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Erstes Kapitel

Circe.

Da trabt sie hin!« sagte Fayne, »auf ihrem flinken, behenden Rappen. Der tausend! wie sie reitet!«

Alle Männer stürzten zu dem Fenster hin, wie Männer es zu thun pflegen, wenn es gilt, eine weibliche Berühmtheit zu sehen. Drei von ihnen blickten hinaus – Brandon, Coyne und Meynell. Fayne hatte seinen Platz vorn am Fenster. Ein Mann hatte sich nicht vom Flecke gerührt – nämlich Karl Seymour: schöne Damen waren nicht sein Steckenpferd; deshalb blieb er sitzen, wo er saß, und ließ sich in seinem Skizzieren nicht stören.

»Sie,« nämlich Käthe Davenant, ritt am »Ozean-Hause« vorbei im blendenden Galopp, während ein Groom ihr auf dem Fuße folgte. Als sie außer Sichtweite war, setzten die Männer sich wieder auf ihre Plätze.

»Ich möchte wohl wissen, ob es wahr ist,« sagte Brandon, halb mit Zögern.

»Ob was wahr ist?« fragte Fayne.

»Hm – na, es heißt doch, sie sei eine schreckliche Kokette, wissen Sie! Sie sieht aber gar nicht so aus.«

Karl Seymour zuckte mit den Achseln.

»Seien Sie doch nicht so harmlos, mein lieber Kamerad,« sagte er. »Frauen sehen ›nach dergleichen‹ niemals aus. Harmlosigkeit ist ihre Haupt-Eigenschaft. Meinen Sie etwa, Eva hätte ›darnach ausgesehen‹, als sie Adam den Apfel gab? Nein! Wäre das der Fall gewesen, dann würde der männliche Teil der Menschheit zum mindesten bis heutigen Tags im Garten von Eden die Scholle gebaut haben.«

»Haben Sie die Dame jemals gesehen?« fragte Coyne plötzlich.

»Eva? Nein, soweit ich mich erinnern kann, nicht.«

»Miß Davenant meine ich.«

»Nein.«

»Nun,« meinte Coyne mit einem seltsamen Klange der Stimme – »bilden Sie sich keine Meinung früher, als bis Sie sie gesehen haben. Sie möchten sich sonst nachher ärgern. Es haben ältere Leute als Sie ihre ganze Glückseligkeit bei diesem Weib aufs Spiel gesetzt, und es würden weisere Männer, und Männer, die ebenso nüchternen Sinnes sind – (daß es viel gäbe, die nüchternen Sinnes sind, glaube ich nicht) – ihr Leben hingegeben haben für ein Lächeln von ihren Lippen.«

Mit den Händen in den Taschen ging er zum Fenster hin und fing an leise zu pfeifen. Eine kurze Stille folgte – einer von jenen unkontrollierbaren, stillen Momenten, die sich zuweilen über jemands Rede senken im Verein mit einer seltsamen Empfindung augenblicklichen Mißbehagens oder einer Warnung vor der Zukunft.

Coyne war der älteste von der Gesellschaft, die den Sommer in Newport verlebte. Käthe Davenant war zuletzt von allen gekommen, und da sie eine Dame war, und schön war, so wurde ziemlich freiherzig über sie gesprochen. Vielleicht war die Unterhaltung um so freiherziger geführt worden, weil Miß Davenants Ruf ihr nach Newport vorausgeeilt war. Die Leute hatten, und ganz besonders das stärkere Geschlecht, über Miß Davenant außerordentlich viel zu erzählen: zu allererst über ihre vollendete Schönheit, über den wunderbaren Zauber, den sie ausübte, über den feinen Geschmack, den sie in ihren Toiletten entfaltete; sodann, und das war das geringste nicht, über ihre Tante und Tugendwächterin, Mrs. Mortimer Montgomery. Die letztere Dame trug gewiß allem Rechnung, was die Gesellschaft als Bürgschaft wünschen konnte. Reich, von vornehmer Geburt, eine Dame, die in New York den Ton anzugeben pflegte, stand sie in dem Ansehen, daß dem, was sie als Brauch und Regel festzusetzen liebte, nicht widersprochen werden dürfe. Für Mrs. Davenant war das jedoch von keiner Bedeutung. Es hatte sich einmal irgend eine kecke Inquisitorin herausgenommen, in betreff Käthes eine Frage zu stellen, war aber kategorisch zurechtgewiesen worden. Mrs. Mortimer Montgomery hatte bloß ihr Lorgnon auf ihr aristokratisches Auge gesetzt und die Person »zu Boden gestarrt« und die Bemerkung dazu gethan: »Käthe ist meine Adoptivtochter« – worauf von Stund an der zudringlichen Person der Mund »gestopft« gewesen war.

