäre; vielmehr schob man mir geheime politische Gründe unter, die ermittelt werden sollten. Die Unzertrennlichen dieser beiden Abgeordneten waren schöne Geschöpfe, die uns durch ihre Munterkeit sehr erheiterten, während die Abgeordneten selbst sehr einsilbig blieben. Während der Feste, die man uns gab, blieben die Unzertrennlichen immer an unserer Seite, denn während die Abgeordneten damit beschäftigt waren, Befehle zu erteilen, mußten sie sie ja bei uns lassen. Die so liebenswürdigen Geschöpfe amüsierten sich damit, alle ihre republikanischen Bräuche ins Lächerliche zu ziehen. Sie machten sich weidlich lustig über ihre würdevollen Unzertrennlichen und waren überhaupt sittenlose Geschöpfe, die sich ein Vergnügen daraus machten, unpassende Fragen an uns zu stellen. Wenn wir über diese Schamlosigkeiten erröteten, so brachte sie das keineswegs in Verwirrrung, – im Gegenteil, es erhöhte ihr Vergnügen. Nach ihrer Auffassung war Neugier ein Laster, das nur bei wichtigen Dingen erlaubt war. Doch hielt es schwer, solche Dinge in einer Welt zu finden, in der ihnen alles wie ein Spiel erschien.

Der Herzog ließ mir zuerst sagen, daß er meinen Besuch zu einer mir genehmen Stunde erwidern würde. Ich entgegnete darauf, daß ich ihn im Gegenteil zu jeder von ihm gewählten Stunde aufsuchen würde. Sein Bote, der ein echter Roter zu sein schien, lud mich dann auf die zweiundsiebzigste Stunde ein. Der Tag der Pentamaine war der des Staubes, es mußte also die zwölfte Stunde dieses Tages sein. Ich ging mit meiner Frau und den Augenärzten hin und fand ihn in Gesellschaft seiner Gemahlin, seines ältesten roten Zwillingspaars und zweier seiner Räte. Meine Söhne waren schon vorher dagewesen und ich fand ihre Meinung bestätigt: die Blindheit war heilbar. Ich setzte für die Operation die erste Stunde des kommenden Tages fest. Aber als er hörte, daß wir dabei allein sein müßten, bat er mich um Aufschub. Er wollte mir eine Stunde angeben lassen, die ihm wie mir gleich genehm wäre. Ich war recht erstaunt, daß er so gar keine Eile hatte. Am nächsten Morgen hörte ich, daß er mich weder empfangen noch ohne seine Räte zu mir kommen könnte. Er hatte die Erlaubnis der großen Konservatoren seiner Republik nachgesucht, war aber von allen dreien abschlägig beschieden worden. Der arme Fürst mußte nun an den Rat der Siebzehn, dessen Mitglied er war, appellieren. Es wurde nur eine Stimme zu seinen Gunsten abgegeben, und das war seine eigene, was uns sehr komisch erschien. Ich konnte durchaus nicht einsehen, warum der weise Rat den Fürsten blind erhalten wollte. Er mußte nun eine Eingabe an den Senat richten. Ein Senator beantragte, sie abzulehnen, und verbreitete sich drei Stunden darüber. Dann hielt ein blinder Senator eine vierstündige Gegenrede, auf die der erste nochmals das Wort ergriff. Dann erst schritt man zur Abstimmung. Da man zu keiner Einigung gelangte, wurde die Sitzung auf den nächsten Tag vertagt. An diesem Tage trat wieder ein blinder Senator mit so viel Wärme für die Sache ein, daß zwei der Senatoren ihre Ansicht änderten und die Eingabe nun wenigstens zur Verlesung kam. Der Herzog erbat in dieser Eingabe, mich ohne Begleiter aufsuchen zu dürfen, um von seiner Blindheit geheilt zu werden. Nun kam es zur Abstimmung. Ein Senator schlug vor, durch Ballotage, die man »die große Angst« nannte, die Entscheidung herbeizuführen. Auch sollten die dreizehn blinden Senatoren ausgeschlossen werden, da sie parteiisch für den Herzog wären. Die Sache wurde tatsächlich so entschieden und die Eingabe wurde abgelehnt. Im ganzen waren es 216 Senatoren. Zugunsten des Herzogs wurden 188 Kugeln abgegeben, zu seinen Ungunsten 28. Da das Gesetz »der großen Angst« nun bestimmte, daß wenigstens [7/8] notwendig waren, wurde die Eingabe abgelehnt. Der Herzog ließ mich nun wissen, daß er sein Gesuch nun zweimal wiederholen könnte. Sollte der Senat darauf bestehen, ihm die erbetene Gunst zu versagen, so wollte er sich an den großen Rat wenden.

Ich muß gestehen, Mylords, daß ich empört, ja geradezu zornig war. Ich fand das ebenso unerhört wie unglaublich. Mit lauter Stimme protestierte ich gegen solch Verfahren, doch meine Abgeordneten bewahrten eisiges Schweigen, während ihre Unzertrennlichen sie mit den unverschämtesten Sticheleien zu reizen versuchten.

Ich ging nun mit mir selbst zu Rate und beschloß, die dreizehn blinden Senatoren in Begleitung der Abgeordneten aufzusuchen. Zehn waren zu heilen und ich entschied mich dafür, sie zu operieren. Gleichzeitig bat ich den Herzog, die erneute Eingabe an den Senat noch aufzuschieben, bis ich die Blinden geheilt hätte. Dies geschah in Zeit von weniger als drei Pentamaines, und zwar waren außer mir nur meine Augenärzte an dem guten Werk beteiligt. Am Tage, als der Fürst die zweite Eingabe einreichte, begaben die Geheilten sich in den Senat. Die gleiche Ballotage fand statt und entschied diesmal zugunsten des Fürsten. Es gelang mir, dem Herzog das Augenlicht zurückzugeben, und aus Dankbarkeit, weil ihm nichts Besseres einfiel, setzte er beim großen Rat meine Aufnahme in den Adelsstand durch, allerdings mit der Einschränkung, daß der Adel nicht erblich war. Der Groß-Kanzler selbst überreichte mir das Diplom. In feierlicher Audienz dankte ich dem Herzog und dem großen Rat und dann nahm ich Abschied.

Auch von meinen Abgeordneten und ihren niedlichen Unzertrennlichen verabschiedete ich mich dankend und schenkte jedem von ihnen 10000 Unzen Goldes. Die reichen Geschenke der zehn geheilten Senatoren hatte ich abgelehnt, doch wollten sie mir an Großmut nicht nachstehen. Sie kauften ein Grundstück, auf dem sie einen Palast errichten und einen Garten mit 200 Bäumen anlegen ließen. Die Besitzurkunde sandten sie mir zu. Ich hatte mich bereits dafür entschieden, gegen Ende des Monats abzureisen, als mir mein Sekretär einen Edelmann meldete, der mich durchaus unter vier Augen sprechen wollte. Seinen Namen wollte er nur mir selbst nennen. Ich ließ ihn eintreten und er überreichte mir zunächst ein Schreiben des Ministers und Staatssekretärs des Reiches Neunzig, das ihn im Namen des Königs bei mir legitimierte. Dann machte er mir folgenden Vorschlag:

»Ich bin beauftragt, Durchlaucht, Euch im strengsten Vertrauen folgenden Vorschlag des souveränen Herzogs des Lehens Zweihundertzwei dieser Republik zu unterbreiten. Der Herzog, dessen Familie seit vierzehn Generationen im Besitz des Lehens ist, hat keinen Erben. Er kann auch nicht mehr auf Nachkommenschaft hoffen, da ein Unglücksfall ihm seinen Unzertrennlichen geraubt hat. Er will nun einem Eurer Stämme ein Gebiet überlassen, dessen Besitzer er ist. Es wohnen 1000 edle Familien dort und er will auf jede Bedingung eingehen, die Ihr ihm vorschreiben werdet, während er gar keine Bedingungen stellt. Der Gesandte meines Herzogs am hiesigen Hof weiß nichts von meiner Mission und Ihr würdet mich überglücklich machen, wenn Ihr das Anerbieten meines Herzogs annehmen würdet.«

Ich nahm das Schreiben in Empfang, ließ ihm eine Erfrischung reichen und ersuchte ihn, am andern Morgen wiederzukommen.


Nachdem ich die Sache mit meiner Frau besprochen hatte, sah ich, daß ich nichts riskierte, wenn ich dem Herzog meine Vorschläge machte. Ich übergab also am nächsten Tage dem Unterhändler ein Schreiben und schob meine Abreise noch bis zu seiner Rückkehr hinaus. Ich schlug dem Herzog vor, ihm einen Stamm von mindestens 400 Verheirateten zu senden und forderte für ihn freie und gesetzliche Besitzrechte an dem Grund und Boden, mit dem Recht, dort Tempel und Häuser zu erbauen. Ebenso verlangte ich, daß dem Stamm im ganzen Lehen das Bürgerrecht eingeräumt würde. Ich meinerseits verpflichtete mich, in seinem ganzen Staat alle Einrichtungen und Verbesserungen einzuführen, die meine Nachkommenschaft in den von ihr bewohnten Ländern eingeführt hatte. Auch versprach ich ihm, mich persönlich an seinen Hof zu begeben und die bindenden Abmachungen zu treffen, sobald sein Beauftragter mir die einleitenden Bedingungen unterzeichnet zurückbrächte. Schon zwanzig Tage später hielt ich die Genehmigung meiner Bedingungen in Händen. Sie waren mit dem Privatsiegel des Fürsten versehen; denn er wollte nicht, daß die Sache vor der Zeit seinem Ministerrat bekannt würde. Der Unterhändler reiste mit dem Auftrag ab, für mich ein Haus zum Preise von 10000 Unzen zu erwerben. Den Kaufpreis gab ich ihm in Anweisungen auf die große Bank der Republik. Dem Herzog schrieb ich, daß ich ihm in fünf bis sechs Pentamaines meine Aufwartung machen würde.

