Edward Bulwer
Das Geschlecht der Zukunft
Edward Bulwer

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Vierzehntes Kapitel

Obgleich, wie gesagt, die Vril-ya alle Betrachtungen über die Beschaffenheit des HÖCHSTEN wenig begünstigen, hoffen sie doch, die große Frage über das Dasein des Bösen, die der Philosophie der Oberwelt so viel Skrupel verursacht hat, lösen zu können. Sie sind der Meinung, daß, wo der ALLGÜTIGE einmal Leben verliehen hat, es nie wieder vernichtet werden könne, sei es auch noch so schwach, wie zum Beispiel in der Pflanze. Es geht in eine neue bessere Gestalt über, wenn auch nicht auf diesem Planeten (hierin weicht die Lehre von der gewöhnlichen Lehre über Wiederverkörperung ab). Das Wesen bleibt bestehen, sodaß sein vergangenes Leben in das zukünftige eingreift und es sich der allmählichen Vervollkommnung auf der Stufenleiter zum Glücke bewußt ist. Sie sagen, ohne diesen Aufstieg zur Vollkommenheit könnten sie, dem klaren menschlichen Verstände gemäß, der ihnen gegeben worden ist, niemals an die volle Gerechtigkeit glauben, die eine wesentliche Eigenschaft des ALLWEISEN und ALLGÜTIGEN sein muß. Ungerechtigkeit, sagen sie, kann nur von drei Ursachen herrühren: Mangel an Weisheit, zu durchschauen, was recht und unrecht ist; Mangel an Entgegenkommen für Wünsche, und Mangel an Macht, dieselben zu erfüllen, und alle diese drei Mängel sind unvereinbar mit dem ALLWEISEN, dem ALLGÜTIGEN und ALLMÄCHTIGEN. Aber da schon in diesem Leben die Weisheit, Güte und Macht des HÖCHSTEN so sichtbar sind, daß wir sie anerkennen müssen, so fordert die Gerechtigkeit, die notwendig aus diesen Eigenschaften hervorgeht, ein Fortleben, und zwar nicht nur für den Menschen, sondern für jedes lebende Wesen bis zur niedersten Klasse. Sowohl unter den Tieren wie unter den Pflanzen sehen wir einzelne, die aus unbekannten Ursachen im Vergleiche zu anderen ihrer Gattung besonders elend sind. Selbst eine Blume leidet zuweilen, sodaß sie vor der Zeit zugrunde geht, während sich ihre Nachbarin ihres Daseins freut und ein glückliches, schmerzenfreies Leben führt. Es ist eine irrige Annahme, daß der HÖCHSTE nur nach allgemeinen Regeln handle, wobei seine eigentlich in zweiter Reihe stehenden eigenen Interessen so mächtig sind, daß sie das Gute, was er erst geschaffen hat, wieder verderben.

Ein noch niederer Begriff von dem ALLGÜTIGEN ist der, allen Glauben an eine Gerechtigkeit gegen die Myriaden Formen, denen Er Leben gegeben hat, – verächtlich zu verwerfen und anzunehmen, daß Gerechtigkeit nur einem Erzeugnisse – dem An widerfahre. –

In den Augen des göttlichen Lebensspenders gibt es nichts Geringes und nichts Großes. Geben wir zu, daß nichts, was lebt und leidet, sei es noch so gering, zu Grunde geht, daß alle Leiden von dem Augenblicke des Entstehens bis zum Übergang in ein neues Leben, mit der Ewigkeit verglichen, kaum so lange dauern wie der Schrei eines Säuglings im Vergleiche zu einem Menschenalter; und nehmen wir an, daß dieses lebende Wesen nach seiner Umwandlung die Rückerinnerung behält (ohne dieselbe wäre es überhaupt kein Fortleben) obgleich die Erfüllung göttlicher Gerechtigkeit vor unseren Blicken verborgen ist, so sind wir doch zu der Annahme berechtigt, diese für beständig und allgemein, und nicht für veränderlich und parteiisch zu halten, wie das der Fall wäre, wenn sie nur nach allgemeinen untergeordneten Gesetzen handelte. Eine so strenge Gerechtigkeit muß notgedrungen einem alles umfassenden Wissen und Begreifen, einer vollkommenen Liebe zum Wollen und einer unbeschränkten Macht zur Ausführung entsprungen sein.

