Giacomo Casanova
Eduard und Elisabeth bei den Megamikren
Giacomo Casanova

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Diese megamikrischen Analekten waren alt wie deren Welt, wenn man der Einleitung des Manuskriptes Glauben schenken wollte. Wie auch die Sache sich verhielt, so blieb es jedenfalls sicher, daß ihr Verfasser heimlich die Anatomie des Megamikren studiert hatte und daß er nur auf Grund dieses Studiums über die Organisation des menschlichen Körpers zu sprechen imstande war.

Ich konnte mich nicht enthalten, dem König davon zu sprechen und zwar als Erzähler, nicht als Frager. Ich fragte ihn, ob es mir gestattet sei, diese so wichtigen Doktrinen, die augenscheinlich niemand kenne, drucken zu lassen, da die Beschreibung des Auges, die der Arzt publiziere, alle Leser überrascht habe. Der König antwortete mir, die Werke des Protoplasten befänden sich nur im Besitz des Großen Genius, den Gelehrten wären nur deren Titel bekannt, und wenn die Physiker sie kennten, dürften sie sich dessen nicht rühmen; wer sie dessen verdächtigte, wird sich einer Sünde schuldig machen. Wenn ich sie wirklich besäße, so müßte auch ich aus zwei Gründen darüber schweigen: erstens, weil man es mir nicht glauben und mich der Lüge zeihen würde; zweitens, weil man, falls man mir etwa doch glaubte, mich dem Bischof anzeigen könnte, der dies dem Großen Genius mitteilen müßte; der Große Genius aber würde sich an mich wenden und mir sofort die Manuskripte abverlangen. Ich nahm mir die Freiheit, ihn zu fragen, welchen Zweck diese Geheimhaltung wohl hätte. Er behauptete, in den Büchern wären Wahrheiten offenbart, welche die Menschen nicht wissen sollten, da sie sie mißbrauchen könnten. Ich erwiderte darauf nichts, war aber nicht wenig erstaunt, als ich einige Zeit darauf, durch eine besondere Gnade des Königs von ihm selbst in seine geheime Bibliothek eingeführt, dort alle Werke des Protoplasten und besonders auch die Analekten in schönen Einbänden fand. So weit geht die Zurückhaltung und Vorsicht, welche die Megamikren sich in Reden und Schweigen auferlegen.

Nach Verlauf von zwei Bränden erreichte der Ruf des Physikers den höchsten Grad; er wurde zum Himmel erhoben. Er hatte bereits über fünfzig Blinde sehend gemacht, unter denen sich auch neun Rote befanden. Da trat ein trauriger Fall ein, der ihm verhängnisvoll wurde: Ein junger, sehr reicher Flachsgrauer wurde plötzlich wieder blind. Man leugnete es, aber der folgende Tag brachte zwei gleiche Fälle. Ein Blauer, dessen grauer Star nur in einem Auge reif war, hatte seine Zustimmung gegeben, sich auf beiden Augen operieren zu lassen, da der Professor ihm sagte, daß er Gefahr laufe, auch das zweite Auge zu verlieren. Der Unglückliche sah sich nun nach vier Pentamainen vollständig blind. Ein Roter bekam eine Entzündung, die man zwar heilte, doch starb er an einem Krebs, der sich entwickelte. Jeder Tag brachte neue Fälle von Geheilten, die nun wieder blind wurden; der Skandal nahm immer mehr zu, die Blinden sahen sich zugrunde gerichtet durch einen Dummkopf, einen Betrüger (so wurde er jetzt bezeichnet) und wandten sich an die Gerichtsbarkeit.

An einem Tage wurden gleichzeitig zwei Klagen eingereicht, die sowohl Mitleid wie Heiterkeit hervorriefen; die eine lief beim königlichen Tribunal, die andere beim bischöflichen ein. Ein Prozeß wurde beantragt, Zeugen wurden verhört und die Klagen mehrten sich täglich, da alle operierten Megamikren, außer zweien oder dreien schlechter sahen als zuvor. Der Physiker erließ eine dumme Kundmachung und erbot sich, die schlecht Geheilten nochmals zu operieren; als Antwort wurde er beschimpft und mit Schmähungen überhäuft, doch ließ ich diese Erwiderungen nicht zum Drucken zu. Aber die Erbitterten wollten sich nicht einschüchtern lassen und ließen Schreiber arbeiten. Eine Fünftagwoche später sprach das geistliche Tribunal sich dahin aus, daß es den Physiker mit dem Kirchenbann belegte und ihm ein für allemal Operationen auszuführen verbot. Das königliche Tribunal verurteilte ihn zu lebenslänglichem Gefängnis und bedrohte das Kollegium als mitschuldig mit allgemeiner Amtsenthebung, falls sich innerhalb eines Brandes niemand meldete, um die Verteidigung des Schuldigen vor den königlichen Räten zu übernehmen. Es ist in jenem Lande Brauch, daß ein Angeklagter, der eines Verbrechens beschuldigt wird, sich weder in eigener Person noch durch einen bezahlten Advokaten, noch durch einen Verwandten oder Freund verteidigen darf, da man annimmt, daß alle diese Personen durch Freundschaftsbande oder durch besondere Interessen beeinflußt seien. Der Verteidiger darf nur ein Feind oder ein durch den Anwalt der Gegenpartei als gleichgültig Bezeichneter sein. Die vorgeschriebene Frist war beinahe schon abgelaufen und noch hatte sich niemand als »Tröster« des Schuldigen gemeldet. So wird der Verteidiger in der Megamikrensprache bezeichnet.

Eines Tages besprachen wir diese Frage in Anwesenheit von Heinrich und Ludwig und den fünf Lehrlingen. Mein Enkel Sebastian, ein Sohn Jakobs, siebzehn Jahre alt, von großem Eifer für die Augenoperationen erfüllt, war sehr betrübt, da er durch diese Ereignisse um seine schönsten Hoffnungen, nämlich Augenarzt zu werden, gebracht zu werden glaubte, nachdem er diesem Fache bereits viel Zeit gewidmet hatte, unzählige Schweineaugen studiert, herausgenommen und geheilt hatte. Um mehr Erfahrung zu sammeln, hatte er viele unbarmherzig blind gemacht und bei diesen Experimenten erkannt, daß alles verloren war, sobald die glasigen Säfte aus ihrer Kapsel ausflössen; er entfernte die Kristallsäfte und merkte, daß das Auge imstande war, sie wieder zu ersetzen, und selbst wenn es dies nicht mehr vermochte, noch mit Hilfe eines Linsenglases sehen konnte, das ersetzte auf diese Weise die Kristallinse. Er hatte sich gerade in der letzten Zeit überzeugt, daß man zwar den grauen Star beiseiteschieben, niemals aber an einer bestimmten Stelle des Auges fixieren konnte. Voller Freude hörte ich stets den Berichten über seine Versuche zu, doch am meisten erfreute er mich eines Tages, als er mir sagte, diese Operation sei so schwer, daß kein Sterblicher sie ohne Gottes Hilfe vollbringen könne. Es bedingte, sagte er, eine große Vorsicht des Operateurs, der dabei sehr geschickt, mit tadellosen Augen, ruhiger Hand und genauer Kenntnis der von ihm mit der Nadel zu behandelnden Teile begabt sein müßte. Im Feuer seiner Rede ließ er den Ausruf entschlüpfen, er hoffe, daß ich ihm helfen werde, seine Begabung nicht brach liegen zu lassen, sondern den Megamikren durch sie Nutzen zu bringen, um so mehr, da es nach der allgemeinen Ansicht ausgeschlossen zu sein scheine, daß der verklagte Arzt einen »Tröster« finden werde, um ihn zu verteidigen.

»Du hoffst also, mein lieber Sebastian,« sagte ich ihm, »daß dieser arme Operateur niemand finden wird, der seine Verteidigung übernimmt?« – »Ich hoffe es nicht, ehrwürdiger Vater, da dies Gefühl der christlichen Nächstenliebe widersprechen würde, doch sehe ich es voraus, und ohne mich dessen zu freuen, glaube ich, daß es mir gestattet ist, darüber nicht betrübt zu sein, daß diese Gelegenheit meiner Begabung, die Ihr zu fördern versprächet, förderlich sein wird.« – »Deine Antwort, mein Kind, ist gut, und dies Gefühl ist vollkommen mit der vom Christen verlangten Tugend vereinbar, doch solltest du es der Welt zeigen, daß du diese Ansicht nicht nur mit Worten, sondern im Herzensgrunde vertrittst, da die Bosheit der Menschen leicht daran zweifeln könnte.« – »Was soll ich denn tun?« fragte er eifrig; »ich bin zu allem bereit. Soll ich es durch eine Kundmachung bekanntgeben? Befehlet, Großvater.« – »Eine gedruckte Erklärung würde, mein Sohn, nur belächelt werden; es gilt nicht zu reden, noch weniger zu schreiben: man müßte viel mehr tun.« – »Ich wüßte nicht was, Großvater.«

Als ich ihn erwidern hörte: ›ich wüßte nicht was,‹ und ihn nachdenken sah, sagte ich ihm gütig: »Ja, mein Kind, man muß viel mehr tun. Du mußt noch heute zum königlichen Gegenanwalt gehen und dich bei ihm eintragen lassen als Anwalt, als Tröster des angeklagten Arztes, den die ganze Welt verlassen hat.« Diese Worte riefen die höchste Bestürzung sowohl bei Sebastian wie bei allen anwesenden Mitgliedern meiner Familie hervor; nur meine Frau, die stets ihre Gefühle zu beherrschen verstand, verriet nicht, was in ihrer Seele vorging.

