Gottfried August Bürger
Gedichte
Gottfried August Bürger

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Heloise an Abelard.

Frei nach Popen.

                            Hier im Schauer tiefer Todtenstille,
Wo die Himmelstochter Andacht wohnt
Und Melancholie in schwarzer Hülle
Sinnig mit gesenktem Haupte thront,
Was will hier entflammter Triebe Hader
In der gottgeweihten Jungfrau Brust?
Warum glüht ihr noch in jeder Ader
Rückerinnerung entflohner Lust? –
Immer noch zu Liebe hingerissen,
Immer noch durch dich, mein Abelard,
Muß ich den geliebten Namen küssen,
Welcher mir so unvergeßlich ward.

Theurer Unglücksname, werde nimmer
Von verstummter Lippe mehr gehört!
Birg dich da ins Dunkel, wo noch immer
Liebe gegen Andacht sich empört!
Schreib ihn nicht! – Doch ach! was hilft mein Wehren? –
Rasche Hand, du schriebst ihn ja schon hin! –
Löscht ihn wieder aus, ihr meine Zähren,
Und entsündigt die Verrätherin! –
Ah! Die Arme, die vor Schuld erbanget,
Schluchzt und weint umsonst, umsonst ihr Ach;
Was gebieterisch das Herz verlanget,
Schreibt die Hand nur allzu willig nach.

Mitleidslose Mauern, zwischen denen
Sich die Buße langsam selbst entseelt!
Harte Quadern, oft benetzt mit Thränen
Und von wunden Knieen ausgehöhlt!
Felsengrotten, tief in Dorn verborgen!
Heil'genblenden, wo die ganze Nacht
Christus' Braut mit ihren frommen Sorgen
Zu Gebeten und Gesängen wacht!
Bilder selbst, die ihr bei uns so kläglich
Weinen lernt! Mit euch in Harmonie,
Ward ich kalt zwar, stumm und unbeweglich,
Doch zu Stein vergaß ich noch mich nie.
Nimmer herrscht da unumschränkt der Himmel,
Wo sich Abelard nicht bannen läßt.
Stets geneigt zu Aufruhr und Getümmel,
Hält Natur des Herzens Hälfte fest.
Weder Fasten, mit Gebet vereinet,
Noch die Thränen, welche Nacht und Tag
Lange Jahre schon mein Auge weinet,
Hemmen seines Pulses wilden Schlag.

Kaum entfalt' ich deinen Brief mit Beben,
So durchbohrt das Herz mir wie ein Schwert
Jener Name, traurig meinem Leben,
Dennoch ewig meiner Seele werth,
Jener Name, meines Friedens Klippe,
Abgestorbner Freude Monument,
Den der Büßerin verblühte Lippe
Nimmer ohne Thrän' und Seufzer nennt. –
Auch den meinen beb' ich zu erblicken;
Ueberall ziehn Kränkung oder Schmach,
Ueberall des Schicksals böse Tücken
Ihm, wie Schatten ihren Körpern, nach.
Meine Seufzer finden keine Weile;
Eine Zähre drängt die andre fort;
Denn ein Schwert, ein Schwert ist jede Zeile,
Und ein Stachel ist ein jedes Wort.
Schnell aus freier, goldner Frühlingshelle,
Wo mich warmer Liebeshauch umgab,
Schlang mein Leben eine Klosterzelle,
Kalt und düster wie die Gruft, hinab.
Hier verlosch die Lohe meiner Triebe
Vor des finstern Kirchenwahnes Hauch,
Und die besten, Ehrbegier und Liebe,
Hier zerflossen sie in eiteln Rauch.

Dennoch schreib, Geliebter meiner Seele,
Schreib mir Alles, Alles ohne Scheu,
Daß mein Schmerz dem deinen sich vermähle,
Daß ich deiner Seufzer Echo sei!
Diese Macht entzogen ja der Armen
Ihr Geschick und ihre Feinde nie.
Könnte wol, entneigter dem Erbarmen,
Abelard ihr mehr entziehn als sie?
Noch sind sie mein eigen, diese Zähren;
Wozu spart' ich sonst die Zähren noch?
Wollt' ich sie der Liebe nicht gewähren,
So entpreßte sie mir Buße doch.
Meiner matten Augen letzte Kräfte
Sehnen sich von nun an, spät und früh,
Nach dem einen seligen Geschäfte:
Lesen nur und weinen wollen sie.

