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Die Kirche von Polenta

Einsam wiegt dort oben sich die Zypresse,
Fast ein Winken scheints über Tal und Hügel.
Ob einst hier Franceskas feurige Augen
Sanfter gelächelt?

Schroff steht dort der Felsen, doch nicht bedrohlich;
Prüfend schaut der Schiffer gen Himmel, wendet
Schnell sein Boot mit hurtigen Rudern, vor der
Adria Dunkel.

Rauch steigt auf vom Dache des Landmanns, wie er
Gelben Mais bereitet im Kupfertiegel,
Dort, wo ehmals finster der Aar des alten
Guido genistet.

Scheingestalt der Blume ist Schönheit, von dem
Weißen Schmetterling Poesie umflattert;
Macht ist Widerhall der Trompeten, fern im
Tale verklingend.

Über Zeitflucht, stumme Barbaren Sieger,
Einsam aus dem Wechsel der Dinge ragend,
Künftigen Jahrhunderten heller Leuchtturm,
Ist der Gedanke.

Dort die Kirche. Als sie entstand, da starben
Noch als niedre Sklaven von Rom, die später,
Herren von Polenta, unsterblich wurden
Durch Alighieri.

Kniete hier einst Dante ? In beiden Händen
Die erhabne Stirn, welche Gottes Nähe
Schaute? An sein schön San Giovanni denkt er,
Tränen im Auge.

Strahlend sah die Sonne von mächtgen Wäldern
Übers Meer hin. Bei dem Verbannten suchen
Gastlich Einlaß von Paradiesgefilden
Lichte Gestalten:

Jubelnd klang dazu aus den niedern Bogen,
Seine weißen Schwingen gen Ost gebreitet,
Jener Psalm: Als Israel aus Ägypten
Zog, – in die Ferne.

Wo, italisch Volk, dir, du schicksalreiches,
Morgendämmerung deine Nacht erhellte,
Schatten noch umirren aus alter Zeit, da
Schaust du den Sänger.

Doch auf Grabeshügeln, in jenen Kirchen
Ausgestreckt, bekleidet mit grauen Mänteln,
Asche auf den wallenden schwarzen Haaren,
Baten die Väter

Den Gekreuzigten: – byzantinisch-graunvoll,
Mager, hohl die weißen erloschnen Augen, –
Um Vergebung wegen der Ahnherrn und der
Glorreichen Roma.

Rohes Bildwerk dort von den Kapitalen,
Täppisch nach altgriechischen Meißels Vorbild,
Wilde Traumgeburten, aus fremdem Norden
Schielende Fratzen;

Tiergestaltge Wesen, verzerrt, entartet,
Orientalisch, speien bei schwacher Lampe,
Zu phantastisch-buntem Gewirr verschlungen,
Hölle und Schwefel

Tölpisch auf die arme zerknirschte Herde.
Hinterm Taufstein schaute da ein gehörnter
Kleiner, roter Teufel herunter, höhnisch
Über sie grinsend.

Draußen tobt auf Bergen und Flur der Winter
Rauher Barbarei. Mit des Pfeiles Schnelle,
Nahn sich schwarze Schiffe, gelenkt von ihrem
Heulenden Gotte.

Feuer werfen sie und den Zorn des Odin
Auf den Strand, auf Städte an Meeresufern,
Die Poseidon lachend mit weißen Armen
Winken und grüßen.

Wehe! Pferdchen sausen heran wie Sturmwind,
Wilde Reiter kommen: Avaren, Hunnen;
Hinterdrein zieht lachend der Tod, die reiche
Nachlese haltend.

Jesus! Jesus! Düstere Gräber öffnen
Ihre Tiefen, geben dem Wind, dem Regen
Und dem Sonnenlicht die Gebeine ihrer
Märtyrer wieder.

Was noch bleibt, durchstöbert der Langobarde,
Wiederum aus den noch verschonten Burgen
Niedersteigend: Asche, Reliquien, Scherben,
Mit seiner Lanze.

Einzig bleibt, ihr Sklaven, beraubt geschlagen,
Heute euch die Kirche: ist Haus, ist Heimat,
Letzte Ruhestätte; hier nur vergeßt ihr,
Sehet und hört nicht.

Und einst kommen hierher, beraubt, geschlagen,
Eure Unterdrücker und Plündrer wieder. –
Wie die reiche Lese beginnt im Bottich
Gärend zu schäumen,

Und wie von den Hügeln Italiens weiße
Trauben gleich den schwarzen, gestampft zerstoßen,
Aufgelöst, zu starken und würzgen Weines
Reife gelangen,

So, vor Gott dem Rächer und dem Erbarmer:
Aus den Unterdrückten und aus den Siegern, –
Diesen, welche Theodolinde betend
Führte zur Gottheit,

Jenen, denen Gregor die Sklavenketten
Nahm, in deinem Worte, o Roma, donnernd,
– Noch voll alter Kraft und voll neuer Liebe, –
Ward die Kommune.

Heil dir, Kirchlein meines Gesanges! Dieser
Würdgen Mutter gibst du, o neuerstandnes
Schicksalreiches Volk von Italien, gibst ihr
Wieder des Betens

Helle Stimme: mögen die Glocken mahnen,
Und vom neuerrichteten Kirchturm tön' es
Über Tal und Hügel, durch Feld und Fluren:
Ave Maria.

Wenn die frommen Grüße die Luft durcheilen,
Da entblößen sterbliche kleine Menschen
Ihre Häupter, beugen die hohen Stirnen
Dante und Harold.

Eine Melodie, wie von unsichtbaren
Leisen Flöten, weht zwischen Erd und Himmel;
Sind es Geisterstimmen, die ewig waren,
Ewig ertönen?

Ein Vergessen dieses mühseligen Lebens,
Ein gedankenvolles Nachruheseufzen
Und nach Tränentrost ein geheim Verlangen
Dringt in die Seele.

Alles schweigt: die Tiere, der Menschen Treiben,
Abendrot verschwimmt in azurner Bläue,
Und die hohen wogenden Wipfel rauschen:
Ave Maria.

Juli 1897.


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