Niemand unterbrach das Schweigen Sebastians, das aber nur drei Minuten dauerte. Dann erhob er sich, warf sich vor mich auf die Knie, küßte meine Hände und bat mich und sodann auch Elisabeth um unseren Segen. Dann näherte er sich seiner geliebten Frau, küßte sie, reichte ihr den Arm und entfernte sich rasch mit ihr.

Diese stumme Handlung sagte uns genug und das Stadtgerede am folgenden Tag berichtete uns nichts Neues, da wir bereits in der Seele des lieben Jungen gelesen hatten. Er war sofort zu seinem Vater gegangen, ihn um seinen Segen zu bitten, und erschien dann allein beim Gegenanwalt der angeklagten Partei, der über dies unerwartete Ereignis überrascht, sogleich den vierten Tag, den Schmetterlingstag, der kommenden Fünftagwoche für die Verhandlung ansetzte. Dieser vom König bestellte Gegenanwalt wird Paradox genannt und in vollem Sinn des Wortes bedeutet Paradox mit Recht: »berufsmäßige Verneinung«, da dieser Königsanwalt oft gegen seine eigene Ansicht zu sprechen und zu urteilen gezwungen ist. Nachdem Sebastian diese vorgeschriebenen Schritte getan hatte, entfernte er sich, um seine Rede vorzubereiten. Am folgenden Tag unterzeichnete ich die Druckbewilligung für eine Kundmachung des königlichen Tribunals, die sofort veröffentlicht wurde. Sie gab dem Publikum bekannt, daß am angegebenen Tage im großen Saale des Gerichts der edle christliche Riese Sebastian Alfred, Sohn Jakobs, den angeklagten Physiker Aaau-Eooo-Eiiio öffentlich verteidigen werde.

Mein Sohn Jakob schien über den von Sebastian gefaßten Entschluß in Sorge zu sein, als er aber meine Frau und mich in der freudigsten Stimmung sah, wagte er es nicht, uns von seinen Befürchtungen zu sprechen. Etwas später erhielt ich im Auftrag des Oberhofmarschalls 210 Karten für ebensoviel Plätze in der großen Adelsloge, die 1000 Plätze enthielt, was mich sehr angenehm berührte, da Sie sich wohl denken können, Mylords, wie sehr mir daran lag, daß Sebastian von seinen älteren und gleichalterigen Verwandten gehört werde, denen seine tapfere Handlung nur ein lobenswerter Ansporn sein konnte. Diese Aufmerksamkeit des König bewies mir, daß der Entschluß meines Enkels Seiner Majestät gut gefallen hatte.

Noch eine interessante Neuigkeit verbreitete sich in der Stadt, nämlich daß das Physikerkollegium den Gerichtshof um hundert Plätze auf der Bank der Angeklagten ersucht hatte, um in dieser Eigenschaft der Verteidigungsrede des edlen Riesen als Tröster beizuwohnen; diese Bitte wurde sogleich bewilligt. Alle anderen Sitzplätze wurden jenen Adligen zugewiesen, die sie sich zu erwerben verstanden hatten; außerdem wurden in dem ungeheuren Saal amphitheatralische Stehplätze für 18 – 20000 Megamikren errichtet und diese Plätze denen zugeteilt, die sich als erste darum bewarben.

Ich teilte meine Karten allen meinen verheirateten Kindern zu, deren Zahl sich auf 208 belief; ich erlaubte, daß auch die Frauen mit ihren Männern des schönen Schauspiels genössen, obzwar sie sich alle in den letzten Monaten der Schwangerschaft befanden: dieses Ereignis verdiente jedoch durch eine Ausnahme von den gewöhnlichen Vorschriften gefeiert zu werden. Meine Familie bestand damals aus 1100 Menschen. Der König war über alles aufs genaueste unterrichtet und hatte mir gerade die Kartenzahl für alle meine Nachkommen, meine Frau und mich zugesandt.

Seitdem Sebastian seinen Namen beim Amt hatte eintragen lassen, hatte er sich vor niemandem mehr sehen lassen, und in seinem eigenen Haus erschien er nur zu den Mahlzeiten, bei denen er kein Wort sprach. Die ganzen drei Tage verbrachte er in seinem Arbeitszimmer, ganz und gar von seiner Aufgabe in Anspruch genommen. Er schien der Ansicht zu sein, daß er mich nicht zu Rate ziehen solle, weil ich ihn hiezu nicht aufgefordert hatte, und dies Selbstvertrauen gefiel mir ungemein. Er sagte mir später: als er gemerkt, daß ich ihn für fähig ansehe, alles allein zu vollbringen, habe er mich um nichts mehr befragen wollen, damit ich ihn nicht für unfähig halte, die Sache allein durchzufechten. Obwohl erst siebzehn Jahre alt, war er bereits fünf Fuß, neun Zoll hoch, braun, hübsch, ebenmäßig gebaut, hatte eine schöne Stimme und eine wundervolle Rednergabe. Sein Gesichtsausdruck war edel, zuvorkommend, freundlich-lächelnd und er verstand sich in wenigen Worten klar auszudrücken; er besaß auch die Gabe wuchtigen Ausdrucks, doch vermied er bei seinen Beweisführungen starke Worte nach einem Grundsatz, den unsere Religion anriet: man solle nicht überzeugen, sondern zu überreden suchen.

In der ersten Stunde des festgesetzten Tages gingen wir zu Jakob, bei dem alle sich versammeln sollten. Alle 210 trafen dort ein. Ich fand Sebastian ernst, schweigsam und bescheiden; nachdem ich ihn herzlich umarmt hatte, gab ich ihm meinen Segen und wir gingen hierauf zu Fuß in den königlichen Palast. Vor dem Gebäude fanden wir alle Blinden der Stadt versammelt, die, von ihren Unzertrennlichen bei der Hand geführt, auf uns warteten, um uns zu folgen und uns mit Lobrufen, Segenswünschen und Liedern zu feiern, deren süße Harmonien unsere Seelen rührten. Die zahlreich versammelte Bevölkerung begrüßte uns mit Hochrufen, nannte uns die Gesandten Gottes und empfahl sich unserer Huld.

Beim großen Eingangstor des Palastes trafen wir die hundert Physiker mit ihren Unzertrennlichen, die bei unserer Ankunft mit gesenkten Köpfen in zwei Reihen standen und die Arme auf der Brust, unterhalb der Medaille des Kollegiums gekreuzt hielten. Als letzter und am tiefsten gebeugt stand der arme Augenarzt, der zum Zeichen seiner großen Trauer sich von Kopf bis Fuß mit allen überhaupt vorhandenen Farben hatte anstreichen lassen. Dieser Anblick war so komisch, daß wir Mühe hatten, uns des Lachens zu enthalten. Man führte uns zu unseren Plätzen, Sebastian ließ seine Frau neben ihrer Mutter sitzen und begab sich auf den dem »Tröster« bestimmten Platz. Sodann nahmen alle Richter ihre Plätze ein und man schloß die Türen des übervollen Saales. Das königliche Paar trat durch eine kleine, hinter den Richtersitzen befindliche Tür ein und ließ sich auf dem Throne nieder. Der König war bei allen Sitzungen der höchsten Instanz der erste Richter, doch enthielt er sich gewöhnlich der Teilnahme. An diesem Tage handelte es sich aber um eine zu seltene Begebenheit, als daß er nicht hätte anwesend sein sollen.

