Jacob Burckhardt
Die Kultur der Renaissance in Italien
Jacob Burckhardt

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Das wichtigste Ziel der Predigt aber ist, wie oben bemerkt, die Versöhnung von Streit und Verzichtung auf die Rache. Sie wird wohl in der Regel erst gegen Ende des Predigtkurses erfolgt sein, wenn der Strom allgemeiner Bussfertigkeit allmählich die ganze Stadt ergriff, wenn die Luft erbebtePareva che l'aria si fendesse, heisst es irgendwo. von dem Geschrei des ganzen Volkes: misericordia! – Da kam es zu jenen feierlichen Friedensschlüssen und Umarmungen, auch wenn schon Wechselmord zwischen den streitenden Parteien lag. Man liess wohl die bereits Verbannten zu so heiligem Vorhaben absichtlich in die Stadt kommen. Es scheint, dass solche »paci« im ganzen beobachtet worden sind, auch wenn die gehobene Stimmung vorüber war, und dann blieb das Andenken des Mönches im Segen auf viele Geschlechter hinaus. Aber es gab wilde, furchtbare Krisen wie die der Familien della Valle und Croce zu Rom (1482), wobei selbst der grosse Roberto da Lecce seine Stimme umsonst erhobJac. Volaterran. bei Murat. XXIII, Col. 167. Es wird nicht ausdrücklich gesagt, dass er sich mit dieser Fehde abgab, allein wir dürfen nicht daran zweifeln. – Auch Jacopo della Marca hatte einst (1445) nach ungeheuren Erfolgen kaum Perugia verlassen, als ein schrecklicher Rachemord in der Familie Ranieri geschah. Vgl. Graziani, l. c. p. 565, s. – Bei diesem Anlass muss darauf hingewiesen werden, dass jene Stadt auffallend oft von solchen Predigern besucht wird, vgl. p. 597, 626, 631, 637, 647.. Kurz vor der Karwoche hatte er noch auf dem Platz vor der Minerva zahllosem Volk gepredigt; da erfolgte in der Nacht vor dem grünen Donnerstag die schreckliche Strassenschlacht vor Palazzo della Valle beim Ghetto; am Morgen gab Papst Sixtus den Befehl zu dessen Schleifung, und hielt dann die gewohnten Zeremonien dieses Tages ab; am Karfreitag predigte Roberto wieder, in den Händen ein Kruzifix; er und seine Zuhörer konnten aber nichts als weinen.

Gewaltsame, mit sich zerfallene Gemüter fassten häufig unter dem Eindruck der Busspredigten den Entschluss, ins Kloster zu treten. Es waren darunter Räuber und Verbrecher aller Art, auch wohl brodlose SoldatenCapistrano kleidete nach einer Predigt fünfzig Soldaten ein; Stor. bresciana, l. c. – Graziani, l. c. p. 565, s. – Aen. Sylvius (de viris illustr. p. 25) war in seiner Jugend einmal nach einer Predigt S. Bernardinos nahe daran, in dessen Orden zu treten.. Dabei wirkt die Bewunderung mit, welche dem heiligen Mönche sich wenigstens in der äussern Lebensstellung nach Kräften zu nähern sucht.

Die Schlusspredigt ist dann ein lauterer Segensspruch, der sich in den Worten zusammenfasse: la pace sia con voi! Grosse Scharen begleiten den Prediger nach der nächsten Stadt und hören daselbst seinen ganzen Kreis von Reden noch einmal an.