So phantastisch dieser Glaube der Vril-ya auch sein mag, neigt er doch in politischer Beziehung einem Regierungssysteme zu, das zwar verschiedene Stufen des Wohlstandes zuläßt, doch im Rang völlige Gleichheit, außerordentliche Milde in allen Beziehungen und allem Verkehre und Liebe für alle Geschöpfe erzeugt, deren Vernichtung nicht zum Wohlergehen der Gemeinde gefordert wird. Ihr Glaube, daß ein gequältes Insekt oder eine niedergetretene Blume entschädigt wird, erscheint zuweilen lächerlich, er ist aber unschädlich und man kann daraus den keineswegs unliebsamen Schluß ziehen, daß in das Innere der Erde, das nie von einem Sonnenstrahle erleuchtet wird, eine Überzeugung von der unerschütterlichen Güte des Schöpfers eingedrungen ist, ein fester Glaube, daß das ewige GESETZ keine parteiische Ungerechtigkeit zuläßt und daher an jedem Orte und zu jeder Stunde Einfluß auf ihre Handlungen habe. Ich werde später Gelegenheit haben, zu bemerken, wie die intellektuellen Eigenschaften und die Sozialsysteme dieses unter der Erde lebenden Geschlechtes eine große und anscheinend sich widersprechende Mannigfaltigkeit philosophischer Lehren und Betrachtungen enthalten, an denen von Zeit zu Zeit gezweifelt worden ist, die besprochen und fallen gelassen worden sind und die unter den Denkern und Phantasten der Oberwelt wieder auftauchten. So kann ich wohl diesen Bericht über den Glauben der Vril-ya an ein unvertilgbares empfindendes, selbstbewußtes Leben bei den niedersten Geschöpfen so gut wie bei den Menschen, mit einer darauf bezüglichen Stelle aus dem Werke des berühmten Zoologen Louis Agassiz schließen, das erst vor kurzem in meine Hände gelangte, viele Jahre nachdem ich die Erinnerungen an das Leben der Vril-ya in eine gewisse Form geordnet und niedergeschrieben hatte!

»Die Beziehungen der Tiere zueinander beweisen längst, daß kein organisiertes Wesen durch eine andere Kraft als durch die direkte Einmischung eines denkenden Geistes ins Leben gerufen werden kann. Das spricht sehr dafür, daß in jedem Tiere ein Funken geistigen Lebens wohnen muß, ähnlich wie im Menschen, der durch seine Vortrefflichkeit und großen Talente so hoch über dem Tiere steht. Dieser Funken ist ohne Zweifel da. Mag er nun Geist, Vernunft oder Instinkt genannt werden, er ruft in allen Klassen organisierter Wesen eine Reihe von Phänomenen hervor, die eng miteinander verbunden sind. Es basieren auf diesem geistigen Funken nicht allein die höheren Kundgebungen des Geistes, sondern auch die Fortdauer der spezifischen Unterschiede, die jeden Organismus charakterisieren. Die meisten Beweisführungen für die Unsterblichkeit des Menschen stützen sich auf die Fortdauer dieses Funkens in jedem anderen lebenden Wesen. Darf ich nicht hinzufügen, daß der Mensch einen beklagenswerten Verlust erleiden würde, wenn er in seinem zukünftigen Leben des großen Quelles der Freude und des geistigen und moralischen Fortschrittes, der der Betrachtung über die Harmonie einer organischen Welt entspringt, beraubt werden würde? Und dürfen wir nicht (als höchste Auffassung des Paradieses) auf eine geistige Übereinstimmung der vereinigten Welten und all ihrer Bewohner in der Gegenwart unseres Schöpfers hoffen?«

»Versuch über Klassifizierung«, 17. Abschn., S. 97-99.


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