Giacomo Casanova
Eduard und Elisabeth bei den Megamikren
Giacomo Casanova

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Als ich daheim angekommen war, sandte ich vor allem Albert zum Herzog mit einer Kopie des Friedensvertrags. Elf weitere Riesen sandte ich als Boten an meine anderen Niederlassungen, um ihnen die frohe Botschaft und meine Befehle verkünden zu lassen. Die Republik hielt alle ihre Verpflichtungen genau ein, und nachdem ich die Bergfeste durch Daniel hatte übergeben lassen, schickte ich alle meine Riesen nach Hause. Die Frauen und Kinder kehrten auf dem Wasserwege heim. Der Herzog des Republik-Lehens tat mir durch Eilboten kund, daß er dem Staatskabinett die Mitteilung zu machen wünsche, daß er eine besondere Gesandtschaft, bestehend aus drei roten Paaren entsandt haben wolle. Ich übernahm es gern, dies zu verkünden, und wünschte dabei, mein lieber Senator möge zu dieser außerordentlichen Gesandtschaft gewählt werden, um aus dem Rate der Siebzehn herauszukommen. Er wurde wirklich gewählt und bekundete mir sein Vergnügen, einen Fürsten kennenzulernen, der so viel von sich reden gemacht habe, besonders aber das Thronfolgerpaar. Das einzige, was ihm etwas unangenehm erschien, war die Aussicht, vierundzwanzig Jahre mit seiner Familie zu verbringen. Ich lud ihn zu einem großen Festessen mit weiteren zwölf Paar Roten nach seiner Wahl ein. Er mußte dort mit seinem Unzertrennlichen erscheinen, den ich neugierig war, kennenzulernen. Der Charakter dieses schönen Megamikren, den der Senator nicht als seine Hälfte liebte, war schon dazu angetan, Gefallen zu erregen, doch sah ich auch, daß er niemals einem Unzertrennlichen mit den Eigenschaften jenes anderen angenehm sein könnte.

Ich entsandte Daniel in das Lehen, indem ich ihm versprach, ihn mit der großen Gesandtschaft aufzusuchen, allein Gott hatte mich zu einer Reise von bedeutend größerer Wichtigkeit ausersehen. Den Rest des Jahres und die Hälfte des folgenden verbrachte ich damit, Feste zu geben und zu besuchen und Cäsar im Zusammenschluß der drei Landstriche zu einer einzigen Stadt zu unterstützen. Überall begegnete man mir mit ausgesuchter Höflichkeit, und wenn man mich auch nicht liebte, so lag kein Grund vor, mich zu hassen, denn ich hätte sie ja schließlich den Frieden weit teurer erkaufen lassen können. Mein liebenswürdiger Senator hatte für die dramatische Kunst eine noch größere Leidenschaft als für die Baukunst. Er hatte mir öfter von einem hübschen Theater erzählt, das er auf einem ihm gehörenden schönen Landgut erbaut hatte, welches sechzig Wegstunden von der Hauptstadt entfernt war. Er sagte mir, er habe auf dieser Bühne in mehreren von ihm selber verfaßten Stücken gespielt und werde sich für den glücklichsten aller Megamikren halten, wenn ich mich entschließen könnte, ihm das große Vergnügen zu machen und zwei Ernten mit ihm auf seinem Landgut zu verbringen. Er sprach mit mir so oft und mit solcher Beredsamkeit hierüber, daß ich wirklich Lust zu diesem Besuch bekam. Ich entschloß mich, mit meiner Frau, mit Tolomäus und dessen Frau und zehn oder zwölf Knaben seines Stammes hinzugehen. Bis zur Abreise der Gesandtschaft müssen noch drei Ernten vergehen; wenn ich daher zwei Ernten bei dem Senator verbrachte, konnte ich noch rechtzeitig nach der Hauptstadt zurückkehren, um mit unserem Freunde und mit den zwölf anderen Senatoren, die nach einem Artikel des Friedensvertrages die rechtmäßige Erbfolge des Herzogs anerkennen sollten, nach dem Lehen abzureisen.

Wir verließen die Hauptstadt am 10. Januar unseres 81. Jahres nach meiner Ankunft in jener Welt, deren Sitten, Religion, Natur und vielleicht auch Ruhe und Glück zu ändern ich geboren war.

Der Anstand verlangte, daß der Senator seinen Unzertrennlichen mit seiner ganzen Familie, auch den von ihm zärtlich geliebten Bastarden mitnahm. Wir brauchten elf Stunden, um auf seinem Landgut und in seinem schönen Hause anzulangen, wo wir sehr bequem untergebracht wurden. Nach einigen Tagen ging dieser prächtige Mensch allein mit mir und meiner Frau auf einer großen Wiese am Ufer eines Kanals spazieren. Er sagte mir, der ganze Grund und Boden, den wir auf vier Meilen in der Runde sähen, gehöre ihm und sei ein Schatz, der ihn zum reichsten Herrn der Republik machen würde, wenn er ihn ausbeuten könnte. Es sei eine ganze Ansammlung von Minen roten Goldes; aber um diese auszubeuten, müsse man die Ader finden, und für die Ausgrabungen und die unterirdischen Stollen müsse man Summen ausgeben, die er nicht besitze. Er ließ uns in eine Art Höhle von neunzig Klaftern Tiefe eintreten, die sein Großvater mit Aufwand großer Kosten erweitert habe, und in der die mit Kieseln vermischte Erde den deutlichsten Beweis lieferte, daß sie mit dem kostbaren Metall geschwängert war. Wir sammelten etwas von dieser Erde in ein Tuch und untersuchten sie noch am gleichen Tage in einem dem Senator gehörenden Laboratorium, worin sich eine Mühle befand. Wir gewannen durch Vermischung mit Quecksilber an reinem Golde den sechzehnten Teil des Gewichtes der gemahlenen Masse und dabei war es noch nicht mal die Hauptader.

Nach dieser wichtigen Entdeckung entschloß ich mich, meines Freundes Glück zu machen, so weit dies von mir abhinge. Ich dachte darum ein möglichst großes Stück Erdreich in die Luft zu sprengen, denn auf diese Weise würde ich sicherlich an irgendeiner Stelle die Goldader finden. Ich teilte meinen Plan dem Senator mit. Dieser antwortete mir, er sei sehr glücklich, daß die Angelegenheit mich interessiert habe, und überlasse es mir, vollkommen nach meinem Willen alles zu tun. Ich sagte ihm, er brauchte sich um weiter nichts zu bekümmern, als mir Bauern zu verschaffen, die bereit seien, meine Befehle auszuführen, und ich schrieb sofort an den Prinzen Cäsar, er möge mir auf Karren alles grüne und blaue Pulver schicken, das er besitze, und schleunigst neues anfertigen. Er schickte mir am fünften Tage Pulver genug, um dreißig Quadratmeilen Erdreich in die Luft zu sprengen.

Zunächst machte ich am Eingang der Grotte einen halbkreisförmigen Gang von hundert Schritten Länge und zwei Klaftern Tiefe nach der Seite, wo ich die wagerechte Abweichung beobachtet hatte; dieser Minengang diente mir zugleich als Versuch; denn ich war in meinem Alter von fünfundneunzig Jahren ein völliger Neuling in dieser Art von Arbeit. Mein Gang war eine Klafter breit und zwei Fuß hoch. Es war ein außerordentliches Werk: ich beabsichtigte in einem Nu ungefähr 200 Kubikklafter Erde zu beseitigen. Da ich mir bewußt war, von diesen Sachen nichts zu verstehen, so verließ ich mich auf einen Versuch, denn ich hatte durch Experimentierung schon viel schwierigere Sachen zustande gebracht. Der ganze Gang sollte als Mine dienen; ich lud ihn mit 4000 Pfund Pulver in gleichmäßiger Verteilung und brachte am Eingang eine Lederröhre von anderthalb Zoll Durchmesser an, die mit Pulver gefüllt war; den Gang schloß ich an beiden Enden mit großen Steinen, um eine seitliche Entladung zu verhindern; dagegen ließ ich in die Decke des Ganges eine Anzahl kegelförmiger Öffnungen bohren, um dadurch zu erreichen, daß die Wirkung des Pulvers sich nach oben hin richtete. An das freigebliebene Ende der Lederröhre, die eine ganz enge Öffnung hatte, befestigte ich eine Papierlunte von 1000 Doppelschritten Länge, denn ich wagte die Mine nur aus einer Entfernung von einer Meile anzuzünden. Nachdem ich alle diese Vorbereitungen getroffen hatte, zündete ich die Lunte an, die das Feuer in einem Augenblick an die Lederröhre brachte. Die Mine flog mit einem furchtbaren Krach auf und gewährte uns einen interessanten Anblick: 200 Kubikklafter Erdreich flogen im Halbkreise in die Luft und bildeten nach dem Niederfallen einen Haufen, der sechsmal größer war als der vorher eingenommene Raum. Die ganze Gesellschaft war bei diesem Versuch anwesend. Es war gut, daß wir uns in so großer Entfernung gehalten hatten; denn die Sprengwirkung war sehr bedeutend und ich erkannte, daß ich mit der Hälfte des Pulvers das gleiche Ergebnis erzielt haben würde. Eine Minute nach der Explosion wurden wir durch eine Art Regen von kleinen Steinen belästigt und ein sehr dichter Staub nötigte uns, den Ort in schnellem Lauf zu verlassen. Der Himmel blieb während einer guten Viertelstunde trübe, aber dann war alles wieder heiter und ruhig.

Ich hatte den Senator gebeten, mir alle Bauern zur Verfügung zu stellen, die er aus den benachbarten Dörfern hatte kommen lassen. 20 000 Mann schafften in weniger als einer Fünftagewoche den ganzen halbkreisförmigen kleinen Berg fort, der durch die Sprengung entstanden war. Die Untersuchung ergab viel Erde und Kiesel mit Spuren gediegenen Goldes, aber kein Anzeichen, daß die Hauptader getroffen war. Aber in der Zeit von einem Monat gelang es mir, durch Ausgrabungen und durch die Sprengung kleiner Minen in einer Tiefe von zehn Klaftern einen halbkreisförmigen Raum von achtzig Klaftern Durchmesser zu entdecken, der nach meiner Überzeugung zur Hauptgoldader gehören mußte. Die ganze Familie des Senators war voller Freuden und ich selber fühlte mich sehr befriedigt. Die Republik wurde allerdings Eigentümerin der Minen, aber die Hälfte des Erträgnisses gehörte auf ewige Zeit dem Senator und seinen Nachkommen.

Ich ließ neue Minen in der Richtung auf die Ader zutreiben, und zwar teils in senkrechter, teils in wagerechter, teils in schräger Richtung. Was ich entdeckt hatte, war bereits sehr bedeutend und genügte vollständig, um dem Senator sehr großen Reichtum zu sichern; und wenn ich auf diesen gehört hätte, so hätte ich das Bergwerk in dem Zustande gelassen, in den ich es bis dahin gebracht hatte; denn der Goldreichtum war so groß, daß die Mine tausend Jahre lang mit reichem Ertrage bearbeitet werden konnte. Aber mein Werk erschien mir unvollkommen. Ich wollte es krönen, indem ich von der Tiefe der Höhle nach der Oberfläche zu arbeiten ließ, um festzustellen, ob das beobachtete Ende des Golderzganges unten dasselbe sei wie oben. In wenigen Tagen kamen die Arbeiter zwölf Klafter aufwärts mittels eines Ganges von mehr als achtzig Klaftern, denn die Ader verlief in Windungen. Gleichzeitig ließ ich von oben arbeiten und man hatte von dort bereits achtzig Klafter tief gegraben und nach meiner Meinung gerade die dickste Stelle der Ader erreicht, da stieß man auf so harten Fels, daß man ausweichen mußte, um wieder Erdreich zu erreichen. Dasselbe begegnete den Leuten, die von unten her arbeiteten. Die obere Ausgrabung befand sich jedoch nicht senkrecht über dem unteren Gange, sondern die seitliche Entfernung betrug mehr als sechzig Klafter.

Durch einen sehr engen Erdgang, der wegen des anstoßenden Gesteines nicht erweitert werden konnte, trafen die Arbeiter in einer Tiefe von achtundzwanzig Klaftern auf eine unregelmäßig gebildete Felsenkammer. Ich konnte nicht zu ihr gelangen; da ich sie aber untersuchen wollte, entschloß ich mich, den Weg zu erweitern, was durch Sprengungen leicht möglich war.

Ich schätzte den Rauminhalt der Kammer auf acht Kubikklafter, und da ich nur fünfundzwanzig bis dreißig Klafter Felsgestein sprengen wollte, so teilte ich 1000 Pfund Pulver in eine Kufe und brachte an dieser eine Sprengröhre an. Ich ließ meine Kinder und die Familie des Senators eine zwei Meilen entfernte Anhöhe besteigen, von der aus sie den prachtvollen Anblick sehr gut mußten sehen können und nach meiner Meinung vor den Sprengstücken des Gesteins vollkommen sicher waren. Die Pulverlunte machte ich zwei Meilen lang nach der entgegengesetzten Richtung hin; ich selber wollte sie in Brand setzen. Nachdem ich also alle meine Angehörigen, die mir blindlings gehorchten, an einen sicheren Ort gebracht hatte, begab ich mich ganz allein nach der Stelle, wo ich die Lunte entzünden wollte. Kaum aber hatte ich fünfzehn Schritte gemacht, so kam meine Frau lachend mir nachgelaufen und sagte mir, sie wolle mich nicht allein dorthin gehen lassen, obgleich mehr als zwanzig Megamikren mich an dem Ort erwarteten. Sie nahm also meinen Arm und in langsamem Gehen kamen wir in zwei Stunden bei der Zündstelle an, wo ich sofort die Pulverlunte in Brand setzte.

