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Bemerkungen und Exkurse

Frühe Gestirn- u. Geschlechts-Riten.

Ein tiefer Sinn scheint in der historischen Thatsache zu liegen, dass zwei der ältesten und universellsten Kulte die Verehrung der Gestirne auf der einen und die der Geschlechtsembleme auf der anderen Seite gewesen sind. Die Gestirne, die abstraktesten, entferntesten, universellsten aller Erscheinungen, Symbole des wandellosen Gesetzes und der Unendlichkeit, vor denen der menschliche Wille und menschliche Leidenschaft in Tod und Nichts versinken, und das Geschlecht, der Brennpunkt der Leidenschaft und der Begierde, die flammende Spitze des Willens zum Leben. Zwischen diesen zwei Polen hat der menschliche Geist seit den ältesten Zeiten hin und her geschwankt.

Mit diesen frühen Riten haben sich auch die späteren Religionen in einem unentwirrbaren, aber bedeutungsvollen Knoten verflochten. Das höchste Fest der Juden, das Passahfest, das sie von den Aegyptern entlehnt hatten, und das von ihnen weiter überliefert wurde, bis es das höchste Fest der Christenheit ward und sich zuletzt im Norden Europas mit der Verehrung der nordischen Göttin Ostera vermischte, hängt, wie bekannt, aufs engste mit der Feier der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche und des Ueberschreitens der Sonne vom Süden zum Norden des Aequators, aus ihrem winterlichen Tiefstand in ihre sommerliche Herrschaft, zusammen. Vor 3000 Jahren stand die Sonne in dem Augenblick, in dem sie den Aequinoctionalpunkt überschritt, in dem Sternbild des Tierkreises, das der Widder oder das männliche Lamm genannt ward. Das Lamm wurde infolgedessen zum Symbol des jugendlichen und triumphierenden Gottes. Die Israeliten mussten (Exodus 12, 14) ihre Thürschwellen (ein Symbol des Ueberschrittes aus dem Dunkel zum Licht) mit dem Blute des Lammes bestreichen, zur Erinnerung an den Kampf ihres Gottes mit den Mächten der Finsternis, die in den Aegyptern symbolisiert wurden. In einer noch früheren Zeit stand die Sonne infolge des Vorrückens der Tag- und Nachtgleiche – beim Frühlingsübertritt im Sternbild des Stieres; darum war es in den älteren Regionen Aegyptens, Persiens und Indiens der Stier, der geheiligt und zum Symbol des Gottes wurde. Moses soll die Verehrung des Kalbes abgeschafft und das Lamm für das Ueberschreitungsfest geweiht haben – dies scheint eine unklare Erinnerung an die historische Thatsache zu sein, dass die astronomischen Veränderungen am Firmament von priesterlichen Veränderungen in den religiösen Ceremonien begleitet oder gefolgt waren. Es ist sicherlich eine merkwürdige Erscheinung, dass im späteren Aegypten der stierköpfige Gott zu Gunsten des widderköpfigen Gottes Ammon entthront wurde, und dass die Christenheit das Lamm zum Symbol ihres Erlösers nahm. In ähnlicher Weise lässt sich auch die Jungfrau Maria mit dem heiligen Kinde auf ihren Armen in gerader Abstammung auf die frühe christliche Kirche in Alexandrien und durch die spätägyptischen Zeiten bis hinauf zu Isis mit dem Kinde Horus und von da weiter bis zum Sternbild der Jungfrau, das am Himmel leuchtet, verfolgen. In der Darstellung des Zodiakus am Tempel von Denderah in Aegypten ist das Bild der Jungfrau durch ein kleines Isisbild mit Horus in ihren Armen angedeutet; und die römische Kirche setzte für die Feier der Himmelfahrt Marias genau das Datum fest – an dem dasselbe Sternbild in der Glut der Sonnenstrahlen aus dem Gesichte verschwindet, den 15. August – und für ihre Geburt das Datum, an dem dasselbe Gestirn wiedererscheint, den 8. September. Diese Daten haben sich seither infolge des Vorrückens der Tag- und Nachtgleiche um 2 oder 3 Wochen verschoben.

