Giacomo Casanova
Eduard und Elisabeth bei den Megamikren
Giacomo Casanova

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2. Band

Die Tafel des Königs zu vierundzwanzig Gedecken, die nur an der äußeren Reihe aufgelegt waren, befand sich zwei Fuß höher als die anderen Tafeln: eine Tafel zu fünfzig Gedecken für die Neuvermählten, eine andere von fünfzig für ihre Väter und Mütter und zwei zu je fünfzig für die Großen des Hofes, die der König mitbringen sollte. Für die Ehrenplätze an seiner eigenen Tafel hatte der König bestimmt: den Bischof, fünf Botschafter, seine vornehmsten Minister, die roten Prinzen, seine Oheime und außerdem mich und meine Frau. Die Botschafter waren der des Großen Genius, den man den Paranymph nannte, und die der vier Nachbarkönige. Zwei von den fünfzig Neuvermählten waren meine Kinder, achtundzwanzig meine Enkel und zwanzig meine Urenkel. An einer anderen Tafel mit hundert Gedecken seitwärts von diesen Mitteltafeln war für den Hof, unter denen auch der Groß-Gärtner sich befand, und für Leute gedeckt, die zur näheren Umgebung des Königs gehörten.

Seine Majestät kam zur festgesetzten Stunde, und nachdem er sein Lob darüber ausgesprochen hatte, daß sie in weniger als vier Ernten soviel geleistet hätten, setzte er sich zu Tisch, und alle nahmen die für sie bestimmten Plätze ein. Alle aßen im tiefsten Schweigen; man vernahm nur von Zeit zu Zeit die Stimme des Herrschers, wenn er ein Wort an irgend jemanden richtete, dem er eine besondere Huld erweisen wollte; dieser antwortete darauf nur mit stummen Verbeugungen, wie es in jener Welt Brauch ist.

Das Mahl dauerte anderthalb Stunden.

Als ich den Augenblick gekommen sah, erhob ich mich und bat den König um Erlaubnis, eine Zeremonie zu vollziehen, ohne welche meine Kinder sich niemals Mann und Frau würden nennen können. Der König erhob sich und alle Anwesenden folgten seinem Beispiel, doch rührte niemand sich von seinem Platz. Meine Frau stellte sich hinter die Knienden, Reinhold und Egeria, die ich zuerst vermählte. Die anderen achtundvierzig knieten ebenfalls nieder, hinter ihnen standen ihre Väter und Mütter und legten die Hände auf das Haupt, von welchem sie die Kappe abgenommen hatten. Paarweise vermählte ich sie nun alle, indem ich auf englisch die schöne Formel sprach, deren Sie sich vielleicht erinnern; nach mir wiederholte meine Frau sie in megamikrischer Sprache, was aller Welt ungemein gefiel. Alle Neuvermählten begaben sich hierauf in schön geordnetem Zuge zu Ihren Majestäten, um ihnen die Hände zu küssen, und diese beglückwünschten sie mit huldvollsten Worten. Einunddreißig Paare mannbarer Riesen, die an diesem Tage als Zöglinge in das Ephebeion eintraten, um bis zu ihrer Verheiratung ein europäisches Jahr zu verbringen, traten in geordnetem Zuge vor und küßten dem Königspaar die Hand, das ihnen ein Kompliment über das Glück machte, das sie nach Ablauf eines Jahres erwarte. Einen Augenblick darauf hatte es die angenehme Überraschung, eine Schar von 560 Riesenkindern zu sehen, die ebenfalls im Zuge herannahten, dem Königspaare die Hand küßten und die ganze Gesellschaft durch ihre naiven Bemerkungen erheiterten, indem sie dem König und seinem Unzertrennlichen viele Liebkosungen erwiesen, wie Leuten, die nur halb so groß wie die kleinsten Riesenkinder waren und daher nach ihrer Meinung bald unter ihnen stehen mußten. Die jüngsten von diesen Kindern waren drei Jahre und drei Monate alt. Die übrigen 638, die dieses Alter noch nicht erreicht hatten, waren im Seminar geblieben. Der König bat nun seinen Unzertrennlichen, den Neuvermählten das Hochzeitsgeschenk zu machen, das die Prinzen des Königlichen Hauses zu erhalten pflegten. Nachdem er seinem Obersthofmeister ein Wort gesagt hatte, reichte dieser ihm fünfzig Ordensbänder mit dem kostbaren Karfunkel, den die Megamikren den Stein des Lichtes nennen, und der König selber hing sie ihnen um den Hals. Die Einreibungen und Räucherungen unterblieben, da der Brauch solche bei einem Hochzeitsmahl nicht zuläßt.

Ich wußte, daß das Theater bereits voll war, und sagte daher Seiner Majestät, eine Unterhaltung, die drei und eine halbe Stunde dauern werde, erwarte ihn in einem benachbarten Saal. Ich führte ihn nun mit seinem ganzen Gefolge eine um ein ganzes Theater herumführende Treppe von 1000 zollhohen Stufen herab, die ganz und gar mit Teppichen bedeckt waren. Kaum hatte der König das Theater betreten, so sah er zur Rechten und zur Linken Korridore, die durch Phosphorlaternen beleuchtet waren. Er stieg eine kleine Treppe empor, die beiden Flügel einer Tür öffneten sich und er sah sich in seiner schönen Loge, die, wie ich bereits sagte, in Höhe und Breite den Raum von vierundzwanzig Megamikrenlogen einnahmen. Bei seinem Eintritt begann das Orchester die Ouvertüre zu spielen, während welcher er überrascht das Gebäude betrachtete und die große Menschenmenge sah, die alle Logen und das ganze Parterre füllte. Jenseits des Orchesters war eine große Leinwand in der Mitte von acht phosphorstrahlenden Säulen. Er begriff nicht, was dies bedeutete, fragte mich aber natürlich nicht, weil dies gegen den Brauch der Megamikren gewesen wäre; doch glaubte er mich nach dem Grunde fragen zu dürfen, warum seine Garden im Kreise um einen Platz vor dem Orchester herumständen, wo er nur Lehnsessel bemerkte. Ich antwortete, dieser Kreis sei ebenfalls für ihn bestimmt, wie die Loge, in der er sich augenblicklich befinde und die beiden leeren Balkone auf der rechten und auf der linken Seite des Theaters. Er wandte sich nun zu dem Botschafter und sagte ihm, seine Kavaliere würden ihm auf dem Balkon, wo sie die Musik besser hören könnten, Gesellschaft leisten, während er selber mit seiner Familie in der Loge bleiben würde. Er glaubte nun nicht, daß es sich nur um Musik handle. Alle meine Kinder mit Einschluß der Seminaristen saßen auf den oberen Rängen, die ich für sie hatte einrichten lassen. Auf diesen ließ ich auch alle Gescheckten unterbringen, die sich an einer der vier Treppen einfanden, um sich das Schauspiel nicht entgehen zu lassen.

Der König rühmte die herrliche Wirkung der Musik in diesem Riesengebäude, das die Harmonie nicht verringere, sondern vermehre. Plötzlich ging der Vorhang auf. Alle Welt war von dem unerwarteten schönen Anblick überrascht und rief laut Beifall; aber ein tiefes Schweigen folgte diesem Lärm, als man auf der Bühne einen großen Roten erblickte. Dies war dem Anschein nach ein Megamikre, der sich ganz allein befand und aus seinen Truhen eine Menge Gefäße, Metalle und Banknoten hervorzog. Es war ein Geizhals, die Hauptperson der Komödie; ein gescheckter Alchimist, der ein Gauner war, hatte ihn verführt, indem er ihm Hoffnung machte, daß er ihm den Stein der Weisen verschaffen werde; der Geizige hatte zu diesem Zweck bereits große Ausgaben gemacht und man sah in diesem ersten Akt, wie er dem Alchimisten alle aus seinen Truhen hervorgeholten Schätze gab, um einen neuen Versuch anzustellen, der nach der Behauptung des Spitzbuben das Werk krönen würde.

In demselben ersten Akt erklärte der Unzertrennliche des Geizhalses den Alchimisten für einen Betrüger, worüber der Geizhals sehr böse wurde. Er war Vater eines roten Paares, das er müßig herumlungern ließ, weil er sich nicht entschließen konnte, eine gewisse Summe auszugeben, die notwendig war, um ihnen ein vornehmes und einträgliches Amt zu verschaffen. Dieses Paar machte, immer noch in demselben ersten Akt, seinem Vater die heftigsten Vorwürfe; er antwortet ihnen aber darauf nicht, sondern versichert nur, in wenigen Tagen werde er der reichste Edelmann des Königreiches sein und dann werde er sie glücklich machen.

Im zweiten Akt bringt der Alchimist dem Geizhals dreißig Unzen Gold, die, wie er sagt, bei einer mißlungenen Operation auf dem Grunde eines Schmelztiegels geblieben sind. Der Geizhals bewundert die Gewissenhaftigkeit des Alchimisten, nimmt das Gold und schließt es ein. Seinem Kinderpaar ist es gelungen, ein Haus zu entdecken, worin der Alchimist alle seine Schätze verborgen hält; sie dringen in dieses Haus gerade in dem Augenblick ein, als er die Vorbereitungen zu seiner Abreise trifft. Sie setzen ihren Vater davon in Kenntnis, der ihnen jedoch antwortet, dies könne nur eine Verleumdung sein. Als sie ihn aber fragen, ob er nicht gerne alles wieder haben möchte, was er auf Veranlassung des Alchimisten bereits ausgegeben habe, da antwortet er, besseres könne er gar nicht verlangen. Seine Kinder sagen ihm nur: wenn er ihnen zusichere, ihnen das nötige Geld für den Kauf eines Amtes zu geben, wollen sie sich verpflichten, ihm alle bereits ausgegebenen Summen wieder zu verschaffen; er müsse ihnen aber ein Schriftstück in aller Form darüber ausstellen. Der Geizhals überlegt sich, daß ihm eine solche Verpflichtung niemals etwas schaden könne, und stellt daher einen Schein in der gesetzlich vorgeschriebenen Form aus. Hinter ihrem Rücken aber lacht er sie aus, denn er ist überzeugt, daß der Alchimist ein armer Mann und an Tugenden reich ist.

Der dritte Akt beginnt mit einem Auftritt zwischen dem Geizhals und dem Betrüger, der neue Summen von ihm verlangt. Er weiß nicht, wo er diese hernehmen soll, und ist in Verzweiflung darüber. Der Goldmacher sucht ihn zu ermutigen und der Geizhals sagt ihm in seinem Herzenskummer, man behaupte, er habe alle Summen, die er ihm gegeben habe, für sich behalten. Der Alchimist verteidigt sich wie ein Tartüff und es gelingt ihm, den Geizhals so umzustimmen, daß er ihm noch seine Diamanten gibt, wobei er sagt: nachdem er ihm diese Steine gegeben habe, bleibe ihm nichts mehr für seinen Lebensunterhalt, wenn es ihm nicht gelinge, das Projektionspulver herzustellen. Der Betrüger entfernt sich mit dem Entschluß, am nächsten Morgen auszurücken; die Kinder aber werden durch ihre Spione rechtzeitig benachrichtigt und melden es ihrem Vater. Dieser will immer noch nicht daran glauben, begibt sich aber auf dringende Aufforderungen nach dem Hause des Betrügers und erkennt sein früheres Eigentum. Nun ist er überzeugt von der Schurkerei des Alchimisten, der in demselben Augenblick verhaftet wird und alles gesteht. Als der Geizhals sich wieder im Besitz aller seiner Schätze sieht, sagt er seinen Kindern, er werde selber in aller Muße daran denken, ihnen ein gutes Amt zu verschaffen; aber die Kinder zwingen ihren Vater auf gerichtlichem Wege, seine Verpflichtung zu erfüllen. Der Gauner, dem alles wieder abgenommen worden ist, wird zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt.

Dieses Lustspiel gefiel; mehrere Züge von dem Geiz und der Dummheit des Betrogenen wurden herzlich belacht. Ein dummer gescheckter Lakai hatte für den Alchimisten die größte Verehrung. In seinem Gespräche mit dem Unzertrennlichen des Geizhalses lag viel Komik. Auch ein Arzt, den der Geizhals holen ließ, als ihm auf die Nachricht vom abermaligen Mißlingen eines Experiments unwohl wurde, der ihm viel Geld kostete, erregte große Heiterkeit, indem er mit Fachausdrücken um sich warf, von dem der Kranke kein Wort verstand.

Als das Stück zu Ende war, fiel der Vorhang und das Orchester spielte die Apophonie, als von jedem Megamikren verstandenes Zeichen, daß das Fest zu Ende sei und es für sie nun Zeit war, nach Hause zu gehen. Großes Vergnügen hatte ein Chorgesang gemacht, den alle Schauspieler unmittelbar vor dem Fallen des Vorhanges ertönen ließen, und worin sie den König um Entschuldigung baten, wenn ihr Spiel ihm nicht so viel Vergnügen gemacht haben sollte, wie es ihr Wunsch gewesen wäre.

Ich sagte nun dem König, es stehe in seinem Belieben, sich auf die Bühne zu begeben. Er starb beinahe vor Neugier, aber er würde niemals gewagt haben, mir dies zu sagen. Er hatte die Gnade, mit allen Schauspielern, die sämtlich männlichen Geschlechts waren, zu sprechen. »Ich bemerke,« sagte er zu mir, »daß Ihr bei diesem Schauspiel alle Eure weiblichen Nachkömmlinge ausgeschlossen habt.« Ich wußte nicht, was ich ihm antworten sollte, denn weder Zeit noch Ort waren geeignet, ihm die Gründe dieser Maßregel zu erklären. Als wir aber eines Tages miteinander allein waren und die Rede auf dieses Thema kam, konnte ich ungezwungen mit ihm sprechen und sagte ihm, ich könne nicht recht begreifen, weshalb die Megamikren im allgemeinen gegen die männlichen Mitglieder seines Geschlechtes höflicher und liebenswürdiger seien, als gegen die weiblichen.

»Ich weiß nicht,« antwortete der König mir, »wie Natur und Erziehung Euch in Eurem Lande denken lassen und aus welchen Antrieben Eure Handlungen hervorgehen; wenn ich aber die Natur der denkenden Wesen unserer Welt prüfe, so kann ich Euch sagen, daß die weiblichen Riesen, obgleich sie das Vorrecht haben, in jeder vierten Ernte die erste Nahrung der Riesen in ihren Brüsten zu tragen, uns doch nicht mehr interessieren können als die männlichen Riesen, und zwar aus einem Grunde der Vernunft wie aus Anlaß eines natürlichen Gefühls. Die Vernunft sagt uns, von einem aus zwei verschiedenen Hälften bestehenden Körper die edlere Hälfte vorzuziehen. Die edlere Art der männlichen Riesen ergibt sich aber deutlich aus der praktischen Verwendung ihrer Geschicklichkeiten und aus ihrer stärkeren Moral; auf diesen beiden Gebieten sind sie den weiblichen Riesen unbedingt vorzuziehen. Das natürliche Gefühl treibt dazu an, die männlichen Riesen mehr zu lieben, weil tatsächlich ihr Anblick und ihre äußere Erscheinung mehr zu ihren Gunsten einnehmen und mehr Vergnügen machen. Die männlichen Riesen scheinen mehr dazu geschaffen zu sein, Lust zu erregen als Lust zu empfangen; die weiblichen Riesen dagegen erscheinen mehr geeignet, Lust zu empfangen als zu erregen. Da Natur und Vernunft im Einklang stehen, so neigen sie die Wage zugunsten der männlichen Riesen, denn unsere eigene Lust muß uns wichtiger sein, als diejenige, die wir vielleicht empfinden können, indem wir sie in anderen erregen. Um vollkommen zu sein, muß allerdings die Lust gegenseitig sein.« Ich konnte nicht gut weiterfahren, um Aufklärungen über ein Gebiet zu erlangen, das mir damals fremd sein mußte. Das Thema war etwas heikel; übrigens war die Antwort des Königs vielsagend genug.

Nachdem der König und seine Höflinge auf der Bühne alles Bemerkenswerte gesehen und mir unendliche Komplimente gemacht hatten, sagte Seine Majestät, sie habe niemals in ihrem Leben ein Vergnügen empfunden, wie das ihr durch mein Schauspiel bereitete. Die Glocke läutete zur Ruhestunde und die ganze Menge entfernte sich, nachdem sie den Herrscher hatte abfahren sehen. Die vielen Geschäfte, die ich mir hatte aufbürden müssen, damit meine Schauspielaufführung gelänge, hatten mich nicht daran verhindert, an die Reise meiner fünf ältesten Söhne mit allen ihren zahlreichen Familien zu denken, die im Laufe der folgenden Fünftagwoche abreisen sollten. Sie waren mit allem versehen, um die Künste und Gewerbe zu betreiben, die ich im Königreich eingeführt hatte; indessen hatte ich doch es für angebracht gehalten, einige von meinen Geheimnissen keinem außer meiner Frau anzuvertrauen, darunter auch das Verfahren, den Arsenikdampf zu sammeln. Meine Frau hatte die Vorschriften für die Anfertigung aller ihrer Essenzen unserer ältesten Tochter Wilhelmine gegeben; ich selber füllte ihre Kisten mit kleinen Modellen aller Maschinen, die für die Papierfabrikation, die Buchdruckerei und verschiedene hydraulische Anlagen notwendig waren. Mehr als dreißig von ihnen waren jetzt ebenso geschickt wie ich im Schmelzen von Metallen und im Gießen von tadellosen Glocken aller Größen. Sie hatten bei sich fünf gute Augenärzte, darunter meinen lieben Sebastian, den ich aufs zärtlichste liebte. Ihre Gesamtanzahl betrug 910; hiervon gehörten 248 Jakob, 208 Richard, 176 Adam, 150 Robert und 128 Wilhelm an. Sie hatten eine gleiche Zahl Dienstboten bei sich, die sehr notwendig waren wegen der großen Zahl von Kindern, die sorgfältig gepflegt werden mußten. Ich füllte ihnen fünfzig Kisten mit Waffen aller Größen, fünfundzwanzig mit Pulver und fünfundzwanzig mit Giftdampfschläuchen, die ich meinen fünf Philarchen anvertraute. Diese Titel erhielten sie nämlich als Oberhäupter ihrer Stämme. In mehreren Kisten nahmen sie alles mit, was sie als persönliches Eigentum an Phosphormöbeln und kostbaren Teppichen besaßen. Ferner füllte ich ihnen eine große Kiste mit Buchdrucklettern, da ich voraussah, daß sie deren bedürfen würden, und gab ihnen hundert Ballen Papier mit.