Sobald der König Platz genommen hatte, wurde Sebastian durch einen Gerichtsdiener hiervon verständigt und betrat die offene Tribüne. Zu seiner Linken saß der unglückliche Augenarzt auf einem Armesünderstühlchen, rechts vor ihm an einem Tisch saßen der königliche Staatsanwalt und der Parador-Advokat; wir Riesen alle in der großen Loge, in der sich außer uns 400 Paare vom höchsten Adel befanden. Die hundert Physiker waren im Verschlag für die Angeklagten untergebracht. Die vierzig Richter, lauter Rote, saßen in einem Halbkreis, alle mit Halsketten geschmückt, hinter den Richtern sah man auf zwei Gerüsten eine große Zahl Adliger sitzen, die zum Hofstaat des Königs gehörten; 1000 andere befanden sich hinter der Tribüne der Advokaten.

Sebastian begann seine Rede damit, daß er den Richtern die Entstehung der ganzen Sache vortrug, wobei er alle Schriftstücke vorlesen ließ. In anschaulicher Weise charakterisierte er seinen Klienten; er bewies, daß dieser die Krankheit erst dann heilbar genannt hatte, als seine Studien sie ihm als solche zeigten; er sagte, die theoretische Anatomie des Auges, die der Arzt publiziert habe, sei ein Beweis seiner Gelehrsamkeit, und er schloß mit der Erklärung: wenn jener mit seinen Operationen keinen Erfolg gehabt habe, so sei dies eine Folge von Umständen, die er nicht habe vorhersehen können; das hohe Gericht brauche nur seinen Eifer in Betracht zu ziehen, um ihn freizusprechen, denn habe nur auf Grund der von ihm gemachten Beobachtungen über den Mechanismus der Augen operiert. Er sagte weiter, die Medizin sei eine Wissenschaft, der niemand sich widmen würde, wenn die Gesetzgeber die Ärzte für jeden etwa vorkommenden Unfall verantwortlich machen wollten, und mit einem Unfall, der sogar dem Kranken sein Leben kosten könnte, müsse man doch rechnen. Er machte darauf aufmerksam, daß die Verurteilung des Physikers den Untergang der ganzen Physikerfakultät zur Folge haben würde und daß sodann im ganzen Lande kein Megamikre mehr zu finden sein werde, der sich der Medizin widmen, oder welchen das geschickteste Mitglied des chirurgischen Kollegiums mit der geringsten an einem menschlichen Körper zu vollführenden Operation zu beauftragen sich getrauen würde. Er schilderte das Unglück und die Schande der ganzen Nation, wenn sie sich ohne das Kollegium befände und wenn dies alle Nachbarstaaten erfahren würden, da doch die Mitglieder derselben in 1000 Fällen Beweise ihrer Gelehrsamkeit geliefert hätten und somit ebenso nützlich wie notwendig gewesen wären. Er zeigte, daß die Blinden nur aus Rachegefühl die Verurteilung des Arztes verlangten, daß aber Rache die Gottheit beleidige, da nur dieser das Recht zukäme, Rache zu üben; daß die Kinder der Sonne, die Gott in ihren täglichen Gebeten um Vergebung der Sünden bäten, der Barmherzigkeit Gottes nicht mehr würdig wären, sobald sie mitleidslos gegen einen ihrer Brüder vorgehen könnten, der sie ohne böse Absicht erbittert hätte, da er nicht hätte ahnen können, daß seine zu ihrem Nutzen unternommene Tätigkeit so böse Folgen haben würde; daß diese Rache von allen rechtlich denkenden Wesen roh bezeichnet werden würde, sobald sie die Sache näher betrachteten und einsähen, daß die Person, an der man sich rächen wollte, sich kein Vergehen hätte zuschulden kommen lassen; denn ohne bösen Willen gäbe es kein Verbrechen. Man würde sagen, der Physiker wäre so schwer bestraft worden, weil er den Blinden die Sehkraft wiedergegeben, die sie nach vier Pentamainen vielleicht durch eigenes Verschulden wieder verloren hätten; denn das Gericht könnte nicht sicher sein, daß die geheilten Megamikren nichts begangen hätten, was ihre Wiedererkrankung hätte zur Folge haben können. Er schloß seine Rede mit der Versicherung, er sei der Ansicht, daß der edle Riese, sein Großvater, wohl niemals einen Megamikren würde in Behandlung genommen haben, wenn man ihm gesagt hätte, daß er im Falle des Nichterfolges sich eines schweren Verbrechens schuldig mache.

Hiermit schloß er, stieg bescheiden die Stufen von der Rednerbühne herab, machte eine ehrfurchtsvolle Verbeugung nach der Mitte zu, dann eine nach rechts und nach links und setzte sich wieder auf seinen Platz.

Der Paradox-Advokat bestieg nun die Tribüne, um seine Gegenrede zu halten. Er begann seine Ansprache mit einer Lobrede auf die Vorzüge, Talente und Eigenschaften des Riesen, der den Angeklagten habe vertreten wollen, und kam sodann zur Frage des schuldig oder nichtschuldig. Er bestätigte die Behauptung, daß das Gesetz nur den Ärzten gestatte, ungestraft Menschen zu töten und Experimente zu machen, die den armen Kranken oft das Leben kosteten. »In diesem Falle aber«, sagte er, »ist offenbar der Physiker nicht wegen der Vollführung seiner Operationen, die für die Operierten so folgenschwer und sogar tödlich ausfielen, verklagt worden, sondern wegen einer früheren Ursache, die ein neidischer Geist, unerhörter Hochmut, tollkühne Einbildung hervorgerufen haben und die ihm die Feder in die Hand drückten, um ein höhnisches, boshaftes, freches Attest zu schreiben, das einer seiner Kollegen mit unterzeichnete, obwohl beide wußten, daß es dem wohltätigen edlen Riesen Eduard Alfred würde vorgelegt werden. Der Angeklagte war sich der Folgen dieses Schrittes wohlbewußt, da einem Physiker die Tatsache nicht unbekannt sein kann, daß ein Stoff Gegenstoff erzeugt. Der Riese, über diese neue Zeugnisformel und den frechen Lakonismus des Schreibens erstaunt und beleidigt, stellte seine göttlichen Operationen ein und machte den Grund seines Entschlusses dem Publikum bekannt, das seine Gründe als gerecht ansehen mußte. Kann man, o durchlauchtigster König, o weiser und mächtiger Gerichtshof, ohne die Vorsehung Gottes zu beleidigen, behaupten, daß die Söhne der Sonne, die sich heute in diesem bedauernswerten Zustand befinden, es ebenfalls wären, und daß der an der Operation durch diesen Arzt Gestorbene auch gestorben wäre, wenn er durch den Riesen operiert worden wäre, dem keine einzige seiner Operationen mißlungen ist? Der Angeklagte ließ sich durch den glücklichen Ausgang seiner Operationen verblenden, durch den Beifall des leichtsinnigen, wankelmütigen Publikums ermutigen, das immer dem Neuen nachläuft, das wohl von Natur aus dankbar ist, aber durch eine Überraschung oder wegen seines schwachen Gedächtnisses oft undankbar wird. Der triumphierende Physiker fühlte sich sicher und bildete in seinem Wahn sich ein, daß er nun offen die ihm unbequeme Maske ablegen könne. Nach Ruhme gierig entschloß er sich, den Bau des menschlichen Auges zu beschreiben; aber in der Einleitung glaubte er diejenigen demütigen zu dürfen, denen er einen dem seinigen gleichen, gemeinen Charakter zutraute. Er bewies dadurch, welch schlechter Physiker er ist, da er hätte wissen müssen, baß die Natur jeden Menschen mit einer anderen Denkungsart begaben kann, ebenso wie sie 100 000 Menschen 100 000 verschiedene Gesichter geben kann. In dieser Einleitung voll pedantischer Professorengelehrsamkeit greift er den sehr verständigen Grundsatz der Geheimhaltung an, die bei der großen Operation beobachtete Zurückhaltung, die achtungswerte Lehre eines fremden Meisters, den Gott uns aus ungeahnten Welten sandte, eines übermenschlichen Wesens, das bereits die Heiligkeit seiner Sendung nachgewiesen hat. Wir dachten, der weise Riese werde den frechen Beleidiger keiner Antwort würdigen; wir dachten, er werde so handeln wie die Politik unserer Welt diesen oder jenen von uns zu handeln bewegen hätte, der seines Rechtes sicher zuweilen das verachtet, womit der Feind ihn zu treffen glaubte; es kam anders: die Riesen bezeugten weder Verachtung noch Hochmut. Der edle Eduard, der Reinheit seiner eigenen Absichten sich bewußt, veröffentlichte eine Antwort, in welcher er die Notwendigkeit der Geheimhaltung so klarlegt, daß der Begriffsstutzigste einsehen mußte, wie leicht durch eine Kleinigkeit eine schwere Operation mißlingen konnte. Wer war so blind, um nicht in dieser seiner bescheidenen, kurzen, starken und gelehrten Antwort die Prophezeiung zu bemerken? Er sagte, der glückliche Ausgang der Operation könne erst durch die Zeit bestätigt werden; er drohte mit dem, was leider bereits eingetreten ist und was er lieber nicht erfüllt gesehen hätte. Dies beweist die heroische Großmut, womit er unter der schönen Gestalt eines seiner Kinder hier auftritt, um vor Seiner Majestät seinen neidischen Feind zu verteidigen, der ihn an seiner Ehre bedrohte und sein vorsichtiges Handeln ins Lächerliche ziehen wollte, ja es sogar als verbrecherisch bezeichnete. Ein Physiker, den ich dort sitzen sehe, der im vorigen Jahr blind war und jetzt dank dem Riesen Gottes Licht sehen kann, ist ein Unmensch, der im Einvernehmen mit allen Mitgliedern des Kollegiums das Attest unterschrieb, durch das man einen Schuldigen entlasten wollte.