Theile denn dein Weh mit meinem Herzen!
Weigre mir sie nicht, die bittre Lust! –
Theilen? – O zu wenig! – Deine Schmerzen
Alle, alle, schütt' in meine Brust! –
Traun, ein Gott war's, welcher Schrift und Siegel
Für ein armes Liebespaar erfand,
Für das Mädchen hinter Schloß und Riegel,
Für den Jüngling, weit von ihr verbannt.
Briefe leben, athmen warm und sagen
Muthig, was das bange Herz gebeut.
Was die Lippen kaum zu stammeln wagen,
Das gestehn sie ohne Schüchternheit.
Daß im Gram sich Herz an Herz erhole,
Herz von Herz getrennt durch Land und Meer,
Tragen sie vom Indus bis zum Pole
Dienstbar auch den Seufzer hin und her.

Mann, du weißt, wie schuldlos ich entbrannte,
Als, besorgt vor jungfräulicher Scham,
Deine Liebe, die sich Freundschaft nannte,
Leise mich zu überflügeln kam.
Nicht als einen von der Erde Söhnen,
Nein, als ersten aus der Engel Schaar,
Als das Urbild des Unendlichschönen
Stellt dich die Phantasie mir dar.
Süßes Lächeln, daß der Sieg nicht fehle,
Milderte des Glanzes Flammenspiel,
Der nun schmeichelnd mir in Aug' und Seele
Wie ein Tag des Paradieses fiel.
Arglos blickt' ich in die sanfte Klarheit,
Arglos lauschte dir mein offnes Ohr;
Doppelt wahr kam jedes Wort der Wahrheit
Mir auf deiner Honiglippe vor.
Wer die Lehre solcher Lippen höret,
O, der glaubt, von jedem Zweifel frei!
Nur zu bald ward ich durch sie belehret,
Daß die Liebe keine Sünde sei.
Wiederkehrend aus des Himmels Höhen
In der Erdenwonnen Region,
Wünscht' ich keine Gott in Dem zu sehen,
Den ich liebt' als holden Erdensohn.
Wirr und dämmernd wie ein Traumgewimmel
Schwebte fern der Engel Lust mir vor,
Und ich gönnte Heiligen den Himmel,
Den ich gern um Abelard verlor.

O wie oft, zur Sklaverei der Ehe
Durch den Spruch gestrenger Zucht verdammt,
Rief ich über jede Satzung Wehe,
Welche nicht von freier Liebe stammt.
Freie Liebe bebet vor den Schlingen
Fesselnder Verträge scheu zurück.
Schnell entfaltet sie die leichten Schwingen
Und entflieht im ersten Augenblick.
Immer folge der vermählten Dame
Reichthum, Pomp und hoher Ehrenstand,
Hehr und unbescholten sei ihr Name:
Gegen Liebe welch ein leerer Tand!
Den Betrognen, die der heil'gen Liebe
Nicht um ihretwillen nur sich weihn,
Haucht sie rächend umgestüme Triebe
Zur verdienten Seelenmarter ein.
Werfe sich der ganzen Welt Gebieter
Huldigend zu meinen Füßen hin:
Stolz verschmäh' ich ihn und alle Güter,
Wenn ich nur des Liebsten Holdin bin.