Ich blickte nach der Stelle hin, wo ich große Felsblöcke in die Luft fliegen sehen mußte, und wunderte mich bereits, als nach einem furchtbaren unterirdischen Donner, der von einem heftigen Stoß des unter mir befindlichen Erdbodens begleitet war, ich plötzlich platt auf den Bauch fiel. Ebenso ging es meiner Frau, die meinen Arm noch nicht losgelassen hatte. Gleichzeitig flog der ganze Boden, auf dem wir ausgestreckt lagen, in einem Stück in die Luft; er nahm uns mit so ungeheurer Geschwindigkeit mit sich, daß durch den Luftdruck uns sicherlich die Brust zerquetscht worden wäre, wenn wir statt auf den Bauch auf den Rücken gefallen wären.


Das Emporfliegen der großen Felsplatte, auf der wir lagen, kann etwa fünf Sekunden gedauert haben; ich fühlte, wie die Schnelligkeit allmählich nachließ, und öffnete die Augen in demselben Augenblick, da die Platte, die den Höhepunkt erreicht hatte, senkrecht wieder herunterfiel. Ich sah, daß die Oberfläche der Platte etwa drei Klafter im Geviert messen konnte; über ihre Dicke vermag ich nichts zu sagen. Ich schloß sofort die Augen und hielt mir mein Taschentuch vor Mund und Nase.

Die Bewegung, die ich verspürte, als wir fielen, war im Beginn ebenso langsam, wie die Bewegung bei Schluß des Emporsteigens gewesen war; aber die Schnelligkeit steigerte sich in ungeheurer Weise und wurde so groß, daß ich das Gefühl hatte, wie wenn ich überhaupt nicht mehr auf der Platte läge. Der Fall dauerte sicherlich um ein Drittel länger als der Aufstieg: ein sicheres Zeichen, daß die Linie, die wir beim Fall zurücklegten, mindestens doppelt so lang war wie die des Aufstiegs. Ich muß annehmen, daß in dem Abgrund, in den unser Felsenbett hineinfiel, ein fester Körper den Stoß auffing; denn wir wurden plötzlich in die Luft geschleudert und die Platte zersprang beinahe zu Staub. Wir flogen jedoch nicht sehr hoch, sondern fielen sofort wieder, wobei meine Frau mich fortwährend umschlungen hielt. Bei diesem neuen Fall war unsere Platte nicht mehr vorhanden; die zurückgelegte Linie war bedeutend länger als die des Emporsteigens nach dem Aufschlagen der Platte. Sie muß länger gewesen sein, denn wir brauchten mehr Zeit dazu. Als wir zwei Drittel dieses neuen Falls zurückgelegt hatten, bemerkten wir, daß wir nicht mehr auf dem Bauch, sondern umgekehrt auf dem Rücken lagen, denn der Luftdruck verhinderte uns am Atmen; wir waren jedoch sicher, daß wir uns bei dem Fall durch die Luft nicht herumgedreht hatten. Unser Fall verlangsamte sich – eine ganz erstaunliche Erscheinung, da er nach dem Gesetz immer schneller werden mußte. Einen Augenblick darauf erkannten wir, daß die von uns zurückgelegte Linie eine aufsteigende sein mußte, denn plötzlich fielen wir wieder, ohne daß wir an einen festen Körper angestoßen hätten. Wir befanden uns in einer Umgebung von sehr dichtem, mit Steinchen vermischtem Staube, bis wir von einer dicken Flüssigkeit aufgehalten wurden, was mir damals unbegreiflich erschien. Wir hatten ein Gefühl, wie wenn wir in einen sehr feinen Sand versänken. Es war wirklich Sand, doch dauerte dies zum Glück nur einen Augenblick, denn wir wären erstickt.

Wir waren jetzt vollkommen unbeweglich und benutzten triebmäßig unsere Arme und Hände, um uns aus diesem dichten Staub oder feinen Sand hervorzuarbeiten, der uns am Atmen hinderte. Wir strengten alle unsere Kräfte an, um so schnell wie möglich aufstehen zu können oder wenigstens den Kopf frei zu machen. Es gelang uns vollkommen; aber wir wagten noch nicht, mit vollen Zügen zu atmen. Der Boden, auf den wir fielen, konnte uns nicht das Rückgrat zerbrechen, denn im Anfang war er dickflüssig, dann nach und nach so elastisch wie eine mit Werg oder mit Roßhaar gefüllte Matratze, und dann erst wurde er härter und schließlich ganz hart. Das Unbegreiflichste war für uns in diesem Augenblick, daß wir nicht auf dem Bauch, sondern auf dem Rücken lagen.

Wir fühlten etwas auf uns herabrieseln, was dem dicken Staub glich, der beim Einreißen einer alten Mauer aufsteigt. Das Herabrieseln dieses Staubes kann nur vier oder fünf Sekunden gedauert haben, genügte aber schon, um unsere Körper mit einer vier Zoll dicken Schicht zu bedecken. Wir wären verloren gewesen, wenn wir nicht bereits unsere Köpfe freigemacht gehabt hätten. Als das Herabrieseln völlig aufhörte, überzeugte ich mich, daß wir unbeweglich auf dem Boden lagen und daß von keiner Seite auch nur das geringste Geräusch zu hören war; ich entfernte mein Taschentuch, das ich bisher vor Mund und Nase gehalten hatte, und öffnete die Augen; ich schloß diese aber sofort wieder und hielt mir auch das Taschentuch wieder vor, da sich noch zu viel Staub in der Luft befand. Auffallend war mir, daß ich in dem Augenblick, als ich die Augen öffnete, einen hellen Schein sah. Acht oder zehn Sekunden später machte ich wieder einen Versuch und fühlte, daß die Luft sich atmen ließ; es war höchste Zeit, denn das Einatmen der Luft durch das Taschentuch wurde sehr ermüdend. Nach zehn oder zwölf Atemzügen fand ich mich ruhig und frisch gestärkt; ich öffnete abermals die Augen und betrachtete aufmerksam eine Art Licht, das ich zu meinem Erstaunen sah. Ich schlang meinen rechten Arm um meine Frau, und dabei verschwand das Licht, was mich außerordentlich überraschte. Indessen erkannte ich nach kurzem Nachdenken, daß das Licht von dem großen Karfunkel ausging, der sich in der Agraffe ihres Mantels befand. Da die Luft wieder natürlich geworden war und nichts mich mehr am Atmen noch am Sehen verhinderte, rief ich meine geliebte Frau, die mich an meiner Linken immer noch eng umschlungen hielt, bei ihrem Namen an. Sie erfüllte meine Seele mit köstlicher Freude, als sie mit vollkommen klarer Stimme fragte: »Wo sind wir?« Ich versuchte ihr so gut wie möglich zu erklären, was nach meiner Meinung mit uns vorgegangen war. Meine Frau antwortete mir, unser Zustand sei viel weniger verzweifelt, als derjenige, in dem wir uns vor einundachtzig Jahren befunden hatten; denn wir befänden uns auf festem Grunde, könnten ungehindert atmen, hätten zum Glück Licht bei uns und brauchten durchaus nicht jede Hoffnung aufzugeben, an das Tageslicht zu gelangen. Bei diesen Worten drehte sie sich um, ich folgte ihrem Beispiel und wir begannen den uns bedeckenden dichten Staub von uns abzuschütteln. Hocherfreut waren wir, als wir bemerkten, daß wir die Beleuchtung von vier Karfunkeln hatten; wir würden sechs gehabt haben, wenn wir nicht in dem Abgrund unsere Kappen verloren hätten, an denen sich die beiden größten Karfunkel befanden.

Wir entschlossen uns, aufzustehen, und taten dies, obgleich nicht ohne Furcht und nicht ohne Schwierigkeit. Wir kamen gleichsam aus einer Nische hervor, denn wir sahen im Sand die Abdrücke unserer Gestalt. Wir gingen eine halbe Stunde lang sehr mühsam über den bereits geschilderten sehr dichten Staub hinweg und kehrten um, als wir sahen, daß der Weg abwärts führte und daß der Boden schlammig wurde.

Als wir wieder an der Stelle waren, von der wir ausgegangen waren, hörten wir in dem drückenden Schweigen eine klagende Stimme, die uns erschreckte oder doch wenigstens überraschte. Wir blieben stehen und lauschten einen Augenblick mit gespannter Aufmerksamkeit. Da hörten wir klar und deutlich in Megamikrensprache die Worte: »Habt Erbarmen mit mir!« Ich dachte mir sofort, es könne nur einer der Megamikren sein, die sich bei der Lunte befunden hatten; er mußte auf dieselbe Weise gerettet worden sein wie wir. Ich sagte dem Unglücklichen, den ich nicht sah, er möchte versuchen, zu uns zu kommen, denn wir bemerkten ihn nirgends. Er antwortete, er sei verschüttet und es läge ein großes Gewicht auf ihm; nur sein Kopf sei frei. Wir begannen sofort ihn zu suchen und entdeckten ihn auch bald, indem wir dem Klang seiner Stimme folgten. Wir räumten eine Menge Sand zur Seite und zogen ihn hervor. Es war ein buntgescheckter Bauer, der uns sehr überraschte, als er, anstatt uns zu danken, sich auf den Rücken warf – dies ist bei den Megamikren die Stellung der ehrfürchtigsten Anbetung – und ein Dankgebet an die Sonne richtete, die ihm Gnade geschenkt habe. Diese Handlung demütigte und beschämte uns; denn wenn wir dieses Gefühl in unseren Herzen gehabt hätten, so hätten wir ein Dankgebet nicht versäumt und es wäre nicht nötig gewesen, daß ein Heide zu unserer Beschämung uns ein so schönes Beispiel von Frömmigkeit gab. Augenblicklich machten wir es wie er, ohne zu knien, ohne uns hinzuwerfen, aber mit einem tiefinnerlichen Gebet con le ginocchia della mente inchine,Wörtlich: mit den gebeugten Knien des Geistes, d. h. im Geiste knien. wie es sich dem Schöpfer gegenüber mehr geziemt als das Gestammel aller Nationen. Nachdem der Megamikre der von ihm verehrten Gottheit gedankt hatte, eilte er auf uns zu und küßte uns hundertmal die Füße.

Nach unseren Uhren war es sieben Uhr; wir verbrachten vier Stunden damit, auf zwanzig Schritte in der Runde den ganzen Schult wegzuräumen, um womöglich irgendeinen anderen Megamikren zu finden und ganz besonders den Unzertrennlichen des Gescheckten, der uns versicherte, er habe neben ihm hinter unseren Füßen während aller unserer Flüge durch die Luft gelegen. Als wir nach langer Nachforschung unsere Bemühung aufgeben wollten, da wir überzeugt waren, daß der Unzertrennliche unterwegs verloren gegangen sei, fand der arme Megamikre ein Bein und rief uns heran. Wir eilten herzu und fanden, nachdem wir den Schutt weggeräumt hatten, einen Toten. Wir waren tiefbetrübt, daß er zu seinem Schmerz seinen Unzertrennlichen erkannte, und wir vergaßen unser eigenes Unglück, um nach Kräften den verwaisten Megamikren zu trösten.

Wir begannen nun aufs Geratewohl in entgegengesetzter Richtung wie bei unserem ersten Versuch zu wandern. Da wir uns in dichter Finsternis befanden, durften wir nicht hoffen, uns unter freiem Himmel zu befinden; wir glaubten in einer ungeheuren Höhle zu sein, deren Wölbung wir nicht sehen konnten, da das Licht unserer Karfunkel zu schwach war. Der Boden, auf dem wir wanderten, war zu unserem Erstaunen sehr eben. Wir gingen weiter, ohne zu wissen wohin; nach zwei Stunden setzten wir uns auf die Erde, weil wir uns ermüdet fühlten. Die Luft war weder warm noch kalt. Obgleich wir einer Todesgefahr entgangen waren, kannten wir unseren traurigen Zustand gut genug: keine lebende Seele war zu erblicken; wir wußten, daß wir verhungern mußten. Es war natürlich, dies zu wissen; es war aber auch natürlich, daß die gleiche Vorsehung, die uns bei der Explosion der Mine vorm Tode bewahrt hatte, uns aus diesem Abgrund herausführen und uns Nahrung finden lassen würde; denn aus eigenen Kräften konnten wir uns nur sehr kümmerlich helfen. Wir konnten uns allerdings bewegen, aber kamen wir damit auch wirklich von der Stelle? Unmöglich konnten wir hoffen, vorwärts zu kommen, wenn wir nicht emporstiegen; wir bemerkten aber nur Ebene. Der Gescheckte hatte Mut und viel gesunden Verstand. Er sagte uns, er wünsche uns einen Dienst zu erweisen, bevor er sterben müsse, denn er sei ja glücklicher als wir, indem er den wesentlichen Teil seiner Nahrung bei sich trage; mit diesem könne er sich fünfzig bis sechzig Tage lang am Leben erhalten, obgleich er keine Zukost habe. Er erbot sich, die Höhle in einer dritten Richtung zu untersuchen, während wir uns ausruhten. Wir billigten seinen Einfall und ich gab ihm einen Karfunkel als Leuchte mit, indem ich ihn bat, er möchte immer achtgeben, uns nicht aus dem Gesicht zu verlieren; dies mußte ihm leicht sein, da das Licht unserer Karfunkel ihm stets den Ort anzeigte, wo wir auf ihn warteten, sobald er uns etwas Gutes zu melden hätte, oder wenn er uns aus dem Gesicht verlieren müßte: in diesem Fall sollte er sofort umkehren. Nachdem er diese Vorschriften angehört hatte, entfernte er sich.