Bei der ungeheuern Macht, welche diese heiligen Männer ausübten, war es dem Klerus und den Regierungen erwünscht, sie wenigstens nicht zu Gegnern zu haben. Ein Mittel hiezu war, dass man darauf hielt, nur MöncheDass es an Reibungen zwischen den berühmten Observantenpredigern und den neidischen Dominikanern nicht fehlte, zeigt der Streit über das vom Kreuz auf die Erde geflossene Blut Christi (1463). Ueber Fra Jacopo della Marca, der dem dominikanischen Inquisitor durchaus nicht nachgeben wollte, äussert sich Pius II. in seinem ausführlichen Bericht (Comment. L. XI, p. 512) mit einer ganz hübschen Ironie: Pauperiem pati et famem et sitim et corporis cruciatum et mortem pro Christi nomine nonnulli possunt; iacturam nominis vel minimam ferre recusant, tanquam sua deficiente fama Dei quoque gloria pereat. oder Geistliche, welche wenigstens die mindern Weihen hatten, in solcher Qualität auftreten zu lassen, so dass der Orden oder die betreffende Korporation einigermassen für sie haftbar war. Aber eine scharfe Grenze liess sich auch hier nicht festhalten, da die Kirche und also auch die Kanzel längst für allerlei Zwecke der Oeffentlichkeit, gerichtliche Akte, Publikationen, Vorlesungen usw. in Anspruch genommen war, und da selbst bei eigentlichen Predigten bisweilen dem Humanisten und Laien das Wort gelassen wurde (S. 261 ff.). Nun gab es ohnehin eine zwitterhafte MenschenklasseIhr Ruf schwankte schon damals zwischen Extremen. Man muss sie von den Eremitanermönchen unterscheiden. – Ueberhaupt waren die Grenzen in dieser Beziehung nicht fest gezogen. Die als Wundertäter herumziehenden Spoletiner beriefen sich immer auf San Antonio und, ihrer Schlangen wegen, auf den Apostel Paulus. Sie brandschatzten schon seit dem 13. Jahrhundert die Bauern mit halbgeistlicher Magie, und ihre Pferde waren dressiert niederzuknien, wenn man Satt Antonio nannte. Dem Vorgeben nach sammelten sie für Hospitäler. Massuccin, Nov. 18. Bandello III, Nov. 17. Firenzuola in seinem asino d'oro lässt sie die Stelle der Bettelpfaffen des Apulejus vertreten., welche weder Mönche noch Geistliche waren und doch der Welt entsagt hatten, nämlich die in Italien sehr zahlreichen Einsiedler, und solche erschienen bisweilen ohne allen Auftrag und rissen die Bevölkerung hin. Ein Fall dieser Art ereignete sich zu Mailand nach der zweiten französischen Eroberung (1516), freilich in einer Zeit grosser öffentlicher Unordnung; ein toscanischer Einsiedler, vielleicht von der Partei Savonarolas, behauptete mehrere Monate lang die Kanzel des Domes, polemisierte auf das heftigste gegen die Hierarchie, stiftete einen neuen Leuchter und einen Altar im Dom, tat Wunder und räumte nur nach heftigen Kämpfen das FeldPrato, Arch. stor. III, p. 357. Burigozzo, ibid., p. 431.. In jenen für das Schicksal Italiens entscheidenden Dezennien erwacht überall die Weissagung, und diese lässt sich, wo sie vorkömmt, nirgends auf einen bestimmten Stand einschränken. Man weiss z. B., wie vor der Verwüstung Roms die Einsiedler mit einem wahren Trotze der Prophetie auftraten (S. 154 f.). In Ermanglung eigener Beredsamkeit schicken solche Leute auch wohl Boten mit Symbolen wie z. B. jener Aszet bei Siena, der (1496) ein »Eremitlein«, d. h. einen Schüler in die geängstigte Stadt sandte mit einem Totenkopf auf einem Stecken, woran ein Zettel mit einem drohenden Bibelspruch hingAllegretto, bei Murat. XXIII, Col. 855, s..