Als ich am übernächsten Tage nach dem Schauspiel dem König die Anzahl der lebenden Wesen und ihrer Gepäckstücke mitteilte, lächelte er und gab mir einen Brief zu lesen. Ich erblickte die Abschrift des Befehls, den er an alle Posthäuser auf dem graden Wege nach Heliopalu gerichtet hatte. Er befahl Pferde für 400 Wagen, auf denen sich 910 Riesen und 1000 Dienstboten nebst allem erforderlichen Gepäck befinden würden. Als er mich ein wenig überrascht sah, sagte er mir, die Religion verbiete zwar den Megamikren, Fragen zu stellen, aber sie verbiete ihnen nicht, an die Bedürfnisse ihrer Freunde zu denken und diese zu erraten und ihnen nützlich zu sein. Er könne rechnen, und nachdem ich ihm gesagt habe, daß ich die Familien meiner ersten fünf Kinderpaare in mein Lehen Nummer Eins schicken wolle, habe er nicht nötig gehabt, mich weiter zu befragen, um die Anzahl der Personen zu wissen, die ich schicken würde. Er habe für meine Familien den Weg durch die acht Staaten gewählt, deren Könige seine Freunde seien. Übrigens wären noch fünfzehn andere Straßen ebenso gut und schön und auch genau ebenso lang. Dies ergab sich natürlich aus den geometrischen Verhältnissen der dortigen Welt, da Ausgangspunkt und Ziel die beiden Pole derselben bilden. Seine Majestät zeigte mir auf einem kleinen Globus, der auch im Saal stand, daß meine Karawane noch auf sechzehn Wegen ihre Reise hätte machen können, ohne dieselbe um mehr als etwa fünfzig Posten zu verlängern.

Die Grenzstadt, durch die meine Kinder reisen mußten, war die, worin mein teurer Freund, der Statthalter, noch immer wohnte, da er nur einige Jahre älter als der König war. Ich war entzückt, bei dieser Gelegenheit meinem ersten Freunde den größten und wichtigsten Teil der Abkömmlinge der beiden glücklichen Geschöpfe zu zeigen, die er vor dem Tode bewahrt hatte. Mit der größten Freude erfüllte diese Gelegenheit auch meine Söhne Jakob und Adam: den ersten, weil er vom Statthalter aufgezogen worden war, den zweiten wegen des Aufenthalts, den er in jener Stadt genommen hatte, als ich ihn dorthinschickte, um die Papiermühle einzurichten.

Ich empfahl meinen Kindern und besonders meinem Sohn Jakob Wachsamkeit, gute Ordnung, Pünktlichkeit und vor allem Freigebigkeit; denn diese ist das wichtigste Mittel, dessen der Mensch sich bedienen muß, um sich beliebt zu machen. Ich sagte ihm dabei aber, die Freigebigkeit müsse im Verhältnis zu den vorhandenen Mitteln stehen und man müsse daher genau rechnen; von diesem genauen Rechnen dürfe aber nur er allein wissen; denn sobald man etwas davon merken könnte, würde man es Geiz nennen. Ich machte ihm klar, daß Wirtschaftlichkeit eine Tugend ist, die gerade in der richtigen Mitte zwischen Verschwendung und Geiz liegt; da es nun sehr schwierig sei, gerade die richtige Mitte zu finden, müsse man das Zünglein der Wage lieber ein bischen nach der Seite der Verschwendung ausschlagen lassen, um sich den Anschein von Großmut zu geben. Jakob bedurfte dieser kleinen Lektion, denn seine Liebe zur Sparsamkeit war wirklich ein bißchen zu stark. Ich befahl ihm, meine Schätze nicht zu schonen, um Seminare, Häuser, Theater und vor allen Dingen Tempel zuerst in den fünf Hauptstädten meines Lehens bauen zu lassen. Ich gab ihm den Grundriß meiner Tempel, deren Erbauung übrigens noch nicht eilte, denn der Zeitpunkt für die Einsetzung der Riesenreligion war noch um einige Jahre entfernt. Ich wies ihn an, das Schreiben mit einer Farbe in Aufnahme zu bringen und mein ganzes Lehen mit Druckereien zu füllen. Ich legte ihm ans Herz, eifrig auf meine Rechte zu halten, dafür zu sorgen, daß die Lebensmittel niemals teurer würden und meinen Untertanen alle Vergnügungen zu verschaffen, die ohne Belästigung für andere zu haben seien, vor allen Dingen aber dafür zu sorgen, daß ihr Handel sich entwickle, und ihnen zu diesem Zweck vollkommene Freiheit zu lassen. Ich empfahl ihnen, untereinander vollkommene Eintracht zu bewahren und die geschicktesten Megamikren in ihren Dienst zu nehmen, sobald dies notwendig sei, dabei aber niemals mit dem Gehalt zu knausern; denn ein tüchtiger Mensch werde niemals zu teuer bezahlt. Ich schrieb ihnen vor, bei jeder Gelegenheit die größte Achtung vor der Geistlichkeit an den Tag zu legen.

Der König hatte mir von einem Brief gesprochen, worin der König des Reiches Siebenundachtzig ihn gebeten habe, sein Fürwort einzulegen, daß ich durch einen der Augenärzte unter meinen Kindern einen jungen Megamikren von vornehmem Hause, die Hoffnung seiner ganzen Familie, wolle operieren lassen. Da ich der Geschicklichkeit meiner fünf Schüler sicher war und beschlossen hatte, mir die Freundschaft womöglich aller Herrscher jener Welt zu gewinnen, so sah ich, daß ich nicht übel daran tun würde, wenn ich die Reise meiner fünf Familien um zwei Monate verlängerte. Man hatte diese auf sechs Monate berechnet; aber wenn sie auch acht Monate hätte dauern müssen, so wären die Frauen doch noch rechtzeitig in Heliopalu angekommen, um ihre Niederkunft in aller Ruhe und Bequemlichkeit abzumachen. Ich gab daher dem König statt einer Antwort nur das Plakat, das ich beschlossen hatte, drucken zu lassen. Es lautete folgendermaßen:

»Die edlen christlichen Riesen, die sich nach Heliopalu begeben, werden sich zehn Tage lang in der Hauptstadt jedes Königreichs aufhalten, durch welches ihre Reise sie führen wird. Sie tun dies nur, um den vom König des Reiches Siebenundachtzig ausgesprochenen Wunsch zu erfüllen, daß sie sich den Untertanen der mit ihm befreundeten Könige nützlich erweisen möchten. Die Riesen ergreifen diese Gelegenheit, um jenen Herrschern auf folgende Weise gefällig zu sein: Sofort nach der Ankunft in jeder Hauptstadt wird der Führer der Riesen sich in Begleitung von fünf Augenärzten in den Palast begeben, um Seiner Majestät die Hand zu küssen. Er wird die Blinden, die der König ihnen wird vorstellen lassen, untersuchen, um festzustellen, ob sie heilbar sind. Die Untersuchung wird solange dauern, bis sich eine Anzahl von sechs Heilbaren ergeben hat, diese werden an sechs aufeinander folgenden Tagen operiert werden. Drei Tage nach der letzten Operation werden die Riesen ihre Reise fortsetzen.«

Die Veröffentlichung dieser Ankündigung machte dem König große Freude; meinen lieben Kindern brauchte ich keine weitere Weisung zu geben, als was bereits darin enthalten war. Ich sagte ihnen jedoch mündlich, sie möchten niemals eine Operation vornehmen, ohne alle miteinander zu untersuchen und zu beraten, und nur dann, wenn sie einstimmig der Meinung wären, daß ein glücklicher Ausgang sehr wahrscheinlich wäre. Ferner sagte ich ihnen, sie möchten sich auf acht Tage in der Grenzstadt aufhalten und unserm Freunde, dem Gouverneur, zu Gefallen sechs Megamikren, die er ihnen vorstellen werde, das Augenlicht wiedergeben. Auch befahl ich Jakob, mir über die Ergebnisse aller dieser Operationen stets sofort zu berichten; denn unwillkürlich war ich doch ein bißchen unruhig darüber. Ich empfahl ihnen Schweigen, obgleich die Sache ja kein Geheimnis mehr war. Das ganze Kollegium der Physiker hatte entschieden, daß wir die Blinden durch Herausziehung des Stars heilten; denn anders könne es nicht sein. Aber nach dem, was vorgefallen war, hüteten sie sich, selber einen Versuch zu machen; sie zitterten alle bei dem bloßen Gedanken daran. Und wenn sie übrigens den Mut gehabt hätten, die Operation vorzunehmen, so würden sie niemanden gefunden haben, der den Mut gehabt hätte, sich ihren Händen anzuvertrauen.

Ich empfahl Jakob, in Heliopalu am ersten Tage unseres Jahres stets ein prachtvolles Fest zu geben, dazu die Blüte des Adels einzuladen und in derselben Weise wie ich die fünfzehn Vermählungen der dreißig jungen Riesen seiner fünf Stämme vorzunehmen, zu deren Oberhaupt ich ihn ernannt hatte, ohne jedoch deshalb auf die väterliche Oberhoheit zu verzichten.

Ich meldete dem König, daß alles bereit sei, und der Tag der Abreise wurde festgesetzt, weil Seine Majestät sich nach einem Landhause begeben wollte, um sich am Anblick eines so schönen Zuges zu erfreuen. Im Laufe des Gespräches sagte er mir, er erinnere sich stets mit Vergnügen der schönen Schauspielaufführung, die ich für ihn veranstaltet habe. Sein Unzertrennlicher fragte mich, ob ich es wohl auf mich nehmen würde, die königlichen Prinzen nebst einigen Freunden vom Hofe in der Schauspielkunst zu unterrichten. Ich antwortete ihm, ich würde das sehr gerne tun, und es würde mir nicht einmal die geringste Schwierigkeit machen, in seinem Palast ein Theater wie das meinige zu erbauen und dazu noch ein kleines, das nur 1000 Paare fassen würde, um Aufführungen im Familienkreise zu veranstalten. Ferner sagte ich ihm, am ersten Tage meines nächsten Riesenjahres würde ich ihm ein neues Schauspiel bieten. Sie sprachen mir ihre größte Dankbarkeit dafür aus und der König bat mich, ich möchte ihm alle Eintrittskarten überlassen, die er diesmal gerne selber verteilen wollte; er lasse mir jedoch die Logen der Riesen für mich, meine Kinder und alle diejenigen, die ich einzuladen wünsche. Ich versprach nun dies alles und bat ihn, mir die Wahl des Platzes zu überlassen, wo ich das Theater für ihn an seinem Hof bauen wolle. Ich bestimmte dazu einen Platz in seinem kleinen Park, in den er sich durch einen Korridor seines Palastes begeben konnte, ohne das Haus zu verlassen. Dort hatte ich Raum genug, um den Bau nach meinem Plan auszuführen. Ich versicherte ihm, daß er diesen in weniger als drei Ernten werde beendigt sehen.

So kam der Tag der Abreise heran, ein Tag der Tränen für alle, besonders aber für mich und für meine Frau. Nun versammelte ich alle Auswanderer auf meinem Landgut, von wo aus ich sie wollte abreisen sehen. Ich übertrug auf meinen ältesten Sohn Jakob vor ihnen allen meine ganze Autorität und verlangte, daß sie ihm Treue und Gehorsam schworen, bis ich selber in meinem Lehen eintreffen würde, wo sie mich binnen kurzem sehen würden. Unser Freund, der Groß-Gärtner, war bei diesem rührenden Auftritt zugegen und sah sie abreisen. In jedem Wagen saßen Mann und Frau und zwei Megamikren, die die Kleinen hielten, welche vor noch nicht einer Woche entwöhnt worden waren. Die Seminaristen saßen selbviert in einem Wagen, aber die Knaben von den Mädchen getrennt. Ich bestieg mit meiner Frau, dem Groß-Gärtner und seinem Unzertrennlichen eine offene Kalesche, um sie den halben Weg bis zur ersten Post zu begleiten. Wenn ich nicht so vorsichtig gewesen wäre, durch einen öffentlichen Anschlag die Bevölkerung vom Anlaß dieser Reise in Kenntnis zu setzen, so glaube ich, das Volk, das uns vergötterte, würde sie nicht haben reisen lassen. Sie fuhren unter den Zurufen einer ungeheuren Menge Menschen ab, von denen sie viele überfahren haben würden, wenn sie nicht ganz langsam gefahren wären. An dem Ort angekommen, wo ich von ihnen Abschied nehmen wollte, ließ ich haltmachen; ich ging zu jedem Wagen, um sie noch einmal zu küssen und zu segnen. Wir folgten ihnen mit den Augen, bis wir sie nicht mehr sahen; dies dauerte eine Stunde, obwohl sie sehr schnell fuhren. In jener Welt sieht man eine Kutsche bis zu einer Entfernung von achtzehn englischen Meilen, ohne dazu ein Fernrohr nötig zu haben; noch weniger braucht man an einem erhöhten Ort zu stehen; denn je weiter der Gegenstand entfernt ist, desto höher befindet er sich. Als wir zurückfuhren, ließ der König, der den Zug von einem kleinen Landhause aus gesehen hatte, uns bitten, auszusteigen, als wir vor seiner Tür waren. Das Königspaar war allein. Der Unzertrennliche sagte meiner Frau hundert Dinge, um sie zu trösten und ihre Tränen zu trocknen. Seine Majestät war so gnädig, uns in ihrem eigenen Wagen nach Hause zu bringen.

Nach der Abreise meiner schönen Karawane übergab ich einer Anzahl meiner Kinder die Ämter, die bisher von den Ausgewanderten versehen worden waren. Ich hatte den Plan entworfen, am ersten Tag unseres nächsten Jahres dem König das Schauspiel eines Feuerwerks zu bieten und wählte daher unter meinen Söhnen alle diejenigen aus, an denen ich in zehn Jahren meiner Versuche auf diesem Gebiet Begabung dafür entdeckt hatte. Ich hatte sehr glückliche Experimente gemacht, doch gelang mir das volle Eindringen in diese Kunst erst im Laufe dieses Jahres.

Mein zwölfter Sohn, Mathias, und dessen Sohn Josef hatten sich der Feuerwerkerei mit solcher Hingebung gewidmet, daß ich des Gelingens meines Planes sicher war. Ich ließ in meinem Park an einer Stelle, wo die Ausschachtungen bereits gemacht worden waren, ein Theater herstellen, wie kein europäischer Baumeister es jemals ersonnen hat. Die größte Aufgabe für den, der in jener Welt bauen will, verursacht das Ausheben des Erdreichs. Dieses muß nämlich auf das freie Feld geschafft und dort vollkommen eben ausgebreitet werden. Dies wird natürlich erhöht, aber das darf nicht sichtbar sein. Ich mußte die Erde daher sehr weit fortschaffen lassen, denn die Felder in der Nähe der großen Stadt waren schon hoch genug infolge der Schachtungen, die man seit so vielen Jahrhunderten vorgenommen hatte. Die Megamikren verstehen sich ausgezeichnet auf diese Erdarbeiten. Es sind ebenso viele Arbeiter für das Ausheben wie für die Fortschaffung des Erdreiches vorhanden. Diese geschieht durch Karren. Ein Kubikklafter Erde erfordert drei Karren von einem Kubikklafter Inhalt, weil die lose Erde soviel mehr Raum einnimmt. Infolgedessen kann jemand, der ein Haus bauen will, sich in einer Viertelstunde ausrechnen, was es ihm kosten wird. Aber wenn er dies schon weiß, so ist deshalb die Ausgabe für ihn nicht geringer. Die Fortschaffung des Erdreichs erstreckte sich auf mehr als zwanzig Wegstunden in die Runde. Ich gab ein Vermögen dafür aus. Ein Würfel von 100 Klafter Seitenlänge enthält eine Million Kubikklafter, welche drei Millionen Karren füllen. Ich hatte nur 20 000 Karren; es waren also 150 Reisen erforderlich, um solche Mengen Erdreich fortzuschaffen. Ich sah aber, daß ich, um in jener Welt die größten Erfolge zu erzielen und meine ganze Nachkommenschaft glücklich zu machen, weiter nichts nötig hatte, als die größte Ehrfurcht vor uns zu schaffen, indem ich die Megamikren in Staunen setzte. Das höchste Erstaunen mußte aber ein schönes Feuerwerk hervorrufen; ein höheres, als es mir bis jetzt gelungen war zu erregen.

Das Theater für dieses Feuerwerk, das ich im Dunkeln veranstalten wollte, hatte eine Tiefe von achtzig Klafter oder 400 Fuß. Es bildete einen Zylinder, dessen innerer Umfang 352 Klafter, während der äußere Umfang des Theaters vierzig Klafter mehr betrug, weil er nämlich nicht rund, sondern quadratisch war. Der Durchmesser betrug ungefähr 116 Klafter. Das Gebäude hatte vierundvierzig gleichweit voneinander entfernte Türen und vierundvierzig Treppen, die zu ebener Erde etwa fünf Klafter breit waren. Sie waren ungefähr vier Klafter voneinander entfernt.

Das ganze Theater enthielt 48232 Logen zu je zwölf Plätzen, es bot also bequem Platz für 578784 Personen, von denen 40800 Riesen sein konnten. Ich brachte unsere eigenen Logen im unteren Teil des Theaters unmittelbar unter dem elften Rang an, der für den König bestimmt war.

Wenn man in jener Welt ein Feuerwerk im Freien hätte veranstalten können wie in der unsrigen, so würde ich mir eine Ausgabe von elf Millionen Goldunzen erspart haben, die uns dies Riesengebäude kostete, an dem ich mehr als 200000 Megamikren arbeiten ließ. Von meinen Arbeitern wußte keiner, was ich da machen ließ; sie glaubten, es werde ein neues Schauspielhaus, obgleich sie nicht begriffen, wie diejenigen etwas würden sehen können, die sich hinter den Schauspielern befänden. Aber diese Zweifel und dieses Nichtwissen beunruhigte sie lange nicht so sehr wie der beständige Lärm, der aus den unteren Gewölben empordrang, in denen die Riesen an etwas – aber man wußte nicht woran – arbeiteten, und zu denen kein Megamikre jemals zugelassen wurde. Man sprach in der ganzen Hauptstadt nur noch von diesen Geräuschen und alle Welt zitterte, da keiner eine Ursache wußte und jeder eine erfand. Den meisten Anklang fand die Mär, daß wir beschlossen hätten, uns einen Weg zur Rückkehr in unsere alte Heimat zu bahnen. Man traute uns alles zu und bedauerte sehr, daß man uns bald verlieren werde; aber man befürchtete auch, die ungeheure Aushöhlung, die wir machen wollten, müßte das größte Unglück über ihre eigene Welt bringen; denn Gott allein könnte wissen, welche Wirkung eine solche Öffnung auf ihre Luft und ihre Flüsse ausüben könnte. Vielleicht würden diese in dem Schlund verschwinden, vielleicht würde durch diesen ein Schlamm eindringen, der die Kinder der Sonne in kurzer Zeit ersticken müßte.

