Jacob Burckhardt
Die Kultur der Renaissance in Italien
Jacob Burckhardt

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Der bisher geschilderten Entwicklung des Individuums entspricht auch eine neue Art von Geltung nach aussen: der moderne RuhmEin Autor statt vieler: Blondus, Roma triumphans, L. V, p. 117, s., wo die Definitionen der Gloria aus den Alten gesammelt sind und auch dem Christen ausdrücklich die Ruhmbegier gestattet wird. – Ciceros Schrift de gloria, welche noch Petrarca besass, ist bekanntlich seitdem verlorengegangen..

Ausserhalb Italiens lebten die einzelnen Stände jeder für sich mit seiner einzelnen mittelalterlichen Standesehre. Der Dichterruhm der Troubadours und Minnesänger z. B. existiert nur für den Ritterstand. In Italien dagegen ist Gleichheit der Stände vor der Tyrannis oder vor der Demokratie eingetreten; auch zeigen sich bereits Anfänge einer allgemeinen Gesellschaft, die ihren Anhalt an der italienischen und lateinischen Literatur hat, wie hier in vorgreifender Weise bemerkt werden muss; dieses Bodens aber bedurfte es, um jenes neue Element im Leben zum Keimen zu bringen. Dazu kam, dass die römischen Autoren, welche man emsig zu studieren begann, von dem Begriff des Ruhmes erfüllt und getränkt sind und dass schon ihr Sachinhalt – das Bild der römischen Weltherrschaft – sich dem italienischen Dasein als dauernde Parallele aufdrängte. Fortan ist alles Wollen und Vollbringen der Italiener von einer sittlichen Voraussetzung beherrscht, die das übrige Abendland noch nicht kennt.

Wiederum muss zuerst Dante gehört werden, wie bei allen wesentlichen Fragen. Er hat nach dem DichterlorbeerParadiso XXV, Anfang: Se mai continga etc. – Vgl. Boccaccio, Vita di Dante, p. 49. Vaghissimo fu e d'onore e di pompa, e per avventura più che alla sua inclita virtù non si sarebbe richiesto. gestrebt mit aller Kraft seiner Seele; auch als Publizist und Literator hebt er hervor, dass seine Leistungen wesentlich neu, dass er der erste auf seinen Bahnen nicht nur sei, sondern auch heissen wolleDe vulgari eloquio, L. I, Cap. 1. Ganz besonders de Monarchia, L. I, Cap. I, wo er den Begriff der Monarchie darstellen will, nicht bloss um der Welt nützlich zu sein, sondern auch: ut palmam tanti bravii primus in meam gloriam adipiscar.. Doch berührt er schon in seinen Prosaschriften auch die Unbequemlichkeiten eines hohen Ruhmes; er weiss, wie manche bei der persönlichen Bekanntschaft mit dem berühmten Manne unbefriedigt bleiben, und setzt auseinander, dass hieran teils die kindische Phantasie der Leute, teils der Neid, teils die eigene Unlauterkeit des Betreffenden schuld seiConvito, ed. Venezia 1529, fol. 5 und 6.. Vollends aber hält sein grosses Gedicht die Anschauung von der Nichtigkeit des Ruhmes fest, wenngleich in einer Weise, welche verrät, dass sein Herz sich noch nicht völlig von der Sehnsucht danach losgemacht. Im Paradies ist die Sphäre des Mercur der Wohnsitz solcher SeligenParadiso VI, 112, s., die auf Erden nach Ruhm gestrebt und dadurch den »Strahlen der wahren Liebe« Eintrag getan haben. Hochbezeichnend aber ist, dass die armen Seelen im Inferno von Dante verlangen, er möge ihr Andenken, ihren Ruhm auf Erden erneuern und wachhaltenZ. B.: Inferno VI, 89. XIII, 53. XVI, 85. XXXI, 127., während diejenigen im Purgatorio nur um Fürbitte flehenPurgatorio V, 70, 87, 133. VI, 26. VIII, 71. XI, 31. XIII, 147.; ja in einer berühmten StellePurgatorio XI, 79-117. Ausser gloria finden sich hier beisammen: Grido, fama, rumore, nominanza, onore, lauter Umschreibungen derselben Sache. – Boccaccio dichtete, wie er in dem Brief an Joh. Pizinga (Opere volgari, Vol. XVI) gesteht, perpetuandi nominis desiderio. wird die Ruhmbegier – lo gran disio dell' eccellenza – schon deshalb verworfen, weil der geistige Ruhm nicht absolut, sondern von den Zeiten abhängig sei und je nach Umständen durch grössere Nachfolger überboten und verdunkelt werde.