Fällt dir sonst ein Name, mich zu zieren,
Freier, süßer noch als Holdin, ein:
O so laß, Geliebter, mich ihn führen,
Laß mich dir, was er bedeutet, sein!
Welch ein selig Loos, wann Seel' und Seele
Sich einander ziehn durch eigne Kraft
Und, nur folgsam der Natur Befehle,
Liebe Freiheit, Freiheit Liebe schafft!
Allbesitzend immer, allbesessen,
Labet eins am andern sich alsdann.
Keine der Begierden darbt vergessen,
Die sich nicht in Fülle weiden kann.
Der Gedank' erahnet den Gedanken,
Ehe noch die Lipp' ihn offenbart;
Kaum entschlüpft der Wunsch des Herzens Schranken,
Als sich schon Erfüllung mit ihm paart.
Bild er Seligkeit! Wenn auch hienieden
Keine Welterfahrung sonst dir glich,
Uns war deine Wirklichkeit beschieden,
Selig waren Abelard und ich. –

Weh mir! Welch ein Wechsel jener Scenen!
Was für Gräuel plötzlich mir so nah! –
Horch, des Hochgeliebten Todesstöhnen!
Nacht, gebunden, blutend liegt er da!
Ha, wo war ich mit der Retterstimme,
Mit der hohen, dolchbewehrten Hand? –
Ach! ich hätte des Verfolgers grimme
Frevelthat vielleicht noch abgewandt.
»Halt, Barbar, mit der entblößten Schneide,
Halt mit dem verruchten Vorsatz ein!
Rügst du Schuld, so tragen wir sie beide,
Beider müss' also die Strafe sein!« –
Ach, ich kann nicht mehr! – Von Scham befangen
Und von Wuth, erstickt in mir das Wort.
Redet, Flut der Augen, Glut der Wangen,
Redet ihr statt meiner Lippe fort! –

Kannst du, Theurer, kannst du ihn vergessen,
Jenen feierlichen Trauertag,
Jenen Altar, zu Füßen dessen
Jegliches von uns, ein Opfer lag.
Jene Thränen, da so hoch und theuer
Warme Jugend sich der Welt entschwur,
Jenen Kuß, geweiht dem keuschen Schleier,
Aber ach! von kalter Lippe nur?
Rundumher erbebte Gottes Tempel,
Jede Kerze sank in Dämmerung,
Staunend sah der Himmel dies Exempel
Unbegreiflicher Eroberung.
Als wir drauf zum Hochaltare gingen,
O wie schlug das volle Herz in mir!
Heloisens Aug' und Seele hingen
Nicht am Kreuze, hingen nur an dir.
Liebe, statt der Gnade, deine Liebe
War das Herzgeschrei der Schwärmerin.
Ach! Wenn diese nicht ihr übrig bliebe,
So wär' Alles, Alles für sie hin.
Komm dann, Liebster, komm mit Blick und Stimme!
Lindre mir den wilden Seelenschmerz!
Stimm' und Blick entzogst du ja dem Grimme
Deines Schicksals für mein armes Herz.
Laß mein Haupt an deinem Busen lauschen!
Laß, indem dein Arm mich fest umschließt,
In dem süßen Gifte mich berauschen,
Welches dir von Aug' und Lippe fließt!
Komm, o komm, du meines Lebens Leben!
Alle meine Wünsche rufen dich;
Gib mir Alles, was du noch kannst geben;
Und was nicht – erträumen laß es mich! –
Himmel, nein! Genuß wie dieser werde
Selbst durch deine Hilfe mir zum Spott!
Zeige mir den Himmel statt der Erde!
Abelard verschwinde mir vor Gott!

Komm und hilf! – Ach, mindestens bedenke,
Was der guten Heerde noch gebührt,
Die du zwischen Wald und Felsenbänke
Hier auf neue Weide hergeführt!
Du hast diese Freistatt aufgerichtet,
Der so manches zarte Lämmchen schon
Sich vor Wolf und Tiger zugeflüchtet,
Welche draußen seiner Unschuld drohn.
Deiner Großmuth Gaben nur bedecket
Statt erschlichnen Gutes dieses Dach.
Ihrem väterlichen Erbe strecket
Keine Waise hier die Hände nach.
Hier belud das sterbende Verbrechen,
Zagend vor dem nahen Strafgericht,
Den erzürnten Himmel zu bestechen,
Den Altar mit Gold und Silber nicht.
Diese schlichten, ungeschmückten Hallen,
Die bescheidne Frömmigkeit erhob,
Tönen nicht von Ach und Weh, erschallen
Ganz allein von ihres Schöpfers Lob.
In dies Haus, vom Lärm der Welt geschieden,
In den Dom, von Epheu grün bedacht,
Rund umkränzt mit schlanken Pyramiden
Und in seiner hohen Wölbung Nacht,
Wo hinein durch schmale trübe Fenster
Wie ein stilles hehres Mondenlicht
In der Wanderstunde der Gespenster
Selbst der sonnenhellste Mittag bricht,
Strömte Wonne sonst aus deinen Blicken
Und schuf hohen, lichten Tag umher;
Doch von jenem himmlischen Entzücken
Strahlt kein Auge, glüht kein Antlitz mehr.
Trübe Blicke, blaß gehärmte Wangen,
Schlaffe Häupter rundumher gestehn
Ohne Worte täglich das Verlangen,
Ihren Hirten wieder hier zu sehn.
O so komm denn! Heitre das Betrübte!
Komm, mein Vater, Bruder, Gatte, Freund!
Tochter, Schwester, Gattin und Geliebte,
Alles, Alles fleht in mir vereint. –