Die Geschichte Israels verrät uns eine lange Reihe von unverhüllten Geschlechts- und Sonnen-Anbetungen, die sich neben dem Dienste Jehovahs erhielten. – Verehrungen Baals, Aschtaroths, Nehushtans, der himmlischen Heerscharen u. s. w. – und wenn wir den heiligen Büchern glauben dürfen, so führte Moses selbst den bekanntermassen sexuellen Baum- und Schlangendienst ein (Numeri XXI, 9 und II. Buch Könige XVIII. 4), während Salomon nicht ohne dramatische Fügung von den Phönikern die zwei phallischen, mit Granatkränzen gekrönten Pfeiler entlehnte, die Jachim und Boas genannt wurden, und sie vor seinem Tempel aufstellte (I. Könige VII. 21). Das Kreuz selbst (als Symbol identisch mit dem Phallus der Griechen und dem »Lingam« des Ostens), die »Fleur de Lys«, die dieselbe Bedeutung hat, und die Crux Ansata, die die ersten Christen aus Aegypten entlehnten, und die gleichfalls die Verbindung des Männlichen und Weiblichen bedeutet, sind in die priesterlichen Kleider und Altardecken der Christenheit verwoben und eingewirkt, gerade so wie die astronomischen Symbole in ihre Kalender verwoben und eingewirkt sind, und beide Symbole, die astronomischen und die sexuellen, kehren selbst im Bau unserer Kirchen und Kathedralen wieder. Von Jesus selbst – so unentwirrbar ist die Gottesverehrung dieses grössten Menschen mit den früheren Kulten verflochten – wird gesagt, dass er gleich den anderen Sonnengöttern, Bacchus, Apollo, Osiris, am 25. Dezember, dem Tag der Wiedergeburt der Sonne (nämlich dem ersten Tage, der deutlich länger ist, nach dem 21. Dezember, dem Tage des zweifelnden Apostel Thomas!) geboren sei, Das Datum seiner Geburt wurde nicht vor dem Jahre 531 festgestellt; damals wurde es von einem mönchischen Astrologen berechnet. und dass er an einem Holzwerkzeug gestorben, das, wie wir bereits angedeutet, Jahrhunderte vorher und in der ganzen Welt als ein sexuelles Symbol verehrt wurde.

Ich habe nur den äussersten Rand dieses grossen Gebietes berührt. Je mehr man es erforscht, desto merkwürdiger wird die Masse bestärkender Thatsachen, denen man begegnet. Der Schluss, zu dem sie drängen, ist der, dass diese zwei grossen Ur-Ideen, die sexuelle und die astronomische, wahrscheinlich auch in der Zukunft die Pole menschlicher Gemütserregung bleiben werden, so wie sie es in der Vergangenheit gewesen sind.

Irgend ein Cyniker hat einmal den Ausspruch gethan, dass die zwei grossen herrschenden Kräfte in der Menschheit Obscönität und Aberglaube sind. Wenn wir in minder paradoxer Form sagen, dass die zwei herrschenden Kräfte die Geschlechtlichkeit und der Glaube an das Unsichtbare sind, so lässt sich der Ausspruch vielleicht annehmen. Wenn wir sie »Liebe« und »Glauben« nennen wollten, wie Dr. Bücke in seinem ausgezeichneten Buch über »Die sittliche Natur des Menschen« es thut, würden wir vielleicht Gefahr laufen, allzu abstrakt und spiritualisierend zu erscheinen.

Man kann ungefähr sagen, dass die göttliche Verehrung der Sexualität und des Lebens für die heidnischen Rassen Europas und Kleinasiens in der vorchristlichen Zeit charakteristisch ist, während die göttliche Verehrung des Todes und des Unsichtbaren das Christentum charakterisierte. Den modernen Völkern ist vorbehalten, beides aufzunehmen und zu vereinigen, Leben und Tod, das griechische und das hebräische Element, und alles, was in diesen allgemeinen Ausdrücken enthalten ist, in dem Geist vollkommenster Milde, Gesundheit und Furchtlosigkeit zu entwickeln und zu versöhnen.