Drei Tage nach der Abreise des Megamikren machte mir einer der ältesten und angesehensten Senatoren einen Besuch. Er kam in der siebenundneunzigsten Stunde, d. h. drei Stunden nachdem der Tag des Eis vorüber war. Ohne sich auch nur im geringsten wegen der unpassenden Stunde, die er für diesen Besuch gewählt hatte, zu entschuldigen, redete er mich folgendermaßen an: »Wir wissen, daß Ihr fast zu schnell mit dem Herzog von Zweihundertzwei einen Vertrag schließen wollt. Nach dem Tode des Herzogs fällt uns das Lehen zu, da er weder Nachkommen hat, noch solche erhoffen kann. Durch seine Verschwendungssucht hat er ungeheure Schulden gemacht, die nach seinem Tode durch Verkauf seiner Allodialgüter gedeckt werden sollen. Dazu gehört auch das Gebiet, das er Euch angeboten hat. Ihr seht also, mein lieber Vizeherzog, wieviel Ihr dabei aufs Spiel setzen würdet. Wir sind fest davon überzeugt, daß Ihr ihm kein Gehör geschenkt hättet, wenn Ihr recht berichtet gewesen wäret. Dadurch, daß wir Euch diese Mitteilung machen, wollen wir Euch den Beweis unserer aufrichtigen Freundschaft geben. Ich gehöre zum Rat der Siebzehn, und da ich Eure Charaktereigenschaften wie Euren Geist bewundere, habe ich mich gern dieser Aufgabe unterzogen. Wir wissen, daß die Verhandlungen noch nicht zum Abschluß gekommen sind. Nehmt also unsern Rat an und tretet zurück, ehe es zu spät ist. Wir würden es sehr bedauern, wenn Euch gerade in unserm Lande solch ein Mißgeschick träfe.«

Nachdem er seine kleine Ansprache beendet hatte, wandte er sich an meine Frau, um mir Zeit zu lassen, meine Antwort zu überlegen. Er nahm eine Arzneiflasche vom Tisch, und während er sie hin und her drehte, fragte er nach ihren Eigenschaften.

Die ganze Sache hatte mich doch überrascht. Es sollte alles im tiefsten Geheimnis vor sich gehen und nun war es bereits bekannt. Eines der Häupter der Republik kam selbst zu mir, um mir abzuraten und teilte mir auch die Gründe dafür mit. Es konnte ja wahr sein, was der Senator von dem Prinzen erzählte, und niemand war da, um mir das Gegenteil zu beweisen. So antwortete ich ihm denn ohne Zögern ungefähr folgendes:

»Ich bin Ihnen, Herr Staatsrat, zu größtem Dank verpflichtet, daß Sie sich selbst der Mühe unterzogen haben, mir diese Mitteilungen zu machen, die von einem schmeichelhaften Interesse Ihrer hohen Behörde für meine Person zeugen. Ohne Ihre dankenswerten Aufklärungen hätte ich, wie ich gestehen muß, diese für mich wichtige Angelegenheit wahrscheinlich allzu schnell abgeschlossen. Ich möchte nun aber nicht in den entgegengesetzten Fehler verfallen und diese Verhandlungen etwa voreilig abbrechen. Ich werde mich daher persönlich an Ort und Stelle begeben und mich dort eingehend über alles unterrichten. Sehe ich mich dann veranlaßt, die Verhandlungen abzubrechen, so werde ich das Ihrem Rat zu danken haben.«

Mit dieser Antwort schien der Senator sehr einverstanden zu sein, und dies um so mehr, je weniger er es in Wirklichkeit war. Wäre er in Wahrheit zufrieden gewesen, so hätte er sich kühl und gleichgültig gezeigt. Das ist nämlich die Art dieser vornehmen Republikaner. Sie bilden sich ein, undurchdringlich zu sein, aber sie sind sehr leicht zu durchschauen. Sie verfügen zwar über viel Verstand, doch sind sie nicht gebildet genug, um ihn in der rechten Weise anzuwenden. Ehe der Senator aufbrach, teilte er uns noch seinen Namen mit und forderte uns auf, ihn zu besuchen. In den Ruhestunden würden wir ihn stets zu Hause antreffen. In dieser Zeit pflegte er nämlich Besucher zu empfangen.

Ich schrieb nun an den Barcalon des Königs des Reiches Neunzig und bat ihn, nachdem ich ihn von allem unterrichtet hatte, mir einen zuverlässigen Mann zu senden, der mich in der Hauptstadt des Lehens erwarten sollte. Von ihm wollte ich dann volle Klarheit haben und seinen Rat befolgen. Ich bat noch, daß er diesen Beamten gleich dem Sekretär, der ihm den Brief überbrächte, mitgeben möchte. Wenige Tage darauf sandte ich dem Statthalter Leopold seine Augenärzte zurück, die ihre Zeit dazu verwendet hatten, einer Anzahl Blinden unentgeltlich das Augenlicht wiederzugeben.

Wir erwiderten nun den Besuch des alten Senators, der uns aufs gastlichste aufnahm und uns sein ganzes, zwar sehr großes, aber unschönes Haus zeigte, auf das er nichtsdestoweniger sehr stolz war. Als besondere Merkwürdigkeit führte er uns in eine Art Hof, der durch die bogenförmige Öffnung zwischen zwei Mauern gebildet wurde. Er pries dies als ein Stück geradezu göttlich schöner Baukunst und hob hervor, daß es auch besonders durch sein Alter noch bemerkenswert wäre. In dieser Weise renommierte er dann weiter, am meisten mit den Gedenktafeln seiner Ahnen, deren Taten bis in graue Vorzeit zurückreichten. Als wir uns verabschiedeten, sagte er, wir brauchten den beiden Abgeordneten nichts von diesem Besuch zu erzählen.

Fünf Wochen später erhielt ich einen Brief meines Sekretärs, in den ein Schreiben des Barcalons des Königs von Neunzig eingeschlossen war. Der Sekretär teilte mir mit, daß er im Begriff wäre, mit dem ihm für mich vom Minister mitgegebenen Ratgeber abzureisen. Der Minister schrieb, daß er genau nach der Vorschrift des Königs handelte, indem er mir den fähigsten Beamten des Auswärtigen Amts zur Verfügung stellte.

Ich setzte nun meine Abreise für den Tag des Staubes fest, obgleich er zu den Unglückstagen zählte.

Vier Stunden vorher kam der alte Senator. »Ich will Ihnen nur glückliche Reise wünschen,« sagte er, »und überreiche Ihnen gleichzeitig das Abschiedsgeschenk der Republik, das einem Manne Ihrer Verdienste gebührt.« Mit diesen Worten überreichte er mir eine farbig ausgeführte Urkunde mit dem Großsiegel der Republik. Ich las, daß man mir ein umfangreiches Territorium für den Stamm Cäsars zum Geschenk machte, den ich eigentlich zu ihrem Lehnsfürsten hatte ziehen lassen wollen, und zwar zu den gleichen Bedingungen, wie ich sie dem Fürsten vorgeschrieben hatte, ja, zu meinem Erstaunen stimmte alles wörtlich mit dem Kontraktentwurf überein, den ich dem Fürsten gesandt hatte. Das merkwürdigste aber war, daß sie auf Cäsar verfallen waren, denn ihn hatte ich tatsächlich für die neue Ansiedelung bestimmt, da Andreas, das Haupt des fünfzehnten Stammes, von mir dazu ausersehen war, Statthalter und Gouverneur meiner Stadt Alfredopolis zu werden. Aber wie konnten sie Pläne kennen, die außer mir nur meiner Frau bekannt waren? Das bestätigte mir, daß politische Prophezeiungen stets auf Wahrscheinlichkeitsschlüssen beruhen. Übrigens ließ die Schlußklausel das ganze Geschenk illusorisch werden, ich sollte mich nämlich verpflichten, auf das mir vom Herzog angebotene Gebiet zu verzichten. Ich versicherte ihn meiner Ergebenheit und Dankbarkeit und versprach, ihm von der Hauptstadt des Lehens aus zu schreiben. Nachdem er mich nochmals ermahnt hatte, Wort zu halten, verabschiedete er sich, und fünf Stunden darauf verließen wir die schöne Stadt.

Innerhalb zwölf Tagen erreichten wir unser Ziel, wo mich mein Sekretär mit zwei schönen Grünen erwartete. Es war der vom König gesandte Ratgeber mit seinem Unzertrennlichen. Mein Haus war viel schöner, als ich es für die 10000 Unzen, die ich dafür ausgeworfen hatte, hatte erwarten können. Besonders die innere Einrichtung überraschte mich durch ihren erlesenen Geschmack. Sie allein mußte schon das Doppelte gekostet haben. Als der Unterhändler mir eine halbe Stunde später den Kaufkontrakt überreichte, willigte ich lächelnd ein, das kostbare Geschenk anzunehmen, und bat ihn, mich für den nächsten Tag zur Audienz anzumelden.

Mit meiner Frau und allen meinen Leuten, die ich zur Furchtlosigkeit erzogen hatte, verbrachte ich eine Stunde im Garten, wo ich achtundvierzig Schlangen erschlug, gegen deren Zischen ich längst abgehärtet war. Ich hatte mich daran gewöhnt, keine mir lästigen Rücksichten mehr zu nehmen.

Der Fürst dieses Lehens war ein prunkliebender Verschwender. Bereits im zartesten Alter zur Regierung gelangt, hatte er natürlich einen Unzertrennlichen mit denselben Neigungen und zwar bevorzugten beide alle kostspieligen Vergnügungen. Der Tag seiner Thronbesteigung wurde alljährlich aufs prächtigste gefeiert und alle, die neue kostspielige Unterhaltungen erfanden, wurden seine Günstlinge. Er hatte von seinen Vorfahren ungeheure Reichtümer geerbt, aber er hatte es fertiggebracht, nicht nur seinen Barbesitz vollständig zu verschwenden, sondern man sagte ihm sogar nach, daß er Landbesitz verpfändet hätte. Die Hauptaufgabe seiner Minister bestand darin, immer neue Mittel und Wege zu ersinnen, um Geld zu beschaffen, damit er seiner wahnsinnigen Verschwendungssucht frönen konnte. Seine Untertanen waren seine Gläubiger und durch ihn reich geworden, denn ihnen flossen seine Gelder zu, – alle seine Einkünfte waren ihnen verpfändet, um damit rückständige Schulden und Zinsen zu begleichen.