Was der edle Sebastian gottesfürchtig von der Rache sagt, ist eine von Gott selber ausgehende Lehre; doch er möge mich entschuldigen, wenn ich beweisen werde, daß er damit im Unrecht ist. Die Verurteilung eines Schuldigen ist keine menschliche Rache, sondern göttliche Bestrafung eines Vergehens gegen das Gesetz, das die Ausrottung derer bestimmt, die dem allgemeinen Wohl schädlich sind. Weder Haß noch Rache für erlittene Ungerechtigkeit bilden den Anlaß der Bestrafung, sondern unsere Pflicht, die Tugend aufrechtzuerhalten und mit vernichtenden Beispielen jene abzuschrecken, die sonst später geneigt sein möchten, Ähnliches zu tun.«

Der Staatsanwalt verließ die Tribüne und der königliche Ankläger fragte laut Sebastian, ob er nichts mehr zu sagen hätte. Mein Enkel erhob sich nun, nahm seinen zitternden Klienten bei der Hand, hieß ihn stehenbleiben und den Kopf erheben und sprach nur folgende kurzen Worte: »Hier, o König, steht vor Euch einer Eurer Untertanen, der als Unschuldiger erhobenen Hauptes Eure Majestät um seine Freisprechung bittet und als Schuldiger (hier drückte er ihm eigenhändig den Kopf herunter, hieß ihn niederknien und sodann sich auf den Bauch legen) sich vor Eurer Majestät und der ganzen beleidigten Nation niederwirft und um Gnade für sich und das ganze Kollegium steht, das ebenso untertänig zu Füßen Eurer Majestät, mit bitterem Schmerz und aufrichtiger, in ihren Herzen brennender Reue, in Tränen zerfließend um Gnade bittet.«

Es war ein seltsames, ganz ungewohntes Schauspiel, das ganze Kollegium auf der Erde liegen zu sehen. Händeklatschen erscholl im ganzen Saal und gab den Richtern den Wunsch des Publikums bekannt. Die Gerichtsdiener riefen daraufhin der Menge zu, den Saal zu verlassen. Sie tat es sofort und als die letzten kehrten wir in derselben Ordnung, wie wir gekommen waren, nach Hause zurück.

Jakob lud uns alle zu Tische ein, was mir besonders angenehm war, da ich begierig war, mit meinem braven Sebastian zu sprechen, der nicht mehr wußte, wie er alle Beglückwünschungen und Lobsprüche abwehren sollte. Er hatte sehr gut gesprochen, doch seine Idee, das ganze Kollegium sich auf den Bauch werfen zu lassen, wurde allgemein als wunderbare Eingebung bezeichnet. Man meinte, sonst hätte die Rede des Staatsanwalts alle Stimmen für sich gehabt. Arzt und Kollegium wären alle bereits verloren gewesen.

Eine Stunde später brachte ein Hofgerichtsdiener uns eine Abschrift des Urteiles der königlichen Richter. Es lautete:

»Wir sprechen den Physiker Aaau-Eooo-Eiiio und das ganze Kollegium der Physiker, dessen Mitglied er ist, von dem Verbrechen und der verbrecherischen Absicht frei. Wir erklären gleichzeitig, daß jedes als Arzt wirkendes Mitglied dieses Kollegiums, gleichviel ob es unentgeltlich oder gegen Bezahlung bei inneren oder äußeren Erkrankungen Hilfe leistet, für den Erfolg seiner Bemühungen nicht zur Verantwortung gezogen werden darf.«

Das war alles, was das Urteil sagte; wie wir später hörten, hatte keiner von den Räten dagegen gestimmt.

Über den Ausgang dieser Angelegenheit hoch erfreut, speisten wir im Garten unter einem großen Teppich an einem großen Tisch, der dreiviertel eines Kreises bildete, und ließen das Haus für alle Besucher offenhalten, von denen als erster unser alter Freund der Groß-Gärtner kam. Ich war mit dem Verhalten Sebastians sehr zufrieden, der mit Bescheidenheit alle Komplimente entgegennahm. Ich setzte große Hoffnungen auf ihn und er erfüllte sie.

Als der Tag zur Neige ging, begaben wir alle uns nach Hause. Am folgenden Tag erfüllte das Physikerkollegium seine Dankespflicht, indem es eine feierliche Abordnung zu mir, eine zweite zu Sebastian sandte; sie bestanden aus je fünf Mitgliedern, von denen jedes den Präsidententitel führte. Sie hielten an uns Ansprachen im Namen der ganzen Fakultät und händigten mir drei Diplome mit drei Medaillen des Physikerkollegiums ein. Eine war für mich, die beiden anderen waren für Heinrich und Ludwig bestimmt. Dies bewies uns, wie sehr bescheiden die Physiker nun geworden waren. Den Diplomen fehlte nur die Unterschrift des Königs, aber man wußte, daß es uns nicht schwer fallen würde, dieselbe zu erlangen. Der unglückliche Augenarzt erschien erst am nächsten Tage bei Sebastian; die bunte Bemalung war bereits abgewaschen. Mein Enkel umarmte ihn herzlich und versicherte ihm, er sei ihm zu gar keinem Dank verpflichtet, da er selber nur meinen Willen befolgt habe; es sei ihm aber eine wahre Freude gewesen, ihm nützlich sein zu können. Dann kam Aaau-Eooo-Eiiio zu mir und echte Reue malte sich in seinen Zügen. Ich liebkoste ihn und meine Frau sagte ihm, sie hätte mit großem Interesse seine Beschreibung des Auges gelesen, worauf er ihr gestand, mehr als zehn Pferde blind gemacht zu haben, um die Anatomie des Auges zu beobachten; es sei übrigens seine Absicht, weitere Studien an Tieren zu machen. Meine Frau bemerkte daraufhin witzig, sie wolle zugeben, daß er vielleicht an Tieraugen Beobachtungen machen könne, die auf das menschliche Auge anzuwenden seien; er könne sich aber vielleicht doch irren, indem er den Bau des Pferdes dem des Menschen gleichstelle. »Ihr müßtet – schloß sie – in Eurem Kollegium die Anatomie des Megamikren einführen.« Diese Aufforderung erfüllte ihn mit Entsetzen; er grüßte uns ehrfurchtsvoll, sang und entfernte sich rasch.

Bald begann man von allen Seiten mich mit Bitten zu bestürmen, ich möchte mich wiederum der Blinden annehmen, die jetzt beklagenswerter seien als zuvor, da sie von niemand Heilung erhoffen könnten. Ich sah ein, daß ich mich nicht lange bitten lassen durfte. Ich ließ veröffentlichen, daß mein Haus alle Tage allen jenen Megamikren offenstehe, die nach der an ihnen vorgenommenen Operation des Physikers wiederum erblindet seien. Ich berief zu diesen Untersuchungen meine Söhne, die bereits Augenärzte waren, und die Schüler. Ich untersuchte drei Megamikren und sah deren Augapfel voller rötlicher Linien, woraus ich schloß, daß der Arzt mit seiner Nadel die Kapsel der glasigen Säfte beschädigt hatte, und so mußte ich sie zu meinem Bedauern als unheilbar fortschicken. Fünf andere waren in einem bedauernswerten Zustand. Die am Rande der Hornhaut sich befindende Wunde war krebsartig entzündet; einige hatten sich eine Tränensack-Entzündung zugezogen, die ich durch eine würzige Essenz beseitigte. Ich schrieb ihnen äußerliche Augenheilmittel vor und beauftragte Heinrich, sich aller dieser Kranken anzunehmen und sie durch eine zweckentsprechende Diät und Auflegung von Umschlägen mit beruhigenden Flüssigkeiten langsam zu heilen. Bei allen anderen stellte ich die Möglichkeit der Heilung durch eine neue Operation fest, da nur der graue Star ihre sonst schönen Augen wieder umflort hatte. An den folgenden Tagen untersuchte ich wiederum mehrere andere Farbige und Rote, operierte sie und ließ von meinen Söhnen alle operieren, die ich für heilbar erklärt hatte.


