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Die liebe Sparsamkeit

Buchschmuck: Paul Hartmann

Es müßte ein Märchen geben: Von Einem, der auszog, das Sparen zu lernen …

Manchmal zuckt es mir schon in allen Fingern, das Märchen zu schreiben. Aber ich fürchte, dazu bin ich noch immer nicht reif genug. Nur steinalte Leute sollten Märchen erzählen. Einst jedoch, wenn mein Fuß ruhen wird, der jetzt noch wandert, wird es ganz von selbst aus mir herausblühen. Dann werde ich schon ein wenig müde und verhutzelt sein, werde unter einem Baume sitzen, den ich selbst aus dem Kern zog, und werde nichts weiter mehr wünschen, als daß die Sonne, die liebe warme Sonne mir schön die Glieder wärmt.

Neben mir aber müßte, angenehm verrunzelt wie ein Winterapfel, meine kleine Frau sitzen … ich glaube, sie wird dann ein schwarzes Häubchen auf dem dünnen weißen Haar tragen. Ich bin mit ihr jung gewesen, ich will mit ihr alt werden, und wenn die Sonne gemächlich weiter rückt, schieben wir unsere Stühle ihr nach, stöhnen ein wenig ohne Not und schweigen uns friedsam an.

Ist es zu glauben, daß ich mein ganzes Leben lang an diesem Bilde gehangen habe? Das Schicksal ist mir solche Stunde letzter Rast schuldig. Nach der umdämmerten Kindheit, nach stürmischer Jugend, nach Ernten und Gewittern der Hochsommertage, nach Mühe und Arbeit aller Art soll es mir einen Feierabend schenken, an dem noch einmal alles Erlebte gleich Schattenbildern an mir vorüberzieht. Was man erreicht und errungen, was man versäumt und verloren hat: es ist gleichermaßen dann Mythos und Märchen geworden … unwirklich schon und doch beglänzt von einer höheren Wahrheit.

Dann erst, denke ich mir, werde ich reif genug sein, um das Märchen zu schreiben. Aber ob ich es dann noch tue? Wenn ich keine Wünsche und keine Unruhe mehr habe, wird mich auch nichts mehr nötigen, zu andern zu reden. Es wird mir genug sein, daß das Märchen vor mir selber tanzt und gaukelt wie eine silberne Kugel auf dem Strahl springender Wasser.

Eine Zeitlang habe ich auch geglaubt, es würde eines der tiefsinnigsten Märchen der Welt werden. Denn derjenige, der es formen würde, hätte sein Ziel ja niemals erreicht. Er wäre immer nur ein sehnsüchtiger Sucher geblieben.

Nun aber bin ich schon lange der Ansicht, daß das Märchen im Gegenteil ganz rein, ganz durchsichtig, ganz kindereinfältig ausfallen wird. Die Sehnsucht, die es heute noch färben würde, ist dann längst stille geworden; die Wehmut hat sich in Lächeln und Heiterkeit gekehrt – o wie körperlos heiter wird mein Märchen vor uns beiden wunschlosen Alten schweben, vor mir und meiner kleinen verhutzelten Frau mit dem Häubchen! Ich höre sie schon leise kichern, die alte weißhaarige Baucis, und der wacklige Philemon lacht mit den trübe gewordenen Augen, und beide haben so ein unbestimmtes Gefühl, als hätten sie sich das ganze Leben hindurch viel närrische Mühe um ein Nichts gegeben.

»Ja, ja«, sagt der Philemon und würde gern der Baucis über die Hand streichen, über die Altfrauen- und Großmutterhand, die still, fein und gutmütig vor ihm liegt. Aber er hat sich stets davor geschämt, zärtlich zu werden: er ist sich dabei immer ungeschickt und lächerlich vorgekommen und hat eine schamhafte Seele. Deshalb unterbleibt die Bewegung auch diesmal. Er sagt eben nur: »Ja, ja.« Und Baucis gluckt noch einmal mit einem kleinen Lachen vor sich hin. Sie haben die Worte überhaupt nicht mehr nötig. Sie denken und fühlen beide ganz dasselbe. Sie lächeln dem Märchen zu, rücken die Stühle wieder etwas weiter, weil die Sonne sich einen andern Platz gesucht hat, und machen ein Nickerchen. Nachher will es aber keiner wahr haben. –

Es ist ein sehr hübsches Bild, das ich mir so zurecht male, und das allerhübscheste dabei ist die beruhigende Gewißheit, daß es eben nur ein Bild ist. Ich möchte um des Himmels willen nicht, daß es heute schon Wahrheit würde. Ja, in dreißig Jahren vielleicht … dann soll es in Gottes Namen alles so werden! Bis dahin jedoch will ich noch brausen in Lust und Leid, ein Unvollendeter, ein Ringender, ein Wanderer, der das Irrkraut in den Schuhen trägt, und will mich quälen in menschlicher Mühe.

