Jacob Burckhardt
Die Kultur der Renaissance in Italien
Jacob Burckhardt

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Die Gewaltherrschaft im 15. Jahrhundert zeigt einen veränderten Charakter. Viele von den kleinen Tyrannen und auch einige von den grössern, wie die Scala und Carrara, sind untergegangen; die mächtigen haben sich arrondiert und innerlich charakteristischer ausgebildet; Neapel erhält durch die neue aragonesische Dynastie eine kräftigere Richtung. Vorzüglich bezeichnend aber ist für dieses Jahrhundert das Streben der Condottieren nach unabhängiger Herrschaft, ja nach Kronen: ein weiterer Schritt auf der Bahn des rein Tatsächlichen und eine hohe Prämie für das Talent wie für die Ruchlosigkeit. Die kleinern Tyrannen, um sich einen Rückhalt zu sichern, gehen jetzt gern in Dienste der größern Staaten und werden Condottieren derselben, was ihnen etwas Geld und auch wohl Straflosigkeit für manche Missetaten verschafft, vielleicht sogar Vergrösserung ihres Gebietes. Im ganzen genommen mussten Grosse und Kleine sich mehr anstrengen, besonnener und berechneter verfahren und sich der gar zu massenhaften Greuel enthalten; sie durften überhaupt nur so viel Böses üben, als nachweisbar zu ihren Zwecken diente – so viel verzieh ihnen auch die Meinung der Unbeteiligten. Von dem Kapital von Pietät, welches den legitimen abendländischen Fürstenhäusern zustatten kam, ist hier keine Spur, höchstens eine Art von hauptstädtischer Popularität; was den Fürsten Italiens wesentlich weiterhelfen muss, ist immer Talent und kühle Berechnung. Ein Charakter wie derjenige Karls des Kühnen, der sich mit wütender Leidenschaft in völlig unpraktische Zwecke hinein verbiss, war den Italienern ein wahres Rätsel. Die Schweizer seien ja lauter Bauern, und wenn man sie auch alle töte, so sei dies ja keine Genugtuung für die burgundischen Magnaten, die im Kampfe umkommen möchten! Besässe auch der Herzog die Schweiz ohne Widerstand, seine Jahreseinkünfte wären deshalb um keine 5000 Dukaten grösser u. s. w.De Gingins: Dépêches des ambassadeurs milanais, II, p. 200 (N. 213). Vgl. II, 3 (N. 144) und II, 212 (N. 218)..« Was in Karl Mittelalterliches war, seine ritterlichen Phantasien oder Ideale, dafür hatte Italien längst kein Verständnis mehr. Wenn er aber vollends den Unteranführern Ohrfeigen erteiltePaul. Jovius, Elogia. und sie dennoch bei sich behielt, wenn er seine Truppen misshandelte, um sie wegen einer Niederlage zu strafen, und dann wieder seine Geheimräte vor den Soldaten blamierte – dann mussten ihn die Diplomaten des Südens verloren geben. Ludwig XI. aber, der in seiner Politik die italienischen Fürsten innerhalb ihrer eigenen Art übertrifft, und der vor allem sich als Bewunderer des Francesco Sforza bekannte, ist im Gebiet der Bildung durch seine vulgäre Natur weit von jenen Herrschern geschieden.

In ganz merkwürdiger Mischung liegt Gutes und Böses in den italienischen Staaten des 15. Jahrhunderts durcheinander. Die Persönlichkeit der Fürsten wird eine so durchgebildete, eine oft so hochbedeutende, für ihre Lage und Aufgabe so charakteristischeDieser Verein von Kraft und Talent ist es, was bei Macchiavell virtù heisst und auch mit scelleratezza verträglich gedacht wird, z. B. Discorsi I, 10, bei Anlass des Sept. Severus., dass das sittliche Recht schwer zu seinem Rechte kömmt.