Sobald die Antworten des Großen Genius einliefen, legte ich dem König meinen Plan bezüglich der Absendung meiner Kinder nach Heliopalu vor. Der heilige Hof hatte alle meine Vorschläge angenommen und erwartete mit der größten Ungeduld meine oder meiner Vertreter Ankunft.

Ich berechnete, daß ich eines vollen europäischen Jahres bedurfte, um alles zu dieser Reise vorzubereiten, und setzte als Termin für dieselbe den achten Tag des vierunddreißigsten Jahres meines Aufenthaltes in jener schönen Welt fest. Meine Frau war die einzige, die in meine Pläne eingeweiht war; der König sagte mir, ich brauche ihm nur die Zeit der Abreise bekanntgeben; er werde alles den Reisenden unterwegs Notwendige veranstalten und vorbereiten lassen.

Ich bat ihn um die Erlaubnis, ein Grundstück neben meinem Landhause, wo ich Seminare hatte, kaufen zu dürfen und einen Bau darauf zu errichten, da ich meine Seminare infolge des steten Familienzuwachses erweitern und vergrößern mußte. Er antwortete mir, er werde mir diese Erlaubnis schriftlich geben. Diese Erlaubnis war eine herrliche Schenkung. Er machte mich zum unbeschränkten Herrn des weiten Grundstückes, das hundert Topen lang und breit war, also 10000 Topen Fläche hatte und auf welchem ich bis zu hundert Klaftern tief bauen konnte. Außerdem sandte er mir als Belohnung für meine seinen Untertanen erwiesenen Wohltaten, von denen 300 Blinde sich bereits des Lichtes wieder erfreuten, 300 Anweisungen auf 1000 Unzen der phosphorischen Materie, zahlbar bei Sicht durch den Großschatzmeister in den betreffenden königlichen Gruben. Am selben Tag übersandte der König meinen Söhnen, den Augenärzten, ein Dekret, durch welches einem jeden von ihnen ein Gehalt von 2000 Unzen jährlich angewiesen wurde.

Die Schar der Blinden verminderte sich; übriggeblieben waren nur jene, die ich als unheilbar bezeichnet und weggeschickt hatte. Heinrich und Ludwig hatten alle anderen geheilt.

Eines Tages wurde ich auf die liebenswürdigste Art vom König gefragt, ob es mir angenehm sei, wenn er an unserem Neujahrstag teilnehme und ob ich dies nicht als eine indiskrete Neugierde ansehen werde. »Nein, Sire,« antwortete ich, »und als Beweis will ich Eurer Majestät aufrichtig sagen, daß ich eben im Begriffe war, Eure Majestät kniefällig zu bitten, mir die Gnade zu erweisen, mich mit hundert Paaren Eurer Höflinge an diesem Tag beehren zu wollen.« »Diese Einladung,« erwiderte der König, »die Ihr mir, wann es Euch beliebt, öffentlich vortragen werdet, wird verhindern, daß die Boshaften meinen Wunsch erraten, einige Eurer Sitten und Einrichtungen kennenzulernen.« Als einzige Antwort verneigte ich mich tief vor ihm. Diese Bemerkung belehrte mich, daß niemand ahnen sollte, daß der König selbst mich aufgefordert hatte, ihn zu bitten, eines unserer Feste mit seiner Anwesenheit zu beehren. Nicht einmal meiner Frau sagte ich etwas davon, so daß sie einige Bedenken äußerte, als ich sie ersuchte, mit mir zu Hofe zu gehen, um den König einzuladen. Ich bat um eine Audienz und begab mich zur Zeit des allgemeinen Empfanges mit meiner Frau in den Palast. Ich überreichte dem Zeremonienmeister des Königs meine Bittschrift, die er sofort Seiner Majestät einhändigte. Der König las sie, lächelte, zeigte sie seinem Unzertrennlichen, unterschrieb sie und gab sie wieder dem Zeremonienmeister, der sie mir in Anwesenheit des ganzen Hofes überreichte. Daraufhin richtete der König das Wort an mich und sagte laut, es werde ihn freuen bei einer ihm unbekannten Feier anwesend zu sein. »Ich bin soeben«, sagte er, »eingeladen worden, in meiner eigenen Hauptstadt einem Feste beizuwohnen, das der Fürst des ersten Lehens des heiligen Königreichs Heliopalu geben wird, das zu beherrschen er keine Eile zeigt.« Ich erwiderte ihm ebenso laut: solange es von mir abhänge, in seinem Reiche als sein Untertan leben zu dürfen, werde niemand vermögen, mich zum Verlassen desselben zu bewegen; nach dem Lehen werde ich einige von meinen Kindern absenden, um es in meinem Namen und für mich zu verwalten. Ich würde diese mir vom Großen Genius erwiesene Ehre sogar abgelehnt haben, wenn es sich um eine Schenkung gehandelt hätte, die man abschlagen dürfe. »Ich glaube, Sire, wenn die Herrscher von Gott selbst zum Regieren bestimmt sind, werden sie dadurch schon zu seinem Vorbild und übernehmen einen Teil seiner Vollmacht, somit wäre ihnen etwas abzuschlagen Ungehorsam; wenn es mir jedoch gestattet bleibt, über meine eigene Person zu verfügen, so will ich lieber den Untertanen Eurer Majestät gleichgestellt bleiben.« – »Von nun an«, antwortete der König, »werde ich Euch also als einen fremden Fürsten betrachten, dem es beliebt, in meinen Staaten zu wohnen, und als solchem werden Euch die gebührenden Ehren erwiesen.« Ich sah, in welche Aufregung dieses Gespräch den ganzen Hof versetzte; sie sprachen leise untereinander und das Gemurmel wurde allgemein, da niemand wußte, was in bezug auf uns zwischen dem Großen Genius und dem König abgemacht worden war. Sogar meiner Familie blieb es ein Geheimnis, von dem nur meine Frau etwas wußte.

Am nächsten Tag schickte der König mir ein Diplom, durch das er allen verheirateten Riesen den roten Mantel mit Ärmeln bis zum Ellbogen verlieh, der den in direkter Linie von einem Feudal-Prinzen jenes Landes Abstammenden zukommt. Sie können sich, Mylords, das Erstaunen meiner Kinder vorstellen, als sie plötzlich von solchem ihnen in den Schoß fallenden Glück und Reichtum erfuhren; es war für sie eine gute Lehre, als sie hörten, daß dies Lehen bereits seit zweiundeinhalb Jahren mir bestimmt war und daß ich trotzdem niemandem etwas davon gesagt hatte. Am meisten interessierte die Nachricht meine fünf Ältesten, als ich in einer Beratungssitzung, zu der ich sie berief, ihnen mitteilte, sie sollten sich darauf vorbereiten, Poliarcopoli für immer zu verlassen, um nach Heliopalu zu ziehen, wo sie als meine Vertreter im Leben eingesetzt werden und unter der Führung Jakobs, den ich zu meinem Großetnarchen ernannte, regieren sollten.

Von dem Augenblick an, wo der König mich vor allen als Lehnsfürsten von Heliopalu anerkannt hatte, wurde ein Wachposten vor allen Toren meiner Häuser sowohl in der Stadt wie auf dem Lande und vor den Seminaren aufgestellt. Alle unsere Güter, bestehend aus Läden, Fabriken von Papier, Essenzen, Musikinstrumenten und Druckereien wurden öffentlich versteigert und die Leitung derselben wurde von einigen Megamikren übernommen, die bereits große Geschäftstüchtigkeit in diesen Zweigen bekundet hatten. Es wäre lächerlich gewesen, regierende Fürsten mit dem Geschäftsgang ihrer Läden beschäftigt zu sehen; lächerlich, sie als Herren derselben zu wissen, die aus denselben Nutzen zogen, und noch lächerlicher, sie als Direktoren derselben zusehen, Rechnungen kontrollierend, doch nicht lächerlich als Oberleiter für die Erhaltung aller Anstalten zu sorgen, mit denen der allgemeine Handel verbunden war. Das einzige, was ich weder im großen noch im kleinen veräußern ließ, waren meine Laboratorien, meine Pulverfabriken und meine Schmieden, in denen meine Kinder selbst am Amboß arbeiteten, wobei ich ihnen mit dem besten Beispiel voranging. Wenn Jupiter Meister des Donners ist, so muß sein Sohn Vulkan es für eine Ehre halten, daß er als einziger das Recht hat, den Donnerteil zu schmieden. Jupiter aber darf es nicht unter seiner Würde finden, selber Hand an die Arbeit zu legen.