Deshalb kann ich Euch heute das Märchen noch nicht versprechen, … das Märchen, das wie eine silberne Kugel auf dem Springbrunnen tanzt oder wie ein rosig erstrahlendes Abendwölkchen selig in klarer Höhe schwebt. Sie macht mir noch viel zu viel Sorgen, die liebe Sparsamkeit, als daß ich, genesen von allen irdischen Zielen und Zwecken, mit kristallener Heiterkeit davon erzählen könnte. Ich bin denen, die im Staube suchen, wahrlich kein Erlöser; es ist genug, wenn sie mich Bruder nennen, sich den Kopf kratzen und mich verständnisinnig ansehen.

Wir haben nämlich gestern wieder eine große Auseinandersetzung gehabt, meine Frau und ich. Und von morgen ab beginnen wir ein neues Leben.

Ich weiß nicht, ob das bei andern Leuten auch so zugeht. Ich weiß nicht, ob im Deutschen Reich noch eine zweite Familie vorhanden ist, die mit solcher Glut, mit solcher Mühe, mit solchem Aufwand von Überlegung und Rechenkunst um das wundersame Geheimnis der Sparsamkeit ringt und gerungen hat wie wir.

Kein Mensch hat uns jemals von diesem Geheimnis gesprochen. Wir ahnten nichts davon, wir fanden es selbstverständlich, daß man im verheirateten Zustande nicht mehr blind in den Tag hineinlebte, sondern daß man sich nach und nach einen kleinen Rückhalt schuf. Es konnte ja auch nichts einfacher sein. Der ganze Witz war der, immer etwas weniger auszugeben, als man einnahm. Von jedem Hundertmarkschein wurden zehn oder zwanzig Mark beiseite getan, und damit war die Sache erledigt. Auf Heller und Pfennig konnten wir uns vorher schon ausrechnen, wie viel wir in zwei, in fünf, in zehn, in zwanzig Jahren haben würden. Der Anfang mochte langweilig sein, da lief ein kleiner Schneeball sachte neben einem her, der sich nur wenig vergrößern wollte. Aber allmählich kam er ins Rollen, er nahm Zins und Zinseszins mit, er zog immer breitere Furchen, er ging als Lawine ins Tal. Und wir waren es, von denen die Lawine in Bewegung gesetzt ward.

Sie berauschte uns schon vorher, sie erschütterte uns geradezu. Mit schwimmenden Augen und einem leichten Schwindelgefühl sahen wir uns an, ohne doch die Kraft zu haben, ihrem unheimlichen Anwachsen Halt zu gebieten.

Es ist ein Glück, daß ich über starke moralische Gegengewichte verfüge.

»Kind, Kind«, sagte ich bewegt, »Reichtum pflegt die Herzen nur allzu oft zu verhärten. Ich glaube, wir sind darüber einig, daß er diese Wirkung auf uns nicht haben soll. Wir wollen schlichte, fröhliche, hilfreiche Menschen bleiben und unser warmes Gefühl durch die Goldlawine nicht verschütten lassen.«

Welches liebende Mädchen wird solchem Vorschlage nicht mit Freuden zustimmen? Er schuf uns eine Stunde schönster sittlicher Erhebung, und wenn ich heute, nach vielen Jahren, zurückdenke, so darf ich uns wohl das Zeugnis geben, daß unsere Herzen in der Tat durch die Goldlawine nicht verengt worden sind.

Nicht nur unser unerschütterlicher Vorsatz hat das verhindert. Unbegreiflicherweise hat uns das Schicksal auch nicht auf die brennend ersehnte Probe gestellt. Die Lawine wollte trotz aller Nachhilfe nicht in Gang kommen. Verheißungsvolle Ansätze waren öfter vorhanden; in einigen Fällen wurde sogar Schneeballgröße erreicht, aber darauf erfolgte stets ein jähes oder langsames Abschmelzen. Auf diese Weise ward unsere Hoffnung regelmäßig zu Wasser, anstatt mit unwiderstehlicher Wucht, schon durch die eigene Bewegung wachsend, vorwärtszurollen.

Wir waren zuerst geneigt, auf einen besonderen Tückebold von Zufall zu schwören, der gerade uns auf dem Kerbholz hatte und frevelhaft mit uns spielte. Denn bei der ungeheuren Einfachheit der Grundregel war das Ausbleiben des Ergebnisses sonst unerklärlich. Himmel und Hölle haben wir nach dem Schuldigen durchsucht. Ein Sherlock Holmes in eigener Sache, habe ich Nächte geopfert, um einen Anhaltspunkt zu finden. Am Ende wurden wir gegen uns selbst mißtrauisch. Jeder hatte bisher den andern für die Perle seines Geschlechts gehalten. Nun wurde man von dem heimlichen Zweifel benagt, ob die Perle nicht doch etwa eine Trübung hatte. Mit heimlicher Furcht sah man der wöchentlichen Abrechnung entgegen; man suchte nach Gründen, um sie zu verschieben; man wappnete sich dazu wie zur männermordenden Feldschlacht. Es gab Sturm und klirrenden Zusammenprall; es gab Tränen, Vorwürfe, Gekränktheiten; es wurde hin und wieder sogar die Region des eisigen Schweigens erstiegen, in der jede mildere Regung sofort abstarb und vergletscherte.