Was hätten wir ohne die Hilfe unserer Karfunkel gemacht? Wir würden nicht gewagt haben, uns zu rühren, denn die Finsternis konnte nicht schwärzer sein, als sie war. Wir wären des grausamsten Todes gestorben: wir wären verhungert. Keine Spur von einer menschlichen Wohnung war zu erblicken und wir hofften auch keine zu finden, denn es lag außerhalb aller Wahrscheinlichkeit, daß an einem solchen Ort vernunftbegabte Wesen sein könnten. Wir erwarteten kein anderes Lebewesen zu finden als Insekten, von denen wir weder Hilfe noch Licht erwarten konnten. Wie konnten wir annehmen, daß es Bewohner an einem Ort gebe, wo kein Licht, keine Kräuter, keine Früchte, kein Wasser, überhaupt kein Pflanzenwuchs vorhanden waren? Indessen waren wir sicher, daß wir uns im Schoße unserer heimatlichen Erde befanden und daß wir von der Oberfläche der Erdkugel nur zweiundneunzig geographische Meilen in senkrechter Richtung entfernt sein konnten. Nun konnten wir doch nicht hoffen, durch das Wasser und das Feuer hindurchzukommen, die nach der Überzeugung aller unserer Naturforscher sich im Innern unserer Erde befinden müßten. Wir waren in tiefer Seele betrübt, da wir bei reichlicherem Nachdenken uns sagen mußten, daß wir unmöglich an die Oberfläche der Erde gelangen konnten; wir waren ja selber auf dem Wege in die Welt der Megamikren in unserer Kiste durch Flammen, durch zackige Felsenabgründe und durch schlammige Meere gekommen. Wir erblickten im Geist unsere Kinder in der Megamikrenwelt, wie sie in Verzweiflung wären; aber hierum bekümmerten wir uns am wenigsten und durften es auch nicht. Nur aus dieser furchtbaren Höhle herauszukommen, ein Wunder zu finden, um emporzusteigen und England wiederzusehen, damit beschäftigten sich einzig und allein unsere Gedanken.

Unser Megamikre war bereits zwei Stunden fort. Wir hatten unsere Karfunkel uns mitten auf unsere Stirn gebunden und brachten diese der Richtung zu, in der er fortgegangen war. Das Licht seines Karfunkels bemerkten wir nur von Zeit zu Zeit, wenn er sich umdrehte. Wir seufzten in düsterer Traurigkeit.

Schließlich bemerkten wir in großer Entfernung einen Lichtfunken, der nicht mehr verschwand und immer in derselben Richtung blieb. Wir schlossen daraus, daß unser Megamikre zurückkehrte. Nach unserer Schätzung war er sechs englische Meilen entfernt, und in dieser Annahme täuschten wir uns nicht, denn er brauchte drei europäische Stunden, um uns wieder zu erreichen. Wir waren prachtvoll gekleidet, mit so reichem Schmuck, wie hier auf Erden nur ein König ihn tragen könnte, denn an unseren Mänteln und Gewändern befanden sich Diamantschnallen. Wenn wir noch unsere Kappen gefunden hätten, so würden wir einen wahren Schatz nach England gebracht haben, denn die Steine, mit denen sie besetzt waren, waren von außerordentlicher Größe und vom reinsten Wasser. Endlich kam unser Gescheckter heran und sagte uns, nach einer Wanderung von zwölf oder vierzehn Megamikrenmeilen durch eine vollkommen gleichförmige und unfruchtbare Ebene sei er an das Ufer eines Teiches mit ruhigem Wasser gekommen, dessen Oberfläche zwei Ellen unterhalb des Erdbodens stehe. Er habe sich nicht durch die Farbe des Wassers erschrecken lassen, das merkwürdigerweise nicht rot, sondern blau oder grün sei, sondern sei hineingesprungen. Bei dem Schein seines Karfunkels habe er zahlreiche Fische gesehen, sie seien nicht geflohen und er habe sie berührt, habe aber nicht gewagt, sie zu ergreifen, weil er gefürchtet habe, sich an ihren scharfen Flossen zu verletzen. Er sei wieder an das Ufer geschwommen und habe da allerlei zusammengerafft. Und dies Allerlei zeigte er uns, indem er seinen Schnappsack vor uns ausleerte.

Diese Erzählung interessierte uns sehr. Wir untersuchten beim Schein unserer vier Karfunkel alles, was er uns mitgebracht hatte, und wir sahen Muscheln von verschiedenen Formen, die mir bekannt, und von anderen, die mir völlig fremd waren. Wir verzichteten auf die langen, spitzen und spiralförmigen, weil wir nicht wußten, wie wir sie zerbrechen sollten. Als ich aber Muscheln von der Form unserer Miesmuscheln und große kugelige, die ich für Austern hielt, bemerkte, zog ich mein Messer und öffnete eine Miesmuschel, deren Wasser ich trank. Ich fand es ausgezeichnet, wie auch das von einer der kugelförmigen Muscheln, in der ich wirklich eine Art Auster fand. Die Miesmuschel wie die Auster waren köstlich zart und schmeckten sehr angenehm. Unbedenklich aß ich nun die Muschel und die Auster in mehreren Bissen; denn sie waren sechsmal so groß wie unsere englischen. Ich reichte auch meiner Frau davon, die ebenso unbedenklich aß wie ich. Wir würden nicht so kühn gewesen sein, die Auster zu essen, wenn wir sie nicht von England her gekannt hätten. Vergebens bot ich meine ganze Beredsamkeit auf, um unseren Megamikren-Freund zu bewegen, mit uns zu essen. Ich sagte ihm, er werde Hungers sterben; er antwortete mir, dann werde er zur Sonne eingehn. Ich versetzte, dies sei nicht möglich, denn wir befänden uns außerhalb der Welt des großen Helion. Als er dies hörte, warf er sich zu Boden und begann zu jammern und solche Tränenströme zu vergießen, daß wir das größte Mitleid mit ihm hatten; aber wir wußten nicht, was wir dabei machen sollten. Wir aßen Miesmuscheln und Austern, bis wir keine mehr sahen. Unser Gescheckter fragte uns, ob er hoffen könne, seine Seele zu retten, wenn er Christ werde. Diese Frage rührte uns. Daß ich nicht aus freien Stücken mich bereits erboten hatte, ihn zu taufen, rührte daher, daß ich niemals einen Megamikren aufzufordern pflegte, sich taufen zu lassen; außerdem glaubte ich nicht, daß die Taufe zum Seelenheil notwendig sei. Ich wandte mich also nun dem armen Geschöpfe zu und fragte ihn, ob er von unserer Religion unterrichtet sei; zu unserem Erstaunen sagte er unser Gesetz und unsere Glaubensartikel her. Er sagte mir, der von dem Großen Genius geschleuderte Bannfluch habe ihn davon abgehalten, um die Taufe zu bitten. Ich fragte ihn, zu welcher Familie er gehöre, und er sagte mir, er sei der ältere Bruder meines lieben Senators. Unter Tränen prüfte ich ihn im Katechismus und fand ihn sehr bewandert. Meine gute Frau schluchzte so, daß ich glaubte, sie werde ersticken. Der Megamikre trocknete unsere Tränen mit unseren feinen Tüchern und fragte uns, warum wir weinten. Meine Frau antwortete ihm, wir weinten vor zärtlicher Freude bei dem Gedanken, daß er sich sein Seelenheil sicherte. Zugleich bat sie ihn, zu bedenken, daß die neue Religion, zu der er sich nunmehr bekennen wolle, ihn verpflichte, an die Erhaltung seines Lebens zu denken und Nahrung zu sich zu nehmen. Er antwortete: »Lehrt mich, wie ich es anfangen kann, mich ohne Nahrung zu nähren.« Wir wußten nicht, was wir ihm antworten sollten, und gingen nach dem Teich, da ich ihn nicht ohne Wasser taufen konnte. Wir würden den Weg nicht gefunden haben, wenn er nicht mit einem Löffel, den er in seinem Schnappsack gehabt hatte, Zeichen gemacht hätte. Ohne das Licht unserer Karfunkel und ohne diesen Megamikren wäre ich nicht nach England gekommen.

Unterwegs fragte er mich, ob der Fluch des Großen Genius bis in eine andere Welt wirke, wo die Sonne selber keine Macht habe. Erstaunt über diese ebenso einfache wie vernünftige Frage antwortete ich ihm als Philosoph: Wenn die Sonne Gott sei, werde der von ihm gefürchtete Fluch in alle Welten dringen, denn Gott sei überall; da aber die Sonne nur ein Geschöpf sei, so habe er nichts zu befürchten. Wir kamen in zwei Stunden an den Teich, wo ich ihn taufte; ich nannte ihn meinen Sohn und schenkte ihm den Karfunkel. Er überschüttete uns mit unzähligen Liebkosungen, nachdem wir ihn abgetrocknet hatten, und machte die geistreichsten Bemerkungen über das Geschenk des Karfunkels: »Mein Bruder, der Senator, der einzige adelige Sohn meines Vaters, besitzt nicht einen einzigen Stein von diesem Wert, und ich gelange in dessen Besitz in einem Augenblick, da er mir nicht einmal fünf Schüsseln Gemüse verschaffen kann, um mich einen einzigen Tag zu nähren. Ich kann ihn nicht einmal testamentarisch irgend jemandem hinterlassen: ich bitte Euch daher, den Stein wiederzunehmen, wenn ich tot sein werde, und versichere Euch, meine Seele wird ihre Freude dran haben, wenn anders sie imstande ist, sich von dem abzulenken, was in der anderen Welt Gottes Glorie ist.«

Diese Unterhaltung tröstete uns etwas in unserer großen Betrübnis. Ich wollte das Wasser dieses Sees oder Teiches oder Flusses kosten – ich wußte nicht, was für ein Gewässer es eigentlich war – und fand den Geschmack ekelhaft, so daß ich es sofort wieder ausspuckte. Es war für uns ein großes Unglück, daß wir kein Wasser hatten; denn der Durst quälte uns. Wir waren bereits sechs Stunden ununterbrochen immer am Ufer des Sees entlang gewandert und waren so müde, daß wir uns nicht mehr auf den Beinen halten konnten, sondern uns zu Boden werfen mußten. Wir dachten, das Wasser des Sees, ob gut oder schlecht, werde uns jedenfalls für den Augenblick erfrischen. Wer von Durst gequält wird, bildet sich ein, irgendeine Flüssigkeit und wenn es selbst Gift wäre, werde doch den Durst löschen. Aber das Wasser mußte erst geschöpft werden und wir hatten ja keinen Topf, kein Glas, keine Schüssel. Da füllte der Megamikre seine hohlen Händchen und wir tranken, ohne uns um den Geschmack zu bekümmern; aber eine Minute darauf überfiel uns eine heftige Übelkeit, die erst aufhörte, als wir nichts mehr im Magen hatten. Hinterher waren wir unglaublich schwach. Wir lagen ausgestreckt bewegungslos und besinnungslos am Ufer des Teiches; so schliefen wir ein und wachten erst nach zwölf Stunden wieder auf. Unser Megamikre, der nicht geschlafen hatte, äußerte seine Befürchtungen wegen unseres langen Schlafes; wir beruhigten ihn darüber und erklärten ihm, daß wir im Gegensatz zu den Megamikren regelmäßig das Bedürfnis zu schlafen hätten. Zu unserer großen Überraschung fühlten wir uns kräftig und vollkommen gesund.

Ohne Durst, ohne bitteren Geschmack im Munde, waren wir imstande, weiter zu wandern; aber zu unserer Bekümmernis sahen wir, daß unser Gefährte sehr schwach war. Wir nötigten ihn mit Gewalt, sich abwechselnd von mir und meiner Frau tragen zu lassen, denn wir mußten so bald wie möglich feststellen, wo der See mündete. So wanderten wir sechs Stunden, bis die Müdigkeit uns zwang, wieder haltzumachen. Wir entschlossen uns, etwas zu essen, selbst auf die Gefahr hin, daß hinterher der Durst uns nötigen würde, von dem Seewasser zu trinken.