Die Sittenverderbnis war hier noch viel schlimmer wie in der Hauptstadt der Republik. Mit schamloser Frechheit machten sich hier alle Arten der Ausschweifungen breit, – weder religiöse Vorschriften noch die Gebote der Ehre spielten hier die geringste Rolle. Die Ehre war ja nach hiesigen Ansichten überhaupt ein illusorischer Begriff. Auch die Scham wäre etwas ganz Rückständiges, ein kindisches Vorurteil der Unwissenheit. Wer einen einwandfreien Lebenswandel führte, wurde mit Hohn und Spott überschüttet, verdienstvolle Männer wurden lächerlich gemacht und zogen sich am besten in die Verborgenheit zurück. Die Richter waren bestechlich, Willkür war an der Tagesordnung, Erpressung war direkt erlaubt und die Heiligkeit der Ehe durchaus nicht respektiert. Selbst die Priester, die doch äußerlich einen gewissen Anstand bewahren müßten, hatten längst die Maske abgeworfen. Sie hatten es aufgegeben, dies Land noch bessern zu wollen, und lebten nun genau so sittenlos wie alle andern. »Worauf sollten wir denn Rücksicht nehmen?« fragten die Alfaquins, »es kommt ja doch nichts dabei heraus.« Sie waren bei allen Festen die Ausgelassensten, spotteten am ruchlosesten über den Orakelglauben und die, die noch daran festhielten.

In solchem Lande mußte natürlich schon das zum Leben Notwendige teuer sein, geradezu unerschwinglich aber waren alle Luxusgegenstände und Vergnügungen. Das Handwerk wurde verachtet, man mußte freilich arbeiten, um zu leben, doch sind die Lasterhaften immer Müßiggänger, die nicht arbeiten wollen. Nun gab es hier überhaupt nur Lasterhafte. Was also konnte daraus entstehen? Jedermann war dem Glücksspiel ergeben und das wäre noch nicht das schlimmste gewesen. Aber man beschränkte sich nicht darauf, das Glück walten zu lassen, sondern huldigte dem Falschspiel, wodurch ganze Familien an den Bettelstab gebracht wurden.

Den Unzertrennlichen des Prinzen hatte ein Schlaganfall getroffen, als den Eiern ein Pärchen entschlüpft war, wovon eins rot, das andere gelb war. Acht Tage darauf war er verschieden. Der Rote wäre nun dem Herzog in der Regierung gefolgt, wenn man für ihn einen Unzertrennlichen aus ebenso erlauchtem Geschlecht hätte ausfindig machen können. Aber eine solche Verbindung hatte niemals stattfinden können. Keiner wußte, was aus dem Kinde geworden war. Die Feinde des Herzogs sagten, daß er ihn der Republik für eine große Summe ausgeliefert hätte, und diese hätte ihn dann ermorden lassen. Niemand aber wagte es, den fürstlichen Vater nach der Wahrheit zu fragen, obwohl er allein hätte Auskunft geben können. Ich selbst erfuhr es erst lange Zeit danach und werde später noch einmal darauf zurückkommen. Übrigens war der Herzog eine ungewöhnlich liebenswürdige und hochgebildete Persönlichkeit. Man konnte gar nicht verbindlicher und zuvorkommender sein wie er: er empfing mich nicht nur völlig wie seinesgleichen, sondern wie ein König eine Gottheit empfangen würde. Während der ersten neun Tage meiner Anwesenheit wurden immer neue Feste gefeiert. Es schien, als hätte er den Homer gelesen, und wollte daher erst am zehnten Tage anfangen, von Geschäften zu sprechen. Er stellte uns alle Großen seines Hofes vor und wir mußten beständig an den kleinen intimen Soupers teilnehmen, die er veranstaltete. Dazu wurden nur sechs oder sieben auserwählt schöne Megamikren zugezogen, doch mußten sie ohne ihre Unzertrennlichen erscheinen, die sich anderswo auf die gleiche Weise vergnügen konnten. Der Fürst wollte uns eben alles bieten, was in seiner Macht stand, – er war äußerst erstaunt, als wir davon keinen Gebrauch machten, die Megamikren aber waren sehr erzürnt, denn sie glaubten sich von uns verachtet. Im Vollbewußtsein ihrer Reize überschütteten sie uns oft mit den verführerischsten Zärtlichkeiten und brachten uns dadurch in die äußerste Verlegenheit. Ich nahm meine Zuflucht dazu, alles ins Scherzhafte zu ziehen, aber meiner Frau war die Sache keineswegs zum Lachen, denn auf dem Gebiet verstand sie keinen Spaß.

Die erste Unterredung mit dem Fürsten dauerte drei Stunden. Er weihte mich vertrauensvoll in alle seine Angelegenheiten ein, ja, er gab mir sogar eine Aufstellung seiner Schulden, ebenso wie die aller Einkünfte seines Lehens, der verpfändeten sowohl wie auch seiner Allodialgüter, über die er freier Herr war. Er zeigte mir auch den Diamantenschatz, den er noch besaß, und erzählte mir, daß er seinen Kredit verloren hätte, weil er alle Domänen verpfänden mußte und schon seit sechzehn Jahren nur ein Viertel der Pacht erhielt. »Ich kann«, sprach er, »meiner natürlichen Veranlagung nach mit einem Alter von neunzig Jahren rechnen und Ihr werdet auch in meinem Gesicht nicht die geringste Spur eines lasterhaften Lebens finden, das etwa die Lebenszeit verkürzen könnte. Auch Mörder fürchte ich nicht, denn meine Gläubiger schützen diese Befürchtung nur vor. Niemand würde bei meinem Tode Eurem Stamme seinen Besitz streitig machen können, denn gleich nachdem ich ihn Euch übertragen habe, werde ich dafür sorgen, daß ihn meine früheren Schulden nicht belasten.«

Ich dankte dem Fürsten für sein Vertrauen und bat ihn, einen Bevollmächtigten zu ernennen, der die Angelegenheit zum glücklichen Ende führen könnte. Mein kluger Ratgeber war ganz damit einverstanden und in zwei Verhandlungen war alles abgeschlossen. Ich sah mir das für meine Nachkommen bestimmte Gebiet an. Es war groß und reichbevölkert, auch war es malerisch am Ufer eines der Nebenflüsse eines großen Stroms gelegen, wodurch meine Kinder gleich eine vorteilhafte Handelsstraße hatten.

Mein Sekretär mußte nun mit einem außerordentlich höflichen Schreiben dem alten Senator die Schenkungsurkunde zurücksenden, von der ich nun ja doch keinen Gebrauch machen konnte. Nachdem ich mich dann von dem Herzog aufs herzlichste verabschiedet hatte, erreichte ich in drei Pentamaines meine Stadt Alfredopolis, wo ich meinen Ratgeber mit einem Geschenk von 10000 Unzen entließ. Es war nun der 24. Dezember herangekommen und ich entschloß mich, den Tempel einzuweihen und Andreas zum Statthalter zu ernennen. Die Stadt mußte mit der Zeit ganz berühmt werden, einmal, weil wir sie bewohnten, und dann war sie ja überhaupt der Ort unserer ersten Niederlassung. Von hier aus hatte sich mein Geschlecht ausgebreitet.

Am nächsten Morgen machte ich mich pflichtschuldigst auf, um mit meiner Frau dem König und den Prinzen meine Aufwartung zu machen. Sie empfingen uns aufs liebenswürdigste und erklärten sich bereit, unsere Einladung zum Feste der Religionsstiftung anzunehmen. Auch den 456 Trauungen von Vettern und Basen, die ich an diesem Tage vollziehen sollte, wollten sie beiwohnen.

Wir hatten am Fest einen großen Zulauf vom Adel. Andreas hatte mich gefragt, ob er trotz der Gegenwart des Königs auf Englisch predigen sollte. Ich bestimmte nun, daß die Predigten immer in englischer Sprache stattfinden sollten, mit Ausnahme der Gottesdienste, denen der König beiwohnte. Dies Gesetz wurde als Inschrift in allen Gotteshäusern angebracht.

Mitte Januar kehrte mein Sekretär aus der Hauptstadt der Republik zurück und überbrachte mir ein Schreiben des Senators, in das ein Brief des Herzogs eingeschlossen war. Er betonte, wie sehr die Republik die Würde meines Vorgehens bewunderte, auch hatte sie es mir hoch angerechnet, daß ich nicht, wie ich ursprünglich wollte, den Stamm Cäsars, sondern den siebzehnten Stamm mit Daniel als Oberhaupt dem Herzog versprochen hatte. Sie sandten mir nun eine neue Urkunde, die alles bestätigte, was die erste enthalten hatte. So berief ich denn Cäsar und Rose wie auch Daniel und Luise zu mir, erzählte ihnen von den ihnen von mir bestimmten Niederlassungen und setzte ihre Abreise auf Anfang März fest. Sie sollten sich zu diesem Zeitpunkt mit ihren Familien bereit halten. Ich weihte dann alle beide zu Mitstatthaltern ein und beauftragte sie, Tempel zu bauen, die, sobald sie fertig waren, nach meinem Ritus eingeweiht werden sollten. Nach dem großen Konzil versprach ich sie dann zu besuchen. Ich wies sie dann noch darauf hin, daß in dem Lande, wo sie sich ansiedeln sollten, eine allgemeine Sittenverderbnis herrschte, von der sie sich aber rein erhalten müßten.

