Jacob Burckhardt
Die Kultur der Renaissance in Italien
Jacob Burckhardt

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Weit am nächsten kam aber der Poet-Philolog dem Altertum in der Lyrik, und zwar speziell in der Elegie; ausserdem noch im Epigramm.

In der leichtern Gattung übte Catull eine wahrhaft faszinierende Wirkung auf die Italiener aus. Manches elegante lateinische Madrigal, manche kleine Invektive, manches boshafte Billet ist reine Umschreibung nach ihm; dann werden verstorbene Hündchen, Papageien beklagt ohne ein Wort aus dem Gedicht von Lesbiens Sperling und doch in völliger Abhängigkeit von dessen Gedankengang. Indes gibt es kleine Gedichte dieser Art, welche auch den Kenner über ihr wahres Alter täuschen können, wenn nicht ein sachlicher Bezug klar auf das 15. oder 16. Jahrhundert hinweist.

Dagegen möchte von Oden des sapphischen, alkäischen usw. Versmasses kaum eine zu finden sein, welche nicht irgendwie ihren modernen Ursprung deutlich verriete. Dies geschieht meist durch eine rhetorische Redseligkeit, welche im Altertum erst etwa dem Statius eigen ist, durch einen auffallenden Mangel an lyrischer Konzentration, wie diese Gattung sie durchaus verlangt. Einzelne Partien einer Ode, 2 oder 3 Strophen zusammen, sehen wohl etwa wie ein antikes Fragment aus, ein längeres Ganzes hält diese Farbe selten fest. Und wo dies der Fall ist, wie z. B. in der schönen Ode an Venus von Andrea Navagero, da erkennt man leicht eine blosse Umschreibung nach antiken MeisterwerkenHier nach dem Eingang des Lucretius und nach Horat. Od. IV, I. Einige Odendichter bemächtigen sich des Heiligenkultes und bilden ihre Invokationen sehr geschmackvoll den horazischen und catullischen Oden analogen Inhaltes nach. So Navagero in der Ode an den Erzengel Gabriel, so besonders Sannazaro, der in der Substituierung einer heidnischen Andacht sehr weit geht. Er feiert vorzüglich seinen NamensheiligenDas Hereinziehen eines Schutzheiligen in ein wesentlich heidnisches Beginnen haben wir S. 84 schon bei einem ernstern Anlass kennengelernt., dessen Kapelle zu seiner herrlich gelegenen kleinen Villa am Gestade des Posilipp gehörte, »dort wo die Meereswoge den Felsquell wegschlürft und an die Mauer des kleinen Heiligtums anschlägt«. Seine Freude ist das alljährliche St. Nazariusfest, und das Laubwerk und die Guirlanden, womit das Kirchlein zumal an diesem Tage geschmückt wird, erscheinen ihm als Opfergaben. Auch fern auf der Flucht, mit dem verjagten Federigo von Aragon, zu St. Nazaire an der Loiremündung, bringt er voll tiefen Herzeleides seinem Heiligen am Namenstage Kränze von Bux und Eichenlaub; er gedenkt früherer Jahre, da die jungen Leute des ganzen Posilipp zu seinem Feste gefahren kamen auf bekränzten Nachen, und fleht um Heimkehr

Sit satis ventos tolerasse et imbres
Ac minas fatorum hominumque fraudes,
Da Pater tecto salientem avito
Cernere fumum!
.

