Edward Bulwer
Das Geschlecht der Zukunft
Edward Bulwer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel

Am andern Morgen waren die Nerven meines Freundes wieder gestärkt. Die Neugier regte ihn nicht weniger auf als mich, ja vielleicht noch mehr; denn er glaubte sichtlich an seine eigene Geschichte, während ich beträchtlich daran zweifelte. Ich glaubte nicht, daß er mir absichtlich eine Unwahrheit erzählt habe, ich meinte nur er müßte einer jener Sinnestäuschungen unterworfen gewesen sein, die sich unserer Phantasie und unserer Nerven an einsamen, ungewohnten Orten bemächtigen und in denen wir dem Formlosen Gestalt, dem Stummen Stimme geben.

Wir wählten sechs erfahrene Bergleute, die unseren Abstieg beobachten sollten, und da der Hund nur einen auf einmal faßte, fuhr der Ingenieur zuerst hinab. Als er das vorspringende Felsstück erreicht hatte, auf dem er das erste Mal gehalten hatte, kam der Hund wieder herauf um mich zu befördern. Bald war ich an meines Freundes Seite. Wir waren gut mit starken Tauen versehen. Auch ich erblickte das Licht, das ihn tags zuvor so überrascht hatte. Es drang durch eine schräge Öffnung. Mir schien es ein verbreitetes atmosphärisches Licht zu sein, es rührte nicht wie von einem Feuer her, es war vielmehr weich und silbern wie das Licht eines Nordsternes. Nachdem ich den Hund verlassen hatte, stiegen wir einer nach dem anderen, dank der Vorsprünge an den Abhängen, mit ziemlicher Leichtigkeit tiefer hinab zur Stelle, an der mein Freund tags zuvor Halt gemacht hatte. Es war ein hervortretendes Felsstück, gerade groß genug, daß wir beide nebeneinander darauf Platz hatten. Von hier aus erweiterte sich die Kluft plötzlich wie das letzte Ende eines großen Tunnels, und ich sah deutlich das Tal, den Weg, die Lampen, wie mein Freund sie mir beschrieben hatte. Er hatte nichts übertrieben. Ich hörte die Töne, die er vernommen hatte, – ein wirres, nicht zu beschreibendes Gesumme wie von Stimmen und gedämpften Fußtritten. Ich strengte meine Augen an und erblickte deutlich in der Ferne die Umrisse eines großen Gebäudes. Das konnte kein natürlicher Felsen sein. Es war zu symmetrisch, hatte große ägyptische Säulen, und das Ganze war wie von innen erleuchtet. Mit Hülfe eines kleinen Taschenteleskopes, das ich bei mir hatte konnte ich in der Nähe des Gebäudes zwei Figuren unterscheiden. Sie glichen menschlichen Gestalten, doch war ich dessen nicht ganz sicher. Jedenfalls hatten sie Leben, denn sie bewegten sich und verschwanden beide in dem Gebäude.

Nun suchten wir das Ende des Taues, das wir mitgebracht hatten, mit Hülfe von Krampen und Enterhaken, mit denen wir versehen waren, an dem Vorsprunge, auf dem wir standen, zu befestigen.

Wir waren ziemlich schweigsam bei unserem Werke; wir arbeiteten, als fürchteten wir uns, miteinander zu reden. Nachdem das eine Tauende scheinbar fest an der Felsenkante befestigt war, knüpften wir ein Stück Felsen an das andere Ende und ließen es ungefähr fünfzig Fuß tief auf den Boden hinab.

Da ich jünger und kräftiger war als mein Begleiter und als Knabe an Bord eines Schiffes gearbeitet hatte, war ich mit dieser Art des Hinablassens vertrauter als er. Im Flüstertone bat ich um den Vortritt, damit ich ihm beim Herabsteigen helfen könnte indem ich das Tau unten festhielt. Ich erreichte glücklich den Grund, und nun ließ sich auch der Ingenieur herab; aber kaum war er zehn Fuß von dem Felsvorsprunge entfernt, als die Haken, die wir wie wir meinten gut befestigt hatten, nachgaben. Der Fels hatte sich als trügerisch erwiesen und war unter der Last abgebröckelt. Der unglückliche Mann stürzte herab und fiel gerade vor mir nieder. Ein glücklicherweise kleines Felsstück das bei seinem Falle mit herabgekommen war, traf ihn und betäubte auch mich für einen Augenblick. Als ich wieder zur Besinnung kam, sah ich meinen Begleiter – eine leblose Masse – neben mir liegen.

Während ich mich tiefbekümmert und entsetzt über seinem Leichnam beugte, hörte ich dicht neben mir einen seltsamen Ton, – halb Schnaufen, halb Zischen. Instinktmäßig wandte ich mich der Stelle zu, woher das Geräusch kam, und sah aus einer dunklen Spalte im Felsen einen großen, entsetzlichen Kopf mit gähnendem Rachen und geisterhaften, gierigen Augen auftauchen – den Kopf eines scheußlichen Ungetümes. Es erinnerte an ein Krokodil oder Kaiman, war nur viel größer als das größte Geschöpf dieser Art, das ich je auf meinen Reisen gesehen hatte. Entsetzt richtete ich mich auf und floh in höchster Eile dem Tale zu. Endlich, beschämt über meine Furcht und Flucht, hielt ich inne und kehrte wieder nach der Stelle zurück, wo ich die Leiche meines Freundes verlassen hatte. Sie war verschwunden. Zweifellos hatte das Ungetüm sie schon in seine Höhle gezogen und dort verschlungen. Das Tau und die Enterhaken lagen noch da, gaben mir aber keine Hoffnung auf eine Rückkehr. Es war unmöglich, sie wieder oben am Felsen zu befestigen. Die Wände waren zu glatt, als daß menschliche Füße an ihnen hätten emporklimmen können. Ich war allein in dieser fremden Welt, im Inneren der Erde.


 << zurück weiter >>