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Das Weib – das leibeigene Geschlecht

Der Mann unserer Zeit ist ein halbentwickeltes Wesen, und ein unreifer Mensch ist natürlich ein Tyrann. Und so ist es gekommen, dass die Herrschaft des Mannes in der Welt durch so viele Menschenalter die Leibeigenschaft des Weibes bedeutet hat.

Wenn wir weit in der Geschichte zurückgehen, bis zu einer Zeit, in der in den frühen Gesellschaftstadien die Idee einer Ungleichheit zwischen den Menschen noch kaum entstanden war, da scheint das Weib in ihrer Sphäre als die Gebärerin der Menschen und die einzige sichere Gewähr der Abstammung, als die Leiterin des Haushaltes, als Priesterin und Prophetin und als Teilnehmerin am Rate des Stammes ebenso mächtig gewesen zu sein, als der Mann in seiner Sphäre, und bisweilen noch mächtiger. Aber seit jener Zeit und bis zum heutigen Tage – welche Jahrhunderte von Unterdrückung, Sklaverei, Stumpfheit und Unwissenheit sind da ihr Los gewesen!

Viele Gründe sprechen dafür, dass nichts anderes als die Gier nach privatem Eigentum die alte Schlange war, die am Fall unserer Voreltern schuld trug; denn als dieser Trieb – der Hauptsporn und Anreiz in der Entwicklung der modernen Civilisation – emporwuchs und sich wie ein Ansteckungskeim über die vorschreitenden Menschenrassen ausbreitete, da erhob der Mann den Anspruch, alles das sein Eigen zu nennen, worauf er seine Hand legen konnte, und kam zuletzt soweit, dass er seine Genossin, sein zweites Selbst knechtete und zu seinem Eigentume machte und sie so zu einem blossen Stück beweglicher Habe, zu einer Sklavin und zu einem Spielzeug heruntersetzte.

Es ist sicherlich bedeutsam und auffällig, dass – mit gelegentlichen Ausnahmen – die Zeiten der Herrschaft des Mannes Zeiten der Trauer und Erniedrigung für das Weib gewesen sind. Wo wir auch hinblicken, nahm er immer mehr und immer unbefangener an, dass es ihre Aufgabe und Bestimmung sein müsste, für ihn zu leben und für ihn zu arbeiten; immer mehr schloss er sie von der Welt ab und sperrte sie in das Boudoir und in den Harem ein oder zwang sie zu niedriger Dienstarbeit am Herd; ihrem Geist und ihrem Körper zog er die engsten Grenzen; dabei beruft er sich unaufhörlich auf ihre Geschlechtlichkeit, betont dies beständig, als ob sie in der That nichts als ein Sexualitätswesen wäre; gerät aber in Wut, wenn ihre Gefühle seinem Verlangen nicht immer entsprechen; nimmt für sich männliche Ungebundenheit in Anspruch und rächt bei ihr die geringste Treulosigkeit damit, dass er sie ins verachtete Leben der Prostituierten hinausstösst; und lässt ihr solchermassen mehr und mehr nur eine einzige Wahl im Leben: frei zu bleiben, und dann entweder geschlechtslos zu leben oder in der Gosse zu sterben, oder für erlaubte Wollust, für ein gesichertes Dasein und einen guten Namen sich selbst, Seele und Leib, zu lebenslanger Unterthänigkeit zu verkaufen. Und sie hat diese Situation allmählich als eine unvermeidliche hingenommen und sich mit traurigem Gesicht an ihre geduldige, klägliche Arbeit begeben, in die enge Sphäre und erbärmliche Kleinlichkeit des häuslichen Lebens und der häuslichen Arbeit; in Geduld und Selbstverleugnung, in wenig beachteter, wenig verstandener Zärtlichkeit und Liebe; oder sie hat sich zu einem lächerlich verzerrten Affengeschöpf von Modesucht und Frivolität entwickelt, um auf diese Weise ihren leeren Kopf zu beschäftigen und Wohlgefallen in den Augen ihres Herrn zu finden; während ihre wirklichen Impulse, ihr wahres Wesen, die Talente und der Genius, die ihr eigen sind, all die Zeit hindurch erstickten und verdorrten, ihr Hirn einschrumpfen musste und ihre ganze Weltanschauung durch Unwissenheit und Verlogenheit verkehrt wurde.