Täuschend antik erscheinen vorzüglich eine Anzahl Gedichte in elegischem Versmass oder auch bloss in Hexametern, deren Inhalt von der eigentlichen Elegie bis zum Epigramm herabreicht. So wie die Humanisten mit dem Text der römischen Elegiker am allerfreisten umgingen, so fühlten sie sich denselben auch in der Nachbildung am meisten gewachsen. Navageros Elegie an die Nacht ist so wenig frei von Reminiszenzen aus jenen Vorbildern als irgendein Gedicht dieser Art und Zeit, aber dabei vorn schönsten antiken Klang. Ueberhaupt sorgt NavageroAndr. Naugerii orationes duae carminaque aliquot, Venet. 1530 in 4. – Die wenigen Carmina auch grösstenteils oder vollständig in den Deliciae. immer zuerst für einen echt poetischen Inhalt, den er dann nicht knechtisch, sondern mit meisterhafter Freiheit im Stil der Anthologie, des Ovid, des Catull, auch der virgilischen Eklogen wiedergibt; die Mythologie braucht er nur äusserst mässig, etwa um in einem Gebet an Ceres u. a. ländliche Gottheiten das Bild des einfachsten Daseins zu entwickeln. Einen Gruss an die Heimat, bei der Rückkehr von seiner Gesandtschaft in Spanien, hat er nur angefangen; es hätte wohl ein herrliches Ganzes werden können, wenn der Rest diesem Anfang entsprach:

Salve cura Deûm, mundi felicior ora,
Formosae Veneris dulces salvete recessus;
Ut vos post tantos animi mentisque labores
Aspicio lustroque libens, ut munere vestro
Sollicitas toto depello e pectore curas!

Die elegische oder hexametrische Form wird ein Gefäss für jeden höhern pathetischen Inhalt, und die edelste patriotische Aufregung (S. 151, die Elegie an Julius II.) wie die pomphafteste Vergötterung der Herrschenden sucht hier ihren AusdruckWas man Leo X. bieten durfte, zeigt das Gebet des Guido Postumo Silvestri an Christus, Maria und alle Heiligen, sie möchten der Menschheit dieses numen noch lange lassen, da sie ja im Himmel ihrer genug seien. Abgedr. bei Roscoe, Leone X, ed. Bossi V, 237., aber auch die zarteste Melancholie eines Tibull. Mario Molsa, der in seiner Schmeichelei gegen Clemens VII. und die Farnesen mit Statius und Martial wetteifert, hat in einer Elegie »an die Genossen«, vom Krankenlager, so schöne und echt antike Grabgedanken als irgendeiner der Alten, und dies ohne Wesentliches von letztern zu entlehnen. Am vollständigsten hat übrigens Sannazaro Wesen und Umfang der römischen Elegie erkannt und nachgebildet, und von keinem andern gibt es wohl eine so grosse Anzahl guter und verschiedenartiger Gedichte dieser Form. – Einzelne Elegien werden noch hie und da um ihres Sachinhaltes willen zu erwähnen sein.

Endlich war das lateinische Epigramm in jenen Zeiten eine ernsthafte Angelegenheit, indem ein paar gut gebildete Zeilen, eingemeisselt an einem Denkmal oder von Mund zu Munde mit Gelächter mitgeteilt, den Ruhm eines Gelehrten begründen konnten. Ein Anspruch dieser Art meldet sich schon früh; als es verlautete, Guido della Polenta wolle Dantes Grab mit einem Denkmal schmücken, liefen von allen Enden Grabschriften einBoccaccio, Vita di Dante, p. 36. »von solchen, die sich zeigen oder auch den toten Dichter ehren oder die Gunst des Polenta erwerben wollten«. Am Grabmal des Erzbischofes Giovanni Visconti (+ 1354) im Dom von Mailand liest man unter 36 Hexametern: »Herr Gabrius de Zamoreis aus Parma, Doktor der Rechte, hat diese Verse gemacht.« Allmählich bildete sich, hauptsächlich unter dem Einfluss Martials, auch Catulls, eine ausgedehnte Literatur dieses Zweiges; der höchste Triumph war, wenn ein Epigramm für antik, für abgeschrieben von einem alten Stein galtSannazaro spottet über einen, der ihm mit solchen Fälschungen lästig fiel: Sint vetera haec aliis, mî nova semper erunt., oder wenn es so vortrefflich erschien, dass ganz Italien es auswendig wusste wie z. B. einige des Bembo. Wenn der Staat Venedig an Sannazaro für seinen Lobspruch in drei Distichen 600 Dukaten Honorar bezahlte, so war dies nicht etwa eine generose Verschwendung, sondern man würdigte das Epigramm als das, was es für alle Gebildeten jener Zeit war: als die konzentrierteste Form des Ruhmes. Niemand hinwiederum war damals so mächtig, dass ihm nicht ein witziges Epigramm hätte unangenehm werden können, und auch die Grossen selber bedurften für jede Inschrift, welche sie setzten, sorgfältigen und gelehrten Beirates, denn lächerliche Epitaphien z. B. liefen Gefahr, in Sammlungen zum Zweck der Erheiterung aufgenommen zu werdenLettere de' principi, I, 88, 91.. Epigraphik und Epigrammatik reichten einander die Hand; erstere beruhte auf dem emsigsten Studium der antiken Steinschriften.

