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Maruschka die Kriegsgans

Buchschmuck: Paul Hartmann

Ich wollte sie Antje nennen. Es klingt weich, es klingt zärtlich, es hat einen geradezu lyrischen Schmelz: Antje, die Gans.

Doch die Kinder erhoben lebhaften Einspruch, und die Köchin, die ein wenig tückisch geworden ist, seit sich ihre Kunst nicht mehr frei betätigen kann, maß mich mit einem gefährlichen Seitenblick.

Da hat der Mann nun so viel Bücher, schien dieser Blick zu sagen, aber es nützt alles nichts. Die Dummheit kommt schließlich doch heraus. Antje … hat ein Christenmensch für eine Gans schon solch einen Namen gehört! Außerdem stammt sie von der Ostfront, wo die Leute bekanntlich pollackisch reden. Mit Zischlauten, lieber Herr! Sie brauchen unsere Gans nur zu reizen, und sie wird es Ihnen vormachen!

Mit einem Wort: der Blick war beredt wie eine Abhandlung. Vor diesem Blick streckte ich die Waffen. Von Antje war nicht mehr die Rede. Die Gans erhielt den bürgerlichen Vornamen Maruschka. Es scheint ihr übrigens gleichgültig zu sein, wie sie gerufen wird.

Doch ich muß erst erzählen, wie ich überhaupt zu ihr gekommen bin. Hätte mir jemand vor einiger Zeit verkündet, daß ich demnächst ein lebendiges Ichneumon hegen und pflegen würde, so hätte ich, vorsichtig ausgedrückt, dies nicht für wahrscheinlich gehalten. Immerhin verbinde ich mit besagtem Tier eine so romantisch-nebelhafte Vorstellung, daß ich mit Sicherheit keine denkbare Möglichkeit hätte ausschließen dürfen. Aber eine Gans, eine richtige gackernde und schnatternde Hausgans … nein, da hätte ich doch getrost jedem Menschen ins Gesicht gelacht! Es gibt gewisse Dinge, an die sich selbst eine verwegene Phantasie nicht heranwagt.

Ich wohne jetzt nämlich – hauch' es in Andacht, beseelte Brust! – in einem sehr auf sich haltenden Vorort von Berlin W. In einem Vorort, der sich mit zwei anderen um den Ruhm streitet, der allerfeinste in der Nähe der Reichshauptstadt zu sein. In einem Vorort, wo der Mensch erst beim Villenbesitzer beginnt. Wir sind, kurz und erschöpfend ausgedrückt, furchtbar vornehm.

Begreift man ganz, was das heißt? Das heißt: Landhäuser, versteckt zurückliegend, umrauscht von grünen Bäumen. Das heißt: parkartige Gärten, in die sich Freitreppen schwingen; Gärten mit schöngepflegten Wegen, auf denen allenfalls weißgekleidete Frauengestalten wandeln. Sofort, wenn sie verschwunden sind, huscht der Gärtner heran und zieht den Rechen sorgfältig über jede Andeutung einer Fußspur.

Gar nicht zu reden von der verwunschenen Stille, die in unserem Vorort herrscht! Selbst das Teppichklopfen wird nur widerwillig zu bestimmter Stunde gestattet. Sonst hört man nur das Fallen der Springbrunnen, das Singen der Vögel und ab und zu das Bellen eines Hundes. Aber bitte sehr … es ist mindestens ein Barsoi, eine deutsche Dogge oder sonst ein Rutenträger edelster Rasse, der da Laut gibt. Das versöhnt – nicht wahr?

Dafür, daß die Kinder sich still in die Stille fügen, sorgt die Erzieherin. So würden nur die Pförtnerkinder zum Lärmschlagen übrigbleiben. Doch die Pförtner dürfen vertragsgemäß ebensowenig Kinder haben wie die Diener Bärte. Man sieht: höchste Kultur. Ich bitte um Ehrfurcht für meinen Vorort.