Eine merkwürdige Seite aller alten Religionen, der heidnischen wie der christlichen – und das hängt wieder mit dem früheren zusammen – ist die Askese: der gelegentliche Trieb, dem Leibe und seinen Sinnen freiwillig und entschlossen Trotz zu bieten. Selbst bei den wildesten Rassen, die vor allem anderen in dem vollen Bewusstsein des Lebens schwelgten, finden wir Feste einer trotzigen Leidenschaft und Qualen, die mit einer Art wilden Jubels freiwillig ertragen wurden; Man achte besonders auf all die Prüfungen welchen die Jünglinge vieler wilden Stämme sich zu unterziehen hatten, ehe sie unter die Männer aufgenommen wurden. und während der christlichen Jahrhunderte zur Zeit der Mönche, Mystiker und der weltverachtenden Puritaner wurde dieser Trieb manchmal bis zur höchsten Stelle der Ehren erhoben. Ich meine, auch er wird, wie thörichte Verirrungen er auch seiner Zeit mit sich geführt haben mag, als ein fundamentaler Zug der Menschennatur anerkannt werden müssen, der in seiner Art ebenso unausrottbar ist, wie der gleich notwendige Trieb zur Lust. Oder, um es anders auszudrücken: vielleicht begeht der gewöhnliche Hedonismus dadurch einen grossen Fehler, dass es ihm versagt ist, die Freude der höchsten Erhebung zu erkennen und die Lust, die in der Ueberwindung der Lust liegt. Um das Leben zu geniessen, muss man vor allem des Lebens Herr sein – denn wer ein Sklave seiner wechselnden und unbeständigen Erscheinungen ist, für den kann es nur Qualen bedeuten; und wer seine Sinnlichkeit geniessen will, der muss ihrer Herr sein. Um die aktuelle Welt zu beherrschen, muss man gleich Archimedes seinen Stützpunkt irgend wo ausserhalb ihrer haben.

In solcher Stimmung fühlt der Mensch ein Entzücken am Bewusstsein seiner souveränen Ueberlegenheit, nicht nur gegenüber den Tieren des Feldes, sondern auch über seine eigenen geistigen und körperlichen Kräfte. Keine gewöhnliche Lust ist so gross, dass ihre Ueberwindung und Zurückweisung nicht jene grössere Lust voll empfinden machen wird; kein Werk ist so ernst, dass die Ausdauer im Leid es nicht an Ernst überträfe; kein Schmerz ist so bitter und hart, dass er in der Seele nicht ein geheimes Gelächter wachrufen würde. Wenn in der negativen Seite des Glaubens des Asketen, in der Entsagung, eine gewisse Beschränktheit liegt, so müssen wir doch fühlen, dass in seiner positiven Seite, der Behauptung der Autorität und königlichen Macht des Geistes ein wirklicher und vitaler Sinn liegt.

In einer anderen Stimmung allerdings, die ebenso wichtig und unabweisbar ist, bekennt sich der Mensch zu seiner Freude am Leben und lässt seinen Begierden die Zügel schiessen, dass sie ihn gleich wilden Pferden bis zu den fernsten Grenzen seines Reiches tragen. Der Kuss der Sinne ist süss und herrlich über alle Abstraktion; der Strahl des Sonnenlichtes, die Glorie von Farbe und Form, die Magie süsser Töne, die Wonne der menschlichen Umarmung, die leidenschaftliche Lust des Geschlechtes sind alle um so vollkommener und tadelloser, weil sie gleichsam etwas Göttliches sind, das in die wirkliche Welt getreten ist und Gestalt gewonnen hat. In solch einer Stimmung scheint uns jede Art von Askese eine unreine Gottlosigkeit und die schlimmste Narrheit, und die Jagd nach dem Ungesehenen ein Aufgeben der Welt für ihren eigenen Schatten.

Sind nicht beide Stimmungen notwendig? – der grosse rhythmische Herzschlag, die Systole und Diastole der menschlichen Seele? Die eine, ein Hinausgehen und Zusammenraffen der stofflichen Elemente aus allen Quellen, die andere, ein Organisieren dieser Elemente unter dem vollkommensten Licht, oder besser ein Aufzehren derselben, um die vollkommenste Flamme mit ihnen zu nähren; die eine centrifugal, die andere centripetal; die eine individuell, die andere universell; und so weiter, jede für die Zwecke der anderen notwendig, und jede die Bedingung, die die andere erst möglich macht?

Bedürfen wir nicht einer durch wahrhafte Erfahrung gewonnenen Anschauung, die wir Religion nennen mögen, einer Religion, die aus der umfassendsten, wirklichen Erkenntnis und Acceptierung aller Thatsachen des physischen, wie des transcendentalen Bewusstseins entspringt, die weder wie manche Säkular-Philosophen das eine leugnet, noch, wie manche Religionskämpfer das andere verkleinern und verachten möchte? Wäre es nicht möglich, dass wir in diesen frühen Gestirn- und Geschlechts-Vergötterungen einen Beweis und ein Beispiel zu sehen haben, wie der menschliche Geist dereinst solch eine gesunde Polarität herzustellen versuchte?

