Jacob Burckhardt
Die Zeit Constantins des Großen
Jacob Burckhardt

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Viel prächtiger und grösser darf man sich die Mithrashöhle in Rom vorstellen (wo sie in den Kapitolinischen Hügel hineinging)Dass es ausserdem noch andere Speläen oder Mithrashöhlen in Rom gab, lässt sich aus der Inschrift Orelli nr. 2346 schliessen., ebenso diejenigen in den übrigen grossen Städten des Reiches. In Alexandria lag das Heiligtum tief unter der ErdeΚατὰ βάθους πολλου̃, nicht mirae altitudinis, wie der Übersetzer sagt. Socrates, Hist. eccl. III, 2. V, 16. Sozom. V, 7. Rufin. II, 22.; als man es in der christlichen Zeit wieder aufgrub, um eine Kirche dorthin zu bauen, ging noch die dunkle Sage von vielen Ermordungen, die sich an dieser Stätte zugetragen, und wirklich mochten manche ob den »Züchtigungen« das Leben eingebüsst haben; nur schrieb man, als sich wirklich Totenschädel vorfanden, dieselben irrig solchen zu, welche hier zum Behuf der Eingeweideschau und zur Seelenbeschwörung seien geschlachtet worden. Der Mithrasdienst hatte damit nichts zu tun, wohl aber war die ägyptische Phantasie von Hause aus mit solchen Greueln ganz erfüllt, wie wir sehen werden.

Gegen hundert Reliefs und InschriftenS. Creuzer, a. a. O., S. 65. beweisen die Verbreitung dieses Dienstes durch das ganze Reich; Tausende mögen noch unter der Erde verschüttet liegen, und es ist nur zu wünschen, dass die Ausgrabung immer in solche Hände falle, wie zu Heddernheim, Neuenheim und Osterburken geschehen. Vielleicht kann der Inhalt einer einzigen wohlerhaltenen Mithrashöhle ein entscheidendes Licht auf diesen merkwürdigsten aller spätern Geheimkulte werfen.

Allerdings ist derselbe nicht unberührt geblieben von dem grossen Strom der übrigen Superstitionen dieser Zeit. Fürs erste gab es manche, die der Mysterien gar nicht genug bekommen konnten und sich deshalb bei der dreigestaltigen Diana, dem Taurobolium der Grossen Mutter, den bacchischen Kulten, dem Isisdienst und bei Mithras zugleich versicherten – eine Fusion aller heidnischen Geheimdienste, die allerdings erst im Laufe des vierten Jahrhunderts zur Regel wurdeDie abendländischen Inschriften dieses Inhaltes bei Beugnot, vol. I, passim und bei Orelli, a. a. O. Schon bei Apuleius, Metam. XI heisst der Oberpriester der Isis in Korinth selber Mithras, wie bei Lucian., Necyomantia c. 6, der babylonische Wundertäter Mithrobarzanes., schon vorher aber gewiss nicht selten war. Unter Mitwirkung der Lehre von der Einheit alles göttlichen Wesens musste man vollends gleichgültig werden gegen alle scharfe Abgrenzung der einzelnen Kulte, so dass der eine von dem andern manches annahm. Auch die neuplatonische Philosophie mischte sich in den Mithrasglauben wie in alle Geheimnisse, und einem ihrer namhaftesten Anhänger, dem Porphyrius, verdanken wir die fast einzige Aufzeichnung von heidnischer Seite über diesen Gegenstand. Nur verfolgt diese oft angeführte Schrift über die NymphengrotteAusserdem vgl. Porphyr., De abstinentia IV, 16. leider nicht sowohl den damaligen Bestand als vielmehr die ursprüngliche Bedeutung desselben, und auch diese in einseitigem, willkürlich symbolisierendem SchulinteresseVgl. Schwenck, a. a. O., S. 213.. Da erfahren wir, die Grotte sei ein Bild des Kosmos, der Welt; deshalb habe schon Zoroaster in den Gebirgen Persiens eine blumige, quellenreiche Höhle geweiht zu Ehren des Weltschöpfers und Lenkers Mithras; in dieser Urhöhle seien die Symbole der Weltelemente und Weltzonen angebracht; von hier seien seitdem alle Höhlenmysterien ausgegangen. Andererseits aber knüpft sich die ganze Schrift an die von HomerOdyss. XIII, 102–112, 346 ff. besungene Grotte auf Ithaka und verlegt den Herd der Symbolik in diese. Porphyrius hat jene bodenlose Manier, welche sich bemüht, in den Mythen alles identisch zu finden und einen Anklang immer an den andern zu hängen. Einzelne beiläufige Winke aber sind von grossem Werte, wenn er zum Beispiel die nördliche und die südliche Tür seiner Welthöhle den zur Erdengeburt herniedersteigenden und den zu den Göttern durch den Tod emporsteigenden Seelen, der Genesis und der Apogenesis, zuweist und sich überhaupt mehrfach auf Leben und Läuterung der Seelen bezieht.