Grund und Boden der Herrschaft sind und bleiben illegitim und ein Fluch haftet daran und will nicht davon weichen. Kaiserliche Gutheissungen und Belehnungen ändern dies nicht, weil das Volk keine Notiz davon nimmt, wenn seine Herrscher sich irgendwo in fernen Landen oder von einem durchreisenden Fremden ein Stück Pergament gekauft habenHierüber Franc. Vettori, Arch. stor. VI, p. 293, s. »Die Belehnung durch einen Mann, der in Deutschland wohnt und von einem römischen Kaiser nichts als den eiteln Namen hat, ist nicht imstande, einen Bösewicht zum wahren Signore einer Stadt zu machen.«. Wären die Kaiser etwas nütze gewesen, so hätten sie die Gewaltherrn gar nicht emporkommen lassen – so lautete die Logik des unwissenden Menschenverstandes. Seit dem Römerzuge Karls IV. haben die Kaiser in Italien nur noch den ohne sie entstandenen Gewaltzustand sanktioniert, ohne ihn jedoch im geringsten anders als durch Urkunden garantieren zu können. Karls ganzes Auftreten in Italien ist eine der schmählichsten politischen Komödien; man mag im Matteo VillaniM. Villani, IV, 38, 39, 56, 77, 78, 92; V, 1, 2, 21, 36, 54. nachlesen, wie ihn die Visconti in ihrem Gebiete herum und endlich daraus weg eskortieren, wie er eilt gleich einem Messkaufmann, um nur recht bald für seine Ware (die Privilegien nämlich) Geld zu erhalten, wie kläglich er in Rom auftritt, und wie er endlich, ohne einen Schwertstreich getan zu haben, mit seinem vollen Geldsack wieder über die Alpen ziehtEin Italiener war es, Fazio degli Uberti (Dittamondo, L. VI, cap. 5, um das Jahr 1360), welcher Karl IV. noch einen Kreuzzug nach dem heiligen Lande zumuten wollte. Die Stelle ist eine der besten in dem betreffenden Gedichte und auch sonst bezeichnend. Der Dichter wird durch einen trotzigen Turcomannen vom heil. Grab weggewiesen:

Coi passi lunghi e con la testa bassa
Oltre passai e dissi: ecco vergogna
Del cristian che'l saracin quì lassa!
Poscia al pastor (den Papst) mi volsi per rampogna:
E tu ti stai, che sei vicar di Cristo
Co' frati tuoi a ingrassar la carogna?
Similimente dissi a quel sofisto (Karl IV.)
Che sta in Buemme (Böhmen) a piantar vigne e fichi,
E che non cura di sì caro acquisto:
Che fai? perchè non segui i primi antichi
Cesari de' Romani, e che non siegui,
Dico, gli Otti, i Corradi, i Federichi?
E che pur tieni questo imperio in tregui?
E se non hai lo cuor d'esser Augusto,
Che nol rifiuti? o che non ti dilegui? etc.
. Sigismund kam wenigstens das erstemal (1414) in der guten Absicht, Johann XXIII. zur Teilnahme an seinem Konzil zu bewegen; damals war es, als Kaiser und Papst auf dem hohen Turm von Cremona das Panorama der Lombardie genossen, während ihren Wirt, den Stadttyrannen Gabrino Fondolo, das Gelüste ankam, beide herunterzuwerfen. Das zweitemal erschien Sigismund völlig als Abenteurer; mehr als ein halbes Jahr hindurch sass er in Siena wie in einem Schuldgefängnis und konnte nachher nur mit Not zur Krönung in Rom gelangen. Was soll man vollends von Friedrich III. denken? Seine Besuche in Italien haben den Charakter von Ferien- oder Erholungsreisen auf Unkosten derer, die ihre Rechte von ihm verbrieft haben wollten, oder solcher, denen es schmeichelte, einen Kaiser recht pomphaft zu bewirten. So verhielt es sich mit Alfons von Neapel, der sich den kaiserlichen Besuch 150 000 Goldgulden kosten liessDas Nähere bei Vespasiano Fiorent., p. 54. Vgl. 150.. In FerraraDiario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 215, s. hat Friedrich bei seiner zweiten Rückkehr von Rom (1469) einen ganzen Tag lang, ohne das Zimmer zu verlassen, lauter Beförderungen, achtzig an der Zahl, ausgespendet; da ernannte er cavalieri, conti, dottori, Notare, und zwar conti mit verschiedenen Schattierungen, als da waren: conte palatino, conte mit dem Recht dottori, ja bis auf fünf dottori zu ernennen, conte mit dem Recht Bastarde zu legitimieren, Notare zu kreieren, unehrliche Notare ehrlich zu erklären usw. Nur verlangte sein Kanzler für die Ausfertigung der betreffenden Urkunden eine Erkenntlichkeit, die man in Ferrara etwas stark fandHaveria voluto scortigare la brigata.. Was Herzog Borso dabei dachte, als sein kaiserlicher Gönner dergestalt urkundete und der ganze kleine Hof sich mit Titeln versah, wird nicht gemeldet. Die Humanisten, welche damals das grosse Wort führten, waren je nach den Interessen geteilt. Während die einenAnnales Estenses, bei Murat. XX, Col. 41. den Kaiser mit dem konventionellen Jubel der Dichter des kaiserlichen Roms feiern, weiss PoggioPoggii Hist. Florent. pop., L. VII, bei Murat. XX, Col. 381. gar nicht mehr, was die Krönung eigentlich sagen solle; bei den Alten sei ja nur ein siegreicher Imperator gekrönt worden, und zwar mit Lorbeer.

