Jacob Burckhardt
Die Zeit Constantins des Großen
Jacob Burckhardt

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Ausser den Hofleuten, Offizieren, Beamten und Senatoren musste die neue Stadt auch eine ihrer würdige Volkszahl bekommen. Der heilige Hieronymus bemerkt zum Weihejahr: »Konstantinopel wird eingeweiht, während fast alle Städte entblösst werden.« Dies gilt zunächst in bezug auf die Bevölkerung. Sei es, dass Constantin die Erschütterung aller Verhältnisse in dem besiegten licinischen Orient zu Zwangsansiedelungen benützte, oder dass er durch schlechte Lockungen anderer Art sich ein Residenzvolk sammelte – jedenfalls erreichte er, was er wünschte. Dieser Wunsch, in der grellen und boshaften Fassung des Heiden EunapiusEunap., Vitae philos., sub Aedesio., lautet folgendermassen: »Aus den unterworfenen Städten führte er nach Byzanz ein Volk zusammen, damit recht viele Betrunkene im Theater abwechselnd ihm klatschen und den Wein von sich geben möchten; es gefiel ihm der Jubelruf von Leuten, die ihrer Sinne nicht mächtig waren, und er hörte sich gerne nennen von denen, welche überhaupt an keinen Namen denken, wenn er sich ihnen nicht durch tägliche Gewohnheit aufdrängt.« Es gehört dies zu der bedenklichen Frage über die Eitelkeit und Lobsucht grosser Männer, welche so schwer zu entscheiden ist, wenn nicht ganz ausgezeichnete Quellenaussagen vorliegen. Bei Constantin könnte das auffallend eitle, pomphafte Auftreten, über welches mehrere Schriftsteller sich aussprechen, gar wohl eine bewusste politische Seite gehabt habenVon seinen Söhnen verstand es Constantius, bei feierlichen Anlässen sich wie eine geputzte Statue zu gebärden, tanquam figmentum hominis: Ammian. Marc. XVI, 10.. In seinem Innern verachtete er sicherlich die Constantinopolitaner.

Die Worte des Hieronymus haben aber noch einen andern Sinn. Das Reich musste mehr oder weniger gedrückt werden, um die Kosten der neuen Anlage aufzubringen. Constantin soll sechzig Millionen Franken unseres Geldes aufgewandt habenDie Berechnung nach Codinus s. bei Manso, a. a. O., S. 75, nota., eine Annahme, welche gewiss eher zu niedrig als zu hoch erscheint, wenn man die Masse und Kostbarkeit der Neubauten erwägt. Eine fortlaufende schwere Ausgabe bildete dann die seit 332 geregelte Verteilung von Korn, Wein und Öl, ohne welche diese Menschenmenge gar nicht hätte existieren können. Eunapius (a. a. O.) klagt, dass alle Kornflotten Ägyptens, Kleinasiens und Syriens diesen Pöbel kaum zu sättigen imstande seien. Als er schrieb, im fünften Jahrhundert, war freilich die Stadt schon volksreicher als RomWie der nicht viel spätere Sozomenus II, 3 versichert. – Um die Baulust zu wecken, hatte schon Constantin jedem neuerrichteten Hause einen jährlichen Getreideanteil zugewiesen, vgl. Manso, a. a. O., S. 318..

