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Siebzehntes Kapitel

Verloren und gefunden.

Eines Tages verfügte sie sich wirklich einmal wieder nach ihrem Zimmer und zündete ein Wachslicht an, in der Absicht, die in ihrem Schranke befindlichen Erinnerungszeichen zu verbrennen. Als sie sie herausgenommen und angesehen hatte – sie zu lesen versuchte sie nicht, – was ratest Du wohl, daß sie dann that?

Sie bückte sich über sie mit flammenden Wangen, fast ohne es zu wissen, tiefer und tiefer, bis ihre weichen Lippen eine Karte mit Karls Namen daraus berührten – und dann schreckte sie zurück, schob die Sachen verdrießlich beiseite und quetschte sie zusammen, schloß sie wieder in die Schublade ein und verließ, nachdem sie das Licht ausgeblasen, das Zimmer. Sie traute sich nicht, es zu thun! Sie hatte ihren Herrn und Meister gefunden und war nun, nachdem sie andere erobert und geschmäht, zu der bitteren Empfindung gelangt, sich selbst zu schmähen!

Es verstrichen vier Wochen, ehe alles Geschäftliche vollständig erledigt war, und nun sagte Käthe, sie wäre der Sache überdrüssig.

Villa Davenant wäre, so schrieb der Verwalter des letzten Besitzers, zu ihrem Empfange fertig, und mancherlei Dinge erheischten dort ihre Anwesenheit. Ob es ihr Wunsch sei, daß die Gewächshäuser imstande erhalten würden? Und was mit den Pferden werden sollte?

»Ich denke mir, daß es besser wäre, hinzugehen,« sagte die junge Dame, den Brief in ihren Fingern drehend, und zuckte die anmutigen Schultern – und demzufolge fing sie an, ihre Vorbereitungen zu treffen. War sie traurig? Sie sagte so zu Mrs. Armadale; sie sagte so zu den Kindern, die jetzt in der Rekonvalescenz begriffen waren. Zu Karl sagte sie das nicht. Sie sagte ihm, sie sei im Begriff zu fahren, und ließ ein leises, siegesbewußtes Lachen hören, als wenn sie sich des Gedankens an ihre in Aussicht stehende Gewalt freute. Sie saß in dem Wohnzimmer und lehnte sich zurück in den nämlichen Stuhl, in welchem sie am ersten Abend ihrer Ankunft gesessen, und ihre Hände lagen müßig über dem Schoße gekreuzt, als sie zum erstenmale darüber redeten.

»Ja, wirklich! ich freue mich!« sagte sie. »Ich wünschte das Geld zu bekommen, und nun habe ich es. Ich liebe Mrs. Armadale und liebe die Kinder; aber mein ganzes Leben lang Gouvernante zu sein, darnach hat es mich nicht verlangt. War das unrecht?« fragte sie – und plötzlich schlug sie hell und klar ihr Gesicht zu dem seinen auf, und das war ein so kühner schauspielerischer Zug, wie sich kein anderes Weib getraut haben würde, denn die ganze Zeit über war sie schwach und kranken Herzens.

Nein! er glaubte nicht, daß es unrecht wäre. Wie könnte es auch unrecht sein? – Und dann blickte er sie au – und ihre Wangen wurden heiß – und sie konnte nicht anders, als sich abwenden.

Es wäre nicht ihr Wille, sagte sie zu Mrs. Armadale, eine beauté zu werden, – sondern eine Samariterin, eine Krankenpflegerin, und um baumwollene Schlafmützen für gichtbrüchige Spitals-Insassen zu fertigen, bedürfe es keiner sehr teuren Vorkehrungen ihrerseits, und übrigens wünsche sie, von ihrer Zeit den möglichst ausgiebigen Gebrauch zu machen. So wartete sie denn, als ihre Koffer gepackt waren, das Baby ab und schwatzte ihm allerhand albernes Zeug vor. Dann erzählte sie Johny Geschichtchen und sang Klara kleine Liedchen vor, die gemeinhin damit endigten, daß sie ihr einen dünnen Nebel vor die Augen führten. Karl saß während dessen in seinem Atelier. Er hörte ihre süße Stimme in dem Krankenzimmer, und das Rauschen ihrer Gewänder auf den Gängen – und als er's vernommen, da flog sein Pinsel beiseite, und mit einem bittern Stöhnen verbarg er sein Gesicht in seinen übereinander gefalteten Armen.