Aber auch die Mönche selber schonten oft Fürsten, Behörden, Klerus und ihren eigenen Stand durchaus nicht. Zwar eine direkte Predigt zum Sturz eines Tyrannenhauses, wie die des Fra Jacopo Bussolaro zu Pavia im 14. Jahrhundert gewesen warMatteo Villani VIII, I, s. Er predigte zuerst gegen die Tyrannis überhaupt, dann, als ihn das herrschende Haus der Beccaria hatte wollen ermorden lassen, änderte er in einer Predigt selbst die Verfassung und die Behörden und nötigte die Beccaria zur Flucht (1357)., trifft man in den folgenden Zeiten nicht mehr an, wohl aber mutigen Tadel, selbst gegen den Papst in dessen eigener Kapelle (S. 263, Anm. [497]), und naive politische Ratschläge in Gegenwart von Fürsten, die dessen nicht zu bedürfen glaubtenBisweilen stellte auch das regierende Haus in bedrängten Zeiten Mönche an, um das Volk für Loyalität zu begeistern. Ein Beispiel aus Ferrara bei Sanudo (Murat. XXII, Col. 1218).. Auf dem Kastellplatz zu Mailand durfte 1494 ein blinder Prediger aus der Incoronata (also ein Augustiner) dem Lodovico Moro von der Kanzel her zurufen: »Herr, zeige den Franzosen den Weg nicht, denn du wirst es bereuen!«Prato, Arch. stor. III, p. 251. – Spätere fanatisch antifranzösische Prediger, nach der Vertreibung der Franzosen, erwähnt Burigozzo, ibid., pag. 443, 449, 485; ad a. 1523, 1526, 1529. Es gab weissagende Mönche, welche vielleicht nicht direkt politisierten, aber so schreckliche Bilder der Zukunft entwarfen, dass den Zuhörern die Besinnung verging. Ein ganzer Verein von solchen, zwölf Franziskaner Konventualen, durchzogen bald nach der Wahl Leos X. (1513) die verschiedenen Landschaften Italiens, wie sie dieselben unter sich verteilt hatten. Derjenige von ihnen, welcher in Florenz predigteJac. Pitti, Storia fior. L. II. p. 112., Fra Francesco di Montepulciano, erregte ein steigendes Entsetzen unter dem ganzen Volke, indem seine Aeusserungen, gewiss eher verstärkt als gemildert, auch zu denjenigen gelangten, welche vor Gedränge nicht selber in seine Nähe kommen konnten. Nach einer solchen Predigt starb er plötzlich »an einem Brustwehe«; alles kam, der Leiche die Füsse zu küssen, weshalb man sie nachts in aller Stille begrub. Aber den neu entzündeten Geist der Weissagung, der nun selbst Weiber und Bauern ergriff, konnte man nur mit grösster Mühe dämpfen. »Um die Leute wieder einigermassen heiter zu stimmen, veranstalteten hierauf die Medici, Giuliano (Bruder Leos) und Lorenzo auf St. Johannistag 1514 jene prächtigen Feste, Jagden, Aufzüge und Turniere, wozu sich von Rom her ausser einigen grossen Herrn auch sechs Kardinäle, diese allerdings verkleidet, einfanden.«

Der grösste Bussprediger und Prophet aber war in Florenz schon 1498 verbrannt worden: Fra Girolamo Savonarola von FerraraPerrens: Jérôme Savonarole, 2 voll., unter den vielen frühern Spezialwerken vielleicht das methodisch bestgeordnete und nüchternste. – Seither P. Villari, La storia di Girol. Savonarola (2 voll. 8. Firenze, Lemonnier).. Hier müssen uns einige Winke über ihn genügen.

Das gewaltige Werkzeug, durch welches er Florenz umgestaltet und beherrscht (1494-1498), ist seine Rede, wovon die erhaltenen, meist an Ort und Stelle ungenügend nachgeschriebenen Predigten offenbar nur einen beschränkten Begriff geben. Nicht als ob die äussern Mittel seines Auftretens sehr gross gewesen wären, denn Stimme, Aussprache, rhetorische Redaktion u. dgl. bildeten vielmehr eher die schwache Seite, und wer einen Stil- und Kunstprediger verlangte, ging zu seinem Rivalen Fra Mariano da Ghinazzano – aber in Savonarolas Rede lag jene hohe persönliche Gewalt, welche wohl von da bis auf Luther nicht wieder vorgekommen ist. Er selber hielt es für Erleuchtung und taxierte deshalb ohne Unbescheidenheit das Predigtamt sehr hoch: über dem Prediger folge in der grossen Hierarchie der Geister unmittelbar der unterste der Engel.

Diese völlig zu Feuer und Flammen gewordene Persönlichkeit vollbrachte zunächst noch ein anderes, grösseres Wunder; das eigene Kloster S. Marco [des] Dominikanerordens und dann alle Dominikanerklöster Toscanas werden desselben Sinnes und unternehmen eine freiwillige grosse Reform. Wenn man weiss, was die Klöster damals waren und wie unendlich schwer die geringste Veränderung bei Mönchen durchzusetzen ist, so wird man doppelt erstaunen über eine völlige Sinnesänderung wie diese. Als die Sache im Gange war, befestigte sie sich dadurch, dass Gleichgesinnte jetzt in bedeutender Zahl Dominikaner wurden. Söhne aus den ersten Häusern traten in S. Marco als Novizen ein.

Diese Reform des Ordens für ein bestimmtes Land war nun der erste Schritt zu einer Nationalkirche, zu welcher es bei längerer Dauer dieses Wesens unfehlbar hätte kommen müssen. Savonarola selber wollte freilich eine Reform der ganzen Kirche und schickte deshalb noch gegen Ende seiner Wirksamkeit an alle grossen Potentaten dringende Mahnungen, sie möchten ein Konzil versammeln. Allein sein Orden und seine Partei waren bereits für Toscana das allein mögliche Organ seines Geistes, das Salz der Erde geworden, während die Nachbargegenden im alten Zustande verharrten. Mehr und mehr baut sich aus Entsagung und Phantasie ein Zustand auf, der Florenz zu einem Reiche Gottes auf Erden machen will.