Später, nach dreißig Jahren, unter dem selbstgezogenen Baume, werden wir lächelnd den Kopf schütteln: Warum mußte das alles sein? Warum haben wir uns so töricht manche schöne Abendstunde verdorben?

Ach, vielleicht wären sonst der Blüten an unserm Lebensbaume zu viel gewesen! Die Götter sind neidisch. Aber dann hätten sie wenigstens das Spiel abwechslungsreicher gestalten sollen. Denn es nahm fast immer den gleichen eintönigen Verlauf. Mit einer auf alles gefaßten Zurückhaltung legte mir meine Frau das Wirtschaftsbuch vor, nachdem wir vorher ausgemacht hatten, daß wir uns »diesmal« auf keinen Fall zanken wollten.

Doch immer, wenn ich einen Blick auf die Endsumme geworfen hatte, fuhr ich wie von der Tarantel gestochen empor. » Wie viel …?« schrie ich entsetzt fragend auf. Und ein ganzer Abgrund von Unglaube, Fassungslosigkeit, Schmerz und Entrüstung lag in der stark betonten ersten Silbe.

Nein, das war ja nicht möglich! Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehn!

»So rechne doch gefälligst erst nach«, pflegte meine Frau dann etwas gereizt zu antworten. »Ich habe ja Gottlob jede Kleinigkeit aufgeschrieben. Sonst denkst du am Ende gar noch, ich hätte die Hälfte für persönliche Bedürfnisse verbraucht!«

»Das hat noch niemand behauptet«, widerstritt ich grollend. »Aber es wäre mir fast lieber, wenn du es getan hättest. Dann hättest du doch wenigstens etwas davon gehabt. So jedoch sind Unsummen ausgegeben, obwohl wir beide die bescheidensten Menschen von der Welt sind. Und wofür ausgegeben? Für nichts und wieder nichts! Für lauter Kleinigkeiten, die dir unbedingt notwendig erscheinen.

Wenn ich nun ein Beamter wäre! Wenn ich nach dem Willen meines Vaters ein preußischer Amtsrichter geworden wäre! Was in aller Welt hätten wir dann machen sollen? Möchtest du mir das erklären? Weißt du vielleicht, was ein preußischer Amtsrichter an Anfangsgehalt bezieht? Und doch leben tausende davon, ja sie leben nicht schlechter als wir, man kann sie in den Gerichtsferien selbst an der Ostsee oder im Gebirge treffen, und dies alles bestreiten sie aus ihren beschränkten Mitteln. Ich jedoch habe das Einkommen des Staatsministers von Lippe-Detmold, Exzellenz, ohne im geringsten die Verpflichtungen dieses Herrn zu haben. Der Herr Staatsminister muß Gesellschaften geben, was wir vermeiden; der Herr Staatsminister kann unmöglich mit einem ältlichen Filzhut umherlaufen, wie ich es tue; der Herr Staatsminister dürfte zum Abendbrot mit Tee und kaltem Aufschnitt schwerlich zufrieden sein, während ich mich gern damit bescheide. Und dennoch werden bei uns im Hause die Bezüge des Herrn Staatsministers glatt ausgegeben, ja, wenn das so weiter geht, reichen sie nicht einmal! Da muß doch irgendwo ein Fehler stecken!«

Um voreiligen Schlüssen zu begegnen, betone ich ausdrücklich, daß ich nicht die Ehre habe, den Staatsminister von Lippe-Detmold, Exzellenz, zu kennen. Er kam mir vor vielen Jahren nur grade so in den Wurf, und aus alter Anhänglichkeit benutze ich ihn seitdem mit großer Regelmäßigkeit als Nothelfer. Zwar hat er im Laufe der Zeit merklich an Wirkung verloren, er macht aber doch noch immer eine recht eindrucksvolle Figur. Es ist ja auch ganz klar: auf der einen Seite stellt er uns sozial auf einen Gipfel, läßt auf der anderen die Bescheidenheit unserer Lebensführung doppelt hervortreten und wirst aus diesem Gegensatz heraus ein grelles Licht auf das Mißverhältnis unserer Wirtschaftskosten. Ich bin auch gern bereit, die Exzellenz gebührenfrei an ähnlich bedrängte Familienhäupter zu verleihen. Für kleinere Verhältnisse genügt übrigens schon ein Geheimer Regierungsrat.

Das Ende vom Liede war also entweder Gletscherstarrheit oder Zerknirschung. Nach meiner Erfahrung ist letztere angenehmer, und man beschleunigt sie, indem man sich die Haare rauft und dumpf bemerkt, daß man den Boden unter den Füßen schwanken fühle. Man zeige auch weniger Trotz als Gram in den Zügen: in jedem von Natur guten Frauenherzen blüht dann unendlicher Opferwille auf.