Endlich wurden vielen Städten des Reiches ihre Kunstschätze geraubt, was für Menschen griechischer Bildung immer das schmerzlichste sein musste. Von dem Raub und dem Einschmelzen der Statuen aus kostbarem Stoffe ist schon oben die Rede gewesen; ausserdem handelt es sich um den schändlichsten und massenhaftesten Kunstraub der ganzen Geschichte, zum Behuf der Ausschmückung einer neuen Hauptstadt. Hier ist Constantin weder Heide noch Christ – denn er beleidigte beide ReligionenEuseb., Vita Const. III, 54 versüsst sich die Bevölkerung aller Plätze der Stadt mit Heidengöttern durch die Annahme, Constantin habe den verrückten Aberglauben auf jede Weise in seiner Nichtigkeit darstellen wollen. durch das Verschleppen der Götterbilder nach Byzanz –, sondern ein selbstsüchtiger Plünderer zur Verherrlichung seines eigenen Namens. Es gibt für denjenigen, welcher die alte Kunst kennt, keine schmerzlichere Lektüre als jene Verzeichnisse der durch und seit Constantin in Byzanz aufgestellten KunstwerkeS. besonders den Anonymus des Banduri, l. c. pag. 4. 7. 14. 24. 28. 41 s. 66, und in derselben Sammlung pag. 135–174 die auf Konstantinopels Kunstwerke bezüglichen Epigramme aus der Anthologie., zumal wenn man sich ihres Unterganges bei Anlass des vierten Kreuzzuges erinnert. Zwar darf man nicht immer an die wirklichen Originalien der betreffenden Tempelbilder denken, wenn zum Beispiel bei Euseb von dem pythischen und dem sminthischen Apoll, anderswo von der samischen Hera, dem olympischen Zeus u. dgl. die Rede ist, aber der Verlust eines griechischen Kunstwerkes überhaupt ist unersetzlich, und dann sind auch jene Urbilder ohnedies nicht mehr vorhanden. Die Häufung des Ungleichartigen, zum Beispiel unter den 427 Statuen vor der Sophienkirche, muss von roher und abscheulicher Wirkung gewesen sein; in einzelnen Fällen wurde auch auf ganz barbarische Weise an den Statuen geändertDie Umgestaltung einer kolossalen Göttermutter zur Orantin, s. bei Zosimus II, 31., wie denn Constantin einem Apollskoloss seinen eigenen rundlichen Porträtkopf aufsetzte, damit er auf der schon früher (S. 331, 506, 508) genannten grossen Porphyrsäule prangeMansos (S. 313) Misstrauen gegen diese Aussage des Anon. Band., p. 14 kann ich nicht teilen. Es gab zu viele Praecedentien dafür.. Von Rom holte man unter anderm eine Anzahl Kaiserstatuen herüber; es traf sich vielleicht zufällig, dass eine des Maxentius mit darunter war und alsbald von den Heiden der neuen Hauptstadt etwas tendenziös angebetet wurde, worauf Constantin das Bild weggenommen und die Andächtigen getötet haben sollDe spectaculis, bei Banduri, l. c. p. 92.. Bei weitem das meiste aber kam aus Griechenland und dem vordern Kleinasien. Einst hatten römische Prokonsuln und Kaiser dieselben Gegenden geplündert, und man kann es ihnen nachsehen, weil Rom und seine Kultur auf eine Ergänzung und Verklärung durch die griechische Kunst welthistorisch angewiesen warWas hätten wir davon, wenn Rom die Kunst der unterworfenen Hellenen verschmäht hätte? Wer dieser Perspektive etwas nachgeht, wird finden, dass wir von Glück zu sagen haben.; Byzanz dagegen will nur das Schönste verschlingen, damit die Provinzen es nicht mehr besitzen; es weiss seinen Statuen keine andere Ehre mehr anzutun als durch abergläubische ErklärungenWie sich überhaupt die Wundersucht dem Kunstinteresse substituierte, zeigt unter anderm das achte Kapitel des Liber memorialis des Ampelius (wahrscheinlich aus dem theodosischen Zeitalter). und Anekdoten und durch lahme Nachahmungen antiker Epigramme.

Von den Gebäuden der Constantinopolis, welche ebenfalls zum Teil aus Raub, nämlich aus Säulen älterer Bauten der Nachbarschaft errichtet wurden, können wir uns trotz der reichlich vorhandenen Nachrichten keinen Begriff mehr machen. Die Baukunst lag in jenem Augenblick in einer Krisis; der Gewölbebau mit seinem verhältnismässig neuen statischen Organismus war eben im entscheidenden Kampfe begriffen gegen die ohnmächtigen, abgestumpften Formen des einstigen griechischen Tempelbaues. Eine bunte, wunderliche Pracht muss der vorherrschende Charakter der constantinischen Anlagen gewesen sein; Kuppeln, Nischen, runde Hallen, kostbare Inkrustationen, Vergoldungen, Mosaik sind die wesentlichen Elemente dieses reichen und unruhigen Ganzen. Constantins eigene UngeduldBezeichnend sind dafür auch die Gesetze vom Jahr 334 und 337, Cod. Theodos. XIII, 4, worin alle Künstler und Bauhandwerker steuerfrei erklärt werden, weil man ihrer viele braucht. sprach sich gar deutlich in der raschen, unsoliden Ausführung aus, welche sich durch baldigen Ruin mehrerer Gebäude rächte und grosse Reparaturen nach sich zog.