So oder ähnlich ist das Los des Weibes durch Jahrhunderte gewesen. Und wenn sie, wie der Mann, leichtbewaffnet für den Kampf des Lebens und ihre eigene Verteidigung geschaffen wäre, dann könnte man möglicherweise sagen, es sei ihre eigene Schuld, dass sie all dies zuliess; wenn wir aber bedenken, dass sie all diese Zeit die grosse, sprachlose Last des Geschlechtes zu tragen hatte, dass sie die Wiege und Arche der Menschheit durch all die Zeitalter hindurch gewesen ist, dann verstehen wir vielleicht, was für eine Tragödie hier gespielt hat. Denn für den Mann ist die Erfüllung seines geschlechtlichen Berufes eine Befreiung und eine Steigerung des Lebens. Er geht seinen Weg weiter und denkt vergleichsweise nicht weiter darüber nach. Aber für das Weib ist sie der Gipfel des Lebens, ihre tiefe und geheime Mission, ihre Leistung für die Menschheit, eine Sache von unsagbarer Wichtigkeit und zugleich von unaussprechlicher Zartheit.

Männer vermögen natürlich nur schwer die Tiefe und Heiligkeit der Muttergefühle des Weibes zu verstehen, ihre Freuden und Hoffnungen, das Bleigewicht von Sorgen und Angst. Die schwere Last der Schwangerschaft, das Austragen des Kindes, die tiefe innere Angst und Verzagtheit, die beständige Furcht, dass etwas verfehlt werden könnte, das allmähliche Aufsaugen und Hinüberziehen ihres Lebens in das Leben des Kindes, die steigende Unfähigkeit, an irgend etwas anderes zu denken, für irgend etwas anderes zu sorgen; ihre Bereitwilligkeit zu sterben, wenn nur das Kind glücklich zur Welt kommt: das alles sind Dinge, die ein Mann – es wäre denn ausnahmsweise durch die Intuition des Künstlers oder Dichters – nur ganz entfernt ahnen kann. Dann später die völlige Hingabe an das junge Leben oder gar, wenn es ihrer mehr werden, die jahrelange Arbeit und Sorge durch Tag und Nacht, in denen jeder Gedanke an das eigene Ich ausgelöscht ist, all die zarten Dienste, für die es keine Anerkennung oder Dank giebt, noch je geben wird – ausser in ferner Zukunft; die Aufopferung der persönlichen Interessen, der eigenen Entwicklung in dem immer enger werdenden Kreis häuslicher Pflichten, und zum Schlusse nur die traurige Verwunderung, das schmerzliche ungestillte Sehnen, wenn eins nach dem anderen, der heranwachsende Knabe oder das Mädchen, sich auf ihren eigenen Wege durch die Welt drängen und die Bande, die sie ans Haus fesseln, und die Abhängigkeit vom Hause abstreifen und verleugnen und alle Stränge, die am Herzen hingen, ebenso entzweigeschnitten werden, wie die Nabelschnur einst zerschnitten werden musste. Für all diese Dinge kann das Weib vom anderen Geschlecht nur wenig Sympathie und Verständnis erwarten.

Aber der Umstand, dass der Mann sie nicht wahrnimmt, macht die Tragödie nicht geringer. Aus weiten Zeitfernen hinter uns, von den Stirnen griechischer Göttinnen und Sibyllen, nordischer und germanischer Seherinnen und Prophetinnen schauen über all diese armselige Civilisation hinweg die grossen ungebändigten Augen eines Weibes, wie es einst war, die gleichberechtigte, stolze Gefährtin des Mannes; und wir müssten in der traurigsten Hoffnungslosigkeit leben, sähen wir nicht bereits von Ost und West und Süd und Nord am Horizont aufleuchtend die antwortenden Mienen neukommender, werdender Frauen, die heute, da die Zeit der Sklaverei des Weibes zu schwinden beginnt, grüssende und erkennende Blicke nach ihren älteren Schwestern durch die Zeitalter, die sie trennen, senden.