Einige Tage später begab ich mich zum Könige, um ihm die Abreise der beiden Stämme mitzuteilen. Ich unterrichtete ihn bis ins einzelne über die ganze Angelegenheit, und er beglückwünschte mich und erklärte, die beiden Stämme würden gewiß sehr befriedigt sein, in ein Land einzuwandern, das ihnen Gelegenheit zu so vielen Vergnügungen geben würde. Er ließ auch einige Bemerkungen über das bevorstehende Konzil fallen und gab der Zuversicht Ausdruck, daß ich bei demselben nicht fehlen würde. Darauf erwiderte ich, daß ich dazu vorgeladen wäre, aber auch ohnedies gern hingehen würde, um die Interessen meiner Religion wahrzunehmen. Bei dieser Gelegenheit bemerkte der König, daß meine Söhne sich ein Vergnügen daraus machten, die Eingeborenen zu taufen und ihnen Tempel zu erbauen. Wenn man das vorausgesehen hätte, daß die Eingeborenen um der Lehre willen vom alten Glauben abtrünnig werden würden, dann hätte man mich gewiß nicht zum Fürsten ernannt. Ich erwiderte, der große Geist hätte das unfehlbar voraussehen müssen und auch vorausgesehen. Übrigens hätte er sich ja mit allen meinen Glaubensartikeln und Gesetzesvorschriften einverstanden erklärt und so zweifelte ich nicht daran, daß auch er eines Tages noch mit dem ganzen heiligen Hof die Taufe begehren würde. Bei diesen Worten, die ich mit größter Bescheidenheit vortrug, sah das königliche Paar sich ganz bestürzt und erstaunt an. Der König ließ seine Augen mit dem Ausdruck größter Ehrerbietung eine kleine Weile auf mir ruhen, dann sagte er: »Ich sehe, teurer Herzog, von wie unendlicher Wichtigkeit dies Konzil sein wird, bedeutsamer als alles, was bisher in der Geschichte unseres Landes verzeichnet ist. Ich weiß es Euch Dank, daß Ihr meinem Geiste Erleuchtung gegeben und mich befähigt habt, an diesem großen Werk teilzunehmen.« Zur gleichen Zeit machte ich eine große Entdeckung. Es wandelte mich nämlich die Lust an, in meinem Palast einen Globus aufzustellen, um meinen Kindern einen Begriff von der Gestalt der Erde zu geben. Mit Hilfe der Karten, die ich in meinem Atlas hatte, gelang es mir, meinen Globus tatsächlich zu konstruieren. Er war aus Holz und hatte einen Umfang von einunddreißig Fuß. Ich überzog ihn mit Glas, das ich mir aus einer Art Sand, den ich mit alkalischen Salzen mischte, selbst hergestellt hatte. Zwischen das Glas und das Holz legte ich eine Schicht Phosphor und zwei meiner äußerst geschickten Enkel zeichneten nun nach meinen Angaben alles hinein. Der Globus erhob sich auf einem schönen Sockel, der achtzehn Fuß im Durchmesser maß. Ringsum waren Stufen, auf denen nun jedermann zum Globus hinansteigen und sich nach Herzenslust alles ringsum besehen konnte. Übrigens war der Sockel noch mit vier goldnen Bildsäulen geschmückt, die in natürlicher Größe das Königs- und das Thronfolgerpaar darstellten. Ich beschloß, diese Statuen noch mit Edelsteinen in allen Farben zu verzieren, die ich mit einer Art Glaserkitt befestigte. Ich verfügte nämlich über einen verschwenderischen Überfluß aller Arten von Metallen, ferner besaß ich eine Unmenge von Edelsteinen, als da sind: Diamanten, Berylle, Topase, Smaragde, Saphire, Rubine und Granaten. Die Augen der Bildsäulen waren aus Karfunkeln. Als ich eines Tages in meiner kleinen Schmiede einen gläsernen Stab schmolz, rieb ich diesen, um ihn abzuschleifen, an einem viereckigen Stück Asphalt, das mir zugleich als Tisch diente. Ich wollte kostbare Edelsteine hineinsetzen. Während ich es dann mit einem kleinen Kissen abrieb, flog zu meiner unliebsamen Überraschung plötzlich ein kleiner Haufen Pulver in die Luft, den ich tags zuvor etwa sechs Schritte von mir entfernt hingelegt hatte. Ich hatte nämlich die Absicht, ein neues Parfüm in Verbindung mit Schwefel auszuprobieren. Ich war fast besinnungslos vor Schreck und dankte Gott, daß ich nicht eine größere Menge des gefährlichen Pulvers dort hingelegt hatte. Um die Ursache des Unfalls zu ergründen, nahm ich das Papier, in dem das Pulver sich befand, in die Hand und wollte einen Eisenstab davon entfernen, dessen anderes Ende zufällig mit meinem Glase in Verbindung stand. Aber kaum hatte ich ihn berührt, als ich im ganzen Körper das Gefühl hatte, von tausend Nadeln zerstochen zu werden. Diese Erscheinung wiederholte sich, so oft ich den Stab berührte, und mir gingen hunderterlei einfältige Gedanken durch den Kopf, weil ich doch keine Ahnung vom elektrischen Strom hatte.

Ich versank in tiefes Nachdenken, in das jeder verfällt, der eine überraschende Naturerscheinung ergründen will. Doch was ich auch dachte, die Erfahrung ließ es mich immer wieder verwerfen. Ich hatte zufällig den Stab in die Nähe des Schmiedefeuers geworfen, und als ich ihn wieder zur Hand nahm, verspürte ich keinerlei Stechen mehr. Das schien mir wiederum sehr merkwürdig. Es fiel mir nun ein, daß ein Ende des Stabes, als das Pulver sich entzündete, ganz in dessen Nähe lag, wählend das andere sich fest gegen die Asphaltplatte stemmte. Ich gab ihm nun die vorige Stellung zurück und begann wieder zu reiben, während ich mit der andern Hand das entgegengesetzte Ende berührte. Sofort hatte ich wieder die Empfindung, von Nadeln zerstochen zu werden. Ich stellte nun fest, daß durch das Reiben auf dem Glas auf eine mir unverständliche Weise Funken erzeugt wurden, die sich dem Stabe und durch diesen jedem, der ihn berührte, mitteilten und ihm ganz empfindliche Schläge versetzten. Acht bis zehn Tage brachte ich nun in der Einsamkeit zu, stellte Versuche an, schmiedete Pläne und verwarf sie wieder. Es mußte doch eine Ursache für den von mir beobachteten Vorgang geben und den wollte und mußte ich ergründen. Ich fürchtete weder die Stärke Akräons, noch die Rache des Pentheus, ich war entschlossen wie Ödipus, als er das Rätsel der Sphinx zu lösen unternahm. Ich versuchte nun den Stab allein, d. h. auf einer unbedeckten Marmorplatte, zu reiben und verspürte nicht die geringste Wirkung. Ich rieb andere Metalle dagegen, aber es geschah nichts. Nur mit Edelsteinen, die in bunter Fülle dort umherlagen, erzielte ich die beabsichtigte Wirkung. Ich schloß daraus, daß alle diese Körper eine Funken erzeugende Kraft besitzen müßten, die sich naheliegenden empfindlichen Gegenständen mitteilte. Ich besorgte mir Eisen, denn es mußte Eisen, nicht Stahl sein, und beobachtete die Wirkung an meinem längsten Stab. So kam ich schließlich zu der Ansicht, daß die Luftschwingungen schon genügten, um das Phänomen hervorzurufen. Um mich zu vergewissern, erdachte ich ein Rad, das, wenn es mit Heftigkeit gegen das Glas gedreht wurde, die Wirkung einer Funkenquelle hatte. Diese bezeichnete ich als Strom, denn er teilte sich dem Nachbarkörper mit, ohne die Luft zu entzünden. Die kleinen Zwischenräume schalteten seine Wirkung keineswegs aus. Wenn ich mein Rad zwei- oder dreimal drehte, so hatte ich genügend Elektrizität erzeugt, um meinen Stab ganz damit zu laden. Nun hing ich an einem Hanffaden ein Blatt Papier direkt vor dem Ende des Stabes auf, doch ohne daß es den Stab berührte. Das Papier fing nicht etwa zu brennen an, wurde aber angezogen und abgestoßen. Mit einem Goldplättchen machte ich dieselbe Erfahrung. Die abstoßende Kraft war aber stärker wie die anziehende.

Ich war doch neugierig geworden, meine Entdeckung noch weiter zu verfolgen. Daher führte ich einen langen Messingdraht an meinem ganzen Park entlang und zog ihn mehrfach im Kreise rund um eine Fläche von etwa 2000 Schritt. Durch hölzerne Pflöcke, die ich in gewissen Abständen aufstellte, verhinderte ich, daß er den Erdboden berührte. Dann befestigte ich eine Glasröhre an meinem Rad und ließ es von einem meiner Enkel direkt an einem Ende des Messingdrahtes in Bewegung setzen. Im Augenblick, als das Rad sich zu drehen begann, fühlte ich den elektrischen Schlag am entgegengesetzten Ende und diesmal konnte ich mich nicht täuschen, denn ich sah die Funken sprühen.

Natürlich beabsichtigte ich aus dieser Entdeckung möglichste Vorteile zu ziehen, doch wollte ich vorher noch ein anderes Experiment vornehmen. Fünf Meilen von meinem Garten entfernt erbaute ich einen kleinen Turm. Auf seiner Spitze brachte ich eine Bleikugel an, darüber kam eine Lage Schwefel und dann eine Glasröhre. Nun setzte ich das Rad mit dem Messingdraht dicht daneben und befestigte das andere Ende des Drahtes an einer gleichen Vorrichtung, die ich auf dem Kuppeldach meines Tempels angebracht hatte. Beiden gegenüber hing ich Goldplättchen auf. Dann verglich ich meine Uhr, mit der meines Enkels und stellte sie auf die Sekunde genau ein. Er ist äußerst intelligent und so betraute ich ihn damit, genau auf die Bewegung der Goldplättchen aufzupassen. Fünf Sekunden, nachdem er sie angezogen und abgestoßen sähe, sollte er mit aller Kraft das Rad drehen. Ich selbst hielt mich am andern Ende des Messingdrahts auf und zur verabredeten Sekunde drehte ich das Rad mit aller Macht. Fünf Sekunden später sah ich meine Goldplättchen bald angezogen, bald abgestoßen. Ich war äußerst zufrieden, hierdurch festgestellt zu haben, daß die Elektrizität selbsttätig in Bewegung war, ohne daß für den Fortgang dieser Bewegung ein bestimmtes Zeitmaß notwendig wäre. Die Schnelligkeit des elektrischen Funkens mußte geradezu der des Gedankens, zumindest aber der des Lichtes gleichkommen. Das Ergebnis all der gehabten Mühen befriedigte mich derartig, daß ich mir das Vergnügen nicht versagen konnte, die Sache mit einem der größten Naturwissenschaftler des Jahrhunderts zu besprechen. Ich veranlaßte ihn, mit mir die Möglichkeit eines vorhandenen unsichtbaren Funkens und dessen wahrscheinliche Eigenschaften zu erwägen. Mit Vergnügen stellte ich dabei fest, daß in der Welt der Megamikren diese Wissenschaft ganz unbekannt war. Ich beschloß nun, in Gegenwart des Königs den jungen Prinzen gewissermaßen ein Geschenk mit meiner Entdeckung zu machen, da sie sich geradezu leidenschaftlich für die Naturwissenschaften interessierten.