Nun muß ich allerdings gleich de- und wehmütig eingestehen, daß ich mir selber noch manchmal wie ein Fleckchen oder mindestens wie eine leichte Trübung auf dem Glanz des Gemeindeschildes vorkomme. Ich vergesse mich von Zeit zu Zeit. Es ist möglich, daß ich unangenehm auffalle. Es soll geschehen sein, daß ich mich wie ein Wilder mit den Kindern auf den Wegen meines Gartens umherjagte und unser Lachen die vornehme Stille jäh zerriß. Es soll geschehen sein, daß der Rasenteppich einen Millimeter zu hoch ward und daß auf einem Seitenwege fröhlich mehrere Tage lang ein Löwenzahn – Taraxacum officinale – gedieh, bevor dieser Verstoß gegen die sittliche Weltordnung von mir bemerkt wurde. Der veredelnde Einfluß meiner Umgebung dauert nämlich erst zwei Jahre, und er hat es noch nicht ganz verwischen können, daß ich früher in einem östlichen Vorort gehaust habe …

Trotzdem war ich bereits veredelt genug, um den Gedanken an eine Hausgenossin im weißen Federkleid als unmöglich zu empfinden. Und als die Gemeindeverwaltung ankündigte, daß sie durch Vermittlung der kaiserlich Deutschen Zivilverwaltung in Wloclawek einen Transport junger Gänse erhalten könne, wenn genügend Bestellungen einliefen, da hob noch keine Ahnung des Kommenden die benarbte Brust.

Aber wie das so geht, wenn man Kinder hat, die mit einem Auge schon in die Zeitung luchsen!

»Es sollen ja Gänse kommen«, sagte meine Älteste.

»Gänse?« scholl es von einem elektrisiert auffahrenden jüngeren Semester, »gibt es denn überhaupt noch Gänse im Kriege?«

Kurz und gut: das Gift wirkte. Am Abend saßen sie alle um mich herum und bereiteten den Angriff vor. Es ist eine unsäglich schlaue Bande. Sie hüteten sich, die ahnungslose Festung mit 42-cm-Brummern zu beschießen. Sie trieben sozusagen Sappen vor … hier eine … da eine … ganz harmlos.

»So ein Gänsebraten ist eigentlich doch etwas sehr Feines,« wurde links behauptet; »ich glaube, wir haben schon seit zweieinhalb Jahren keinen mehr gegessen.«

Bald darauf piepste inbrünstig rechts ein ernsthaftes Stimmchen: »Die Gans soll das nützlichste Tier der Welt sein.« Und Punkt für Punkt wurde (natürlich nicht mir, sondern den andern) auseinandergesetzt, was alles von ihr zu brauchen sei. Federbetten marschierten auf; die Mundstücke meiner Zigarrenspitzen wurden als Werte in Rechnung gestellt; der Vorzug, daß eine Gans ohne Butter im eigenen Fett brate, wurde gleichsam herumgereicht; aus dem knusprigen Torso duftete die Füllung der Äpfel, von köstlichen Keulen träufelte sozusagen sicht- und schmeckbar das Fett; und neben dem Klein, das mir nur nebenher unter die Nase gehalten wurde, schwebten Gänseschmalzstullen in erschütternder Fülle heran, als wollten sie sprechen: in unserem Zeichen könnt ihr durchhalten auch bei 60 Gramm Butter die Woche.

Dann war Pause. Aber die Suggestivkraft all der Augen, die sich erwartungsvoll auf mich richteten, hatte es mir schon ein wenig angetan. Und dem Gehege der Zähne entfloh das Geständnis, daß Gänsebraten in der Tat nicht übel sei.

Das ermutigte zu neuem Angriff. Numero eins packte mich beim Gemüt. Es müßte doch eigentlich schön sein, ein Tier zu haben, für das man sorgen dürfe. Folgte nähere Ausführung.

Numero zwei ging mehr aufs Praktische. Letzte Ostern, da wäre uns eine Gans für dreißig Mark und Pfingsten gar eine für fünfzig Mark angeboten worden. Die Gemeinde gebe aber die Gänse mit sage und schreibe acht Mark für das Stück ab. Das sei doch gefundenes Geld.

Der Schlaumeier jedoch, der die Sache zum Klappen brachte, war Numero drei. Im echten Biedermannston sagte er: »Laßt nur! Es muß jetzt auch ohne Gans gehen. Vater (er nennt mich seit dem August 1914 nicht mehr »Papa«, sondern »Vater«) – Vater kann es jetzt nicht!«

Das traf. Mit der Rührung wäre mein hartes Herz wohl fertig geworden, aber es kränkte doch meinen Ehrgeiz, daß mir mein eigner Sohn nicht einmal acht deutsche Reichsmark zutraute. So sprach ich mit gelassener Handbewegung und kam mir selber fast historisch vor: »Wenn euch so viel daran liegt, wollen wir eine Gans kaufen!«

Die Kinder betrugen sich in den nächsten Minuten wieder höchst unvornehm. Sie lächelten nicht diskret und dankbar, sondern sie lachten und brüllten vor Jubel. Der genius loci entsetzte sich vor diesem Barbarenjauchzen; die kultivierten Gärten erschraken; mißbilligend knurrte von drüben ein Rassehund.