Sollte man nicht annehmen dürfen, dass trotz allem und unter all den Verlogenheiten unserer Zeit eine tiefe und dauernde wesentliche Relation zwischen den Geschlechtern besteht, die in der Natur begründet ist, und die sich unvermeidlich zuletzt wiederherstellen muss?

Den Schlüssel zu dieser Relation finden wir vielleicht in dem physiologischen Unterschied der Geschlechter. Die moderne Wissenschaft lehrt uns, dass im Weibe die fundamentaleren und primitiveren Nervencentren und das grosse sympathische und vasomotorische Nervensystem im allgemeinen mehr entwickelt sind als beim Manne, dass beim Weib der ganze Bau und das Leben des Organismus sich weit enger und sichtlicher um die sexuellen Funktionen konzentriert als beim Manne, und als allgemeine Regel scheint in der Entwicklung des Menschengeschlechts wie der niedereren Gattungen das Weib weniger Abweichungen ausgesetzt zu sein und konservativer und beständiger am Grundtypus der Rasse festzuhalten als das männliche Geschöpf. Aus diesen physiologischen Unterschieden ergiebt sich naturgemäss, dass von beiden Geschlechtern das Weib das primitivere und intuitivere Geschöpf ist, und dass das Gefühlsleben bei ihm eine grössere Rolle spielt. Der Spielraum ihres Geistes mag nicht so umfassend und kosmisch sein, aber dafür liegen die grossen unbewussten Prozesse der Natur ihr irgendwie näher; für sie ist die Sexualität ein tiefer und heiliger Trieb, der eine natürliche Empfindung der Reinheit mit sich bringt; sie empfindet nur selten jenen Zwiespalt zwischen den Liebesgefühlen und dem sinnlichen Trieb, der bei den Männern so allgemein ist, und der sie zu einer Empfindung der Unreinheit in ihrem eigenen Wesen und zu Konflikten mit sich selbst führt; das Weib ist es, die dem Manne das Verständnis der Liebe vermittelt oder vermitteln sollte; sie müsste in allen sexuellen Dingen seine Führerin sein.

Und mehr noch: da sie den grossen Entwicklungslinien der Menschheit enger folgt und von den momentanen Strömungen des Tages weniger beeinflusst und abgedrängt wird, da ihr Leben mit dem des Kindes verknüpft ist, und sie in manchem Sinn dem Kinde und dem Wilden näher steht; so strebt der Mann nach all seinen Querzügen und Wendungen im Geistigen und Physischen stets zu ihr zurückzukehren, als zu seiner ursprünglichen Heimat und Ruhestätte, um sein Gleichgewicht wiederherzustellen, das Centrum seines Lebens zu finden und neue Ströme der Energie und Inspiration für neue Eroberungen in der äusseren Welt zu schöpfen. »In den Weibern finden die Männer Geschöpfe, die sich noch nicht so weit wie sie vom typischen Leben der Erdenkreaturen entfernt haben; das Weib ist für den Mann die menschliche Verkörperung der ruhespendenden Empfänglichkeit der Natur.« Für jeden Mann ist, wie Michelet es ausdrückte, das Weib, das er liebt, das, was die Erde ihrem sagenhaften Sohne war; er hat nur sich niederzuwerfen und ihre Brust zu küssen und ist neugestärkt.

Wenn es wahr ist, dass das Weib kraft natürlichen und physiologisch begründeten Rechtes in solch einem ursprünglichen Verhältnis zum Manne steht, dann können wir auch erwarten, dass das richtige Verhältnis im Laufe der Zeit wieder klar und vernünftig erkannt und wiederhergestellt werden wird; obgleich daraus natürlich nicht folgt, dass ein auf physiologische Unterschiede begründetes Verhältnis ein absolut konstantes sein muss – weil diese Unterschiede selbst sich bis zu einem gewissen Grade verändern können. Dass bereits jetzt ein natürlicheres und vernünftigeres Verhältnis, als bisher, zwischen den Geschlechtern sich thatsächlich vorbereitet, daran kann wohl niemand, der die Zeichen der Zeit beobachtet, zweifeln. Für den Augenblick indessen und gleichsam in der Parenthese müssen wir, ehe wir in die Zukunft schauen, die gegenwärtige Stellung des Weibes, wie sie sich in unserer Civilisation gestaltet hat, ein wenig mehr im Detail betrachten. Nicht als ob diese Betrachtung anmutig und erfreulich wäre, aber wir können ihr vielleicht – wir hoffen es! – einige Winke für die Zukunft entnehmen.