Unter seinen Bauten befinden sich neben vielen und prachtvollen Kirchen unleugbar auch zwei heidnische TempelZosim. II, 31. – Einen dritten Tempel, den der Göttermutter, wollen wir nicht geltend machen, weil deren Statue durch Umgestaltung (Anm. 836) einen andern Sinn erhalten haben muss. Die heidnischen Tempel des alten Byzanz s. b. Ducange, l. c. I, p. 14 s. Die Thermen des Oeconomiums erhielten sieben Nischen und zwölf Portiken »zur Erinnerung« an die Zahl der Planeten und der Monate. Anon. Banduri, p. 3.. Der eine, zum Zirkus gehörig, war den Dioskuren Castor und Pollux geweiht, der andere war das Tycheion, das Heiligtum der Tyche oder Schutzgöttin der Stadt. Wir sind bereits der alljährlichen Weiheprozession im Zirkus begegnet, wobei die Statue Constantins mit einer kleinen Tyche auf der ausgestreckten Rechten einherfuhr. Ausserdem werden noch mehrere andere Bilder dieser Göttin erwähntAnon. Banduri, p. 9. 10. 13. 15., deren eines aus Rom hergebracht worden. Offenbar war dieser Götterraub mehr als ein blosses Symbol, er sollte magisch die Übertragung der Weltherrschaft auf die neue Stätte besiegeln. Der Kaiser machte wohl die merkwürdigsten Versuche, der Tyche ihre rein heidnische Bedeutung zu benehmen; sie erhielt zum Beispiel ein Kreuz auf die Stirn; ja schon bei dem grossen Weihefeste im Jahr 330 ging die Anbetung der Tyche und das kyrie eleison sonderbar durcheinanderDie Beilagen zum Anon. Banduri, p. 98. – Dass es einen eigentlichen Tychetempel gab, beweist die echte Lesart τυχείω, statt τειχιω bei Sozom. V, 4. – aber das heidnische Grundgefühl war und blieb das vorherrschende. Sogar einem öffentlich aufgestellten Kreuz wurde ein Schicksalsamulett eingefügt. Über dem Prachtbau des Milliariums nämlich sah man die Statuen Constantins und Helenas, welche zusammen ein Kreuz trugen, in dessen Mitte eine Kette bemerklich war; an dieser sollte ein Zauber haften, welcher dem neuen Rom den Sieg über alle Völker und die Sicherheit vor allen feindlichen Angriffen zuwegebringen sollte – und auch diese Kette nannte man die Tyche der StadtAnon. Banduri, p. 10.. Es ist möglich, dass dieser ganze Schmuck neuern Ursprungs war und dass die Bedeutung der Kette bloss in der Phantasie der Byzantiner existierte, aber Constantin hat gewiss durch magische Begehungen Anlass zum Entstehen solcher Sagen gegeben.

Die Reaktion hiegegen von Seite der christlichen Hofleute und Geistlichen haben wir bereits in dem Sturz und der Hinrichtung des Sopater (S. 441) zu erkennen geglaubt. Aus der Zeit unmittelbar vor der Einweihung wird noch der Untergang eines andern heidnischen Philosophen, Kanonaris, berichtetS. die Beilagen zum Anon. Banduri, p. 98.. Dieser trat öffentlich auf und rief dem Kaiser zu: »Überhebe dich nicht über die Vorfahren, weil du die Vorfahren (das heisst ihre Sitte und Religion) zunichte gemacht hast!« – Constantin liess ihn vor sich kommen und ermahnte ihn, von seinen heidnischen Predigten abzulassen; Kanonaris aber rief laut, er wolle für die Vorfahren sterben, und wurde darauf enthauptet.

Wenden wir unsere Blicke von der übermütigen neuen Weltstadt zurück auf die alte.

Rom hatte einen Vorzug behalten, der vielleicht in jenem Augenblick nicht besonders schwer zu wiegen schien: den anerkannten VorrangVgl. den dritten Kanon der Synode von Konstantinopel im J. 381. seines Bischofes vor allen Geistlichen des Reiches. Man konnte damals noch nicht ahnen, dass in angemessener Ferne vom byzantinischen Kaiserthron ein abendländischer Hohepriesterstuhl zu stehen kommen würde, dass einst die Hierarchie, in Konstantinopel selber durch die weltliche Herrschaft überstrahlt, in Antiochien, Jerusalem und Alexandrien durch Ketzerei und durch das Schwert des Islam erschüttert, in Rom der Mittelpunkt einer neuen geistigen Welt werden müsse. Constantins persönliche Beziehungen zur römischen Gemeinde sind sehr zweifelhaft; seine vorgebliche Schenkung ist erdichtet; die ungeheure Pracht seiner Kirchenbauten und Weihgeschenke, wie sie Anastasius Bibliothecarius (Kap. 34) schildert, beschränkt sich in der Wirklichkeit auf ein verhältnismässig WenigesNiebuhr (Vorträge über alte Länder- und Völkerkunde, S. 399) lässt von erhaltenen Gebäuden bloss die alte lateranensische Basilika gelten, und auch von dieser ist das Ursprüngliche nicht mehr kenntlich., wobei man über den wahren Umfang der kaiserlichen Freigebigkeit überdies im Zweifel bleiben kann; endlich ist seine vorgebliche Taufe durch den Bischof Silvester im Baptisterium des Laterans eine blosse Sage, welche aus dem Wunsche entstand, den arianischen Eusebius von Nikomedien durch einen rechtgläubigen Taufpriester zu ersetzenDie weitern Sagen über diese Taufe bei den spätern Byzantinern gehören als Erzeugnisse des Mittelalters nicht hieher.. In den arianischen Streitigkeiten war dann das römische Bistum weit entfernt, alle Angriffe von sich abhalten, eine bloss beobachtende und entscheidende Stellung behaupten zu könnenAmmians einseitige Polemik gegen den äussern Glanz des damaligen römischen Bistums XXVII, 3. Die Bischöfe kannten Rom gründlich.; auch später geriet es noch mehr als einmal tief in die kirchlich-politischen Stürme hinein und rang sich nur langsam empor zur Weltmacht.