Meine wichtigste Beschäftigung bestand in jenem Jahr in der Verwendung des weiten Grundstückes, dessen Herr ich geworden war; ich wollte das ganze in einen Park für meine angrenzenden Seminare umwandeln. Ich begann damit, es durch alle Gärtner der benachbarten Dörfer mit Bäumen bepflanzen zu lassen. Ich ließ alle 4 Klafter einen Baum einsetzen und brauchte dazu 10000 Bäume, die meine Kinder in kurzer Zeit durch Vergiftung der Schlangen reinigten. Die Schlangen ließen sie in 64 Kalkgruben werfen, welche ich in 4 Reihen von je 16 zu graben befahl. 25000 gestreifte Megamikrenpaare verwendete ich dazu, 100 Ausschachtungen herzustellen, um dort 10000 viereckige zu je 100 durch 4 Straßen voneinander getrennte Häuser einzubauen. In der Mitte ließ ich nach meinen Zeichnungen einen viereckigen Palast bauen, der 4 Topen ins Geviert maß, 100 Klafter tief war und 20 Stockwerke enthielt, die alle gut mit Zuglöchern versehen waren. Diese 20 Stockwerke von 40 Klaftern Breite waren turmartig aufgebaut; sie bildeten im ganzen 8 Türme, so daß mein Palais 640 Wohnungen enthielt, von denen jede 20 Paare beherbergen konnte. Dies von mir entworfene und ausgeführte Projekt ergab eine schöne, von uns selbst errichtete Stadt, in welcher Megamikren nur als fremde Gäste wohnen durften. Ich nahm dafür von der großen Handelsgesellschaft eine Anleihe von 20 Millionen Unzen zu 1 Prozent auf und ließ diese auf mein Lehen eintragen. Ein kleiner Kanal lief, 2 Klafter breit, in gerader Linie bis an die Grenzen meines Grundstücks; 1 Klafter von demselben ließ ich eine Straße entlang laufen, die ich mit 100 Häusern begrenzte, welche 50 Klafter breit waren und von denen jedes einen 50 Klafter großen Garten hatte. Ich errichtete in denselben Plätze für Ballspiele bei Tagesbeleuchtung, die jedoch durch Teppiche gedämpft war; unterhalb dieser Säle waren andere mit Billards, mit Phosphorbeleuchtung und mit allen erforderlichen Utensilien wie Billardstöcken und Bällen aus Acori ausgestattet. Diese Ball- und Billardspiele wurden die Lieblingserholungsspiele meiner Kinder in den Seminaren, aber auch die Megamikren, die davon bisher keinen Begriff gehabt hatten, ergaben sich denselben mit fanatischem Eifer.

Um eine andere Idee, die mir kam, auszuführen, ließ ich im Mittelpalast zwei Theater bauen; ein großes und ein mittelgroßes; die Ausstattung des ersten verschob ich noch auf eine andere Zeit und begann zunächst an dem zweiten zu arbeiten. Ich ließ es in der halben Tiefe des Palastes in einer Ecke desselben einrichten.

Die Form des Parterres war ein halbes Eirund, 40 geometrische Schritt lang und ebenso breit; ein für das Orchester bestimmter Raum verlängerte es um 3 Schritt, ohne seine Breite zu verringern. Hinter dem 4 Fuß hohen Orchesterplatz begannen die stufenartigen Sitze, die bis zu 8 Fuß auf eine Länge von 70 geometrischen Schritt hinaufstiegen. Der ganze von diesem Theater eingenommene Platz war ein Rechteck von 50 Schritt Breite und 120 Schritt Länge. Von außen gemessen hatte es 60 Schritt Breite und 153 Schritt Länge. Die Höhe vom Boden des Orchesters bis zur Decke betrug nur 16 Fuß. Am Ende des Ovals war das Parterre so hoch erhoben wie das entgegengesetzte Ende des Theaters. Unter dem durchbrochenen Boden des Orchesters ließ ich Gewölbe bauen, um den Klang der Stimmen in alle Logen gleich gut gelangen zu lassen. Diese Wölbungen waren in Form von Vasen aus verschiedenen Metallsorten gebaut. Das ganze Parkett war wie eine amphitheatralische römische Arena gebaut, deren breite Sitzstufen mit Schemeln zum Aufstellen der Füße versehen waren. 1000 Megamikrenpaare konnten bequem darauf Platz nehmen. Ich ließ 15 Logenreihen machen, von denen 6 1&frac12; Fuß hohe für uns, 9 2&frac12; Fuß hohe für Megamikren bestimmt waren. Die Decke war gewölbt. Die erste Reihe, das heißt die niedrigstgelegene, war um 4 Fuß höher als das Ende des Parketts. Die Logen für die Megamikren waren 6 Fuß breit, so daß 4 Personen bequem in der vorderen Reihe sitzen konnten und 8 andere konnten auf 2 höher angebrachten Schemeln dahinter Platz nehmen. Ich hätte 60 solche Logen haben können, wenn ich nicht zu beiden Seiten nach dem Orchester zu 2 6 Fuß hohe, 12 Fuß breite Balkons gebaut hätte. Diese beiden Balkons waren für den König bestimmt und ich schloß an jeden derselben ein Ruhezimmer an. Die königliche Loge befand sich in der Mitte aller Logen und nahm der Breite wie der Länge nach den Platz von 24 Logen ein, somit erhielt ich in dieser Reihenhöhe nur 44 andere Logen. Ein großer Kronleuchter mit 200 Phosphorarmen erleuchtete den ganzen Raum. Außerdem befand sich vor jeder Loge ein Leuchter und 8 Atticurg-Säulen, von denen 4 auf der einen, 4 auf der anderen Seite der Balkone das Theater beleuchteten. Die Bühne war außer diesen Säulen noch von den Kulissen aus mit Phosphorlicht erleuchtet. Die Atticurg-Säulen, welche 4 Fuß Durchmesser hatten, dienten auch dazu, die Breite der Bühne zu verringern, so daß dieselbe auf diese Weise 20 Schritt breit wurde; die Entfernung zwischen den Säulen betrug 1&frac12; Schritt. Meine gutbezahlten Arbeiter verließen die Arbeitsstätte nie und so wußte niemand, was ich aus diesem großen, kostspieligen Gebäude machen wollte, und niemand traute sich an mich in dieser Angelegenheit die geringste Frage zu stellen. Es war meine Absicht, dem König am Neujahrstage ein von meinen Kindern dargestelltes Lustspiel zum besten zu geben. Ich hatte bereits die Idee zu einem solchen Stück, doch mußte es erst geschrieben werden.

Die Ball- und Billardspiele, die meinen Kindern so viel Freude machten, erregten nach und nach die Neugierde und wurden später die Leidenschaft des ganzen Adels. Diese Spiele, die meinen Jungen und meinen Mädchen Geschicklichkeit und Gewandtheit beibrachten, erhöhten auch ihre Gesundheit. Die Megamikren ersahen darin die gleichen Vorteile und so mußte ich ihnen die Gefälligkeit erweisen, ähnliche Spiele, die ihrer Größe angemessen, zu verfertigen. Ein Megamikre hat an Körpergröße wie an Stärke gerade ein Zwölftel eines Riesen und wiegt zwölfmal weniger. Meine Zwillinge wogen bei ihrer Geburt beide zusammen zehn Pfund und waren jeder einen Fuß und drei Zoll lang. Die Megamikren waren bald ihren Lehrern an Geschicklichkeit in diesen Spielen überlegen.

Von allen Roten, die mich ersuchten, bei ihnen Ball- und Billardspiele einzurichten, berücksichtigte ich in erster Reihe die Bitte des Staatskanzlers, der bei Hofe wohnte und dessen Garten an einen jener Gärten grenzte, zu denen nur der König den Schlüssel besaß, der den Garten des Kanzlers selbst ohne Wissen desselben betreten konnte. Ganz besonders aus diesem Grunde ließ ich in diesem Garten einen vergitterten, gedeckten Gang nebst dem Ballspiel und einem Billardspiel tadellos ausführen. Kurze Zeit darauf verlangte der König vier solche Spiele bei sich zu haben, an denen er sich mit seiner Familie belustigte. Diese Familie bestand aus Oheimen und Großoheimen, lauter roten Prinzen, von denen jedoch keiner nach ihm die Krone erben konnte, da sie von keinem ältesten Sohne erzeugt waren; dies ist das einzige Gesetz, das ich in jener Welt als ungerecht und tatsächlich jeglicher legitimen Begründung entbehrend ansehen mußte; es lebten auch am Hofe viele Bastarde, die ohne jegliche Beschäftigung ihren Unterhalt hatten, nur weil sie vom König oder einem der Prinzen abstammten. Sie nahmen höchstens geistliche Ämter an, waren jedoch zu dem eines Bischofs nicht zugelassen, da diese Stelle nicht von einem Adeligen besetzt werden durfte. Alle diese Bastard-Prinzen liebten das Nichtstun mehr aus angeborenem Vorurteil als aus wirklicher Faulheit und kamen täglich in meine Seminare zur Zeit der Erholungsstunden, um mit unseren Kindern zu spielen. Meine Kinder gaben aber diese Spiele stets von dem Augenblick an auf, wo sie heirateten, und zwar nicht wegen irgendeines Verbotes, sondern weil es ihnen unziemlich schien, sich noch an Spielen ihrer Kindheit zu belustigen und Gefallen daran zu finden.