So standen die Sachen, als sich Miß Davenant zum erstenmal in der Gesellschaft von Newport zeigte. Ihre Toiletten waren wahre Kunstprodukte, ihre Erscheinung war blendend und der Zauber ihres Wesens legte ihr alles zu Füßen. Sie mochte die Erbin von Millionen oder gar Billionen sein, oder – als arme Verwandte – einfach auf Mrs. Montgomery angewiesen und von ihr abhängig sein: gewiß waren es der Leute nicht wenig, für welche die Situation durch diese Unsicherheit an pikantem Reiz nur gewann.

»Donner und Doria!« rief der junge Spooney aus, der ein unbesungener Held auf dem Ausguck nach einem Vermögen war, »'s ist wie ein Lotteriespiel – lustig, aber gefährlich! Man setzt sein Geld und zieht entweder einen Gewinn oder eine Niete.«

Nun will ich zu den Männern zurückgehen, die mir zur Einleitung meiner Erzählung halfen.

Brandon, Fayne und Meynell haben eine Partie Billard zu spielen angefangen. Coyne und Seymour sind hinten verblieben. Der Mann mit den hellen Augen, energischen Zügen und dem herunterhängenden blonden Schnurrbart ist Karl Seymour; der Mann mit dem dunklen Gesicht, der sich über das Fenster lehnt, ist Angus Coyne.

»Ich besinne mich auf einen ganz ebensolchen Abend, wie diesen, den ich auch am Meeresstrande verlebte, vor neun – nein, schon zehn Jahren,« sagte Seymour und brach seine Rede mit einem kurzen, halb gezwungenen Lachen ab.

Coyne sah ihn an.

»Was!« rief er – »haben Sie auch schon Ihr romantisches Verhältnis?«

Seymour lachte wieder.

»Ja! gehabt! und zwar das älteste von allen! Ein romantisches Verhältnis mit einer neun Jahre alten Heroine.«

»Romantisch in der That,« sagte Coyne; »aber wie sind Sie denn da zur Romantik gekommen?«

Seymour warf sich in einen Armstuhl und blickte wieder, mit einem nachdenklichen Ausdruck im Gesicht, auf die See hinaus.

»Es passieren wunderliche Dinge im menschlichen Leben,« sagte er sinnend. »Ich blicke oft zurück auf mein Leben und wundere mich über den wechselnden Pfad, der uns alle zum selben Ende führt – zu einem Haufen Erde, der all unsre alten Fehler und Irrungen deckt. In meinem Leben hat es des Wandels und Wechsels im Überflusse gegeben, aber bloß einen einzigen Fall von Romantik, und ihn rief mir heut Abend Miß Davenant im Verein mit der See in die Erinnerung zurück.«

»Miß Davenant?«

»Ja, Käthe Davenant, wie Sie sagten; und eine Käthe oder ein Käthchen war meine kleine Heroine. Warten Sie ein Weilchen – Sie sollen sie sogleich sehen.«

Er ging zu seinem Schreibtisch und brachte ein Paket mit Zeichnungen zum Vorschein, die er vor seinem Freunde hinlegte.

