Edward Bulwer
Das Geschlecht der Zukunft
Edward Bulwer

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Neuntes Kapitel

Erst nach einiger Zeit und nach wiederholten Verzückungen, wenn ich sie so nennen darf, gewöhnte sich mein Geist daran, mit meiner Umgebung Gedanken auszutauschen. ich lernte besser, die verschiedenen Sitten und Bräuche verstehen, die meiner Erfahrung anfangs zu fremd waren, als daß sie mein Verstand gefaßt hätte. Dann erst war ich fähig, die folgenden Einzelheiten über den Ursprung und die Geschichte dieser unterirdischen Bevölkerung als einen Teil eines großen Geschlechtes, Ana genannt, zusammenzufassen.

Den frühesten Traditionen nach hatten die ersten Vorfahren dieser Rasse in einer Welt gehaust, die über der gelegen war, die ihre Nachkommen jetzt bewohnten. Die Urkunden enthielten noch Mythen über jene Welt. Legenden erzählten von einem gewölbtem Dome, dessen Lampen von keiner Menschenhand angezündet waren. Aber derartige Legenden wurden meist für Allegorien gehalten. Nach diesen Traditionen war die Erde zu der Zeit, aus der jene Überlieferungen stammen, nicht mehr in ihrem Uranfange, vielmehr im Übergange aus einer Form der Entwicklung in eine andere begriffen und vielen heftigen Umwälzungen in der Natur unterworfen. Bei einer dieser Umwälzungen war der Teil der Oberwelt, den die Vorfahren dieses Geschlechtes bewohnten, von Überschwemmungen, die nicht plötzlich, sondern allmählich und unbezwingbar kamen, heimgesucht worden. Es kamen bis auf einen kleinen Rest alle um. Ob das eine Erinnerung an unsere in der Bibel erwähnte Sintflut ist oder ob sie aus einer früheren, von Geologen bestrittenen Epoche herrührt, vermag ich nicht zu sagen. Nach der Chronologie dieses Volkes muß sie, wenn man sie mit der Newtons vergleicht, viele tausend Jahre vor Noah stattgefunden haben. Andererseits stimmt die Berechnung jener Schreiber nicht mit der Ansicht der geologischen Autoritäten überein. Sie verlegt das Dasein der Menschheit auf der Erde in eine Epoche in der sich, wie man nach der Einführung der Mammalien annimmt, noch keine festen Körper gebildet hatten.

Eine Rotte dieses unglücklichen Geschlechtes hatte von den Fluten bedroht, in den Höhlen hoher Felsen ihre Zuflucht genommen. Sie wanderte durch Schluchten und Klüfte und verlor die Oberwelt für immer aus den Augen. Diese große Umwälzung hatte der Erde ein ganz neues Ansehen gegeben. Das Festland wurde in Meer, das Meer in Festland verwandelt. Wie man mir als feste Tatsache erzählte, findet man noch jetzt im Inneren der Erde Überreste menschlicher Wohnungen; nicht Wohnungen in Höhlen und Hütten, sondern große Städte, deren Ruinen von der Zivilisation von Geschlechtern zeugen, die vor der Zeit Noahs existierten und nicht zu jenen Rassen gezählt werden können, von denen die Philosophie sagt, daß sie sich des Feuersteines bedienten und das Eisen nicht kannten.

Die Flüchtlinge hatten die Kenntnis der Künste, die sie auf Erden geübt hatten, ihre Kultur und Zivilisation mit sich genommen. Ihre erste Aufgabe im Inneren der Erde muß gewesen sein, das Licht zu ersetzen, das sie verloren hatten. Die Kunst, aus Gasen, Mangan oder Petroleum Licht zu ziehen, scheint den Geschlechtern, von denen das unter dem ich jetzt weilte, einen Stamm bildete, niemals, selbst nicht zur Zeit der mündlich überlieferten Periode, fremd gewesen zu sein. Sie hatten sich daran gewöhnt, sich mit den rohen Naturkräften zu begnügen; aber der lange Kampf, den sie mit ihrem Besieger, dem Ozean, gehabt hatten, der Jahrhunderte hindurch währte, hatte ihre Geschicklichkeit, Wasser in Teiche und Kanäle einzudämmen, vervollkommnet. Dieser Geschicklichkeit verdankten sie ihre Rettung in diesen neuen Wohnstätten. »Viele Generationen hindurch«, sagte mein Wirt voll Abscheu und Widerwillen, »sollen unsere frühesten Vorväter sich dadurch erniedrigt und ihre Lebenszeit abgekürzt haben, daß sie das Fleisch der verschiedenartigsten Tiere aßen, die der Überschwemmung entkommen waren und im Inneren der Erde Schutz gesucht hatten. Andere Tiere, die man auf der Oberwelt nicht kennt, wurden in diesen Höhlen vorgefunden.«