Gelegentlich der Einrichtung dieser Spielplätze kam mir ein glücklicher Gedanke in den Sinn, den man später als eine sehr weise Vorsicht bezeichnete. Als ich beim Staatskanzler das Ballspiel einrichtete, bat ich den König, ein Gesetz zu erlassen und durch Druck zu veröffentlichen. Es sollte bei hoher Strafe und Ungnade verboten werden, daß ein Megamikre sich am Ballspiel beteilige, ohne mit einer Stahlmaske versehen zu sein, wie sie in den Schmieden der Riesen verfertigt werden. Dies Gesetz wurde angeordnet, verlautet und strengstens befolgt und ich ließ meine Schmiede eine große Zahl solcher Masken anfertigen. Ich sicherte mich dadurch vor der Betrübnis, die ich gefühlt hätte, wenn ein Unfall geschehen wäre, und vor der steten Angst, daß ein solcher eintreten könnte. Ich wäre verzweifelt gewesen, wenn ein zu starker Schlag die kleine Kugel ins Gesicht eines Megamikren geschleudert und ihn eines Auges beraubt hätte. Ein solches Unglück hätte mir den Haß des Unzertrennlichen und tausend Verwünschungen eingebracht, deren Quelle mir keineswegs angenehm gewesen wäre. Die von mir erfundenen Masken waren halbkugelförmige Netze aus Draht mit festen Maschen, gut dem Gesicht angepaßt und hinten am Kopf an den Nacken anschließend; sie waren äußerst leicht und schützten den Spieler vor etwaigen ungeschickten Ballschlägen. Mein Stahl war so rein, daß er weder härter noch elastischer hätte sein können; er war vom Gesichte des Trägers gute vier Linien entfernt und so durchsichtig und so glänzend, daß er das Gesicht nur verschönte. Diese Masken brachten große Einnahmen für meine Schmieden, die in ein paar Jahren Millionen davon verkauften. Sie wurden mit der Zeit zu einem Luxusartikel, seitdem ich den Stahl damaszieren und mit Gold einlegen ließ. Ich erließ hierauf ein besonderes politisches Gesetz, was mir zustand, da es nur meine Familie betraf, welches das Gegenteil des vom König nur für die Megamikren angeordneten war: ich verbot allen Riesen des Ephebeion, Andreion und Parthenon, sich beim Ballspiel der Masken zu bedienen. Ich tat dies aus zweierlei Gründen. Erst wünschte ich die Megamikren glauben zu machen, daß ich mehr um sie als um meine eigene Familie besorgt sei; zweitens sollten meine Kinder geschickter und aufmerksamer spielen lernen; denn sie hätten, der Furcht vor den raschen Schlägen der hin- und zurückgeworfenen Bälle enthoben, weniger sorgsam gespielt. Diese Bälle waren kleine Knäuel aus einem so festen Stoff, daß sie den getroffenen Spielern bedeutende Quetschungen zufügten.

Als mit der Zeit alle Adeligen und reichen Megamikren Ball- und Billardspiele bei sich eingerichtet haben wollten und mir diese Gefälligkeitsleistungen lästig zu werden anfingen, erließ ich eine öffentliche Erklärung, daß ich jedem megamikrischen Berufsarchitekten gestatte, solche einzurichten. Dies erwarb mir allgemeinen Dank und ganz besonders war der König von meinem Großmutsakt angenehm berührt, denn es gab ein strenges Gesetz, das bei Geldstrafe jedem Künstler oder Handwerker verbot, irgend etwas mechanisch auszuführen, was von einem anderen erfunden war und allgemeinen Beifall sich erobert hatte. Ausnahmen waren nur gestattet, wenn der Erfinder etwas freigab oder die Erlaubnis einem anderen verkaufte. Dies war der Grund, weshalb meine, allen zugute kommende Erlaubnis mir allgemeine Achtung erwarb. Viele Megamikren wurden bald vorzügliche Architekten für Ball- und Billardspiele und so entledigte ich mich einer mir lästigen Bürde. Die Ballspielplätze bestanden aus einem länglichen Viereck, das von dunkelblau angestrichenen Mauern umgeben, von Teppichen bedeckt, mit Holzboden und mit einem Gitter auf der Seite der Zuschauer versehen war. Es war nur beim Lichte der den Platz schräg erleuchtenden Sonne zu spielen gestattet. Im Gegensatz dazu waren die Billarde in Sälen untergebracht, die mit Phosphor beleuchtet waren. Die Megamikren erlangten im Billardspiel die größte, überhaupt mögliche Geschicklichkeit, doch waren auch unter ihnen die ganz vollkommenen, sogenannten Spieler erster Klasse selten. Sie lachten, wenn man von Zufallsstößen sprach, indem sie behaupteten, daß so etwas nur einem Unwissenden oder Ungeschickten passieren könnte, da die Billardkugel unmöglich anders als in der ihr vom Spielenden angewiesenen Richtung und mit der entsprechenden Kraft in den Beutel laufen könne; Regeln der ersten und die Stärke der zweiten müsse aber der Spieler zu berechnen wissen. Dies hinge selbstverständlich sehr viel von der vollkommenen Rundung der Kugel, von der Tadellosigkeit des Billardtisches und der Feinheit und Gleichheit des Tuches ab, doch waren dies lauter leicht erfüllbare Bedingungen. Bald begannen die Megamikren dabei auch Wetten zu machen, die einige um ihr ganzes Vermögen brachten. Der Staat konnte diesen Verlusten gegenüber nicht gleichgültig bleiben; da jedoch dieses Spiel jeden Betrug ausschloß, so wußte man nicht, wie man es verbieten sollte, zumal die Menschen in jener Welt der Ansicht sind! »quit opus libertate si volentibus luxu perire non licet?« Es ist den Megamikren gestattet, mit dem, was ihnen gehört, zu tun was sie wollen. Der König rief seine Räte zusammen und äußerte ihnen seinen Wunsch; man möge dem Unfug Einhalt tun, ohne jedoch das Spiel zu verbieten und ohne die Höhe der zu wettenden Summen zu bestimmen. Er gab seinen Räten eine Ernte Zeit, um darüber nachzudenken; nach Ablauf dieser Zeit aber müsse ein Mittel gefunden sein oder er werde die Räte absetzen. So lautete der ihnen vom König mitgeteilte Befehl.

Ich gestehe Ihnen, Mylords, daß ich Lust zum Lachen verspürte, als ich die Nachricht von diesem königlichen Befehl vernahm, der mir so paradox vorkam, daß ich ihn für unausführbar hielt und die Abdankung der Räte als unausbleibliche Folge ansah; ich irrte mich aber. Ich erlaubte mir eines Morgens Seine Majestät in aller Ehrfurcht auf die Unausführbarkeit seines Wunsches aufmerksam zu machen. Der König schwieg daraufhin eine Weile, sah lächelnd seinen Unzertrennlichen an und sagte mir sodann freundlich:

»Ich muß Euch über den Grund meines Lächelns aufklären, sonst könntet Ihr es ganz falsch deuten und übelnehmen. Die bereits erfolgte Ausführung meines Befehls beweist, daß dieser nicht absurd war; das Mittel ist gefunden, Ihr werdet es bald veröffentlicht sehen; doch muß ich Euch sagen, was Euch wohl unbekannt ist, wie ich wenigstens glauben muß:

Ein König unserer Welt kann nicht, wenn er nicht ausgelacht werden will, eine moralisch unausführbare Sache irgendwem anbefehlen, und erst recht nicht seinen Ministern, denn diese würden, über ihre Entlassung erbost, sich dadurch rächen wollen, daß sie den Grund ihres Sturzes allgemein bekanntgäben. Ihr könnt Euch nun leicht denken, wie beschämend für einen König solch ein Mißgriff wäre. Die Weisheit des Königs beruht daher in bezug auf dieses Kapitel auf zwei Grundsätzen: sich entweder auf den Geist und das Wissen seiner Minister zu verlassen oder stets darauf bedacht zu sein, nichts anzuordnen, was undurchführbar wäre oder was man widerrufen müßte. Ich habe bis jetzt noch nie etwas befohlen, ohne vorher nicht nur die Ausführbarkeit, sondern auch den Nutzen geprüft zu haben; denn wenn die Ausführung zwecklos wäre, würden meine Minister selber heimlich ihr möglichstes tun, die Nutzlosigkeit noch klarer bloßzulegen, da sie im Grunde nur das gern sehen, was von ihnen selber ausgegangen ist.

