Laurids Bruun
Van Zantens glückliche Zeit
Laurids Bruun

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Siebzehntes Kapitel

Eine glückliche Familie

Ich war mehrere Male in dem frühen Morgenlicht am Zaun, wagte aber nicht zu rufen, um Ali nicht zu stören. Ich wartete vergeblich darauf, daß die Alte von selbst kommen und aufschließen würde.

Da endlich hörte ich sie an der Tür rascheln und eine Matte gegen den Pfosten ausklopfen, worauf ich sie laut und ungeduldig anrief. Und endlich wurde ich in meinen eigenen Hof hereingelassen.

Meine Schwiegermutter zeigte alle ihre Zähne, strich mir über den Arm und sagte: »Ein Sohn für dein Alter und deinen Stamm!«

Ich sah mich vergeblich nach etwas um, das ich ihr geben konnte.

»Du sollst einen großen Tabu bekommen!« sagte ich und lief an ihr vorbei zur Tür.

Als ich ins Haus kam, war der Raum sorgsam in zwei Abteilungen geteilt. Alles, was wir an Matten besaßen, hatte die Alte mit Bast zu einer Scheidewand zusammengeheftet.

Jetzt erst erinnerte ich mich der verfluchten Sitte, daß ein Mann seine Frau nicht sehen darf, bevor sie aufgestanden und gebadet ist.

Ich kümmerte mich den Teufel um ihre Sitten und wollte unter der Scheidewand hindurchkriechen; da aber packte die Alte mich mit einem festen Griff an der Schulter und verbot mir mit zornigen Worten und heftigen Gebärden hineinzugehen.

»Willst du ihr Leben verbluten?« zischte sie.

Ich gab ihr schöne Worte, pries ihre Tochter und ihr Geschlecht bis in späte Generationen und ferne Vergangenheiten, bis sie sich schließlich bewegen ließ, mir meinen Sohn zu zeigen.

Sie schlüpfte unter die Matte hindurch. Ich hörte ein Rascheln, einen kleinen Krählaut; und einen Augenblick später tauchte sie mit einem Bündel auf, das in Alis neuen Lendenrock gewickelt war.

Sie nahm die Hülle ab und hielt mir einen kleinen, runden, zitternden Körper entgegen, ganz hellbraun und mit zartem Flaum bedeckt.

»Gute Form!« sagte meine Schwiegermutter und zeigte stolz auf seinen Kopf.

Indem ich den kleinen Körper vorsichtig nahm, funkelten mir zwei große Augen entgegen. Alis wunderschöne Augen, nur einen Schein heller. Sie sahen und sahen doch wiederum nichts, etwas verwundert erschienen sie mir, und vielleicht etwas ärgerlich.

Dann begann er den Mund zu bewegen, wie ein junger Hund, der das Futter sucht. Die runden Händchen schlugen und griffen durch die Luft, und als sie das Runde, Weiche, was sie erwarteten, nicht fanden, kniff er die Augen zusammen und fing laut an zu krähen. Meine Schwiegermutter beeilte sich, ihn zu beruhigen, um Ali nicht zu wecken, warf ihm den Rock über den Kopf und verschwand mit ihm unter der Matte.

Da hörte ich, wie Ali sich drinnen bewegte und seufzte. Ich hörte sie tief atmen und erwachen. Ich hörte ihre Stimme leise rufen. Dann fühlte ich, daß das Kind in ihre Arme gelegt wurde. Ich hörte den saugenden und knurrenden Laut des Kleinen, der sich an die Quelle seines Lebens klammerte.

Schwiegermutter flüsterte einige Worte. Und jetzt klang Alis Stimme zu mir durch die Matte, mit einem Beiklang von rührender Zärtlichkeit, die sie vorher nicht gehabt hatte.

»Ist er groß und gut?« fragte sie.