Als wir so eifrig an der Arbeit blieben und uns so geheimnisvoll benahmen – denn wir sprachen mit keinem Menschen je ein Wort darüber und niemand wagte uns darüber zu befragen – da entschlossen endlich die Furchtsamen, Abergläubischen und Intriganten sich dazu, das Kollegium der Physiker aufzufordern, binnen einer Fünftagwoche zu erklären, ob eine Öffnung in der Oberfläche ihrer Welt für die Erhaltung derselben verhängnisvoll werden könnte oder nicht. Diese Schrift, von deren Einreichung ich ebensowenig wußte wie von ihrem Gegenstand, setzte das Physikerkollegium in Verlegenheit und Unruhe; denn das allgemeine Gerücht verhehlte ihnen weder die Reden, die über uns im Umlauf waren, noch die starken Gründe, die annehmen ließen, daß wir tatsächlich darauf aus seien, eine solche Öffnung herzustellen. Ihre Wissenschaft sagte ihnen, daß durch eine solche Öffnung alles zugrunde gehen mußte. Aber wie hätten sie es wagen können, diese Erklärung abzugeben, von der sie ja wußten, daß sie durch den Druck vervielfältigt werden mußte? Mußten sie nicht befürchten, dadurch ein ähnliches Unheil heraufzubeschwören, wie das, welchem sie vor wenig Jahren mit knapper Not entgangen waren? Der Jahrespräsident sah sich gezwungen, seine Meinung zu erklären, und wußte, um sich dem zu entziehen, keinen anderen Rat, als dem Vorsitz für ewige Zeiten zu entsagen. Hierüber sehr bekümmert, mußte das Kollegium einen neuen Vorsitzenden wählen. Als die Stimmen gezählt wurden, fanden sie zu ihrer Überraschung, daß die Wahl auf mich gefallen war! Sie werden sich, Mylords, erinnern, daß ich seinerzeit als Mitglied gewählt worden war. Man überbrachte mir sofort diese Nachricht durch eine Abordnung von fünf Mitgliedern mit Pauken und Trompetenschall. Die Nachricht überraschte mich und mißfiel mir; denn eine solche Ehre war nicht nach meinem Geschmack. Aber ich mußte sie annehmen und auf der Stelle vom Führer der Abordnung eine Ansprache an mich halten lassen.

Ich antwortete ihm in wenig Worten, ich würde am nächsten Tage allein im Kollegium erscheinen, um meinen Dank abzustatten. Meine Frau stand nämlich unmittelbar vor ihrer Niederkunft.

Am nächsten Tage ging ich hin und man denke sich meine Überraschung, als der erste Schriftführer der Fakultät mir die erwähnte Zuschrift vorlegte. Ich sah sofort, was im Werke war. Es gelang mir, ein Lachen zu unterdrücken; ich schrieb meine Antwort nieder, las sie laut vor und ließ sie von sämtlichen Mitgliedern unterschreiben. Hierauf wurde sie in die Hofbuchdruckerei geschickt. Das ganze Kollegium war voller Freuden!

Mein Gutachten aber lautete folgendermaßen: »Das Kollegium der Physiker ist einstimmig der Meinung seines Vorsitzenden, des edlen christlichen Riesen Eduard Alfred, daß durch eine Öffnung in der Oberfläche unserer Welt die zu ihrer Belebung notwendigen Flüssigkeiten entschwinden und daß gleichzeitig fremde und für unsere Atmosphäre schädliche Stoffe durch dieselbe eindringen würden. Ein jeder derartiger Abfluß oder Zufluß würde eine Gewichtsveränderung zur Folge haben, die unser ganzes System über den Haufen werfen könnte, da es so, wie es ist, vollkommen ist.«

Damit schloß die Sitzung und das ganze Kollegium spendete mir die höchsten Lobsprüche wegen meiner unfehlbaren Entscheidung. Als ich wieder zu Hause war, erregte ich bei allen meinen lieben Feuerwerkern herzliche Heiterkeit über meine Neuigkeit. Aber sie blieben so verschwiegen wie zuvor und arbeiteten unermüdlich an der großen Maschine, die nach einer Ernte fertig und mit dem ganzen Feuerwerk ausgerüstet sein mußte. Der Riesenlärm, ohne welchen ihre Arbeiten nicht zu machen waren, dauerte also fort. Der Lärm wurde dadurch verursacht, daß sie mit starken Hammerschlägen die Raketen laden und daß sie harte Stoffe in eisernen Mörsern zerstampfen mußten. Wir hatten Eile und trieben die Arbeiten so vorwärts, daß wir sogar einige von den Ruhestunden mit zu Hilfe nahmen. Wir arbeiteten nur in den unterirdischen Gewölben: in dem einen wurden die Stoffe zerkleinert, gesiebt, gemischt; in einem andern machte man Patronen, schnürte sie ab, klebte sie und ließ sie trocknen; in einem dritten wurde das Pulver nebst andern brennbaren Stoffen in glasierten irdenen Töpfen aufbewahrt, die wir gut zudeckten, damit der Inhalt nicht durch die Luft verdorben würde. In anderen Räumen hatten wir Pulver, Kohle, Salpeter, Eisenspäne, Schwefel, Sägemehl, Kampfer, Quecksilber, viele verschiedene Sorten Harz, endlich alle möglichen Arten von Sieben, von ganz groben bis zu den allerfeinsten. Alle diese unterirdischen Gewölbe standen untereinander in Verbindung und der Zutritt war allen Megamikren verboten. Man begann es sehr eigentümlich zu finden, daß wir nach der vom Kollegium veröffentlichten Erklärung ruhig weiterarbeiteten.

Mein Frau schenkte uns in diesem Jahr Dionys und Eugenie, unser vierunddreißigstes Zwillingspaar.


Die ganze Stadt zeigte sich von der Veröffentlichung des Physikerkollegiums befriedigt, weil man wußte, daß die Erklärung von mir herrührte. Die Ängstlichen hielten den Mund. Als man aber merkte, daß die unterirdischen Geräusche nicht nur nicht aufhörten, sondern jeden Tag immer noch stärker wurden, da zog man daraus nicht den Schluß, daß es sich also nicht um eine Öffnung handle, sondern man sagte: ich tue eben einfach, was ich wolle und mache mich ganz unverhohlen über alle Welt lustig. Sie glaubten, es sei keine Zeit mehr zu verlieren, und wandten sich darum unverzüglich an das Gericht des Bischofs und an das des Königs. Ich wurde vor beide geladen.

Sobald der Protosynzelle des Bischofs mich sah, fragte er mich, warum ich denn fortfahre, eine Öffnung in die Erde zu machen, nachdem ich doch meine Meinung dahin ausgesprochen habe, daß es zu einer Katastrophe führen werde. Ich antwortete ihm, ich machte keine Öffnung und hätte niemals daran gedacht, eine zu machen.

»Was macht Ihr denn«, fragte er, »heimlich vor aller Welt in Euren unzugänglichen Kellergewölben?« »Diese Frage«, antwortete ich ihm, »scheint mir aus unerlaubter Neugier hervorzugehen; infolgedessen versage ich mir, darauf zu antworten.«

Diese Antwort ärgerte den Groß-Richter; ich verzog den Mund, stand auf und ging.

Am nächsten Tag ging ich zum König, der mich auf das huldvollste empfing. Er war von seinen Ministern umgeben, die sich sofort erhoben, um sich zu entfernen, er sagte ihnen jedoch, daß sie bleiben möchten. Er sprach mit mir über sein kleines Theater, das bereits fertig war (worauf ich sofort zurückkommen werde) und über mehrere andere gleichgültige Dinge. Als er die Glocke zur großen Audienz läuten hörte, entfernte er sich. Ich sah klar und deutlich, daß der König mit mir nicht über die schwebende Angelegenheit sprechen wollte und auch nicht wünschte, man könnte etwa glauben, daß er mit mir darüber gesprochen hätte.

Ich ging also am nächsten Morgen vor Gericht, wie mir befohlen war, und der Groß-Richter sagte mir: Der König sei gewiß, daß seinem Reiche niemals das geringste Unglück durch irgendeine noch so unbedeutende Handlung meinerseits widerfahren werde; er wolle daher durchaus nicht wissen, welches die Ursache des Geräusches in meinen von keinem Megamikren jemals betretenen Gewölben sei. Aber er beauftrage mich, seine guten Untertanen, die nun einmal Angst hätten, zu beruhigen; und Seine Majestät sei überzeugt, daß ich mit leichter Mühe ein geeignetes Mittel finden werde. Ich antwortete ihm, dem Gebot des Königs werde Gehorsam geschehen.

Ich begab mich nun zu meinem Sohn Theodor und diktierte ihm eine Mitteilung, die sofort angeschlagen wurde und den vollen von mir gewünschten Erfolg hatte. Ich erklärte: ich sei bereit, mein ganzes Knabenseminar als Geiseln zu stellen; in meinem Hause trotz meinen Vorrechten eine von drei Führern des Megamikrenvolkes befehligte Wache aufzunehmen und mein ganzes Seminar dem Henkerstod auszuliefern, sobald den unterirdischen Geräuschen das geringste Unheil folge. Zum Schluß erklärte ich, diese Geräusche würden kaum noch drei Brände dauern, und dann würde die ganze Stadt über die Ursache dieser Geräusche entzückt sein, da ihre Wirkung nach dem einstimmigen Urteil das Menschengeschlecht beglücken werde.

Diese Erklärung machte dem König das allergrößte Vergnügen und beschwichtigte alle Welt. Das war gut; denn sonst hätte sich aus Aberglauben und Angst leicht ein Aufruhr entwickeln können.

Die Beschäftigung mit meinem großen Theater und mit meinem Feuerwerk verhinderte mich nicht, in demselben Jahr auch das kleine Theater für den König fertigzustellen. Es war vor der Niederkunft meiner Frau, Töchter und Enkelinnen fertig.

Ich wählte im Bezirk des königlichen Palastes ein gleichseitiges Viereck von vierzig Klaftern aus und umgab den Platz mit einem Baumgang von vier Klaftern Breite. Ich ließ von 16000 Megamikren die Erde ausheben und durch 8000 Karren 32000 Kubikklafter Erdreich fortschaffen. Hierzu war nicht einmal die Zeit eines Brandes erforderlich. Ich machte dieses kleine Theater nur zwanzig Klafter tief und umgab es auf allen Seiten mit Alleen von Bäumen, die eine Klafter voneinander entfernt standen. Die Umpflanzung kostete viel Arbeit; ich gebrauchte 4000 Gärtner dazu; sie kostete deshalb auch viel Geld, weil ich alle Stämme so krumm biegen ließ, daß die Bäume ein dichtes Dach bildeten. Ich verwandte nur Bäume, die schon von Schlangen gesäubert oder aus gesäuberten nachgewachsen waren. Das tat ich, ohne den König zu fragen; aber ich wußte längst, daß er die Schlangen nicht liebte.

Dieses kleine Theater, das ein wahres Juwel war, kostete dem König zwei Millionen Unzen. Diese Ausgabe veranlaßte eine ehrerbietige Vorstellung von seiten seines Obersthofmeisters, der ihm seine Eingabe in meiner Gegenwart überreichte. Der König und sein reizender Unzertrennlicher gaben sich den Anschein, die Anzeige sehr wichtig zu finden, sagten ihm jedoch dann ganz kühl: alle, die das Theater gesehen hätten, schätzten die Baukosten auf fünf Millionen Unzen.

Er sprach den Wunsch aus, ich möchte den Prinzen seiner königlichen Familie das Schauspiel: Der Stein der Weisen einstudieren. Ich sagte dies gerne zu.

Die Vorstellung verlief aufs allerbeste. Nur die vornehmste Welt war zu der Vorstellung eingeladen. Die Zuschauer beschränkten sich auf die Zahl von 600 ohne das Königspaar, die königliche Familie und die Geheimräte. Man erklärte mein Theater für ein Kleinod. Man bewunderte den Bauplan, besonders in bezug auf die kleinen Logen und die geheimen Ausgänge, und die geschmackvolle, dabei unaufdringlich reiche Ausschmückung. Bei allem verschwenderischen Putz blieb doch die Symmetrie stets gewahrt. Besonderes Vergnügen hatte der König an den vergitterten Logen, in denen nur ein einziges Paar Platz fand, das zwar sehen, aber nicht gesehen werden konnte. Nur der König wußte, wer in den Logen war, denn die besonderen Eintrittskarten für diese kleinen Logen wurden nur von ihm allein vergeben.

Nach dem Ende der Theatervorstellung folgte die ganze Gesellschaft dem König nach dem Baumgang, der rings um das Theater herumführte. Er ging sechsmal rund herum. Da die Bäume sich gegeneinander neigten, so wurde das Sonnenlicht gedämpft und es herrschte eine grünrote Dämmerung, die dem Auge unendlich wohltat. Alle Spaziergänger sahen nach dem Laubgewölbe empor und keiner wagte zu glauben, daß tatsächlich nicht ein einziges Schlangenpaar auf allen diesen vielen Bäumen sei.

Da der König sich nicht darüber äußerte, so wagte niemand ein Wort davon zu sagen. Jeder genoß schweigend die Schönheit einer solchen Promenade. Der König ging den ganzen Weg zwischen mir und seinem Unzertrennlichen und sprach von weiter nichts als von den Bräuchen unserer Riesenwelt, wobei er kunstvoll seine Neugierde zu verbergen wußte, indem er sie in die Form von Betrachtungen kleidete. Es war meine Sache zu erraten, was er zu wissen wünschte, und ihn durch meine Antworten zufriedenzustellen. Als die Glocke der Ruhestunden erscholl, zog er sich sehr befriedigt zurück.

Drei Tage darauf mußte er Wachen um das Theater stellen lassen, weil mehr als 20000 Neugierige sich herzudrängten. Gegen Ende des Tages wurden nur noch Adlige zugelassen, da zu dieser Stunde der Herrscher erwartet wurde. Der Spaziergang erregte fanatische Verwunderung; der Bischof, der ihn sehr oft benutzte, hatte die Promenade Seelenruhe genannt. Dieser Name blieb. Unsere Anhänger nannten uns Spender göttlicher Gnaden, Vorläufer der allgemeinen Glückseligkeit. Diejenigen aber, deren Interessen wir durch unsere Neuerungen geschädigt hatten, konnten uns nicht ausstehen und sagten alles mögliche alberne Zeug gegen uns. Nur die Alfakinen verhielten sich abwartend, seitdem der Große Helion uns zu Fürsten gemacht hatte.

Am Tage nach der Theatervorstellung erhielt ich einen Brief von Jakob aus einem Königreich, das im letzten Drittel seines Reiseweges lag. Der Brief enthielt Angelegenheiten, von denen ich dem König Kenntnis zu geben für angebracht hielt. Der Herrscher des Königreichs Zweiundzwanzig bat nämlich Jakob um die Gnade, sämtliche Gärten seines Hofes von den Schlangen zu säubern. Er zeigte ihm ein Orakel des Großen Genius, der ihm erklärte, der Heilige Hof habe gegen seinen Wunsch durchaus nichts einzuwenden, sofern die Riesen ihm diesen Gefallen tun wollten. Jakob schrieb mir, er hätte einen großen Fehler zu begehen geglaubt, wenn er dem Herrscher seinen Wunsch abgeschlagen hätte; 160 von meinen Kindern hätten daher in acht Tagen 6000 Schlangen vergiftet. Aus Dankbarkeit hätte der König ihm und allen Riesen das Bürgerrecht in seinen Staaten auf ewige Zeiten verliehen. Er hätte ihm eine Fläche von 100 Topen ins Geviert geschenkt mit der Erlaubnis, eine Riesenstadt nach seinem Belieben darauf anzulegen.

Als ich meinem König diesen Vorfall mitgeteilt hatte, sprach er folgendes:

»Die Briefe, die ich von meinen Gesandten aus allen Staaten unserer Welt erhalte, sagen mir alle dasselbe in betreff des Lehens, zu dessen Fürsten der Große Genius Euch gemacht hat. Alle Welt sagt, Euer Erscheinen unter uns sei eine göttliche Sendung zu dem Zweck, die Schlangen gänzlich auszurotten. Sie sagen, Gott habe sich entschlossen, den Megamikren diese große Wohltat zu erweisen, damit sie dankbar seien, ihre Sitten ändern und keine Sünder mehr seien. Zu dieser Besserung habe die Furcht sie bisher nicht bewegen können. Ich muß sagen, daß mir diese Schlußfolgerung ziemlich gelungen erscheinen würde, wenn es mir möglich wäre, das Megamikrengeschlecht für so sündhaft zu halten, wie man immer sagt. Sehe ich mir aber seine Fehler und Verirrungen an, so kann ich es nur für schwach halten. Ihr, mein lieber Freund, seid so kühn, aber auch so weise gewesen, um mein Theater eine Allee von 320 heiligen Bäumen ohne Schlangen herumzuführen. Ich hatte das Vergnügen, in Euch einen Menschen zu erkennen, der meine Denkungsart gründlich kennt und damit rechnet. So besitze ich jetzt eine Promenade, die mein ganzes Leben lang meine Wonne sein wird, da ich niemals eine andere benutzen werde. Ich sehe voraus, daß Eure Kinder nach und nach alle Schlangen in unserer Welt ausrotten werden. In 400 Jahren wird es hier keine einzige mehr geben. Diese Ausrottung wird stets als ein Wunder angesehen werden, zumal da niemand begreift, wie Ihr dies Gezücht töten könnt, ohne daß man an den Leichen jemals ein Zeichen bemerkt, woraus man auf die Art ihres Todes schließen kann. Man sieht sie leblos, weiß aber nicht, wie sie das Leben verloren haben.« Ich antwortete dem König, es werde für ihn kein Geheimnis mehr sein, wenn er mir die Schlangen seines kleinsten Landhäuschens überantworten wolle. Wenn er sich ohne jedes Gefolge zu einer ihm passenden Stunde dort einfinden wolle, so könne ich ihm zusichern, daß ihm nicht die geringste Gefahr drohen werde. Ich bat ihn noch, mir einen Tag vorher Bescheid zu geben, damit ich mich allein an den betreffenden Ort begeben und einige Vorbereitungen treffen könne. Der Herrscher bezeichnete mir sofort das Haus und befahl dem Verwalter desselben, mich nach meinem freien Belieben gewähren zu lassen. Nachdem ich dem Königspaar gesagt hatte, es möge sich für den nächsten Tag bereithalten, empfahl ich mich und ging nach jenem Hause.

Mir war nicht ganz leicht zumute im Gefühl der Verantwortung, die ich übernommen hatte.