Am Ufer des Sees sitzend, baten wir den Gescheckten, uns wieder einen Vorrat von den Muscheln, wie das erstemal, zu besorgen. Er sprang sofort in das Wasser und kam gleich darauf mit einer großen zweischaligen Muschel und bat mich, diese zu öffnen, um nachzusehen, ob der Inhalt eßbar sei; denn in diesem Falle könne er uns leicht so viele bringen, wie wir nur wünschen könnten, und zwar Muscheln, die viermal so groß wären, wie sein Kopf. Ich öffnete die Muschel sofort und fand darin ein sehr weiches Tier, das wie ein Schwamm aussah und sich nach allen Seiten hin gleichmäßig bewegte. Ich fühlte mich nicht versucht zu essen, aber meine Frau sagte mir, die beiden schönen Schalen könnten uns als Schüsseln dienen: sogleich hatte sie einen prachtvollen Einfall, den sie sofort auszuführen beschloß, aber ohne ihn mir mitzuteilen. Sie rief den Megamikren zu sich heran und begann ihm die Brust leerzusaugen und die Milch in die Muschel fließen zu lassen, sobald ihr Mund voll war. Mit großer Geschicklichkeit saugte sie so viele Milch ab, daß sie ihm in den Muschelschalen fünf Portionen reichen konnte, die er mit den Zeichen der größten Dankbarkeit zu sich nahm. Eine Stunde später fand er sich so gut genährt, wie wenn er die Milch seines eigenen Unzertrennlichen erhalten hätte. Er sagte uns, er wisse wohl, daß dies das einzige Mittel sei, um ihn vielleicht nun noch eine Ernte lang am Leben zu erhalten; aber er habe nicht gewagt, uns dies zu sagen, weil es nicht unserer Würde entspräche, ihm diesen großen Dienst zu leisten. Elisabeth versicherte ihm, daß sie es sehr gerne jeden Tag tun werde.

Diensteifrig machte er sich auf, uns etwas zu suchen, damit wir eine gute Mahlzelt halten könnten. Ich sagte ihm, er würde mir einen Gefallen tun, wenn er mir die größte Muschel brächte, die er entdecken könnte; nur müsse es eine zweischalige sein, denn mit den kegelförmigen oder spitzen könnte ich nichts anfangen. Er begann zu tauchen und brachte uns in weniger als einer halben Stunde in drei oder vier Füllungen seines Schnappsackes so viele Muscheln, daß zwölf Personen davon hätten satt werden können. Außerdem brachte er uns sechs Fische, die er mit den Händen zu greifen gewagt hatte, weil sie keine Stacheln hatten. Ich bin nicht in der Lage, diese Fische zu benennen; der Form nach waren sie von allen uns bekannten verschieden; sie hatten, was nicht weiter zu verwundern ist, da sie in vollständiger Dunkelheit lebten, keine Augen. Der Megamikre sagte mir, er würde mir eine prachtvolle Muschel gebracht haben, wenn er stark genug gewesen sei, sie zu tragen; sie sei aber doppelt so groß wie mein Kopf. Ich fragte den Gescheckten, ob der See sehr tief sei, und da antwortete er mir, die Tiefe betrage keine zwanzig Ellen, so war ich rasch entschlossen. Ich ließ mir Haare und Bart von meiner lieben Frau in ein Tuch einwickeln und sagte dem Gescheckten, er möchte mit mir bis an die Stelle schwimmen, wo ich durch senkrechtes Tauchen die Muschel finden würde. Dies geschah. Wir hatten drei Karfunkel bei uns, die im Wasser ebenso hell leuchteten wie im Licht; sobald ich die schöne Muschel sah, nahm ich sie in den Arm und schwamm mit dem anderen an das Ufer. Sobald ich abgetrocknet war, machte ich mich daran, sie zu öffnen. Dies gelang mir auch, wenngleich mit vieler Mühe; denn so schwach auch der Schließmuskel war, so war doch die Muschel selbst so hart wie Stein. Auf diese Weise setzte ich mich in den Besitz von zwei schönen Näpfen, von denen jeder mehr als sechs Pfund Wasser enthielt. Das innere der beiden Schalen war so blank und glatt wie das schönste japanische Porzellan.

Ich setzte mich nun an den Rand des Sees und machte zwei kleine Betten von Tang, den ich in reichlicher Menge am Ufer fand; auf dieses stellte ich meine beiden Muscheln. Dann begann ich Austern und Miesmuscheln zu öffnen und legte die halb in ihnen enthaltenen Tiere in die eine Schale, nachdem ich ihr Wasser in die andere gegossen hatte. Als ich sah, daß ich reichlich zwei Schoppen hatte, lud ich meine Frau zum Mahle ein; wir aßen Muscheln und Austern und tranken dazu von Zeit zu Zeit einen Schluck, bis wir uns satt fühlten. Die Fische hätten eine bessere Nahrung gegeben, aber ich hätte sie kochen müssen und dazu fehlte mir Brennstoff. Wir hatten zwar alle drei eine Dose mit Brennpulver, daß man bei den Megamikren stets bei sich trägt, um die Räucherkräuter anzuzünden. Aber in diesem Augenblick nützte uns das Brennpulver nichts, weil ich nur Seetang hatte; ich versuchte zwar diesen anzuzünden, aber vergeblich: er wollte nicht in Brand geraten. Unser Getränk war übrigens köstlich: es wäre aber noch bekömmlicher gewesen, wenn es einen weniger harten Geschmack gehabt hätte. Es tat uns leid, daß unser lieber Freund fasten mußte; ich hätte Mehl haben müssen, um ihn zu ernähren, aber ich sah kein Korn und wußte auch keine Möglichkeit zu ersinnen, eine Mühle herzustellen. Wir überließen uns einem sanften Schlummer, der gut vier Stunden dauerte; beim Erwachen fühlten wir uns kräftig genug, um unsere Reise fortzusetzen, unsere beiden Schalen nahmen wir mit; die toten Fische, mit denen wir nichts anzufangen wußten, warfen wir in den See zurück, wo jedenfalls größere Fische sie verspeist haben werden.

Wir marschierten zehn Stunden lang, ohne etwas Neues zu sehen, immer am Ufer des Sees entlang. Es blieb der gleiche Boden, das gleiche Schweigen; diese Eintönigkeit brachte uns zur Verzweiflung. Wir mußten Berge sehen: jeder Schritt, den wir in der Ebene machten, schien uns verloren zu sein und war es auch wirklich; denn vorwärts konnten wir nur kommen, wenn wir emporstiegen. Der See mußte aber doch einmal ein Ende und das Wasser mußte eine Quelle haben. Beides am Fuße eines Gebirges zu finden, war unser Sehnen.

Die Natur sagte uns, daß wir uns durch ein wenig Nahrung neue Kräfte erwerben müßten, und unser Gescheckter ging daher wieder auf die Jagd. Der Wunsch, mir Feuer zu verschaffen, veranlaßte mich, einen neuen Versuch mit dem Seetang zu machen: ich hoffte, ihn in Brand setzen zu können, wenn ich das Feuer von unten wirken ließ. Ich machte also mit einer Art Sand, den ich aufraffte, einen halbkreisförmigen Ofen, legte auf diesen den Seetang und darunter das Brennpulver. Der Seetang gab nur einen dichten Rauch von sich, aber zu meiner großen Überraschung sah ich den Sand sich entzünden. Der Megamikre sagte mir, dieser Sand sei Naphtha in Pulverform. Das Pulver hatte einen unangenehmen Geruch beim Verbrennen, aber das Feuer war so stark, daß es vom Wasser nicht gelöscht, sondern im Gegenteil nur noch mehr angefacht wurde. Es war das sogenannte griechische Feuer.

Kaum hatte ich diese Entdeckung gemacht, so bat ich unseren Freund, mir Fische von der Art der in den See zurückgeworfenen zu holen. Ich baute mir einen neuen Ofen, diesmal nicht von dem brennbaren Sand, sondern von einem dicken Lehm, den ich in einiger Entfernung vom Seeufer fand und in meinen Händen herbeitrug. Ich legte das Naphthapulver in die Mitte des Ofens, wie man es sonst mit Holz tut. Und dann öffnete ich so viel Austern und Muscheln, daß ich mit ihrem Wasser eine von meinen Schalen beinahe ganz ausfüllte. Ich stellte diese auf die Ränder des Ofens und zündete den Sand an, dessen Flamme das Wasser in der Schale in weniger als einer Viertelstunde zum Kochen brachte. Der Megamikre hatte mir zwei schöne Fische ohne Stacheln gebracht, die ich in einem Augenblick ausnahm: ich fand in dem einen eine Menge Rogen, in dem anderen Milch, die ich beide beiseite legte. Als ich sah, daß meine Fische gar gekocht waren, legte ich sie in die andere Schale und tat in die Brühe die Eier und die Milch: die Eier gingen auseinander und die Milch gerann.

Wir hielten eine köstliche Mahlzeit; besonderes Vergnügen machte es uns, daß der Megamikre zehn oder zwölf Löffel voll von diesen Fischeiern als Zwischengericht zu seiner eigenen Milch aß, die meine gute Frau ihm in der kleinen Muschelschale reichte, nachdem sie sie ihm abgesaugt hatte. Hocherfreut waren wir, als wir nach einigen Stunden sahen, daß diese Nahrung unserem lieben Kleinen keinen Schaden getan hatte; aber leider war unsere Hoffnung vergeblich: die Nahrung entsprach doch nicht seiner Natur und bald mußten wir sehen, daß er jeden Tag magerer wurde. Wir mußten uns also darauf vorbereiten, ihn zu verlieren. Der Magen der Megamikren ist so eingerichtet, daß sie nur Speisen verdauen können, die beinahe flüssig sind; die aus Mehl und Kräuterresten bestehenden Fischgerichte sind die einzige Speise, die sie außer der Milch ihrer Unzertrennlichen vertragen können.

Wir verfielen nach dieser Mahlzeit in einen süßen Schlummer. Nach zehn Stunden erwachten wir und nahmen unsere Wanderung wieder auf, die wir wieder zehn Stunden lang ohne jede Unterbrechung fortsetzten, da wir ein Gemurmel hörten, das aus weiter Ferne an unsere Ohren drang und immer stärker wurde. Wir waren ungeduldig, zu sehen, was dieses Geräusch zu bedeuten habe, und erlaubten uns daher keinen Augenblick Ruhe, als bis wir an einer Quelle angelangt waren, die dieses Geräusch verursachte. Es war ein ziemlich kräftiger, aber nicht sehr wilder Wasserfall. Mit besonderer Freude sah ich, daß das Wasser von einer Anhöhe herabkam, die sich unmittelbar am See erhob. Gott sei gelobt, sprach ich zu meiner Frau, wir werden jetzt das Steigen beginnen; wir müssen aber tüchtig essen und ordentlich ausruhen. Denn die Anstrengung des Steigens wird viel größer sein als bisher unsere Wanderung in der Ebene.

Wir setzten uns also an das Ufer des Sees und aßen wie beim vorigen Mahle nach Herzenslust. Unser Kleiner brachte uns zehn oder zwölf Fische, die ich sofort abkochte; sie sahen ähnlich aus wie Krebse. Der Megamikre sagte uns, es seien viele von dieser Sorte im See; die vorigen Male habe er uns aber keine mitgebracht, weil er sie jedesmal mit ihrem Unzertrennlichen beschäftigt gesehen habe; er nannte sie demgemäß »schamlose Fische«. Ich fand es eigentümlich, daß auch wir aus der Oberwelt ein Schaltier haben, das fast immer im Begattungsakt getroffen wird; es heißt infolgedessen Alpheste, was dasselbe bedeutet wie das Megamikrenwort für »schamlos«. Wir fanden die Fische köstlich, ebenso das Wasser, das unser Megamikre uns von der Quelle holte. Nachdem wir uns mit Speise und Trank erfrischt hatten, überließen wir uns einem langen Schlaf. Nach unserem Erwachen dachten wir vor allen Dingen daran, uns mit so vielen Lebensmitteln zu versehen, wie wir nur irgend tragen konnten; denn wir mußten befürchten, daß wir im Gebirge keine Nahrung mehr finden würden. Ich füllte die großen Taschen unserer Mäntel mit einer Menge Naphtha, mit Alphesten und mit so vielen Muscheln, wie hineingingen. Es tat mir vor allen Dingen leid, das ausgezeichnete Wasser zurücklassen zu müssen, da wir durchaus nicht sicher waren, daß wir anderes trinkbares Wasser finden würden. Ich war fest entschlossen, unter keinen Umständen wieder umzukehren.