Einstweilen gereichte ihm die grosse heidnische Majorität in Rom selber zu einem bedeutenden Hindernisse. Die Physiognomie der alten Weltstadt war noch das ganze vierte Jahrhundert hindurch vorherrschend eine heidnische.

Dies galt schon äusserlich, in architektonischer Beziehung. Es brauchte später eine lange Zerstörung und einen beharrlichen Umbau, bis aus dem Rom der Kaiserzeit das christliche Rom mit seinen Basiliken, Patriarchien und Klöstern emporstieg. Noch die Bauten des dritten Jahrhunderts hatten der Verherrlichung des Heidentumes, seiner Kultur und seiner Genüsse im grössten Maßstabe gedient. Die Thermen des Caracalla, des Alexander Severus, des Decius und Philippus, später die des Diocletian und des Constantin, die Ausschmückung des Trajansforums, die herrliche Villa der Gordiane, der Sonnentempel Aurelians, die Basilika und der Zirkus des Maxentius, endlich jenes vom jüngern Gordian gehegte, von Gallienus vergrösserte, aber nicht ausgeführte Projekt einer reichen Säulenhalle mit Terrassen, welche das ganze Marsfeld durchziehen und dann die Via Flaminia bis zur milvischen Brücke einfassen sollte – dies alles charakterisiert den Baugeist jener Epoche. Aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts besitzen wir noch die Regionenbücher, die allerdings in ihrer echten GestaltBei Preller, Die Regionen der Stadt Rom, Jena 1846. dürftiger lauten als in der früher geltenden InterpolationDiese u. a. in Graevii Thesaurus, tom. III unter den falschen Namen: Publius Victor und Sextus Rufus., welche u. a. über anderthalbhundert Tempel mit Namen aufzählte. Allein durch einen wohlberechtigten Rückschluss gelangt man doch zu ungeheuern Resultaten. Die Regionenbücher (sowohl das sogenannte Curiosum urbis als die Notitia) schildern nämlich nicht den baulichen Inhalt der vierzehn Stadtquartiere, sondern bloss die Grenzen derselben und nennen doch schon bei diesem Anlass eine ausserordentliche Menge von Tempeln, Foren, Basiliken, Thermen, Gärten, Hallen, Gebäuden für Spiele, Statuen usw. – daneben freilich keine einzige Kirche. Dies letztere wohl absichtlichSo Becker bei Preller, a. a. O., S. 59.; denn zur Zeit des Constantius und des Theodosius mussten schon viele sehr bedeutende Kirchen vorhanden sein, die nur der Heide ignorierte. Man mag sich aber dieselben gemäss dem Reichtum und der Macht der christlichen Gemeinde Roms so prächtig und ausgedehnt vorstellen als man will – sie konnten doch jedenfalls nicht aufkommen gegenüber der alten heidnischen Herrlichkeit. Die Zusammenstellung des Wichtigsten am Ende der beiden Bücher ist gerade in den Zahlenangaben unzuverlässig, doch wird man vielleicht noch unter der Wahrheit bleiben, wenn man zu den achtundzwanzig Bibliotheken, den eilf Foren, den zehn grossen Basiliken, den eilf riesenhaften Thermenbauten nur zwei Amphitheater, drei Theater, zwei Zirken usw. hinzurechnet, denn diese letztern Annahmen sind schon den vorhandenen Resten nach zu niedrig. Zu diesen und andern kolossal und würdig ausgestatteten Bauten muss sich die Phantasie – die nur mit Mühe folgen kann – noch eine unendliche Fülle des herrlichsten plastischen Schmuckes hinzudenken, nämlich die vierunddreissig (oder 36) marmornen Triumphbogen und zahllose öffentlich aufgestellte Statuen und Gruppen. Und dies alles malerisch verteilt auf Tal und Hügel, belebt und unterbrochen durch Gärten und Baumgruppen (luci), hell durchrauscht von springenden Wassern, welche auf neunzehn hochgewölbten Leitungen aus den Gebirgen herniederkamen, um Menschen und Tiere, Luft und Grün in der gewaltigen Stadt frisch zu haltenGeschildert in Claud. Rutil., Iter I, v. 97 s.. Kolossal zu bauen haben viele alte und neue Völker verstanden; die Gestalt des damaligen Roms aber wird in der Geschichte einzig bleiben, weil nie mehr die durch griechische Kunst geweckte Lust an der Schönheit mit solchen Mitteln der äussern Ausführung und mit einem solchen Bedürfnis nach prachtvoller Umgebung des Lebens zusammentreffen wird. Wer in jener Zeit etwa mit den Eindrücken Konstantinopels nach Rom kam, wie zum Beispiel Constantius, als er im Jahr 356 seinen Triumph über den besiegten Magnentius hielt, der konnte nur staunen und verstummen und meinte jedesmal, wenn er etwas Neues sah, das Allerschönste zu sehen; als der Gipfel des Wunderbaren aber galt, wie wir bei diesem Anlass vernehmenAmmian. Marc. XVI, 10., das Forum Trajans mit der Basilica Ulpia.