Die primitive Gruppen-Ehe.

Eine der frühesten Formen der Verbindung zwischen den Menschen scheint die der Gruppen-Ehe gewesen zu sein, die in der Verbindung einer Gruppe von Männern einerseits und einer Gruppe von Weibern andererseits bestand. Sie hatte sehr verschiedene Formen, aber ihr Hauptzug war im allgemeinen der, dass die Frauen in diesen primitiven Gesellschaftszuständen bei ihrer Verehelichung die elterliche Wohnung nicht verliessen, sondern weiter in ihr verblieben und von den Männern besucht wurden. – Zuerst von einem Mann, der etwa mit Geschenken von der Jagd, mit Wildbret oder anderem kam und später auch seine »Brüder« oder Freunde brachte. So trat im allgemeinen eine Gruppe von »Brüdern« mit einer Gruppe von »Schwestern« in Beziehung. Es ist klar, dass in einem solchen Gesellschaftszustand die Abstammung eine höchst unsichere war, und dass die Ausdrücke »Bruder« und »Schwester« nicht immer die engere Bedeutung hatten, die wir ihnen geben. Solch eine Gruppen-Ehe war z. B. die »Punalua« oder »Freundes«-Ehe der nordamerikanischen Indianer, wie sie Morgan beschrieb, und die nach der Vermutung von Marx und Engels in frühen Zeiten auch in Polynesien allgemein verbreitet gewesen sein soll. Siehe Lewis Morgans »Ancient Society« und Friedrich Engels' »Ursprung der Familie«.

In späteren Zeiten wurden die Gruppenehen nach verschiedenen Richtungen hin, je nach dem Geist der verschiedenen Rassen, eingeschränkt: z. B. wurde die Ehe zwischen Geschwisterkindern bei manchen barbarischen Stämmen strenge verboten, während bei anderen alle Verwandten (in der mütterlichen Linie) ausgeschlossen waren. So entstand zuletzt in manchen Gegenden eine »Paar-Ehe«, die indessen nur lose bestimmt und gefügt war, und der noch viel von der alten Gruppen-Ehe anhaftete, in der die Kinder vor allem noch dem Weibe gehörten und die Abstammung nur in der mütterlichen Linie verfolgt wurde.

In diesen Gesellschaftszuständen war das Weib verhältnismässig wohl daran; da sie in ihrer eigenen Gens oder ihrem Clan und bei ihren eigenen Verwandten verblieb, und der Gemahl nur gleichsam als ein Besucher von aussen kam, so war sie ihm keineswegs unterthan; im Gegenteil, um Zutritt zu ihr zu erlangen, musste er sich nicht nur ihr, sondern auch ihrer Familie möglichst angenehm machen! Sie hatte die Verfügung über die Kinder; keine Möglichkeit und keine Gefahr, dass sie ihr abgenommen und dem Gatten zugesprochen werden konnten; was sie etwa an Eigentum besass, – es konnte damals nur ganz wenig sein, – konnte sie ihnen hinterlassen; ihr gebührte die ganze Ehre der Vorfahrenschaft. Der Gatte hingegen konnte, selbst wenn er wusste, welche Kinder gerade die seinen waren, sie nur wenig sehen und ihnen sein Besitztum nicht vererben, ohne es seinem Clan zu entziehen – das aber gestatteten die Clan-Gesetze nicht. So fiel ihm in der Ehe thatsächlich die zweite Stelle zu.

Aber mit der Vermehrung des Privateigentumes und dem steigenden Sinn dafür kam ein Augenblick, in dem die Männer diesen Stand der Dinge nicht länger ertragen konnten und die Frauen zuerst gewaltsam entführten und in ihre eigenen Zelte und zu ihren eigenen Clans brachten – eine Veränderung, von der wir vermutlich dunkle Erinnerungen in Legenden wie der vom Raub der Sabinerinnen und in all den vielen Hochzeitsgebräuchen, die den Frauenraub darstellen sollen, zu sehen haben. Und mit dieser Veränderung nahm die Ehe ganz neue Formen an. Die Weiber wurden das Eigentum ihrer Gatten, sie hörten auf, selbst irgend welches Eigentum zu haben, weder an ihren Kindern noch an sonst etwas, und die Abstammung wurde von nun an nur nach den Männern bestimmt. In der patriarchalischen Zeit war die Ehe kaum etwas anderes als Sklaverei. Polygamie und Monogamie waren die zwei Institutionen, die zuletzt daraus entstanden. –