»Er ist der größte, der beste –«

Ich empfand es schmerzlich, daß ich keine Worte in ihrer Sprache finden konnte, um ihr zu sagen, was ich fühlte; daß ich ihr nicht in meiner eigenen Sprache sagen konnte, wie wunderbar ich den Sohn fand, den sie mir geschenkt hatte.

»Kannst du erkennen, daß du es bist?« fragte sie wieder, wählend es tief in ihrer Kehle vor Glück lachte.

»Ja, mein Honigvogel, mein –«

Wieder keine Worte.

Ich konnte nicht an mich halten. Ich versuchte unter der Matte hindurchzuschlüpfen. Meine Schwiegermutter aber war gleich bei der Hand, um mir den Weg zu versperren, und Alis Stimme erklang ängstlich und ermahnend: »Nein nein!«

Da schickte ich mich in das Unvermeidliche. Ich kannte sie ja und wußte, wie sie sich davor fürchtete, daß die Geister das geringste Versehen an dem Kinde, an mir oder an ihr rächen könnten.

Schon vor Mittag war das Ereignis stadtbekannt.

Nachmittags kamen Toko und Tongu in schöner Gemeinschaft mit feierlichen Mienen an meine Zauntür, wo Schwiegermutter der Sitte gemäß die Honneurs machte und sie hereinnötigte.

Sie legten ihre Geschenke vor mir nieder – es waren verschiedene Nahrungsmittel, wie es Brauch ist – und wünschten dem Kleinen ein langes Leben und viel Tabu.

Toko fühlte sich von all der Feierlichkeit geniert, Tongu aber führte sich wie gewöhnlich voller Anstand, fragte teilnahmsvoll nach Alis Befinden und gebärdete sich überhaupt wie ein angehender Gevatter.

Ich machte ihnen einen Kautabak zurecht, auch für meine Schwiegermutter, die ihre Unentbehrlichkeit genoß und stolz auf ihre Tochter war.

Nachdem wir eine passende Zeit in feierlichem Schweigen gekaut und gespuckt hatten, verabschiedeten Tongu und Toko sich.

Kurz darauf kam der weise Wahuja in höchsteigener Person zu Besuch, von zwei Dienern des Königs begleitet, die Gaben vom König und von Wahuja für mich brachten.

Da war ein Korb mit den allerbesten Kokosnüssen, die es auf der Insel gab. Sie waren für Ali, damit sie gute und reichliche Milch bekäme. Und eine geschliffene Muschelaxt für mich, ein kleines Prachtstück, mit dem ich mich aufrichtig freute und das ich noch habe.

Von sich selbst überreichte Wahuja eine feine Matte. Ich bin überzeugt, daß sie ihm nicht soviel wie eine Muschel gekostet hat; er hat sie natürlich von den Frauen des Königs flechten lassen. Und außerdem ein kleines, grunzendes Ferkel, das wahrscheinlich auch aus dem Tierbestand des Königs war.

Meine Schwiegermutter brachte das Ferkel gleich zwischen den Hühnern in Gewahrsam, wo es einen solchen Aufruhr mit Gegacker und Gekräh verursachte, daß ich mich selbst der Sache annehmen und es mir einer Rotangschnur am Balkenfuß anbinden mußte.

Ich war so froh und gegen alle so freundlich gestimmt, daß ich es nicht übers Herz bringen konnte, Wahuja unverrichteter Sache gehen zu lassen.

Außer dem gewohnten Besuchsbetel verabreichte ich ihm einen Schnaps – bald den letzten – von dem teuren Rum.

Wahuja beobachtete mit einem stillen Seufzer, wie wenig in der Flasche war. Dann beleckte er, wie es seine Gewohnheit war, das Glas von innen und von außen und begann von der Vergänglichkeit aller Dinge zu sprechen.

Als ich Wahuja zur Tür begleitete, sah ich Winawa neugierig und zögernd in der Nähe stehen. Aber ich jagte sie schleunig fort, denn ich wollte nicht, daß Ali ihre Stimme hören und sich vor ihrem bösen Willen fürchten sollte.