Ich fand ein kleines Lusthäuschen, zu welchem von einem großen Schloß aus eine schöne Allee von allen möglichen Bäumen führte. Am Lusthäuschen selber erblickte ich sechs heilige Bäume. Ich ließ nun sofort meine fünf ältesten Söhne holen und sagte ihnen im tiefsten Geheimnis, am nächsten Morgen werde das Königspaar der Vernichtung der Schlangen beiwohnen; wir müßten diese selbsechst auf einmal tot zu Boden strecken. Wir gingen nach Hause und ich schickte unverzüglich eine gut verschlossene Kiste mit allem erforderlichen Schießgewehr nach dem Lusthäuschen hinaus.

Zwei Stunden vor dem vom König mir angegebenen Zeitpunkt war ich an Ort und Stelle und schickte sechs Gärtner fort. Sie entfernten sich traurig in der festen Überzeugung, daß sie bei ihrer Rückkehr ihr hochverehrtes Herrscherpaar nicht mehr wiedersehen würden.

Allein geblieben gingen wir in das Gärtchen und luden sechs doppelläufige Gewehre mit sechs Giftschläuchen und sechs Pistolen mit Kugeln, um auf alles gerüstet zu sein. Dann umgürteten wir uns mit unseren Patronentaschen. Wir sahen den König und seinen Unzertrennlichen in einem geschlossenen Wagen ohne Pferde und Kutscher sehr schnell heranfahren. Wir eilten ihnen entgegen, um den Wagenschlag zu öffnen, und ich übergab den Majestäten sofort zwei mit Kugeln geladene Pistolen mit doppelten Läufen von sechs Zoll Länge. Ich schnallte ihnen eigenhändig eine sehr hübsch gearbeitete Patronentasche um, worin sich Kugeln und Pulver befanden. Ohne ihnen Zeit zu Fragen zu lassen, sagte ich ihnen unaufgefordert, die Maschinen, die sie in der Hand hielten, wären Blitze, die den Feinden der menschlichen Ruhe und Sicherheit den Tod schleuderten. Um sie zu töten, brauchte man die Waffe nur in grader Richtung auf die Stelle zu halten, die man treffen wollte, und mit dem Zeigefinger den Abzug zu berühren. Ich zeigte ihnen den Abzug und beschrieb den Schuß, der dann erfolgen würde. Ich sagte ihnen: ich sei überzeugt, daß sie der Waffen nicht bedürfen würden und daß ich sie ihnen nur aus Vorsicht für alle Fälle gäbe, damit sie sich verteidigen könnten, wie Gott es den Menschen geboten, wenn sie sich Feinden gegenüber sähen. Als ich überzeugt war, daß sie mich vollkommen verstanden hatten, stellte ich sie an das Ende des Baumganges, wo wir unsere Gewehre hatten. Ich ergriff zwei von diesen und stellte mich dem ersten Baum gegenüber auf, indem ich mein zweites Gewehr vor mich hin auf den Boden legte. Der König hatte sich nur um einen Schritt von mir entfernt. An das andere Ende des Baumganges stellte ich den Unzertrennlichen in gleicher Entfernung von einem meiner Söhne auf; dieser tat sofort genau das, was er mich hatte machen sehen. Sodann schickte ich meine anderen vier Söhne jeden zu seinem Baum. Ich legte mein Gewehr an und sagte dem König, er solle genau auf unsere Bewegungen achtgeben, sobald er mich das Wort Feuer! rufen höre. Als ich sah, daß alle meine Söhne richtig standen und daß unsere Schüsse nicht fehlgehen konnten, feuerten wir. Ich wandte mich sofort zu dem Königspaar und alle meine Söhne traten zu uns. Unsere zwölf Feinde lagen bereits tot unter den Bäumen, ohne daß sie auch nur ein einziges Zischen hatten von sich geben können. Ich führte das Königspaar langsam durch das ganze Gärtchen und zeigte ihm die bewegungslosen zwölf Ungeheuer.

Sie machen sich, Mylords, kaum einen Begriff, wie leid es mir tat, das Königspaar aufgeregt und fast entsetzt zu sehen, als ich ihm die beiden kleinen Pistolen gab. Aber es gibt Anlässe und Augenblicke, wo man grade gegen diejenigen grausam sein muß, die man am meisten liebt. Als sie aber die Schlangen tot sahen, kamen sie sofort wieder zu sich. Vor allen Dingen umarmten sie einander sehr zärtlich; dann sangen und tanzten sie und kletterten an mir empor. Doch legten sie vorher ihre Pistolen nieder – eine Aufmerksamkeit, die ich unwillkürlich bewundern mußte. Sie gaben mir unzählige Küsse trotz meinem Bart, der für die empfindliche zarte Haut eines Megamikrenkönigspaares sehr hart und stachelig sein mußte; denn ich stand am Ende meines neunundvierzigsten Jahres. Ich bat sie nun um Verzeihung dafür, daß ich ihren Mut auf eine so harte Probe hätte stellen müssen. Sie antworteten mir mit bescheidenem Stolz; dann aber ergriff der König das Wort und fragte mich, ob es mir erlaubt sei, seine Wißbegierde nicht als eine unziemliche Neugier anzusehen? Er wünschte zu wissen, ob die Vernichtung und Ausrottung der Schlangen uns von unserer Religion durch eine ganz besondere Vorschrift geboten sei und welches der Anlaß zu einer Feindschaft sei, die er wohl im Lande der Megamikren begreifen könne, die jedoch in unserer Welt seltsam erscheinen müsse, da wir ja dort nicht wie hier auf die von den Schlangen verteidigte Nahrung angewiesen seien? Ich antwortete ihm: »Ich kann Eurer Majestät keinen besseren Bescheid geben, als indem ich die Überlieferung unserer Heiligen Schrift anführe – eine Überlieferung, die uns schon im zartesten Kindesalter so in Fleisch und Blut übergeht, daß wir sie unser Lebenlang nicht vergessen können. Und ich erzählte ihm die biblische Schöpfungsgeschichte und die Austreibung des ersten Menschenpaares aus dem Paradiese.

Der König hatte meine Erzählung aufmerksam angehört und als ich fertig war, sagte er mit einem bedeutungsvollen Blick auf seinen Unzertrennlichen: »Ihr habt mir bereits früher gesagt, daß nach Eurer Meinung unsere Megamikrenwelt jener Garten Eden sei, aus dem Eure Voreltern vertrieben wurden. Wie nun? Sind dann die Früchte, die Ihr hier esset, von jenem Baume des Lebens? Und werdet Ihr nicht ewig leben, wenn Ihr von diesen Früchten esset? Dann aber würde selbst unsere große Welt in berechenbarer Zeit für Euch Riesen zu klein werden.«

Ich konnte ihm auf diese sehr kluge Bemerkung nur mit einer stummen Verbeugung antworten.

Der König und sein Unzertrennlicher hoben nun ihre Waffen wieder vom Boden auf; sie umklammerten den Kolbenhals, wie ich es ihnen gezeigt hatte, und hielten ihren Zeigefinger weit genug vom Abzug entfernt. Sie fragten mich, welchen Gebrauch sie von den Waffen machen sollten, worauf ich erwiderte: eben das wolle ich ihnen auf der Stelle zeigen.

Da ich mich auf ihre Frage schon vorbereitet hatte, so befahl ich meinen Söhnen, aus dem Lusthäuschen eine Kiste hervorzuholen, in der sich zwei aus Pappe gepreßte Schlangen befanden; diese waren so wundervoll bemalt, daß sie tatsächlich von natürlichen nicht zu unterscheiden waren. Ich nahm sie aus der Kiste und setzte sie nebeneinander auf eine kleine Erhöhung. In einer gewissen Entfernung stellte ich das Königspaar auf und sagte zuerst dem König, er möchte nach den Augen der ihm gegenüber befindlichen Schlange zielen und den Abzug berühren, sobald er bemerkte, daß er die genaue Richtung hätte. Er tat es und das Pistol ging völlig geräuschlos los, denn mein weißes Pulver verursachte keinen Knall. Er war erstaunt, als ich ihm das Loch zeigte, das seine Kugel in das Auge des Schlangenbildes geschlagen hatte. Nachdem ich den Unzertrennlichen ebenfalls hatte schießen lassen, ließ ich sie selber laden und lehrte sie den Hahn spannen. Als ich sie sehr erfreut darüber sah, daß sie all dieses Neue kennengelernt hatten, steckte ich selber ihnen die Pistolen in ihre schönen Jagdtaschen und bat sie, alles zum ewigen Angedenken als Geschenk von mir anzunehmen.

Niemals sah ich Freude so lebhaft und so deutlich ausgeprägt wie auf den Gesichtern des liebenswürdigen Paares. Sie wußten gar nicht, wie sie mir ihre Gefühle ausdrücken sollten. Sie drückten die Gewehre, die sie für Wundermaschinen hielten, gegen ihre Brust und der König sagte mir, er lege höchsten Wert auf dieses Geschenk, da er wisse, daß kein einziger Megamikre außer ihm einen solchen Schatz besitze. Er versicherte mir zugleich, er werde mir seine Dankbarkeit beweisen. Schüchtern setzte er dann hinzu: die getöteten Schlangen trügen ja gar kein äußeres Kennzeichen der Wunden, die ihren Tod verursacht hätten; und er war sehr überrascht, als ich ihm sagte, die Wunden könne man nicht sehen, da die langen Gewehre, mit denen ich sie erlegt habe, nicht mit Kugeln, sondern mit vergifteter Luft geladen gewesen seien, die ihnen das Leben genommen habe, sobald es in ihre Lungen eingedrungen sei. Ich zeigte ihnen dann die verbrannten Häute meiner Schläuche, die noch unter den Bäumen rauchten, und sagte ihnen: darin sei die vergiftete Luft eingeschlossen gewesen. Er sagte mir, ganz außer sich vor Erstaunen: er glaube nicht, daß gewöhnliche Menschen so etwas leisten könnten.

Das glückliche Paar kehrte nach dem großen Schloß zurück, nachdem es mir nochmals überschwänglich gedankt hatte. Wir legten alles wieder in die Kisten und begaben uns nach Hause.

Indem ich mich fortwährend mit meinem großen Fest beschäftigte, das nunmehr bald stattfinden mußte, verfiel ich auf den Gedanken, vor meinem Feuerwerk eine Oper aufführen zu lassen. Sie werden sich erinnern, daß der König mich ersucht hatte, ihm allein alle Eintrittskarten zu überlassen und nur die großen Logen für mich und meine Familie zu behalten. Ich schrieb meine Oper in englischer Sprache und mein Sohn Lorenz übersetzte sie ausgezeichnet in die Landessprache: die Musik schrieb der größte Dichter der Stadt. Es machte mir viel Mühe, einen passenden Stoff zu finden, da unsere Mythologie dort ganz unbekannt ist, also die Megamikren völlig kalt gelassen haben würde. Ich mußte einen Stoff wählen, der ihren Sitten entsprach und zugleich doch heroisch war. Ich fand einen solchen schließlich dank ihrer ausgezeichneten Ikonographie; sie haben nämlich alle Abstrakta personifiziert, ja sogar die verschiedenen Unterbegriffe der Begriffe.

Der König des Reiches Neunzig, der in allem so glücklich war und es zu sein verdiente, hatte das Alter seiner vorletzten Fortpflanzung erreicht, ohne jemals ein rotes Paar erzeugt zu haben, das ihm auf dem Throne folgen konnte. Alle Kinder, die er bei zwölf Geburten gehabt hatte, erwiesen sich beim Verlassen des Eies als Bastarde; wenn auch diesmal die vom ganzen Volk heißersehnten roten Sprößlinge ausblieben, beruhte die allerletzte Hoffnung auf der letzten Niederkunft, die aber zuweilen überhaupt ausblieb, so daß also nicht sicher damit zu rechnen war. Das ganze Reich war daher natürlich in trauriger Stimmung, am meisten das königliche Paar; aber die Würde der Krone erlaubte diesem nicht, darüber zu klagen, ja nicht einmal von seinem Kummer etwas merken zu lassen. Niemand wagte also mit dem Königspaar ein Wort darüber zu sprechen. Aus dieser Sachlage schöpfte ich meinen Stoff.

Die Bühne stellte den Aufenthalt der Seligen dar; die Dekoration war über alle Begriffe herrlich. Sie bestand aus einem Säulenrund, das sich bis in den Hintergrund erstreckte. Jede Säule war mit Blumen bemalt und mit dem schönsten Firnis überzogen; alle Blumen waren von Phosphor. Den Hintergrund bildete eine Sonne mit blendenden Phosphorstrahlen.

Mein Drama sollte drei Megamikrenstunden dauern und bestand aus drei Akten. Da es gesungen werden sollte, so mußte ich die Mitwirkenden unter denen von meinen Töchtern, Enkelinnen und Urenkelinnen auswählen, die als die besten Sängerinnen galten. Ich verließ mich in dieser Hinsicht auf das Urteil ihrer Musiklehrer. Wegen der Zartheit ihrer Stimmen zog ich sie den Knaben vor, die darüber sehr betrübt waren. Durch ihre Brüste glichen sie den Megamikren, im übrigen verbargen geschickt geschlungene Tücher ihr Geschlecht. Eine schöne rote Schminke, mit der ihr ganzer Körper eingerieben war, ließ sie als adlige Megamikren erscheinen, worauf sie sich übrigens nichts einbildeten, da man sich nichts Schöneres denken konnte, als deren blendend weiße Haut, die dem allerschönsten Hochrot weit vorzuziehen war. Allerdings mußten die Megamikren hierin natürlich anderer Ansicht sein, für die die schönste Farbe der Welt nur die rote sein konnte.

Die ganze Stadt und das ganze Reich wußte, daß die zuletzt von dem Königspaar gelegten beiden Eier im Brützimmer waren; man kannte die Stunde, in der sie gelegt worden waren, und infolgedessen auch die Stunde, in der die Kleinen unfehlbar ausschlüpfen mußten. Ebenso wußte jedermann, daß der König 152 Jahre alt war. Die Hoffnung, die man noch hegte, war sehr schwach; aber die Liebe der Untertanen stärkte diese Hoffnung, die sich in den heißesten Segenswünschen äußerte. Diesen Stoff griff ich also auf, da ich sicherlich keinen andern hätte finden können, der die Untertanen des Reiches Neunzig mehr interessierte.

Den Höhepunkt meiner Oper bildete ein Orakel, das mitten aus der Phosphorsonne mit herrlicher Stimme hervorgesungen wurde. Es lautete: »Das königliche Paar wird nicht unzufrieden sich in die ewige Ruhe zurückziehen.« Hierauf erscholl ein Gesang mit Orchesterbegleitung; die Sonne wich wieder nach dem Hintergrund zu zurück, die Mitwirkenden verließen die Bühne, der Vorhang fiel.

Diese Oper war zum ersten Tage unseres fünfunddreißigsten Jahres fertig. Ich hatte mehrere sorgfältige Proben gehalten und war daher meines Erfolges völlig sicher. In meinem großen Theater war das Gerüst für das Riesenfeuerwerk vollkommen fertig. Acht Tage vorher begab ich mich zu Seiner Majestät und meldete, daß alles für mein Neujahrsfest bereit sei. Ich sagte dem König, nach der Mahlzeit, die er mit dem von ihm bestimmten Gefolge bei mir einzunehmen gedenken wolle, werde er sich in das kleine Theater begeben und dort alle von ihm Eingeladenen finden. Nach der Vorstellung werde er mit seinem ganzen Gefolge in das große Theater hinübergehen und dort mit eigenen Augen die Ursache des aus meinen unterirdischen Gewölben dringenden Lärms sehen, worüber die große Stadt sich so sehr geängstigt habe. Ich bat ihn, Eintrittskarten zum großen Schauspiel an den Adel und das Volk austeilen zu dürfen. Er sagte mir: wenn ich noch freie Plätze hätte, möchte ich ganz nach meinem Belieben darüber verfügen. Er war überrascht, als ich ihm sagte, die freien Plätze würden 500000 Megamikren fassen. Er sah seinen Unzertrennlichen daraufhin mit einem sehr ausdrucksvollen Blick an.

Sobald ich wieder zu Hause war, ließ ich Plakate drucken, durch die ich allgemein bekanntmachte, daß ich am ersten Tage des neuen Riesenjahres um 12 1/2 Uhr dem König in einem neuen großen Theater auf meinem Landgut ein Fest geben würde. Wer die Ehre haben wolle, als Zuschauer zugelassen zu werden, könne sich Eintrittskarten in den Häusern aller Riesen und bei den von mir namhaft gemachten Adligen besorgen, an den Toren meines Parks dagegen werde man niemanden ohne Eintrittskarte durchlassen. Ich sandte 2000 Karten jedem mir bekannten Adligen; dem Groß-Gärtner aber 4000.

Der große Tag kam heran. Ich hätte meiner Oper keinen glücklicheren Erfolg wünschen können. Der Eindruck, den das Orakel auf den König und seinen Unzertrennlichen machte, war so stark, ihre Rührung so tief, daß ich mir selber Vorwürfe machte, sie in solche Gemütsbewegung versetzt zu haben. Aber ich hatte einen guten Verteidiger in der menschlichen Natur. Der König sagte mir einige Zeit darauf selber, der Vorgang auf der Bühne habe ihn so fortgerissen, daß er tatsächlich geglaubt habe, ich könne das Orakel nur auf höhere Eingebung ausgesprochen haben. Er sowohl wie sein Unzertrennlicher seien von Stund an fest überzeugt gewesen, daß die aus den Eiern hervorschlüpfenden Kinder nur rot sein könnten.

Der Eindruck des Feuerwerks aber war geradezu überwältigend. Man muß bedenken, daß ein solches in jener Welt nur in einem dunklen Raum möglich ist, der eigens hergestellt werden muß; außerdem war ja aber das Pulver dort gänzlich unbekannt. Man kannte kein anderes Licht als das der Sonne und des Phosphors.

Der Bischof sandte eine Beschreibung des großen Wunders nach Heliopalu; er ließ sie auch drucken und über die ganze Megamikrenwelt verbreiten. Dieser von einem sehr scharfsinnigen und gewandt schreibenden Megamikren verfaßte Bericht war für uns Riesen im höchsten Maße merkwürdig. Ich habe ihn ins Englische übersetzt und werde ihn Ihnen, Mylords, mitteilen, wenn Sie es wünschen. Jetzt will ich weiter nichts sagen, als daß der Verfasser nicht log; denn er glaubte, die Wahrheit zu sagen, indem er nur beschrieb, was er gesehen hatte; in Wirklichkeit aber beschrieb er nur den Augenschein. Was er als »Augenzeuge« erzählte, war unglaublich; aber man mußte es glauben. Auf diese Weise sind für uns auch mehrere Ereignisse der alten Geschichte unglaublich und doch sind diese nicht weniger wahrhaftig als meine Oper und mein Feuerwerk. Von allen Geschöpfen hat nur der Mensch das Vorrecht, nicht die Wahrheit zu sagen und dabei doch nicht zu lügen.