Nicht des Felsens Stirn im Fichtenkranze,
Die sich rauschend in die Wolken hebt,
Noch des Hügels Rücken, der vom Tanze
Froher Lämmerheerden lebt und webt;
Nicht der Waldstrom, der vom hohen Gletscher
Donnern über Felsenstufen fällt,
Noch der Grottenquell, der mit Geplätscher
Tag und Nacht das Echo wach erhält;
Nicht des Frühlings Winde, welche säuselnd
Durch das Laub der Wiesenpappel wehn,
Noch des Teiches Wellen, die sich kräuselnd
Um den Flügelschlag des Schwanes drehn:
Nichts von allem Großen, allem Schönen
Spricht ein Trostwort meinem Kummer zu;
Nicht mit ihren besten Wiegentönen
Lullt Natur den Wütherich zu Ruh.
Wie im Kreuzgang über Leichensteinen,
So schwebt überall Melancholie.
Ueber Gärten, Wiesen, Feldern, Hainen,
Ueber Thal und Hügel schwebet sie.
Aechzend deckt sie mit dem Trauerflore
Alle Schimmer, alle Farben zu.
Weh thut jeder Frohlaut ihrem Ohre;
Todtenstille heischt sie nur und Ruh.
Tief stimmt sie herab die höchsten Töne,
Tief herab der Glock' und Orgel Klang,
Tief und bis zu dumpfem Grabgestöhne
Silberhellen Feld- und Waldgesang.

Dennoch muß ich hier nun ewig weilen,
Ewig zwischen Gott und dir mein Herz
Peinlich in der bangen Oede theilen;
Nur der Tod bricht endlich meinen Schmerz.
Und auch dann zerfällt mein Staub hier zwischen
Ausgelöschter Herzen Aschenrest,
Bis ihn, frei zum deinen ihn zu mischen,
Die Natur den Winden überläßt.