Wir begannen zu steigen und nach kaum zwei Stunden hörten wir nicht das geringste Geräusch mehr. Wir gingen langsam, waren aber trotzdem bald so ermüdet, daß wir ausruhen mußten; wir versuchten uns wieder zu kräftigen, indem wir etwas aßen. Nach diesem Frühstück marschierten wir zehn Stunden lang, während welcher wir nur von Zeit zu Zeit einen Augenblick stehenblieben, um Atem zu schöpfen. Der Weg wurde bald sehr steil, das Erdreich war vollkommen unbewachsen; wir wanderten in einer natürlichen Höhle, deren Wölbung bald sehr hoch war, bald aber auch so niedrig, daß wir uns bücken mußten, um vorwärts gehen zu können. Völlig erschöpft machten wir halt, als wir an ein kleines Fleckchen ebenen Erdreichs von etwa sechs Ellen im Geviert kamen. Ein Bächlein mit recht gutem Wasser floß unmittelbar vorbei; beim Scheine von vier Fackeln, wie kein Monarch der Oberwelt sich rühmen kann, sie zu besitzen, nämlich unserer Karfunkel, öffnete ich Austern und Muscheln in genügender Menge. Hierauf brachte ich Wasser zum Kochen und kochte einen schönen Fisch, den wir aßen. Die Brühe tranken wir hinterher, nachdem Elisabeth auch den Megamikren gespeist hatte.

Nachdem wir zehn Stunden geschlafen hatten, machten wir uns frischgekräftigt wieder auf den Weg; leider waren unsere Beine an den Knöcheln geschwollen und wir hatten keine Schuhe mehr, denn die bisher von uns getragenen waren auf dem felsigen Erdreich, über das unser Weg führte, bereits zerrissen. Schenkel, Arme und Rücken schmerzten uns dermaßen, daß wir sie nicht bewegen konnten, ohne jeden Augenblick unwillkürlich zu stöhnen. Das größte Unglück war für uns, daß wir ohne Schuhe auf den spitzen Steinen marschieren mußten; denn wir konnten leicht voraussehen, daß dies bald verhängnisvolle Folgen haben würde. In diesem kläglichen Zustand hatten wir trotzdem die Kraft, elf Erdentage zu wandern. Aber wie sahen wir aus, als wir zum elften Nachtlager uns ausstreckten! Unsere Beine waren furchtbar angeschwollen, die Fußsohlen ganz zerrissen und blutig; wir mußten befürchten, daß unsere offenen Wunden brandig würden. Es war verhältnismäßig noch das geringste Unglück, daß wir als ganze Nahrung für uns nur noch wenige gekochte Fische und etwa ein Dutzend Austern besaßen. Unser Freund, dem meine Frau zweimal täglich seine Milch reichte, hielt sich noch am besten aufrecht; aber er war sehr abgemagert.

Wir aßen das Wenige, was wir noch hatten. Bevor wir uns ausstreckten, um uns, wenn möglich, einen süßen Schlummer zu verschaffen, warf ich einen Blick auf meine Füße und Beine und auf die meiner Frau und sah mit Verzweiflung, daß es uns unmöglich sein würde, unseren Weg fortzusetzen, wenn die Entzündung nicht zurückging. Wir hätten auf der Stelle sterben müssen. Meine Frau konnte nichts anderes tun, als daß sie unsere Taschentücher mit einer köstlichen Essenz tränkte, die sie bei sich hatte; mit diesen umband sie die Stellen, wo uns die Gefahr am größten schien.

Als wir erwachten, war die Entzündung vollkommen verschwunden; die Schrammen waren vernarbt, wir fühlten uns vollkommen kräftig. Nur die Fußsohlen waren noch voll von blutigen Stellen. Hierbei war aber nichts zu machen; wir mußten weiter wandern auf die Gefahr hin, daß wir tot niedersinken würden. Wenn unser Schicksal es so bestimmt hatte, so mußte es sich erfüllen. Wir waren sicher, in diesen elf Tagen mindestens 220 englische Meilen bergaufwärts gemacht zu haben. Wir mußten uns infolgedessen mindestens 30 Meilen in senkrechter Richtung höher befinden als die Stelle, von der wir ausgegangen waren. Ich war der Meinung, wir müßten der gütigen Vorsehung auch selber helfen, uns zu retten; solange wir noch einen Atemzug hätten, müßten wir daher vorwärtsgehen, um so hoch zu kommen, wie es überhaupt möglich wäre. Wenn wir nur höher kamen, war ich befriedigt; der Gedanke, daß wir immer abwärts gehen müßten, machte mich schaudern. Hundertmal sagte ich dem Megamikren, wenn er mich darauf aufmerksam machte, daß wir abwärts gehen müßten, um vorwärtszukommen, weil wir sonst umkehren müßten: so lange wir emporsteigen, kommen wir auf unserer Wanderung vorwärts, denn deren Ziel ist nur der Gipfel des Berges, an welchem wir die Öffnung der Grotte finden werden.

»Vorwärts!« rief ich aufspringend; »wir gehen so lange, wie wir noch einen einzigen Schritt machen können, und wenn wir Hungers sterben müssen!«

Während der ersten Viertelstunde unserer neuen Wanderung waren die Schmerzen in den Fußsohlen fast unerträglich; aber wir kamen doch vorwärts, wenngleich sehr langsam, und als unsere Füße erst warm geworden waren, ließen auch die Schmerzen nach. Nachdem wir einen kleinen Umweg gemacht hatten, wozu uns der Berg nötigte, sahen wir alle drei ein Licht, das wie ein Stückchen farbigen Himmels aussah, der sich oberhalb einer großen Anhöhe erstreckte. Dieser überraschende Anblick machte uns Mut und ich sah bei dieser Gelegenheit, daß der Mut wirklich Kräfte gibt, die man bisher nicht gehabt hat.

Je höher wir stiegen, desto glänzender wurde das Licht und breitete sich immer weiter aus. Wir hatten jetzt keine Furcht mehr, daß wir umkommen müßten. Man braucht wirklich nur ein Licht, um in der größten Not neue Hoffnung zu fassen.

Mein Nachdenken sagte mir, daß dieser Schein, den ich sah, nicht der Himmel unserer Oberwelt sein könnte; denn wir wagten nicht zu hoffen, daß wir der Oberwelt bereits so nahe wären. Was konnte es also sein? Licht ist es; und Licht kann nur eine gute Bedeutung für uns haben. Wenn Gott es will, so werden wir entdecken, woher dieses Licht stammt.

Nach vier Stunden wurde dieser rötliche Lichtschein so stark, daß wir unserer Karfunkel nicht mehr bedurften. Meine Frau hoffte, es sei das Tageslicht; der Megamikre aber glaubte, er käme wieder in seine Megamikrenwelt zurück. Ein furchtbares donnerndes Geräusch traf unsere Ohren, aber immer nur in Zwischenräumen. Ich sah hinter mir völlige Dunkelheit; zur Rechten und zur Linken erstreckten sich hohe Wölbungen ohne Ende und vor mir sah ich den Lichtschein, wenn ich meine Augen erhob. Nachdem wir 200 Schritte steil emporgestiegen waren, mußten wir uns ausruhen; da wir aber nicht mehr das Geringste zu essen hatten, so begriff ich, daß wir uns nur sehr kurze Zeit aufrechterhalten könnten, denn wenn unsere Fußsohlen wieder abgekühlt wären, hätten wir den Weg nicht weiter fortsetzen können. Die Tränen meiner Frau zerrissen mir das Herz, obwohl ich nicht weniger litt als sie; ich glaubte aber gegen uns selbst grausam sein zu müssen. Sobald ich bemerkte, daß die Ruhe uns behagte, sprang ich auf und erklärte ihr, wir dürften uns nicht von unserer Weichlichkeit verführen lassen, weil wir sonst sicherlich verhungern würden. »Dort oben auf dem Berge«, rief ich aus, »werden wir Leben oder Tod finden: die Quelle dieses Lichtes ist ganz gewiß nicht in einer Höhlung des Gebirges.«

Ein neues Unglück, das die schlimmsten Folgen hätte haben können, hätte uns beinahe allen Mut geraubt und uns vollständig zur Verzweiflung gebracht. Seit drei Stunden hatte die Luft sich abgekühlt; die Kälte wurde immer grimmiger und wir litten unter ihr so sehr, daß wir es kaum noch aushalten konnten. Der Megamikre war so erschöpft, daß er sich zur Erde sinken ließ und nicht weitergehen konnte; ich mußte ihn auf meinen Arm nehmen. Außerdem sahen wir zu unserer Linken einen unermeßlichen Abgrund, aus dem ein orkanartiger Wind herausblies, der unsere Leiden vermehrte, weil er die Kälte noch empfindlicher machte. Andererseits half er uns aber auch auf unserer Wanderung, weil er von hinten wehte und uns auf diese Weise vorwärtstrieb.

Plötzlich waren wir am oberen Ende der furchtbaren Bergkletterei angelangt; wir sahen uns am Rande einer großen Ebene, die ganz mit Gräsern und Kräutern bedeckt war; zugleich erblickten wir rechts von uns in einer Entfernung von ungefähr drei englischen Meilen eine Flamme, die etwa hundert Schritte breit sein mochte. Die Höhe dieser Flamme betrug anscheinend ungefähr fünfzig Schritte; in Wirklichkeit mußte sie viel bedeutender sein, denn sie kam aus einer Höhlung des Berges hervor. Bei dem Schein dieser Flamme sahen wir über uns das unermeßliche Gewölbe, dessen Ende nicht abzusehen war. Es entsprach vollkommen den Beschreibungen, die man uns in unserer Jugend von der Hölle gemacht hatte. Wir sprachen darüber untereinander, aber ohne Angst; wirkliches Leiden benimmt oft die Furcht vor eingebildeten Gefahren. Als wir ein Stück Weges in dieser Ebene zurückgelegt hatten, hörte der Wind auf und auch die Kälte war nicht mehr zu spüren. Wir setzten uns in das Gras. Kaum hatte der Wind aufgehört, ließ der grollende Donner, den wir vorher schon vernommen hatten, sich abermals hören. Er war aber unregelmäßig, wie die Flamme selber, die bald höher aufflackerte, bald in sich zusammensank. Wie es uns schien, warf das Feuer feste Körper von beträchtlichem Umfang aus: wir sahen diese von allen Seiten emporsteigen und in den Krater zurückfallen. Der Hekla auf der Insel Island, den wir vor einundachtzig Jahren gesehen hatten, war im Vergleich zu diesem Vulkan nur ein Strohfeuer.

Während wir bei diesem Anblick wie betäubt saßen, hatte unser kleiner Freund im Busen meines Mantels seine natürliche Wärme wiedergewonnen. Er sagte uns, er fühle sich kräftig genug, um sich auf den Weg zu machen und nachzusehen, ob er nicht irgendwelche Nahrung entdecken konnte. Wir entließen ihn mit unseren besten Segenswünschen. Unsere Füße waren ganz blutig; die Schmerzen kaum noch erträglich. Während der anderthalb Stunden, die unser kleiner Freund fort war, trat in unsere Wunden der Brand. Die Angst schnürte uns fast die Herzen zusammen.

Nachdem der Wind aufgehört hatte, war die Luft warm geworden, war aber so von Schwefeldunst erfüllt, daß wir dachten, der Gestank werde uns töten. Außerdem wurde uns eine furchtbare Angst eingejagt bei dem Anblick einer Menge von großen und kleinen Schlangen, die mit entsetzlichem Zischen um uns herumkrochen und uns oft ganz nahekamen. Ich hatte zwei Pistolen mit Pulver und Kugeln bei mir; diese konnten mir aber nichts nützen, denn die Schlangen waren zu zahlreich. Meine Frau, das arme Weib, schien in Ohnmacht gefallen zu sein.

Plötzlich kehrte unser Megamikre ganz atemlos zurück und warf sich in meine Arme. Er sagte uns, er fliehe vor drei Schlangen, die er gesehen habe; sie seien allerdings nicht ein Zehntel so groß wie die heiligen Schlangen in seiner Welt, aber die sähen ganz ähnlich so aus wie diese und zischten auch ebenso; wir möchten uns doch ja vor ihrer berechtigten Wut und Rache in acht nehmen. Ohne mich um meine Schwester zu bekümmern, suchte ich zunächst den guten Kleinen zu beruhigen. Ich versicherte ihm, erstens könnten nur denkende Leben Rachepläne schaffen. Zweitens könnten die Schlangen, die er gesehen hatte, nicht wissen, daß ich die heiligen Schlangen getötet hätte. Die Schlangen, die wir hier sehen, wären nicht bösartig; wir müßten uns nur in acht nehmen, daß wir nicht auf sie träten. Das Zischen sei weiter nichts als ihre Sprache. Um ihn zu beruhigen, tat ich denn auch, wie wenn ich über das Zischen der Schlangen lachte, die um uns herumkrochen; meine gute Frau war mutig genug, es über sich zu gewinnen, daß sie ebenfalls über die Schlangen und ihr Zischen lachte. Dies genügte, um dem guten Kleinen das Leben wiederzugeben. Er zitterte wie Espenlaub, aber unsere Reden nahmen ihm jede Furcht. Das war gut, denn es war für uns sehr notwendig, daß seine kleine Seele im Gleichgewicht blieb.