Am zweiten Tage nach dem Feste war im königlichen Palast ein großes Gedränge vornehmer Besucher: die ganze königliche Familie bis zu den entferntesten Anverwandten hatte sich eingefunden, dazu waren die fremden Botschafter, der Bischof, die Minister und alle Großen des Reiches erschienen. So wollte es bei diesen Anlässen der Brauch. Um fünf Uhr sollten die Eier sich öffnen, sie lagen in ihren Schüsseln unter einem schönen Thronhimmel auf drei herrlichen Kissen, die man auf einen großen Tisch gelegt hatte. Der König und sein Unzertrennlicher hielten sich dem Brauch gemäß in einem Gemach auf, wo sie anscheinend in allerbester Stimmung mit den Höflingen plauderten, die nicht ihrem Amt gemäß bei der Geburt zugegen sein mußten. Wenn die Neugeborenen Bastarde waren, verlangte die Etikette, daß alle Anwesenden mit heiterstem Gesicht dem Königspaare eine Verbeugung machten und sich hierauf entfernten, ohne ein Wort zu sagen. Waren die Neugeborenen rot, so traten die Staatsminister, der Bischof an der Spitze und von den Botschaftern begleitet, vor das Königspaar und überreichten die Kinder. Der König, der auf einem niedrigen Throne sitzt, nimmt sie in Empfang und läßt die Schüsseln zu seinen beiden Seiten stellen. Die ganze Gesellschaft singt im Chor den großen Glückwunschhymnus, tanzt und entfernt sich.

Das Erscheinen der Neugeborenen ist jedoch für den König keine Überraschung. Der Premierminister, der im Nebengemach am nächsten bei den Schüsseln mit den Eiern sich befindet, steht nämlich auf einem Brett, das auf einen Druck seines Fußes eine kleine Statue in der einen Ecke des königlichen Kabinetts bewegt. Der König hält seine Augen unverwandt auf diese kleine Statue gerichtet, die ihm die wichtige Kunde gibt.

Zur bestimmten Stunde, um fünf Uhr, öffneten die Eier sich. Die ausgeschlüpften Kleinen waren tadellos rot, wie die genaueste Untersuchung ergab. Helle Freude – und ich glaube, sie war aufrichtig – strahlte von den Gesichtern aller Anwesenden. Als der König die kleine Statue sich drehen sah, flüsterte er dem Groß-Gärtner ins Ohr: »Geht schnell zum Fürsten Eduard und sagt ihm, daß ich zwei Rote habe und ihn morgen in der ersten Stunde erwarte.«

Eine Viertelstunde darauf brachte der Bischof mit dem feierlichen Gefolge die beiden Kinder und überreichte sie dem König mit den Worten: »Eure Nachkommenschaft, Sire, ist unsterblich.«

Wir glaubten, wir würden vor Freude sterben, als wir diese so ungeheuer wichtige Nachricht erhielten, und gaben dem lieben Überbringer wohl hundert Küsse. Binnen einer Stunde war die Neuigkeit in der ganzen Stadt bekannt und erregte überall ungeheuren Jubel. Die Geburt wurde meiner unbegrenzten Macht zugeschrieben und zwar nicht nur von den Dummen und Abergläubischen, sondern auch von den Klugen und Weisen. Ich sandte dem Groß-Almosenier des Bischofs 100000 Unzen in Gold zur Verteilung unter die Armen; ich bat um Verschwiegenheit; aber diese Vorsichtsmaßregel war zwecklos: alle Welt wußte, wer der Geber war.

Am nächsten Tage begab ich mich zum König; das glückliche Paar ließ mir keine Zeit, meinen Glückwunsch auszusprechen. Sie waren allein, flogen mir in die Arme und überschütteten mich mit Liebkosungen. Ich mußte mich zwischen sie setzen und der König zu meiner Rechten sprach folgendes, während der Unzertrennliche sich auf meinen linken Oberschenkel setzte, um seinen teuren Gatten besser hören zu können:

»Was Ihr, mein teurer Freund, in den 136 Jahren vollbracht habt, die Ihr jetzt bei mir seid, das ist eine beständige Kundgebung der außerordentlichen Gewalt, mit welcher Gott Euch begabt hat. Mein ganzes Königreich – und wir beiden zu allererst – sind überzeugt, daß Ihr alles könnt, was Ihr wollt. Ich besitze so starke Beweise Eurer Klugheit und Eurer Tugenden, daß ich gewiß bin, Ihr werdet alle glücklich machen, die Euch eine starke Zuneigung einflößen. Da ich nun diese Wahrheit kenne, so ist es klar ersichtlich, was ich tun muß. Ihr seid ein Geschöpf, das unserm Megamikrengeschlecht an Größe, an Kraft, an Kenntnissen und an anderen körperlichen und moralischen Eigenschaften überlegen ist. Ihr seid das achtungswerteste aller Wesen, indem Ihr als auswärtiger Fürst in meiner Hauptstadt wohnt und dort Ausgaben macht, wie niemals und nirgendwo ein Herrscher sie gemacht hat, da Ihr das Leben eines Privatmannes den Wonnen und tatsächlichen Vorteilen selbständigen Herrschens vorzieht. Welcher Grund kann Euch hierzu bewegen? Jedes denkende Wesen kann sich nur einen einzigen vorstellen: Was Euch hier festhält, ist Eure Zuneigung zu uns. Ihr habt erkannt, daß Ihr uns nur glücklich machen könnt, indem Ihr Euch niemals von uns entfernt. Wir haben Euch dies niemals sagen dürfen; Ihr habt niemals einen Lohn verlangt für alle die Wohltaten, die Ihr über unsere Untertanen ausgeschüttet habt, und nicht nur über diese, sondern auch über mich selber, zum Ruhm meiner Regierung und meiner Familie und zu meinem vollkommenen Glück.

Ich liebe, achte und verehre Euch und Ihr seid das einzige Wesen auf der Welt, in das ich nächst Gott meine ganze Zuversicht setze. Und so gebietet mir denn schon allein die gesunde Vernunft, folgendes für Euch zu tun: Ich muß Euch ein Zeichen meiner Dankbarkeit geben, das Eurer und meiner würdig ist, und muß Euch einen triftigen Anlaß bieten, den Aufenthalt bei mir, dem Euch dem Anschein nach von Gott bestimmten, indem der Große Genius das prachtvolle Geschenk machte, vorzuziehen. Mein großes Lehen 216 ist frei; ich bin der Herr es zu verleihen, wem ich will; niemand verdient es mehr als Ihr und meine Wahl entspricht, dessen bin ich sicher, der Meinung meines ganzen Adels und den Wünschen aller meiner Untertanen. Ihr werdet ein Volk glücklich machen, dessen Vater Ihr sein werdet, und Ihr werdet Beherrscher eines Landes, das halb so groß ist wie mein eigenes Reich. Es ist von allen Lehen unserer Welt das einzige, das außer Phosphor und rotem Golde auch Diamantenfelder, andere Edelsteine, unermeßliche Schätze an Halbedelsteinen und halbedlen Metallen und dazu die kostbaren Acoribäume auf dem Grunde eines Flusses enthält.

Ihr werdet zu Beginn der nächsten Ernte mit diesem Reich belehnt werden und könnt dann sofort selber dorthin gehen oder einen Regenten schicken. In zwölf Monaten werden meine Kinder erwachsen sein; dann werden meine Stände zusammentreten und ich hoffe, Ihr werdet dann in ihrer großen Versammlung sehen, daß alle meine Untertanen genau ebenso über Euch denken wie ich. Euch empfehle ich das Paar, das Gott mir geschenkt hat, wie Ihr es mir in dem Orakel Eurer göttlichen Oper verkündet habt. Meine Kinder werden, bevor sie zur Herrschaft gelangen, noch einige Jahre lang Eure Lehren vernehmen können und ihre Regierung wird alle Wünsche meines Volkes erfüllen und dieses vollkommen glücklich machen.«

Wie hätte ich auf eine solche Rede überhaupt etwas antworten können? Ich ergoß meine Dankbarkeit in heißen Tränen über seine Hände. Dann schwor ich ihm, ich würde ihn niemals verlassen und würde mit Rat und Tat wie ihm selber so auch den neugeborenen Prinzen dienen, wenn es mir jemals gelingen sollte, deren Huld zu verdienen.


Zwei Monate später erhielt ich einen Brief von Jakob, der mit seiner ganzen Karawane glücklich in Heliopalu angekommen war. Alle Frauen waren bei der Ankunft im achten Monat schwanger. Der ganze Stamm war in einem bequemen Palast untergebracht, zu welchem vier Gärten gehörten, die sie bereits gesäubert hatten. Er hatte die Urkunde der Belehnung erhalten und am Tage darauf hatte der Erste Minister ihn besucht und ihm gesagt, der Große Genius wünsche hohe Glockentürme als sein Eigentum in allen Städten der Welt zu besitzen, um durch den Klang der Glocken in dringlichen Fällen seinen Willen in Zeit von einem Tage der ganzen Welt mitteilen zu können. Der Minister hatte gefragt, wie viele Türme man bauen müsse und wieviel Zeit erforderlich sei, um das Glockenzeichen von Heliopalu bis zur größten Entfernung der Megamikrenwelt weiterzubefördern, wenn die Glöckner überall pflichtgetreu aufpaßten. Jakob schrieb mir, er habe sich zur Beantwortung dieser Fragen eine Frist von vier Ernten ausgebeten.

Mit dieser eigentümlichen Neuigkeit begab ich mich am nächsten Tag in der ersten Stunde zum König. Über den Plan mußte der Herrscher lachen. »Er ist wunderschön!« rief er, »und wäre auch ausführbar, soweit die ungeheuren Mittel in Betracht kommen, die dazu erforderlich wären, denn die Reichtümer des Großen Genius sind in der Tat unermeßlich. Er ist aber nicht ausführbar, weil kein Herrscher, bei mir selber angefangen, ihm trotz seiner Göttlichkeit erlauben wird, Türme in Ländern zu errichten, die ihm nicht gehören.«

Nach dieser Bemerkung gab er mir einen Brief, den der Große Genius eben für mich gesandt hatte. Er erlaubte mir, das Siegel zu brechen, um den Brief zu lesen, der folgendermaßen lautete:

»Wir, der Große Helion, Dolmetscher und Vollstrecker des Willens Gottes, König von Heliopalu und der ganzen Welt, erlauben dem hochedlen und ehrwürdigsten christlichen Riesen Eduard Alfred, Herzog unseres Lehens Eins, alle Bäume von Schlangen zu säubern, einerlei, ob sie ihm gehören oder nicht, vorausgesetzt jedoch, daß im letzteren Fall der Eigentümer damit einverstanden sei, sowie daß er im allgemeinen die Erlaubnis des für den betreffenden Ort zuständigen Bischofs ober Abdalas erhalten habe. Dies gilt für ihn wie für jeden seiner Nachkommen. Wir befehlen, daß keine Klage erhoben werde, falls bei der Säuberung ein Zischen dieses verfluchten Gewürms hörbar werden sollte; denn wir wissen, daß es eine besondere Gnade des Allerhöchsten ist, wenn unsere Welt davon befreit wird. Darum haben auch unsere Söhne sich solcher Gnade durch Beobachtung der Gesetze und durch gute Werke würdig zu erweisen. Wir erlauben unserem vielgeliebten Fürsten, diesen Brief bekannt zu machen und senden am gleichen Tage Mitteilung hierüber an unseren Sohn, den Bischof des Reiches Neunzig.«

Kaum hatte ich diesen Brief zu Ende gelesen, so trat der Kanzler ein und übergab dem König einen Brief des Bischofs, den Seine Majestät las und hierauf mir zeigte. Der Brief lautete: »Durch den Mund des Großen Helion erlaubt Gott Eurer Majestät, alle Eure Häuser und Eure Gärten, so es Euch gefällt, von den Riesen durch beliebige Mittel von den Schlangen säubern zu lassen. Wir erklären uns bereit, diese Erlaubnis jedem zu erteilen, der uns darum bitten wird.«

Der Barcalon war wie außer sich. Er war ein Ehrenmann, aber von unendlichen Vorurteilen befangen. Der König sagte ihm mit sehr kühler Miene: »Ich befehle Euch, sofort diesen Brief des Bischofs in die königliche Druckerei zu schicken und 100000 Exemplare davon abziehen zu lassen – täglich l0000. Diese ganze Auflage werdet Ihr über die Megamikrenwelt verbreiten, nachdem Ihr 10000 in meiner Hauptstadt habt anschlagen lassen.«

Hierauf bat der König mich, ich möchte mich doch sofort mit dem Groß-Gärtner verständigen, um mir die Zahl und Lage aller königlichen Gärten angeben zu lassen. Sodann möchte ich mich nach meiner Bequemlichkeit so einrichten, daß man möglichst bald sagen könnte: »Der König hat weder in den Städten noch auf dem Lande bei seinen Häusern ein einziges Paar Schlangen mehr. Sein Glück ist daher vollkommen.«

Ich versprach ihm, daß man in sehr kurzer Zeit dies solle sagen können.

Der Groß-Gärtner gab mir am nächsten Tage das Verzeichnis aller Orte, wo der König Schlangen hatte. Dann umarmte er mich und gab mir eine Erlaubnis des Bischofs in betreff seiner eigenen Gärten. Ich sagte ihm mit Freuden zu, daß ich diese von dem Gewürm befreien wolle. Ich überließ diese Sache meinen Söhnen, die mit ihren Kindern sich sofort auf die Jagd nach dem verfluchten Ungeziefer machten und viel Spaß dabei fanden. Aus Vorsicht befahl ich jedoch meinen Söhnen, alle Gewehre stets selber zu laden, und die Kiste mit den Giftschläuchen vertraute ich nur Theodor an. Ich sagte ihnen, sie sollten sich nicht darum kümmern, wenn irgendein Gärtner sie bei dieser Jagd sehe; es genügte mir, wenn sie nach Möglichkeit das Zischen der Schlangen verhinderten. Die Jagd ging so glatt vonstatten, daß bis zur neuen Ernte der König, der Groß-Gärtner und andere Edle, denen ich gefällig sein wollte, nicht eine einzige Schlange mehr in ihren Gärten hatten. Zum maßlosen Erstaunen aller Abergläubischen und zum größten Vergnügen des Königs, bat der Bischof mich durch einen sehr liebenswürdigen Brief, auch seine Gärten von dem Gewürm zu säubern. Als ich diesen Brief dem König zeigte, sagte er mir, ich müsse ihm antworten, daß ich ihm nicht ohne eine besondere Erlaubnis der bischöflichen Kanzlei meine Dienste widmen könne. Der Bischof brachte mir diese persönlich nach meinem Landhaus und lachte herzlich über den Spaß.

Ich erließ nun eine Anzeige, die alle Welt überraschte, aber schließlich mir die Herzen aller Megamikren und besonders der Gärtner gewann. Ich machte bekannt, daß jeder Riese dem von ihm bestimmten Gärtner zehn Obolen für je zehn Feigen zahlen werde und daß nur die von den Riesen bezeichneten Gärtner berechtigt seien, die Feigen von den Bäumen zu pflücken. Da wir reich geworden waren, so war es eine Notwendigkeit für uns, daß wir von niemandem gehaßt wurden. Die weisesten Megamikren erklärten dann auch meine Bekanntmachung für ein Meisterstück meiner Politik, wie sie sich ausdrückten, und der König machte mir ein Kompliment darüber.

Ich schrieb Jakob, er solle dieselbe Verordnung auch in meinem Lehen bekanntmachen; er gehorchte mir jedoch erst, nachdem er sehr kluge Einwendungen gemacht hatte, auf die ich hätte hören sollen. Indessen werden meine Nachkommen sich vielleicht mit der Zeit von dieser drückenden Verpflichtung freimachen und für mich hat es ja keinen Zweck mehr, noch daran zu denken.

Ich sandte meinem Sohn auch genaue Vorschriften für die Zusammensetzung des Metalls der Glocken, die der Große Helion gießen zu lassen wünschte. Mein König wollte diesen Plan jedoch niemals ernst nehmen und war unerschöpflich in Witzen darüber. Als ich eines Tages bemerkte: »Aber der Plan ist doch vom Großen Genius!« rief der König: »Das ist unmöglich! Er ist von irgendeinem der Minister, der ihn dem Großen Helion erst vorlegen wird, wenn er die Ausführbarkeit für sicher hält. Ich finde die Glocken, deren Guß mir übrigens sehr schwierig zu sein scheint, ausgezeichnet für den Dienst innerhalb einer Stadt und ich sehe voraus, daß meine Statthalter sie in allen Provinzstädten einführen werden. Als allgemeines Benachrichtigungsmittel ist die Glockensprache zwar denkbar, aber sie wird stets ein Traum bleiben.«

Zu Anfang unseres Aprilmonats gab der König mir eigenhändig meine Bestallung als Herzog des Lehens Nummer 216, das noch größer war als das Lehen Eins des Großen Genius.

Ich sandte sofort meinen sechsten Sohn Theodor mit seiner ganzen Familie dorthin. Sie waren 130 an der Zahl. Zehn erwachsene Söhne waren in der Kenntnis aller unserer Künste erzogen worden. Ich rüstete sie mit allem aus. Ich gab Theodor den Titel meines General-Statthalters. Er hatte mir von allen Rechenschaft abzulegen und sollte alles so einrichten, daß ich, wie in meinem Lehen Eins, fünf Statthalterschaften einrichten konnte. In Zeit von drei Riesenjahren richtete er eine Buchdruckerei ein, baute ein großes Seminar und ein kleines Theater, worin er die Kinder vor dem Adel auftreten ließ. Er wurde wegen seiner Güte und Weisheit allgemein angebetet; seine Frau machte zu ihrem Vergnügen Essenzen, die sie an solche verschenkte, die sie auszeichnen wollte. Er säuberte alle mir gehörenden Gärten von den Schlangen und außerdem viele Gärten der vornehmsten Adligen, die gern in seine Häuser und Gärten kamen, um Billard und Ball zu spielen.

Stets meine Ratschläge einholend, wußte er auf geschickte Weise die Steuern zu vermindern und dabei die Finanzämter so vorteilhaft und klug an reiche Leute zu verkaufen, daß er mir nach sechs Ernten dreißig Millionen Goldunzen schicken konnte, mit denen ich meine Schulden bezahlte. Er traf alle Einrichtungen für die andern vier Statthalterschaften so vortrefflich, daß meine vier nächsten Söhne, als ich sie in das Lehen sandte, alles bereit und fertig fanden.