Ha! Verworfne, die so hoch vermessen
An der Hand den Brautring Gottes trägt,
Doch im Herzen, gott- und ehrvergessen,
Eines Mannes Bild und Liebe hegt! –
Hilf mir, Himmel, wider meine Fehle! –
Doch – was preßte diesen Ruf mir aus?
Hauchte Frömmigkeit aus tiefer Seele,
Oder stieß Verzweiflung ihn heraus?
Hier noch, wo ihr Haupt in dichten Schleier
Kalte Keuschheit birgt, noch hier sogar
Finden für ihr scheltenswerthes Feuer
Lieb' und Wollust Tempel und Altar.
Büßen sollt' ich zwischen diesen Mauern;
Doch vergebens winket mir die Pflicht.
Den Geliebten kann ich wohl betrauern,
Aber das Vergehn der Liebe nicht.
Immer blick' ich's an, und immer lodert
Hoch das Herz bei seinem Anblick mir;
Kaum bereut es alte Lust, so fodert
Neue schon die sträfliche Begier.
Bald erheb' ich himmelan die Hände
Und beweine laut, was ich verbrach;
Bald, wann ich nach dir die Seele wende,
Sprech' ich alles Unschuld Hohn und Schmach.
Von dem Schweren, was die Liebe lernet,
Bleibt Vergessen stets die schwerste Kunst.
Wenn sie das Vergehn auch von sich fernet,
So begleitet's doch ihr Blick mit Gunst.
Haßt das Weib die Sünde wol von Herzen,
Das von Herzen so den Sünder liebt?
Weiß ich, ob mir Buße diese Schmerzen,
Oder Liebe sie zu fühlen gibt? –
Hartes Werk, die Leidenschaft zu dämpfen,
Für ein Herz, so hoch wie meins entbrannt!
O wie oft muß Haß mit Liebe kämpfen,
Eh' der Friede Lärm und Aufruhr bannt!
O wie oft wird nicht das Herz indessen
Hoffen, zagen, wünschen, streben, ruhn,
Schmachten und verschmähn, – nur nicht vergessen
Alles sonst erleiden, Alles thun! –
Doch, wann sein der Himmel sich bemeistert
Dann – ha! wie es dann nicht blos gerührt,
Nein! entzückt, belebt nicht, nein! begeistert
Sein erhabnes Heldenwerk vollführt! –
Komm, o komm und hilf den Kampf mir wagen!
Hilf besiegen die Natur in mir!
Hilf mir meiner Liebe, hilf entsagen
Meinem Leben, meinem Selbst – und dir!
Eile, mein Geliebter, und vermähle
Deine Braut mit Gott! Denn Gott allein
Kann nach Abelard von ihrer Seele
Letzter, einziger Gebieter sein.

O wie selig, selig unvermessen
Ist der reinen Gottverlobten Loos!
Weltvergessend und von Welt vergessen
Bette sie sich in der Ruhe Schooß.
Kein Gebet von ihr bleibt unerhöret,
Weil sie stets in Gottgenügsamkeit
Jeden eiteln Erdenwunsch sich wehret.
Fleiß und Muße theilen ihre Zeit.
Sie kann schlafen, wachen, lächeln, weinen,
Beten, singen, wie es ihr gefällt.
Friedlich müssen Triebe sich vereinen,
Die der Geist im Gleichgewicht erhält.
Was sie weint, das weinet sie mit Wonne;
Was sie seufzt, das wehet himmelan.
Gleich dem milden Strahl er Abendsonne
Lacht der Gnade holdes Licht sie an.
Engel, im Geleite goldner Träume,
Schweben säuselnd über ihrer Ruh;
Engel, sanft bewegend Edens Bäume,
Fächeln ihr der Blüten Düfte zu.
Sie zur Braut sich zärtlich zu bedingen,
Reicht den Ring der Bräutigam ihr dar.
Weiße Jungfraun, Hand in Hand, umschlingen
Unter Brautgesängen den Altar.
Aufgelöst vom Klange zarter Saiten,
Mild umschimmert von des Himmels Strahl,
Wähnt sie, wie ein Bächlein hinzugleiten
In das ewig helle Wonnethal.
Ha! In solche Paradiesgefilde
Träumt sich meine irre Seele nie.
Ehrenlose, sträfliche Gebilde,
Reger Wollust Brut, umschwärmen sie.
Wann in Nächten, darbend an Genüge,
Phantasie ersetzt, was Wuth geraubt,
Das Gewissen schläft und ohne Rüge
Schnöder Ueppigkeit ihr Spiel erlaubt,
Dann entschlüpft sie ihren Schranken, stürzet
Wonnedürstend sich an deine Brust,
Und die Mitgespielin, Sünde, würzet
Höher, feuriger den Kelch der Lust.
Höllengeister, die bei Tage schliefen,
Spornen rascher der Begierde Lauf,
Rühren bis in seine tiefsten Tiefen
Jeden Quell der Lieb' und Wollust auf.
Ha! Dann blick' und lechz' ich mit Entzücken
Jede Blume deiner Schönheit an
Und umkette rund bis in den Rücken
Mit den Armen den erträumten Mann.
Ich erwach', – aus Arm, aus Aug' und Ohre
Schlüpft das Traumbild, liebeleer wir du.
Schnell verzischt es, gleich dem Meteore;
Seinen Schimmer deckt der Nachtflor zu.
Weit erstreck' ich dann die leeren Arme;
Rasch verfolgt es mein erwachter Blick;
Laut ruf' ich ihm nach in wildem Harme;
Doch umsonst! Es kehrt mir nicht zurück.
Schmachtend sinkt des müden Hauptes Schwere
Rückwärts auf den Pfühl zu neuem Traum:
»Komm zurück, du holder Taumel! Gähre
Wieder auf, du süßer Nektarschaum!« –
Nichts! – Mir dünkt, nun wandern wir zusammen
Durch die Schauer öder Wüstenei
Und bejammern, daß von unsern Flammen
Nirgends, nirgends mehr Erlösung sei.
Abgemattet von des Tages Schwüle,
Von der Wanderung durch Dorn und Moor,
Suchen wir und finden keine Kühle.
Schwere Dämpfe steigen grau empor
Und benehmen unserm müden Gange,
Gleich den Dünsten einer Todtengruft,
Zwischen fürchterlichem Ueberhange
Hoher Felsenmassen, Licht und Luft.
Jach erhebst du dich von meiner Seite,
Schwebest bis zur Wolkendeck' empor,
Winkst mir zu aus der erhabnen Weite
Und verbirgst dich in der Dämmrung Flor.
Donnerklang und Sturm- und Stromgebrause
Schreckt mich wach; doch werd' ich deß nicht froh,
Denn ich find' in meiner öden Klause
Alles Elend, dem ich kaum entfloh.