»Es hätte sein können!« sprach er – »ach! Käthchen! Mavourneen! Mavourneen!«

Wie man sie vermissen würde! Das merkten sie alle heraus und sprachen darüber, und während er solchen Reden lauschte, erwachte er zu der energischen Wahrheit, daß er sie noch immer liebte, und daß er – er sie auch vermissen würde; daß, wenn sie fort sein würde, das ganze Haus ihm vereinsamt vorkäme.

Was sie nun anbetrifft, so war sie sehr froh, daß die Zeit gekommen, wo die Geister gebannt werden würden. Sie wurde fieberhaft erregt und ungeduldig. Sie wachte manchmal in der Nacht auf, schreckte nervös zusammen und lag dann, ohne Schlaf zu finden, in trägem Fragen, wie lang noch ihr Leben währen würde – und ob denn keine Veränderung darin eintrete und ob sie als reiche, einsame Dame leben und alt werden und sterben würde? Sie wollte sich bemühen, recht gütig zu sein, dachte sie unbestimmt, und Barbara und Barbaras Kinder sollten zu ihr kommen und bei ihr wohnen, und sie wollte sich befleißigen, ihnen, wenn sie bei ihr sein würden, das Leben in ihrem großen, stillen Hause und mit ihrem Reichtum recht angenehm zu machen.

Und dann meinte sie, sie würde alt werden und verblühen, und dann würde es mit dem Leben endlich zur Neige gehen. Aber bei diesem Schlusse – (sie war dreiundzwanzig Jahr alt und eine Frau) – da vergaß sie in der Regel irgendwie ihre Weisheit und wurde ungeduldig, auch während sie sich nicht zu fragen gestattete, was hinter der Ungeduld denn stecke.

Drei Tage etwa vor ihrer in Aussicht genommenen Trennung kam Mrs. Armadales Gouvernante zu einem letzten Plauderstündchen nach dem Krankenzimmer. Es hatten sich alle schon zurückgezogen, nur Miß Davenant trat, nachdem sie sich umgekleidet und ihren Schlafrock angelegt hatte, in das Zimmer. Ein großer roter Shawl in milden Farben war um sie geschlungen, der aber durchaus nicht frischer aussah als ihre sanften Wangen. Sie hatte ihr Haar aufgebunden und schickte sich an, es für die Nacht hochzubinden.

»Ich möchte ein wenig plaudern,« sagte sie mit einem Seufzer und setzte sich auf einen niedrigen Stuhl neben dem Ofen. »Ich – ich weiß es nur nicht zu erklären. Aber ich komme mir heut Abend ziemlich selbstsüchtig vor – ich möchte von mir selbst einiges sagen.«

»Dann, bitte, sagen Sie es!« erwiderte Mrs. Armadale – »ich werde gewiß erfreut sein, Ihnen zuzuhören. Was liegt Ihnen auf dem Herzen?«

Es trat eine kurze Pause ein, in welcher Miß Davenant eine dicke, glänzende Flechte ihres Haares um ihre Finger drehte und sinnend in das Feuer blickte.

»Ich weiß nicht,« sagte sie endlich mit kurzem, leisem Lachen, das wie ein kurzer, leiser Seufzer klang – »bin neugierig, ob Sie es mir vielleicht sagen können, Mrs. Armadale?«

Barbaras Augen wurden langsam aufgeschlagen und hefteten sich mit fragendem Blick auf das schöne Gesicht.

»Meine liebe Käthe,« sagte sie in dem ihr eignen trauten Tone, »ich meine, Sie können am besten selbst für sich reden.«

Käthe blickte rasch auf.

»Sie erinnern sich, was ich Ihnen einstmals gesagt,« begann sie. »Ich nannte keine Namen, denn ich konnte andere nicht betrügen. Nun! es ist dieselbe Geschichte wieder von vorn. Ich bin meiner selbst überdrüssig. Ich weiß nicht, was ich mit mir machen soll.«

Barbara legte ihre Hand auf den Arm des Mädchens.

