Jacob Burckhardt
Die Kultur der Renaissance in Italien
Jacob Burckhardt

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In dieser Zeit war natürlich auch im übrigen Italien der Eifer für die römischen Altertümer erwacht. Schon BoccaccioBoccaccio, Fiammetta, cap. 5. nennt die Ruinenwelt von Bajae »altes Gemäuer, und doch neu für moderne Gemüter«; seitdem galten sie als grösste Sehenswürdigkeit der Umgegend Neapels. Schon entstanden auch Sammlungen von Altertümern jeder Gattung. Ciriaco von Ancona durchstreifte nicht bloss Italien, sondern auch andere Länder des alten Orbis terrarum und brachte Inschriften und Zeichnungen in Menge mit; auf die Frage, warum er sich so bemühe, antwortete er: um die Toten zu erweckenLeandro Alberti, Descriz. di tutta l'Italia, fol. 285. – Laut Lionardo Aretino (Baluz. Misc. III, p. 111) durchreiste Ciriaco Aetolien, Acarnanien, Böotien und den Peloponnes und kannte Sparta, Argos und Athen.. Die Historien der einzelnen Städte hatten von jeher auf einen wahren oder fingierten Zusammenhang mit Rom, auf direkte Gründung oder Kolonisation von dort aus hingewiesenZwei Beispiele statt vieler: die fabulose Urgeschichte von Mailand, im Manipulus (Murat. XI, Col. 552) und die von Florenz, am Anfang der Chronik des Ricordano Malaspini, und dann bei Gio. Villani, laut welchem Florenz gegen das antirömische, rebellische Fiesole von jeher Recht hat, weil es so gut römisch gesinnt ist. (I, 9, 38, 41, II, 2.) – Dante, Inf. XV, 76.; längst scheinen gefällige Genealogen auch einzelne Familien von berühmten römischen Geschlechtern deriviert zu haben. Dies lautete so angenehm, dass man auch im Lichte der beginnenden Kritik des 15. Jahrhunderts daran festhielt. Ganz unbefangen redete Pius II. in ViterboCommentarii, p. 206, im IV. Buch. zu den römischen Oratoren, die ihn um schleunige Rückkehr bitten: »Rom ist ja meine Heimat so gut wie Siena, denn mein Haus, die Piccolomini, ist vor alters von Rom nach Siena gewandert, wie der häufige Gebrauch der Namen Aeneas und Sylvius in unserer Familie beweist.« Vermutlich hätte er nicht übel Lust gehabt, ein Julier zu sein. Auch für Paul II. – Barbo von Venedig – wurde gesorgt, indem man sein Haus, trotz einer entgegenstehenden Abstammung aus Deutschland, von den römischen Ahenobarbus ableitete, die mit einer Kolonie nach Parma geraten und deren Nachkommen wegen Parteiung nach Venedig ausgewandert seienMich. Cannesius, Vita Pauli II. bei Murat. III, II, Col. 993. Selbst gegen Nero, den Sohn des Domitius Ahenobarbus, will Autor, der päpstlichen Verwandtschaft wegen, nicht unverbindlich sein; er sagt von demselben nur: de quo rerum scriptores multa ac diversa commemorant. – Noch stärker war es freilich z. B., wenn die Familie Plato in Mailand sich schmeichelte, von dem grossen Plato abzustammen, wenn Filelfo in einer Hochzeitsrede und in einer Lobrede auf den Juristen Teodoro Plato dies sagen durfte, und wenn ein Giovanantonio Plato der von ihm 1473 gemeisselten Relieffigur des Philosophen (im Hof des Pal. Mazenta zu Mailand) die Inschrift beifügen konnte: Platonem suum, a quo originem et ingenium refert.... Dass die Massimi von Q. Fabius Maximus, die Cornaro von den Cornelieren abstammen wollten, kann nicht befremden. Dagegen ist es für das folgende 16. Jahrhundert eine recht auffallende Ausnahme, dass der Novellist Bandello sein Geschlecht von vornehmen Ostgoten (I, Nov. 23.) abzuleiten sucht.