Rasch bemächtigt sich nun das neu aufkommende Geschlecht von Poeten-Philologen, welches auf Dante folgt, des Ruhmes in doppeltem Sinn: indem sie selber die anerkanntesten Berühmtheiten Italiens werden und zugleich als Dichter und Geschichtschreiber mit Bewusstsein über den Ruhm anderer verfügen. Als äusseres Symbol dieser Art von Ruhm gilt besonders die Poetenkrönung, von welcher weiter die Rede sein wird.

Ein Zeitgenosse Dantes, Albertinus Musattus oder Mussatus, zu Padua von Bischof und Rektor als Dichter gekrönt, genoss bereits einen Ruhm, der an die Vergötterung streifte; jährlich am Weihnachtstage kamen Doktoren und Scholaren beider Kollegien der Universität in feierlichem Aufzug mit Posaunen und, scheint es, mit brennenden Kerzen vor sein Haus, um ihn zu begrüssenScardeonius, de urb. Patav. antiq. (Graev. Thesaur. VI, III, Col. 260). Ob cereis, muneribus oder etwa certis muneribus zu lesen, lasse ich dahingestellt. Die etwas feierliche Persönlichkeit des Mussatus ist schon aus dem Ton seiner Geschichte Heinrichs VII. zu erkennen. und zu beschenken. Die Herrlichkeit dauerte, bis er (1318) bei dem regierenden Tyrannen aus dem Hause Carrara in Ungnade fiel.

In vollen Zügen geniesst auch Petrarca den neuen, früher nur für Helden und Heilige vorhandenen Weihrauch und überredet sich sogar in seinen spätem Jahren, dass ihm derselbe ein nichtiger und lästiger Begleiter scheine. Sein Brief »an die Nachwelt«Epistola de origine et vita etc., am Eingang der Opera: «Franc. Petrarca Posteritati salutem». Gewisse neuere Tadler von P.s Eitelkeit würden an seiner Stelle schwerlich so viele Güte und Offenheit behalten haben wie er. ist die Rechenschaft des alten, hochberühmten Mannes, der die öffentliche Neugier zufriedenstellen muss; bei der Nachwelt möchte er wohl Ruhm geniessen, bei den Zeitgenossen aber sich lieber denselben verbittenOpera, p. 177: de celebritate nominis importuna.; in seinen Dialogen von Glück und UnglückDe remediis utriusque fortunae, passim. hat bei Anlass des Ruhmes der Gegenredner, welcher dessen Nichtigkeit beweist, den stärkern Akzent für sich. Soll man es aber strenge nehmen, wenn es Petrarca noch immer freut, dass der paläologische Autokrator von ByzanzEpist. seniles III, 5. Einen Maßstab von Petrarcas Ruhm gibt z. B. Blondus (Italia illustrata, p. 416) hundert Jahre nachher, durch seine Versicherung, dass auch kaum ein Gelehrter mehr etwas von König Robert dem Guten wüsste, wenn Petrarca seiner nicht so oft und freundlich gedacht hätte. ihn durch seine Schriften so genau kennt wie Kaiser Karl IV. ihn kennt? Denn in der Tat ging sein Ruf schon bei Lebzeiten über Italien hinaus. Und empfand er nicht eine gerechte Rührung, als ihn bei einem Besuch in seiner Heimat Arezzo die Freunde zu seinem Geburtshaus führten und ihm meldeten, die Stadt sorge dafür, dass nichts daran verändert werden dürfeEpist. seniles XIII, 3, p. 918.! Früher feierte und konservierte man die Wohnungen einzelner grosser Heiligen, wie z. B. die Zelle des S. Thomas von Aquino bei den Dominikanern in Neapel, die Portiuncula des S. Franciskus bei Assisi; höchstens genossen noch einzelne grosse Rechtsgelehrte jenes halbmythische Ansehen, welches zu dieser Ehre führte; so benannte das Volk noch gegen Ende des 14. Jahrhunderts zu Bagnolo unweit Florenz ein altes Gebäude als »Studio« des Accursius (geb. um 1150), liess aber doch geschehen, dass es zerstört wurdeFilippo Villani, Vite, p. 19.. Wahrscheinlich frappierten die hohen Einnahmen und die politischen Verbindungen einzelner Juristen (als Konsulenten und Deduktionenschreiber) die Einbildungskraft der Leute auf lange hinaus.