Eines Morgens ließ ich mich bei dem Könige melden und zwar zu einer Stunde, die er mit den Prinzen zu verbringen pflegte. Das königliche Paar küßte sie gerade und rühmte ihren Gehorsam. Mit großer Wärme stimmte ich in das Lob dieser schönen Tugend ein und bemerkte, welche Freude es doch den Vätern bereiten müßte, wenn ihre Söhne ihre Befehle ohne Zeitverlust ausführten, selbst wenn sie fünf oder sechs Meilen von ihnen entfernt wären. Sie alle brachen natürlich in ein großes Gelächter aus, da ihnen diese Art des Gehorsams unmöglich schien. Ich blieb ganz kaltblütig und sagte nur, daß ihre Freude auch mir Vergnügen machte. Dies könnte mich aber nicht verhindern, ihnen einen Beweis für meine Behauptung zu liefern, vorausgesetzt, daß Seine Majestät den Prinzen gestatten wollten, am andern Morgen einen Spaziergang nach dem kleinen Jagdhaus zu unternehmen, wo sie von ihm einen Befehl erhalten sollten, der sie im selben Augenblick, wo er ihn ausspräche, erreichen sollte. Sie waren starr vor Staunen. »Ihr dürft euch wundern,« sagte der König, »doch dürft ihr nicht zweifeln, denn er kann alles, was er will.« Zu mir sagte er noch, daß seine Kinder sich gewiß glücklich preisen würden, so raschen Gehorsam zu lernen. »Wie aber«, fuhr er fort, »sollten sie wohl meine Befehle sofort ausführen können, wenn ich ihnen z.B. den Auftrag geben würde, dies Rauchparfüm anzuzünden? Das Parfüm befindet sich hier, sie aber sind dort, wie könnten sie doch einen Befehl ausführen, den sie mich nicht einmal aussprechen hören?« – »Und doch«, entgegnete ich, »wird der Befehl vier Sekunden, nachdem Eure Majestät ihn ausgesprochen haben, ausgeführt werden!« – »So gestehet wenigstens, mein teurer Eduard, daß das ein Wunder wäre!« – »Nein, Eure Majestät, es gibt keine Wunder, denn alles beruht auf Naturgesetzen. Es handelt sich in diesem Falle nur darum, Euren Willen durch die Drehungen eines Rades auszudrücken, das ich Euch morgen in aller Frühe herbringen werde. Sorgt nur dafür, daß die Prinzen dann dort sind. Sie sollen nicht einmal wissen, zu welcher Zeit uns die Lust anwandeln wird, das Raucherparfüm zu entzünden, doch verbürge ich mich für ihren augenblicklichen Gehorsam. Geben Sie nur Befehl, daß man mir bis morgen ungehindert überall Zutritt gewährt, ebensowohl hier wie im kleinen Jagdhause.« – »Darauf könnt Ihr zählen,« sagte der König und verabschiedete sich dann mit den Worten: »Also auf Wiedersehen morgen!«

Den Rest des Tages verbrachte ich damit, mit meinem Enkel nach dem kleinen Jagdhause zu gehen, wo ich meine neue Vorrichtung anbrachte. Den Draht ließ ich von da aus durch die Dienerschaft bis zum Observatorium des königlichen Schlosses ziehen und verband ihn von dort durch ein kürzeres Stück Draht mit einer zweiten ganz gleichen Vorrichtung, die ich im Zimmer des Königs anbrachte. An dem Goldbehälter des Räucherparfüms befestigte ich dann einen andern kurzen Messingdraht, dessen anderes Ende ich auf den Fußboden des Zimmers herabhängen ließ. Nachdem ich dann meinen Enkel genau instruiert hatte, sandte ich ihn mit Tagesanbruch zum kleinen Jagdhause, während ich selbst mich in die Gemächer des Königs begab. Es war genau 1 Uhr, als er sein Zimmer betrat und mir mitteilte, daß die Prinzen sich bereits im Jagdhause befänden. Ich erklärte ihm nun, was er tun müßte, sobald ihn die Lust anwandelte, das Rauchparfüm brennen zu sehen. Nachdem er Rad und Röhre einer kurzen Prüfung unterworfen hatte, wobei er sich davon überzeugte, daß sie nicht mit dem Parfüm in Verbindung standen, packte ihn die Ungeduld, so daß er, wie ich es ihm gezeigt hatte, das Rad zu drehen begann. Nun brachte ich das herabhängende Ende des Messingdrahts an den andern und schon zwei Sekunden später sahen wir die Kräuter in der goldnen Schale in Flammen aufgehen. Ebenso erfreut wie erstaunt umarmte er seine Gemahlin und rief lachend: »Wer hat nun das Rauchparfüm entzündet, wir oder die Kinder? Wenn es das Werk der Prinzen ist, so wollen wir ihnen sofort entgegengehen und sie für ihren pünktlichen Gehorsam loben. Wenn das aber wirklich ein natürlicher Vorgang ist, so müßt Ihr, teurer Eduard, die Freundlichkeit haben und unser naturwissenschaftlicher Lehrer werden, denn Euch gegenüber müssen wir alle unsere Unwissenheit bekennen. Doch jetzt wollen wir zuerst zu dem kleinen Jagdhause gehen!«

Ich bat ihn, zuerst zum Observatorium heraufzusteigen und den großen Konduktor anzusehen, der auf Holzpflöcke aufgespannt, seinen Befehl weitergegeben hatte. Wir bestiegen dann einen offnen Wagen und waren in weniger als in einer Stunde beim kleinen Jagdhaus angelangt. Übrigens hatte er auf diese Fahrt keinen Diener mitgenommen. Nun küßte er seine kleinen Prinzen und einer von ihnen fragte, ob das Parfüm auch wirklich gebrannt hätte. »Wie,« sagte der König, »habt ihr denn meinen Befehl nicht empfangen?« – »Doch,« erwiderten sie, »und wir haben ihn in der dreißigsten Sekunde der gleichen Minute ausgeführt. Wir sind überglücklich, daß Eure Majestät mit uns zufrieden ist, doch haben wir nur ganz maschinenmäßig gehorcht. Wir haben nämlich, sobald die Goldplättchen, die hier aufgehängt sind, sich zu bewegen begannen, das Rad viermal gedreht. Und das war alles! Es ist also nur das Verdienst des guten Riesen, der uns das gelehrt hat.« – »Was,« rief der König lachend, »auch ihr habt ein Rad gedreht?« – »Jawohl,« erwiderten die Prinzen, »doch sind wir trotzdem um nichts weiser.« – Der König, dem es ebenso ging, mußte über diese Antwort herzlich lachen. Er sagte, sie brauchten sich nur an mich zu wenden, um weise zu werden. »Gewiß, meine lieben Prinzen,« sagte ich nun, »ich will euch gern vor meiner Abreise nach Heliopalu eine Elektrizitätsmaschine zeigen. Dadurch werdet ihr den elektrischen Strom kennenlernen, der durch Reibung in Tätigkeit gesetzt werden kann. Empfindlichen Körpern teilt er sich mit, ohne die Luft, die er durchfliegt, zu entzünden, und ohne irgendwelchen Zeitverlust durcheilt er ungeheure Räume. So unglaublich euch das nun auch erscheinen mag, – ihr sollt selbst die Probe darauf machen. Nähert jetzt auf Daumesbreite euere Finger diesem Draht!« – Nun ließ ich die Prinzen, von demjenigen ausgehend, der seinen Finger dicht an der Glasröhre hatte, eine Kette bilden, dann drehte ich das Rad und alle auf einmal empfanden den elektrischen Schlag. Ich sagte ihnen nun, daß sie selbst bei einer Entfernung von hundert Meilen den prickelnden Schmerz verspürt haben würden. Das bewiese, daß dieser Funken immateriell wäre, gewissermaßen die Seele der lebendigen Natur. »Nun fangen wir an, etwas zu begreifen,« sagte der König. Die Prinzen aber, die eine Ahnung ergriff, was diese Wissenschaft alles bedeuten konnte, betrachteten mich mit zärtlichen Blicken. »Nun, meine lieben Kinder,« sprach der König, »dürft ihr euren Lehrer küssen.« Da sprangen sie mir jubelnd an den Hals und bedeckten mein Gesicht mit Küssen.

Nun fragte mich der König, warum nicht alle festen Gegenstände den Funken weiterleiteten, und ich erwiderte ihm, daß dies von der Zusammensetzung ihrer Oberflächen abhinge, die sie verhinderte, sich mit Elektrizität zu laden. Ich sagte ihm, die ungeheure Schnelligkeit des Funkens bewiese, daß er überall vorhanden sein müßte. Doch schiene er zu schlummern, bis er durch Reibung erweckt würde.

Man könnte also nicht sagen, daß er den Raum durcheilte, denn er wäre ja überall vorhanden. Sogar da, wo das Licht nicht eindringen könnte, existierte er. Nun bemerkte der König, daß die Prinzen mit dieser Vorführung alle Professoren der naturwissenschaftlichen Hochschule beschämen könnten, deren Hochmut nahezu unerträglich war. Ich bot nun dem König an, die Prinzen alles zu lehren, was ich von der Elektrizität wüßte. Da fragte der König, ob ich die Mühe nicht scheute, noch zwei weitere Schüler zu unterweisen. Ich küßte seine Hand und bat ihn, eine Stunde festzusetzen und ebenso ein Zimmer des königlichen Schlosses zum Laboratorium zu bestimmen. »Zur Stunde des Vergnügens,« rief da der König aus, »denn ein größeres Vergnügen gibt es ja gar nicht. Auch werde ich mein eigenes Zimmer für experimentierende Physik als Laboratorium hergeben! Wenn meine Kinder dann alles begriffen haben, werde ich alle Professoren und das ganze Auditorium der naturwissenschaftlichen Hochschule zu einer öffentlichen Versammlung berufen und die Prinzen sollen dann den Professoren folgende Fragen vorlegen. ›Wenn der elementare Funken überall vorhanden ist, warum ist er weder Glut noch Flamme?‹« Nachdem er noch einige weitere Fragen genannt hatte, schloß er mit den Worten: »Wenn meine Professoren dann hundert Dummheiten geantwortet haben werden (denn natürlich werden sie irgend etwas erwidern), werde ich meine Elektrizitätsmaschine hereinbringen lassen, und wenn ihre Unwissenheit offen am Tage liegt, werde ich die Experimente ausführen. Was sie dann hinterher sagen werden, wird mir erst das größte Vergnügen bereiten.«

Ich machte dem König mein Kompliment über die ausgezeichnet erdachten Fragen, die mir bewiesen, daß er die Sache vollkommen begriffen hätte. Am andern Tage begannen wir den Unterricht, der aus Experimenten und Vorträgen zusammengesetzt war. Wir entdeckten dabei, daß ein nasser Strick den Messingdraht vollkommen ersetzte. Nach einem Monat mußte ich jedoch den Unterricht abbrechen, da ich meine Reise nicht länger hinausschieben konnte. Sie war die längste, die ich in dieser Welt überhaupt unternehmen konnte. Durch den naturwissenschaftlichen Unterricht schloß sich die königliche Familie immer enger an mich an und ich mußte wirklich lachen, wenn ich überlegte, daß ich ja eigentlich genau so unwissend war wie sie. Nur hatte mir der Zufall zu einer Entdeckung verholfen, die mich in den Ruf eines Genies brachte.