Kehren wir nach Rom zurück. Die Einwohner, »die sich damals Römer nannten«, gingen begierig auf das Hochgefühl ein, welches ihnen das übrige Italien entgegenbrachte. Wir werden unter Paul II., Sixtus IV. und Alexander Vl. prächtige Karnevalsaufzüge stattfinden sehen, welche das beliebteste Phantasiebild jener Zeit, den Triumph altrömischer Imperatoren, darstellten. Wo irgend Pathos zum Vorschein kam, musste es in jener Form geschehen. Bei dieser Stimmung der Gemüter geschah es am 18. April 1485, dass sich das Gerücht verbreitete, man habe die wunderbar schöne, wohlerhaltene Leiche einer jungen Römerin aus dem Altertum gefundenHierüber Nantiporto, bei Murat. III, II, Col. 1094; Infessura bei Eccard, Scriptores, II, Col. 1951; – Matarazzo, im Arch. stor. XVI, II, p. 180.. Lombardische Maurer, welche auf einem Grundstück des Klosters S. Maria nuova, an der Via Appia, ausserhalb der Caecilia Metella, ein antikes Grabmal aufgruben, fanden einen marmornen Sarkophag angeblich mit der Aufschrift: Julia, Tochter des Claudius. Das Weitere gehört der Phantasie an; die Lombarden seien sofort verschwunden samt den Schätzen und Edelsteinen, welche im Sarkophag zum Schmuck und Geleit der Leiche dienten; letztere sei mit einer sichernden Essenz überzogen und so frisch, ja so beweglich gewesen wie die eines eben gestorbenen Mädchens von 15 Jahren; dann hiess es sogar, sie habe noch ganz die Farbe des Lebens, Augen und Mund halb offen. Man brachte sie nach dem Konservatorenpalast auf dem Kapitol, und dahin, um sie zu sehen, begann nun eine wahre Wallfahrt; viele kamen auch, um sie abzumalen; »denn sie war schön, wie man es nicht sagen noch schreiben kann, und wenn man es sagte oder schriebe, so würden es, die sie nicht sahen, doch nicht glauben«. Aber auf Befehl Innocenz VIII. musste sie eines Nachts vor Porta Pinciana an einem geheimen Ort verscharrt werden; in der Hofhalle der Konservatoren blieb nur der leere Sarkophag. Wahrscheinlich war über den Kopf der Leiche eine farbige Maske des idealen Stiles aus Wachs oder etwas Aehnlichem modelliert, wozu die vergoldeten Haare, von welchen die Rede ist, ganz wohl passen würden. Das Rührende an der Sache ist nicht der Tatbestand, sondern das feste Vorurteil, dass der antike Leib, den man endlich hier in Wirklichkeit vor sich zu sehen glaubte, notwendig herrlicher sein müsse als alles, was jetzt lebe.

