Jacob Burckhardt
Die Zeit Constantins des Großen
Jacob Burckhardt

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Vorrede der Erstausgabe (1853)

Der Zweck des Verfassers vorliegender Schrift war, das merkwürdige halbe Jahrhundert vom Auftreten Diocletians bis zum Tode Constantins in seiner Eigenschaft als Übergangsepoche zu schildern. Es handelte sich nicht um eine Lebens- und Regierungsgeschichte Constantins, ebensowenig um eine Enzyklopädie alles Wissenswürdigen, was sich etwa auf jene Zeit bezieht; wohl aber sollten die bezeichnenden, wesentlich charakteristischen Umrisse der damaligen Welt zu einem anschaulichen Bilde gesammelt werden.

Diese Absicht hat das Buch allerdings nur in beschränktem Sinne erreicht, und der Leser wird ihm vielleicht keinen andern Titel zugestehen wollen als den von »Studien über die Zeit Constantins«. Diejenigen Lebensbeziehungen jener Epoche, welche nicht hinlänglich genau zu ermitteln sind und sich also auch nicht lebendig in das Ganze verweben liessen, sind weggeblieben, so zum Beispiel die damaligen Eigentumsverhältnisse, das gewerbliche Leben, die Staatsfinanzen und so vieles andere. Der Verfasser wollte nicht wissenschaftliche Kontroversen durch Herbeiziehung neuer Einzelheiten um einen Schritt weiterführen helfen, um sie dann doch im wesentlichen ungelöst liegen zu lassen; er hat überhaupt nicht vorzugsweise für Gelehrte geschrieben, sondern für denkende Leser aller Stände, welche einer Darstellung so weit zu folgen pflegen, als sie entschiedene, abgerundete Bilder zu geben imstande ist. Immerhin wird es ihm von grösstem Werte sein, wenn die neuen Resultate, die er in den hier behandelten Partien gewonnen zu haben meint, auch bei den Männern vom Fache Billigung finden.

Abgesehen von dieser nicht ganz freien Wahl des Materials, lässt allerdings auch das Prinzip der Verarbeitung und Darstellung ohne Zweifel viel zu wünschen übrig, und der Verfasser glaubt auch hierin weder das Beste noch das einzig Richtige getroffen zu haben. Bei universalhistorischen Arbeiten kann man schon über die ersten Grundsätze und Absichten verschiedener Meinung sein, so dass zum Beispiel dieselbe Tatsache dem einen als wesentlich und wichtig, dem andern als völlig uninteressant, als blosser Schutt erscheint. Deshalb ergibt sich der Verfasser darein, dass seine Behandlungsweise als eine subjektive bestritten werde. Sicherer wäre es wohl zum Beispiel gewesen, aus den vorhandenen Geschichten Constantins mittelst kritischer Prüfung eine neue zusammenzustellen und mit einer gehörigen Anzahl von Quellenzitaten zu versehen; allein ein solches Unternehmen hätte für den Verfasser nicht denjenigen innern Reiz gehabt, welcher einzig imstande ist, alle Anstrengung aufzuwiegen. Es soll hiemit über die verschiedenen Behandlungsweisen dieses Stoffes durchaus nicht abgeurteilt werden; genug, wenn man nur auch der unsrigen ihr Plätzchen an der Sonne gönnt.

Im Zitieren hat sich der Verfasser ein gewisses Mass vorgeschrieben. Kenner werden leicht bemerken, wie vieles er Gibbon, Manso, Schlosser, Tzschirner, Clinton und andern Vorgängern verdankt, wie sehr er aber zugleich auf durchgängiges eigenes Quellenstudium verwiesen war. Von dem trefflichen Werke Tzschirners glaubte er, beiläufig gesagt, in einer Beziehung vollständig abweichen zu müssen: der Einfluss des Christentums auf das sinkende Heidentum schien ihm nämlich dort viel zu hoch angeschlagen zu sein, und er zog es vor, die betreffenden Phänomene durch eine innere Entwicklung im Heidentum selbst zu erklären, aus Gründen, welche hier nicht weiter entwickelt werden können.

Die diesem Gegenstand gewidmeten Abschnitte (V und VI) unseres Buches ermangeln, wie man sehen wird, fast aller systematischen Einkleidung. Der Verfasser war überzeugt, hierin eher zu wenig als zu viel tun zu dürfen. Im Verallgemeinern geistiger Wahrnehmungen, besonders auf dem Gebiete der Religionsgeschichte, will er sich lieber zu zaghaft als zu dreist schelten hören.


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