Als das geschichtliche Zeitalter, wie wir es nennen, aus dem Dämmerlichte der Traditionen auftauchte, waren die Ana in verschiedene Gemeinden geteilt und hatten in der Zivilisation eine Stufe erreicht, die der sehr nahe kam, die die vorgeschrittenen Nationen der Oberwelt jetzt einnehmen. Sie waren mit den meisten unserer mechanischen Erfindungen, der Anwendung von Dampf und Gas mit inbegriffen, vertraut. Die Gemeinden beobachteten gegenseitig eine gemessene Haltung.

Sie hatten ihre Reichen und ihre Armen, ihre Redner und Eroberer. Sie bekriegten einander sowohl um eines Besitztumes wie um einer Idee willen. Obgleich die verschiedenen Staaten auch ihre verschiedenen Regierungen hatten, fingen doch die freien Institutionen an die Übermacht zu gewinnen. Die Volksversammlungen wurden einflußreicher, Republiken allgemein. Die Demokratie, die die aufgeklärtesten europäischen Politiker für den Haupttrieb des politischen Fortschrittes ansehen und die unter unterirdischen Geschlechtern, die von den Ana als Barbaren verachtet werden, noch herrscht, betrachtet das stolze Geschlecht der Ana, zu dem auch der Stamm gehörte, bei dem ich mich augenblicklich befand, als einen jener rohen, unerfahrenen Versuche, die zum Uranfang politischer Wissenschaften zu rechnen sind. Es war eine neidvolle, haßerfüllte Zeit. Eine Zeit wilder Leidenschaften, beständiger, mehr oder weniger heftiger sozialer Veränderungen, eine Zeit der Streitigkeiten unter Einzelnen, der Kriege zwischen den Staaten. Dieser Zustand dauerte mehrere Zeitalter. Er wurde allmählich durch die Entdeckung geheimer Kräfte, die in dem alles durchdringenden Fluidum, das sie mit Vril bezeichneten, enthalten sind, umgewandelt.

Der Beschreibung nach, die ich von Zee empfing, die als Professor im Kolleg der Weisen dergleichen Dinge eifriger studiert hatte als die anderen Familienmitglieder meines Wirtes, kann man durch dieses Fluidum auf alles, Lebendes wie Lebloses, den mächtigsten Einfluß ausüben.

Es kann zerstörend wirken wie ein Blitzschlag, aber es vermag auch, in anderer Weise angewendet, ein Leben zu erneuern, zu stärken, zu heilen und zu erhalten. Mit seiner Hilfe werden Kranke wiederhergestellt oder vielmehr ihre körperliche Organisation wird in Stand gesetzt, so daß ihre natürlichen Kräfte sich wieder ersetzen und sie sich dadurch selbst heilen.

Dieser Einfluß bahnt ihnen den Weg durch die festesten Substanzen, öffnet ihnen zwischen den Felsen in der unterirdischen Wildnis Täler zum Anbau. Aus dem Vril ziehen sie das Licht, mit dem sie ihre Lampen anzünden und das sie für angenehmer und gesünder halten als alle anderen zündbaren Stoffe, deren sie sich früher bedienten.

Die Entdeckung, wie die Kraft des Vril zu leiten sei, machte sich hauptsächlich im sozialen Leben bemerkbar. Der Krieg hörte unter den Vril-Entdeckern auf, denn sie brachten es in der Kunst der Zerstörung zu einer solchen Vollkommenheit, daß sie alle Übermacht an Zahl, Disziplin oder militärischer Umsicht vernichten konnten. Das Feuer, in der Höhlung eines Stabes, von der Hand eines Kindes geleitet, konnte die stärkste Festung zerstören, konnte sich seinen brennenden Weg vom ersten bis zum letzten Manne eines in Schlachtordnung aufgestellten Kriegsheeres bahnen. Wenn zwei Armeen, die beide diese Kraft kannten, feindlich aufeinanderstießen, konnte es nur zur Vernichtung beider führen.