Die Polyandrie kann vielleicht als ein Ueberbleibsel der Gruppenehe angesehen werden, in einer speciellen Form, die besonders für kriegerische Rassen geeignet ist; aber – wie Engels bemerkt, – sowohl die Polygamie, als die Polyandrie im strengen Sinn können nur als ausnahmsweise Institutionen angesehen werden, da in einem Lande, in dem sie allgemein wären, ein ausserordentliches Ueberwiegen des einen Geschlechts über das andere vorhanden sein müsste – es wäre denn, dass beide Institutionen in demselben Lande nebeneinander bestünden, was bekanntermassen nie der Fall ist. Thatsächlich ist denn auch in den orientalischen Ländern die Polygamie auf die Reichen beschränkt, sie ist dort sozusagen ein Luxus, der nur den Wenigen zugänglich ist.

So scheint es beinahe, als ob von Anfang an in den orientalischen Ländern Polygamie und Monogamie gleichzeitig und vermischt vorgekommen wären. In Griechenland und Rom hörte die Polygamie auf, als Institution anerkannt zu werden; obgleich das Konkubinat in der einen oder anderen Form weiterbestand. Die monogamische Ehe wurde die gesetzliche Institution, und das Weib wurde dem Mann zum Spielzeug übergeben; es wurde bei der Hochzeitsfeier symbolisch mit seinem Gelde gekauft und hatte im Anfang so wenig eigene Rechte wie ein Spielzeug. In den späteren Zeiten des römischen Reiches indessen, als die Mitgift üblich und den Frauen die Fähigkeit, Eigentum zu haben, zugestanden wurde, gleichzeitig auch die Scheidung sehr leicht gemacht wurde, war die Stellung der römischen Matrone eine weit bessere. Und im modernen Europa scheint die monogamische Ehe ungefähr dieselben Entwicklungsphasen durchzumachen oder durchgemacht zu haben wie im alten Griechenland oder im römischen Reich.

Ueber die Eifersucht.

Eine grosse Störung der himmlischen Ordnung der Liebe ist die Eifersucht – diese Brandfackel physischer Leidenschaft, die, in die Gefühlsregionen des Geistes übertragen, oft wie flammendes Feuer darin wütet. Man kann zwei Arten von Eifersucht unterscheiden: eine natürliche und eine künstliche. Die erste entspringt vielleicht aus der wirklichen Einzigartigkeit des Verhältnisses zwischen zwei Personen – wie es wenigstens einer von ihnen scheint – und dem Bestreben, diese Ausschliesslichkeit dem ganzen Verhältnis in all seinen sexuellen wie in seinen geistigen Seiten, insbesondere aber dem sexuellen Verhältnis aufzuprägen. Diese Art von Eifersucht scheint im gewissen Sinn normal und natürlich, zum mindesten für eine gewisse Zeit. Wenn die persönliche Beziehung zwischen den beiden Beteiligten vollkommen hergestellt und zugestanden und nicht länger gefährdet ist, pflegt dieses Gefühl in der Regel ebenso natürlich wieder zu verschwinden, und dies ohne die Intimität und Ausschliesslichkeit der Verbindung zu schädigen. Diese Eifersucht wird von Liebenden mit furchtbarer Schärfe und Intensität empfunden, solange sie das Ziel ihrer Leidenschaft nicht erreicht haben und vielleicht auch noch durch ein oder zwei Jahre nachher – obgleich es manchmal ganz unbestimmt fortdauern kann und zwar in Fällen, wo die Verbindung den Wünschen – eines der Liebenden zum mindesten – nicht entspricht.

Die andere Art der Eifersucht beruht auf dem Eigentumsgefühl, und das ist die Art, die von dem gewöhnlichen Gatten und der gewöhnlichen Frau oft noch empfunden wird, wenn die Flitterwochen schon längst vorüber sind – von dem Mann nicht etwa, weil er eine so besondere Hingabe für seine Frau empfinden würde, sondern weil ihn die Vorstellung wütend macht, dass sie nach eigenem Gutdünken über das verfügen könnte, was er als sein Eigentum betrachtet, und von der Frau, weil sie der Gedanke erschreckt, dass ihr ehelicher Kleiderständer, von dem all ihre materiellen Aussichten abhängen, ihr entgehen oder gar der Ständer für die Kleider eines anderen Weibes werden könnte. Diese Art von Eifersucht ist vielfach nur ein Produkt der augenblicklichen socialen Zustände, und in diesem Sinne ist sie eine künstliche. Obgleich sie vermutlich nicht so herzzerreissend ist, wie die andere, so tritt sie doch oft leidenschaftlich genug auf und dauert unbestimmbar fort, wie eine chronische Krankheit.