Anders hat zu deinem Lebenstheile
Gütig strenge das Geschick gewählt
Und das Herz dir gegen alle Pfeile
So des Schmerzes wie der Lust gestählt.
Seinen gleichen, sanften Schlag beflügelt
Nie ein rasches, wild entflammtes Blut.
Deines Geistes stille Großmacht zügelt
Die Begier und wehrt der Ueberfluth.
Ruhiger lag nicht in seinen Tiefen,
Als noch angefesselt der Orkan
Und die Kräfte der Bewegung schliefen,
Ruhiger lag nicht der Ocean;
Sanfter schlummert aus der Welt Getümmel
Nicht der Gottversöhnte sich in's Grab;
Milder leuchtet nicht der offne Himmel
In sein halbgebrochnes Aug' hinab.

Sei mir dann, sei nochmals her entboten!
Denn was füchtest du mein Angesicht?
Komm, o Abelard! Denn unter Todten
Zündet ja der Liebe Fackel nicht.
Kalt versagt Natur dich süßem Scherze;
Gott verdammt, was heiße Liebe schwärmt;
Ach! Sie lodert gleich der Todtenkerze,
Die kein Leben in die Urne wärmt.

Was für herzentweihende Gebilde
Stellen sich mir allenthalben dar!
Ich mag betend wandeln im Gefilde,
Ich mag knieend beten am Altar:
Unter meiner Sehnsucht Hauch verdunkelt
Und verzehrt mein Morgenlämpchen sich;
Hell an jeder Betkoralle funkelt
Eine Thräne, hingeweint für dich;
Allenthalben stiehlt mit leisem Gange
Zwischen Gott und mich dein Bild sich hin;
Dich vernimmt in jedem Chorgesange
Das getäuschte Ohr der Schwärmerin.
Wann vom Altar bis zum Tempelbogen
Blau die süße Weihrauchwolke schwebt
Und sich, steigend mit den Orgelwogen,
Himmelan die fromme Seel' erhebt:
Dann zerstört auf einmal der Gedanken
Flüchtigster an dich des Festes Glanz;
Alles seh' ich durcheinander wanken,
Priester, Kerze, Rauchfaß und Monstranz,
Fühle tief in einem Feuermeere
Meine Seele brennend untergehn,
Während deß in Flammen die Altäre
Und umher die Engel zitternd stehn. –