Endlich lag eine natürliche Verwandtschaft für Mithras bereit in der Person des griechisch-römischen Sonnengottes, mochte man sich denselben als Apoll oder von diesem getrennt als Sol, Helios denken. Es wird wohl nie zu ermitteln sein, wie weit Mithras in diesen aufging; vielleicht ist Sol invictus, der seit Mitte des dritten Jahrhunderts auf Münzen und Inschriften häufiger wird, überall als Mithras aufzufassenDer Beiname invictus, sogar invictus comes, kommt auf Inschriften auch dem Herkules öfter zu, vgl. Orelli l. c. I, nr. 1541 s., allein es ist wohl möglich, dass man bei der alten Sonneneigenschaft des Herkules zugleich auch an Mithras dachte. Wie dieser ο θεὸς εκ πέτρας, so heisst Herkules »in petra«. Orelli l. c. 1543., wenn er auch öffentlich nur als Sonnengott abgebildet wurde. Der Sonnendienst früherer Kaiser mochte sich an semitischen Kult anlehnen, zum Beispiel bei Elagabal, und bei AurelianHist. Aug., Aurelian. 4. 31. 41. bleibt man noch einmal völlig im Ungewissen, welcher Art seine Religion gewesen. Seine Mutter war Sonnenpriesterin in einer Ortschaft an der untern Donau, und wenn jemand sie für eine jener weiblichen Mithrasgläubigen halten will, von welchen hie und da die Rede ist, etwa für eine »Löwin«, so liegt hierin wenigstens keine Unmöglichkeit. Nach der Plünderung des Sonnentempels von Palmyra dagegen befiehlt er dessen Herstellung durch einen seiner Generale und fügt bei: »ich will an den Senat schreiben und ihn ersuchen, einen Pontifex zu senden, der den Tempel wieder einweihen mag« – was den gewöhnlichen römischen Ritus voraussetzt, obwohl es sich um das Heiligtum eines semitischen Baal handelt. In Rom selbst aber baut er einen überaus grossen und prächtigen Sonnentempel, in welchem er 15 000 Pfund Goldes niederlegt (denn mit dieser Angabe ist gewiss kein anderer Tempel gemeint), und dieses Gebäude lehnte sich mit seiner Rückseite so in den Quirinalischen Berg hinein, dass sich der Gedanke an eine mithrische Andeutung nicht unbedingt abweisen lässtZosim. I, 64: Aurelian »stellte darin die Bilder des Helios und des Belos auf«. Also jedenfalls noch eine Sonnengottheit neben Baal. Oder Aglibol und Malachbel? S. oben S. 197.. Denn Mithras ist und bleibt »der Gott aus dem Felsen«Firmicus Matern., De errore etc., p. 26. – Mithras ist nämlich aus einem erhitzten Felsen geboren., und schon deshalb mussten alle seine Weihestätten etwas Höhlenartiges haben, auch wenn die Höhle nicht wesentlich das Symbol der sichtbaren Welt sein sollte. Dass auch auf den Bildwerken die Stiertötung in einer Höhle vorgeht, wurde bereits erwähnt. Auf Aurelians Münzen kommt Sol invictus vor. – Das Verhältnis der nächstfolgenden Kaiser zum Mithraskult ist ungewissAuf Münzen des Carausius sollen mithrische Aufschriften vorkommen. Bei Probus häufig Sol invictus, aber hier mit der Quadriga.; bei Anlass Constantins werden wir noch einmal auf diesen Punkt zurückkommen.

Es wird vielleicht Bedenken erregen, wenn wir an den Mithraskult hier den von Persien her in das Römische Reich eingedrungenen Manichäismus kurz anreihen, da er nicht zu den Mysterien gehört. Allein als christliche Sekte ist er einmal nicht zu betrachten, vielmehr als eine besondere erlösende, überwiegend heidnische Religion. Ob er unter römischen Händen auch eine mehr römisch-heidnische Gestalt angenommen als er im Sassanidenreich besitzen konnte, bleibt dahingestellt, ebenso ein späteres Eindringen in die christliche Kirche. Er durchkreuzt mit seinem Dualismus einstweilen ganz eigentlich den klassischen Glauben, indem er alles in lauter Symbole auflöst, durch welche die beiden grossen Grundprinzipien, Licht und Finsternis, Gott und Materie, sich äussern. Das höchste Hervorgebrachte, der Christus dieses Systemes (mit offenbarem Anschluss an Mithras), ist Weltseele, Sohn des ewigen Lichtes und Erlöser, aber kaum eine Person; seine historische Erscheinung wird in einem Scheinkörper gedacht. Die Erlösung ist denn auch kein einmaliger Akt, etwa ein Opfertod, sondern eine fortwährende; aus dem sittlich unfreien Zustand des Kampfes zwischen Geist und Materie (oder zwischen der guten und bösen Seele) hilft Christus dem einzelnen Menschen beständig empor zum Lichtreich. Wie weit da von einer streng persönlich gefassten Unsterblichkeit die Rede sein konnte, wird schwer zu entscheiden sein: der »Grundbrief« der Sekte redet allerdings von einem »ewigen und glorreichen Leben«, und dies war es vermutlich auch, was den römischen Proselyten am meisten einleuchtete. Das Weitere dieses merkwürdigen Systemes gehört nicht hieher. – Der Stifter Mani hatte selber noch Apostel ausgesandt und trotz aller Verfolgung die Anfänge einer Hierarchie in seiner Gemeinde hinterlassen. Kaum zehn oder zwanzig Jahre nach seinem Martertode (272 bis 275) war seine Lehre schon weit im Römischen Reiche verbreitet. Ein kaiserliches Reskript (287, eher 296) an den Prokonsul von Afrika, Julian,Mit reichen Varianten in Hänels Ausgabe des Cod. Theodos, und Cod. Gregor. XIV, IV. In Datum und Überschrift sind entweder die Namen oder die angenommene Jahrzahl und der Ort falsch. beweist dies für Africa proconsularis. Es müssen hier beträchtliche Unordnungen auf Veranlassung der neuen Sekte vorgekommen sein, auch wusste man, dass dieselbe nach Art mehrerer orientalischer Religionen sich gegen die römische nicht friedlich, sondern ausschliessend verhalte, und überdies war sie als eine persische doppelt verdächtig und verhasst. Diocletian war in der übelsten Stimmung; er befahl, die Anstifter samt ihren Büchern zu verbrennen und die übrigen Teilnehmer teils ebenfalls zu töten, teils (wenn es Leute vom Rang der Honorati oder sonst von einer Dignität seien) sie in die Bergwerke zu senden, unter Einziehung ihres Vermögens. Das Motiv ist wesentlich die Feindseligkeit der neuen Religion gegen die alte, welche letztere sich hier im heiligsten Rechte fühlt, als eine urzeitliche Stiftung der Götter und Menschen. – Von dieser auffallenden Erwähnung an verlieren wir den Manichäismus für mehrere Jahrzehnte aus den Augen. Bis zu Constantins Tode kann er keine bedeutende Rolle mehr gespielt haben, wenigstens wird er in dem grossen KetzerediktEuseb., Vita Const. III, 64. Sozom. II, 32. Dass Constantin sich auch über die Manichäer Bericht erstatten liess, meldet Ammian. Marc. XV, 13. nicht mit Namen genannt. Erst im fünften Jahrhundert erhebt er sich für einige Zeit zum gefährlichsten Feinde der KircheSchliesslich braucht kaum erwähnt zu werden, dass ausser diesen besondern Kulten auch allerlei geheime magische Mittel die Unsterblichkeit zuwegebringen sollten. Arnob. II, pag. 87 spricht davon: neque quod Magi spondent, commendaticias habere se preces, quibus emollitae nescio quae potestates vias faciles praebeant ad coelum contendentibus subvolare . . . Andere Unsterblichkeitsmysterien s. bei Marcian. Capella, l. II, p. 36 ed. Grotii..