In frühen Zeiten, bei der mehr kommunistischen Empfindungsweise der primitiven Gesellschaft und unter der Herrschaft von Gebräuchen, die gleich der Gruppenehe in den sexuellen Beziehungen einen gewissen Spielraum gewährten, war die Eifersucht, ob immerhin vorhanden, doch wahrscheinlich nicht von so verheerender Macht, wie sie es heute ist. Aber mit dem wachsenden Individualismus im Leben und in der Liebe, mit der Entwicklung des Eigentumsgefühls in der Kulturzeit und der steigenden Betonung jeder persönlichen Empfindung in einem Gesellschaftszustand, den man den cellularen nennen könnte, erhielt diese Leidenschaft eine fürchterliche und krampfgleiche Gewalt und Wut; wie durch unzählige Dramen und Gedichte und romantische Erzählungen der historischen Periode bezeugt wird. In dem Kommunismus und Humanismus der Zukunft, in dem Grade, in dem das Eigentumsgefühl abnehmen und unsere Erkenntnis der Liebe sich mehr und mehr über die blosse blinde Verwechslung mit dem Geschlechtsakt erheben wird; in solch einer Zukunft wird, so dürfen wir wohl hoffen, die künstliche Eifersucht ganz verschwinden und die andere Form der Leidenschaft sich wieder zu einer vergleichsweise vernünftigen menschlichen Aufregung abschwächen.

Ueber die Familie.

Eine ungefähr ähnliche Veränderung wie mit der Eifersucht hat sich während des Fortschreitens der Gesellschaft in und durch die Kulturzeit in der Rolle, die die Familie in ihr spielt, vollzogen. In den primitiven menschlichen Associationsformen war die Familie weit im Umfang und vag in den Umrissen; die Grenzen der Verwandtschaft waren schwer festzustellen, wo das Weib mehrere Gatten und der Gatte mehrere Weiber haben konnte; das Vatergefühl war wenig oder gar nicht entwickelt, und die ganze Institution beruhte auf dem mütterlichen Instinkt der Fürsorge für die Nachkommenschaft. In den Gesellschaftszuständen, die sich in der mittleren Periode der Kulturzeit entwickelten, und mit den monogamischen Einrichtungen nahm die Familie ausserordentlich klar bestimmte Formen und scharf gezogene Grenzen an. Das Wachstum des Eigentums und des Wettbewerbs sowie das cellulare System der Gesellschaft entwickelten eine Art beständigen Kriegszustandes zwischen den Einheiten, aus denen sich die Gesellschaft zusammensetzte. Diese Einheiten waren die Familien. Der wesentliche Kommunismus und die Brüderlichkeit der Gesellschaft im grossen war nun auf ein zwerghaftes Mass eingeschrumpft und in die engen Grenzen der Familie zusammengezogen, und diese Institution gewann nun eine ausserordentliche Bedeutung dadurch, dass sie allein das heilige Feuer menschlicher Brüderlichkeit am Leben erhielt und gleichsam eine Miniaturflamme davon nährte, deren Glut durch das Dunkel und das Chaos und den Kriegszustand, der draussen tobte, noch erhöht wurde. So gross war diese Bedeutung, dass die heilige Familie eine der centralen religiösen Vorstellungen der Kulturzeit wurde, und dass man zuletzt allgemein annahm, dass die Gesellschaft auf der Familie beruhe und ihr ihre Existenz verdanke, anstatt zu erkennen, dass die Wahrheit thatsächlich gerade die entgegengesetzte ist, dass nämlich die Familie nur eine Verengerung und Kondensation des grossen Prinzips darstellt, das früher, wenn auch vag und unbewusst, die ganze Gesellschaft durchdrungen hatte.