Während der nächsten drei Jahre erlebte ich nichts besonders Berichtenswertes. Ich widmete mich hauptsächlich meiner Artillerie, die mir viel Geld kostete, aber auch mein Hauptvergnügen war. Ich besaß eine ungeheuere Menge Feuerwaffen. Mein Stolz waren meine Kanonen aus Silber mit einem Zusatz von Zinn. Das Kupfer taugt in jener Welt nichts und ist daher dort noch billiger als Eisen. Mein Landgut ließ ich unterdessen zu einer wahren Stadt ausbauen, die 50000 Riesenfamilien fassen konnte.


Am 1. Oktober erhielt ich mein achtunddreißigstes Zwillingspaar und am letzten Tage meines neununddreißigsten Megamikrenjahres vermählte ich Alexander und Eleonore. Dann nahm ich vom König Urlaub auf acht Monate, um vor der Niederkunft meiner Frau wieder zurück zu sein. Ich hatte mich entschlossen, nicht nur mein neues Lehen mit eigenen Augen zu besichtigen, sondern auch meinen siebenten, achten, neunten und zehnten Sohn mit ihren ganzen Familien dorthin zu geleiten. Ich benachrichtigte Theodor, damit er alle Anordnungen träfe, uns gut zu empfangen. Ich brauchte an der Grenze des Reiches Neunzig nur einen Fluß zu überschreiten, um in meinem Lehen zu sein.

Alles war zum 15. Januar bereit. Wir waren 672 in mehr als 400 Wagen; denn wir hatten zahlreiche Megamikren bei uns, die ansehnliche Stellungen bekleideten und die wir daher nicht hinaufsteigen lassen und auch nicht auf den Gepäckwagen befördern konnten. In elf Tagen legten wir in aller Bequemlichkeit 860 englische Meilen zurück. Um in meine Hauptstadt zu gelangen, mußte ich mehr als dreißig von meinen Städten und mehr als 800 große Dörfer berühren. Überall begrüßten Abordnungen mich mit der größten Freude. Überall fand ich Blinde, die sich mir vorstellen ließen, um meine hilfreiche Hand anzuflehen; ich versprach allen, sie auf meine Kosten in die Hauptstadt kommen zu lassen, um sie zu operieren, und ich hielt ihnen Wort. Theodor kam mir mit seiner Frau und dem ältesten Kinderpaar entgegengereist.

Meine Hauptstadt war durch ihren Handel sehr reich. Am Zusammenfluß zweier Ströme gelegen, bot sie den reichen Kaufleuten bequeme Verbindungen nach allen Richtungen. Die adligen Familien waren so reich wie die des Königreiches Neunzig, sie waren aber verhältnismäßig viel zahlreicher. Die Bevölkerung zählte 500000 Paare.

Sofort nach meiner Ankunft machte der Bischof mir einen Besuch, den ich mit Vergnügen erwiderte, denn ich fand in ihm einen geistreichen Mann von vortrefflichen moralischen Ansichten.

Mein Palast war groß, aber doch nicht groß genug; da er aber an der Stadtmauer lag, konnte ich ihn vergrößern, ohne irgend jemandem lästig zu fallen. Ich baute auch zwei prachtvolle neue Seminare. Ich war erstaunt, wie Theodor in so kurzer Zeit so viel hatte leisten können.

Ich wählte unter meinem Adel das vornehmste, aber wenigst begüterte Paar und machte es mit sehr reichlichem Gehalt zu Gesandten bei meinem König; sodann bildete ich einen Ministerrat, der aus lauter Megamikren bestand. Dadurch gewann ich mir die Herzen aller Adligen, die bereits gefürchtet hatten, unter der neuen Herrschaft von allen Hofämtern ausgeschlossen zu werden. Ich erfreute die Herzen der Schreiber und Gärtner durch meine beiden Gesetze, daß in den Buchdruckereien nur Schreiber beschäftigt werden dürften und daß zehn Anzeigen zehn Obolen kosten sollten. Außerdem bildete ich eine Leibgarde von 20000 Gescheckten, die ich genau ebenso stellte wie die Leibgarde meines Landgutes im Reiche Neunzig. Ich legte den Grundstein zu einem christlichen Tempel ohne einem Menschen etwas über die Bestimmung des Gebäudes zu sagen. In fünf Jahren war dieses fertig.

Sechs Monate verwandte ich darauf, die anderen vier Statthalterschaften zu bereisen; ich legte den Grundstein zu einem Tempel in jeder Hauptstadt und benannte diese nach dem zum Statthalter bestimmten Sohn. Dann besuchte ich meine reichen Bergwerke. Ich war bezüglich ihres Reichtums vollkommen befriedigt; aber ich fand, daß sie mir infolge fehlerhafter Verwaltungseinrichtungen doch nicht genug einbrachten. Hier schuf ich sofort Abhilfe durch entsprechende Weisungen an meinen Sohn Theodor. Nachdem ich meine vier anderen Söhne mit ihren Familien in ihre Statthalterschaften gesandt hatte, kehrte ich nach der Hauptstadt des Reiches Neunzig zurück, wo ich alles unverändert fand. Meine Frau und die anderen Frauen standen unmittelbar vor der Niederkunft. Ich erhielt Briefe aus meinem Lehen Eins, wo alle meine fünf ältesten Söhne ihre Statthalterschaften bereits angetreten hatten. Jakob hatte in Heliopalu zwei von seinen Söhnen als Gesandte zurückgelassen, die zugleich als Sachverständige den Guß der Glocken leiteten.

Der König empfing mich nach meiner Heimkehr sehr huldvoll und hörte mich mit Vergnügen die Schönheiten meines Lehens beschreiben, das er niemals gesehen hatte. Drei Wochen darauf gebar Elisabeth unser neununddreißigstes Zwillingspaar, das ich auf die Namen Gottfried und Agnes taufte. Am ersten Tage des vierzigsten Jahres vermählte ich Albert und Klothilde. Während des ganzen Jahres geschah nichts Besonderes. Am 1. Oktober gebar meine Frau Tankred und Clorinde, mein vierzigstes und letztes Zwillingspaar.

Den glücklichen Abschluß dieser Lebensperiode feierte ich erst am ersten Tage des Jahres 42, als ich sah, daß meine Frau nicht schwanger geworden war. Am Neujahrstage 41 vermählte ich Hugo und Klondine, am Neujahrstage 42 Veit und Rosa.

Diese Vermählung vollzog sich besonders feierlich zu Ehren meiner Frau, die ihre glorreiche Laufbahn als Weib beendigt hatte. Ich gab dem König und den fremden Fürsten ein großes Gastmahl; hierauf folgten Oper und Feuerwerk. Meine Frau sagte, sie sei jetzt Mann geworden und wünschte einen Tempel für unseren Gottesdienst errichtet zu sehen. Ich war jedoch der Meinung, daß wir mit unserem Kultus in einem ernsteren Lehen beginnen müßten, und zwar in dem bei Heliopalu. Wir hätten dorthin reisen müssen; aber die Ehre gebot mir, meinen König nicht zu verlassen. Er mußte noch fünfzehn Ernten leben, aber nur neun von diesen noch herrschen. Wir konnten uns also nicht entschließen, vor dem Jahre 50 oder 51 unserer Rechnung die Reise anzutreten. Unterdessen legte ich den Grundstein zu einem prachtvollen Tempel auf meinem Landgut, das zur Riesenstadt geworden war und auch so genannt wurde, da es nur von uns bewohnt wurde.

In diesem selben Jahre 42 teilte ich meine Familie in vierzig Stämme und in diesem verhängnisvollen Jahre verlor ich meine drei besten Freunde nächst dem König – Schätze von unermeßlichem Wert. Von diesen drei Freunden, die ich nie vergessen werde, ging der Statthalter zuerst. Sechs Stunden, bevor er von der Welt Abschied nahm, schrieb er mir einen langen Brief; er schloß mit der Bitte, ihm nicht zu antworten, da er diese Antwort nicht mehr erhalten würde. Als zweiter zog der Bischof sich zurück; er hatte uns viel Freundschaft erwiesen durch die Briefe, die er zu unseren Gunsten nach Heliopalu geschrieben hatte. Ganz unerwartet für mich verschwand der Groß-Gärtner, von dem ich geglaubt hatte, er sei nicht älter als der König. Er hatte im Fluß unsere Kiste entdeckt und wir mußten in ihm den Urheber unseres ganzen Glückes sehen.

Endlich nahte die Zeit, da auch der König seine schöne Laufbahn endigen mußte; er wußte es natürlich, war aber darum nicht traurig oder träumerisch; er sagte mir heiteren Antlitzes, er scheide sehr zufrieden aus dem Leben, nachdem er das Glück seiner Untertanen vermehrt und seine Regierung durch ein einzigartiges Ereignis berühmt gemacht habe, von dem man in Ewigkeit sprechen werde. Er sagte mir, die letzten sechs Megamikrenjahre, die er mit seinem Unzertrennlichen in der Zurückgezogenheit des ewigen Friedens verbringen werde, müßten von den köstlichsten Erinnerungen angefüllt sein, in denen sie unaufhörlich schwelgen würden, so daß sie den Augenblick ihres Abganges aus der Welt kaum erwarten könnten.

Das Königspaar verbrachte die letzten acht Jahre seines Megamikrenlebens in immerwährenden Freuden; fast jeden Tag sah es mich und immer hatte es das junge Prinzenpaar bei sich. Dessen erstes Nachkommenpaar war indigoblau ausgefallen; aber deswegen war niemand traurig; denn sie waren ja noch so jung. Während dieser zwei Erdenjahre überhäufte der König mich mit Geschenken.

Wenn Megamikren, hoch oder niedrig, sich aus der Welt zurückziehen, um die letzten sechs Ernten in dem Gemach des ewigen Friedens zu verbringen, ist es Brauch, ihnen kein Beileidskompliment zu machen. Ja, man spricht überhaupt nicht darüber, wenn sie nicht selber davon anfangen, was sehr selten vorkommt. Ich verbrachte den ganzen letzten Tag mit dem Herrscher im heitersten Gespräch. Eine halbe Stunde vor dem verhängnisvollen Augenblick sagte er zu mir, er sei überzeugt, daß ich für seinen Sohn immer die gleiche Freundschaft hegen werde wie für ihn. Hierauf wandte er sich zu dem jungen Prinzenpaar und sagte ihnen, sie sollten in mir stets den Schutzengel ihres Geschlechtes sehen und in allen Lagen auf meinen Rat und meine Weisheit rechnen. Ein Tränenstrom, den ich zurückhalten mußte und der mich fast erstickte, verhinderte mich, ihm zu antworten.

Sie standen auf, um die letzten Augenblicke mit ihren Kindern zu verbringen. Als ich ihre Hände ergreifen wollte, um sie ihnen zu küssen, fielen sie mir um den Hals und überschütteten mich mit Liebkosungen.

Mit schmerzzerrissenem Herzen ging ich nach Hause; ich war ganz verzweifelt, weil, wie ich wußte, die Etikette mir gebot, am nächsten Tage bei Hofe zu erscheinen.

Die Kronprinzen werden ohne jedes Zeremoniell Könige, sobald die Regierenden sich zurückziehen. Sie halten Hof, geben aber keine Feste oder Gastmäler und es finden keine Vergnügungen statt. Eine Fünftagwoche nach Ablauf der sechs Ernten erscheinen alle Großen, um ihnen zu huldigen, und die Feste beginnen wieder. Der König war trotz seiner Jugend ernst, sehr zurückhaltend und wortkarg; sein Unzertrennlicher war die Fröhlichkeit selber und nach dem Ausspruch aller Höflinge die vollendetste Schönheit des ganzen Reiches. Als ich eines Tages mit dem König allein war, glaubte ich ihm sagen zu können, daß ich mich glücklich schätzen werde, wenn er geruhen wolle, eine Oper und ein Feuerwerk als Huldigung anzunehmen. Der Unzertrennliche tat einen Freudensprung, aber ein kurzer Blick des Königs ließ ihn erstarren. Einen Augenblick darauf küßte ihn der König und der Friede war wieder geschlossen. Hierauf sich zu mir wendend, sagte er: ich dürfte nicht daran zweifeln, daß er die größte Freude haben werde, wenn ich ihm zwei Brände vorher Mitteilung von den geplanten Festen machen wolle. Ich antwortete ihm: ich würde das Fest am ersten Tage meines Jahres 46 veranstalten; bis dahin waren noch fast zwei volle Ernten.

Um diese Zeit schrieb ich Jakob, daß er mich im Jahre 51 in Heliopalu sehen würde, von dort würden wir nach meinem Lehen reisen, um die Tempel einzuweihen, die, wie ich hoffte, inzwischen nach meinen Angaben und Plänen fertiggestellt wären. Alle meine Tempel hatten vier Portale, eins an jeder der vier Seiten. Sie standen vollkommen frei und auf Erhöhungen, die sich fünfzehn, zwanzig und sogar dreißig Klafter über die Ebene erhoben.

Fünf Monate vergingen sehr schnell. Vornehme Freunde erschienen zu den angekündigten Festen in sehr großer Zahl. Es war allgemein bekannt, daß in der Hauptstadt alle Lehensfürsten des Reiches unter einfachen Adelsnamen weilten, ferner auch die vier Nachbarkönige, die bereits das Schauspiel gesehen hatten. Diesmal waren sie aber mit ihren ganzen Familien gekommen. Auch der Lehensfürst einer Republik war anwesend, dessen Lehen 22000 Meilen von uns entfernt lag; auch fünfzehn oder sechzehn Adlige dieser selben Republik waren erschienen. Der König war entzückt über diesen großen Menschenzusammenfluß, der in der Megamikrengeschichte ohne Beispiel war.

Ich vollzog an diesem Festtage achtunddreißig Trauungen und der König speiste mit uns, begleitet von allen fremden Fürsten, deren Inkognito von aller Welt respektiert wurde. Ich behandelte sie wie einfache Edelleute.

Meine Oper schloß wieder mit einem Hymnus an den auf der Bühne dargestellten Sonnenball. Als die herrliche Musik schwieg, erlosch auch die Sonne mitten auf der Bühne und das ganze Theater wurde dunkel, was ich auf einfache Art bewirkte, indem ich alle Phosphorleuchten durch mehrere große Leinwandflächen verdeckte. Diese Dunkelheit dauerte nur eine Minute, wie auch alle Zuschauer nicht anders erwartet hatten; ganz unerwartet aber sah man plötzlich ein wunderschönes Feuerwerk aus demselben Sonnenball hervorbrechen, der wie man jetzt bemerkte, innen hohl war. Auf einmal sah man inmitten des leeren Raums zwei Statuen von natürlicher Megamikrengröße; sie waren so ähnlich, daß jeder sofort die Apotheose des verstorbenen Königspaares erkannte. Der Beifall war ungeheuer. Der König dankte mir mit lauter Stimme und gestattete diesmal seinem Unzertrennlichen, seiner Begeisterung in überschwänglichen Worten Ausdruck zu geben.

Obwohl ich sehr reich war, würde ich mich doch zugrunde gerichtet haben, wenn ich derartige Feste öfter hätte geben wollen. Für dieses letzte entschädigte der König mich allerdings in reichem Maße.

Als ich zu ihm ging, um ihm für seine reichen Geschenke zu danken, sagte er mir, vier fremde Herren wünschten mit mir zu sprechen, um mich um eine Gunst zu bitten; sie hätten sich an ihn gewandt, doch hinge alles nur von mir allein ab. Ich antwortete: Da Seine Majestät selber mir ihren Wunsch ankündigte, so könnten sie im voraus sicher sein, daß ich nichts verweigern würde, was zu erfüllen in meiner Macht stände. Hierauf lud er mich nebst meiner Frau und vier Paaren meiner Kinder auf den übernächsten Tag zum Essen ein, indem er mir sagte, die vier Fremden mit ihren Unzertrennlichen würden mit uns speisen.

Zu Hause angekommen, ließ ich die königliche Einladung den vier ältesten der noch bei mir verbliebenen Paare übermitteln; denn da die Wahl mir überlassen worden war, glaubte ich die ältesten bevorzugen zu müssen. Es waren Johannes und Thekla, Mathias und Katharina, Ludwig und Karoline, Leopold und Sophie. Wir begaben uns in fünf Wagen zum König nach seinem Landhause und schickten unsre Bedienten heim. Wir ließen nicht mehr unsre Feigen in die Häuser bringen, in die wir eingeladen waren; denn die ausgezeichneten Megamikrenköche wußten die Früchte wunderbar zuzubereiten und wir fanden überall Feigengerichte in reicher Menge. Sie fanden ein Verfahren, aus dem Fleisch der Früchte Säfte von hundertfach verschiedenerlei Art herzustellen; alle aber waren köstlich. Diese Neuerung mißfiel mir anfangs, wie ich offen gestehen muß, als wir aber einmal Geschmack daran gefunden hatten und bemerkten, daß die Früchte in den neuen Zubereitungen uns nur noch besser bekamen, da verschafften wir uns ebenfalls Köche, die in diesem Fache Hervorragendes leisteten. Allerdings wurde bei uns von da an die Lust am guten Essen zu einer Leidenschaft. Die Feinschmeckerei würde, glaube ich, auch hier in England die Hauptleidenschaft sein, wenn unsere Köche die für ihre Kunst erforderlichen wissenschaftlichen Kenntnisse in demselben Maße besäßen wie die Megamikrenköche. Ihre Kunst und Wissenschaft besteht darin, die aus Früchten, Kräutern und Blumen gepreßten Säfte im richtigen Verhältnis zu mischen; hierdurch werden ihre Austern so köstlich wohlschmeckend. In ähnlicher Weise verstanden sie auch unsere Feigen so zuzubereiten, daß sie zwar nicht ganz flüssig waren, aber sich doch schlürfen ließen. Als ich aber sah, daß auch die Megamikren, die anfangs mißtrauisch gegen die neue Speise gewesen waren, immer mehr Geschmack an unseren Feigen fanden und sie bei allen ihren Mahlzeiten auftragen ließen, da verursachte dies mir wirklich Unbehagen und Besorgnis, denn schließlich eigneten sie sich dadurch die für uns bestimmte und notwendige Nahrung an. Unsere Vermehrung machte ungeheure Fortschritte, und infolgedessen hätten die Feigen sehr teuer werden können. Außerdem mußte ich befürchten, daß die ungewohnte Speise den Megamikren Krankheiten erregen oder zum mindesten ihre Gesundheit beeinträchtigen könnte. Für solche üble Folgen würde man uns allein verantwortlich machen. Mit den Feigengerichten wurde bald ein so üppiger Mißbrauch getrieben, daß ich es für nötig hielt, mit dem Bischof persönlich darüber zu sprechen. Er sagte mir voller Bitterkeit, auch ihm seien diese Ausschreitungen bereits gemeldet worden und man müsse denselben unbedingt Einhalt tun. Die Sache sei von der höchsten Wichtigkeit, denn diejenigen, die an der neuen Nahrung Geschmack fänden, pflegten sich mit unverzeihlicher Gierigkeit an ihr dermaßen zu sättigen, daß sie sich nicht mehr gegenseitig die Milch abzusaugen brauchten. Da aber die Megamikrennatur gebieterisch erfordere, daß die Milch abgesaugt würde, so müßten die Schwelger sich zu diesem Zweck Arme kommen lassen, die sonst berufsmäßig Milchgeber wären; diese machten nun viele Witze darüber, daß sie, die sonst für Geld ihre Milch hergäben, jetzt dafür bezahlt würden, daß sie sich von anderen nähren ließen. Der Bischof sagte mir ferner, die Ärzte hätten ihm erklärt, daß die neue Nahrung mit der Zeit die Gesundheit des ganzen Megamikrengeschlechtes beeinträchtigen müßte. Er beendigte seine sehr vernünftigen Auseinandersetzungen mit der Bitte, ich möchte doch auf Abhilfe sinnen und ihm Vorschläge unterbreiten; er werde sich ebenfalls damit beschäftigen. Einstweilen ließ ich ein Verbot drucken, das meinen Gärtnern bei Strafe der Entlassung den Verkauf von Feigen an Megamikren untersagte.