Jetzt, da ich der Reue Dolch empfinde,
Da aus mir die Tugend wieder weint,
Da ich betend mich im Staube winde,
Da mein Herz ein Gnadenstrahl bescheint,
Jetzt komm an, dein Herrenrecht zu pflegen!
Schwinge deines Reizes Zauberstab!
Setzt dich des Himmels Macht entgegen!
Streit' ihm muthig deine Sklavin ab!
Komm! Ein süßer Blick von dir vernichte
Jeden Wunsch der Frömmigkeit in mir!
Tritt zu Boden meine Buße Früchte!
Alle Macht der Gnade weiche dir!
Uebereile meine Segensstunde,
Reiße mich, schon nahe meinem Glück,
Reiße, mit dem Höllengeist im Bunde,
Noch aus Gottes Armen mich zurück! –

Nein, entfleuch! O fleuch zur fernsten Ferne!
Laß, wie Pol und Pol, uns nimmer nahn!
Steige Berg auf Berg bis an die Sterne!
Rolle zwischen uns ein Ocean!
Komm nicht, schreib nicht, denk mein nicht und trage
Nun und nimmer wieder Leid um mich!
Jeden Schwur erlaß ich dir, entsage
Jeder Rückerinnerung an dich.
Fleuch, verwirf und hasse Heloisen! –
Aber du, ihr einst so wonnevoll,
Sei hiermit zum letzten Mal gepriesen,
Holdes Bild! Und nun – leb' ewig wohl! –
Hehre Gnade! Göttlich schöne Tugend!
Segenvolle Weltvergessenheit!
Hoffnung, Himmelskind im Schmuck der Jugend!
Glaube, Spender hoher Seligkeit!
Sprecht nun, all' ihr hoch willkommnen Gäste,
Freundlich meiner offnen Seele zu!
Schenket zu dem nahen Jubelfeste
Meinem Feierabend sanfte Ruh! –

Sieh, o sieh hier an des Todes Schwelle
Heloisen trauernd ausgestreckt,
Wo ihr Leib vielleicht die Ruhestelle
Einer gleichen Dulderin bedeckt!
Mehr als Luft ist, was mit sanftem Schauer
Oft sie anweht, leise sie umstöhnt,
Mehr als Echo, was von jener Mauer
Murmelnd ihre Klagen widertönt.
Wach, gleich wie ihr Blick das düstergelbe
Matte Kerzenlicht, so wach vernahm
Jüngst ihr Ohr den Ruf, der vom Gewölbe
Hohl und dumpf heraufgewandelt kam:
»Komm«, so sagt' es oder schien's zu sagen,
»Komm von hinnen, arme Schwester, komm!
Hier ist Ziel und Ruhestatt der Klagen.
Die dich ruft, war schwach wie du und fromm!
Vormals bebte, weinte, seufzte, flehte,
Litt sie, ach! um Liebe, gleich wie du.
Gott vernahm der frommen Angst Gebete,
Und geheiligt ging sie ein zur Ruh.
Ah, wie sanft und süß ist hier der Schlummer!
Wie so still ist Alles rundumher!
Ausgewimmert hat allhier der Kummer,
Und die Liebe seufzt und weint nicht mehr.
Höllenangst ob ihrer Menschheit Schwächen
Folgt hieher der frommen Einfalt nicht;
Menschenhärte darf den Fehl nicht treffen,
Dem ein milder Gott Verzeihung spricht.«

Ha, ich komm', ich komme! Seht mich fertig,
Eure Rosenlauben zu beziehn!
Seid mit Himmelspalmen mein gewärtig
Und mit ewig blühendem Jasmin!
Mich verlangt, in Ruhe da zu weilen,
Wo die reinen milden Lüfte wehn,
Wo der Liebe Flammenwunden heilen
Und in Lust die Schmerzen übergehn. –
Jetzo komm, mein Abelard, und leiste
Liebreich mir die letzte Trauerpflicht!
Ebne sanft dem müden Pilgergeiste
Seinen Uebergang aus Nacht in Licht!
Sieh das Brechen meiner trüben Augen,
Sieh das Beben meiner Lippen an!
Neige dich, den letzten Hauch zu saugen
Und im Fluge meinen Geist zu fahn! –
Nein, ach nein! – Im heiligen Talare
Still erbebend wie der Espe Blatt,
Mit geweihter Kerze vom Altare
Nahe dich zu meiner Lagerstatt!
Folge meinem irren Augensterne
Mit dem Kreuz und reich' es mir zum Kuß;
So auch einmal lehre mich und lerne
Du von mir auch, wie man sterben muß! –
Ah! Nun magst du, tief im Schaun versunken,
Schuldlos vor der einst so Theuern stehn,
Magst verglühn des Auges letzten Funken
Und verblühn der Wange Rosen sehn!
Stehn, bis keiner ihrer Lebensgeister,
Selbst der kleinste, sich nicht weiter regt,
Bis ihr Herz für seinen großen Meister,
Seinen Abelard, auch nicht mehr schlägt. –
Tod, o Tod, du Redner ohne Gleichen
Vor dem Liebenden, der sonst Nichts hört,
Wie erschütternd, selbst durch stumme Zeichen,
Predigst du, was ihn für Staub bethört! –