»Sie sagten mir anderes,« versetzte sie mild. »Sie sagten mir, daß Sie in dem, was Sie gethan, ein großes Unrecht gethan hätten; Sie sagten, daß Sie den Mann, dem Sie unrecht gethan, mehr geliebt hätten als irgend einen anderen Menschen. Liegt es gänzlich außer dem Bereiche Ihrer Macht, das Unrecht wieder gut zu machen, das Sie gethan?«

Sie gab zuerst keine Antwort. Ihr Herz schlug wild und ungeduldig.

»Ich kann es niemals wieder gut machen!« sagte sie, während sie die scharlachrote Franse ihres Shawls durch die Finger gleiten ließ. »Eine Frau darf nicht sprechen, wie ein Mann sprechen darf. Weil ich eine Frau bin, muß ich meine Reue in mein Herz verschließen. Ich bin unglücklich und muß nach außen hin doch sagen, ich sei glücklich. Was für ein Leben führen wir Frauen?«

»Sie sagen, Ihr Liebesroman nahm sein Ende vor vier Jahren?« fragte Barbara wieder nach einer Pause.

»Ja,« erwiderte sie mit leiser Stimme – »vor vier Jahren.«

»Wann – als Sie in Newport waren?«

»In.«

Beide Augenpaare hoben sich leise und trafen einander mit einem blitzartigen Aufzucken: dann senkte sich das eine der beiden Paare, und Käthe wandte den Kopf zur Seite.

Es währte einige Minuten, bevor sie wieder sprachen, und dann schien die Unterhaltung ein wenig zu schwanken.

Barbaras Herz war voll zum Überlaufen. Gerade der eine, auswärts gerichtete Blick hatte ihr alles gesagt, und es schien, als sei nun nichts weiteres mehr zu sagen. Dennoch schlug die Glocke die zwölfte Stunde, ehe sie auseinander gingen.

Als der letzte Glockenschlag verhallt und Stille eingetreten war, erhob sich Miß Davenant von ihrem Sitze und schlang den scharlachnen Shawl um ihre mit weißer Robe bekleidete Gestalt. Dann blieb sie vor Mrs. Armadale stehen – in leichtem Zaudern, ob sie gehen oder noch warten sollte.

»Ich möchte Ihnen etwas sagen, ehe ich fortgehe,« sagte sie mit leiser Stimme, »ich möchte Ihnen für etwas danken. Mrs. Armadale, in der ersten Zeit, als ich hierher kam, da war ich verbittert und weltlich gesinnt und stand unter dem Druck einer Enttäuschung. Ich hatte nichts als Selbstsüchtigkeit und Ränkesucht kennen gelernt – und war selbst nicht anders als selbstsüchtig und ränkesüchtig gesinnt. Ich glaube nicht, daß ich die edle, hehre Seite des Lebens kennen gelernt hatte. Ich erwartete nicht, glücklich zu werden; ich rechnete bloß, mein Gehalt als Dienerin des Hauses zu erhalten, und wollte für mich, streng für mich bleiben, weil mein Stolz es nicht anders zuließ. Ich hatte keine Mutter, die mir ratend und sorgend zur Seite stand« – hier bebte ihre Stimme leise – »und so war ich genötigt, mir selbst zu raten und für mich selbst zu sorgen. Als ich aber den Fuß hierher setzte, da schien es, als wenn mir die Augen ausgingen. Sie waren glücklich und Ihr Herr Gemahl war glücklich, und Ihre Kinderchen nicht minder. Und doch hatten Sie, als Sie Mr. Armadale Ihre Hand reichten, alles vergessen, außer daß Sie ihn liebten. Ich bin dreiundzwanzig Jahr alt, Mrs. Armadale« – ihre Stimme sank und brach sich in einem Schauer van leidenschaftlichen Schluchzern. »Ich bin dreiundzwanzig Jahr alt, und Sie sind die erste Frau, die mir in Liebe zugethan gewesen ist, die mich geküßt hat, weil ich ein Mädchen war und allein dastehe in der Welt. Ich werde Ihnen das nie vergessen – ich kann das nie vergessen. Sie haben mir gezeigt, wie glücklich ein gutes, braves Weib werden kann. Ich möchte Ihnen für diese mir bewiesene Güte und Freundlichkeit meinen Dank sagen.«

Barbaras beide Arme legten sich um ihren Hals und Barbaras weiche Wange preßte sich gegen die ihrige. Es schien, als wenn das Herz des liebevollen kleinen Wesens voll war fast zum Brechen.