Und all diese Herrlichkeit war für eine Bevölkerung vorhanden, deren Zahl von mehrern unserer jetzigen Hauptstädte erreicht und übertroffen wird. Die Herrscherin des Weltreiches, welches unter Vespasian auf hundertzwanzig Millionen Seelen angeschlagen werden konnte, hatte wahrscheinlich kaum je über anderthalb Millionen EinwohnerNach Dureau de la Malle, Economie polit. des Romains I, p. 299 s. VI, p. 405, sogar nur eine halbe Million. Wir folgen hier Friedländer (Sittengeschichte Roms I, S. 23 ff., wo die Grundlagen der Berechnung mitgeteilt sind).. Die neuere Forschung ist von den frühern, zum Teil ganz töricht übertriebenen Annahmen zurückgekommen, seitdem die Bodenfläche Roms und seiner Vorstädte, die grosse Ausdehnung des unbewohnten, bloss dem Verkehr und der Pracht dienenden Raumes und die Dichtigkeit der Bevölkerung neuerer Hauptstädte im Verhältnis zum Flächenraum bei der Berechnung zugrunde gelegt werdenEin recht besonnenes Urteil zeigt schon der alte Keyssler, Neueste Reisen, Brief XLVII.. Man kann sich in der Tat fragen, woher nur die Menschen kamen, welche all die Tempel, Theater, Zirken, Thermen und Haine benützen und geniessen sollten. Das Kolosseum allein konnte vielleicht den fünfzehnten Teil der ganzen Einwohnerschaft fassen, der Circus maximus über ein ZehnteilNämlich nach der geringern Annahme 150 000 Menschen.. Um solche Räume zu füllen, bedurfte es allerdings eines Volkes, welches seit Jahrhunderten von seinen Herrschern dazu erzogen war, welches von Spenden lebte und nichts als einen unaufhörlichen, stets gesteigerten Genuss kannte und verlangte. Die bedeutende Menge eheloser, wenig oder gar nicht beschäftigter Menschen, die Einwanderung reicher Provinzialen, die Konzentrierung des Luxus und des Verderbens, endlich das Zusammenlaufen der grössten Regierungs- und Geldangelegenheiten müssen der Bewohnerschaft Roms einen Typus mitgeteilt haben, dem sich nichts Ähnliches an die Seite stellen liess.

