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Cadore

I

Ja, du bist groß. Wie ewiger Sonnenschein
Entzückt dein Farbenzauber, der Iris gleich,
Und lächelnd schaut Natur die ewig
Jungen Gedanken in deinen Formen.

Bei ros'gem Leuchten solcher Gebilde schritt
Mit schwerem Druck durchs düstre Jahrhundert hin
Der Aufruhr schwerer Eisenwaffen:
Aber das Schöne erhob die Herzen.

Und der Italien weit bis nach Rom durchzog,
Verwüstend, kalt, der flämische Kaiser, bog
Sich tief zu deinen Füßen nieder,
Dir den entfallenen Pinsel reichend.

Sag: Schläfst du unter Österreichs Marmorstein,
Dort in der grauen schweigenden alten Gruft
Der Frari? Oder irrst als freie
Seele umher in der Heimat Bergen?

Wo hier der blaue lachende Himmel dir
Durch weiße Wölkchen küßt die Olympierstirn,
Die ein Jahrhundert mit des Lebens
Göttlich erhabener Blüte kränzte?

Ja, du bist groß! Doch lauter noch ruft der Stein,
Der schlichte, fordert Hymnen antiker Art
Von mir dort jenes Jünglingsantlitz,
Wie es dem Schicksal die Stirne bietet.

Du Götterjüngling, sag es uns: welchem denn?
Der Schlacht, dem Tod, gewaltiger Übermacht
Von tausend gegen einen, trotztest
Du, Pietro Calvi, o Heldenseele!

So lang in ewger Flucht der Jahrhunderte
Durch grüne Klüfte abwärts die Piave strömt,
Damit auf adriatschen Wogen
Fahren die Schiffe aus schwarzen Wäldern;

(Schon Tannen spendend, als noch San Marco, nah
Den Echinaden, kühn auf dem Meere stritt),
So lang der Dolomiten Nadeln
Sich noch bei sinkender Sonne färben,

Und dort die Marmarolen im Abendschein, –
Vecellios Wonne! – rosiger Glanz verklärt,
Ein Traumpalast, ein seiger Garten,
Wo nur die Feen, die Geister wohnen;

So lang, o Calvi, töne wie Donnerlaut
Herauf in eines jeden Erinnerung
Dein Name, und erbleichend springen
Jünglinge auf, zu den Waffen greifend.

2

Nicht mit der Hirten Schalmei besing ich dich, o Cadore,
Ähnlich der Wellen Getön;
Mit heroischem Vers verfolgend das Knattern der Flinten,
Feir ich dich weithin durchs Tal.

O du zweiter im Mai, als hart an der Grenze von Östreich
Kühn auf die Brustwehr sprang
Hauptmann Calvi, um den rings Kugeln pfiffen und flogen:
Blond unerschütterlich steht

Er und hält auf der Spitze des Schwertes, im Auge den Feind, von
Udine Blatt und Vertrag.
Hoch dann schwingt er ein rotes Tuch mit der Linken: des Krieges
Und der Vernichtung Signal.

Von den würdigen Häuptern des Pelmo und des Anteiao
Löset sich weißes Gewölk:
Alten Giganten gleich, die ihre Helmzier bewegend
Schaun auf die tobende Schlacht.

Und wie Schilde der Helden im Lied hell glänzen und leuchten,
Daß noch die Nachwelt erstaunt,
So im blendenden Weiß, der steigenden Sonne entgegen,
Funkeln die Gletscher ringsum.

Sonne des alten Ruhms, mit wie heißen Gluten umarmst du
Menschen und Flüsse und Berg!
Suchst in der Erde die Toten dort unter den tiefschwarzen Tannen,
Rufst sie ins Leben zurück:

– Söhne, geboren ob unsern Gebeinen, verwundet, vernichtet
Heut den barbarischen Feind,
Schleudert vom Eis, das mit Blut wir gefärbt, Felsstücke herunter,
Trefft mit Lawinen von Stein. –

So von Felsen zu Fels widerhallts von den Stimmen der Toten,
Die bei Rusecco gekämpft;
Weiter von Ort zu Ort mit immer verstärkterem Brausen
Tragen die Winde es fort.

Waffen ergreifen Tizianische Jünglinge, steigen: »Italia!«
Singend hinunter ins Tal,
Und von Balkonen aus dunkelm Holz mit Geranien und Nelken
Folgen die Blicke der Fraun.