»O, mein liebes, liebes Kind!« sagte sie, während sie Käthe herzte und küßte – »wenn ich jemals die Empfindung in Ihnen geweckt habe, sich weniger einsam zu fühlen, o! wie glücklich bin ich dann! Ich habe Sie immer lieb gehabt vom ersten Augenblick an, und habe mich bestrebt, Ihrer zu denken, als wären Sie mein groß gewordenes kleines Klärchen. Ich hoffe und denke, daß Sie glücklich werden. Zuletzt werde ich Sie vielleicht doch noch als die Gattin eines guten, braven Mannes sehen, die ihrem Gatten und ihren Kindern in Liebe zugethan ist, und die Gott im Herzen dankbar ist. Ich hoffe, daß dies der Fall sein werde – ich hoffe das ganz bestimmt!«

Und sie hielt das freundliche Gesicht ein wenig von ihr ab und küßte es aber- und abermals.

Der nächste Tag verfloß still und ruhig, man möchte fast sagen, träge und einsilbig, und als endlich der Abend kam, da saßen Mr. Armadale und seine Frau, mit Karl und Käthe in dem Wohnzimmer und plauderten beim trauten Schein des Feuers.

»Wir brauchen, bitte, wohl kein anderes Licht,« meinte Miß Davenant. »Dunkelheit paßt heute so recht zu meiner Stimmung.«

Sie war ruhelos und aufgeregt. Barbara hatte sie nie vorher so strahlend gesehen und blickte mit Unbehagen auf ihre scharlachrot gefärbten Wangen.

Sie saß in der roten Glut des Feuers und sprach zu ihnen, wie eben nur sie sprechen konnte, Blitze von anmutigem Sinn und Unsinn schleudernd, die von fast blendender Helligkeit waren. Es rieselte durch alles eine sarkastische Ader, deren Zauber man sich absolut nicht zu entziehen vermochte, trotzdem sie sarkastisch war; und sie hatte ganz jenes Aussehen der Circe mit ihrem zarten Anflug von tiefer Röte und ihren großen Purpur-Augen, ihrer weichen, milden Stimme und ihrem wunderbaren Lächeln, so daß Karl sich darüber ertappte, daß er, förmlich durchschauert von Wonne, zusammenfuhr und ihr zuhörte, während etwas wie ein tiefes Weh ihm durch das Herz schnitt. Sie neckte leise – halb als wenn sie im Scherze redete – über ihre Kenntnisse und Erfahrungen: und sie scheute sich nicht davor zu lachen, da sie ja wußte, wie die Welt sie betrogen hatte.

Es war spät, als sie sich alle zurückzogen: wenigstens alle, um es korrekt auszudrücken, bis auf Karl, der, sich selbst überlassen, seinen Stuhl näher an das Feuer rückte und sich darüber bückte, grübelnd und sinnend inmitten des Grabesschweigens. Morgen wollte sie fort von hier, und dann – dann würde alles vorbei sein. Das gemalte Bild oben auf der Treppe hatte ihm zugelächelt aus seinem Rahmen, während er aus der Thür heraus trat, und es schlich sich ihm jetzt eine Grille in sein Herz, daß er die Bilder vor fremden Blicken verstecken und sein Heim Barbara und den Kindern überlassen, sich selbst aber von hier entfernen wolle, um draußen in der Welt sich durch Reisen und harte Arbeit zu stählen. Der Anblick von Käthes süßem Antlitz hatte ihm Qualen bereitet, aber der Verlust derselben würde ihn dem Wahnsinn in die Arme treiben.

Er hatte eine halbe Stunde allein gesessen, während sich diese Gedanken seinem Geiste in halber Deutlichkeit zeigten, als er jemand leise die Treppe hinunter kommen hörte, dann flog die Thür auf und Miß Davenant trat ein, augenscheinlich in der Meinung, es sei niemand in dem Zimmer. Sie war, wie es den Anschein hatte, auf einem unvermuteten Wege hier herunter gekommen. Die Scharlachröte war von ihren Wangen gewichen, und im Gegensatz zu der schweren Düsterkeit ihres dunklen, wallenden Purpurshawls sah sie in ganz wunderbarer Weise der marmornen Clytia in ihrer marmornen Weiße ähnlich.