Aber der Rubikon war überschritten, es gab kein Zurück mehr. Und wie zur moralischen Unterstützung erhob sich mir in der Brust ein düsterer Rebellentrotz, der das nachbarliche Naserümpfen gar nicht erst abwartete, sondern grollend schon vorher dagegen zu Felde zog. Mochten die Frau Geheimrat rechts und der wacklige Exzellenzherr links von mir in Ohnmacht fallen – ein kühner Neuerer wollte ich die geheiligte Überlieferung durchbrechen und anser domesticus, die gemeine Hausgans, in unsere Villenkolonie verpflanzen. Etwas vom Geist der großen Revolutionäre kam über mich, und von Spartacus bis Bakunin grüßten mich grimmige Brüder. Es ist immer gut, welthistorische Anlehnungen zu haben.

Außerdem war ich überzeugt, daß der wunderliche Gänseverkaufsplan sang- und klanglos scheitern würde. Aus Mangel an Beteiligung …

Aber die Gänse kamen wirklich. An einem Sonnabend trafen sie ein, am Sonntag vormittag von neun Uhr ab sollten sie verteilt werden. Ausgerüstet mit Mammon und kräftigen Ermahnungen zog die Köchin von dannen, um den köstlichen Preis zu erwerben. Die Kinder sollten sich als Reservetruppen etwas mehr rückwärts in Deckung halten. Ich selbst überblickte vom Feldherrnhügel der nächsten Straßenecke die Schlacht.

Es war in der Tat eine Schlacht. Mit der Erkennungsmarke ihrer Ausweiskarte rückten die Sturmtruppen vor; wie Wimpel flatterten im Winde die Bänder an den Hamburger Häubchen der Dienstmädchen; das höhnische Schimpfen homerischer Helden drang bedrohlich herüber; heiser schon klangen die Befehle der im Waffenschmuck prangenden Polizisten. Und dazu klimperte auf umbrandeten Tischen das Geld, dazu erfüllte das schnatternde Getöse von tausend Gänsen die Lüfte, untermischt mit den letzten Ohnmachtsschreien halb zerquetschter Menschen.

Da bin ich schaudernd entwichen. Mein Vorort war nicht mein Vorort mehr.

Fünf Stunden später schwankte, der Auflösung nahe, aber eine schneeweiße Gans krampfhaft unter den Arm geklemmt, die Köchin heran. Sie hätte unter anderen Umständen unser Mitleid hervorgerufen, doch kein Mensch kümmerte sich um das unglückliche Opfer. Die gesamte Familie lebte nur noch für die Gans.

Unleugbar musterte man sich zunächst unter der Maske des Wohlwollens mit gegenseitigem Mißtrauen. Ich weiß nicht, ob alle Gänse blaue Augen haben – unsere Maruschka jedenfalls verfügt über ein herrliches Blau. Ich weiß nicht, ob alle Gänse solch einen edel geschwungenen Hals besitzen – unsere Maruschka hat ihn und kokettiert bewußt mit seinen köstlichen Linien und Windungen. Ich weiß nicht, ob alle Gänse an der Schnabelspitze einen wachsgelben Halbkreis tragen – unsere Maruschka trägt ihn wie ein Schönheitspflästerchen, das ein großer Meister hingetupft hat.

Doch ich will nicht schwärmen. Ich lehne es ab, auf weitere Einzelheiten einzugehen – auf den schneeigen Flaum des Gefieders – auf die blaß fleischroten Füße und den Gang, der Anmut mit Würde verbindet, – auf die bedeutsame Neigung, den Vorderleib etwas hoch zu tragen.

Schon nach kurzer Besichtigung hatte die Gesamtfamilie jedenfalls das unerschütterliche Bewußtsein erlangt, daß Maruschka eine Perle war. Und als der holde Fremdling von der Ostfront uns dann der Reihe nach verbindlich diskret anschnatterte, da drängte das innere Fühlen stürmisch nach sichtbarem Ausdruck. Wir wollten unserer Gans das erste Liebesmahl rüsten – und wenn es einen Taler kostete! Zur rechten Zeit muß der Mensch auch einmal verschwenden können.