»Da, sehen Sie sich sie an!« sagte er, und heller Glanz trat ihm in die Augen. »Das liebe, süße Ding! Käthchen Mavourneen – so pflegte ich sie zu nennen.«

Es waren etwa ein Dutzend grober Bilder – ein paar von größerem, ein paar von kleinerem Umfange, manche halb vollendet, manche tadellos und ausgemalt; aber alle nach einem und demselben Modell gezeichnet. Ein schlankes, behendes Kind von wildem Aussehen, mit großen Augensternen und wundervollem, in dichten Flechten liegendem Haar. Das hübscheste und gelungenste von allen war gemalt und zeigte sie barfuß und ohne Kopfbedeckung, bis zu den Knöcheln tief im Wasser stehend, mit Sammeln von Muscheln beschäftigt. Ihre Wangen zeigten blühendes Rot, ihr prächtiges, ungekämmtes Haar umwehte sie wie ein buntflammiges Banner und fiel ihr über die Schultern hernieder.

»Das war das erste Mal, daß ich sie gesehen,« erklärte Karl; »in einem kleinen Dörfchen an der Küste von Maine, wo sie mit ihrer alten Großmutter zusammen wohnte. Vor neun Jahren!« sagte er mit schwachem Seufzer. »Wie doch die Zeit verläuft!«

»Sie ist eine kleine Schönheit von berückendem Aussehen,« sagte Coyne; »was für ein Ende nahm denn ihre Geschichte?«

»Ein praktisches Ende. Vielleicht auch eins von etwas trauriger Art. Es nahm sein Ende mit meinen Abschiedswünschen und damit, daß Käthchen ihre Arme um meinen Nacken legte und mir mit ihrer lohfarbenen Mähne, während sie mich küßte, in die Augen wehte. Kein Weib hat mich seitdem geküßt; zuweilen meine ich, daß es überhaupt keinem Weib mehr einfallen würde. ›Käthchen Mavourneen‹ hat mir für alles, was Frauentum heißt, den Geschmack verdorben.«

»Daß nur sie nicht Ihrem Glücke verhängnisvoll werde!« scherzte Coyne. »Käthen sind gefährlicher Art; und dann, wissen Sie, ist dies Herzenskind von Ihnen jener gefährlichsten von allen Käthen – der Käthe Davenant, gar nicht so unähnlich?«

»Das will ich nicht hoffen,« sagte Seymour rasch. »Ich möchte vielmehr meinen, nein.«

»Und warum nicht?« fragte Coyne, ebenso rasch. »Sie sagen, Sie hätten die Kleine nie mehr wieder gesehen?«

»Nein; und ich weiß nicht, warum, außer daß ich meine kleine Käthe für mich selbst zu behalten wünsche. Ich mag die Leute nicht von ihr reden hören, während sie von Miß Davenant reden. Es mag Ihnen thöricht und romantisch erscheinen; aber ich glaube, wenn ich je wieder Käthe Ogilvie sähe, dann würde ich sie mir zum Weibe nehmen; und ich mag mich nicht mit dem Gedanken befreunden, daß Männer Wetten auf die Liebschaften meiner Frau geschlossen und sie ›die Circe‹ genannt haben.«

Coyne gab keine Antwort. Er weilte in Gedanken bei Käthchen Mavourneen – nicht Seymours Käthe, sondern ›Käthchen Mavourneen‹, jenem Liede, das Käthe Davenant ihm vor wenigen Monaten vorgesungen hatte in dem altmodischen Hotel-Garten an den Ufern des Rheins; denn Käthe und ihre Tante waren eben von einer zweijährigen Reise in Europa zurückgekehrt. Käthe Davenant war sein romantisches Verhältnis gewesen. War es gewesen, sage ich, weil das romantische Verhältnis jetzt vorüber war und er bloß einer von den vielen gewesen war, auf die von den Leuten Wetten gesetzt worden waren; bloß einer von den vielen, die dem Liebreiz des Weibes unterlegen waren, das sie ›die Circe‹ nannten.


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