Sie trat zu dem Tische heran, und nachdem sie eine Zeitlang gesucht hatte, griff sie nach einem kleinen Buche, und dann erst war es, als wenn sie Karls ansichtig würde, und sie drehte sich um.

»Ich bitte um Verzeihung,« sagte sie, leicht zusammenschreckend. »Ich vermutete nicht, hier jemand zu finden. Ich kam wegen eines Buches her, das ich habe liegen lassen.«

Sie trat, während sie redete, zu dem Kamin: augenscheinlich legte sie sich Zwang auf, die Herrschaft über sich nicht zu verlieren, und als der rote Glutschein auf sie fiel, da sah er, daß matte Schatten um ihre Augen lagen, und die Lider gleichsam schwer von Thränen waren.

»Das Buch ist ein altes Lieblingsstück von mir,« sagte sie, »und als ich meine Koffer abschloß, vermißte ich es. Ich reise morgen ab, wie Sie wissen.«

»So schnell? so bald?« fragte er, gleichsam ohne es zu wissen, und streckte die Hand aus nach dem Buche.

Es war eine reizende Ausgabe von Longfellows »Evangeline«, und er hatte in Newport ihr aus demselben Buche Stellen vorgelesen. Eines Tages, er besann sich gut darauf – denn wie hätte er es je vergessen können? – da waren sie zusammen nach dein »Felsenknie« gegangen und hatten sich über die Treue der Heldin, wie Mann und Frau über solches Thema sprechen können, unterhalten: und jetzt vermeinte er, er könnte ihr Gesicht fast wieder sehen, wie sie lächelte und ihm sagte, daß niemand als eine Frau so treu und wahr hätte sein können. Er wußte kaum, wie es kam, aber er fing an, langsam die Blätter zu wenden, mit einem unklaren Verlangen, die Stelle, die er damals gelesen, wiederzufinden.

Es trat auf einen Augenblick Schweigen ein, nachdem er die Worte »So bald?« gesprochen hatte! aber schließlich ward die Stille gestört durch eine unruhige Bewegung auf seiten Käthes, und er blickte zu ihr auf. Sie war stolzen und vielleicht auch ein wenig kalten Sinnes: aber wenn sie die Vergangenheit hätte ungeschehen machen können, so würde sie sie ungeschehen gemacht haben; und nun sie scheiden mußten, vielleicht auf ewig, da wurde sie von dem Wunsche erfüllt, ihm diejenige Genugthuung zu teil werden zu lassen, die sie ihm zu teil werden lassen konnte. Sie hatte ihm vormals getrotzt und sich beflissen gezeigt, ihn zu demütigen; und ihre weltliche Erfahrung lehrte ihr, daß eines Mannes schlimmstes Herzeleid Demütigung sei – und darum war sie jetzt beflissen, ihm diese Empfindung zu einer minder bitteren zu machen, ihrer Vollständigkeit einiges zu nehmen. Wäre sie bloß Mrs. Armadales Gouvernante gewesen, so würden die Worte niemals gesprochen worden sein. Jetzt aber war sie frei und durfte sich erkühnen, die Worte zu sagen, und er konnte nichts weiter in ihnen erblicken, als die Regung einer stolzen, durch die Stärke eben ihres Stolzes leicht gedemütigten Dame.

»Ja,« sagte sie mit leiser Stimme, »ich stehe im Begriff, morgen abzureisen. Wir sind nicht sonderlich gute Freunde zusammen gewesen, während wir hier unter dem gleichen Dache lebten, Mr. Seymour, aber ich möchte nicht jemand hier zurücklassen, der mir feindselig gesinnt ist. Ich habe Ihnen vor vier Jahren ein schweres Unrecht zugefügt und – und ich verdiene alle Bitterkeit, die Sie gegen mich hegen. Ich wollte Ihnen dieses sagen, ehe ich von hier schied, weil – weil –«

Ihre Stimme schwankte – zitterte – versagte. Karl hatte die Blätter des Buches umgeschlagen, während er ihren Worten lauschte – und gerade am Ende, da war etwas aus den Seiten des Buches herausgeglitten und nieder auf den Teppich gefallen. Ein paar Faden Seetang waren es, trocken und braun und mit einem silbernen Bändchen zu einem Liebesknoten verschlungen. So unbedeutend sah es aus, so wertlos; aber – es zerbrach die Schranken von Jahren.