Wir leerten nun seinen Schnappsack, der mit allerlei Kräutern von verschiedener Art angefüllt war. Ich betrachtete aufmerksam fünf oder sechs duftige Pflanzen; ihr lieblicher Geruch sagte mir, daß sie eßbar seien. Eine von diesen glich unserm Fenchel, den ich einmal in England gegessen hatte. Ich zog mein Messer hervor, um eine von den Pflanzen zurechtzumachen. Dies gelang mir auch ganz gut; als ich sie aber zum Munde führen wollte, da sah ich etwas Furchtbares! Großer Gott, welch ein Augenblick! Meine ganze Seele schauderte zusammen. Ich saß neben meiner Frau im Grase. Der Megamikre stand aufrecht zwischen meinen Beinen. In diesem Augenblick sah ich nur vier Zoll von meinem Knie entfernt eine Schlange, die mich erhobenen Hauptes mit flammenden Augen ansah, während ihre heftige Zunge aus dem Rachen hervorragte. Die Schlange war nicht dicker als ein dicker Aal, aber sie war mindestens zwei Klafter lang. Ein Gefühl des Ekels, das ich nicht zu erklären vermöchte, machte mich bewegungslos und raubte mir die Sprache. Ich hielt die Fenchelwurzel einen Zoll breit von meinem Munde entfernt unbeweglich in meiner Hand; dabei klopfte mir das Herz, wie wenn es mir aus dem Leibe springen wollte. Meine Frau, die wegen unseres vor ihr stehenden Megamikren die Schlange nicht sehen konnte, fragte mich überrascht wegen meines Zögerns: »Hast du etwa Angst, die Wurzel könnte giftig sein?« Mit diesen Worten nahm sie mir den Fenchel aus der Hand und führte ihn zum Munde. Sie zerkaute die Wurzel und versicherte mir, sie sei köstlich. Ich griff plötzlich in die Tasche meines Mantels, um eine Pistole zu ergreifen. Ich verwandte keinen Blick von dem scheußlichen Reptil. Meine Frau nahm den Rest des Fenchels, schnitt davon ein Stück ab, das sie mir in den Mund steckte. In dem Augenblick, als sie wieder ein Stück abschneiden wollte, näherte der Megamikre sich ihr und sie sah die Schlange. Bei diesem Anblick stieß sie einen so furchtbaren Schrei aus, daß der Gescheckte ihr in den Schoß fiel und die Schlange entfloh. Ohnmächtig sank meine Frau auf mich. Ich fand in ihrer Tasche ein Büchschen mit einer Essenz, die sie besonders liebte, und rieb ihr die Schläfen damit ein. Hierauf ließ ich sie daran riechen und bald darauf kam sie wieder zur Besinnung. Ich sagte zum Megamikren, der ganz verzweifelt war, weil er glaubte, er habe Gift gebracht: sie sei nur infolge der Schmerzen ihrer wunden Fußsohlen in Ohnmacht gefallen.

Kaum war sie zur Besinnung gekommen und sah die Schlange nicht mehr, so fragte sie mich, ob ich das scheußliche Tier gesehen hätte. Ich sagte ihr die ganze Wahrheit und sagte ihr offen, daß ich große Angst gehabt hätte. Zugleich aber erklärte ich ihr: wir müssen den Entschluß fassen, vor diesem verfluchten Gewürm keine Furcht zu haben, sondern nur ernstlich daran denken, unsere Gesundheit wiederzuerlangen und vor allem ein Mittel zu finden, um in Zukunft unsere Fußsohlen zu schützen. Denn es sei wohl möglich, daß wir noch nicht den dritten Teil des Weges bis zur Oberfläche unserer Welt zurückgelegt hätten. Wir wandten uns mit unseren Gebeten an Gott, dessen Mitleid wir anflehten, um uns aus aller Qual zu befreien. Niemals hatten wir inbrünstiger und mit glühenderem Eifer gebetet. Ich kam aus einer Welt, wo ich der Erste, wo ich sozusagen Herr der Natur gewesen war; und nun sah ich mich in der Welt, wo ich geboren war, als ein armseliges, jämmerliches Geschöpf. So ist der Mensch! O du Senator, was hast du angerichtet!

Wir aßen den ganzen Fenchel, der vorhanden war; und nachdem wir unserm lieben Freund seine Nahrung gegeben hatten, begann ich auch alle anderen Pflanzen zu untersuchen. Ich fand darunter grüne Bälle in der Größe von Weintrauben. Wir erkühnten uns, sie auszusaugen, und wagten am nächsten Tage sogar, sie ganz und gar zu essen. Sie waren süß. Wir aßen sie jedoch nicht mehr, als wir merkten, daß sie abführend wirkten, wenn auch nur leicht; die Frucht hatte einen harzigen Saft, der dem der Purgierwinde glich. Verschiedene Latticharten und andere Pflanzen ließ ich unberührt, da wir nach der Versicherung unseres Megamikren sehr reichlich Fenchel zur Verfügung hatten. Ich sah auch eine kleine Pflanze mit einer Zwiebel, die sehr saftig war; sie war aber nach meiner Meinung zu klein. Ich fragte daher unsern Pflanzensammler, ob er nicht auch größere von der Sorte gesehen hätte, und er zeigte mir vier Schritte von uns entfernt eine Pflanze, die so groß war wie er selber. Es war eine Szilla, ein Liliengewächs. Nach der Höhe der Pflanze zu rechnen, mußte ihre Zwiebel doppelt so groß wie mein Kopf sein. Sie ist die saftreichste aller Lilienzwiebeln; ich füllte unverzüglich unsere Muschelschalen mit ihrem Saft. Ich kostete diesen, trank aber nur sehr wenig, denn ich weiß, daß es eines der stärksten harntreibenden Mittel ist, die die Natur aufzuweisen hat. Der Saft schmeckte fast wie Wein; ich wollte wissen, ob er uns als Getränk dienen könnte, und ließ zu diesem Zweck meine Schalen stehen, um erst abzuwarten, welche Wirkung das Getränk auf uns ausübte. Elisabeth besprengte unterdessen einige Lattichblätter mit ihrer Essenz und verband unsere Füße mit diesen Blättern und mit Schnupftüchern.

Unser Freund ging wieder auf die Jagd nach Pflanzen; er hatte sich fest vorgenommen, unter keinen Umständen auf eine Schlange zu treten. Er brachte uns bei seiner Rückkehr eine Menge Fenchel und auch viele Körner und sagte uns, in der Richtung nach der großen Flamme höre in einer Entfernung von einer Viertelstunde der Pflanzenwuchs gänzlich auf; der Boden sei mit einem Staube bedeckt, der wie Schwefel aussähe, und er habe darin Löcher gefunden, die mit rauchendem Wasser angefüllt gewesen seien; sie hätten einen Durchmesser von etwa zwanzig bis dreißig Ellen. Auf der Wiese habe er einen Brunnen mit kaltem Wasser gefunden, das ihm aber bei einem Versuch sehr unangenehm geschmeckt habe. Sodann zeigte er uns in geringer Entfernung eine kleine Anhöhe, die nicht mit Pflanzen bewachsen war; auf dieser konnten wir uns ausstrecken, ohne Furcht, von den Schlangen behelligt zu werden. Der gute gescheckte Megamikre erschien uns als ein Schutzengel in menschlicher Gestalt. Ich sah die kleine Erhöhung und beschloß sofort, daß wir uns dort niederlassen wollten, nachdem wir uns aus Gras und Kräutern ein Bett gemacht hatten, auf das wir die Muschelschalen mit dem Saft der Lilienzwiebel stellten. Wir krochen auf Händen und Knien bis zur Anhöhe, da wir nicht gehen konnten; denn die Wunden auf den Fußsohlen schmerzten so entsetzlich, daß wir bei einem Versuch, aufrechtzugehen, hätten sterben können.

Der Boden der kahlen Anhöhe war nicht weich zu nennen; es war ein harter Sitz, aber wir zogen ihn dem Ort, wo wir bisher gewesen waren, doch vor, weil wir dort immer Angst gehabt hatten, daß eine Schlange uns überfallen konnte. Meine Frau zitterte vor Angst und ich muß gestehen, daß auch ich nicht mutiger war als sie; mit irgendwelchem Aberglauben hatte diese Furcht bei mir aber sicherlich nichts zu tun; eine unüberwindliche Abneigung mußte meine Gefühle beherrschen. In weniger als einer halben Stunde sahen wir uns plötzlich von mehr als zwanzig großen Schlangen umringt; sie krochen um die kleine Anhöhe herum und sahen uns mit ihren giftigen Augen an. Wir hüteten uns aber, sie durch Bewegungen mit unserem Mantel oder durch Werfen mit Erde zu erschrecken, denn wir hatten Angst, wir könnten sie dadurch nur noch mehr reizen, meine Frau fragte mich, ob ich nicht vielleicht meinte, daß sie recht laut schreien solle, da doch auf ihren ersten Schrei hin die Schlange sich davongemacht habe; ich bat sie aber, dies lieber nicht zu tun. Wir beschlossen, ganz stille zu sein und die Schlangen einfach nicht anzusehen. Das war auch gewiß das beste, was wir tun konnten.

Wir sahen den Megamikren auf uns zukommen, aber nicht über die Wiese, sondern von einer andern Seite her. Er sagte mir, man müsse sorgfältig vermeiden, das Gras zu betreten; denn überall seien Schlangen, er habe sogar sechs, sieben und acht Schlangen miteinander verschlungen gesehen. Er war ganz erstaunt, daß wir inmitten dieses ganzen Gezüchtes so ruhig waren; schließlich nahm unsere zuversichtliche Miene auch ihm jede Furcht. Er brachte uns Fenchel, neue Kräuter und eine schöne Lilienzwiebel von anderer Farbe; da ich den Saft derselben sofort versuchen wollte, bat ich ihn, eine von unseren Muschelschalen zu leeren. Er nahm die Schale in seine beiden Hände und goß das Wasser fort, so weit er nur konnte. Bei diesem Guß zischten alle diese scheußlichen Schlangen und stürzten sich auf den Ort, auf den das Wasser gefallen war. Wir atmeten auf, es war für uns eine wichtige Entdeckung und ich beschloß, wohl achtzugeben, daß ich immer einige Schalen mit Wasser zur Hand hätte.

Hierauf drückte ich den Saft der Lilienzwiebel aus und fand, daß der Saft beinahe ebenso schmeckte wie der andere. Wir fühlten, daß die Augenlider uns schwer wurden, und beschlossen, trotz der Schlangen zu schlafen, nachdem wir unsern Freund gebeten hatten, während unseres Schlummers sich nicht von uns zu entfernen. Wir freuten uns, als er uns unaufgefordert sagte, er würde die Schlangen, wenn sie uns zu nahe kämen, mit Wasser bespritzen. Wir schliefen acht Stunden lang so gut, wie wir es nur in den besten Betten hätten tun können. Kaum waren wir erwacht, so untersuchten wir unsere Wunden: wir fanden, daß etwas Flüssigkeit ausgetreten war, aber wir fühlten uns viel besser und die Anschwellung unserer Beine hatte sich bedeutend vermindert. Wir wickelten sie wieder in andere Lattichblätter ein und nahmen andere Taschentücher, die der Megamikre uns inzwischen gewaschen hatte. Nachdem Elisabeth ihm seine gewöhnliche Nahrung gereicht hatte, aßen wir selber Fenchelwurzel und tranken einen tüchtigen Teil Lilienzwiebelsaft; denn da wir keine harntreibende Wirkung desselben verspürt hatten, so mußte dieser Saft ein recht gutes Nahrungsmittel sein.

Nachdem unser kleiner Freund etwa eine Stunde lang allerlei recht vernünftige Gedanken über unsere Welt und die seinige ausgesprochen hatte, machte er sich wieder auf eine kleine Entdeckungsreise. Zwei Stunden später sahen wir ihn mit einer Wurzel zurückkehren, die er aus der Erde gegraben hatte. Es war eine Trüffel, die ich an ihrem ausgezeichneten Geruch als besser erkannte, als die Trüffel unserer Oberwelt. Sie war so groß wie meine Faust, weiß mit blauen Punkten und roten Äderchen. Ich schälte eine Art Rinde ab, mit der sie bedeckt war, und wir aßen sie mit der größten Lust, indem wir dazu unseren Lilienzwiebelwein tranken. Als der Kleine sah, daß wir Lust hatten zu schlafen, machte er uns ein prächtiges Ruhebett aus Kräutern zurecht, auf welchem wir wieder ausgezeichnet schliefen.

Bei unserem Erwachen sagte er uns lachend und in bester Laune: in den zehn Stunden unseres Schlummers habe er mehr als vierzig Schlangen verscheucht, die manchmal zu zweien und zu dreien auf uns losgegangen seien. Sie hätten sich aber entfernt, wenn er Wasser ausgeschüttet oder Gras geworfen hätte; infolgedessen habe er zuletzt immer nur mit Gras geworfen. Ich dankte ihm für seine treue Wacht und belehrte ihn über die wirkliche Natur unseres Schlafes, den er als Megamikre natürlich nicht begreifen konnte; ferner sagte ich ihm, daß wir ja den Weg nicht wüßten, den wir zu gehen hätten, soviel sei aber sicher, daß wir immer emporsteigen müßten und zwar wahrscheinlich noch lange Zeit; wir müßten jedes Herabsteigen vermeiden, denn wir könnten gewiß noch nicht mehr als den dritten Teil unserer Wanderung zurückgelegt haben. Sodann nahmen wir unsere Wundverbände ab und fanden, daß die Wunden viel besser aussahen: es war fast gar keine Flüssigkeit mehr ausgetreten. Wir umwanden unsere Füße von neuem mit Blättern, die wir mit der Essenz besprengt hatten, und nahmen dann unsere gewöhnliche Nahrung zu uns.