Es war nicht ganz unnatürlich, dass des Mannes Gier nach Besitz, nach individuellem, privatem Eigentum in der Knechtung des Weibes – als seines kostbarsten und geliebtesten Besitzes – auf die Spitze getrieben wurde. Aber die Folge dieser Absurdität war eine ganze Reihe weiterer Absurditäten. Zwischen unaufrichtiger Schmeichelei und Rosenwasserverehrung auf der einen und Leibeigenschaft und Vernachlässigung auf der anderen Seite wurde das Weib, wie Havelock Ellis sagt, als ein Zwittergeschöpf, halb Engel und halb Kretin, behandelt. Und im Verlauf der Zeit wurde sie durch Anpassung an diese Behandlung in der That etwas, das halb Engel und halb Kretin war, ein Konglomerat schwacher und schwammiger Gefühle, verbunden mit einem gänzlich unentwickelten Gehirn. Gleichzeitig verlor sie, da sie immer mehr und unaufhörlich auf das sexuelle und häusliche Leben beschränkt, darauf ausgebildet und specialisiert wurde, die Berührung mit der wirklichen Welt und wurde sozusagen zu einer besonderen, vom Manne verschiedenen Species entwickelt, so dass in den letzten Perioden der Kulturzeit Männer und Frauen, wenn nicht die geschlechtliche Anziehung sie zusammenführte, sich gewöhnten, in getrennten Scharen zusammenzukommen und eigene Sprachen zu sprechen, die für den anderen Teil kaum mehr verständlich sind. So sagt der Verfasser der »Frauenfrage«: »Ich gebe zu, dass hier wahrhaftig keine Veranlassung zu pharisäischem Selbstlob gegeben ist. Die johlende Masse der Männer am Rennplatz oder auf der Börse ist wahrlich ein hinreichend entwürdigender Anblick, und doch ist er kaum so schmerzlich, wie der Anblick, der unseren Augen jeden Nachmittag zwischen drei und vier in allen eleganten Strassen Londons zu teil wird: Hunderte von Frauen – leere Puppen – die mit äusserster Aufmerksamkeit in den Auslagefenstern nach verschiedentlichen Bändchen und Hütchen starren ... vielleicht ist kein Anblick so niederschlagend wie dieser, es wäre denn die Horde von Weibern, die dieselben Strassen zwischen zwölf und ein Uhr nachts belebt.«

Die »Dame«, die Haussklavin und die Prostituierte, das sind die drei wesentlichen Typen, zu der die Ereignisse, die hinter uns liegen, das Weib in unserer Kulturwelt entwickelt haben – und es wäre schwer zu sagen, welche von diesen Dreien die Elendeste ist, welcher von ihnen das meiste Unrecht zugefügt wird, welche am weitesten von dem entfernt ist, was jedes wahre Weib in seinem Herzen zu sein wünschen muss.

Die »Dame« der Zeitperiode, die sich eben ihrem Ende zuzuneigen beginnt, ist in manchem Sinne das charakteristische Produkt einer Welt, die auf dem Handel beruht. Indem die Institution und die Idee des Privateigentums sich immer schärfer und intensiver entwickelte und sich mit der »Engel und Kretin«-Theorie verband, wurde das Weib – besonders natürlich in der besitzenden Klasse – mehr und mehr zu einem Emblem des Besitzes, zu einer blossen Puppe, einem leeren Idol, einem prahlerischen Zeichen des exklusiven Rechtes, das ein Mann auf ihre Sexualität hatte – bis sie zuletzt, da ihr nichtiger Glanz den Höhepunkt erreichte und ihr wirklicher Nutzen auf das geringste Mass sank, zur »vollkommenen Dame« ward. Aber möge jedes Weib, das sich mit Stolz in dem Bewusstsein sonnt, dass sie dieses Ideal in ihrer Person verwirklicht hat, sich darauf besinnen, mit welchen Kosten sie es erkauft hat; und was ihr Gewinn wirklich bedeutet: die verhüllte Sklaverei und die verhüllte Verachtung.