Die Weissagungen, deren teilweises Eintreffen dem Savonarola ein übermenschliches Ansehen verlieh, sind derjenige Punkt, auf welchem die allmächtige italienische Phantasie auch das bestverwahrte, liebevollste Gemüt bemeisterte. Anfangs meinten die Franziskaner von der Observanz, im Widerschein des Ruhmes, welchen ihnen S. Bernardino da Siena vermacht hatte, sie könnten den grossen Dominikaner durch Konkurrenz bändigen. Sie verschafften einem der Ihrigen die Domkanzel und liessen die Unglücksprophezeiungen Savonarolas durch noch schlimmere überbieten, bis Pietro de' Medici, der damals noch über Florenz herrschte, einstweilen beiden Ruhe gebot. Bald darauf, als Karl VIII. nach Italien kam und die Medici vertrieben wurden, wie Savonarola mit klaren Worten geweissagt hatte, glaubte man nur noch ihm.

Und hier muss nun zugestanden werden, dass er gegen seine eigenen Ahnungen und Visionen keine Kritik übte und gegen diejenigen anderer eine ziemlich strenge. In der Leichenrede auf Pico della Mirandola geht er mit dem verstorbenen Freunde etwas unbarmherzig um. Weil Pico trotz einer innern Stimme, die von Gott kam, doch nicht in den Orden treten wollte, habe er selber Gott gebeten, jenen etwas zu züchtigen; seinen Tod aber habe er wahrlich nicht gewünscht; nun sei durch Almosen und Gebet so viel erwirkt, dass die Seele sich einstweilen im Fegefeuer befinde. In betreff einer tröstlichen Vision, die Pico auf dem Krankenbette gehabt, wobei ihm die Madonna erschien und versprach, er solle nicht sterben, gesteht Savonarola, er habe es lange für eine dämonische Täuschung gehalten, bis ihm geoffenbart worden sei, die Madonna habe den zweiten Tod, nämlich den ewigen gemeint. – Wenn dies und ähnliches Ueberhebung war, so hat dieses grosse Gemüt wenigstens dafür gebüsst, so bitter es dafür büssen konnte; in seinen letzten Tagen scheint Savonarola die Nichtigkeit seiner Gesichte und Weissagungen erkannt zu haben, und doch blieb ihm innerer Friede genug übrig, um in heiliger Stimmung zum Tode zu gehen. Seine Anhänger aber hielten ausser seiner Lehre auch seine Prophezeiungen noch drei Jahrzehnde hindurch fest.

Als Reorganisator des Staates hatte er nur gearbeitet, weil sonst statt seiner feindselige Kräfte sich der Sache bemächtigt haben würden. Es ist unbillig, ihn nach der halbdemokratischen Verfassung (S. 113, Anm. [160]) vom Anfang des Jahres 1495 zu beurteilen. Sie ist nicht besser und nicht schlechter als andere florentinische Verfassungen auchSavonarola wäre vielleicht der einzige gewesen, der den Untertanenstädten die Freiheit wiedergeben und dennoch den Zusammenhalt des toscanischen Staates irgendwie retten konnte. Daran aber kam ihm der Gedanke nicht. Und Pisa hasste er wie ein Florentiner..

Er war zu solchen Dingen im Grunde der ungeeignetste Mensch, den man finden konnte. Sein wirkliches Ideal war eine Theokratie, bei welcher sich alles in seliger Demut vor dem Unsichtbaren beugt und alle Konflikte der Leidenschaft von vornherein abgeschnitten sind. Sein ganzer Sinn liegt in jener Inschrift des Signorenpalastes, deren Inhalt schon Ende 1495 sein Wahlspruch warEin merkwürdiger Kontrast zu den Sienesen, welche 1483 ihre entzweite Stadt feierlich der Madonna geschenkt hatten. Allegretto, ap. Murat. XXIII, Col. 815., und die 1527 von seinen Anhängern erneuert wurde: »Jesus Christus Rex populi florentini S. P. Q. decreto creatus.« Zum Erdenleben und seinen Bedingungen hatte er so wenig ein Verhältnis als irgendein echter und strenger Mönch. Der Mensch soll sich nach seiner Ansicht nur mit dem abgeben, was mit dem Seelenheil in unmittelbarer Verbindung steht.


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