Darum war die Zeit der Kriege vorüber; aber mit dem Aufhören der Kriege stellten sich wieder andere Übelstände in bezug auf die sozialen Verhältnisse ein. Ein Mensch war so vollständig in die Hände des anderen gegeben, daß es in eines jeden Macht und Willen stand, ihn augenblicklich zu töten. So mußte nach und nach notwendigerweise aller Zwang politischer Systeme und gesetzlicher Formen aufhören. Große Gemeinden, die auf einem umfangreichen Raume zerstreut sind, konnten bisher nur mit Gewalt zusammengehalten werden. Jetzt hörte die Notwendigkeit der Selbsterhaltung und die Sucht nach Bereicherung, die es einem Staate wünschenswert erscheinen läßt, andere in der Zahl der Bevölkerung zu überflügeln, auf.

Daher teilten sich die Vril-Entdecker im Laufe weniger Generationen friedlich in mittelgroße Gemeinden. Der Stamm, in dessen Mitte ich geraten war, beschränkte sich auf zwölftausend Familien. Jeder Stamm beherrschte ein Gebiet, das für seine Bedürfnisse ausreichte, und zu bestimmten Perioden verließ die überzählige Bevölkerung das Land und suchte sich eine neue Heimat. Niemals machte sich die Notwendigkeit zu einer willkürlichen Wahl dieser Auswanderer geltend. Es fand sich immer eine genügende Anzahl, die aus freien Stücken fortzog.

Diese oft geteilten kleinen Staaten gehörten alle zu einem großen Stamme. Sie sprachen dieselbe Sprache, obgleich der Dialekt ein wenig verschieden war. Sie heirateten untereinander und hielten die gleichen Gesetze und Gewohnheiten aufrecht. Die Kenntnis des Vril und das Verständnis ihn anzuwenden, war ein so wichtiges Band zwischen diesen verschiedenen Gemeinden, daß das Wort A-Vril gleichbedeutend war mit Zivilisation, und Vril-ya, das heißt die zivilisierten Nationen, war der Name, der die Gemeinden, die sich auf die Anwendung des Vril verstanden, von denen der Ana unterschied, die noch auf unkultivierter Stufe standen.

Die Regierung des Stammes der Vril-ya, um den es sich hier handelt, war anscheinend sehr kompliziert, in Wahrheit aber sehr einfach! Sie basierte auf einem Prinzipe, das in der Theorie zwar festgestellt, praktisch aber noch wenig erprobt war. Es strebt nach einer Einheit, nach einer einfachen Grundlage, die sich erst nach vielen Irrgängen erreichen läßt. Selbst die Republikaner stimmen dem bei, daß ein Staat am besten unter einem wohlwollenden Oberhaupte verwaltet wäre, wenn man irgend eine Sicherheit dafür hätte, daß diese Macht nicht mit der Zeit mißbraucht würde.

Diese seltsame Gemeinde erwählte daher einen einzigen höchsten Magistrat, Tur genannt. Eigentlich liegt diesem sein Amt auf Lebenszeit ob, aber nur selten kann man ihn davon zurückhalten, es in vorgerücktem Alter niederzulegen.