Der Instinkt der persönlich hilfreichen Dienstleistung ist im Weibe so stark und bildet einen so tief wurzelnden Teil ihres Wesens, dass eine Behandlung als blosses Idol für die Verehrung und Dienstleistung anderer – insbesondere, wenn diese Verehrung und Dienstleistung nicht einmal aufrichtig gemeint sind – eine durchaus verderbliche Wirkung auf sie ausüben muss. Der Gedanke, dass es hunderttausende von Frauen giebt, Frauen mit Herzen und Händen, die zur Liebe und zu hilfreicher Arbeit geschaffen sind, die aber zur »Dame« erzogen werden und ihr Leben damit verbringen müssen, den blödsinnigen Plattheiten der Männer unserer mittleren Klassen zuzuhören und von für Lohn gekauften Weibern »bedient« zu werden, dieser Gedanke könnte einen schaudern machen. Der moderne »Herr« ist arg genug, aber die »Dame« der Bourgeoisie, die buchstäblich »gekreuzigt wird zwischen Lächeln und Jammern«, die zu einem Leben prostituiert wird, das sie im tiefsten Herzen hassen muss, einem Leben erbärmlicher Ideale, leerer Ehrbezeigungen und mit dem engsten Horizont – ist geradezu ein kläglicher Anblick.

In den feudalen Zeiten war die Halle, in der der Baron auf seinem Herrensitz sass, der Mittelpunkt des häuslichen Lebens; heute ist das Gemach, in dem die Dame herrscht, der Mittelpunkt. Der Salon »Drawing-room« hiess einst »withdrawingroom«, der Raum zum Zurückziehen. Aber das »with« ist weggefallen. ist das wichtigste Zimmer des Hauses geworden. Aber es liegt eine Nuance des Hohnes in jeder Huldigung, die der neuen Herrscherin dargebracht wird, und soweit sie wirklich herrscht, wird sehr bezweifelt, ob sie für diese Stellung reif sei. Der Gegensatz zwischen beiden Gesellschaften, der feudalen und der kommerziellen, ist durch diese Veränderung im Hause ganz gut symbolisiert. Die frühere Gesellschaft war rauh und brutal, aber gerade und voll grosser Züge; die heutige ist glatt und zierlich, aber voll Kleinlichkeit und Finessen. Der Salon mit seinem schwächlichen Wesen, mit seinen Vorhängen und Drapierungen giebt unserem heutigen Leben den Ton. Aber wir schauen nach einer Zeit aus, wo auch dieser Raum aufhören wird, die Mitte des Hauses zu sein, und ein anderer – vielleicht das grosse gemeinschaftliche Wohnzimmer – seinen Platz einnehmen wird. Bei uns ist die Differenzierung der Klassen noch nicht so weit entwickelt wie in England. In den breiten Schichten unseres Mittelstandes hat die Frau Arbeit genug und spielt doch die Dame, ist Götze und Magd zugleich, und gerade das macht die Verlogenheit ihrer Stellung noch lächerlicher und deutlicher. Anm. d. Uebers.

Sowie wir unter ein gewisses Niveau der Gesellschaft hinabsteigen, und zwar unter das der speciell handeltreibenden Klassen, giebt es keine Salons mehr. Bei den arbeitenden Massen, für die das Weib im täglichen Leben von unentbehrlicher Wichtigkeit ist und nicht als ein Götze angesehen und aufbewahrt wird, giebt es auch keinen Raum, der speciell für die Huldigung bestimmt ist, die man ihr darbringt. Und hier findet auch in ihrer äusseren nominellen Stellung eine auffallende Veränderung statt: während in den höheren Kreisen sie thront, und dienstbereite Wesen männlichen Geschlechtes eifrig bemüht sind, sie mit Thee und Brot und Butter zu versorgen, machen in den Häusern der ärmeren Schichten die Männer sich's bequem und die Weiber bedienen. Diese Sitte ist eben in einer natürlichen Arbeitsteilung begründet, nach welcher der Mann die Arbeit ausser dem Hause und das Weib die im Hause übernimmt, und man zeigt ihr, meiner Meinung nach, im ganzen genau so viel wirkliche Achtung wie im Salon.