Wann nun auch die schönste der Gestalten,
Die mein Blick so lüstern oft umirrt,
Unter Lebensmüh' und Zeit veralten
Und erschlafft zusammensinken wird,
Dann verwandle sich in Hochentzücken
Alle deine Herzbeklommenheit!
Weit vor deinen aufgeklärten Blicken
Oeffne sich des Himmels Herrlichkeit!
Eine lichte Wolke steige nieder
Und, umringt von froher Engel Chor,
Schwebe bei dem Klange süßer Lieder
Deine Seel' in's Paradies empor!
Ruf' ihr dort der Heiligen und Frommen
Ganze Schaar, die sich entgegendrängt,
So voll Liebe, so voll Lust willkommen,
Als dich Heloisens Arm umfängt!

Beider Asche decke nun ein Hügel,
Beider Namen werd' ein Stein geweiht!
Glorreich trage deines Ruhmes Flügel
Meine Liebe zur Unsterblichkeit!
Fügt sich's dann in später Nachwelt Tagen,
Wann am Herzen mir kein Wurm mehr frißt
Und von meinen Seufzern, meinen Klagen
Längst der letzte Laut verschollen ist,
Daß ein Ungefähr nach seiner Weise
Für ein trautes Paar den Plan erdenkt
Und die Schritte seiner Pilgerreise
Nach dem stillen Paraklete lenkt:
O so tret' es wehmuthsvoll und schweigend
An den alten grauen Marmelstein!
Haupt zu Haupte sanft hinüberneigend,
Schlürf' es Eins des Andern Thränen ein!
Aufgeschüttert von des Mitleids Triebe,
Hinterlass' es betend unser Grab:
»Segn' uns Gott mit einer frohern Liebe,
Als das Schicksal diesen Armen gab!«
In der Feierstunde, wann der Chöre
Lautes Hosianna hier ertönt,
Oder wann ihr banges Miserere
Knieend eine Schaar von Büßern stöhnt:
Mitten dann im Pomp der Hekatombe
Frommer Seufzer, die gen Himmel wehn,
Müsse noch auf unsre Katakombe
Seitwärts manches Auge niedersehn!
Selbst der Andacht müss' in höchster Sphäre
Ein Gedanke noch an uns entfliehn,
Und, die ihn begleiten wird, die Zähre
Werde gern im Himmel ihr verziehn!
Wenn das Glück nicht meinen Nachruhm neidet,
So erhebt ein Sänger sich vielleicht,
Der an einer Seelenwunde leidet,
Die der meinigen an Tiefe gleicht;
Der umsonst, umsonst durch lange Jahre
Seiner Hochgeliebten nachgeweint,
Bis ihn noch mit ihr – doch vor der Bahre! –
Das Geschick minutenlang vereint;
Der nun unter Klagemelodien,
Fern von treuer Gegenliebe Kuß,
Schmachtend in das Land der Phantasien
Seine liebsten Wünsche senden muß:
Dieser mach' in preislichem Gedichte,
Wohlgestimmt dazu an Herz und Mund,
Unsre thränenlockende Geschichte,
Meinem Schatten noch zum Labsal, kund!
Bei dem Liede mein- und seiner Schmerzen
Werde jedes Hörers Brust erregt!
Denn nur Der beweget leicht die Herzen,
Welchem selbst ein Herz im Busen schlägt.

 


 


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