Aus dem Gesagten erseht Ihr nun, daß ich stets sicher sein muß, nur etwas anzuordnen, was ›recht und billig‹ ist, wie bei uns das ›Tadellose‹ bezeichnet wird. Von dem Standpunkte ausgehend, daß Irren menschlich ist und daß auch ich mich irren kann, habe ich an meine Seite zwei Berater berufen, deren Titel Euch sicherlich befremden wird, da so etwas den Herrschern Eurer Welt wohl ferne liegt. Diese Berater, die ich schätze und liebe, denen ich stets zum Danke verpflichtet bin und die ich niemals genügend belohnen zu können glaube, führen den bedeutungsvollen Titel ›Intime‹. Mit ihnen berate ich im geheimen jede Angelegenheit, ehe ich die Durchführung im vollzähligen Ministerrat befehle, und wir halten grundsätzlich darauf, die anzuordnende Sache, sobald wir sie als ›recht und billig‹ befunden haben, mit Klauseln zu versehen, die sie solchen als unausführbar erscheinen läßt, die in ihrer Oberflächlichkeit nicht imstande sind, den Kern derselben zu ergründen. Die Folge hievon ist die Überraschung bei der Ausführung des scheinbar undurchführbaren Befehls und mir persönlich bereitet sie eine stille kleine Freude, die ich mir gönnen zu dürfen glaube, um so mehr, da es dem armen Menschenverstand zur Belehrung dienen kann, der immer geneigt ist, sogleich als unmöglich zu bezeichnen, was sich sehr wohl ausführen läßt, hinterher aber, wenn er die Sache durchgeführt sieht, ungerechterweise behauptet, man hätte es längst schon machen sollen.«

Diese Antwort des Königs brachte mich zum Schweigen und ich bedauerte tief, meine Meinung geäußert zu haben. Nichtsdestoweniger dankte ich dem König für die gütige Aufklärung und sagte ihm, unsere Herrscher hätten auch geheime Räte, nur daß sie sich gerade aus diesen am allerwenigsten machten.

Am Ende der Ernte erfuhr ich als erster das ausfindiggemachte Mittel, das man versiegelt meinem Sekretär zum Druck überbrachte. Die Verordnung lautete:

»Es wird allen Megamikren hiemit gestattet, öffentliche Billards zu halten oder solche zum Privatgebrauch zu besitzen, doch wird nur um bares Geld und mit gleich guten Spielern zu spielen erlaubt: infolgedessen wird es nie vorkommen können, daß ein Spieler dem anderen etwas vorgibt. Zuwiderhandelnde und solche, die im geheimen besondere Abmachungen treffen sollten, werden den für schwere Vergehen bestimmten Strafen unterliegen, sobald Anklage erhoben und ihre Schuld nachgewiesen wird.«

Diese Anordnung erreichte den angestrebten Zweck. Jene, die gleich gute Spieler waren, spielten nie miteinander, was eigentlich merkwürdig erschien; sie fanden wohl das Spiel langweilig, da es meistens unentschieden blieb. Das Verbot, auf Wort zu spielen, trug noch mehr dazu bei; man konnte nur wenig verlieren und so blieb dies Spiel ein richtiger Zeitvertreib.

Bevor ich meine Kinder über die am Festtage stattfindende Theatervorstellung belehrte und verständigte, überlegte ich die Notwendigkeit, auf dem Wege nach Heliopalu wenigstens achtzehn in gleicher Entfernung voneinander stehende Häuser zu kaufen, um meinen Kindern das Recht zur Tötung der Schlangen und die damit verbundene Ernährungsmöglichkeit zu verschaffen, da das Eingemachte, das sie hätten mitnehmen können, nicht ausreichen konnte. Zum Ankauf dieser Besitzungen bedurfte es aber der Erlaubnis der Herrscher der zu passierenden Staaten und dies war ohne Protektion unerreichbar; ich sah mich also gezwungen, dem König meine Bitte vorzulegen, und seine freundliche Antwort lautete folgendermaßen:

»Als ich Euch, mein lieber Eduard, sagte, daß ich die Sorgen der Reise auf mich nehmen wollte, hätte ich ein recht leichtsinniges Versprechen gegeben, wenn ich nicht in erster Reihe an die Ernährung Eurer Kinder gedacht hätte. Ihr wäret nur für einen Zeitraum von vier Pentamainen vorzusorgen imstande, es handelt sich aber um eine vielleicht bis zu 360 Tagen dauernde Reise. Wisset nun, daß ich für Euch Häuser erworben habe, von denen Eure Kinder unterwegs alle drei Wochen eins antreffen werden. Zu diesem Zwecke sind vierundzwanzig Häuser notwendig und ich habe meine Minister bereits beauftragt, in allen von Euren Angehörigen zu passierenden fremden Staaten jene Häuser für sie zu erwerben. Die Strecke von hier bis Heliopalu beträgt ungefähr 27000 Meilen, somit werden die Reisenden nie über 1200 Meilen zu reisen brauchen, ohne unterwegs auf ein Haus zu treffen, worin sie sich ausruhen können. Ihr könnt Eure Kinder beauftragen, in denselben je drei Tage zu ruhen, da sie trotzdem noch immer binnen weniger als zwei Ernten nach Heliopalu gelangen werden.«

So groß war die Güte dieses Königs.

Nun begann ich an die Theatervorstellung zu denken und meine Kinder zur Darstellung meiner Stücke einzuüben. Ich hatte zwei auf englisch geschrieben und ließ sie nun von einem Sohne Roberts in die megamikrische Sprache übersetzen, da er nach Aussage der literarisch gebildeten Megamikren stilistisch außerordentlich begabt war. Das eine Theaterstück bestand aus drei Akten und war ernsten Inhalts, das zweite war ein einaktiges Lustspiel. Ich werde Ihnen, Mylords, den Inhalt derselben angeben, wenn ich von der Vorstellung erzähle.

Am 1. Oktober unserer Zeiteinteilung gebaren alle unsere Frauen, wobei die meine mir Friedrich und Berta, mein dreiunddreißigstes Zwillingspaar, schenkte. Ende desselben Monats war mein Theater beendet und bis Mitte Dezember hatte ich bereits bei geschlossenen Türen meine beiden Stücke eingeübt und mich überzeugt, daß alle Darsteller ihre Rollen vollkommen beherrschten. Aus Vorsicht stellte ich einen Souffleur am gewöhnlichen Platze auf, wie dies bei uns üblich ist, doch mit der Weisung, sich nur dann hören zu lassen, wenn einer der Darsteller steckenbleiben sollte; ich hatte aber meinen Kindern das Beschämende eines solchen Eingreifens des Souffleurs so tief eingeprägt, daß derselbe niemals in Anspruch genommen wurde.

Ich erbat mir vom König für diesen Tag 1000 seiner Gardisten, um sie nach meinem Gutdünken aufzustellen, sowie die Erlaubnis, zur Feier nach dem Mahle 8000 Adlige und 1000 Bastardenpaare einladen zu dürfen. Der König hörte mit Staunen die großartige Zahl der Eingeladenen nennen und antwortete mir, daß Gardisten zu meiner Verfügung ständen, er sähe aber nicht ein, wie sie zur Beaufsichtigung der Gespräche von 20 000 Megamikren im Freien notwendig sein könnten. Ich erwiderte ihm, die 9000 Paare würden erst für nach halb elf Uhr eingeladen werden und keines derselben würde in der Lage sein, mit irgend jemandem von seinem Hofstaat zu sprechen. Ich teilte ihm auch mit, die Vermählungsfeier werde um halb neun Uhr beginnen, und der einzige, der sie mit seiner Anwesenheit beehren solle, werde Seine Majestät mit seinem Hofstaat sein. Auch versicherte ich ihm, daß alle Festlichkeiten mit Eintritt der Ruhestunde beendigt sein würden. Nachdem ich im Kreise auf Holzsäulen ebensoviele Teppiche gespannt hatte, als ich Tische angeordnet hatte, ging ich unverzüglich an die Zurüstung der verschiedenen Tafeln.

Ende des ersten Bandes


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