Aber hier fällt die Unglückliche in die zweite Schlinge, die für sie gelegt ist, sie wird zur Magd und führt ein Leben, das zwar ein ehrlicheres und ernsteres ist, als das der »Dame«, aber ein Leben elender Sklaverei. Nur wenige Männer erfassen oder bemühen sich zu erfassen, was für ein Leben das einer im Haushalt arbeitenden Frau ist. Sie sind gewohnt, nur ihre eigene Thätigkeit, von welcher Art sie auch sein mag, als »Arbeit« zu betrachten – vielleicht weil sie bezahlt wird – die der Frau halten sie für eine Art Zeitvertreib. Sie vergessen, was für eine monotone Robot diese Arbeit im Hause eigentlich ist, und wie viel unaufhörliches Denken und Sorgen sie erfordert; sie vergessen, dass die Frau keinen Achtstundentag hat, dass ihre Arbeit unaufhörlich auf ihr lastet und auf sie wartet, bis tief in die Nacht, dass in einer ewigen Wiederkehr von armseligen Sorgen der Leib aufgerieben und der Geist verengert wird – dass es »ein zu Tode kratzen durch Ratten und Mäuse« bedeutet. Nicht nur, dass die Kultur und immer neue Erfindungen die Last des häuslichen Lebens höchst kompliziert gestalten, – das Schwerste ist, dass jede Hausfrau diese Last allein in einsamer Mühe zu tragen hat. Welch ein Anblick bietet sich uns, wenn wir in irgend einer unserer grossen Städte in die niedrigen Häuser und Mietwohnungen der endlosen Häuserreihen der Vorstadtstrassen treten und in jeder ein arbeitendes Weib finden, das da, allein, eingepfercht in halbdunklen Räumen, mit der Plage einer von allen anderen gesonderten Wirtschaft ringt – Mahlzeiten auszudenken und herzurichten hat, Brot zu backen, Kleider zu waschen und auszubessern, Kinder in Ordnung und den Mann bei guter Laune zu erhalten, das Haus zu kehren und abzustauben – sie selbst gehetzt und müde, von Wochenbetten und schlechter Luft geschwächt und entgeistert durch Mangel an Gesellschaft und Abwechslung – welch ein Leben! wie wertlos und wie öde!

Es bleibt den Frauen noch eine dritte Alternative, und es ist nicht zum Verwundern, dass es Frauen giebt, die mit vollem Bewusstsein ein Leben der Prostitution wählen, da sie nur auf diese Weise einer Sklavenexistenz, wie die Dame oder die Magd sie führen, entgehen zu können meinen. Aber welch eine Wahl! Auf der einen Seite der Käfig, auf der anderen die Freiheit! »Wie kann da ein Zweifel sein«, wird der und jener sagen, »immer, sicherlich, ist die Freiheit besser!« Dann aber verstummt jeder. »Ah!« sagt die Gesellschaft und zeigt mit dem Finger, »aber das freie Weib

Und doch, wie kann das Weib je ihres Namens wert sein, je zu einem menschlich vornehmen Dasein gelangen, wenn sie nicht frei ist?

Heute oder jedenfalls bis heute hatte – so wie der Lohnarbeiter keine Möglichkeit zu existieren hat, ausser durch den Verkauf seiner körperlichen Arbeit, – das Weib keine Möglichkeit zu leben, ausser durch die Hingabe ihrer körperlichen Geschlechtlichkeit. Es stand ihr frei, sie entweder an einen Mann auf Lebenszeit zu verkaufen: dafür wird ihr die Achtung der Gesellschaft und die lebenslange Fütterung im Käfig als Dame oder als Hausmagd; oder sie konnte sie allnächtlich verkaufen, ein »freies Weib« bleiben und dafür die lebenslange Verachtung der Welt und den sicheren Tod in der Gosse in Kauf nehmen. In jedem Fall muss sie – wenn sie überhaupt über sich nachdenkt – alle Selbstachtung einbüssen! Welch eine Wahl, welch eine entsetzliche Wahl! Und das ist das Schicksal des Weibes gewesen – wer sagt, wie lange?!