Er hatte es an jenem Tage am »Felsenknie« aus dem Sande aufgehoben und es in das Buch gelegt, um die Stelle zu zeichnen. Sie hatte gelacht und die Schnur von ihrem Handschuh gelöst und zu dem wunderlichen, altmodischen Knoten geknüpft, während sie neckisch dabei sagte, sie wollte es als Erinnerung aufbewahren und wenn sie es ihm nach Jahren zeigen würde, dann sollte es ein Beweis dafür sein, daß sie ihm eine treue und wahrhafte – Freundin gewesen.

»Freundin« hatte sie gesagt, aber der rasche Niederschlag ihrer Augen hatte mehr gesagt, und er hatte die mit dem Handschuh bekleidete zierliche Hand als Antwort auf diese Rede geküßt.

Ach, was ich da erzähle! Wie heftig die beiden Herzen schlugen, als es wieder ans Licht trat, das bißchen Seetang, mit all' der Macht der Erinnerung, die an seinen gebrechlichen Halmen hingen – und den matten Duft der salzigen See von sich gab, der ihm anhaftete! Einen Augenblick lang zeigte sie ein jähes Erröten, im anderen erblaßte sie – und dann stand sie still und wartete, nur zu sehen, was daraus entstehen würde, jegliches Zucken ihres Herzens erspähend, das schwer und mühsam zu arbeiten schien.

Er bückte sich, weiß bis zu den Lippen, hob das Grasbüschelchen auf – und dann sah er sie an – sah sie einen Augenblick lang an, ohne die Stille, die über ihnen lag, durch ein Wort zu stören.

»Sie haben es aufbewahrt?« fragte er endlich.

Dieselben Worte hatte sie zu ihm gebraucht, aber seine Stimme hatte einen stark heiseren Klang.

Es schien, als hatte sie alles umsonst vollführt. Sie hatte ihre Rolle monatelang gespielt, und nun hatte ein bißchen braunes Seegras bewiesen, daß es alles Komödie war, und hatte ihren Stolz bis in den Staub erniedrigt. Es half ihr, nützte ihr jetzt nichts mehr. Sie konnte ganz ebenso gut die volle Wahrheit sagen.

»Ja,« gab sie ihm zur Antwort, »ich hob es auf, Mr. Seymour,« – und dann blickte sie zur Seite.

Er stand von seinem Stuhle auf und schritt auf sie zu, genau ebenso, wie er es an jenem letzten Tage in Newport gethan hatte.

»Warum?« fragte er.

Die Macht lag jetzt in seinen Händen. Ihre Plätze hatten gewechselt.

Sie gab keine Antwort. Sie sah ihn nur an mit ihren schönen Augen.

»Sagen Sie mir,« begann er wieder, »sagen Sie mir, warum?«

Da brach ihr Stolz und ihr Groll und ihre Demütigung zusammen.

»Es gehörte Ihnen,« sagte sie leidenschaftlich und bitteren Tones. »Sie gaben es mir in Newport, als wir beide besser waren, als wir es jetzt sind. Ich habe nichts davon vergessen. Das ist die Antwort auf Ihre Frage warum? Und nun – nun lassen Sie mich gehen!«

Sie versuchte, ihre Hände aus der Umklammerung in welcher er sie hielt, zu befreien.

Aber er hielt sie fest – fest und kräftig – in einer Art von grimmiger Verzweiflung.