Unter den Pflanzen, die unser Freund uns gebracht hatte, war auch eine, die wir in den ersten Tagen nicht beachtet hatten; am vierten Tage aber untersuchten wir sie genau. Es war ein kleiner Strauch, der etwa sieben oder acht lange, dünne und sehr biegsame Zweige hatte, die aber dabei sehr stark waren; sie hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit Weidenruten. Ich dachte, mit Geduld, Aufmerksamkeit und Geschicklichkeit würden wir vielleicht aus diesen Zweigen Stiefel für uns drei herstellen können. Nachdem ich meinen Gedanken meiner Frau und unserm kleinen Freunde mitgeteilt hatte, machten wir uns sofort an die Arbeit. Diese gelang besonders dem Megamikren, der bald mit der seinigen fertig war und uns dann bei der unsrigen half. Wir machten drei Paar Schuhe für jeden von uns; besonders die Sohlen waren ausgezeichnet gearbeitet. Wenn man diese Fußbekleidung auch nicht gerade Stiefel oder Schuhe nennen konnte, so waren sie doch weich, schmiegsam und genau nach dem Fuß gearbeitet. Wir hofften, daß drei Paare für jeden auf die ganze Dauer unserer langen, furchtbaren Wanderung ausreichen würden. Wie dankten wir Gott dafür! Es war uns, wie wenn wir dieses Geschenk unmittelbar von des Höchsten Gnade erhalten hätten. So ist der Mensch, wenn er große Gefahren überstanden hat und noch größere Gefahren für die nächste Zukunft fürchtet.

Am zwölften Tage unserer Rast wehte ein heißer Wind von der Flamme her auf uns zu; der Geruch des Schwefels war so stark, daß ein heftiges Erbrechen uns überfiel. Der Megamikre, der sich nicht erbrechen konnte, bekam so starke Leibschmerzen, daß er zu Gott flehte, er möchte ihn sterben lassen.

Nach drei oder vier Stunden hörte der Wind auf und aus dem Vulkan schossen Feuergarben wie Raketenbündel empor. Der Ausbruch war ungeheuer heftig, dauerte aber nur wenige Stunden. Zu unserer Überraschung sahen wir aus dem Vulkan einen Wasserstrom sich ergießen, der in weniger als fünf Stunden die ganze Ebene bis an die höher gelegene Kräuterwiese überschwemmte. Das Wasser, das der Vulkan auswarf, schien uns zu brennen. Infolge des Erbrechens bekam meine Frau heftiges Kopfweh, von dem sie aber bald durch ein reichliches Nasenbluten erleichtert wurde. Das Blut füllte den vierten Teil einer großen Muschelschale. Zu unserer Überraschung trank unser gescheckter Megamikre mit einer wahren Wonne in fünf Absätzen das ganze noch warme Blut. Er dankte dafür meiner Frau und dem lieben Gott, da er diese Speise köstlich fand.

In der Tat erlangte er durch sie eine Kraft, von der er uns am nächsten Tage einen vollgültigen Beweis lieferte. Er war nämlich volle acht Stunden auf einer neuen Entdeckungsreise. Wir waren bereits in großer Sorge, als wir unseren Freund zurückkehren sahen, merkwürdigerweise gerade in einem Augenblick, als eine auffallende Naturerscheinung unsere ganze Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Ich habe noch nicht erwähnt, daß die Überschwemmung uns von dem unangenehmen Anblick der gräßlich zischenden Schlangen befreite: sie waren alle im Wasser verschwunden. Die Erscheinung, worüber wir uns wunderten, bestand darin, daß die Flamme des Vulkans so weit geschwunden war, daß wir den Gipfel des feuerspeienden Berges deutlich erkennen konnten; das ganze Gewölbe über unsern Häuptern war jetzt mit Rauch und Qualm angefüllt.

Unser Freund sagte uns, er sei lange gewandert und auf seinem Wege mehrere Male umgekehrt; leider habe er niemals einen Weg gefunden, der nach oben führte, sondern nur mehrere, die abwärts gingen, und zwar in furchtbare Höhlen mit steilen Abhängen. Diese Nachricht war sehr betrübend, denn wir befanden uns jetzt wieder wohl und wollten gerne weitermarschieren; ein neues Ereignis aber befreite uns vollständig von diesem Kummer. Plötzlich erlosch nämlich die Flamme gänzlich: nur unsere vier Karfunkel leuchteten uns noch. Wir hatten beschlossen, unter allen Umständen uns auf den Weg zu machen; aber dieses neue Ereignis benahm uns den Mut. Wir schliefen ein und nach drei Stunden scheuchte ein furchtbares Donnern unter uns uns aus dem Schlaf empor. Vier Minuten später begann die Ebene, in deren Mitte wir uns befanden, dermaßen zu schwanken, daß wir auf den Rücken fielen. Wir umarmten uns und empfahlen unsere Seelen der Barmherzigkeit Gottes. Der Megamikre hockte zwischen meiner Frau und mir. Das furchtbare Schwanken des Bodens dauerte nur zwei Minuten; aber nach weiteren drei Minuten sahen wir mehrere Feuer, die aus der die Schwefelebene bedeckenden Flut emporstiegen. Das furchtbare Donnern wiederholte sich; vier heftige Stöße warfen uns umher; nach dem letzten Stoß aber hörten wir nicht weit von uns ein Zusammenstürzen von Felsen, wie wenn die ganze Höhle zusammenbräche. Wir hielten uns eng umschlungen, ohne auch nur ein Wort zu sprechen, ja ohne zu atmen; ich glaube, wir alle drei warteten auf den furchtbaren Augenblick, da die Erde sich öffnen würde, um uns zu verschlingen. Vierhundert Schritte hinter uns öffnete sich plötzlich der Boden; wir drehten uns um und sahen eine große Flamme emporzüngeln und bei ihrem Schein ein ungeheures Gewölbe. Wir sahen aber auch, daß die Flamme nach oben einen Ausgang fand. In dieser Richtung also mußte unser Weg liegen. Bei dem Schein dieser neuen, von der Natur angezündeten Fackel sahen wir, daß die Schwefelebene und die Wiese vollständig verschwunden waren: alles war von dem Abgrund vollständig verschlungen. Von der Wiese war nur der Randstreifen übrig, der sich bis zu unserer kleinen Anhöhe erstreckte; wir waren vom sicheren Tode errettet worden.

Da wir zum Aufbruch entschlossen waren, packten wir alle unsere Sachen zusammen und machten uns auf den Weg. Wir wünschten sehnlichst, so bald wie möglich einen Berg zu finden; denn jeder Weg, den wir zurücklegten, ohne emporzusteigen, konnte uns offenbar nur verlorene Mühe kosten. Im Feuerschein des Vulkans wanderten wir zwei und eine halbe Stunde lang immer auf Grasboden; unser kleiner Freund, der vor uns herlief, sammelte alle Fenchelstauden, Trüffeln und Lilienzwiebeln, die er unterwegs fand. Wir hatten an diesem furchtbaren Ort dreizehn Tage verbracht; mehrere Male hatte der Tod uns aus unmittelbarer Nähe bedroht; aber wir hatten doch unsere Gesundheit wiedererlangt; wir hatten jetzt Schuhe und unser Mut war gestiegen, nachdem wir so vielen Gefahren entronnen waren.

Zu meinem größten Schmerz mußte ich mich an einer Stelle, die noch von einem schwachen Dämmerlicht erhellt war, überzeugen, daß wir einen steilen Weg abwärts gehen oder umkehren mußten. Zum Umkehren konnten wir uns nicht entschließen, wir mußten also vorwärts wandern. Nach einer Stunde waren wir nicht nur in völliger Finsternis, sondern befanden uns auch in einem Gewölbe, das nur zwei Fuß breit über unseren Köpfen sich befand, wie wir beim Schein unserer Karfunkel deutlich erkennen konnten. Es blieb uns nichts anderes übrig, als unsere Gebete an das höchste Wesen zu richten und immer weiter zu wandern.

Bald wurde der Weg eben und ziemlich breit. Nach einiger Zeit fühlte ich von links her einen leisen Luftzug; dort mußte eine Schlucht vorhanden sein und ich beschloß, diese zu untersuchen, obgleich der Weg abwärts führte. Der Megamikre ging uns voran. Zwei Stunden später kam er uns wieder entgegen; er war umgekehrt, damit wir nicht etwa einen anderen Weg einschlügen. Er sagte uns, in einer Entfernung von zweihundert Schritten erweitere sich die Grotte und führe nach aufwärts. Diese Botschaft verlieh uns neuen Mut und neue Kraft. Wir kletterten fünf Stunden unaufhörlich über steile Felsen, bis wir so müde waren, daß wir uns hinwerfen mußten, um uns auszuruhen.

Fünfzehn Tage lang stiegen wir unaufhörlich aufwärts; während dieser Zeit gingen uns die Nahrungsmittel völlig aus. Dabei hatten wir fortwährend viel Hunger und Durst gelitten, weil wir niemals eine fruchtbare Stelle fanden. Unsere Weidengeflechtschuhe taten uns ausgezeichnete Dienste; am zwölften Tage mußten wir sie allerdings wegwerfen, aber wir hatten doch zum Glück jeder noch zwei Paare. Unsere Fußsohlen waren heil; die Füße waren freilich noch ein wenig geschwollen, eine Wirkung der großen Anstrengung; aber wir befanden uns sehr gut.

Am sechzehnten Tage traten wir die Wanderung mit dem Bewußtsein an, daß wir vor Hunger umkommen würden, wenn wir nicht irgendwelche Nahrung fänden; denn wir hatten tatsächlich nur noch eine einzige Lilienzwiebel. Nachdem wir sechs Stunden lang fortwährend gestiegen waren, fanden wir, daß die Steigung fast unmerklich geworden war; der harte Felsboden war in feuchtes, fruchtbares Erdreich übergegangen. Der Megamikre, der immer vor uns herlief und ganz gewiß um ein Drittel mehr Weges zurücklegte als wir, weil er fortwährend Abstecher nach rechts und nach links machte, um alles zu sehen, zeigte uns eine Muschel, die er auf der Erde gefunden hatte: es war eine Schnecke, aber sechsmal so groß wie die Schnecken unserer Oberwelt. Als ich mich an die Stelle begab, wo er sie gefunden hatte, sah ich mehrere andere von derselben Größe. Wenn man essen muß, findet man alles gut; trotzdem konnten wir nicht einen Augenblick daran denken, uns von diesen Tieren zu nähren, ohne sie zu kochen. Wir ließen uns auf den Boden niedersinken, und während der Gescheckte auf eine Entdeckungsreise ausging, schliefen wir vor Traurigkeit und Erschöpfung ein. Zwei Stunden später weckte er uns auf, indem er uns seine kleine Muschelschale mit Wasser gefüllt darbot. Begierig setzte ich sie an die Lippen und ich fühlte eine unbeschreibliche Freude, als ich das Wasser gut fand; den Rest trank meine Frau. Der Kleine sagte uns, dieses Wasser komme aus dem Felsen, der 500 Schritte weiter aufwärts zu sehen war. Wir begaben uns sofort dahin. Das Wasser sprudelte zwischen zwei Steinen hervor; die Wassermenge war sehr gering, aber sie war genügend, weil der Quell unaufhörlich floß. Ich füllte sofort eine meiner Schalen damit und wir tranken uns nach Herzenslust satt; dann ruhten wir zwei Stunden aus. Wir mußten aber weiter wandern, da wir jede Hoffnung aufgeben mußten, in der Nähe irgend etwas Brennbares zu finden, um die Schnecken kochen zu können, die wir überall fanden. Nachdem wir noch drei Stunden gestiegen waren, wozu wir wahrscheinlich nur deshalb imstande waren, weil das Wasser unsere Kräfte etwas belebt hatte, warfen wir uns zu Boden, da wir vollständig erschöpft waren und keinen Schritt weiter tun konnten. Der harte Felsen erschien uns so weich wie Daunen.

Seit einer halben Stunde hörten wir deutlich ein Geräusch, konnten aber nicht genau unterscheiden, aus welcher Richtung es käme; das Gewölbe war ziemlich hoch und wir brauchten deshalb nicht unruhig zu sein, aber von Zeit zu Zeit kamen mit Donnergepolter Steine heruntergerollt, die uns erschreckten. Da wir völlig kraftlos waren, streckten wir uns der Länge nach aus und verließen uns auf unsern Freund. Zwei Stunden darauf kam er wieder und sagte uns, wir müßten unbedingt umkehren, denn zwei Wegstunden weiter nehme das Gebirge plötzlich ein Ende, oder vielmehr es verschließe das Gewölbe; auf der Zwischenstrecke sei weder nach rechts noch nach links irgendwo ein Weg zu entdecken.