Die obige Auseinandersetzung zeigt, dass die späten Heiden nicht mehr bloss um Fruchtbarkeit, Reichtum und Sieg zu den Göttern beteten; eine dunkle Sorge um das Jenseits hat sich ihrer bemächtigt und treibt sie zu den sonderbarsten Lehren und Weihen.

Aber auch das Diesseits erscheint jetzt in einem andern Lichte. Bei Anlass der Isismysterien wurde kurz darauf hingedeutet, wie man durch den mühsam zu erwerbenden Schutz einer grossen Gottheit nicht bloss dem Untergang der Seele, sondern auch dem trüben, von den Gestirnen abhängigen Erdenschicksal zu entgehen hoffte. Es wird nun zu zeigen sein, wie alles Überirdische in einem andern Verhältnis zum Erdenleben stand als früher, wie astrologische, magische und dämonische Beziehungen über die frühern Opfer, Orakel und Sühnungen das Übergewicht bekamen. Vorhanden waren sie immer gewesenVgl. Soldau, Geschichte der Hexenprozesse, S. 23 ff., wo der Beweis geleistet ist, dass die alten persischen Magier keine Zauberer waren, und dass die Römer mit Unrecht ihre eigene Magie auf sie zurückführten., und schon Homer hatte als Urbild aller Magie die Circe geschildert. Plato redet von herumziehenden Wundertätern, welche durch geheime Begehungen Segen und Fluch zuwegebringen wollten; anderwärts finden sich Zauberer, welche Witterung und Fruchtbarkeit, Sturm und Meeresstille in ihrer Gewalt haben. Thessalien ist und bleibt bis tief in die Kaiserzeit das klassische Land zumal des Liebeszaubers, durch Sprüche sowohl als Geheimmittel. Das alte Italien stand jedoch hierin neben Griechenland schwerlich zurück, da zum Beispiel die Götterbeschwörung, die dem Tullus Hostilius so übel bekam, selbst im altrömischen Kultus ihre Stelle hatte. Wie die Magie in eine Masse abergläubischer Hausmittel für Krankheiten und dergleichen ausmündete, zeigt das achtundzwanzigste und das dreissigste Buch des Plinius hinlänglich. Besonders namhaft war die Zauberei der Etrusker, Sabiner und Marser, also der meisten alten Bewohner Mittelitaliens. Abgesehen von magischen Heilungen aller Art trauten die Römer von jeher diesen Künsten die Verzauberung von Kornfeldern, das Wettermachen, die Erregung von Liebe und Hass, die Verwandlung in Tiere und vieles andere zu. Dieser Glaube reflektierte sich dann in den merkwürdigsten Spukgestalten, u. a. der blutaussaugenden Lamien und Empusen. Wohl dem, welcher sich reichlich mit rettendem Gegenzauber schützte! Man behing sich zu diesem Zweck mit Amuletten von oben bis unten; ja, es existierte ein ganzes grosses System magischer Verteidigung, aus welchem beiläufig noch einzelne Züge mitgeteilt werden sollen.

Wenn man die grosse Menge von einzelnen überlieferten Zügen dieses Zauberwesens überblickt, so möchte man glauben, dass die ganze alte Welt davon gänzlich bestrickt und im täglichen Leben unaufhörlich dadurch geängstigt gewesen sei. Und dennoch taten diese früher vereinzelt auf tretenden Superstitionen der alten Religion lange nicht so starken Abbruch, das heisst sie störten das naive Verhältnis des Menschen zur Gottheit lange nicht so sehr, als der spätere systematische Aberglaube, welcher namentlich seit der Kaiserzeit zu herrschen begann.

Zunächst ist hier von der Sterndeutung zu reden, welche als ein altes Vorrecht des Orientes galt, und deren Adepten auch in der Regel noch Chaldäer heissen, obwohl sie nur geringstenteils wirklich aus dem Lande am untern Euphrat stammen mochten. Wenigstens haben die bekanntern unter ihnen, der Thrasyllus des Tiberius, der Seleucus und Ptolemaeus des Otho, griechische Namen. Ausser der babylonischen Weisheit berief man sich übrigens auch auf die ägyptische, welche an die Namen Petosiris und Necepso geknüpft ist, die als Autoren der verbreitetsten astrologischen Schriften galten.