Nachdem ich dem lieben Andreas, der das Haupt der vierundzwanzig in dieser Stadt wohnenden Stämme blieb, meine letzten Aufträge erteilt hatte, nahm ich Abschied vom Könige. Er küßte mich und überreichte mir mit eigner Hand eine Urkunde, die meine Stadt Alfredopolis als unabhängiges Fürstentum erklärte, – eine Gunst, nach der ich schon lange trachtete, um die ich ihn aber nie zu bitten gewagt hatte.

In zehn Tagen erreichte ich die Hauptstadt meines Lehens und wurde dort von meinen Söhnen, den vier Statthaltern, wie von dem Patriarchen Theodor erwartet. Dort erhielt ich auch Briefe von meinen Söhnen Cäsar und Daniel, die sich über ihre neuen Gebiete mit großer Zufriedenheit aussprachen. Theodor war bereits zur Abreise gerüstet und ich wollte mich nicht aufhalten. So besuchte ich denn nur noch die Seminare und betrachtete mit großer Freude die neugeborenen Nicht-Zwillinge. Die ältesten waren kaum vier Jahre alt, aber groß, schön und verständig, wie Zehnjährige hier bei uns. Das Ephebeion regte mich wieder stark zum Nachdenken über die menschliche Natur an. Nach dem neuen Gesetz der Vettern- und Basenehen, wodurch die Geschwisterehen verboten wurden, hatte sich bei meinen Kindern eine ganz neue Weltanschauung entwickelt. Solange der Zwilling seine Zwillingsschwester heiratete, hatten der natürliche Liebestrieb und der Wunsch, ihn zu befriedigen, die Jünglinge des Ephebeions vollkommen ausgefüllt. Sie dachten gar nicht daran, gefallen zu wollen, denn sie hatten ja nicht nötig, um ihr Glück zu bangen, auch hatten sie kein anderes Interesse, als ihr eigenes Vergnügen. Doch nun strebten die Jünglinge wie die Mädchen danach, einander zu gefallen, denn sie wollten, daß Vetter wie Base gleichermaßen ihre Ehe mit Freuden begrüßen möchten, sobald sie die gegenseitig bestimmten Lebensgefährten auf ihren Spaziergängen trafen. Ihre Umgangsformen wurden dadurch immer vollkommener, ihr Betragen zeigte nicht den kleinsten Fehler mehr. Sie wetteiferten darin, durch ihr Benehmen das höchste Lob zu verdienen. Auch erschien es ihnen, obwohl sie das nicht aussprachen, doch als etwas Besonderes, daß sie dazu erwählt waren, ein neues Geschlecht zu zeugen, das dem Vorhergehenden körperlich und daher gewiß auch geistig überlegen wäre. So rechnet unser armseliges Gehirn, ehe es von der gebieterischen Erfahrung abgeschliffen worden ist. Denn es passiert weit häufiger, daß in einem kleinen Körper ein großer Geist wohnt, als das Umgekehrte der Fall ist. So hat einmal jemand von einem großen schönen Manne, der sich sonst durch nichts auszeichnete, gesagt: non est in tanto corpore mica salis! In allen meinen Stämmen stieß ich bei den bereits vor dem Jahre 60 vermählten Frauen auf eine gewisse Traurigkeit, doch sah ich keine Möglichkeit, ihr abzuhelfen. Erst das Jahr 100 konnte sie von ihrem Kummer befreien.

In prächtigem Zuge reisten wir ab und erreichten innerhalb viereinhalb Monaten das große Lehen Heliopalu, wo ich mich an dem Wirken der weisen Regierung erfreuen konnte. Meine vier Söhne konnte ich vorerst nicht begrüßen, denn da der Neujahrstag 65 kurz bevorstand, hielten sie sich in ihren Bezirken auf, Jakob hatte schon vier Statthalter und Gouverneure blühender Städte. Er hatte ein bestimmtes Alter vorgeschrieben, um seine Kinder zu Gesandten zu ernennen, und hatte das vierzigste Jahr dafür festgesetzt. Mit dreiundvierzig Jahren mußten sie zurückkehren. Ich wurde nun Zeuge davon, mit welchem Eifer sich die Megamikren zur Taufe drängten, ich sah und hörte alles und war entschlossen, alles zu unterstützen, was mir recht und billig erschien, und allem die Stirn zu bieten, ein gehorsames Werkzeug der göttlichen Vorsehung, die die Stoiker jedenfalls mit dem Ausspruch meinten: fata, viam invenient!

Am letzten Tage des Jahres versammelte ich im Ephebeion 1690 Vettern und Basen, deren Ehen ich am nächsten Tage persönlich einsegnete. Wir hörten eine Predigt vom Patriarchen Jakob und waren ganz außerordentlich erbaut davon. Ja, meine Frau und ich konnten, so lächerlich es erscheinen mag und uns auch selber erschien, unsere Tränen nicht zurückhalten. Doch wenn wir es auch gekonnt hätten, so hätten wir das nicht gewollt, denn diese Tränen bedeuteten für uns eine unaussprechliche Wonne, die rein seelischer Natur war. Wir brachen dann nach Heliopalu zum großen Konzil auf, wohin uns als außerordentlicher Gesandter Jakobs fünfzehnter Sohn mit seiner ganzen Familie begleitete. Den sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten ernannte ich zu Verwaltungsbeamten, denen ein Rat von Megamikren zur Seite stehen sollte. Ich konnte das ruhig tun, denn er war aus erprobten Leuten zusammengesetzt. Wir waren auf 2600 Personen angewachsen, als wir uns auf die Reise begaben, und dabei sind die Diener noch nicht einmal mitgerechnet.

Ende Januar trafen wir in Heliopalu ein und meine Gesandten benachrichtigten sofort den großen Barcalon davon. Am 1. Februar weihte Jakob den Tempel ein, den man uns vor der Stadt zu errichten erlaubt hatte. Er fand dort 800 gut vorbereitete Megamikren und taufte sie, ohne sich die geringsten Sorgen darum zu machen, daß eigentlich diese Massentaufen den Grund zur Einberufung des Konzils gegeben hatten. Mir gefiel seine Unerschrockenheit. Ende März waren alle Teilnehmer des Konzils versammelt und nun wurde ein besonders heiliges Gesetz erlassen, daß die erste Beratung am 1. Oktober stattfinden würde. Ich verbrachte diese sechs Monate damit, mit meinen beiden Söhnen, den Patriarchen, Erläuterungen meiner Sittenlehre und meiner Glaubensartikel zu verfassen, von denen ich voraussah, daß sie einen Gegenstand der Beratungen bilden würden.

Am letzten Septembertage begaben wir uns in den Riesenpalast, den wir nun innerhalb zweier europäischer Jahre nicht verlassen durften. Unsere Verbindung mit der Außenwelt wurde nur durch die Dienerschaft aufrechterhalten, die wir hin- und herschicken durften, wie es uns beliebte. Das Riesengebäude bestand aus 420 Einzelwohnungen von 6 Zimmern. Dort wohnten nämlich die Lehrer. Ein Fluß durchschnitt das Grundstück, auch gab es 4 Gärten mit je 96 Bäumen. Es stieß direkt an die Stadtmauer und stand durch einen unterirdischen Gang mit dem Allerheiligsten Palast in Verbindung. Der Saal, in dem das Konzil abgehalten wurde, überraschte uns durch seine prächtige Ausstattung. Alles darin war aus Phosphor, Gold, Edelsteinen und wundervollem Marmor. Nur die Beisitzer des Konzils hatten Zutritt, doch durften sie ihre Unzertrennlichen nicht mitbringen. Stimmberechtigt waren 90 Erzbischöfe der Königreiche und Republiken, 216 der Lehen, 13 Räte des Großen Genius und der Vorsitzende. Außerdem waren 78 Protokollführer ernannt. Alle Anwesenden waren Rote, denn diejenigen, die von Natur andersfarbig waren, hatten sich künstlich rot geschminkt. Das war nämlich ein Vorrecht der hohen Geistlichkeit. Die Sitzungen fanden immer an den ersten Tagen der Pentamaines statt und um zwölf Uhr durfte jeder Beisitzer sich in sein Privatgemach zurückziehen, wo sich sein Unzertrennlicher aufhielt. Alle Teilnehmer saßen auf ganz gleichen Lehnsesseln. Der Große Genius hatte seinen Aufenthalt in einer prächtigen Loge und war den Blicken der anderen durch einen kostbaren Vorhang entzogen. Von dort konnte er alles sehen. Eine prächtige, mit Karfunkelsteinen besetzte Kugel hing inmitten des Saales von der Decke herab. Die Priester erschienen alle im Ornat, in weißer und grüner Farbe. Jedes einzelne Haupt war von einem Heiligenschein umgeben. Wie sie das machten, ist mir unerfindlich geblieben, – Tatsache aber ist, daß er deutlich zu sehen war. Mir ist das nur von Gestirnen bekannt, daß sie solchen »Hof« haben. Auch die zwölf Räte waren in prunkvolle Gewänder gehüllt, doch erreichten sie nicht ganz den Glanz der ersten. Der große Vorsitzende aber wurde durch einen regelrechten Strahlenkranz, wie ihn unsere Maler den Heiligen verleihen, kenntlich gemacht.