Das Weib ist herabgekommen, wie es bei solchen Zuständen nicht anders sein konnte, aber es ist kein Zweifel, der Mann ist gleichfalls gesunken.

Jedenfalls, nichts kann klarer sein als dies eine – und das sollte als die Basis jeder Erörterung des sexuellen Problems festgehalten werden: was dem einen Geschlecht schadet, das schädigt auch das andere. Und jeder Defekt, jede Einseitigkeit, die sich bei dem einen Geschlecht herausbildet, muss nach der Natur der Sache durch entsprechende Fehler und Einseitigkeiten des anderen aufgewogen werden. Die zwei Hälften des Menschengeschlechts sind komplementäre Ergänzungen, und nichts ist vergeblicher, als wenn eine sich auf Kosten der anderen zu verherrlichen sucht. Wie in Olive Schreiners »Allegorie des Weibes« (»Drei Träume in der Wüste«) sind Mann und Weib durch ein vitales Band aneinander gefesselt, und kein Teil kann ohne den anderen einen Schritt mehr vorwärts machen.

Wenn wir diese wechselseitigen Defekte (die zum grössten Teile durch das verfehlte Verhältnis, das Eigentumsverhältnis zwischen den Geschlechtern, anerzogen sind) charakterisieren sollten, könnten wir am ehesten Brutalität und Einbildung auf der einen und Falschheit und Raffiniertheit auf der anderen Seite nennen. Der Mann als der Eigentümer neigt dazu, herrisch, anmassend, rücksichtslos und egoistisch zu werden, das Weib, das als Eigentum behandelt wird, wird sklavisch, listig und unehrlich.

Wir geben natürlich zu, dass bei umfassenden Generalisationen solcher Art eine beträchtliche Zahl von Ausnahmen möglich ist; aber im allgemeinen finden wir thatsächlich (zum mindesten auf den Britischen Inseln) bei den »Herren der Schöpfung« eine ganz wunderbare, himmlische Gleichgültigkeit gegen alles, was nicht zu ihren eigenen Angelegenheiten gehört, eine Gleichgültigkeit, die heute bereits so eingewurzelt, so konstitutionell geworden ist, dass sie in der Regel ganz unbewusst ist und als selbstverständlich und natürlich annimmt, dass das schwächere Geschlecht nur dazu da ist, um dem Hauptakteur im Drama des Lebens als Folie zu dienen. Dass diese Gleichgültigkeit von Zeit zu Zeit durch ein wenig Galanterie gemildert wird, das kann – wie man leicht denken mag – der Frau keinen starken Trost bringen, die bemerkt, dass diese Galanterie von nichts anderem als einem vorübergehenden sexuellen Verlangen eingeflösst wird.

Aber sie selbst kam sehr rasch auch herunter getaumelt, und zwar taumelte und rollte sie bis zur Erkenntnis, dass, wenn sie ihren Herrn auch nicht mit Gewalt beugen kann, sie ihm doch mit List beizukommen vermag. Eine Finesse, die durch zahllose Generationen aufs äusserste entwickelt worden ist, verbunden mit einer geschickten Ausnutzung des Reizes, der ihrem Geschlecht eigen ist, hat ihr eine ausserordentliche Fähigkeit gegeben, ihre Zwecke zu erreichen, oft unter den schwierigsten Verhältnissen und ohne auch nur zu verraten, dass sie überhaupt ihre Hand im Spiele hat. Vielleicht ist die Kenntnis dieser Geschmeidigkeit ein Grund, weshalb Frauen so viel misstrauischer gegeneinander sind, als Männer. Ein Weib, das wahrhaft harmlos ist, ist eines der seltensten Geschöpfe Gottes, und wenn es dabei noch Intelligenz besitzt, so dass es durchaus nicht harmlos sein müsste, dann ist es eines der schönsten und bewundernswertesten.

Wenn wir tiefer schauen, unter jenen oberflächlichen Gegensatz, den ein ungesundes Verhältnis zwischen den Geschlechtern zweifellos geschaffen hat, dann können wir eben jene vitaleren und tiefer wurzelnden Differenzierungen zwischen beiden erkennen, von denen früher die Rede war.