Abgesehen davon, dass die Sterndeuter sich mit der blossen Astrologie nicht immer begnügten, sondern noch zu andern schrecklichern Erforschungsweisen der Zukunft die Hand boten, lag schon in der Sterndeutung allein die stärkste Veranlassung zur Gottlosigkeit. Der konsequent astrologisch Gesinnte wird aller sittlichen Erwägung und aller Religion spotten, da sie ihm gegen das aus den Sternen erkannte Fatum weder Trost noch Hilfe gewähren können. Die Praxis dieser geheimen Wissenschaft ist es vorzugsweise, welche zum Beispiel die Kaiser des ersten Jahrhunderts mit dem grauenvollsten Fluche beladen hat. Unaufhörlich werden die Chaldäer verbannt, weil man aus ihrer Wissenschaft kein kaiserliches Vorrecht machen kann, weil alle Welt ihre Weissagung in Anspruch nimmt, und ebensooft werden sie zurückgerufen, weil man ihrer nicht mehr entraten will. Wer dann nach Rom zurückkehrte mit den Schwielen von den Fesseln, die er auf irgendeiner Insel des Ägäischen Meeres getragen, der war gewiss, dass man sich um ihn streiten würdeIuvenal. VI, 552 s.. Der Inhalt dieser Wissenschaft ist kurz der, dass für alle möglichen relativen Stellungen der Planeten zu den Zeichen des Tierkreises ein Verzeichnis von entsprechenden Schicksalen erfunden wird. Die Stunde entscheidet über alles; man kann Horoskope stellen für das alltäglichste Vorhaben, zum Beispiel eine Spazierfahrt, einen Gang ins Bad, wie für das ganze Leben eines Menschen, wenn man nur die Konstellation im Augenblick seiner Geburt kennt. – Wer noch die Augen offen behielt, sah die Nichtswürdigkeit des ganzen Betruges ein und konnte ihn handgreiflich nachweisenSo z. B. Favorinus bei A. Gellius XIV, 1. – Noch viel vollständiger der h. Hippolyt zu Anfang des IV. Buches seiner »Widerlegung der Ketzereien«.. Wie sollten die Konstellationen irgendeine bestimmte durchgehende Schicksalsbedeutung haben können, da sie ja zu derselben Stunde für den Beobachter in Mesopotamien ganz anders sich gestalten als an der Donau oder am Nil? Warum haben die Menschen, die zu derselben Stunde geboren werden, nicht dasselbe Schicksal ? Warum soll die Konstellation der Geburt den Vorzug haben vor derjenigen der Empfängnis? Warum schützt die grösste Verschiedenheit der Geburtsstunde nicht vor ganz gleichartigem Untergang, zum Beispiel bei Erdbeben, Eroberung, Sturm auf der See u. dgl.? Und soll sich das vorgebliche hohe Sternenfatum etwa auch auf Fliegen, Würmer und anderes Ungeziefer ausdehnen? Es wird sogar nicht ohne Ahnung gefragt, ob es nicht noch mehr Planeten geben möchte als die (damals) bekannten. Und zuletzt geben alle besonnenen Menschen zu, dass es gar kein Glück sei, die Zukunft zu wissen, und jedenfalls ein Unglück, etwas Falsches darüber zu erfahren.

Aber alle Vernunftgründe der Welt konnten diese sogenannte Wissenschaft nicht ausrotten bei einem Volke, dem schon in der Blütezeit seiner Kultur die Idee einer göttlichen Weltordnung, eines alldurchdringenden Systems sittlicher Zwecke fremd geblieben war und das jetzt mehr als je über alle Schicksalsfragen in Ungewissheit und Angst schwebte. Der Aberglaube war hier ein um so dringenderes Bedürfnis, je mehr die natürliche Energie verschwand, womit der einzelne dem Fatum Trotz geboten hatte. In der spätern Kaiserzeit sucht sich jedoch die Astrologie auf dieselbe merkwürdige Weise zu versittlichen, wie so manche früher verrufene GeheimkulteDer Übergang zeigt sich schon bei Alexander Severus, welcher laut Hist. Aug., Al. Sev. 44 die Astrologen von Staats wegen besoldete und also öffentlich anerkannte.. Es ist hierüber ein vollgültiges Zeugnis vorhanden in den »Acht Büchern Mathesis« des heidnischen Firmicus MaternusFirmici Materni Matheseos libri VIII, ed. Basil. 1551. (Einige Lücken ausgefüllt von Lessing. S. dessen sämtliche Werke, Ausgabe von Lachmann, Bd. IX). Die Identität mit dem gleichnamigen christlichen Verfasser der Schrift De errore profanar. religionum wird gänzlich aufgegeben., welcher bald nach Constantins Tode schrieb. Am Ende des zweiten Buches dieser vollständigen Theorie des ganzen Sternglaubens wird dem Astrologen eine lange feierliche Vermahnung erteilt, welche den Zweck hat, diesem ganzen Treiben das Kompromittierende, Unheimliche, Düstere zu benehmenEine ähnliche Absicht tritt bei Ammian. Marc. XIX, 12 zutage.. Der Mathematicus soll einen göttlichen Wandel führen, sintemal er mit Göttern umgeht; er erweise sich zugänglich, rechtschaffen, nicht geldgierig; er gebe seinen Bescheid öffentlich und bedeute den Fragenden von vornherein, dass er ihm laut antworten werde, um auf diese Weise die unerlaubten und unsittlichen Fragen abzuschneiden. Er muss Weib und Kinder haben und ehrbare Freunde und Bekanntschaften; er verkehre mit niemand insgeheim, sondern zeige sich unter den Leuten, halte sich aber von allem Hader fern und nehme gar keine Fragen an, die auf jemandes Schaden oder Untergang, auf Befriedigung von Hass und Rache abzielen. Er zeige sich durchgängig als Ehrenmann und verbinde mit seinem Beruf keine wucherischen Geldgeschäfte (wie demnach die verrufenen Astrologen häufig mögen getan haben). Eide soll er weder leisten noch verlangen, namentlich nicht in Geldsachen. Er suche auf Irrende in seiner Umgebung wohltätig einzuwirken und überhaupt nicht bloss durch förmliche Entscheide aus den Gestirnen, sondern auch durch freundschaftlichen Rat die leidenschaftlichen Menschen auf die rechte Bahn zu leiten. Nächtliche Opfer und Zeremonien, öffentliche wie geheime, möge er meiden; ebenso die Zirkusspiele, damit niemand glaube, seine Gegenwart hänge mit dem Sieg einer Partei, der Grünen oder der Blauen zusammen. Die immer sehr bedenkliche Frage über die Genitura, das Horoskop eines Dritten beantworte er nur zögernd und verschämt, damit es nicht aussehe, als wollte er irgend jemand einen Vorwurf aus dem machen, was böse Sterne für ihn beschlossen haben. Das Wort decretum, Beschluss, ist nämlich der stets wiederkehrende technische Ausdruck.