Das Mahl mit den vier Fremden war sehr heiter. Wir waren zwanzig bei Tisch; für uns Riesen gab es Feigengerichte, die allerdings als solche nicht kenntlich waren, doch berührte von den Megamikren kein einziger diese Gerichte. Hätten aber die Gastgeber einen einzigen Bissen gekostet, so würden freilich alle Megamikren davon gegessen haben. Der Leibkoch des Königs war ein großer Chemiker, ich erkannte aus meinen Gesprächen mit ihm, daß niemand sich so wie er auf Küchenpharmazie verstand. Ich war erstaunt über seine Kenntnisse in Chemie und Botanik; er hatte ein Gehalt, das 10000 englischen Guineen entsprach, und setzte den königlichen Rechnungsführern für die von ihm verwandten Zutaten die Preise ganz nach seinem Belieben an. Er erzählte mir, die Zubereitung der an jenem Tage uns Riesen vorgesetzten Feigengerichte – die sämtlich von verschiedenem Geschmack und von verschiedener Färbung waren – habe dem König mehr als 1000 Goldunzen gekostet.

Nach dem Essen wurden wohlriechende Kräuter in großem Überfluß herumgereicht. Sie wurden aber nur zum Räuchern benutzt; der Abreibungen enthielt man sich unsertwegen. Als wir dann in den Garten gingen, sagte einer von den vier Fremden mir: die vier Herrscher der an das Reich Neunzig angrenzenden Königreiche wünschten jeder einen von meinen Stämmen in ihr Land aufzunehmen, und wenn dieser Gedanke mir nicht zuwider sei, so werde man einen schriftlichen Antrag an mich richten. Da ich wußte, daß die vier Fremden die Könige selber waren, so antwortete ich sofort, ich würde den Königen, die mir solche Ehre erwiesen, meine vier zahlreichsten Stämme geben, deren Häupter sie bei Tische selber gesehen hätten; ich sei bereit, meine Einwilligung schriftlich zu erklären, und bezüglich der Bedingungen werde ich dem König, meinem Herrn, meine Blankounterschrift geben. Zugleich sagte ich jedoch, daß meine Stämme erst nach zwölf Ernten zum Aufbruch bereit sein könnten; so lange Zeit brauchte ich noch, um alle ihre Talente vollkommen auszubilden.

Der König des Reiches Neunzig gab seine Zustimmung zu diesem Abkommen und sagte mir, er nehme meine Blankounterschrift an, nicht um nach seinem Ermessen die Bedingungen festzusetzen, sondern um die Bürgschaft für die Erfüllung derselben zu übernehmen; er selber werde nur im Einvernehmen mit mir unterschreiben.

Der Megamikre, der mit mir gesprochen hatte, dankte mir mit sehr zufriedener Miene und wir fuhren alle nach der Stadt zurück, um die Vorstellung im Hoftheater zu besuchen; die Zuschauer bestanden nur aus den Vornehmsten von den Fremden und von den einheimischen Adligen; denn das Theater faßte nur zwölfhundert Personen.

Ich befahl meinen Kindern, mit niemandem über diese Sache zu sprechen, aber die drei Jahre eifrig zu benutzen, um die geschicktesten Angehörigen ihrer Stämme in allen unseren Künsten vollkommen auszubilden.

Drei Monate nach der Abreise der vier Könige empfing ich von der königlichen Depeschenkanzlei die vier Verträge, die alle völlig gleichlautend waren. Offenbar wollten sie mir dadurch bemerkbar machen, daß sie sich untereinander verständigt hatten: Das Oberhaupt des Stammes erhielt in der Hauptstadt einen Palast als freies Eigentum. Dieser Palast enthielt 1000 herrschaftliche Megamikrenwohnungen. Der Besitzer konnte ihn nach seinem Belieben ausbauen. Die Riesen erhielten sämtlich volles Bürgerrecht; ein Gebiet von 100 Topen ins Geviert, drei Meilen von der Hauptstadt entfernt, war ihr Eigentum. Ihnen wurde eine königliche Herrschaft zugewiesen, welche jährlich 100000 Goldunzen einbrachte. Sie hatten das Recht, auf ihrem freien Gebiet und innerhalb der genannten Herrschaft nach ihrem Gutdünken Tempel zu erbauen, um den Kultus der sogenannten christlichen Religion auszuüben. Der König las mir diese Bedingungen vor und gab mir dann meine Blankounterschrift zurück, indem er sagte, es sei meine Sache, meine Gegenbedingungen selber festzusetzen; er behalte sich nur das Recht vor, mir seinen Rat zu erteilen. Ich versicherte ihm, ich würde die mir gewährte Freiheit nicht mißbrauchen, und ging nach Hause. Dort versammelte ich die vier Kinderpaare um mich und schrieb im Einverständnis mit ihnen folgendes nieder: die Riesen würden an den Höfen der vier Könige genau so leben, wie sie stets am Hofe des Reiches Neunzig gelebt hätten und würden dort dieselben Künste und Gewerbe treiben mit Ausnahme des Papiermachens. Von jedem dieser vier gleichlautenden Verträge wurden drei beglaubigte Abschriften angefertigt; je eine davon wurde den Königen gesandt, die zweite in der königlichen Kanzlei hinterlegt, die dritte erhielten meine Söhne, die Philarchen. Ich verbrachte diese drei europäischen Jahre in der vollkommensten Ruhe. Am sechsten Tage des Jahres 47 brachen meine vier Stämme auf, begleitet von unseren Segenswünschen. Jeder Stamm hatte wegen der Umwege eine Strecke von 1300 Meilen zurückzulegen. Der Stamm Johannes zählte 640 Angehörige, der Stamm Matthias 530, der Stamm Ludwig 438, der Stamm Leopold 362.

Dieser einzige Tag verminderte also die Zahl der bei uns anwesenden Riesen um 1970.

Zu Beginn des Jahres 50 vermählte ich Tankred und Clorinde, mein letztes Zwillingspaar; ich ließ jedoch keine Einladungen dazu ergehen, denn gerade an diesem Tage sollten zwei königliche Eier sich öffnen, es war also großes Hoffest. Ich beeilte mich mit der Vermählungsfeier und begab mich mit meiner Frau in den königlichen Palast. Ich nahm Andreas und Lothar mit, ein sehr vornehmes Paar, das ich den Höflingen bekannt zu machen wünschte, da es in meiner Abwesenheit während der Reise nach Heliopalu den ersten Rang in meiner Sippe einnehmen mußte. Mein Landgut war eine schöne Stadt geworden, die in der Megamikrenwelt einzig in ihrer Art war, denn sie war die einzige, wo alles nach europäischen Maßen für uns Riesen gebaut war.

Der König und sein Unzertrennlicher trugen die größte Gleichgültigkeit zur Schau; dies erforderte, wie ich schon bemerkt habe, der gute Ton. Sie gingen hin und her, plauderten mit uns und mit ihren Hofleuten über lauter Dinge, auf die man nur mit Verbeugungen oder zustimmenden Gebärden zu antworten brauchte. Er sprach Andreas seinen Glückwunsch dazu aus, daß er jetzt nach der Abreise seiner Brüder den ersten Rang einnehme. Dann wandte er sich zu mir und sagte, er glaube mir ein Kompliment darüber machen zu müssen, daß ich mich jetzt um meine häuslichen Angelegenheiten nicht mehr zu bekümmern brauche, da ich alle meine Kinder vermählt habe und daher die Sorge um ihre Familien ihnen allein überlassen könne.

Während er mit mir sprach, hielt er seine Augen auf die Ecke geheftet, in der das Geburtssignal sich befand. Er glaubte, dies unbeobachtet zu tun – eine Einbildung, der merkwürdigerweise alle Könige sehr oft sich hingeben. Plötzlich sagte er in zärtlichem Ton seinem Unzertrennlichen, er habe Lust sich zu setzen. Sie setzten sich beide auf den kleinen Thron, natürlich erriet alle Welt sofort, was los war. Aber niemand verzog eine Miene oder sagte ein Wort. Eine Viertelstunde darauf traten der Bischof, alle Minister und die fremden Gesandten ein und überreichten dem Königspaar die Zeugen des Fortlebens seines Geschlechtes in Gestalt von zwei kleinen Roten, die man neben den König auf den Thron legte. Nachdem er die Huldigungen und Ehrfurchtsbezeugungen aller Anwesenden empfangen hatte, zog der König mit seinem Unzertrennlichen sich zurück.


Die Zeit war herangekommen, meine längst geplante Reise nach Heliopalu und meinem Lehen Nummer Eins anzutreten. Ich versammelte meine noch bei mir gebliebenen sechsundzwanzig Söhne mit ihren Frauen, meinen Töchtern, um mich, nahm Andreas bei der Hand und befahl den anderen, in ihm mein zweites Ich zu sehen. Meine Frau gab Esther die Oberaufsicht über das Parthenon und machte Rosa, die Gattin Cäsars, zur Vorsteherin ihres Essenzenlaboratoriums. Ich übergab Cäsar meine Schmieden und Daniel die Leitung der Druckerei. Paul wurde Oberaufseher über das ganze Feuerwerkswesen, Lorenz erhielt meine Pulvermagazine und Laboratorien zur Verwaltung. Stefan Julius und Gottfried blieben Leiter der Geschütz- und Glockengießereien; die Gußmetalle, die ich ihnen übergab, hatten einen Wert von mehr als elf Millionen Goldunzen. Leon blieb mein Schatzmeister; eine Anzahl sehr tüchtiger Megamikren besorgten unter seiner Aufsicht die ganze Buchführung. Nachdem ich noch einige andere Anordnungen getroffen hatte, reiste ich eines schönen Morgens mit meiner Frau ab, ohne meinen Kindern ein Wort zu sagen und vermied auf diese Weise einen zärtlichen und tränenreichen Abschied.

[Casanova beschreibt nun sehr ausführlich die Kultusvorschriften, die Eduard Alfred für die nach seinem Sinn etwas zurechtgemachte »christliche« Religionsübung erläßt, die Einweihung und Einrichtung seiner christlichen Tempel usw. Da alle diese Dinge schon vorher beiläufig von ihm behandelt worden sind, übergehe ich sie in dieser Bearbeitung und wende mich zu Ereignissen, die für den »Staat« (so muß man bereits sagen) der christlichen Riesen im Megamikrenlande von großer Bedeutung wurden.]

Im Monat Juli des Jahres 53 kamen meine Frau und ich mit unserem kleinen Gefolge wieder in der Hauptstadt des Reiches Neunzig an; wir wurden auf meinem Landgut, das sich bereits zu einer schönen Stadt entwickelt hatte, mit großem Jubel empfangen. Ich fand alles in guter Ordnung und teilte mit meiner Frau die Herzensfreude, zu sehen, daß der Gottesdienst bereits nach den von mir erlassenen Regeln ausgeübt wurde.

Ich ließ in meinem Lehen Eins 28490 christliche Riesen zurück. Mein ältester Sohn, Jakob, hatte in seiner Hauptstadt 654 Ehepaare; Richard hatte in der seinigen 549, Adam 461, Robert 385, Wilhelm 320. Der ganze Rest befand sich in den Seminaren. Der zweite und dritte Sohn Jakobs waren mit ihren Familien als Botschafter beim großen Helion in Heliopalu; der zweite hatte bereits 549 männliche Nachkommen, davon 89 verheiratete; der dritte 461 männliche Nachkommen, davon 76 verheiratete.

Im Jahre 54 reiste ich mit meiner Frau nach meinem Lehen 216, indem ich wiederum Andreas an der Spitze meiner sechsundzwanzig Männer im Reiche Neunzig zurückließ. Ich hatte beschlossen, vierzig Megamikren-, also zehn europäische Jahre in diesem Lehen zu bleiben.

Wir vergossen Freudentränen, als wir den blühenden Zustand sahen, worin unser Lehen dank der ausgezeichneten Verwaltung Theodors sich befand. Alle seine Nachkommen waren hervorragend gut erzogen.

Die Einrichtungen, die Theodor auf allen Gebieten der Verwaltung getroffen hatte, waren ganz ausgezeichnet. Er legte mir genauste Rechnung ab und wies nach, daß ich trotz den großen Ausgaben über ganz gewaltige Kapitalien verfügen konnte. Ich bezahlte nicht nur sofort alle meine Schulden bei den Bankiers der Hauptstadt des Reiches Neunzig, sondern kaufte auch in dessen Gebiet Ländereien, deren große Einkünfte hinreichend waren, um meine sechsundzwanzig Stämme dort zu unterhalten, deren Kopfzahl sich alljährlich durch die Fortpflanzung um ein Fünftel vermehrte.

Am ersten Tage des Jahres 55 weihte ich den Tempel ein und machte Theodor zum Patriarchen. Ich ließ zu diesem Tage meine anderen vier Söhne und deren Frauen aus ihren Residenzen nach der Hauptstadt des Lehens kommen. In demselben Jahr ernannte ich zwei von Theodors Söhnen zu Botschaftern beim König des Reiches Neunzig, ich gab ihnen dieselben Weisungen wie Jakobs beiden Söhnen für den Hof in Heliopalu. Sie reisten sofort mit ihren Familien ab; die des ältesten bestand aus 461 Paaren, die des zweiten aus 385. Sie erhielten Wohnung in einem großen Palast, den ich für sie gekauft hatte und der für die Kopfzahl der Botschafterfamilien stets ausreichen mußte, da der ältere von ihnen alle drei Jahre abgelöst wurde.

Zu Anfang des Monats Februar schickte ich Heinrich, Karl David und Simeon auf ihre Statthalterposten zurück, nachdem ich Heinrich befohlen hatte, für den nächsten Jahrestag alle Anordnungen zur Tempelweihe zu treffen.

An diesem Tage fand ich mich meinem Versprechen gemäß in Heinrichs Hauptstadt ein. Ich weihte den Tempel, machte Heinrich zum Exarchen und vollzog vierundsiebzig Trauungen. Beim Hinausgehen aus dem Tempel sagte ich zu Heinrich, daß es nach meiner Berechnung sechsundsiebzig Paare hätten sein müssen.

Er antwortete mir: zwei von seinen Enkelpaaren seien seit acht Tagen nicht nur nicht vermählungsfähig, sondern schwebten geradezu in Lebensgefahr. Ich war über diese Nachricht höchst erstaunt. Seit fünfundfünfzig Jahren, die ich jetzt in der Megamikrenwelt war, hatte ich niemals, auch nur von dem geringsten Unwohlsein sprechen hören. Wie mußte also eine solche Meldung auf mich wirken!

»Was ist das für eine Krankheit?« fragte ich, »warum habt ihr sie vor mir geheimgehalten?«

»Ihr seid erst gestern angekommen und habt Euch sofort zurückgezogen, nachdem Ihr die Befehle für die Tempelweihe ausgegeben hattet. Heute früh aber vor dem Fest erschien es mir nicht angebracht, Euch eine Mitteilung zu machen, die Euch hätte aufregen können.«

Ich warf einen Seitenblick auf meine Frau und es schien mir, als ob sie ihm recht gäbe.

»Die Krankheit meiner vier Enkel«, fuhr Heinrich fort, »ist mir unbekannt. Judith bot alles mögliche auf, um sie zu überreden, einige Tropfen von einer gewissen Essenz zu nehmen; aber sie wollten nicht. Ich kann Euch weiter nichts sagen, als daß alle vier dieselbe Krankheit haben, denn die Symptome sind bei allen die gleichen. Seit acht Tagen haben sie nicht die mindeste Nahrung zu sich genommen; alle unsere Fragen sind vergeblich. Sie vergießen stromweise Tränen und verfallen in Zuckungen, die eine halbe Stunde dauern. Hierauf schlafen sie ein. Wenn sie erwachen, ist ihr Gesicht feuerrot und sie sind so schwach, daß sie nicht sprechen können.«

Ich beschloß sogleich, mich persönlich von dem Zustand der Kranken zu überzeugen und ließ einen Wagen kommen. Ich war so niedergeschlagen, daß ich während der Fahrt kein Wort sprach. Meine ganze Sicherheit und mein ganzer Stolz waren mit einem Schlage ausgelöscht und ich sandte ein Stoßgebet nach dem andern zum Himmel.

So, meine Herren, hatte dies plötzliche Unglück auf meine Seele gewirkt! Ich habe bemerkt, daß eine plötzlich unterbrochene Kette des Glücks auch den stärksten Geist bei dem geringsten Fehlschlag in Schrecken setzt.