Er eröffnete das Konzil mit einer wohldurchdachten Rede und führte darin aus, daß eigentlich das Konzil, das vor 4000 Jahren stattgefunden hatte, das letzte hätte sein sollen. Leider aber habe sich die Menschheit nicht gebessert, sondern sei immer mehr in Sünde verstrickt worden. Er ermahnte uns, Herz und Geist von allen selbstsüchtigen Gedanken zu reinigen, um der Wahrheit zum Siege zu verhelfen. Die Stimmenmehrheit würde Gottes Stimme sein. Alle, die den künftigen Gesetzen widerstrebten, ehe man sie noch verkündet hätte, sollten reuig umkehren und eingestehen, daß sie bisher im Unrecht gewesen wären. Über diese Gedanken verbreitete er sich in einer mehrere Stunden währenden Rede. Rede und Gegenrede lösten sich fast ununterbrochen ab. Besonders heftig wurde über die Orakel debattiert. Nach sechsundsechzig Sitzungen kam man endlich zu einem Beschluß, der am nächsten Tage öffentlich als Gesetz verkündet wurde. Er lautete folgendermaßen: »Gottes Wille wird den Megamikren nur durch Vermittlung des Großen Genius kundgetan. Es ist recht und gut, die Erzbischöfe und Abdalas über zukünftige Dinge zu befragen. Zuwiderhandelnde trifft die Strafe der Exkommunikation!« – In einem andern Punkte dagegen erfocht ich einen kleinen Sieg. Folgender Satz wurde gleichfalls als Gesetz verkündet: »Gott will, daß seine Kinder ihm durch ihre Liebe für alle seine Güte danken. Es ist nicht sein Wille, sie durch giftige Schlangen in Furcht und Schrecken zu erhalten. Alle Schlangen hat Gott dem Zorn der Riesen preisgegeben!«

Besonders aber sprach ein Zwischenfall zu meinen Gunsten. Einer der vornehmsten Priester hatte sich in den Debatten derartig leidenschaftlich erregt, daß er schwer erkrankte. Die eingeborenen Ärzte standen ratlos an seinem Krankenlager und hatten ihn bereits aufgegeben. Dies war um so schlimmer, als der Kranke mit fast allen vornehmsten Würdenträgern des Landes verwandt war. In dieser höchsten Not griff ich ein und es gelang mir, im Verein mit meiner Frau den Kranken zu heilen. Alle seine Angehörigen waren nun außer sich vor Freude. Besonders aber sein Unzertrennlicher wußte sich in Dankbarkeit gar nicht genug zu tun. Er betrachtete mich geradezu als ein mit göttlicher Kraft begabtes Wesen. Und den andern ging es, glaube ich, kaum anders.

Inzwischen näherte sich das Konzil seinem Ende. In der Schlußsitzung wurden alle Beschlüsse nochmals verlesen, darunter auch ein Gesetz, daß die Taufe bei Todesstrafe verboten wäre. Doch focht das weder mich noch meine Kinder an, denn unsere Bezirke waren vollkommen unabhängig, der Große Genius hatte dort nichts zu sagen.

Bei meiner Rückkehr in die Hauptstadt erwartete mich ein geradezu beispielloser Empfang, dergleichen wohl selbst einem Könige noch nie zuteil geworden war.

Das Jahr 68 war inzwischen herangekommen. Ich ernannte diejenigen meiner Söhne, die das betreffende Alter erreicht hatten, zu Statthaltern und reiste bald darauf ab. Ende Juni traf ich in der Hauptstadt meines zweiten Lehens ein und auch dort wurde ich mit den höchsten Ehren empfangen. Ich reiste schon nach vierzehn Tagen wieder ab, denn es zog mich nach meinem Fürstentum. Dort empfing mich Andreas. Er hatte mir zu Ehren ein prachtvolles Feuerwerk veranstaltet, das aber durch den herrlichen Sonnenschein viel von seiner Wirkung verlor. Dann gab ich Paul und Klementine, die ich für den König von Einundachtzig bestimmt hatte, meine Anweisungen und entließ sie nach diesem Königreich, nachdem ich ihnen zuvor noch ein Schreiben für den Erzbischof mitgegeben hatte. Diesem versprach ich darin meinen Besuch für das nächste Jahr. Ich hatte Paul vor der Abreise noch zum Bischof geweiht. Sie waren erst eine Woche in ihrer neuen Heimat, als alle Verheirateten entbunden wurden.

Die bemerkenswerteste Tat dieses Jahres war, daß ich meine fünfzehn jüngsten Stämme in Gruppen von je drei und drei in meinem Lehen verteilte. Ich sandte sie im November auf die Reise, die Mütter trugen ihre Säuglinge an der Brust. Das war also eine Auswanderung von 6080 Menschen und es wäre ohne mein neues Gesetz die doppelte Anzahl gewesen. Andreas blieb das Haupt von acht Stämmen, also einer Bevölkerung von ungefähr 30000 Riesen, und das war schließlich eine genügende Anzahl.

Zu dieser Zeit erhielt ich einen Brief von Jakob, der mich fragte, ob er vier der Nachbarkönige von Heliopalu, die ihn darum gebeten hatten, Stämme bewilligen dürfte. Ich riet ihm, meiner Methode zu folgen, und ihnen mit Ausnahme des ältesten die vier folgenden Stämme zu senden. Doch sollte er, dem als Patriarch dies Recht zustand, die Stammeshäupter zu Statthaltern ernennen. Meine Erlaubnis war für ihn vom größten Wert, denn seine Familie umfaßte 110000 Personen.

Jetzt verließ ich endlich das Fürstentum, um mich an den Hof zu begeben. Ich vermag den Empfang, der mir dort zuteil wurde, nicht zu schildern. Der König begrüßte mich in öffentlicher Ansprache und dankte mir dafür, daß ich auf dem großen Konzil die Religion der Megamikren von allen Flecken gereinigt hätte. Alle Welt sollte mich als den Großen Genius betrachten, der meine Gestalt angenommen hätte. Er schloß, ohne mir Zeit zu einer Antwort zu lasten, mit den Worten: »Nun wollen wir miteinander fröhlich sein, und Ihr sollt sehen, ob wir in Eurer Wissenschaft schon Fortschritte gemacht haben.«

Ich wurde nun in ein Laboratorium geführt, das wirklich aufs beste eingerichtet war. Der König berichtete mir dann, daß die Prinzen sich vor dem ganzen Kollegium der naturwissenschaftlichen Hochschule ausgezeichnet hätten, denn außer ihnen ahnte niemand etwas von der elektrischen Kraft. Sie kamen sich daher jetzt selbst wie kleine Gelehrte vor.

Zu Beginn des Jahres 69 erhielt ich Nachrichten von meinen Söhnen aus der Republik sowohl wie aus deren Lehen. Cäsar war ganz außer sich über die Sittenverderbnis der Republikaner, denn dadurch wurde auch sein Stamm zu Ausschweifungen verführt. Gerade die schönsten und vornehmsten Megamikren hatten es sich in den Kopf gesetzt, mit einem Riesen in intimer Freundschaft zu leben, und die dazu gehörigen Unzertrennlichen waren noch nicht einmal eifersüchtig, weil sie sich auf andere Weise schadlos hielten. Aber nicht nur die Roten sondern auch die Andersfarbigen hatten es darauf angelegt, die Riesen zu verführen. Umsonst eiferte Cäsar in den Gottesdiensten gegen diese Sünden, alle seine strengen Verbote erreichten nichts gegenüber diesen Versuchungen. Das schlimmste aber war, daß im Jahre 67 zehn Frauen nicht schwanger geworden waren, und im Jahr darauf waren es sogar schon dreizehn. Auch in diesem laufenden Jahr fürchtete er, daß viele dies Unglück haben würden, und fragte mich, was er tun sollte, um dem Übel zu steuern. Die armen Frauen kamen sich geradezu entehrt vor, sie weinten unaufhörlich und weigerten sich auszugehen, weil sie sich schämten. Sie waren ganz verzweifelt, daß sie nicht die Macht hatten, den ihnen angetanen Schimpf blutig zu rächen. Zwar fanden die Unzertrennlichen unsere Frauen sehr schön, doch wirkten sie gar nicht auf ihre Sinnlichkeit. Nur Roses Klugheit war es zuzuschreiben, daß es bisher noch nicht zu einem öffentlichen Skandal gekommen war. Nun aber war auch sie am Ende ihres Könnens angelangt und ein offener Skandal bereitete sich vor.

Merkwürdig war es, daß Daniel mir ganz dasselbe berichtete, nur waren die Einzelheiten anders. Daniel war nämlich ein äußerst geistreicher Lustspieldichter. Er hatte ein kleines Theater erbaut und der Herzog war ganz entzückt von den außerordentlich gelungenen Aufführungen, die Daniel veranstaltete. Nach einem Jahr lud der Fürst die Schauspieler zu einem intimen Souper ein. Da er sich aber heftig bald in diesen, bald in jenen jungen Riesen verliebte, wurde ihm die Anwesenheit der hübschen Unzertrennlichen bald lästig. Er soupierte also nur noch mit meinen armen jungen Riesen, die von dem Herzog mit Geschenken überschüttet wurden. Damit waren nun aber ihre Frauen keineswegs einverstanden. Sie waren geradezu rasend vor Zorn, daß sie nicht mehr schwanger wurden, und auch hier stand man kurz vor dem offenen Skandal. Er fragte mich nun um Rat. Sollte er das Theater ganz aufgeben? Oder sollte er eine Aussprache mit dem Herzog herbeiführen? Denn die Riesen blieben allen seinen Ermahnungen und Vorwürfen gegenüber völlig verstockt und gleichgültig. Sie sagten, er sollte ihnen doch verbieten, an den Hof zu gehen. Ganz sicher würden sie ihm gehorchen.