Bei weitem die gefährlichste Zumutung an die Astrologen, welche in den ersten zwei Jahrhunderten des Imperiums ihnen und ihren Kunden so oft den Untergang gebracht, war die Anfrage über das Schicksal des Kaisers. Einst hatte Alexander der Grosse das Anfragen über sein Schicksal noch nicht übelgenommen, sondern belobtArrian. VII, 18.; jetzt galt die Sache für bedenklicher. Der Caesarenthron ohne Dynastie war jederzeit umgeben von Ehrgeizigen, die aus den Sternen zu wissen verlangten, wann und wie der Kaiser sterben und wer auf ihn folgen würde. Auch dieser Frage weiss jetzt die Theorie aus dem Wege zu gehen. Firmicus Maternus setzt auseinander, man könne über das Schicksal des Kaisers überhaupt nichts wissen, weil dasselbe den Sternen nicht unterworfen sei, sondern unmittelbar von der höchsten Gottheit geleitet werde. Der Kaiser als Herr der Welt hat den Rang eines jener vielen Dämonen, welche als schaffende und erhaltende Mächte von der Gottheit über die Welt gesetzt sind, und deshalb wissen die Sterne, die eine niedrigere Potenz vorstellen, nichts über ihn zu sagen. Die Haruspices, wenn sie das kaiserliche Schicksal durch Eingeweideschau ermitteln sollen, sind in demselben Falle, sie pflegen die Adern und Fibern absichtlich durcheinander zu wirren, um nicht Antwort geben zu müssen. – Diese Zugeständnisse halfen jedoch im vierten Jahrhundert der Astrologie nicht mehr viel; verflochten mit allen andern Arten des Aberglaubens, hatte sie den Thron und das Christentum zugleich gegen sich und unterlag mit der Magie und den übrigen Zauberkünsten den gemeinsamen Verboten und Verfolgungen.

Der Raum erlaubt nicht, aus dem Lehrgebäude des Firmicus einen Auszug mitzuteilen, auch wird ihn heutigentages niemand ganz durchlesen, als wer entweder selbst von diesem Wahn befangen ist oder wer den Autor neu herausgeben will, wozu es bei der Seltenheit der ältern Editionen wohl Zeit sein möchte. Die eigentlichen Geheimnisse, für deren Bewahrung der Verfasser von seinem Adressaten (Mavortius Lollianus, einem hohen Beamten) einen schweren Eid beim höchsten Gotte verlangt, sind in den beiden letzten Büchern enthalten: nämlich das Verzeichnis derjenigen Konstellationen, welche den Menschen zum Mörder, Blutschänder, Missgebornen, oder zum Gladiator, zum Advokaten, zum Sklaven, zum Findling usw. machen. Diesem abscheulichen Wahnsystem zufolge müsste jede sittliche Zurechnung aufhören, und ohne Zweifel war dies die Meinung der frühern, gewissenlosen Chaldäer gewesen; allein so weit hat die neu erwachte Moralität bereits gewirkt, dass der Autor des constantinischen Zeitalters sich nach einer sittlichen Ausgleichung umsehen muss, die bei ihm vielleicht in der Tat mehr ist als eine blosse Ausrede. Er glaubt nämlich (B. I, Kap. 3), man könne auch den furchtbarsten Dekreten der Sterne Widerstand leisten durch vieles Gebet und eifrige Verehrung der Götter; so habe Sokrates sternenhalber alle Leidenschaften gehabt und sichtbar auf dem Antlitz getragen, sie jedoch tugendhalber bemeistert. »Denn den Sternen gehört, was wir leiden, und was uns wie mit Feuerbränden stachelt (das heisst: die Leidenschaften), der Göttlichkeit des Geistes aber gehört unsere Kraft zum Widerstande.« Vorzüglich ist das Unglück der Guten und das Glück der Bösen die Wirkung der Gestirne. – Dieser Trost erscheint aber doch nur äusserlich an das System angeschraubt und nimmt sich schwach aus neben der in genauer Ordnung auf einigen hundert Folioseiten vorgetragenen Theorie des Unsinns, welche damit anfängt, unter die sieben Planeten die einzelnen Temperamente und die Glieder des Leibes, unter die zwölf himmlischen Zeichen dagegen die Farben, Geschmäcke, Klimata, Gegenden, Lebensstellungen und Krankheiten zu verteilen. Der Krebs zum Beispiel bedeutet den scharfen salzigen Geschmack, die helle und weissliche Farbe, die Wassertiere und kriechenden Tiere, das siebente Klima, die stillen oder fliessenden Wasser, die mittelmässigen Menschen und alle Krankheiten des Herzens und des Zwerchfells. Dagegen gibt der Astrolog die Menschenrassen und die Völkercharaktere im ganzen frei; es genügt ihm, wenn die Individualitäten von den Sternen bedingt sind. – Die vielen sonstigen Curiosa, welche hin und wieder in dem Buche vorkommen, dürfen uns hier nicht weiter aufhaltenVon der frühern astrologischen Literatur spricht Firmicus besonders II, prooem. und IV, prooem., 10. 11. 16..

 

Es ist in diesem System mehrfach von einem höchsten Gotte die Rede, welchem alle andern übermenschlichen Wesen als blosse Mittelmächte untertan sind. Konnte denn die Philosophie sich nicht ein für allemal dieses höchsten Gottes bemächtigen und einen vernünftigen Theismus geltend machen?

Es ist ein demütigendes Zeugnis für die Unfreiheit des menschlichen Geistes gegenüber den grossen geschichtlichen Mächten, dass die damalige Philosophie, zum Teil durch wahrhaft edle Persönlichkeiten vertreten und mit aller Erkenntnis der alten Welt ausgerüstet, sich gerade hier auf die dunkelsten Nebenpfade verlor, und dass wir ihr wenigstens für den Anfang des vierten Jahrhunderts keine andere Stelle als zwischen zweierlei Aberglauben anweisen können, obwohl sie in moralischer Beziehung einen Fortschritt ausmacht.