Zum Kultus der Geburtshäuser gehört der der Gräber berühmter LeuteBeides beisammen in der Grabschrift auf Boccaccio: Nacqui in Firenze al Pozzo Toscanelli; Di fuor sepolto a Certaldo giaccio, etc. – Vgl. Opere volgari di Bocc., vol. XVI, p. 44.; für Petrarca kommt auch noch der Ort, wo er gestorben, überhaupt hinzu, indem Arquato seinem Andenken zu Ehren ein Lieblingsaufenthalt der Paduaner und mit zierlichen Wohngebäuden geschmückt wurdeMich. Savonarola, de laudibus Patavii, bei Murat. XXIV, Col. 1157. – zu einer Zeit, da es im Norden noch lange keine »klassischen Stellen«, sondern nur Wallfahrten zu Bildern und Reliquien gab. Es wurde Ehrensache für die Städte, die Gebeine eigener und fremder Zelebritäten zu besitzen, und man erstaunt zu sehen, wie ernstlich die Florentiner schon im 14. Jahrhundert – lange vor S. Croce – ihren Dom zum Pantheon zu erheben strebten. Accorso, Dante, Petrarca, Boccaccio und der Jurist Zanobi della Strada sollten dort Prachtgräber erhaltenDer motivierte Staatsbeschluss von 1396 bei Gaye, Carteggio, I, p. 123.. Noch spät im 15. Jahrhundert verwandte sich Lorenzo magnifico in Person bei den Spoletinern, dass sie ihm die Leiche des Malers Fra Filippo Lippi für den Dom abtreten möchten, und erhielt die Antwort: sie hätten überhaupt keinen Ueberfluß an Zierden, besonders nicht an berühmten Leuten, weshalb er sie verschonen möge; in der Tat musste man sich mit einem Kenotaphium begnügen. Und auch Dante blieb trotz allen Verwendungen, zu welchen schon Boccaccio mit emphatischer Bitterkeit die Vaterstadt aufstachelteBoccaccio, Vita di Dante, p. 39., ruhig bei S. Francesco in Ravenna schlafen, »zwischen uralten Kaisergräbern und Heiligengrüften, in ehrenvollerer Gesellschaft als du, o Heimat, ihm bieten könntest.« Es kam schon damals vor, dass ein wunderlicher Mensch ungestraft die Lichter vom Altar des Kruzifixes wegnahm und sie an das Grab stellte mit den Worten: Nimm sie, du bist ihrer würdiger als jener – der GekreuzigteFranco Sacchetti, Nov. 121..

Nunmehr gedenken auch die italischen Städte wieder ihrer Mitbürger und Einwohner aus dem Altertum. Neapel hatte vielleicht sein Grab Virgils nie ganz vergessen, schon weil sich ein halbmythischer Begriff an den Namen geknüpft hatte. Padua glaubte vollends noch im 16. Jahrhundert nicht nur die echten Gebeine seines trojanischen Gründers Antenor, sondern auch die des Titus Livius zu besitzenErstere in dem bekannten Sarkophag bei S. Lorenzo, letztere am Palazzo della ragione über einer Tür. Das Nähere über deren Auffindung 1413 s. Misson, Voyage en Italie, vol. I.. »Sulmona«, sagt BoccaccioVita di Dante, l. c. Wie die Leiche des Cassius nach der Schlacht bei Philippi wieder nach Parma gelangt sein mag?, »klagt, dass Ovid fern in der Verbannung begraben sei, Parma freut sich, dass Cassius in seinen Mauern schlummre.« Die Mantuaner prägten im 14. Jahrhundert eine Münze mit dem Brustbild Virgils und stellten eine Statue auf, die ihn vorstellen sollte; aus mittelalterlichem JunkerhochmutNobilitatis fastu, und zwar sub obtentu religionis, sagt Pius II. (Comment. X, p. 473). Die neue Gattung von Ruhm musste wohl vielen Leuten unbequem erscheinen, die an anderes gewöhnt waren. liess sie der Vormund des damaligen Gonzaga, Carlo Malatesta, 1392 umstürzen und musste sie, weil der Ruhm des alten Dichters stärker war, wieder aufrichten lassen. Vielleicht zeigte man schon damals zwei Miglien von der Stadt die Grotte, wo einst Virgil meditiert haben sollteVgl. Keysslers Neueste Reisen, p. 1016., gerade wie bei Neapel die Scuola di Virgilio. Como eignete sich die beiden Plinius zuDer ältere war bekanntlich von Verona. und verherrlichte sie gegen Ende des 15. Jahrhunderts durch sitzende Statuen in zierlichen Baldachinen an der Vorderseite seines Domes.

Auch die Geschichtschreibung und die neugeborene Topographie richten sich fortan darauf ein, keinen einheimischen Ruhm mehr unverzeichnet zu lassen, während die nordischen Chroniken nur erst hie und da zwischen Päpsten, Kaisern, Erdbeben und Kometen die Bemerkung machen, zu dieser Zeit habe auch dieser oder jener berühmte Mann »geblüht«. Wie sich eine ausgezeichnete Biographik, wesentlich unter der Herrschaft des Ruhmesbegriffes, entwickelte, wird bei einem andern Anlass zu betrachten sein; hier beschränken wir uns auf den Ortspatriotismus des Topographen, der die Ruhmesansprüche seiner Stadt verzeichnet.


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