Wir stiegen im Ephebeion aus dem Wagen und betraten ein Zimmer, in dem ich den Jüngling schlafend fand. Seine Großmutter saß bei ihm und sein Vater stand daneben. Ich fragte, wo seine Mutter wäre, und meine Tochter Judith sagte mir, daß sie sie soeben verlassen hätte. Sie säße am Bett der Zwillingsschwester des armen Knaben, den ich hier schlummern sähe. Ich näherte mich ihm, ich fühlte ihm den Puls und erkannte, daß er in heftigem und krampfartigem Fieber lag. Ich bat Heinrich, mich zu dem andern im anstoßenden Zimmer zu führen, und empfand einen tödlichen Schmerz, als ich ihn sich in Krämpfen windend sah. Meine Frau sagte kein Wort, sie war totenbleich. Ich ließ mich in den Parthenon führen, – auch dort dasselbe Bild! Diese vier Besuche ließen mich vor Schreck erstarren, denn ich wußte nicht, was dabei zu tun wäre. Ich empfand bei dieser Gelegenheit nur das Gefühl meines Nichts. Fieber, Krämpfe, Zuckungen, Entkräftung, – ich konnte mich nicht erinnern, irgendwann einmal etwas über diese Krankheiten gehört zu haben. Einen Augenblick schauerte ich vor Schrecken, als meinen betrübten und verwirrten Geist der Gedanke durchzuckte, sie zur Ader zu lassen. Ich hielt das für eine Eingebung meines bösen Genius, der mich in Verzweiflung zu stürzen versuchte, indem er mich zu ihrem Henker werden ließ. Alle sahen mich in tiefe Gedanken versunken, – niemand wagte mich anzureden und mit meiner Frau war es ebenso bestellt. Sie, die soviel Vertrauen zu ihren Tränkchen hatte, traute keinem von ihnen die Macht zu, den armen Geschöpfen ihren Zustand zu erleichtern.

Es schien mir dennoch, als hätte mich Gott gerade in diesem Augenblick hergesandt, um sie zu retten. Es wurde mir klar, daß, als Heinrich mir am Abend vorher das Unglück berichtet hatte, ich weder den Kopf noch die Kraft noch die geistige Ruhe gehabt hatte, um die notwendigen Maßnahmen zu treffen. Gott, sagte ich mir, hat mich deshalb nicht einen Tag früher hierherkommen lassen, weil er das große Werk der Religionsstiftung durch nichts unterbrechen lassen will. Auch in der Krankheit dieser Unschuldigen ist ein Geheimnis der göttlichen Vorsehung verborgen, das ich noch nicht erkennen kann. Gott will etwas von mir. Dein Wille, o Herr, geschehe und gib, daß dein Knecht allem entsage, was ihn von deinen heiligen Gesetzen trennen könnte! Ich will den Blitzstrahl anbeten, den deine Hände entsenden, aber gewähre mir die Gnade, daß, wenn ich den furchtbaren Todesengel das Schwert über diese vier geliebten und unschuldigen Häupter zücken sehe, auch ich meinen Geist aufgeben möge, ja, daß ich hier im Ephebeion mein Grab finde! –

Ich befahl alsdann, daß Heinrich und seine Frau ihren Geschäften nachgehen und mich mit Elisabeth dort lassen sollten. Man sagte mir, daß Eustachius, einer der Kranken, nicht mehr schliefe, aber ruhig wäre. Ich ging nun in sein Zimmer und bat seine Eltern, uns mit ihm allein zu lassen. Sie gingen weinend hinaus; denn Eustachius war ihr ältester Sohn.

Der arme Knabe sah mich mit seinen matten Augen an und küßte mir und meiner Frau die Hände. Nachdem wir ihn zärtlich geküßt hatten, sagte ich ihm, daß Gott mich ausdrücklich hergesandt hätte, um ihn dem Leben zurückzugeben, daß er zu seines Schöpfers Ruhme und seiner Familie zur Ehre leben sollte. Doch würde ich nichts für ihn tun können, wenn er mich nicht durch sein volles Vertrauen unterstützen würde. Er drückte meine Hände, sah mich mit einem überirdischen Blick an und seufzte tief. Umsonst bat ich ihn, mir zu antworten. Er vermochte nur meine Hände zu drücken und zu küssen. Nun sagte ich ihm, daß ich ihm nur dann helfen könnte, wenn ich aus seinem eignen Munde hören würde, daß er mir die Kraft dazu zutraute. Er antwortete, er würde mir in allem, was ich anordnen würde, gehorsam sein. Ich machte ihm dann ein erfrischendes Milchgetränk zurecht, das er zu meiner großen Freude wenn auch mit Anstrengung herunterschluckte.

Da ich alle vier beobachten wollte, hatte ich befohlen, mich sofort und als Ersten zu benachrichtigen, sobald sie ohne Krämpfe erwachten. Ich mußte also Eustachius verlassen, um mich zu seinem Vetter Hilarius zu begeben. Ich fand ihn im gleichen fieberhaften Zustand. Auch hier beschränkte ich mich darauf, ihm gut zuzureden und ihn darauf hinzuweisen, daß Gott mich zu seiner Rettung hergesandt hätte. Ich brachte ihn ebenfalls dazu, das erfrischende Milchgetränk zu sich zu nehmen, und es gelang mir, ihm die Worte zu entreißen, daß er seine ganze Hoffnung auf mich setzte.

In vier weiteren Stunden besuchte ich nun die Mädchen, die ich aber viel kränker wie die Knaben fand. Ich konnte sie nicht zum Sprechen bewegen, doch verstanden sie, was ich sagte, und tranken, was ich ihnen reichte. Ursula, Eustachius' Schwester, verfiel vor meinen Augen in Krämpfe. Es war mir nicht entgangen, daß ihre Augen krampfhaft zuckten, als ich, um sie zu trösten, davon sprach, daß die Krankheit kein Grund wäre, um ihre Heirat zu hindern, denn ich hätte das Recht, ihre Ehe an jedem beliebigen Tage des Jahres einzusegnen. Als ganz junger Mensch hatte ich einmal etwas über krankhafte Zustände bei Frauen gelesen, die man als Nymphomanie bezeichnet. Doch wußte ich nicht, wie ich mich dabei verhalten sollte, war übrigens meiner Sache auch nicht ganz sicher.

Heinrich kam und bat mich, etwas zu genießen. Ich sah ein, daß er recht hatte, aber ich wollte meine Kranken nicht verlassen. Da kam mir ein guter Gedanke, den ich sofort ausführte. Ich ließ alle vier Kranken in ihren Betten in dasselbe Zimmer tragen und dort an einem kleinen Tisch für Elisabeth und mich decken. Hier nahmen wir also unser Mittagsmahl ein, ohne die Kranken jedoch aus den Augen zu verlieren. Ich redete ihren Eltern zu, sich zur Ruhe zu begeben und uns mit den Kindern allein zu lassen. Im Nebenzimmer hatte ich alles, dessen ich bedurfte, bereitstellen lassen. Obwohl man uns ein bequemes Ruhebett hingestellt hatte, konnten wir davon keinen Gebrauch machen, denn bald bekam der eine, bald der andere Krampfanfälle, so daß wir fortwährend beschäftigt und beunruhigt waren. Da ich für diese Krankheit keine geeignete Arznei wußte, beschränkte ich mich darauf, die Kranken genau zu beobachten, alle Symptome zu studieren und ihre geringsten Bewegungen, Veränderungen wie auch den kleinsten Fortschritt zu überwachen.

In der ersten Morgenstunde schickte mir Heinrich ein Briefchen, worin er bat, mit seiner Frau und den Eltern der Kranken hineinkommen zu dürfen, was ich gestattete. In diesem Augenblick schlief nur Anna, des Hilarius einzige Schwester. Die andern waren ruhig. Zwar hatte das Fieber eine schier tödliche Höhe erreicht, doch schienen sie weniger bedrückt. Auf die Frage, ob sie mit ihrem Zusammensein einverstanden wären, antworteten sie, indem sie sich zufrieden anlächelten und uns die Hände küßten. Nachdem ich ihnen alles berichtet hatte, was sich in der Nacht ereignet hatte, schickte ich sie wieder aus dem Zimmer und bat sie, erst wiederzukommen wenn ich sie rufen ließe.

Ich war mir darüber klar, daß die Krämpfe im Grunde genommen nur unwillkürliche Bewegungen und gewaltsame Zusammenziehungen der Muskeln waren, die nur die Folge nervöser Erregungen sein konnten. Diese mußten von den Blutgefäßen des Gehirns herkommen, denn meiner Meinung nach wurzeln alle äußeren Bewegungen im Gehirn, da sie doch in gesundem Zustande vom Willen abhängen würden. Wenn also, sagte ich mir, die Krankheit im Gehirn ihren Sitz hat, so müssen die Kinder große Gemütsbewegungen durchgemacht haben, durch die der ganze Organismus in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Das schien mir noch die zutreffendste Erklärung zu sein, denn weder die Umgebung noch die Ernährungsverhältnisse konnten die Schuld an der Erkrankung tragen. So gut und richtig nun aber auch meine Betrachtungen sein mochten, sie halfen mir doch nicht, das passende Heilmittel zu finden. Wo sollte ich aber den verborgenen Schlupfwinkel finden, wo Gott und die Natur eine wirksame Arznei für Gehirnkrankheiten wachsen ließen? Aber schließlich, wenn die Krankheit durch seelische Aufregungen hervorgerufen war, dann konnte sie auch nur durch seelische Beeinflussung geheilt werden. Erst, wenn es mir gelang, die Ursache der Verzweiflung der Kinder zu ergründen, die ihnen vielleicht selbst nicht klar war, konnte ich einen heilsamen Einfluß auf sie ausüben.

Die Besserung ihres Zustandes schrieb ich der Nahrungsaufnahme und der Tatsache zu, daß sie nun alle vier in einem Zimmer vereint und in meiner ständigen Gesellschaft waren. Die Krämpfe und das Fieber ließen nach. Als ausgezeichnete Speise für sie erwies sich ein Mus aus einer Art Äpfeln, die meine Frau einmal entdeckt hatte. Sie wuchsen wild an kleinen Sträuchern, die im ganzen Land verbreitet waren. Der Boden des Protokosmos ist ganz und gar von Kriechpflanzen überwuchert, die man nicht wie bei uns als Alchimelech bezeichnen kann, denn sie machen die Erde fruchtbar. Übrigens war, sobald der Krampf sich zu lösen begann, der Puls sehr stark, hart und beschleunigt. Ich fühlte ihnen, während ich von ihrer Heirat sprach, den Puls und merkte, wie er doppelt schnell schlug. Nachdem ich dies zweimal beobachtet hatte, wurde es mir ganz klar, daß die heftige Krankheit ihre Ursache in einem verfrühten Liebesgefühl, in der Ungeduld, sich zu verheiraten, gehabt haben mußte. Ich hütete mich jedoch, diese Beobachtung zu wiederholen, denn das Fieber stieg und die Krämpfe begannen aufs neue. Fast fürchtete ich, ihnen dadurch, daß ich sie zusammengebracht hatte, geschadet zu haben, denn die Erregung konnte verhängnisvoll für sie werden. Ich fragte darum jedes von ihnen, ob sie lieber wieder in ihr Einzelzimmer zurückkehren möchten, doch bekam ich von allen die gleiche Antwort. Sie sagten, eine Trennung würden sie nicht überleben.

Der vierte Tag verging ohne Krämpfe, doch trat ein beständiges und krampfhaftes Gähnen auf. Auch das Fieber hielt an, ebenso eine erschreckende Schläfrigkeit. Sie waren sehr abgemagert und so schwach, daß sie nicht auf der Seite liegen konnten. Zwar hatte das Fieber die Krämpfe vertrieben, aber dabei war es auch geblieben und ich wußte nicht, wie und woher ich in einer Welt, die kein Fieber kannte, ein Gegenmittel dafür finden sollte. Ich entschloß mich daher, ihnen den Extrakt einer bitteren Wurzel zu geben, denn ich erinnerte mich, gelesen zu haben, daß alles Bittere gegen Fieber wirksam sei. Um sie aber nicht etwa zu vergiften, erprobte ich alles, was ich ihnen gab, zunächst an einer Amphibienart. Meine Frau zog den Extrakt aus der Wurzel und es hatte den Erfolg eines guten Abführmittels. Es dauerte nicht eine Woche, so war das Fieber verschwunden. Doch blieben ein große Mattigkeit und Traurigkeit zurück, verbunden mit einem förmlichen Widerwillen gegen jegliche Nahrung. Die dadurch hervorgerufene Entkräftung allein konnte tödlich werden.

Da Liebe die Ursache der Krankheit war, wunderte ich mich sehr darüber, daß weder Eustachius noch Ursula das mindeste Interesse füreinander zeigten. Ein Bettschirm stand zwischen den vier Betten und trennte sie von Hilarius und Anna. Mir kam ein Gedanke. Ich wollte herausfinden, ob es vielleicht die Abneigung wäre, einander zu heiraten, die sie so krank gemacht hatte. Da Hilarius kräftiger wie Eustachius war, versuchte ich es zuerst mit ihm. Ich fragte ihn, ob er nach seiner Genesung gern sofort mit Anna vermählt werden möchte, oder ob er die Heirat lieber bis zum Anfang des Jahres 57 aufgeschoben haben wollte. Er antwortete mir, die Krankheit machte ihm den Aufschub erwünscht. Als ich Anna dieselben Fragen vorlegte, erwiderte sie, sie dächte genau wie ihr Bruder. Danach begab ich mich zu Ursula und Eustachius und erhielt dieselben Antworten. Elisabeth erzählte mir, daß die Mütter der Kinder ihr folgendes gesagt hätten: Weit davon entfernt, zu glauben, daß eine Liebesleidenschaft der Grund zu ihrer Schwermut sein könnte, hatten sie im Gegenteil bemerkt, daß sie seit dem Jahr, das sie im Ephebeion zubrachten, niemals ein Wort miteinander gewechselt hätten, obwohl sie alle Fünftag vorher Gelegenheit hatten, sich zu sehen und zu sprechen. Daraus schloß ich, daß die vier Kinder nur gegen die Person der ihnen bestimmten Lebensgefährten eine Abneigung haben mußten. Ich redete ihnen daher ganz sanft zu und versicherte ihnen, daß ich keinen innigeren Wunsch hätte, als sie wiederhergestellt zu sehen. Da ich nun sähe, daß sie einen Aufschub der Vermählung wünschten, so verspräche ich ihnen, sie sollten erst Mann und Frau werden, wenn sie selbst mich darum bäten. Da sie übrigens alle vier gleichgesinnt waren, so ließ ich den Wandschirm entfernen und sagte ihnen, sie sollten in ihrem gegenseitigen Anblick Trost und Mut finden ... Ich sah, wie sie einander gerührt mit den Händen Grüße zuwinkten, aber ich hielt das für Höflichkeit und Freundschaft. Nach drei Stunden hatte ich dann die große Befriedigung, daß sie etwas Fleischbrühe und ein Gläschen Feigenlikör zu sich nahmen. Ich sagte nichts, wunderte mich aber im stillen, daß Eustachius, der für seine Schwester Ursula, deren Bett zu seiner Linken stand, niemals ein Wort übriggehabt hatte, Anna, deren Bett sich zu seiner Rechten befand, ein kleines Kompliment machte, auf das diese sehr höflich antwortete, obwohl sie mit ihrem Bruder Hilarius niemals gesprochen hatte.

Ich hatte meine stille Freude daran und verlegte mich nun weiter aufs Beobachten. Nachdem Hilarius mit Eustachius ein paar Worte gewechselt hatte, fragte er Ursula nach ihrem Befinden. Sie erwiderte, daß sie dank meiner Sorgfalt und Güte bald ihre frühere Gesundheit wiedererlangt haben würde. Ich hatte Mühe, mein Entzücken zu verbergen, und meiner Frau ging es um kein Haar anders, doch hüteten wir uns wohl, unser Schweigen zu brechen. Am andern Morgen fand ich meine Kranken schon etwas wohler, auch hatten sie ein wenig besseren Appetit. Wir versuchten, sie miteinander ins Gespräch zu bringen, doch waren sie noch so schwach, daß sie nur wenige Worte miteinander wechselten. Unter dem Vorwand, an ihre Tochter Wilhelmine zu schreiben, teilte mir meine Frau in einem Brief alle ihre Beobachtungen mit. Hilarius hatte sich vier Kopfkissen bringen lassen, um aufrecht sitzen zu können, und Ursula hatte es ebenso gemacht. Nun blickten diese beiden sich unverwandt an und Eustachius und seine Base Anna, deren Betten nebeneinander standen, taten ungescheut dasselbe.

Ich erhob mich nun und begann im Zimmer auf und ab zu gehen, angeblich um mir etwas Bewegung zu verschaffen, in Wirklichkeit aber, um sie unauffällig zu beobachten. Es war buchstäblich so, wie meine Frau mir geschrieben hatte. Die beiden Paare liebten sich! Es war nicht diese Neigung, die ich ungewöhnlich, wenn auch nicht merkwürdig fand, obwohl in meiner Nachkommenschaft zum ersten Male etwas derartiges vorkam. Auffallend war mir nur die Übereinstimmung und Gleichartigkeit dieser Leidenschaften. Diese zwei Paare waren die ersten Kinder zweier Ehen, die Heinrich vor zehn Jahren hatte schließen lassen.

Mit der Genesung der armen Kinder ging es nun mit Riesenschritten aufwärts. Sie aßen am andern Tage regelrecht zu Mittag und ich veranstaltete ihnen zu Ehren in ihrem Zimmer ein kleines Konzert. Dazu lud ich Heinrich und Judith und ebenso die Eltern meiner Kranken ein. Während des ganzen Konzerts, wo sie sich wohl unbeobachtet wähnten, hing Eustachius mit den Blicken an Anna, während Hilarius seine Augen nicht von Ursula wandte.

Ohne Heinrich meine Vermutungen, die mir schon zur Gewißheit geworden waren, mitzuteilen, fragte ich ihn, ob die Eltern irgendwelche Zuneigung bei den Kindern beobachtet hätten, da sie die frühere Abneigung gemerkt hatten. Nach drei Tagen kam Heinrich sehr niedergeschlagen zu mir. Er sagte, es wäre leider nicht zu bezweifeln, daß die beiden Paare sich gegenseitig liebten. Er wäre untröstlich über dies Unglück, denn er wüßte nicht, wie dem abzuhelfen wäre. Er könnte sich diese schrecklichen Verbindungen nur mit Schauder vorstellen. Nun tröstete ich ihn damit, daß es auf Erden kaum ein Übel gäbe, das nicht zu heilen wäre. Diese Angelegenheit versprach ich ihm persönlich zu ordnen, worauf er meine Hände küßte und wieder guten Mutes ward.

Anfang Februar waren meine Kranken wieder völlig wohlauf. Im Einverständnis mit meiner Frau nahm ich sie mit auf eine Reise, die ich durch Heinrichs ganzen Bezirk machte. Wir besuchten sechzig Städte und Heinrich und seine Gattin Judith begleiteten uns stets. Die Reise dauerte bis zum Ende des Jahres. Während dieser Zeit verloren nun die Kinder alle Scheu vor uns und zeigten offen, daß sie sich liebten. Heinrich und Judith verloren kein Wort über die Angelegenheit, denn sie sahen, daß ich ganz einverstanden war. Doch verstanden sie mich nicht, denn wie Heinrich mir gesagt hatte, fanden sie solche Ehen schrecklich.


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