Nach und nach kamen sowohl »der große Jäger« als auch Kuda und Fagoda und mehrere der Mädchen.

Da war die neugierige Awa und die stattliche Muwa; die kleine, untersetzte Sakalawa und die einschmeichelnde Milawa mit den hübschen Schultern.

Die breitnasige Nanuki mit dem zögernden Blick war aus triftigen Gründen ferngeblieben. Sie sah selbst in diesen Tagen einem frohen Ereignis entgegen.

Als ich schließlich den letzten Gast hinausbegleitet hatte und einen Augenblick vor dem Zaun dem Sonnenuntergang zuschaute, kam Ikala des Weges, indem sie sich in ihren breiten, trägen Hüften wiegte.

Als sie meiner ansichtig wurde, blieb sie stehen und sah mich mit ihrem unverhüllten Blick und dem verächtlichen Lächeln in ihren hohen Mundwinkeln herausfordernd an.

Ich schämte mich wieder über mich selbst und wandte mich voller Ekel ab.

Zeitig am nächsten Morgen hörte ich Alis Stimme.

Still und innig wiederholte sie ein und dasselbe Wort.

»Was sagst du?« fragte ich durch die Matte.

»Oasu! – Oasu!« flüsterte sie über den Kopf ihres Knaben. Ich konnte es nicht sehen, aber ich wußte es.

»Oasu« bedeutet Sonne. So nannte sie ihn, und so wurde sein Name.

Oasu – Oasu!«

Wie klang es hübsch, wenn sie es mit ihrer weichen, melodischen Stimme sagte, die so voller Zärtlichkeit war wie ihre Brust voller Milch.

Wenn wir im Schatten unseres Hauses lagen, während der Junge auf ihr herumkroch und sich mit beiden Händen an der Brust festhielt, von der er lebte, dann sah sie mit geöffneten Lippen, die vor Zärtlichkeit bebten, auf ihn herab, während sie wie in segnender Beschwörung in allen Tonarten über seinen hellbraunen Kopf murmelte: »Oasu – Oasu!«

Ali trug Oasu bei sich, wo sie ging und stand. Sie trug ihn in einem großen Seidentuch, dem letzten, das ich besaß.

Ich hatte es sorgsam vor Tongus und Wahujas Augen verborgen. Jetzt bekam Ali es, um ihren Erstgeborenen darin zu tragen.

Es wurde um ihren Nacken gebunden und lief unter ihrer linken Schulter hindurch. Dort saß er auf ihrem Magen wie in einer Windel.

Andere Frauen tragen ihre Neugeborenen auch so. Aber nicht eine hat ein so prachtvolles Tragetuch; und Ali ist sehr stolz darauf.

Es stützt seinen Rücken. Nur der Kopf und die Füße gucken hervor. Dort sitzt er warm und weich und befindet sich wohl, während er mit ihren Brüsten und ihrer Halskette spielt.

So geht sie, beständig singend, an ihre Arbeit in Haus und Hof. Nur wenn sie mit mir auf dem Felde ist, legt sie ihn von sich in den Schatten eines Busches, wo sie ihn im Auge behalten kann, und hüllt ihn in das Tuch ein, damit sein Körper und sein Gesicht vor Insekten geschützt ist.

Oasu ist ein prächtiges Kind. Er ist immer vergnügt und schreit nur, wenn er hungrig ist und nicht gleich die Brust bekommt.

Oasu bekam seinen ersten Zahn, und Ali jubelte.

Oasu lernte gehen, und Ali war stolz.

Oasu begann seinen eigenen Namen zu stammeln. Das war wie Vogelgezwitscher.

Ali entwöhnte ihn, indem sie Taro und Bananen für ihn kaute, und es sich von seinem kleinen, spitzen Mäulchen vom Munde schnappen ließ. Es war ein Spaß ohnegleichen.

Während zweier Jahre, deren Tage wie Perlen auf einer Schnur dahinglitten, waren wir glücklich, Ali, Oasu und ich.

Dann war es vorbei.


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