Dann hatte er noch einen andern großen Kummer. Einer seiner Sohne hatte sich bisher bei jeder Gelegenheit ausgezeichnet, denn er verfügte über ungewöhnliche Geistesgaben. Dieser verbrachte nun seit sechs Monaten alle Ruhestunden sowohl wie die ersten Stunden des Wiedererwachens außerhalb seines Hauses und niemand konnte ergründen, wohin er ging. Seine Frau die er zärtlich liebte, beklagte sich nicht über ihn, denn dazu gab er ihr keinen Anlaß. Doch verzehrte sie sich vor Kummer darüber, daß er sie nicht für würdig hielt, seine Geheimnisse zu teilen. Auf ihre Fragen hatte er nur erwidert, wenn er auch zugeben müßte, daß er zu unpassender Stunde geheime Besuche machte, so wäre er sich doch keiner Schuld bewußt. Schuldig würde er erst werden, wenn er sein Geheimnis preisgäbe, denn er hätte sein Wort gegeben, zu schweigen, bis die betreffende Persönlichkeit selbst ihm Erlaubnis gäbe, zu sprechen. Am Schluß des Briefes sprach er die düstersten Befürchtungen für die Zukunft aus. Natürlich stimmten mich diese Nachrichten äußerst nachdenklich, Elisabeth aber war ganz verzweifelt. Es galt, in beiden Stämmen der eingerissenen Sittenlosigkeit zu steuern. Da konnten Briefe nichts ausrichten, ich mußte schon persönlich zum Rechten sehen. Erst an Ort und Stelle konnte ich die geeigneten Maßnahmen treffen. Die Frauen der schuldigen Christen waren zu Nullen herabgesunken. Natürlich war das nicht buchstäblich zu verstehen, aber es beunruhigte mich doch sehr. Es hätte mich sehr betrübt, wenn die Fortpflanzung auf diese Weise eingeschränkt worden wäre, – das wäre gleichzeitig das Ende von Religion und Sittlichkeit, des häuslichen Friedens und der Harmonie zwischen den Ehegatten, kurz, der Untergang allen Familienglücks und der menschlichen Art überhaupt gewesen. Wir entschlossen uns daher, hinzureisen, machten aber vorher noch einen Abstecher zu Paul und Clementine, um zu sehen, wie sie sich im Königreich Einundneunzig eingelebt hatten.

Der Erzbischof nahm uns mit größter Herzlichkeit auf und stellte uns seinem Bruder, dem Könige vor, der uns mit Liebenswürdigkeit überhäufte. Mein Stamm hatte gerade mit den Bauten begonnen, und ich beglückwünschte mich zu der Weisheit, mit der mein Sohn über die ihm von mir zum Bau des Tempels und der Seminare bewilligten Summen verfügte. Nach drei Wochen reiste ich ab; ich nahm meinen Weg über zwei Lehen und erreichte die Hauptstadt der Republik im strengsten Inkognito. Cäsar und Rose suchten mich sofort auf und blieben vier Stunden bei mir. Dreiundzwanzig junge Männer im Alter zwischen zwanzig und dreißig Jahren, darunter zwei seiner eigenen Söhne, hatten sich einem unordentlichen Lebenswandel ergeben, wir hatten gerade den Monat März und Cäsar glaubte Grund zu der Annahme zu haben, daß in diesem Jahr über vierzig junge Frauen in der Blüte ihrer Jahre nicht schwanger werden würden. Er unterrichtete mich nun von allen Maßnahmen, die er getroffen hätte, um den Ausschweifungen der jungen Männer ein Ziel zu setzen, die er aufs tiefste beklagte, denn sie wurden ganz stumpf und träge und waren zu nichts mehr zu gebrauchen. Nur in der Gesellschaft ihrer Verführer, der Megamikren, lebten sie wieder auf. Er sah nur zwei Möglichkeiten vor sich, – entweder zur Negierung seine Zuflucht zu nehmen, oder aber den Megamikren trotz ihres Ranges den Zutritt zu sich zu untersagen. Ich war mit keinem dieser Vorschläge einverstanden.

Nun schlug ich Cäsar vor, am nächsten Tage mit den dreiundzwanzig Schuldigen und deren Frauen zum Mittagessen zu mir zu kommen und mich handeln zu lassen. Diese kleine Mittagsgesellschaft von fünfzig Personen war keineswegs heiter. Ich richtete ausschließlich an die Frauen das Wort. Sie gaben sich die größte Mühe, sich nichts merken zu lassen, konnten aber doch ihre Traurigkeit nur schlecht verbergen. Nach Tisch nahm ich dann die dreiundzwanzig Missetäter ohne die Frauen ins Gebet. Ich sagte ihnen etwa folgendes: »Ihr habt das fünfte Gebot übertreten und Gott hat euch in seiner unendlichen Barmherzigkeit ein Zeichen seines Zorns gegeben. Er hat den Leib eurer Frauen verschlossen und nur eine aufrichtige und augenblickliche Reue kann euch von seiner Ungnade retten! Wenn ihr von euren bösen Wegen umkehrt, so verspreche ich euch im Namen Gottes, daß er euch verzeihen und eure Frauen wieder fruchtbar machen wird. Doch weiß ich nicht, wie lange er euch noch auf dies Zeichen seiner göttlichen Vergebung warten lassen wird. Solltet ihr aber halsstarrig auf euren bösen Wegen beharren, dann würde ich nicht mehr wie ein Vater euch ins Gewissen reden, sondern dann müßte ich euch exkommunizieren! Ihr hättet dann zu unsern Gottesdiensten keinen Zutritt mehr, dürftet weder bei euren Frauen noch überhaupt in unsern Häusern wohnen und müßtet abgesondert von uns leben. Ihr hättet diese öffentliche Schande dann völlig verdient, das wißt ihr auch selbst. Bedenkt, daß ihr die ersten meines Stammes seid, die solchen Kummer, solche Schande über uns gebracht haben. Aus christlicher Barmherzigkeit nur habe ich diesmal noch Nachsicht mit euch, darum sollt ihr auch am 1. April eure Frauen und Familien ins Gotteshaus begleiten dürfen. Aber am 1. Mai würde ich euch unweigerlich ausschließen, wenn ihr euren lasterhaften Lebenswandel weiter fortzusetzen wagtet. Jetzt werdet ihr mit euren Frauen nach Hause gehen und ohne meine Erlaubnis keinen Schritt aus dem Hause tun! Sollten eure Freunde, die Megamikren, euch aufsuchen, so dürft ihr sie zwar in Gegenwart eurer Frauen höflich empfangen, doch dürft ihr euch nicht etwa mit ihnen zurückziehen. Sollten sie euch zum Ausgehen auffordern, so werdet ihr das ablehnen und ihnen sagen, daß ich hier bin und es euch streng verboten habe. Jetzt könnt ihr gehen!« Sie küßten mir beschämt die Hand und schlichen dann ganz verwirrt hinaus.

Ich erfuhr, daß sie am nächsten Tage drei Besuche bekommen hatten, doch hatten sie sich streng an meine Befehle gehalten. Auch die folgenden Tage blieben sie gehorsam zu Hause. Am 1. April hielt ich selbst die Predigt, der sie mit ihren Frauen beiwohnten. Sie sahen mit keinem Blick nach der Tribüne hin, wo Cäsar mir die dreiundzwanzig reizenden Närrchen zeigte, die sie verführt hatten.

Am Nachmittag kamen dann die dreiundzwanzig Frauen und baten mich, ihren Gatten zu verzeihen und ihnen wieder Freiheit des Ausgehens zu gestatten, denn sie wären ganz zerknirscht und von aufrichtigster Reue erfüllt. Ich erhörte ihre Bitten und sagte, daß ich von der Bekehrung ihrer Gatten ganz überzeugt sein würde, sobald ich von Cäsar hörte, daß die Frauen guter Hoffnung wären. Am nächsten Tage gingen sie denn auch wirklich aus. Ich ließ sie von einigen Gelbbunten beobachten, aber sie hatten nur einen Spaziergang unternommen. Am übernächsten Tage aber vergaßen sich die beiden ersten Schuldigen doch wieder. Sie fuhren im Wagen bis zu dem großen Flusse, wo ihre Freunde, die Megamikren, sie schon erwarteten. Dann waren sie plötzlich verschwunden, als ob die Erde sie verschlungen hätte. Erst sechs Stunden später kehrten sie wieder nach Hause zurück. Sicherlich hielten sie sich die ganze Zeit in einem verborgenen Schlupfwinkel am Flußufer auf. Nun faßte ich einen raschen Entschluß, den ich aber nur Cäsar mitteilte. Ich hieß sie mit ihren Frauen und einem meiner Sekretäre einen Wagen besteigen, setzte mich selbst mit meiner guten Frau in einen andern und erreichte innerhalb zwölf Tagereisen das Lehen des herzoglichen Verschwenders, wo wir Daniel und Luise freudig überraschten. Ich befahl dem Pförtner, den Gefangenen ein behagliches Zimmer anzuweisen, und machte sie darauf aufmerksam, daß mein Türhüter strengen Befehl hätte, sie nicht ausgehen zu lassen.

Den Nachmittag brachte ich mit Daniel und Luise zu, die mir ihr Herz ausschütteten. Auch hier war die Sittenlosigkeit erschreckend und fing schon an, meinen Stamm anzustecken. Neun Frauen waren nicht schwanger geworden und die schuldigen Gatten verspotteten die armen Wesen noch. Die Ärmsten waren ganz außer sich, denn der ganze Stamm kannte ihr Unglück. Die Schuldigen aber erblickten darin nicht etwa eine Strafe Gottes. Schon hatte sich der böse Geist der Eifersucht, der doch bisher in meinem Stamm ganz unbekannt war, dort eingenistet und in den Herzen der Frauen Wohnung genommen.

Ich mußte Mittel und Wege finden, um dem Unglück entgegenzuarbeiten, sonst wäre in der Zeit von wenig Jahren mein ganzer Stamm der Sittenlosigkeit anheimgefallen. Meine Religion wäre damit ebenso wie mein guter Ruf der Lächerlichkeit preisgegeben worden. Der Herzog war sich gar nicht bewußt, daß seine, wie er glaubte, so harmlosen Vergnügungen in meinem Stamm zu so ernsten und bedauerlichen Folgen führten. Ich konnte daher hoffen, daß ein offenes und ernstes Wort von mir genügen würde, um ihn tun zu heißen, was Ehre und Anstand geboten. Ich hatte ihn als so gerecht und einsichtsvoll kennengelernt, daß ich glaubte, ihm fehle weiter nichts wie ein ehrlicher Ratgeber, der seine Fehler nicht beschönigte. So entschloß ich mich denn zu diesem bedenklichen Schritt, jedoch nicht, ohne vorher alles reiflich erwogen zu haben. Vor allem hatte ich mich genau über die Charaktere der Missetäter unterrichtet. Es handelt sich eigentlich mehr um einen unbesonnenen Streich. Ich konnte freilich nur mit großer Vorsicht zu Werke gehen und mußte eine günstige Stunde abwarten, um mit dem Herzog zu sprechen. Nichts ist ja so schwierig und heikel, als einem Fürsten ins Gewissen zu reden.


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