Die Kinder zerrissen sich fast vor Opferseligkeit. Das letzte Schokoladenstückchen, die schönsten Sauerkirschen wollten sie hingeben. Sie waren traurig, als sie hörten, daß die Gans dergleichen nicht schätzt. »Aber was frißt sie denn, Vater?« fragten sie mit enttäuschter Stimme.

»Was sie frißt? Ihr wißt nicht einmal was eine Gans frißt?« Nein – da hörte doch alles auf! Ich war empört, verblüfft, erschüttert über diese schreckliche Naturentfremdung der modernen Menschen. Jeder Dorfjunge mußte sich halbtot lachen. Hier aber standen die Kinder eines gebildeten Hauses – meine Kinder – und machten verlegene Mienen.

Ich habe ihnen den Abgrund klargemacht, in den ihre Frage mich schauen ließ. Ich fand den Brustton der Überzeugung. Und heimlich zermarterte ich mir unterdessen das Gehirn: Was antwortest du? Was, zum Henker, frißt solch Vieh eigentlich?

Mit blitzartiger Geschwindigkeit jagen Bilder und Ideen durch meinen Schädel: Die Gänse der Penelope bevölkern den Hof des edlen Dulders Odysseus; die Tempelgänse des Kapitols retten die Burg vor Brennus und den Galliern; in China wird die Gans als Symbol ehelicher Treue verehrt; in Nürnberg steht das famose Gänsemännchen – immer mehr Erinnerungen, klassische und moderne, drängen heran. Gott sei Dank, man hat ja etwas gelernt, man hat etwas gelesen, man kann eine Abhandlung über die Gans in Sage, Kunst und Dichtung schreiben. Aber wird Maruschka davon satt? Werden die Kinder davon klüger? Sie wollen wissen, wovon sich die Gans nährt. Meine väterliche Autorität steht auf dem Spiele. Schockschwerebrett – was frißt solch Vieh?

»Die Gans« sagte ich, »nimmt selbstverständlich allerlei Nahrungsmittel zu sich. Sie ist eine Art Wasservogel, was ihr schon an den Schwimmhäuten zwischen ihren Zehen bemerkt. Deshalb ist Wasser in erster Linie für sie wichtig, und bevor wir sie weiter atzen, bringt ihr zuerst zu trinken!«

Heil und Sieg, die Bälger rasten fort! Ich aber floh inzwischen, über das schöne Wort »atzen« innerlich beglückt, zum hilfreichen Konversationslexikon und studierte in fliegender Eile den Artikel Gänse. Geladen mit Wissen kehrte ich zurück, meinen staunenden Sprößlingen ohne Stocken und Erröten die Worte Gerste, Kleie, Mohrrüben, Kartoffeln, Biertreber, Hafer, Mais, Gemüseabfälle und Grün aller Art vorschnurrend. Ich fühlte, welche Ehrfurcht sie vor ihrem erfahrenen Erzeuger gewannen, und fünf Minuten später schwärmten sie als Furiere schon nach den verschiedenen Windrichtungen, um trotz des Sonntags die verschiedenen Gänge des Liebesmahls heranzuschaffen.

Ach, sie kamen geknickt wieder! Gerste? Gab es nicht. Hafer? Mais? Kleie? Hohngelächter der Hölle! Ratlos starrte die Familie sich an. Ich begriff zum erstenmal die Futternöte der Landwirtschaft. Da hatten wir nun eine Gans – eine schöne Gans, das Ideal einer Gans, eine Helfferich-Gans, die uns zum Durchhalten helfen sollte, und schon sahen wir sie im Geiste elend abmagern und an Entkräftung sterben.

In einem großen Kriegsrat haben wir am Familientisch die schwierige Frage überlegt. Brot hatten wir bei dem gesunden Hunger der Unmündigen selber knapp genug; Mohrrüben … ach, du liebe Güte, sie waren so teuer, daß wir unsere Gans beinahe ebensogut mit Reichskassenscheinen hätten füttern können. Grau, grau drohte die Zukunft.