Mit dem geistigen UmschwungVgl. H. Ritter, Geschichte der Philosophie, Bd. IV. – Tzschirner, Fall des Heidentums, S. 404 ff. seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts geht das Aussterben der alten philosophischen Schulen parallel; Epikureer, Cyniker, Peripatetiker usw. verschwinden, selbst die Stoiker, deren Sinnesweise sich mit den besten Seiten des römischen Charakters so enge verbunden hatte. Neben einem sehr entwickelten theoretischen Skeptizismus hatte der offene Hohn eines Lucian die Nichtigkeit aller Sektenunterschiede proklamiertVgl. unter anderm seine Schrift: Das Gastmahl, oder die Lapithen., während doch bereits als Reaktion eine neue Lehre, dogmatischer als alle frühern und also gewissermassen in Harmonie mit der neuen religiösen Regung, vor der Tür wartete. Es war dies der Neuplatonismus. Vor ihm her ging eine sonderbare Befreundung mit orientalischem Aberglauben und ein emsiges Forschen in den Erinnerungen an die alte, längst verschollene Schule des Pythagoras, dessen Weisheit man ebenfalls für orientalischen Ursprunges hielt; sonst wurde aus dem platonischen System selber das Wesentliche für den neuen Bau entlehnt. Der Träger der Schule in der mittlern Zeit des dritten Jahrhunderts, Plotinus, erscheint als bedeutender Denker, und das System in seinem mystischen Schwung als ein möglicher Gewinn gegenüber dem öden Skeptizismus, welcher vorher geherrscht hatte. Es liegt etwas Wahres und noch mehr poetisch Schönes in der Lehre von dem Ausfluss aller Dinge aus Gott, in bestimmten absteigenden Graden des Daseins, je nach der grössern oder geringern Mischung mit der Materie. Kein System hat der menschlichen Seele einen höhern Rang angewiesen; sie ist eine unmittelbare Emanation aus dem göttlichen Wesen und kann sich zeitweise ganz mit demselben vereinigen, wobei sie dann über alles gewöhnliche Leben und Denken hinausgehoben ist. Wir haben es jedoch weniger mit der Schullehre zu tun als mit der praktischen, sowohl moralischen als namentlich religiösen Stellung, welche der Neuplatonismus seinen Jüngern anwies oder gestattete. Es wiederholt sich hier die alte und neue Erscheinung, dass ein spekulatives System wider Vermeinen nur das Band, der zufällige Zusammenhalt, keinesweges aber der herrschende Mittelpunkt ist für Richtungen und Kräfte, die auch ohne sein Zutun vorhanden wären.

Diese späteste Philosophensekte des Altertums zeigt, wie vor allem bemerkt werden muss, durchaus keinen Fortschritt nach der Seite des Monotheismus hin, welcher bei vielen frühern Denkern weit mehr ausgebildet erscheint als in dem »Einen«, dem »Einen schlechthin«, oder wie sonst die neuen Benennungen der höchsten Gottheit oder des Urwesens lauten, das zwar bewusst, aber in pantheistischer Weise der Welt innewohnend gedacht wurde. Daneben nahm man den ganzen Polytheismus in das System herein in Gestalt des Glaubens an die Dämonen, welche als Untergötter den einzelnen Ländern, der Natur, den Lebensbeziehungen vorstehen sollten. Sie sind von jeher in der griechischen Religion vorhanden, aber in sehr schwankender Gestalt, bald mehr bald weniger von den Göttern unterschieden und frühe schon von der Philosophie nicht ohne Willkür in theologische Systeme verwoben. Später gibt ihnen der Volksglaube in der Regel eine unheimliche, gespenstische Gestalt und betrachtet sie wohl hie und da als Rächer des Bösen und als Beschützer, doch vorherrschend als Sender von KrankheitenDie schauerliche Geschichte vom Pestdämon zu Ephesus: Philostrat., Vita Apollon. IV, 10.. Die neuplatonische Philosophie fasste sie, wie wir sehen werden, als demiurgische Mittelwesen auf.

Die alten Götter waren auf diese Weise überflüssig, wenn sie nicht geradezu selber in diese Reihe eintraten und sich dämonisierten. Von der vulgären Mythologie liess sich natürlich jetzt kein Gebrauch mehr machen, und so wurden die Mythen sinnbildlich ausgedeutet, als Hüllen physischer, religiöser und sittlicher Wahrheiten, wobei bisweilen die verschrobensten Erklärungen zutage kamen, gerade wie beim Euhemerismus, wovon diese Tendenz die Kehrseite bildet. In der Lehre von der Menschenseele, so hoch dieselbe auch als göttliche Emanation gestellt wird, reicht das System nicht bis zur ewigen Seligkeit, sondern nur bis zur Seelenwanderung, die sich allerdings bei den Besten zu einer Versetzung in bestimmte Gestirne modifiziert; wir sahen, dass die Überlebenden bisweilen das betreffende Sternbild zu erraten meinten. Ja, schon hienieden wurden den Eingeweihten bisweilen, doch gerade den Frühern und Bessern nur höchst selten, Augenblicke der Seligkeit zuteil, da sie Gott zu schauen glaubten.

Wesentlicher als diese Theosophie, ja, ein bedeutendes Zeichen des Jahrhunderts, ist das Zusammentreffen der Neuplatoniker mit der in der Zeit liegenden Richtung auf Moralität und Ascese. Diese wird wohl als etwas spezifisch Christliches der freien antiken Sittlichkeit gegenübergestellt, wie die christliche Jenseitigkeit der antiken Diesseitigkeit, aber mit ebenso geringem Rechte, sobald man das Heidentum des dritten Jahrhunderts ins Auge fasst. Auch hier erkennen wir eine merkwürdige Vorahnung oder Spiegelung dessen, was das folgende Jahrhundert bringen sollte.