Im Tiefsten erschüttert und völlig geknickt pflegte meine Frau nach einiger Zeit kleinlaut zu fragen, auf welche Weise dem nahenden Verderben zu steuern wäre. Nun. das Verlorene war nicht wieder einzubringen. »Aber«, sagte ich, »wir müssen es von jetzt ab eben besser machen. Es ist notwendig, daß wir unser ganzes Leben auf eine neue Grundlage stellen.«

Ich habe eine Leidenschaft für neue Grundlagen. Es bereitet mir im Stillen unendliches Vergnügen, sie herauszuschälen, zu glätten, anzuordnen und sie endlich zu Trägern eines neuen stolzen Baues zu machen. Ich vermute, daß in dieser Richtung meine stärkste Begabung liegt. Hatten wir die Notwendigkeit durchgreifender Änderungen erst einmal erkannt, so war das Schlimmste überwunden. Die düsteren Mienen erhellten sich, die Verzagtheit wich, die Erfolge der Zukunft warfen ein rosiges Licht auf die Schatten der Gegenwart, und beide waren wir Feuer und Flamme, die genial ausgedachten Sparpläne der Stunde in die Wirklichkeit zu übertragen. Wie man durch Nacht und Weite wohl einen Bahnzug rollen hört, so hörten wir das dumpfe klirren der Lawine, der Goldlawine. Es war unseren Ohren Musik; es rechtfertigte im voraus die neuen Grundlagen.

Von Tag zu Tag zeigten sich ihre Wirkungen deutlicher. Im Schlafzimmer tauchte Seife von verdächtigem Aussehen und unbekannten Erzeugern auf; der abendliche Aufschnitt ward gestreckt, und Leberwurst spielte wegen ihrer hervorragenden Streichfähigkeit eine Hauptrolle; unhygienisches Zeitungspapier wurde dazu bestimmt, verschwiegene Funktionen zu übernehmen, und die Hintertreppe huschten Händler empor, die für leere Weinflaschen, Hasenfelle und abgelegte Kleider Teilnahme bezeugten.

Ein gradezu orgiastisches Sparfieber hatte, mit einem Worte, das Haus erfaßt. In wenigen Tagen sollte durch stürmisches Streben wieder eingebracht werden, was in Wochen klimpernd durch die Finger gelaufen war. Wenn es so weiterging, mußten wir fabelhafte Überschüsse erzielen.

Dieser Gedanke labte das Herz und versöhnte mit allerhand kleinen Entbehrungen. Wenigstens in den ersten Tagen. Aber allmählich machte ich eine sonderbare Entdeckung. Ich begann nervös zu werden. Ich nörgelte. Ich giftete mich den ganzen Tag. Ich aß mich mit heimlicher Wut durch den gestreckten Aufschnitt; ich maß das halbierte Seifenstück, das meiner Person zugeteilt war, mit zorniger Verachtung; ich beleidigte in Gedanken auf rohe Weise die Hebräer der Hintertreppe. Alle diese Stimmungen und Erfahrungen schlugen sich zuletzt in der weisheitsvollen Erkenntnis nieder, daß Sparsamkeit dem Veilchen gleich im Verborgenen blühen müsse. Man darf sie nicht merken. Wenn man sie merkt, wird sie unangenehm.

Eine ganze Woche fraß ich diese stille Wut in mich hinein. Aber dann brach sie aus, wie ein lange schwelendes Feuer plötzlich in Flammen aus den Dachsparren schlägt. Mit einer Mäßigung, unter deren Anstrengung meine Stimme brüchig ward, stellte ich eines Morgens meine Frau darüber zur Rede, wie sie mir eine derartige Seife überhaupt anbieten könne, und warf sie (die Seife) in flammendem Zorn aus dem Fenster. Mochte kommen, was wollte – ich war auf alles gefaßt.

Aber was kam, hat mich einen Augenblick dennoch verblüfft. Halb entgeistert, mit etwas schief gezogenem Mäulchen starrte mich meine Frau sekundenlang an. Doch dann ein Jauchzen, ein Aufjauchzen des Glücks – und beschwingten Fußes stürzte sie nebenan in ihr Schlafzimmer, holte in unbegreiflicher Schnelligkeit ihre Seifenhälfte und schleuderte sie triumphierend der meinen nach, mit einem Schwung, der den von mir angewandten noch übertraf.

»Nicht wahr«, sagte sie strahlend und selig, »sie ist doch unwürdig, sie ist unter dem Hunde!« Und fiel mir stürmisch um den Hals: »Du triffst immer das Rechte! Nun wird es endlich wieder gemütlich.«

Es gehörte Geistesgegenwart dazu, sich blitzschnell auf das Unerwartete einzustellen. Einen Augenblick war mir zumute wie beim Looping the Loop, als stünde ich frei schwebend mit dem Kopf nach unten in der Luft. Aber schon in der nächsten Minute verfügte ich über die nötige Haltung, um die mir unvermutet dargebrachte Huldigung entgegenzunehmen.