Aber inzwischen hatte Maruschka das Problem auf ihre Weise gelöst. Sie war hinüberspaziert auf die smaragdgrünen Rasenflächen, die nach dem Millimeter geschnitten waren. Das Herz wollte mir einen Augenblick stillstehen. Sie rupfte, sie zupfte, sie hob kaum den Kopf. Sie war in emsigster Tätigkeit. Vorne fraß sie und hinten – verzeihen Sie das harte Wort – verdaute sie. Sie verwandelte den köstlichen Rasen mit ungeheurer Geschwindigkeit zu unsichtbaren Nährstoffen und allzu sichtbaren Abgängen. Es schnitt mir ins Herz, aber es war doch gleichzeitig eine naturwissenschaftliche Merkwürdigkeit. Ich würde, wenn wir noch in der Zeit des Naturalismus lebten, eine genauere Schilderung geben, aber bei der modernen romantischen Stilrichtung erscheint mir dies nicht ratsam.

Seitdem ist eine Woche vergangen. Leser, wenn du an meinem Garten vorüberwandelst, verhülle dein Haupt! Ich rede nicht darüber, da niemand verlangen kann, daß man sich selber bloßstellt. Wo sind die Flächen, die wie weicher, grüner Samt das Auge erquickten? Wo die Wege, die selbst die Spuren eines Fußes nicht zeigen durften? Ach, und selbst mit dem revolutionären Trotz ist es nichts. Die Frau Geheimrat links und der Exzellenzherr rechts – sie haben auch Gänse! Es schnattert von allen Seiten; es schnattert in den Morgenschlaf hinein und überschnattert den Springbrunnen; es ist die größte Umwälzung, die der Weltkrieg bisher in unserer Villenkolonie hervorrief.

Ja, und was Maruschka betrifft: sie fühlt sich großartig. Sie lehrt uns tagtäglich Neues. Sie hat uns durch Bisse in den Finger bewiesen, daß sie zu den Zahnschnäblern gehört. Sie macht uns klar, daß sie ein Gesellschaftsvogel ist, und besteht auf Familienanschluß. Wie ein Hund läuft sie hinter jedem von uns her. Ob wir Gäste haben oder nicht: sie erscheint auf der Freitreppe und steigt zur Veranda empor, wo sie im Kreise meiner Lieben mitredet. Wird sie nicht genug beachtet, so zupft sie mich energisch am Rock und schnattert liebenswürdig: Bitte sehr … was soll das?

Als Kriegsvogel hat sie leider auch gewisse rohe Sitten. Sie juckt sich oft höchst andauernd, so daß ich bereits die Anfrage an die Gemeindeverwaltung gerichtet habe, ob sie auch einen amtlichen Entlausungsschein aus dem Osten mitgebracht hat.

Sie kann sich ferner nicht entschließen, den freien Lauf ihrer gesegneten Verdauung wenigstens auf der Veranda zu hemmen. Meine Dienstboten haben mir deshalb gekündigt. Sie behaupten, für landwirtschaftlichen Betrieb nicht gemietet zu sein. Gott weiß, was uns noch bevorsteht.

Aber nur Mut, wird der freundliche Leser sagen, alle Sorgen und Nöte werden einst herrlich belohnt werden. Neidvoll wird er des Tages gedenken, da Maruschka, von den zartesten Rasenspitzen genährt, in der Pfanne liegt und ihre höchsten Vorzüge entwickelt.

Ach, lieber Leser – du kennst uns nicht. Ich weiß, wie es kommen wird. Ich weiß, daß Tränen der Entrüstung in sechs Kinderaugen blinken, wenn die Mordabsichten auf unsere Gans zutage treten werden. Ich weiß, daß mein eignes Herz das Todesurteil nicht wird sprechen können. Maruschka wird bei uns alt, Maruschka wird bei uns zäh werden, Maruschka wird nach einem friedlichen Lebensabend mit einem letzten Dankgeschnatter sanft entschlafen, und die Kinder werden sie feierlich in dem Boden bestatten, den sie so treulich gedüngt hat.

Es ist nichts dagegen zu machen. Und sollte mir einer der gerührten Leser etwa jetzt oder später einen der lieblichen Vögel als Genußmittel zudenken, so muß ich darauf bestehen, daß er gerupft und bratfertig eintrifft. Sonst geht es uns auch damit wie mit Pani Maruschka aus Wloclawek, der »ungegessenen« Kriegsgans.

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