In dieser bunten Mischung, durch alle ihre Schichten hindurch, gab es zwei verschiedene Gesellschaften, eine heidnische und eine christliche. Wie die letztere sich in den ersten drei Jahrhunderten des Glaubens, zur Zeit der Verfolgungen, ausgebildet und benommen hatte, gehört nicht hieher; aus der kritischen Zeit Constantins, da sie gewiss zunahm und sich innerlich änderte, haben wir keine genügende Kunde; die Schilderungen aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts aber, namentlich bei S. Hieronymus, zeigen sie bereits sehr ausgeartet. Die Welt mit ihren Lüsten hatte sich in die obern wie in die untern Klassen der Gemeinde von Rom eingedrängt; man konnte eifrig andächtig und dabei sehr sittenlos sein. Fürchterliche Krisen bewegten zu Zeiten die ganze Gemeinde; aus Ammianus wissen wir, dass beim Streit des Damasus und Ursinus um das Bistum (366) eines Tages hundertsiebenunddreissig Erschlagene in der sicinischen Basilika lagen. Hieronymus, welcher der Sekretär des siegreichen Bischofs Damasus wurde, lernte in dieser Stellung Gross und Klein kennen; er wusste, wie allgemein die Tötung der noch ungeborenen Kinder warEp. XXII ad Eustochium, c. 13.; er sah zwei Leute aus dem Pöbel sich heiraten, wovon der Mann schon zwanzig Weiber, das Weib schon zweiundzwanzig Männer begraben hatteEp. CXXIIT ad Ageruchium, c. 10. Alle Welt war neugierig, wer zuerst sterben würde; es war das Weib, und der Witwer führte wie ein Sieger die Leiche durch den Zulauf von ganz Rom.; nirgends macht er ein Hehl aus der allgemeinen Verderbnis. Aber am genausten schildert er die vornehmen Stände und gewisse Geistliche, und zwar in ihrer Wechselwirkung. Fürstlich zieht die grosse Dame, die reiche Witwe einher, mit vollen, rotgeschminkten WangenEp. XXII ad Eustochium, c. 16 s., besonders c. 32.; ihre Sänfte ist umgeben von Verschnittenen. Mit dem nämlichen Gefolge erscheint sie fleissig in den Kirchen und schreitet, Almosen spendend, majestätisch durch ein Spalier von Bettlern. Zu Hause hat sie Bibeln auf Purpurpergament mit Gold geschrieben und mit Edelsteinen besetzt, kann aber dabei die Armen hungern lassen, wenn ihrer Eitelkeit nicht gedient wird. Ein Ausrufer geht in der Stadt herum, wenn die Dame zu einer Agape, einem Liebesmahl, einladen will. Auch sonst ist bei ihr offene Tafel; unter andern Schmeichlern treten Kleriker heran, küssen die Frau vom Hause und machen eine Handbewegung – zum Segnen, sollte man glauben: nein, um eine Gabe in Empfang zu nehmen; nichts aber macht die Damen so stolz als die Abhängigkeit der Priester. Diese Witwenfreiheit schmeckt viel süsser als die Mannsherrschaft und gibt überdies einen Schein von Enthaltsamkeitet post coenam dubiam apostolos somniant. Hieronymus schreibt hier an ein vornehmes und frommes Mädchen. Die grossartige Ungeniertheit, mit welcher er die Dinge beim Namen nennt, ist ein Reflex antiker Naivetät, von welcher wir jetzt keinen Begriff mehr haben., wobei doch manche sich durch Wein und Leckerei entschädigen. Andere freilich, die in härenen Kutten gleich Nachteulen einhergehen, beständig seufzen und doch insgeheim dem gemeinsten Wohlleben frönen, sind um nichts besser. Die gesuchten Verhältnisse geistlicher Verwandtschaft, welche dem naturgemässen Familienleben Eintrag taten, sind dem strengen Kirchenlehrer samt und sonders verdächtigEp. CXXV ad Rusticum, c. 6. Hieronymus bezieht sich nicht immer ausdrücklich auf Rom, schildert aber doch im ganzen die römische Gesellschaft.; da gab es Männer, die ihre Frauen verliessen und unter frommem Vorwand andern anhingen; Frauen, welche Jünglinge zu geistlichen Söhnen annahmen und am Ende mit denselben in sinnlichen Umgang gerieten u. dgl. m., namentlich aber gewisse Frömmler, welche als eine Art von Beichtvätern sich bei Frauen einnisteten und mit denselben lebten. Die eigentlichen Kleriker kommen, wie bereits angedeutet wurde, nicht besser weg. Hieronymus verdammt die Sitte ihres Zusammenlebens mit geistlichen Schwestern, den sogenannten Agapeten (sonst Syneisakten) unbedingtEp. XXII, c. 14., noch stärker aber ihr Auftreten in den vornehmen Häusern, zum Behuf der ErbschleichereiEp. LII ad Nepotianum, c. 6. – Das Folgende Ep. XXII, c. 28 s., der Herrschaft und der Üppigkeit. Einige spielen die Asceten, mit langem Haar, Bocksbart, schwarzem Mantel und blossen Füssen; sie betrügen sündige Weiblein durch scheinbares Fasten, das sie durch nächtliches Essen wieder einbringen. Andere – den Abbés des letzten Jahrhunderts vergleichbar – lassen sich zu Presbytern und Diakonen weihen, nur um die Weiber mit grösserer Freiheit zu sehen; diese Art geht zierlich gekleidet, reich toupiert, duftend von Wohlgerüchen, alle Finger von Steinen blitzend; ihrer netten Fussbekleidung zuliebe schweben sie auf den Zehen; ihr Ansehen ist eher das eines Bräutigams als eines Priesters. So etwa mag sich Jovinian ausgenommen haben »in seidenem Kleid, in feinem Zeug von Arras und Laodicea, rotwangig, mit glänzender Haut, die Haare teils nach hinten, teils über der Stirn gekräuseltHieron., Adv. Iovinianum II, 21.«. Einige geben sich bloss damit ab, Namen, Wohnung und Gemütsart der Damen zu erkunden. Hieronymus kannte einen solchen Geistlichen, der sich durch Herumtragen des bösartigsten Geschwätzes von einem Haus ins andere wahrhaft furchtbar zu machen gewusst hatte. Er fuhr mit schönen raschen Pferden von früh bis spät durch die Stadt, so dass man ihn nur den Stadtpostillon (veredarius urbis) nannte; oft überraschte er die Leute noch im Schlafzimmer; was ihm von Zeug oder Gerätschaften gefiel, lobte er mit einem solchen Ton, dass, wer klug war, ihm damit ein Geschenk zu machen pflegte. Selbst das Bild eines geistlichen Wüstlings der interessanten Art fehlte nichtEr hiess Sabinian und sündigte auch in Bethlehem. Vgl. Ep. CXLVII.; mit glühendem Unwillen erzählt Hieronymus, wie der Wolf in die Hürden brach, wir dürfen aber eine Episode, die uns bereits in die zweite Generation nach Constantin hinabgeführt hat, nicht durch eine geheime Liebesgeschichte noch weiter ausdehnen.