Arm in Arm sind wir nachher durch die Straßen gezogen und haben zusammen eingekauft. Zweifellos waren wir dabei ein wenig leichtsinnig. Aber da wir uns für die Entbehrungen der letzten Woche einigermaßen entschädigen mußten, so hebt hoffentlich niemand den ersten Stein wider uns. Will es doch einer tun? Dann muß ich ihm sagen, daß wir fröhlich wie die Spatzen waren. Daß wir einen unendlich gemütlichen Abend verlebten. Daß mit einem Male wieder Wärme, Heiterkeit und Behagen bei uns eingekehrt waren. Selbst das Mädchen in der Küche sang, und das Klirren der gespülten Teller begleitete die Ballade vom ungetreuen Reiter.

Das Sparsystem hatte sich jedenfalls nicht bewährt. Die neuen Grundlagen wurden im gemeinsamen Einverständnis aufgegeben. Wir warfen sie in den Strom – mochten sie schwimmen! Wie graues Flößholz trieben sie im dunklen Wasser, und in Abständen hinter ihnen drein kamen im Laufe der Wochen, Monate, Jahre immer wieder neue geschwommen. Mir selber graust allmählich vor der Anzahl dieser Trümmer. Waren sie nicht alle einst Pfeiler der Hoffnung, Säulen der Zukunft, Tragbalken unserer Träume? Haben sie uns nicht glücklich gemacht? Sogar zweimal glücklich – als wir sie aufrichteten und als wir sie abbrachen? Nein, ich kann ihnen den großen Fluch nicht hinterherschicken! Schwimmet hin in Frieden!

Da habe ich nun eigentlich wohl vorgegriffen. Die Welt war also wieder voll Sonne, und wir lebten herrlich bis zur nächsten Abrechnung. Sie brachte alles wieder: den Schreck, die Zerknirschung, den Staatsminister von Lippe-Detmold, Exzellenz, und die unbedingte Notwendigkeit, das Leben auf neue Grundlagen zu stellen. »Gott im Himmel«, sagte ich händeringend zu meiner Frau, »wir sind doch keine Dummköpfe! Was andere Leute können, müssen wir doch auch fertig bekommen. Wie, zum Kuckuck, machen es die anderen Leute nur?«

Ja, wie machten sie es? Die Frage ließ uns nicht mehr los. Wir beschlossen, auf jede Gefahr hin dem Nachbar links und dem Nachbar rechts in die Töpfe zu gucken, um das Geheimnis kennen zu lernen. Unbedingt mußte irgendein Pfiff dabei sein. Es gab in unserem Bekanntenkreise ein halbes Dutzend Familien, die uns Erleuchtung bringen konnten. Denn da sie bei wesentlich geringerem Einkommen unvergleichlich mehr mitmachten und vorzustellen wußten als wir, so mußten sie den Stein der Weisen doch wohl besitzen.

Alles, was recht ist: wir haben sie belauert und beschlichen wie der Jäger das Wild, wie die Katze den Vogel. Es war uns oft nicht ganz wohl dabei, aber was tut man nicht, um eins der wichtigsten Lebensprobleme zu lösen? In den meisten Fällen war uns das Rätsel bald kein Rätsel mehr, doch die Auflösung brachte uns nicht voran. Was nützte es uns, wenn wir erkannten, daß Familie Müller sich zu Hause an einem Hering hungrig aß, um immer gut angezogen gehen und auf allen gesellschaftlichen Veranstaltungen erscheinen zu können? Es dünkte uns Falschspielerei, und voll mitleidigen Lächelns strichen wir diese Familie aus der Liste der in Betracht kommenden Vorbilder. Aber so ähnlich war es fast überall; das bischen Glanz und Freude wurde mir heimlichen Entbehrungen bezahlt.

Am Ende blieb nur ein einziges strahlendes Muster zurück, das allen Prüfungen standhielt. Wir hatten gefunden, was wir suchten; wir waren uns einig, daß hier im engen Kreise eine jener Frauengestalten wirkte, die das Unmögliche möglich machen, die Unbegreifliches vollbringen, die man nur in Staunen und Ehrfurcht bewundern kann. Alles schien sich ihr schön, leicht und mühelos zu fügen. Wenn es Anstrengungen kostete, so sah man sie mindestens nicht, und jeder, der da auszieht, das Sparen zu lernen, wirft zu Füßen eines solchen Weibes sein Bündel ab und sagt sich, daß er hier vor der rechten Schmiede stehe. Wie Jakob mit dem Engel Gottes, so wollten wir mit ihr ringen, um von ihr gesegnet zu werden.

So haben wir denn eines Tages die große Meisterin de- und wehmütig gefragt, wie sie ihre Wunder zuwege bringe. Sie hat uns zuerst gar nicht recht verstanden, dann hat sie sich über das Lob gefreut und hat uns angelächelt. »Es ist doch nicht schwer«, hat sie gesagt. Aber weiter haben wir sonst nichts aus ihr herausbekommen, als ein paar allgemeine Worte. Ich glaube, sie hat überhaupt nicht begriffen, was uns so wunderbar erschien, und sie konnte kein Geheimnis entschleiern, weil sie keins hatte oder es selber nicht zu deuten vermochte. Später habe ich mir gedacht, ebenso gut hätte ich Goethe fragen können, wie er den Faust gemacht hat. Er hat ihn halt gemacht, weil er ein Dichter war. Punktum!