Das dritte und zukünftige Stadium ist natürlich leicht voraus zu sehen – nämlich die bewusste Ausdehnung der Idee der Familie zu jener Brüderlichkeit und zum Kommunismus der ganzen Gesellschaft. Es ist klar, dass in dem Masse, in dem dies geschieht, die Familie wiederum ihre scharf begrenzten Umrisse verlieren und mehr und mehr in den breiteren socialeren Gruppen verschwinden wird, in die sie eingebettet ist – das aber wird keineswegs eine Rückkehr zu dem alten barbarischen Gesellschaftszustand bedeuten, in welchem die Idee menschlicher Brüderschaft und Gemeinsamkeit nur eine vage Empfindung war, gleich einer trüben Morgenröte, sondern eine Entwicklung zu der neuen Gesellschaftsordnung, in der sie klar und alles erleuchtend herrschen wird wie die Sonne.

So wird die Institution der Familie in ihrer gegenwärtigen Form, und soweit man diese Form eine künstliche nennen muss, zweifellos verschwinden. Nichtsdestoweniger wird und muss ihr natürliches oder physiologisches Fundament bleiben – nämlich das aktuelle physische Band zwischen den Eltern untereinander und zwischen beiden und dem Kinde. Vielleicht eine der wertvollsten Errungenschaften der Institution der monogamischen Familie in der Kulturzeit ist die Entwicklung der Gefühle des Vaters für das Kind gewesen, die in der primitiven Gesellschaftsordnung so schwach waren. Heute wird die Liebe zwischen Mann und Weib durch die zarte Schönheit des Kindesantlitzes gefestigt, wie niemals in den Jahren der Vorzeit, das Antlitz, in dem beide Eltern mit seltsamer Bewegung die eigenen Züge mit den Zügen des Geliebten vermischt sehen – die aktuelle Verwirklichung jenes Einswerdens, das die beiden Liebenden so heiss begehrten, und das ihnen doch trotz allem so oft unerreicht und unerreichbar schien. Diese kleine Fortsetzung des eigenen Ich, die zugleich in ihren Augen den Sternenblick der Liebe eines andern trägt und als ein Fremdling in diese Welt herniedersteigt, um einem eigenen neuen Schicksal entgegenzugehen, berührt die persönlichsten und tödlich engsten wie vielleicht auch die unpersönlichsten Gefühle des menschlichen Herzens. Und so wie dieser Anblick heute die Gatten gar oft mit den gesetzlichen Ketten versöhnt, die sie gewaltsam aneinander fesseln, so wird er in einer freien Gesellschaftsordnung, so hoffen wir, noch viel öfter das Zeichen und Siegel einer Liebe sein, die keinerlei mechanischer Bande bedarf, noch solche ertrüge. –

Ueber die Verhütung der Uebervölkerung.

Das ist ohne Zweifel ein schwieriges und kompliziertes Thema. Die Natur hat seit den fernsten Zeiten in der entschlossensten und hartnäckigsten Weise für die Fortpflanzung des organischen Lebens gesorgt und alle Tiere und selbst die Pflanzen mit einem starken sexuellen Trieb ausgerüstet. Die natürliche Zuchtwahl scheint die Tendenz zu haben, diesen Trieb zu steigern, und bei den höheren Tieren und beim Menschen erreicht er manchmal eine Heftigkeit, die fast einer brutalen Wut gleichkommt. In der civilisierten Menschheit wird die Wirkung noch weiter durch die Intensität des Bewusstseins gesteigert, das die Begierde in sich wiederspiegelt, sowie durch die veränderten Bedingungen des Lebens und des Luxus, die mit verstärkendem Reiz auf den Leib wirken.

In der animalischen und vegetabilischen Welt im allgemeinen bis hinauf zum Reich des Menschen scheint die Natur darin geradezu verschwenderisch vorzugehen und ganz gleichgültig gegen die Vergeudung von Leben und Samen zu sein, die daraus erfolgen mag, wenn nur ihr Zweck, der der Erhaltung der Rasse, erreicht wird; und wenn nun der Mensch sich gegen diese Vergeudung auflehnt und an das Problem herantritt, findet er es natürlich nicht leicht zu lösen.

Und nicht nur der Mann wehrt sich gegen die Methode der Natur, überflüssige Individuen zu erzeugen, nur um sie im Kampf ums Dasein wieder hinzumorden, auch das Weib lehnt sich dagegen auf, eine blosse Reproduktionsmaschine zu sein.

Nur zwei Methoden sind es, die gewöhnlich vorgeschlagen werden, um der Schwierigkeit entgegenzutreten: entweder 1. die Anwendung gewisser künstlicher Mittel, die die Empfängnis verhüten sollen, oder 2. die Beobachtung einer sehr beträchtlichen Enthaltsamkeit und Selbstbeherrschung gegenüber dem übermächtigen Zeugungstrieb. Beide Methoden können natürlich auch in Verbindung angewendet werden.