Der Neuplatonismus nämlich stellt heidnische Ideale auf, Lebensgeschichten begnadigter Götterfreunde, welche, in unbedingter Enthaltsamkeit lebend, bei allen berühmten Völkern des Altertums herumreisen, deren Weisheit und Mysterien ergründen und durch ihren beständigen Verkehr mit der Gottheit sich zu Wundertätern und übermenschlichen Wesen entwickeln. Mit der allzu genau historisch bekannten Person des göttlichen Plato selber wurde dies nicht versucht, obwohl er in der Schule immerhin ein dämonisches Ansehen genoss; ein gewisser Nikagoras von Athen zum Beispiel, der zur Zeit Constantins die Wunder Ägyptens besuchte, hat in den Grüften von Theben seinem Namen das Gebet beigeschrieben: »Auch hier sei mir gnädig, Plato!«Boeckh, Corp, inscr. Gr. III, fasc. II, nr. 4770. Dafür lag Pythagoras schon weit genug in mythischer Ferne, um zu einer Bearbeitung seines Lebens in diesem Sinne einzuladen, die denn auch von Iamblichus (zur Zeit Constantins) unternommen wurde, nachdem noch dessen nächster Vorgänger Porphyrius den Pythagoras mehr in historisch besonnener Weise geschildert hatte. Andererseits war das Leben des Wundertäters Apollonius von Tyana, obwohl es erst in das erste Jahrhundert nach Christus fiel, dunkel und ausserordentlich genug gewesen, um zum Tendenzroman verarbeitet werden zu können, und bereits unter Septimius Severus unterzog sich Philostratus dieser AufgabeDie frühere Ansicht von einer polemischen Tendenz des Philostratus gegen die Christen oder auch nur von einer absichtlichen Parallele mit Christus wird jetzt völlig aufgegeben. Vgl. Ritter, a. a. O., S. 494 N. – Reste einer andern Tradition über Apollonius, welcher als Wundertäter für ganze Städte durch sog. Telesmata auftritt, finden sich bei Malalas, X, ed. Bonn, p. 264 seq.. Es ist hier nicht die Stelle, dieses höchst merkwürdige Buch zu analysieren, wir müssen nur auf den sonderbaren Kompromiss hinweisen, welchen hier die alte griechische Subjektivität mit der orientalischen Wundersucht und Kasteiung geschlossen hat. Derselbe Apollonius, welcher barfuss im Linnenkleid einhergeht, keine tierische Nahrung noch Wein geniesst, kein Weib berührt, sein Vermögen verschenkt, alles weiss»Ich weiss alle Sprachen der Menschen, und auch das, wovon sie schweigen«, sagt Apollonius selber I, 19. und kennt – selbst die Tiersprachen –, in Hungersnot und Aufruhr wie ein Gott auftritt, Wunder über Wunder tut, Dämonen austreibt und Tote erweckt, dieser nämliche übt den vollen griechischen Kultus der Persönlichkeit und zeigt bisweilen das eitle Selbstgefühl eines verzogenen Sophisten. Zunächst ist er von gutem Hause, schön von Gestalt, spricht rein attisch und hat schon als Knabe die sämtlichen Systeme hinter sich; Huldigungen aller Art nimmt er mit grösster Gravität in Empfang; er weiss schon sehr früh, dass der Punkt erreicht sei, da er nicht mehr zu forschen, sondern das Erforschte mitzuteilen habe. Von Demut ist überhaupt noch keine Spur zu entdecken, vielmehr sucht der heilige Mann andere zu demütigen, und wer zu seinen Vorträgen lacht, den erklärt er für besessen und beschwört ihn demgemäss. Manche Züge dieses Bildes entlehnte hundert Jahre später Iamblichus, um sein Pythagorasideal damit auszustatten, das sonst zum Teil auf der mehr oder weniger echten alten Tradition beruht. Auch Pythagoras, um sich als eine »von Apoll geführte Seele«, ja als menschgewordener Apoll auszuweisen, muss jetzt nicht bloss ascetisch leben, sondern auch Wunder tun, vom Karmel an die Meeresküste niederschweben, Tiere beschwören, an mehreren Orten zugleich sein u. dgl. mehr.

Die Vorbilder der in diesen Idealgestalten personifizierten beschaulichen Ascese hat man offenbar in den Büssern der verschiedenen orientalischen Religionen zu suchen, von den jüdischen Nasiräern und Therapeuten bis zu den enthaltsamen Magiern Persiens und den indischen Fakirs, welche den Griechen als Gymnosophisten recht wohl bekannt waren. Aber auch die theoretisch zur Sittlichkeit leitende Lehre von dem Abfall der Menschenseele, von ihrer Verunreinigung durch die Materie, von der Notwendigkeit ihrer Reinigung ist orientalischen, und zwar am ehesten indischen UrsprungesRitter, a. a. O., S. 414 ff. Tzschirner, a. a. O., S. 590. Ob in den Neuplatonikern diese Lehre bis zu einem lebendigen Gefühl der Sündhaftigkeit führte, bleibt doch immer sehr ungewiss. Der Hochmut dauert fort.. Nur hätte weder die Busse noch ihre spekulative Begründung allein von Osten her Eingang gefunden, wären die Gemüter nicht von Hause aus in einer gleichartigen Bewegung begriffen gewesen. Einzelne merkwürdige Berührungen des Systems mit dem Christentum, ja ein gegenseitiger Einfluss des einen auf das andere konnten ebenfalls nicht ausbleiben.

Diese Schule nun, die sich nach Plato nannte, lässt sich auf den allerdumpfsten Aberglauben ein und geht zeitweise förmlich in Magie und Theurgie auf. In jener grossen Stufenreihe aus Gott emanierter Wesen wirkt nämlich Geist auf Geist und Geist auf Natur in magischer Weise, und den Schlüssel zu dieser Magie besitzt der Eingeweihte; was man von jenen halbmythischen Thaumaturgen, von einem Pythagoras oder Apollonius in dieser Beziehung glaubte, das traute man auch sich selber fortwährend zu. Die Neuplatoniker leben als Rhetoren, Sophisten, Erzieher, Sekretäre wie die Philosophen der frühern Kaiserzeit; mitten aus dieser Tätigkeit aber erheben sie sich bisweilen auf einmal zur Beschwörung von Göttern, Dämonen und Seelen, zu Wunderkuren und geheimnisvollem Spuk der verschiedensten Arten.

Bei dem Edelsten der Schule, dem Ägypter Plotinus (205–270), tritt diese Seite nicht besonders hervorVgl. das Leben Plotins von Porphyrius, besonders c. 7. – Für das Folgende die Vitae philosophorum des Eunapius, Ausgabe von Boissonade und Wyttenbach.; seine sittliche Reinheit und Kasteiung, wozu er auch andere, selbst viele vornehme Römer zu begeistern weiss, gewährt ihm wie von selbst die Gabe der Ahnung und Weissagung; zur Beschwörung schreitet er, wie es scheint, nur gezwungen. Gleichwohl behielt er ein übermenschliches Ansehen, und solange es Heiden gab, »erkalteten seine Altäre nicht«. Bei seinem Schüler, dem Phönizier Porphyrius (geb. 233), bemerkt man sogar eine direkte Abneigung gegen die Magie, ja er zweifelt an der ganzen Dämonologie seiner Schule und zieht sich dadurch deren schweres Misstrauen zu. Auf seine Einwürfe erfolgte eine Antwort, welche unter dem unrichtigen Titel »Von den Mysterien der Ägypter« bekannt ist und vielleicht ebenfalls mit Unrecht dem Coelesyrier Iamblichus zugeschrieben wird, der unter Constantin als das Haupt der Schule zu betrachten warNach Ritter, a. a. O., rührt die Schrift von dem Ägypter Abammon her. Immerhin vertritt sie die spätem neuplatonischen Schulansichten und kann nicht als vorherrschend ägyptisch gelten.. Man kennt aus dem alten Indien und aus dem germanischen Mittelalter die oft grossartige Mystik eines mehr oder weniger bewussten Pantheismus; hier dagegen handelt es sich um eine Mystik des Polytheismus, dessen Götter freilich zu Dämonen verschiedenen Stufenranges ohne bestimmte Persönlichkeit abgeblasst sind. Wie diese Geister zu verehren, zu rufen, zu unterscheiden seien, wie das ganze Leben des gottgeliebten Weisen in derartigem Kultus aufgehen müsse, das ist in Kürze der Inhalt des traurigen Machwerkes, und nur allzusehr neigt dann die Schule des vierten Jahrhunderts überhaupt nach dieser Entartung hin; ja, sie erkennt in der Theurgie eine wesentliche Waffe zum Kampf gegen das Christentum. Von da an war ihre sonstige platonische Doktrin und Spekulation blosse Zutat.