Es gab in der Tat nichts in dieser Gemeinde, um dessenwillen eines ihrer Mitglieder sich nach den Sorgen eines Amtes hätte gelüsten lassen. Keine Ehren, keine Zeichen eines höheren Ranges begleiteten es. Der oberste Magistrat zeichnete sich weder durch bessere Wohnung noch höhere Einkünfte aus. Auf der anderen Seite waren die Pflichten, die man ihm auferlegte, sehr leicht und einfach und erforderten weder besondere Energie noch Wissen; denn dadurch, daß die Sorge um den Krieg wegfiel, gab es auch keine Armeen zu erhalten; da es keine Gewaltherrschaft gab, war auch keine Sicherheitsbehörde zu ernennen und zu leiten. Was wir unter Verbrechen verstehen, war den Vril-ya gänzlich unbekannt; Gerichtshöfe existierten daher nicht. Kleine Streitigkeiten, die auch nur selten vorkamen, wurden dem Urteilsspruche von Freunden überlassen , die von beiden Parteien gewählt wurden, oder sie wurden von dem Kollege der Weisen, das ich später beschreiben werde, geschlichtet. Richter gab es nicht, und die Gesetze bestanden auch nur aus einem freundschaftlichen Übereinkommen, denn keine Macht konnte Gesetze gegen einen Beleidiger geltend machen, der in seinem Stabe die Kraft hatte, seine Richter zu vernichten. Es gab einige willkürliche Gebräuche und Regeln, in die die Bevölkerung schweigend gewilligt hatte. Kam irgend jemand eine dieser Vorschriften zu streng vor, so verließ er die Gemeinde und ging wo anders hin. Es herrschte in diesem Staate stillschweigend das Gesetz: Bleibe oder geh, je nachdem dir unsere Regeln und Gewohnheiten zusagen oder mißfallen. Obgleich hier nichts existiert, was wir unter der Bezeichnung Gesetze verstehen, gibt es doch kein Geschlecht oberhalb der Erde, das das Gesetz so beobachtet wie sie. Es ist ihnen zur zweiten Natur geworden den Regeln, die die Gemeinde angenommen hat, zu gehorchen. Sie haben ein Sprichwort, das heißt: Kein Glück ohne Regel, keine Regel ohne Autorität, keine Autorität ohne Einigkeit. Bezeichnend für die Milde ihrer Regierung ist der schlichte Ausdruck für etwas Unerlaubtes, etwas Verbotenes, wie zum Beispiel: »Es wird gebeten, das und das nicht zu tun«. So unbekannt, wie das Verbrechen ist auch die Armut. Nicht daß Eigentum Gemeingut, oder die Besitztümer von gleicher Größe, die Wohnungen von gleichem Luxus gewesen wären! Es gab aber keinen Rangunterschied zwischen den mehr oder weniger Begüterten und der Art der Beschäftigungen. Es folgte ein jeder ohne Neid und Mißgunst seinen Neigungen. Dank dieser Gleichheit versank eine Familie nur selten in Armut. Es gab keine gewagten Spekulationen, niemand strebte nach Rang und großen Reichtümern. Bei seiner Niederlassung wurde einem jeden ein gleich großes Stück Land zugeteilt, aber einige, die glücklicher als die andern gewesen waren, hatten ihre Besitztümer nach und nach vergrößert, eine reichere Ernte gehabt oder einen Handel angefangen. Dadurch waren einzelne wohl reicher als die übrigen, aber keiner war verarmt oder litt Mangel.

Wenn wirklich einmal ein derartiger Fall eintrat, so stand es in eines jeden Macht, auszuwandern oder sich schlimmsten Falles ohne sich dessen schämen zu müssen, an die Reichen zu wenden, die ihre Hülfe nie verwehrten, denn alle Mitglieder der Gemeinde betrachteten sich als Brüder einer einigen liebevollen Familie. Auf diesen Punkt wird meine weitere Erzählung später ausführlicher eingehen.

Das hauptsächlichste Amt des obersten Magistrates war: mit bestimmten Departements, denen die Verwaltung besonderer Einzelheiten oblag, in Verkehr zu stehen. Das Wichtigste und Hauptsächlichste war dabei die Versorgung mit dem nötigen Lichte. Hierin hatte mein Wirt, Aph-Lin, die Oberleitung. Eine andere Abteilung, die man die Abteilung »für Fremdes« nennen kann, stand mit den verwandten, nachbarlichen Staaten in Verbindung, hauptsächlich um alle neuen Erfindungen kennen zu lernen; einer dritten lag es ob, alle diese Erfindungen und Verbesserungen im Maschinenfache zu prüfen. Mit dieser Abteilung stand das »Colleg der Weisen« in direkter Verbindung. Ein Colleg, das meist aus Verwitweten, Kinderlosen und jungen, unverheirateten Mädchen bestand, von denen Zee die tätigste war. Wenn das, was wir unter Hervortun und Auszeichnung verstehen, diesem Volke bekannt gewesen wäre, hätte man sagen können, daß sie die Umsichtigste und Hervorragendste war. Die weiblichen Professoren dieses Collegs trieben am eifrigsten die Studien, die man im praktischen Leben für die am wenigsten nutzbringenden hält, wie z. B. rein spekulative Philosophie, Geschichte ferner Zeiten, Entomologie, Conchologie usw. Zee, deren Geist rege war wie der des Aristoteles, hatte zwei Bände über die Schmarotzertiere geschrieben, die im Haare einer Tigerpfote leben. Dieses Werk wurde für das beste erklärt, das man über diesen interessanten Gegenstand besaß.

Aber die Forschungen der Weisen beschränken sich nicht auf derartige subtile Studien. Sie umfassen wichtigere Gegenstände, besonders die Eigenschaften des Vril, zu deren Beobachtung die feinere Nervenorganisation der weiblichen Professoren besonders geeignet ist. Außer diesem Collegium wählt der Tur oder oberste Magistrat drei Ratgeber für den seltenen Fall, daß ihm bei der Neuheit irgend eines vorkommenden Ereignisses oder Umstandes sein eigenes Urteil nicht hinreichend erscheint.