Die Stadt der Epigramme und der Inskriptionen in vorzugsweisem Sinne war und blieb Rom. In diesem Staate ohne Erblichkeit musste jeder für seine Verewigung selber sorgen; zugleich war das kurze Spottgedicht eine Waffe gegen die Mitemporstrebenden. Schon Pius II. zählt mit Wohlgefallen die Distichen auf, welche sein Hauptdichter Campanus bei jedem irgend geeigneten Momente seiner Regierung ausarbeitete. Unter den folgenden Päpsten blühte dann das satirische Epigramm und erreichte gegenüber von Alexander VI. und den Seinigen die volle Höhe des skandalösen Trotzes. Sannazaro dichtete die seinigen allerdings in einer relativ gesicherten Lage, andere aber wagten in der Nähe des Hofes das Gefährlichste (S. 145). Auf acht drohende Distichen hin, die man an der Pforte der Bibliothek angeschlagenMalipiero, Ann. veneti, Arch. star. VII, I, p. 508. Am Ende heisst es, mit Bezug auf den Stier als Wappentier der Borgia:

Merge, Tyber vitulos animosas ultor in undas;
    Bos cadat inferno victima magna Jovi!
fand, liess einst Alexander die Garde um 800 Mann verstärken; man kann sich denken, wie er gegen den Dichter würde verfahren sein, wenn derselbe sich erwischen liess. – Unter Leo X. waren lateinische Epigramme das tägliche Brod; für die Verherrlichung wie für die Verlästerung des Papstes, für die Züchtigung genannter wie ungenannter Feinde und Schlachtopfer, für wirkliche wie für fingierte Gegenstände des Witzes, der Bosheit, der Trauer, der Kontemplation gab es keine passendere Form. Damals strengten sich für die berühmte Gruppe der Mutter Gottes mit der heiligen Anna und dem Kinde, welche Andrea Sansovino für S. Agostino meisselte, nicht weniger als hundertundzwanzig Personen in lateinischen Versen an, freilich nicht so sehr aus Andacht, als dem Besteller des Werkes zuliebeUeber diese ganze Angelegenheit s. Roscoe, Leone X, ed. Bossi VII, 211, VIII, 214, s. Die gedruckte, jetzt seltene Sammlung dieser »Coryciana« vom Jahr 1524 enthält nur die lateinischen Gedichte; Vasari sah bei den Augustinern noch ein besonderes Buch, worin sich auch Sonette usw. befanden. Das Anheften von Gedichten wurde so ansteckend, dass man die Gruppe durch ein Gitter abschliessen, ja unsichtbar machen musste. Die Umdeutung von Goritz in einen Corycius senex ist aus Virgil. Georg. IV, 127. Das kummervolle Ende des Mannes nach dem Sacco di Roma s. bei Pierio Valeriano, de infelic. literat.. Dieser, Johann Goritz aus Luxemburg, päpstlicher Supplikenreferendar, liess nämlich am St. Annenfeste nicht bloss etwa Gottesdienst halten, sondern er gab ein grosses Literatenbankett in seinen Gärten am Abhang des Kapitols. Damals lohnte es sich auch der Mühe, die ganze Poetenschar, welche an Leos Hofe ihr Glück suchte, in einem eigenen grossen Gedicht »de poetis urbanis« zu mustern, wie Franc. Arsillus tatAbgedruckt in den Beilagen zu Roscoe, Leone X, und in den Deliciae. Vgl. Paul. Jov. Elogia, bei Anlass des Arsillus. Ferner für die grosse Zahl der Epigrammatiker Lil. Greg. Gyraldus, a. a. O. Eine der schlimmsten Federn war Marcantonio Casanova. – Von den weniger bekannten ist Jo. Thomas Musconius (s. d. Deliciae) auszuzeichnen., ein; Mann, der kein päpstliches oder anderes Mäzenat brauchte und sich seine freie Zunge auch gegen die Kollegen vorbehielt. – Ueber Paul III. herab reicht das Epigramm nur noch in vereinzelten Nachklängen, die Epigraphik dagegen blüht länger und unterliegt erst im 17. Jahrhundert völlig dem Schwulst.