Es ist ein allgemein angenommener Satz, dass das Weib intuitiver und der Mann logischer sei; Physiologisch scheint eine grössere Reizbarkeit und Empfänglichkeit für Eindrücke beim Weibe deutlich nachweisbar zu sein. und zweifellos scheint der männliche Geist mehr befähigt, mit Abstraktionen und Generalisationen zu arbeiten, während dem weiblichen das Persönliche, Detaillierte, Konkrete vertrauter ist. Und wenn dieser Unterschied auch zum Teil der künstlichen Beschränkung der Frau auf die häusliche Sphäre zuzuschreiben sein mag, so ist wahrscheinlich doch auch eine organische Verschiedenheit dabei im Spiele. Jedenfalls verdankt das Weib ihr einige ihrer besten Eigenschaften, eine rasche und unmittelbare Erkenntnis, ein schnelles Urteil über die Menschen, Takt, und eine Art künstlerischen Gefühls in der Ausgestaltung und Führung ihres eigenen Lebens, so dass wir darin nicht alle die Fäden und heraushängenden Enden wahrnehmen, die in der Lebensführung des Mannes störend sichtbar werden. Während der Mann Böcke schiesst, mit sich selbst im Kampfe ist, zögert, zweifelt, erwägt und vergeblich versucht, die verschiedenen Elemente seines Wesens einander zu koordinieren, geht das Weib (unzweifelhaft meist in einer viel engeren Sphäre) gerade und ruhig auf ihr Ziel los. Ihre Handlungen zeichnen sich durch Anmut und eine gewisse Endgültigkeit aus; sie ist mehr mit sich selbst im Einklang, und sie hat den unschätzbaren Vorteil, dass ihre Welt die der Personen ist, – die so viel wichtiger und interessanter ist, als die der Sachen.

Auf der anderen Seite aber hat die mangelnde Fähigkeit, zu generalisieren, es den Frauen schwer gemacht (zum mindesten bis heute) aus einem kleinen Interessenkreise hervorzutreten und die Dinge vom Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses und allgemeinen Wohls zu betrachten. Während ihre Sympathien für Individuen rasch und scharfsichtig sind, ist sie der vollen Wertung allgemeiner und abstrakter Ideen, wie Wahrheit und Gerechtigkeit und ähnlicher, nur schwer zugänglich gewesen; und ihr Mangel an Logik hat es oft geradezu unmöglich gemacht, auf geistigem Weg auf sie zu wirken. Ein Mann, der auf dem unrichtigen Weg ist, lässt mit sich reden; aber wenn ein Weib solcher Art aus frevelhaften oder verderblichen Motiven handelt, dann giebt es kein Mittel, sie durch einen Appell an ihre Vernunft oder an ihren Sinn für Recht und Gerechtigkeit davon abzubringen – und wenn sie nicht durch die persönliche Macht eines entschlossenen stärkeren (männlichen) Willens gezwungen wird, dann wird ihre Bahn vermutlich eine böse Richtung nehmen.

Allgemein wird auch, wenn es sich um die Frage handelt, welche geistige und sittliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu konstatieren sind, zugegeben werden, dass beim Mann die aktiven, beim Weibe die mehr passiven Eigenschaften entwickelter sind, und es ist auch ziemlich fraglos, dass diese Verschiedenheit nicht nur Jahrhunderten socialen Unrechts und der Eigentums-Ehe zuzuschreiben ist, sondern in gewissem Grade tief in der Natur ihrer verschiedenen Geschlechtsfunktionen selbst wurzelt. Dass es also permanente komplementäre Unterschiede zwischen Mann und Weib giebt, Unterschiede, die ursprünglich wohl auf das Geschlecht zurückzuführen sind und von da ausgehend sich über das ganze physische, geistige und sittliche Wesen beider erstreckt haben, daran kann kein vernünftiger Mensch zweifeln. Aber diese Unterschiede sind während der ganzen Periode der Geschichte, soweit wir auf sie zurückblicken, in unvernünftiger Weise betont und übertrieben worden – bis zuletzt ein Maximum von Divergenz, ein Höhepunkt absoluten Nichtverstehens, erreicht worden ist. Aber dieser Punkt liegt nun bereits hinter uns.


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