Einige andere Abteilungen sind von geringerem Einflusse, aber überall geht es so ruhig und geräuschlos zu, daß eine Oberaufsicht unnütz zu sein und ganz zu verschwinden scheint. Allgemeine Ordnung und Regelmäßigkeit ist vollständig zum Naturgesetze geworden. Maschinerien werden bei allen Beschäftigungen in und außer dem Hause in weitestem Maße gebraucht. Die Abteilung, deren Aufsicht sie unterliegen, ist unaufhörlich damit beschäftigt, ihre Wirksamkeit noch zu erweitern. Eine arbeitende oder dienende Klasse gibt es nicht. Zum Beistand und zur Beaufsichtigung der Maschinen nimmt man Kinder, von der Zeit, wo sie der mütterlichen Sorge entwachsen, bis zu dem Alter, wo sie heiratsfähig sind, d. i. für die Gy-ei (Mädchen) das sechszehnte, für die Ana (Männer) das zwanzigste Jahr. Ein jedes dieser Kinder widmet sich der Beschäftigung, die ihm am meisten zusagt. Einige wählen ein Handwerk, andere den Ackerbau, wieder andere häusliche Verrichtungen und noch andere den einzigen Dienst, in dem diese Leute einer Gefahr ausgesetzt sind. Diese Gefahren bestehen erstens in den zeitweiligen Erschütterungen im Inneren der Erde, die vorauszusehen sind und gegen die sich zu schützen es des größten Scharfsinnes bedarf, ferner in Ausbrüchen von Feuer und Wasser, unterirdischen Stürmen, ausströmenden Gasen. An der Grenze der Domäne und überall, wo man eine solche Gefahr befürchtet, sind Wächter aufgestellt. Sie sind telegraphisch mit der Halle, in der auserwählte Weise abwechselnd fortwährende Sitzungen abhalten, verbunden. Zu diesen Wächtern wählt man ältere Knaben, die sich dem Mannesalter nahen, nach dem Prinzipe, daß gerade in dem Alter die Beobachtungsgabe und die physischen Kräfte schärfer und reger sind als in jedem anderen Lebensalter. Der zweite gefährliche, wenn auch weniger ernste Dienst ist die Vernichtung aller dem Leben, der Kultur, ja selbst dem Komfort der Ana feindlichen Geschöpfe. Die schädlichsten davon sind das große Gewürm, von dem unsere Museen vorsündflutliche Reste bewahren, und riesenhafte geflügelte Geschöpfe, halb Vogel, halb kriechendes Tier. Jüngeren Kindern ist es überlassen, diese und weniger wilde, unseren Tigern und giftigen Schlangen ähnliche Tiere zu töten und zu vernichten, weil, wie die Ana meinen, ein Kind mit um so kälterem Blute zu töten vermag, je jünger es ist. Es gibt noch eine andere Klasse von Tieren, deren Vernichtung Kindern mittleren Alters überlassen bleibt, Tiere, die kein Menschenleben bedrohen, die aber das Erzeugnis ihrer Arbeit zerstören, eine Art Reh und ein kleineres, unserern Kaninchen sehr ähnliches Tier, das der Ernte sehr viel schädlicher ist und sehr schlau die Felder verwüstet. Es ist die erste Aufgabe jener Kinder, den gelehrigsten dieser Tiere Achtung vor durch Grenzsteine gekennzeichneten Einzäumungen beizubringen, wie man den Hunden lehrt, Respekt vor der Speisekammer zu haben oder wohl auch das Eigentum ihres Herrn zu bewachen. Nur die Tiere, die dafür nicht abzurichten sind, werden getötet. Um der Nahrung oder des Vergnügens willen, wird keinem das Leben genommen. Es wird aber niemals geschont, wo es den Ana feindlich ist. In Gemeinschaft mit diesen körperlichen Arbeiten und Beschäftigungen schreitet auch die geistige Bildung der Kinder vor, bis sie die Kinderjahre hinter sich haben. Der allgemeinen Sitte gemäß machen sie dann im Kolleg der Weisen einen Kursus durch, in dem der Student neben den allgemeinen Stunden auch noch speziellen Unterricht in dem Fache und dem Berufe erhält, den er sich selbst wählt. Einige jedoch ziehen es vor, diese Probezeit in praktischer Arbeit zu verbringen, oder sie wandern aus, oder widmen sich gleich einer landwirtschaftlichen oder zum Handel gehörigen Tätigkeit.

Keiner persönlichen Neigung wird irgend ein Zwang auferlegt.


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