Pieve, das heiter dort liegt unter lachenden Hügeln und drunten
Hört auf der Piave Getös,
Schön auch Auronzo, beherrscht von der finstern Ajàrnola, langhin
Zwischen den Flüssen gestreckt,

Dort Lorenzago, das sonnig von halber Höhe am Abhang
Herrscht über blühendes Tal,
Und Comelico dann, aus verstreuten Gehöften, tief unter
Tannen und Pinien versteckt;

Andrer Dörfer noch mehr, zwischen Wiesen und Wäldern, entsenden
Väter und Söhne hinaus:
Flinten ergreifen sie, Spieße und Sensen, der Hornruf der Hirten
Dröhnt weit hinab durch das Tal.

Dort das ehrwürdige Banner erscheint vom Altar: schon bei Valle
Sah es der Östreicher Flucht;
Tapfre sammelts, es brüllt der alte Löwe Venedigs
Bei der erneuten Gefahr.

Horch, ein ferner Ton klingt herab, lautet näher, steigt weiter,
Eilt und verbreitet sich, wächst;
Klagend und rufend erschallt er, wie Bitten und Schreien und Zürnen,
Dringlicher, drohend und laut.

Was bedeutet es? Fragt uns der Feind, zur Beratung erschienen,
Fragt uns sein forschender Blick.
– Italienische Glocken! Sie läuten zu eurer Bestattung,
Oder zu unserem Tod! –

O Pietro Calvi, dort unten, in Mantuas Gräben, nach sieben
Jahren harrt deiner der Tod.
Gingest ja aus, ihn zu suchen, wie wohl ein Verbannter im stillen
Hin zu der Gattin sich schleicht.

Wie einst auf Austrias Heer, so schaust du auf Österreichs Galgen
Heiteren Sinns, ungebeugt;
Dankbar dem feindlichen Urteil, das dich als Soldat zu den heiigen
Scharen der Geister entläßt.

Schleudertest nie eine edlere Seele der Zukunft Italiens
Hin, als die Fessel zerbrach,
Düsterer Graben östreichischer Galgen, Belfiore: hell leuchtend
Altar der Märtyrer heut! –

Wer von den Söhnen Italiens jemals deines Namens vergessen:
Fußtritte stoßen ihn dann
Aus dem entwürdigten Lager, und fern von den Laren, im Schlamme
Haus' er, ein kläglicher Greis.

Und wer die Heimat verleugnet: im Herzen, im Hirn und im Blute
Sinn er auf niedere Flucht
Hier aus dem Leben; im Munde, der fluchwürdig lästert, sitz eine
Grünliche Kröte dafür.

3

So wie der Adler, der, nach erlegtem Raub,
Der hart sich sträubte, als seine Lust gestillt,
Auf ausgespannten Flügeln ruhig
Heimkehrt zum luftigen Nest, zur Sonne:

So kehrt zu dir, Cadore, mein Sang zurück,
Dem Vaterland geheiligt. Im blassen Schein
Des jungen Mondes ausgebreitet
Rauschen dir zärtlich die Tannenwälder

Zum magisch leisen Schlaf der Gewässer. In
All deinen Gauen blühen von Ort zu Ort
Der blonden Kinder frohe Scharen,
Und an den Hängen der Felsen sicheln

Ihr Heu die kräftgen Mädchen mit frohem Sang,
Ein schwarzes Tuch gewunden ums blonde Haar;
Aus ihren blauen Augen schießen
Hastig aufblitzende frohe Blicke.

Der Fuhrmann lenkt am Abgrund das Dreigespann
Vorbei, mit schwerer Ladung von Fichtenholz,
Voraus schon Harzesduft verbreitend:
Eifrig am Wehr müht sich Perarolo.

Wo Nebel brauen, hart an des Abgrunds Rand
Erschallt die Jagd: nach sicherem Schusse fällt
Die rasche Gemse, und so fallen,
Wenn uns das Vaterland ruft, die Feinde.

Die Seele Pietro Calvis, Cadore, will
Ich dir entführen, will sie auf Flügeln des
Gesanges durch die ganzen Lande
Senden, Italia. O schlecht erwachte!

Die Alpen sind kein günstiges Ruhebett
Für ungetreue Schläfer und Traumestrug.
Steh auf, laß unverständges Lärmen,
Auf aus dem Schlummer, der Hahn des Mars kräht!

Wenn Marius wieder über die Alpen steigt,
Duilius schaut auf ein und das andre Meer,
Dann erst beruhigt, o Cadore,
Fordern von dir wir Vecellios Seele.

Dann auf dem Kapitole an Beute reich,
Dem Kapitol, vom Ruhm der Gesetze groß,
Mag er Italia im Triumph, dem
Volke die Neuverklärte malen!


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