1. Es muss gesagt werden, dass künstliche Mittel zur Verhütung der Conception fast durchaus höchst unbefriedigend sind: sie gewähren keine Sicherheit, ihre Anwendung hat etwas verzweifelt Logisches und zugleich Brutales, das für wahre Empfindung einfach verhängnisvoll ist; immer besteht die Möglichkeit, dass sie irgendwie gefährlich oder schädlich sein können, und ausserdem sind sie einseitig: der Mann geniesst, wie so oft, auf Kosten des Weibes – all das spricht gegen sie. Nur eine Methode – die darin besteht, eine gewisse Zeit der monatlichen Periodicität des Weibes zur sexuellen Vereinigung zu wählen, kann kaum eine künstliche genannt werden und ist auch von allen oben erwähnten Einwänden verhältnismässig frei. Ihr Erfolg ist allerdings kein völlig sicherer, aber doch vielleicht so weit, als im allgemeinen zur Beschränkung der Familie genügt; und wenn die Methode immerhin eine gewisse Selbstbeherrschung verlangt, so stellt sie doch keine unmöglichen Anforderungen in dieser Richtung.

2. Die Methode der Selbstbeherrschung allein, ohne Rücksicht auf die oben erwähnte Einschränkung, vorzuschlagen, würde in allen Fällen, in denen Kinder nicht wünschenswert erscheinen, praktisch auf eine vollkommene Enthaltung von allem geschlechtlichen Verkehr hinauslaufen; das aber hiesse in den meisten Fällen, der menschlichen Natur zu viel zumuten, und könnte in manchen Fällen möglicherweise auch eine gewisse Gefährdung der Gesundheit nach sich ziehen. Allerdings sind die Gefahren für die Gesundheit zweifellos sehr übertrieben worden; man kann als Regel sagen, dass ein kräftiges Bestreben nach freiwilliger Enthaltsamkeit eine der besten Schutzwehren der Gesundheit ist; doch folgt daraus noch nicht, dass eine vollständige Enthaltsamkeit im allgemeinen durchführbar oder wünschenswert wäre. Immerhin kann man sagen, dass wir für die Zukunft unser Augenmerk und unsere Erwartungen weit mehr auf die Selbstbeherrschung als auf jene verschiedenen zweifellosen Hemmungsmittel zu richten haben. Wenn auf eine vernünftige Wahl der Vermählungszeiten geachtet würde, liesse das Ziel sich im allgemeinen erreichen, ohne dass der menschlichen Natur, wie sie durchschnittlich beschaffen ist, ein allzu grosser Zwang auferlegt würde, noch zu zweifelhaften und künstlichen Mitteln gegriffen werden müsste. Und der Zwang und die Selbstbeherrschung, die nötig wären, würden auch zu jener Umwandlung der sexuellen Kräfte in höhere Gefühlselemente führen, von der wir bereits gesprochen haben, und die ein so wichtiger Faktor in unserer sittlichen Entwicklung ist.

Ich zweifle auch kaum, dass mit der Entwicklung der Gesellschaft die sexuellen Schwierigkeiten, die während der Kulturzeit so ernste gewesen sind, sich im allgemeinen zum grossen Teil wieder mildern werden. Was eine übermässige Kinderzeugung angeht (die durchaus nicht einen übermässigen Geschlechtsverkehr zur Voraussetzung hat), so ist sie vermutlich ein Phänomen, das bei manchen Rassen während einer bestimmten Periode ihres Wachstums und ihrer Reife eintritt und wieder vorübergeht. Und was übermässige geschlechtliche Begier anlangt, so ist, – da die Tiere sicherlich nicht die Zügellosigkeit zeigen wie der Mensch, auch für den Menschen noch einige Hoffnung, wenn er einmal zu Vernunft kommt! Ein reines Leben, eine reinere Nahrung, die Gewohnheit der freien Luft, das Wachsen des Geistes für grössere Interessen, das Wachsen der Liebe selbst – wird alles dazu beitragen, dem Uebel abzuhelfen. Die zwei letzterwähnten Elemente erwecken in der That mit Notwendigkeit ein gewisses Streben nach Herrschaft über die animalischen Instinkte – und auch eine Art von innerem Kampf, bis die beiden Seiten unseres Wesens wieder zur Harmonie gelangt sein werden.


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