Nun glaubten wir, unser Tod sei unvermeidlich. Eine halbe Stunde lang lagen wir wie betäubt, ohne ein einziges Wort zu sprechen. Da sahen wir den Megamikren, der bereits abwärts gegangen war, wieder umkehren, um uns zu sagen, daß hundert Schritte zurück ein anderer Weg aufwärts führe, den wir nicht bemerkt hätten. Wir standen auf und gingen auf diesem Wege drei Stunden lang sehr steil aufwärts; alle paar Schritte mußten wir uns ausruhen. Wären wir nicht aller Kräfte beraubt gewesen, so hatten wir die Höhe in weniger als einer Stunde erreicht. Unmittelbar vor dem Ziel, als wir ganz verzweifeln wollten, meldete der Megamikre uns, die Ebene auf der Höhe sei sehr groß und enthalte einen See. Ich glaube, wenn ich auch nur fünfzig Schritte noch weiter hätte machen müssen, als wir die Ebene erreicht hatten, ich hätte es nicht gekonnt; meine Frau befand sich in demselben Zustand.

Wir streckten uns auf dem Grase am Seeufer aus und sahen beim Schein unserer Karfunkel Sträucher, die überall wuchsen; im Wasser war eine gewisse Bewegung zu bemerken. Unser Megamikre schöpfte ein wenig in seine Muschel und ich fand es etwas trübe, aber anscheinend noch trinkbar. Ohne uns ein Wort zu sagen, sprang der Kleine ins Wasser und brachte uns zwei Fische, die von ganz andrer Form waren als irgendein Fisch auf der Oberwelt. Sie hatten keine Augen, wahrscheinlich weil sie in der ewigen Finsternis unten keine brauchten.

Unser Führer brachte uns hierauf einen großen Krebs, den ich in zwei Stücke schnitt, um ihn kochen zu können. Dann baute er uns eine Art von Ofen oder Herd und brachte uns dürre Zweige, die ich mit großer Mühe endlich in Brand zu setzen vermochte. Ich kochte die Fische; wir konnten sie nicht essen, denn sie waren lederartig zäh, aber sie gaben eine ganz leidliche Brühe und ihre Milch war sogar ausgezeichnet. Hierauf kochte ich den Hummer, denn das war der Krebs, und wir fanden ihn köstlich. Wir blieben an dieser Stelle vier Tage, um neue Kräfte zu sammeln; während dieser ganzen Zeit mußten wir beständig ein großes Feuer unterhalten, denn es war kalt.

Sehr unbequem wurden uns an diesem See gewisse Vögel, die sehr unregelmäßig im Zickzack flogen und uns mehreremal ins Gesicht flogen, wodurch sie uns einen heftigen Schmerz verursachten. Der arme Megamikre kauerte beständig zwischen uns beiden, nachdem ein Vogel ihm ins Gesicht geflogen war, so daß er sofort auf den Rücken fiel. Ich griff einen dieser Vögel, der gegen meine Brust anflog; ich zerschmetterte ihm den Kopf und untersuchte ihn genau. Er hatte keine Augen, war so groß wie ein Fasan und hatte rote Füße; sein Schnabel war sehr lang, das Gefieder kräftig: beim Fliegen krächzten diese Vögel fortwährend wie Dohlen; wahrscheinlich gaben sie sich durch ihr Geschrei Zeichen, um einander auszuweichen. Ich nahm die Dohle aus und kochte sie; wir fanden das Fleisch sehr hart, da aber der Geschmack gut war, so nahm ich an, daß der Vogel nur alt sei. Ich hatte in großer Menge weißes und blaues Pulver und schoß mehrere von diesen Dohlen, sobald sie in meine Nähe kamen; denn bei dem schwachen Licht, das mir zur Verfügung stand, konnte ich sie in der Ferne nicht deutlich genug unterscheiden. Dies war aber wichtig für uns; denn die jungen, die man leicht an ihrem Gefieder erkennen konnte, waren sehr gut zu essen; die Brühe war sogar ganz ausgezeichnet. Als wir weiter marschierten, nahmen wir zwölf gekochte Dohlen mit.

Unser Freund, der in diesen vier Tagen mehrere Ausflüge unternommen hatte, um einen guten Aufgang zu entdecken, riet uns, den Weg links liegen zu lassen und zwei Stunden weit abwärts zu steigen, um einen neuen Aufstieg zu benutzen, der nach seiner Behauptung ganz ausgezeichnet war.

Die Entdeckungen, Worte und guten Ratschläge dieses einzigen Geschöpfes waren für uns geradezu Orakel geworden, denen wir mit einer Art von Aberglauben vertrauten. Wir konnten nicht anders, als in ihm das Werkzeug der göttlichen Vorsehung zu erblicken; denn ohne ihn hätten wir trotz unseren Karfunkeln niemals durch bloßen Zufall die Wege gefunden, die uns zur Höhe emporführen mußten. Daß wir aufwärts gehen mußten, um überhaupt herauszukommen, war klar; es war aber durchaus nicht sicher, daß wir am Ende unseres Weges auch wirklich einen Ausgang nach der Oberwelt finden würden; vielleicht konnte dieses Ende versperrt sein! Ich war nicht einmal ganz sicher, daß die Strecke, die wir zurückzulegen hatten, in senkrechter Richtung neunzig Meilen betrüge; denn meine Annahme beruhte auf der Kenntnis des Durchmessers der inneren Welt, die vollkommene Kugelgestalt halte, während doch die Gestalt unserer Erde an den Polen abgeplattet und daher an einer anderen Stelle ausgebuchtet sein muß. Wir wußten ja aber selbstverständlich nicht, wo wir uns befanden.

Wir wanderten siebzehn Tage lang unaufhörlich weiter; von Zeit zu Zeit fanden wir gutes Quellwasser; wir nährten uns, aber sehr sparsam, von den Vögeln, die wir bei uns hatten. Zuweilen gingen wir abwärts; diese Abstiege waren jedoch stets sehr kurz im Vergleich zu den großen Höhen, die wir überwanden. Erst am achtzehnten Tage machten wir halt, weil wir nichts mehr zu essen hatten; außerdem waren wir auch sehr ermüdet.

Wir mußten uns entscheiden, ob wir einen engen und sehr niedrigen Weg einschlagen sollten, der abwärts führte; aus diesem Gang schlug uns ein feuchter Wind entgegen, der uns heiß vorkam. Es schien mir unmöglich zu sein, daß die Oberfläche unserer Erde noch sehr weit entfernt sei. Wir hatten sicherlich mehr als 1200 Meilen zurückgelegt und trugen bereits das dritte Paar unserer Weidenschuhe.

Unser Megamikre verließ uns, um zu untersuchen, ob der niedrige und enge Weg einen guten Ausgang habe, der wieder aufwärts führe. Wir waren in einer entsetzlichen Unruhe, als er sehr lange ausblieb. Nach neun Stunden glaubten wir, er sei verloren; damit wären auch wir verloren gewesen; denn obgleich wir gesund waren, waren wir doch fünfundneunzig Jahre alt und ein solches Alter machte sich immerhin bemerkbar; sicherlich konnten wir die Strapazen nicht durchmachen, die er beständig ertragen hatte, um uns zu dienen.

Endlich erschien er und sagte uns, er sei die ganze Zeit am Ufer eines Sees entlang gewandert, der sehr reich an Fischen und Muscheln sei; vergeblich aber habe er einen Ausgang gesucht. Er habe sich daher entschlossen, die Breite des Sees zu untersuchen und sei hinübergeschwommen. Das ganze jenseitige Ufer sei mit trockenen Pflanzen bewachsen, die sehr gut als Brennstoff dienen konnten; außerdem beginne dort ein Aufstieg, wenngleich unter einem sehr niedrigen Gewölbe. Wir müßten uns entschließen, über den See hinüber zu schwimmen; sonst sei nichts zu machen. Ich fragte meine Frau auf englisch, ob sie glaube, schwimmen zu können; ich wußte, daß sie in ihrer Jugend es gelernt hatte. Sie antwortete mir, sie werde sich an mir festhalten und sei überzeugt, daß das Wasser sie tragen werde.

Wir machten uns auf den Weg und marschierten bis an das Ufer dieses Sees, wo wir uns niederließen, um uns auszuruhen und das letzte Stückchen unsrer letzten Dohle zu essen. Wir sahen am anderen Ufer die Luft von lauter Feuerfunken erfüllt, die unbeweglich zu sein schienen; sie schwebten aber in ganz geringer Höhe über der Erde. Meine Frau gab wie gewöhnlich dem Megamikren seine Milch zu trinken; hierauf zogen wir uns unverzüglich ganz nackt aus und legten sogar unsere Schuhe ab. Wir mußten aber an ein Mittel denken, um unsere Sachen uns zu erhalten; denn diese waren uns durchaus notwendig. Unser kluger Kleiner wußte Rat: er tat zunächst unsere Schalen, die das Wichtigste von allem waren, in ein großes Taschentuch und bat um einen zweiten Karfunkel, den ich ihm sofort gab, ohne ihn auch nur nach dem Zweck zu fragen. Er sagte uns, wir möchten auf ihn warten, und ging ins Wasser, indem er das Paket auf seinem Kopfe hielt. Anderthalb Stunden später erschien er wieder mit einem langen Stock in der Hand und mit einem einzigen Karfunkel. Er zeigte uns jenseits des Sees ein kleines Licht: dies war der Karfunkel, den er neben dem Paket befestigt hatte, um sicher zu sein, daß wir die Stelle nicht verfehlen könnten. Der Stock, den er mitbrachte, war ein dürrer Ast von ziemlich bedeutender Länge, den er von irgendeinem Baum abgebrochen hatte. Er sollte dazu dienen, um auch unsere Mäntel und Wämser, seinen Schnappsack mit unseren Pistolen, Dosen und Essenzfläschchen, sowie unsere Jagdtaschen hinüber zu befördern. Diese Sachen mußten am oberen Ende des Stocks befestigt werden, damit sie nicht naß wurden; da er aber fand, daß sie zu schwer waren, so machte er zwei Pakete daraus. Das zweite legte er an unserem Ufer nieder, indem er den einen Karfunkel daran befestigte, um auf diese Weise es wiederfinden zu können. Er sagte uns, die Luft auf dem jenseitigen Ufer sei von fliegenden Karfunkeln erfüllt, die sich aber sehr langsam bewegten. Ich dachte mir sofort, daß dies wohl Leuchtkäfer seien. Ich sagte aber kein Wort, denn ich war ganz sprachlos vor Bewunderung über den außerordentlichen Verstand des herrlichen kleinen Mannes.

Er ging ins Wasser und hieß uns ihm folgen; in der Hand hielt er seinen langen Stock mit dem Paket, den Karfunkel hatte er oben an seinem Kopf befestigt, so daß wir ihn nicht aus den Augen verlieren konnten. Auch wir konnten ihm nicht aus dem Gesicht kommen; denn der vierte Karfunkel war an meinem Zeigefinger befestigt. Wir folgten ihm ohne alle Schwierigkeiten; meine Frau schwamm zwar nur mit der linken Hand, da sie mich nicht loslassen wollte, aber es ging ausgezeichnet und sie machte mir nicht die geringste Unbequemlichkeit, denn sie wußte sich ihrer Beine beim Schwimmen ebenso gut zu bedienen wie ich. In einer knappen Stunde waren wir am anderen Ufer des Sees. Unser guter Freund lud das Paket von seinem Stock ab, stürzte sich wieder ins Wasser und kam anderthalb Stunden später mit dem ganzen Rest unseres Gepäcks und mit dem Karfunkel zurück. Wir empfingen ihn mit den zärtlichsten Liebkosungen.

An diesem Ort konnten wir uns so recht erholen, denn das Wasser war sehr trinkbar, wir hatten Brennholz in Fülle und dazu alle möglichen Fische und Muscheln.

Besonders auffallend war uns, daß die Fische dieses Sees Augen hatten. Reichlich mit Vorräten versehen, marschierten wir nach vier Tagen weiter. Ich war fest überzeugt, daß die Oberfläche unserer Erde nicht mehr so weit entfernt wäre, daß wir nicht in acht Tagen dorthin gelangen würden. Die angeblichen fliegenden Karfunkel, deren Menge geradezu ungeheuer war, waren Skarabäen, wie sie im Westen von Asien vorkommen. Sie sind außerordentlich leuchtkräftig und fliegen, aber so langsam, daß sie in der Luft zu schweben scheinen, ohne sich zu bewegen. Am fünften Tage sahen wir nach einem zehnstündigen Marsch vor uns ein Loch, das in einen langen, sehr niedrigen Gang führte, worin ich nur gebückt gehen konnte. Der Megamikre wollte diesen Gang untersuchen, ich hielt ihn aber davon ab, indem ich ihm sagte: wir seien müde und müßten erst etwas essen; hierauf müßten wir schlafen und nach unserem Erwachen könnten wir sehen, was zu tun sei. Meine Frau gab ihm seine Nahrung; er hatte nur noch die Haut auf den Knochen. Er erwartete ruhig seinen Tod und sagte selber, dieser werde nur noch wenig Tage auf sich warten lassen; er sterbe aber zufrieden, wenn er vorher noch das Licht unserer Welt sehen könnte, wo wir Wesen von unserer Art treffen würden.


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