Ein flüchtiger Blick auf dieses System der Dämonenbannung ist hier nicht am unrechten Orte. Die Möglichkeit derselben beruht darauf, dass die Seele des Bannenden sich in einen absolut leidenlosen Zustand versetze und eine innige bis zur Identität gesteigerte Einheit mit dem betreffenden Geisterwesen eingehe; das letztere wird nicht sowohl durch Bann oder Zwang herabgerufen, als vielmehr die Seele hebt sich zu ihm empor. Selbst was von äusserlichen Gegenständen bei der Bannung gebraucht wird, ist hier nicht blosses Symbol, sondern es hat eine mystische Verwandtschaft mit dem betreffenden Göttlichen. Von dem »Einen«, dem sich selbst genügenden obersten Gott, ist zwar auch die Rede, aber sich mit ihm zu vereinigen, ist die Sache sehr weniger, und der einzelne gelangt dazu ohnedies nur, nachdem er die Dämonen verehrt und sich mit ihnen vereinigt hat. Die zum Teil aus jüdischer Theologie entlehnten Rangstufen der geistigen Wesen vom höchsten Gott abwärts sind: Götter, Erzengel, Engel, Dämonen, Herrschaften, Heroen, Gebieter und SeelenAllgemeinere Geltung hatten indes nur Götter, Dämonen, Heroen und Seelen.; die letztern sind das ganz Individuelle, und von ihnen aufwärts nähern sich die Geister immer mehr der Einheit oder Wesenheit. Die sämtlichen acht Stufen werden in einer grossen Tabelle klassifiziert nach Form, Art, Veränderlichkeit, Auftreten, Schönheit, Schnelligkeit, Grösse, Lichtglanz usw. Wesentlicher sind ihre Verrichtungen und Gaben in Beziehung auf den Menschen. Die Götter reinigen die Seelen vollkommen und schenken Gesundheit, Tugend, Aufrichtigkeit, langes Leben; die Erzengel ebenso, nur nicht so genügend und dauernd; die Engel lösen die Seelen von den Banden der Materie und reichen ähnliche Gaben, nur mehr in speziellem Sinn; die Dämonen ziehen die Seelen zu den natürlichen Dingen abwärts, belästigen den Leib, senden Krankheiten und Strafen usw.; die Heroen führen die Seelen zur Beschäftigung mit den sinnlich wahrnehmbaren Dingen und regen sie zu grossen und edeln Taten an, verhalten sich aber sonst ähnlich wie die Dämonen; die Herrschaften haben die Leitung der weltlichen Dinge und geben weltliche Güter und Lebensbedürfnisse; die Gebieter gehören zum ganz Materiellen und geben nur Irdisches; die Seelen endlich, wenn sie erscheinen, treiben zur Zeugung an, benehmen sich jedoch nach ihrem Werte sehr verschieden. Jeder Geist erscheint mit einem Gefolge des nächstfolgenden Ranges, die Erzengel zum Beispiel mit Engeln usw. Die guten Dämonen bringen ihre Wohltaten gleich mit sich; die Rachedämonen zeigen künftige Martern bildlich an; die bösen Dämonen kommen mit reissenden Tieren. Alle diese Geister haben auch ihre Körper, nur sind sie um so unabhängiger davon, je höher sie in der Rangordnung stehen. Wird etwas im Ritual verfehlt, so finden sich statt der gerufenen böse GeisterÜber diese sog. antithei vgl. Arnob., Adv. gent. IV, p. 134. ein, welche sich in Gestalt jener verkappen; der Priester kann sie an ihrer hochmütigen Prahlerei erkennen. Ein richtig vollzogenes Ritual dagegen hätte seine Folge, selbst wenn der Beschwörende kein Wissender wäre, »denn nicht die Erkenntnis vereinigt den Opferer mit dem Gotte, sonst trügen die blossen Philosophen diese Ehre ausschliesslich davon«. Der Widerstreit dieser sakramentalen Indifferenz der Person mit der oben verlangten Leidenlosigkeit und sonstigen Vorbereitung der Seele springt in die Augen, allein es kommen hin und wieder noch grössere Inkonsequenzen in diesem Buche vor. – Nun erfährt man auch einiges von dem äussern Apparat und von den Formeln. Im Gegensatz zu der sonstigen neuplatonischen Lehre, welche bloss unblutige Opfer gestatten will, wird hier mit einer offenbar ägyptischen Zutat für jeden Gott die Opferung desjenigen Tieres verlangt, welchem er präsidiert, und mit welchem er also magisch verwandt ist. Sonst gilt es Steine, Kräuter, Wohlgerüche u. dgl. m. Gegen die schlechten Manieren gewisser ägyptischer Beschwörer, gegen ihre rohen Drohworte an die Götter wird ausdrückliche Verwahrung eingelegt; dergleichen wirke nur auf gewisse geringere Dämonen, und die Chaldäer vermieden es durchaus. Auch die magischen Schriftzüge, deren sich manche bedienen, bringen höchstens eine geringe und undeutliche Erscheinung zuwege und demoralisieren den Beschwörer, der dann leicht in die Gewalt der bösen, trügerischen Dämonen fällt.


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