»Sollen wir denn einander nie mehr verzeihen?« rief er. »Können wir denn keiner einander verzeihen? Es hängt oben ein Bild mit einem kindlichen unschuldigen Gesicht. Ich habe Sie geliebt, Käthe, als Sie noch dieses Kind waren. Ich habe Sie geliebt, als Sie zur Jungfrau herangewachsen waren. Ich habe Sie geliebt all' mein Leben lang – und Sie werden meine Seele entweder erretten, oder sie ins Verderben stürzen. Lassen Sie uns versuchen, das Unrecht zu vergessen, das wir verübt haben. Lassen Sie uns versuchen, die Zukunft minder selbstlos zu gestalten, als die Vergangenheit gewesen. Werden Sie mein Weib und helfen Sie mir so, was ich vom Himmel verloren, wieder zu gewinnen. Erheben Sie Ihr Angesicht auf zu mir – es verlangt mich darnach, es zu sehen! O! wenn die Vergangenheit bloß ein Traum gewesen wäre, Käthchen! Mavourneen! Mavourneen!«

Er umschlang sie mit den Armen, als wenn sie ein Kind gewesen wäre. Er zog ihr Haupt an seine Brust. Er strich ihr das schwere Haar zurück und bedeckte ihre Augen, ihre Wangen, ihre Lippen mit Küssen, wie niemand thun kann, als ein Mann, der eine Heißgeliebte verloren und wiedergefunden hat.

Und sie – diese Circe, die zum erstenmal in den dreiundzwanzig Jahren ihres Lebens den rechten Platz gefunden hatte – warf alles von sich, das nicht wahr an ihr war, und redete, wie eine Frau reden wird, wenn ihr Herz sie übermannt und zwingt, edel- und großmütig zu sein. Sie hatten Schmerzen gelitten und einander Unrecht gethan, aber ihre Küsse überbrückten die alte Kluft und versenkten die gelittene Qual für ewige Zeiten in den Tod.

»Vergeben?« hallte es wider aus ihrem Munde. »Er war es, der vergeben mußte. Er war es, der vergeben mußte! Konnte das jemals der Fall sein? Konnte er ihr denn wieder vertrauen?«

So sprach sie, während schweres Schluchzen sich ihrer Kehle entrang – während er sie mit Küssen bedeckte und süße Worte zu ihr redete – und die Antwort, die er ihr auf solche Rede gab, waren neue Küsse.

Und dann setzte er sich wieder, während seine Arme sie noch immer umschlungen hielten – und sie kniete nieder vor dem Kamin, während ihr schönes Angesicht sich an seine Brust verbarg und ihre Augen sich senkten.

»Vierzehn Jahre!« sagte sie endlich – »beinahe vierzehn Jahre! Könnten wir sie wieder zurückbringen und besser gestalten! Könnten wir zurückbringen, was wir verloren haben!«

Wenn ein Mann eine Frau wahrhaftig liebt, so giebt es nichts als Eins in seinem Leben – und dieses Eine ist seine Liebe – alles beruht auf diesem Einen, auf alles, was sie zu ihm sagt, hat er bloß diese einzige Antwort – und diese Antwort lautet: »Ich liebe Dich!«

So verhielt es sich auch mit Karl Seymour.

»Verloren!« hallte es wider aus seinem Munde. »Nimmer verloren! So traurig wie jene Jahre auch gewesen, so haben sie doch Dich mir wieder gebracht, Mavourneen! Mein Liebling! Mein Herzchen! Mein Ein und Alles!«

Es währte lange, ehe sie ihm erzählte, wie es sich mit John Crozier verhalten: aber endlich wurde es doch erzählt.

»Ich war lange Zeit krank, nachdem Sie von Newport abgereist waren,« sagte sie. »Die Leute glaubten, ich würde sterben, und ich – ich hoffte, daß ich sterben würde. Aber es wurde wieder besser – ich war aber so elend, so unglücklich, daß sogar meine Tante mir zuletzt riet, das Verlöbnis zu brechen. Laß uns nie wieder davon sprechen. Liebe mich und versuche, mir zu vertrauen! Aber laß uns niemals, niemals wieder auf jene Zeit zurückblicken: denn der Gedanke daran würde meine Liebe zu Dir verringern. Versprich mir das! versprich mir dies eine!«

Und sie blickte zärtlich zu ihm auf.

Und er versprach es ihr, und drückte der Liebe altes Siegel auf das Gelöbnis, mit leiser Ehrfurcht und solcher Zärtlichkeit, daß ihr offenbar ward, daß sie endlich geliebt wurde, wie ein Weib geliebt werden muß, wie jedes Weib geliebt werden sollte, mit treuem, wahrem Herzen und großer Kraft, und einem Glauben so rein und lauter und vollkommen, wie eines Kindes Glauben.


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