Hans und Hänsin waren darüber natürlich sehr traurig. Sie nahmen ihr Bündel auf und gingen weiter in die Irre und wußten nicht, an welche Tür sie nun klopfen sollten. Aber sie hatten die Hoffnung, das unfehlbare Rezept zur Sparsamkeit zu finden, noch immer nicht aufgegeben. Und als sie einmal lasen, daß ein kluger Mann gesagt hätte, aus den schlechten Theaterstücken könne man noch mehr lernen, als aus den guten, da kam wieder ein Licht in ihre Finsternis. Von den Unerreichbaren wandten sie sich an die Stümper, von den wenigen Genies der Sparsamkeit an die zahllosen Dilettanten, die überall wild wachsen.

Es gibt allerliebste Gottespflänzchen darunter. Es lohnt sich wirklich, die Augen aufzutun. Und ich glaube in der Tat, daß ich von den unvollendeten Suchern mehr Nutzen gehabt habe, als von den vollendeten Meistern. Sonderlich seit Krieg und teure Zeit im Lande herrschen, seit alle Welt an den Zipfeln unseres schlaff gewordenen Geldbeutels melkt, ist die Sparsamkeit unter die höchsten Heiligen der lieben Deutschen aufgenommen worden, und keine wird inbrünstiger verehrt als sie. Jedes Herdfeuer im Vaterlande trägt ihr heute den Opferrauch zu, und unsere Frauen stehen am Altar in Sorgen und Mühe, um immer höhere Grade der Vollkommenheit zu erreichen.

Gepriesen sie alle, denen es gelingt! Ein Sänger des Krieges sollte sein Antlitz einmal nach der Heimat wenden und ihnen ein Heldenlied weihen. Aber alle die anderen, die sich vergeblich quälen, die täglich von neuem den Kampf aufnehmen, ohne siegen zu können, die an heimlichen Tränen würgen und immer wieder sich selbst zum Opfer bringen – zu ihnen möchte ich mich noch lieber gesellen. Möchte ihnen über die Hände streichen, die ungewohnte Arbeit tun, möchte sie aufnehmen in unsere Liebe und unser Lächeln, möchte sie halblaut trösten, wenn sie todunglücklich selber einsehen, daß alle ihre Anstrengungen gewöhnlich das Gegenteil der erhofften Wirkung erzielen.

Da hat vor kurzem ein guter Freund von mir in meinem Arbeitszimmer gesessen, und halb wehmütig, halb humoristisch hat er mir sein Kriegsschicksal erzählt. Er hat es gut getroffen: seine Frau lebt nur für ihn und die Kinder, und das Beamtengehalt reicht gerade hin, um ihn vor Sorgen zu schützen. Aber als nun Lebensmittelmangel und Teuerung immer fühlbarer wurden, wollte das Wirtschaftsgeld durchaus nicht mehr reichen. Die kleine dumme Frau wußte nicht mehr ein und aus, und da sie dem »arbeitenden« Manne und den Kindern so wenig wie möglich entziehen wollte, so legte sie heimlich alle Entbehrungen nur auf sich, glücklich darüber, daß ihre Nächsten von der schweren Zeit verhältnismäßig wenig merkten. Es geschah alles aus Güte, Opfermut, »Sparsamkeit« … man kann der kleinen Frau unmöglich böse sein. Doch nachdem sie heroisch ein paar Monate lang solche Entsagung nicht nur geübt, sondern sie auch nach Möglichkeit vor dem Manne verborgen hatte, brach sie eines Tages völlig zusammen. Der Arzt mußte kommen; er verordnete Ruhe, Pflege, Erholungsaufenthalt. Im gesegneten Mecklenburg, wo noch Milch und Honig fließt, wird das dumme Frauchen nun in den nächsten sechs bis acht Wochen wieder aufgepäppelt werden. Und wehmütig rechnet ihr Mann nach, wie teuer ihre Liebe und Sparsamkeit ihm kommen werden.

Sie hat im Deutschland von 1916 zehntausend Schwestern, diese Frau! Aber sie wird nicht klug werden; sie wird es bei anderer Gelegenheit ebenso machen. Man muß ihr wirklich auf die Finger sehen. Es ist nicht so einfach mit der Sparsamkeit.

Eine andere kleine Geschichte hörte ich einst von einem alten Herrn, dem ich unser Suchen und Sehnen gestanden hatte. Mit einem unbeschreiblichen Blick sah er zu seiner Frau hinüber, einer kleinen feinen weißhaarigen Dame, die ihm gegenüber saß, und während ihre Augen ihn anlachten, berichtete er von ihrem ersten Sparversuch, Alle beide waren sie noch ein bischen dalberig und höchst glückselig gewesen, die junge Frau hatte ihrem Herrn und Gebieter immer das Beste und Schönste vorgesetzt, Tag für Tag war das stille Nest mit frischen Blumen geschmückt, und es wäre der Himmel auf Erden gewesen, wenn nicht irdische Sorgen sachte herübergedroht hätten. So nahm denn der Mann seine Eheliebste einmal ernsthaft vor und versuchte ihr klar zu machen, daß sie leider auf keinem großen Geldsack säßen, daß sie sich bescheiden und an die alten Tage denken müßten. Deshalb könnte sie ihm keine größere Freude machen, als wenn sie sparte.