Offenbar war die Einrichtung von Klöstern mit Klausur, welche den Asceten ein für allemal von den Versuchungen des Stadtlebens abschied, damals ein wahres Bedürfnis. Denn die Ascese lag unabwendbar in der Zeit, weil die Zahl derer gar zu gross war, welche durch das Zusammentreffen der alten und neuen Religion und Sitte an sich selber irre geworden waren und in einem extremen Entschluss ihr Heil suchten, ohne sich doch gegen Rückfälle schützen zu können. Hieronymus setzt alle Kräfte daran, wenigstens in dem andächtigen Kreise, der ihm gehorcht, die völlige Entsagung zum Lebensprinzip zu erheben. Möglich, dass Vorbild und Ermahnung des einseitigen, aber gewaltigen Mannes den Gesichtskreis und die Gedanken seiner Paula, Marcella, Eustochium lebenslang beherrscht und sie gegen alles Erdenglück unempfindlich gemacht haben. Die Ehelosigkeit (S. 449) erscheint ihm als die unumgängliche Bedingung jedes höhern Lebens, um ihretwillen seien schon dem jungfräulichen Apostel, Iohannes, höhere Geheimnisse offenbar geworden als den übrigen, welche verheiratet gewesenAdversus Iovinian. I, 26. Er allein ist Apostel, Evangelist und Prophet zugleich: exposuit virginitas quod nuptiae scire non poterant.. Der Einbruch der Völkerwanderung und das drohende Zusammenbrechen aller Verhältnisse – orbis ruit!Ep. LX ad Heliodorum, c. 16. Vgl. Ep. CXXIII ad Ageruchium, passim. – schärften ohne Zweifel die Stimmung des Entsagens in ihm und andern ausserordentlich. Es gab schon in Rom und im ganzen Westen (S. 487) viele Männer und Weiber, welchen es mit der Ascese ein tiefer, bleibender Ernst war; bereits bevölkerten sich die Felsklippen des Mittelmeeres und die einsamem Uferstellen Italiens mit AnachoretenEp. III und CXXVII. Vgl. Claud. Rutil., Iter I, V. 439 s. 515 s., wo gegen das Mönchstum auf Capraia und Gorgona polemisiert wird. und bald mit Klöstern; einzelne Inseln wurden auch als Todesstätten von Märtyrern besucht, wie zum Beispiel eine der Ponza-InselnEp. CVIII ad Eustochium.. Mitten in Rom selber war es möglich, in wahrer Abgeschiedenheit zu existieren, wie zum Beispiel die reiche Asella, die ihr Geschmeide verkaufte, mit Brot, Salz und Wasser in einer engen Zelle lebte, keinen Mann mehr anredete und nur ausging, um die Apostelgräber zu besuchenEp. XXIV ad Marcellam.; von ihrer Familie war sie gänzlich getrennt und freute sich, dass überhaupt niemand mehr sie kannte. Hieronymus traute sich die seltene Fähigkeit zu, diese wahren Stadtnonnen ganz genau von den unechten unterscheiden zu können.