Mit Maximilian I. beginnt dann eine neue kaiserliche Politik gegen Italien, in Verbindung mit der allgemeinen Intervention fremder Völker. Der Anfang – die Belehnung des Lodovico Moro mit Beseitigung seines unglücklichen Neffen – war nicht von der Art, welche Segen bringt. Nach der modernen Interventionstheorie darf, wenn Zweie ein Land zerreissen wollen, auch ein Dritter kommen und mithalten, und so konnte auch das Kaisertum sein Stück begehren. Aber von Recht u. dgl. musste man nicht mehr reden. Als Ludwig XII. (1502) in Genua erwartet wurde, als man den grossen Reichsadler von der Fronte des Hauptsaales im Dogenpalast wegtilgte und alles mit Lilien bemalte, frug der Geschichtschreiber SenaregaSenarega, de reb. Genuens., bei Murat. XXIV, Col. 575. überall herum, was jener bei so vielen Revolutionen stets geschonte Adler eigentlich bedeute und was für Ansprüche das Reich auf Genua habe? Niemand wusste etwas anderes als die alte Rede: Genua sei eine camera imperii. Niemand wusste überhaupt in Italien irgendwelchen sichern Bescheid über solche Fragen. Erst als Karl V. Spanien und das Reich zusammen besass, konnte er mit spanischen Kräften auch kaiserliche Ansprüche durchsetzen. Aber was er so gewann, kam bekanntlich nicht dem Reiche, sondern der spanischen Macht zugute.

Mit der politischen Illegitimität der Dynastien des 15. Jahrhunderts hinwiederum zusammen die Gleichgültigkeit gegen die legitime Geburt, welche den Ausländern, z. B. einem Comines, so sehr auffiel. Sie ging gleichsam mit in den Kauf. Während man im Norden, im Haus Burgund etwa, den Bastarden eigene bestimmt abgegrenzte Apanagen, Bistümer und dergleichen zuwies, während in Portugal eine Bastardlinie sich nur durch die grösste Anstrengung auf dem Throne behauptete, war in Italien kein fürstliches Haus mehr, welches nicht in der Hauptlinie irgendeine unechte Deszendenz gehabt und ruhig geduldet hätte. Die Aragonesen von Neapel waren die Bastardlinie des Hauses, denn Aragon selbst erbte der Bruder des Alfons I. Der grosse Federigo von Urbino war vielleicht überhaupt kein Montefeltro. Als Pius II. zum Kongress von Mantua (1459) reiste, ritten ihm bei der Einholung in Ferrara ihrer acht Bastarde vom Haus Este entgegenAufgezählt im Diario Ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 203. Vgl. Pii II. Comment. II, p. 102., darunter der regierende Herzog Borso selbst und zwei uneheliche Söhne seines ebenfalls unehelichen Bruders und Vorgängers Leonello. Letzterer hatte außerdem eine rechtmäßige Gemahlin gehabt, und zwar eine uneheliche Tochter Alfons I. von Neapel, von einer AfrikanerinMarin Sanudo, Vita de' duchi di Venezia, bei Murat. XXII, Col. 1113.. Die Bastarde wurden auch schon deshalb öfter zugelassen, weil die ehelichen Söhne minorenn und die Gefahren dringend waren; es trat eine Art von Seniorat ein, ohne weitere Rücksicht auf echte oder unechte Geburt. Die Zweckmässigkeit, die Geltung des Individuums und seines Talentes sind hier überall mächtiger als die Gesetze und Bräuche des sonstigen Abendlandes. War es doch die Zeit, da die Söhne der Päpste sich Fürstentümer gründeten! Im 16. Jahrhundert unter dem Einfluss der Fremden und der beginnenden Gegenreformation wurde die ganze Angelegenheit strenger angesehen; Varchi findet, die Sukzession der ehelichen Söhne sei »von der Vernunft geboten und von ewigen Zeiten her der Wille des HimmelsVarchi, Stor. Fiorent. I, p. 8..« Kardinal Ippolito Medici gründete sein Anrecht auf die Herrschaft über Florenz darauf, dass er aus einer vielleicht rechtmässigen Ehe entsprosst, oder doch wenigstens Sohn einer Adligen und nicht (wie der Herzog Alessandro) einer Dienstmagd seiSoriano, Relaz. di Roma 1533, bei Tommaso Gar, Relazioni, p. 281.. Jetzt beginnen auch die morganatischen Gefühlsehen, welche im 15. Jahrhundert aus sittlichen und politischen Gründen kaum einen Sinn gehabt hätten.


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