Die junge Frau war Feuer und Flamme. Ein Sturm guter Vorsätze brauste durch ihr Herz, und selig zeigte sie tags darauf dem heimkehrenden Gatten eine entzückende silberne Sparbüchse, die sie sich für alle Fälle sofort gekauft hatte. Einen ganzen Vormittag war sie durch die besten Berliner Geschäfte gelaufen, ehe sie das allerliebste Ding gefunden hatte.

Als der Mann nicht ganz so begeistert von diesem Beginn ihrer Spartätigkeit war und als sie mühsam begriff, war sie trostlos. Sie machte sich selbst die bittersten Vorwürfe und wagte drei Tage lang nicht zu piepen. Am vierten jedoch strahlte sie wieder: sie hatte die silberne Sparbüchse, die sie nicht mehr sehen wollte, dem Dienstmädchen geschenkt und sich selbst für ein paar Pfennige eine tönerne gekauft!

Seitdem hatte der Mann es auf das Sorgfältigste vermieden, den Spareifer seiner reizenden kleinen Frau zu stacheln. Es war auch so gegangen – wenn auch manchmal mit Ach und Krach. Zwar: geschafft hatten sie nichts; zu einem Bankguthaben hatten sie es noch immer nicht gebracht. Aber sie hatten ein fröhliches Leben geführt, sie hatten ihren Kindern eine fröhliche Jugend gegeben, und sie lachten sich selber noch in weißen Haaren fröhlich an. Das ist immerhin recht viel. Und die kleine Dame, die sich bei der Erzählung unter dem schneeigen Scheitel etwas rosa gefärbt hatte, sagte halb schuldbewußt, halb schelmisch: »Nein, ich habe es nie ganz gelernt, das Sparen! Mit den großen Summen ging es ja, aber das Kleingeld rutschte mir immer durch die Finger.«

Da schien es mir, als hätte ich von dieser Dilettantin der Sparsamkeit wieder etwas gelernt, was mir die großen Meisterinnen nicht verraten hatten. Zwar hat ein kluger Schriftsteller einst behauptet, die falsche Sparsamkeit sehe zu, wie sie den Groschen festhalte, während die richtige darauf aus sei, den Taler zu verdienen. Aber ganz abgesehen davon, daß dies doch nur für den erwerbenden Mann zutrifft – es stimmt wohl überhaupt nur zur Hälfte. Die alte deutsche Volksweisheit ist besser:

»Mein Kind, gib auf den Pfennig Acht,
Die Mark gibt auf sich selber Acht!«

Wenn die Frau nicht zusammenhält, verläppert sich auch das größte Einkommen.

Aber dies ist es ja eben: dieses schwere Zusammenhalten, dieses böse Groschenumdrehen, diese notwendige und doch so bittere Kleinigkeitskrämerei! Grade die gebefreudigen, schönheitsseligen, großzügigen Frauennaturen – wie müssen sie darunter leiden! Sie sind für die Sonne geschaffen und müssen im Schatten kümmern. Sie möchten gleich königlichen Fliegern sich selig im Sturze des Lichts durch Höhen wiegen und müssen ihr Leben lang im engen Bauer sitzen, in dem sie sich wundstoßen. Ich bin ihnen viel begegnet, als ich auszog, das Sparen zu lernen. Ich grüße sie in ihre Enge und Stille hinein.

Auch von ihnen habe ich auf der langen Wanderung manches mitgenommen, und dies alles soll einst in die holde Melodie des späten Märchens hineinklingen. Wenn hier und da ein Ton darin zittern sollte wie von verkämpften Tränen, dann weiß man, woher er kommt. Aus tausend frohen und trüben Erfahrungen soll mein Märchen gespeist sein. Gleich der Biene trage ich unermüdlich den Honig dazu in den Stock; der Honig liegt jetzt noch trübe in den Waben, aber er wird einst goldklar sein.

Und manchmal ist es mir schon, als ob ich in Klarheit eine Erkenntnis leuchten sehe.

Von Jahr zu Jahr wird man ein wenig stiller und ruhiger. Wir können beide, meine Frau und ich, schon ergebungsvoll über die Goldlawine scherzen. Halb und halb glauben wir zwar noch immer, daß sie einst rollen wird, aber wir haben den Maßstab verkleinert und warten nicht mehr morgen und übermorgen darauf. Als gesetzte Leute stellen wir Betrachtungen an und vergleichen unsere Beobachtungen. Wir sind darüber einig, daß Notzeiten nur zur Einschränkung erziehen, aber damit nicht der späteren Sparsamkeit vorarbeiten, sondern im Gegenteil der Verschwendung. Wir sind darüber einig, daß Regelmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Einnahmen die Vorbedingung einer guten Einteilung und rechten Sparsamkeit sind, daß deshalb die Mädchen, die aus Häusern von altem solidem Wohlstand stammen, ferner vielleicht die Töchter aus Beamten- und Offiziersfamilien im Durchschnitt bei weitem mehr Sinn für Sparsamkeit haben, als die Kinder von Eltern, die den freien Berufen oder dem Arbeiterstande angehören.