Auch in Venedig hat sie ihre besondere Geschichte, die wir mit Hülfe von Francesco Sansovinos »Venezia« verfolgen können. Eine stehende Aufgabe bildeten die Mottos (Brievi) auf den Dogenbildnissen des grossen Saales im Dogenpalast, zwei bis vier Hexameter, welche das Wesentliche aus der Amtsführung des Betreffenden enthaltenMarin Sanudo, in den Vite de' duchi di Venezia (Murat. XXII.) teilt sie regelmäßig mit.. Dann hatten die Dogengräber des 14. Jahrhunderts lakonische Prosainschriften, welche nur Tatsachen enthalten, und daneben schwülstige Hexameter oder leoninische Verse. Im 15. Jahrhundert steigt die Sorgfalt des Stiles; im 16. erreicht sie ihre Höhe, und bald beginnt die unnütze Antithese, die Prosopopöe, das Pathos, das Prinzipienlob, mit einem Worte: der Schwulst. Ziemlich oft wird gestichelt und verdeckter Tadel gegen andere durch direktes Lob des Verstorbenen ausgedrückt. Ganz spät kommen dann wieder ein paar absichtlich einfache Epitaphien.

Architektur und Ornamentik waren auf das Anbringen von Inschriften – oft in vielfacher Wiederholung – vollkommen eingerichtet, während z. B. das Gotische des Nordens nur mit Mühe einen zweckmässigen Platz für eine Inschrift schafft und sie an Grabmälern z. B. gerne den bedrohtesten Stellen, den Rändern zuweist.

Durch das bisher Gesagte glauben wir nun keineswegs den Leser von dem eigentümlichen Werte dieser lateinischen Poesie der Italiener überzeugt zu haben. Es handelte sich nur darum, die kulturgeschichtliche Stellung und Notwendigkeit derselben anzudeuten. Schon damals entstandScardeonius, de urb. Patav. antiq. (Graev. thes. VI, III, Col. 270) nennt als den eigentlichen Erfinder einen gew. Odaxius von Padua, um die Mitte des 15. Jahrhunderts. Gemischte Verse aus Latein und den Landessprachen gibt es aber schon viel früher allenthalben. übrigens ein Zerrbild davon: die sogenannte macaroneische Poesie, deren Hauptwerk, das Opus macaronicorum, von Merlinus Cocaius (d. h. Teofilo Folengo von Mantua) gedichtet ist. Vom Inhalt wird noch hie und da die Rede sein; was die Form betrifft – Hexameter u. a. Verse gemischt aus lateinischen und italienischen Wörtern mit lateinischen Endungen – so liegt das Komische derselben wesentlich darin, dass sich diese Mischungen wie lauter Lapsus linguae anhören, wie das Sprudeln eines übereifrigen lateinischen Improvisators. Nachahmungen aus Deutsch und Latein geben hievon keine Ahnung.


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