Was gewiss nicht in der Wirklichkeit fehlte, wohl aber in den Schilderungen des eifrigen Kirchenvaters, ist das Bild einfacher, wohldenkender Christenfamilien ohne Ascese und ohne Ausschweifung. Er gibt am liebsten das Ausserordentliche und Extreme.

 

Zwischen diese christliche Gesellschaft und die gebildetern, edlern Heiden des vierten Jahrhunderts hinein setzen wir die Schilderung der grossen Masse in Rom, wie sie uns, freilich auch nicht ohne künstliche Beleuchtung, Ammianus Marcellinus überliefert hatAmmian. Marc. XIV, 6. XV, 7. XIX, 10. XXVII, 3. XXVIII 4 u. a. a. O..

Er beginnt bei Anlass eines Aufruhrs wegen Mangels an Wein und lehrt uns das römische Volk als sehr trinksüchtig kennen, wie denn auch noch heute in Rom wenigstens etwas mehr gezecht wird als in Florenz und Neapel. Die seit Constantin eingeführten Weinverteilungen genügten nicht; wer es irgend aufzuwenden hatte, lag ganze Nächte in den Tavernen. Als dem Stadtpräfekten Symmachus nachgesagt wurde, er wolle lieber mit dem Wein Kalk löschen, als den Preis herabsetzen, zündete man ihm das Haus an. Wenn irgendwo von Rom die Rede war, hörte man auch gleich von »Krawall und Weinhäusern« sprechen. Wie jetzt die Morra, so war das Würfelspiel in und ausser der Wirtschaft der Zeitvertreib, der alle Lücken ausfüllte; dabei ertönte ein schnarrendes Geschrei, welches dem Hörer durch Mark und Bein ging. Wenn das Spiel mit den tesserae für vornehmer galt als das mit den aleae, so meint doch Ammian, der Unterschied sei nicht grösser als der zwischen einem Dieb und einem Strassenräuber; leider seien die Spielfreundschaften die einzigen, welche noch die Leute fest zusammenhielten. – Die gemeinen Römer waren übrigens noch immer ein trotziges Volk, voller Selbstgefühl; es gab, ungeachtet des Zustroms aus allen Ländern seit einem halben Jahrtausend, noch viele uralte Bürgersgeschlechter, die sich auf ihre Namen Cimessor, Statarius, Cicimbricus, Pordaca, Salsula usw. etwas zugutetaten, auch wenn sie barfuss liefen. Bisweilen erging, wenigstens im Theater, der wilde und bedenkliche Ruf: »Hinaus mit den Fremden!« – diese Fremden, sagt Ammian, die doch ihre einzige Stütze und Hilfe sind! – Der Hauptruf Roms aber war noch immer panem et circenses! – Was das Brot betraf, so gab es keine angstvollern Augenblicke, als wenn die Kornflotten aus Afrika durch Krieg oder widrige Winde aufgehalten wurden; ein Stadtpräfekt Tertullus (359) stellte bei einem solchen Anlass dem wütenden Pöbel seine Kinder als ein Pfand vor und besänftigte ihn damit so weit, dass man nach der immergrünen, rosenduftenden Tiberinsel mit dem Dioskurentempel bei Ostia ziehen konnte, wo sich sonst jährlich das römische Volk einen heitern Festtag zu machen pflegte; dort opferte Tertullus dem Castor und Pollux, und das Meer wurde ruhig und ein sanfter Südwind brachte die vollen Flotten herbeiDie Stimmung ähnlicher Schreckensmomente hat auch Symmachus (Ep. II, 6. 7. III, 55. 82. X, 29) verewigt. Man suchte sich bei solchen Hungersnöten durch ganz rücksichtslose Ausweisung aller Fremden – mit Ausnahme des Theaterpersonals! – zu helfen. Ammian. XIV, 6, § 19.. – Wer von dem müssigen Volk mit dem ausgeteilten Brot, Wein, Öl und Schweinefleisch nicht zufrieden war, stellte sich an die Luke einer Garküche und genoss wenigstens den Duft der Braten und anderer Speisen.


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