Inzwischen wuchs die sachliche Kenntnis des alten Rom durch Ausgrabungen; schon unter Alexander VI. lernte man die sog. Grottesken, d. h. die Wand- und Gewölbedekoration der Alten kennen, und fand in Porto d'Anzo den Apoll vom Belvedere; unter Julius II. folgten die glorreichen Auffindungen des Laocoon, der vatikanischen Venus, des Torso, der Cleopatra u. a. m.Schon unter Julius II. grub man nach in der Absicht, Statuen zu finden. Vasari XI, p. 302, V. di Gio. da Udine.; auch die Paläste der Grossen und Kardinäle begannen sich mit antiken Statuen und Fragmenten zu füllen. Für Leo X. unternahm Rafael jene ideale Restauration der ganz alten Stadt, von welcher sein (oder Castigliones) berühmter Brief sprichtQuatremère, Stor. della vita etc. di Rafaello, ed. Longhena, p. 531.. Nach der bittern Klage über die noch immer dauernden Zerstörungen, namentlich noch unter Julius II., ruft er den Papst um Schutz an für die wenigen übriggebliebenen Zeugnisse der Grösse und Kraft jener göttlichen Seelen des Altertums, an deren Andenken sich noch jetzt diejenigen entzünden, die des Höhern fähig seien. Mit merkwürdig durchdringendem Urteil legt er dann den Grund zu einer vergleichenden Kunstgeschichte überhaupt und stellt am Ende denjenigen Begriff von »Aufnahme« fest, welcher seitdem gegolten hat: er verlangt für jeden Ueberrest Plan, Aufriss und Durchschnitt gesondert. Wie seit dieser Zeit die Archäologie, in speziellem Anschluss an die geheiligte Weltstadt und deren Topographie, zur besondern Wissenschaft heranwuchs, wie die vitruvianische Akademie wenigstens ein kolossales ProgrammLettere pittoriche II, I. Tolomei an Landi, 14. Nov. 1542. aufstellte, kann nicht weiter ausgeführt werden. Hier dürfen wir bei Leo X. stehenbleiben, unter welchem der Genuss des Altertums sich mit allen andern Genüssen zu jenem wundersamen Eindruck verflocht, welcher dem Leben in Rom seine Weihe gab. Der Vatikan tönte von Gesang und Saitenspiel; wie ein Gebot zur Lebensfreude gingen diese Klänge über Rom hin, wenn auch Leo damit für sich kaum eben erreichte, dass sich Sorgen und Schmerzen verscheuchen liessen, und wenn auch seine bewusste Rechnung, durch Heiterkeit das Dasein zu verlängernEr wollte curis animique doloribus quacunque ratione aditum intercludere, heiterer Scherz und Musik fesselten ihn, und er hoffte auf diese Weise länger zu leben. Leonis X. vita anonyma, bei Roscoe, ed. Bossi XII, p. 169., mit seinem frühen Tode fehlschlug. Dem glänzenden Bilde des leonischen Rom, wie es Paolo Giovio entwirft, wird man sich nie entziehen können, so gut bezeugt auch die Schattenseiten sind: die Knechtschaft der Emporstrebenden und das heimliche Elend der Prälaten, welche trotz ihrer Schulden standesgemäss leben müssenVon Ariostos Satiren gehören hieher die I. (Perc' ho molto etc.) und die IV. (Poiche, Annibale etc.), das Lotteriemässige und Zufällige von Leos literarischem Mäzenat, endlich seine völlig verderbliche GeldwirtschaftRanke, Päpste, I, 408 f. – Lettere de' principi I, Brief des Negri 1. September 1522: ... tutti questi cortigiani esausti da Papa Leone e falliti.... Derselbe Ariost, der diese Dinge so gut kannte und verspottete, gibt doch wieder in der sechsten Satire ein ganz sehnsüchtiges Bild von dem Umgang mit den hochgebildeten Poeten, welche ihn durch die Ruinenstadt begleiten würden, von dem gelehrten Beirat, den er für seine eigene Dichtung dort vorfände, endlich von den Schätzen der vatikanischen Bibliothek. Dies, und nicht die längst aufgegebene Hoffnung auf mediceische Protektion, meint er, wären die wahren Lockspeisen für ihn, wenn man ihn wieder bewegen wollte, als ferraresischer Gesandter nach Rom zu gehen.

Ausser dem archäologischen Eifer und der feierlich patriotischen Stimmung weckten die Ruinen als solche, in und ausser Rom, auch schon eine elegisch-sentimentale. Bereits bei Petrarca und Boccaccio finden sich Anklänge dieser Art (S. 207 f., 212); Poggio (a. a. O.) besucht oft den Tempel der Venus und Roma, in der Meinung, es sei der des Castor und Pollux, wo einst so oft Senat gehalten worden, und vertieft sich hier in die Erinnerung an die grossen Redner Crassus, Hortensius, Cicero. Vollkommen sentimental äussert sich dann Pius II. zumal bei der Beschreibung von TiburPii II. Commentarii, p. 251, im V. Buch. – Vgl. auch Sannazaros Elegie in ruinas Cumarum, im 2. Buche., und bald darauf entsteht die erste ideale Ruinenansicht nebst Schilderung bei PolifiloPolifilo, Hypnerotomachia, ohne Seitenzahlen. Im Auszug bei Temanza, p. 12.: Trümmer mächtiger Gewölbe und Kolonnaden, durchwachsen von alten Platanen, Lorbeeren und Zypressen nebst wildem Buschwerk. In der heiligen Geschichte wird es, man kann kaum sagen wie, gebräuchlich, die Darstellung der Geburt Christi in die möglichst prachtvollen Ruinen eines Palastes zu verlegenWährend alle Kirchenväter und alle Pilger nur von einer Höhle wissen. Auch die Dichter können des Palastes entbehren. Vgl. Sannazaro, de partu Virginis, L. II.. Dass dann endlich die künstliche Ruine zum Requisit prächtiger Gartenanlagen wurde, ist nur die praktische Aeusserung desselben Gefühls.


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