»Wenn man dies alles früher wüßte«, habe ich einmal halb zu mir selbst gesagt, »dann könnte man sein Leben klüger gestalten. Hätte ich damals die kleine Hauptmannstochter geheiratet, so würde ich heute schon längst ein reicher Mann sein. Sie hat fabelhafte wirtschaftliche Talente. Man erzählt sich, daß sie ihrem Manne täglich eine Zigarre stiebitzt, und alle gestohlenen dann zu einem sehr annehmbaren Weihnachtsgeschenk vereinigt. Wäre sie meine Frau geworden, so hätte ich gewiß eine Viertelmillion Kriegsanleihe zeichnen können.«

Ich machte mir einen Überschlag des mir dadurch zufließenden Zinsgewinnes, als meine Frau diese Berechnungen unterbrach.

»Ja«, sprach sie nachdenklich, »es könnte stimmen. Aber wenn du dann eine zweite Viertelmillion in der Lotterie gewonnen hättest, so würdest du sie noch dazu gegeben haben, um diese Lebensgefährtin wieder loszuwerden.«

Vielleicht hatte sie nicht unrecht. Es muß gräßlich sein, ein ganzes Leben lang neben einer Sparbüchse hinzuwandeln. Alles in der Welt hat schließlich seine zwei Seiten.

Und nun will ich das Licht, das mir selber manchmal schon von ferne leuchtet, auch anderen zeigen. Es hängt wie ein Lämpchen im Sturm an dem Ziele, das ich auf tausend Wegen suchte. Als ich zuerst seiner inne ward, erschrak ich und sah meine Hoffnungen welken. Aber fast gleichzeitig kam doch auch ein seltsamer Trost und Frieden über mich.

Dies aber war es, was das ferne Lämpchen am Ziele funkelte:

»Du jagst, törichter Erdensohn, nach einer Tugend und erkennst in ihrem Kleide, immer unerreichbar, eine Begabung

Wie vor einem delphischen Orakelspruch habe ich davor gestutzt. Als ich verstand, fiel es wie Asche auf meine blühenden Felder. Doch ob ich mich innerlich wehrte und meine Augen von dem Licht losreißen wollte, sprach es aufblitzend und wieder verschwindend weiter zu mir. Es sprach davon, daß die echte Sparsamkeit niemals durch Verhältnisse geschaffen oder durch den Willen erreicht werden könne, sondern daß sie eine Naturmitgift sei, eine angeborene Eigenschaft, eine Charakteranlage. Man hat sie oder hat sie nicht. Sie kann entwickelt, sie kann auch überwuchert werden oder entarten, aber sie muß in jedem Falle erst einmal da sein. Nachträglich erwerben läßt sie sich nicht – ebensowenig wie das Talent zur Dichtkunst, Malerei oder Musik. Doch während es niemandem einfallen wird, einen Menschen deshalb zu schelten, weil er kein Dichter ist, hackt jeder ungescheut auf diejenigen ein, die der Sparbegabung ermangeln. Ist das nicht traurig? Ist das nicht schlimm? Ist das nicht ungerecht?

Ich sehe im Geiste all die armen kleinen Frauen, an die ich denke, leidenschaftlich dazu nicken. Und manche holt sich wohl einen Blaustift, streicht die Stelle doppelt an und legt dieses Buch auf den Schreibtisch ihres Mannes. Hinterher hat sie eine frohe Stunde und singt. Ruhiger als sonst schlägt ihr das Herz in der schuldbefreiten Brust. Und sie wünscht, daß hunderttausende von Lesern das Buch, das brave vernünftige Buch kennen lernen und beherzigen würden.

Auch ich habe nichts dagegen einzuwenden. Ich würde selbst vor einer Million von Lesern nicht zurückschrecken. Nur meine Frau ließe ich gern dabei aus dem Spiele. Sie könnte mir vielleicht auch diesmal allzu stürmisch zustimmen und kurz entschlossen jedes Streben nach Sparsamkeit so schwungvoll beiseite werfen wie einstmals das Seifenstück. Wozu die Mühe, würde sie sagen, wenn es doch nichts hilft?

Nein, sie soll ruhig weiter glauben, daß die Sparsamkeit eine Tugend ist. Und sie soll die Wahrheit erst ahnen, wenn wir beide ganz alt sein werden, wenn sie das schwarze Häubchen auf dem dünn gewordenen Haar trägt und wenn vor uns verhutzelten Menschlein in reiner Heiterkeit das Märchen schwebt … das Märchen, das ich heute noch nicht schreiben kann … das Märchen, das staubentrückt vor uns spielen wird wie die Kugel auf dem Springbrunnen oder wie ein Wölkchen im Abendhimmel … das Märchen von Einem, der auszog, das Sparen zu lernen.


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