Laurids Bruun
Van Zantens glückliche Zeit
Laurids Bruun

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Zwölftes Kapitel

Der erste Kummer

Eines morgens, als ich erwachte, saß Ali aufrecht auf der Matte, den Kopf zwischen die Knie gedrückt, und weinte, daß ihr ganzer Rücken bebte.

Ich zog ihr die Hände vom Gesicht, hob ihren Kopf und fragte, was los sei.

»Mir träumte, daß ich eine freudlose Witwe sei.«

Dann warf sie sich über meinen Schoß und schluchzte.

Wir waren tags zuvor einer der freudlosen Witwen begegnet. Ikala heißt sie. Ein großes, dunkles Weib mit großen Muscheln in den Ohren und einem prachtvoll gefärbten Rock. Sie ging allein und wiegte sich in den starken, trägen Hüften, während sie eine eintönige Melodie sang, ohne ihre dicken, offenstehenden Lippen zu bewegen.

Ihre Augen streiften mich im Vorbeigehen mit einem seltsam unverhüllten und lockenden Blick hinter den schweren Lidern. Als sie Ali ansah, lächelte sie fast unmerklich, mit einem Anstrich von Verachtung in ihren hohen und tiefen Mundwinkeln.

Ali aber hatte den Blick und das Lächeln gesehen. Es machte einen tiefen Eindruck auf sie; sie war noch lange nachher schweigsam.

Jetzt hatte ihr also davon geträumt.

Ich tröstete sie, so gut ich's vermochte. Ihr Sinn aber ist so stark und unverfälscht, daß sie sehr schwer zu trösten ist.

Wer würde sich einen dummen Traum zu Herzen nehmen?

Weshalb sollte sie wohl eine freudlose Witwe werden?

Sie hob ihren Kopf und sagte, wobei ihre großen, verweinten Augen aufflammten: »Ich muß heute ins Frauenhaus!«

Ali ist zweimal dort gewesen, seit wir Mann und Frau geworden sind. Diesmal war sie in bebender Erwartung umhergegangen, denn es waren einige Tage über die gewöhnliche Zeit verstrichen. Nun mußte sie also dennoch dorthin.

»Ikala hat schuld, Ikala hat mich angesehen!« rief sie und begann sich die Haare zu raufen.

Ich lachte laut auf, sang und strampelte. Sie aber war nicht davon abzubringen.

»Sahst du nicht, daß sie mich anstarrte und lächelte?« fragte sie und rüttelte mich leidenschaftlich am Arm.

»Sie hat mich ja auch angesehen!«

»Ja«, sagte sie nachdenklich, »sie hat dich auch bezaubert. Denn wenn du ein Kind haben solltest, müßte ich es ja auch bekommen.«

Als ich sie nicht zur Vernunft bringen konnte, stand ich auf und ging aus der Hütte zum Zaun.

»Wo gehst du hin?« rief sie erschrocken und streckte die Arme aus.

»Zum Strande«, sagte ich, »um zu baden.«

»Geh nicht von mir!« flehte sie, »komm zu mir und lege deine Arme fest um mich.«

»Ja, wenn du ruhig und vernünftig sein willst.«

Sie sah mich lange und schmerzlich an. Dann trocknete sie ihre Augen und begann das Frühstück herzurichten.

Kurz darauf trat sie in die Tür, sah hinaus, ob ich noch da sei, und sagte: »Wie wird es dir ergehen, wenn ich nun ins Frauenhaus muß?«

»Wie ist es mir die früheren Male ergangen?« sagte ich und lachte. »Wenn ich nicht allein fertig werde, so wird Toko kommen und mir helfen.«

Sie sah mich forschend an und sagte still: »Hast du zu deinen Geistern gebetet, daß ich ein Kind bekommen darf.«

»Noch nicht. Aber ich will es gern tun. Es eilt ja nicht.«

Sie sah mich erstaunt an.

»Es eilt nicht?« fragte sie treuherzig.

Ich streichelte ihr die Wange und sagte: »Wäre es denn solch großes Unglück, wenn du überhaupt keines bekämst?«

Sie zuckte zusammen, und ihre Augen flammten von neuem auf. Dann faßte sie mich heftig am Arm und sagte: »Du bist meiner überdrüssig, wenn du so sprichst.«

Ich legte meinen Arm um sie und sah ihr ins Auge, bis sie verstand, daß ich jetzt wie stets glücklich durch sie war.

Aber tief in ihr seufzte es noch immer, und sie wiederholte mehrere Male: »Was solltest du mit einer Frau, die dir keine Kinder gibt?«

Als ich nicht antwortete, sondern sie nur noch fester an mich zog, fuhr sie fort: »Du kaufst dir eine Frau für einen großen, großen Tabu, und sie sollte dir keine Kinder geben?«

Sie warf den Kopf in den Nacken, sah mit einem harten, fast grausamen Blick vor sich hin und sagte mit veränderter Stimme: »Wenn eine Frau keine Kinder bekommt, dann sagt der Mann: ›Geh' deines Weges‹!«

Sie machte eine Armbewegung, um ihre Worte zu veranschaulichen.

»›Ich habe dich gekauft, um Kinder von meinem Blut für mein Alter und für meinen Stamm zu haben. Geh' zu deinem Vater und sage ihm, daß er mir meinen Tabu zurückzahle. Dann werde ich ihm seine Tochter wiedergeben, damit er sie einem anderen verkaufen kann. Denn mir will sie keine Kinder geben.‹«

»Und was dann?« fragte ich.

»Dann geht sie zu ihrem Vater«, fuhr Ali fort; ihre Stimme wurde nach und nach die alte, und zuletzt zitterte sie vor unterdrücktem Weinen.

»›Was willst du?‹ fragt ihr Vater.

›Ich habe dem Mann keine Kinder gegeben‹, sagt sie, ›nun schickt er mich zurück.‹ – ›Du böses Weib!‹ – Und er schlägt sie und gibt ihr mehrere Tage nichts zu essen. Dann sucht er nach einem Mann, der sie kaufen will. Aber keiner will ein Weib ohne Kinder haben. Einsam sitzt sie vor der Hütte ihres Vaters und webt Matten und weint; aber es kommt kein Mann zu einem Weib ohne Kinder.«

»Und was weiter?« fragte ich und drückte sie zärtlich an mich.

»›Geh auf die Landstraße!‹ sagt ihr Vater, ›du freudlose Witwe, die du ohne Frucht bist. Geh, und mach' deine Künste den kraftlosen Alten und denjenigen vor, die kein Weib auf ihrer Matte haben.‹

Dann geht sie auf die Landstraße hinaus und schleicht um die Hütten herum; und wenn ihr ein einsamer Mann begegnet, dessen Weib im Frauenhaus ist, dann winkt sie ihm, zeigt ihm Künste, so daß er neugierig wird und sie besitzen will. Nachher gibt er ihr ein wenig Tabu, damit sie es ihrem Vater anstatt des großen Tabu geben kann, den er ihretwegen verloren hat. Und sie sucht die kraftlosen Alten auf, wenn sie zur Mittagstunde in der Sonne liegen und ihre Glieder wärmen. – So geht sie von Tür zu Tür, von Matte zu Matte, bis sie ihrem Vater seinen Tabu zurückgegeben hat.«

Als Ali soweit gekommen war, warf sie sich auf die Erde und schluchzte herzbrechend: »Ich will keine freudlose Witwe sein!«

Ich hebe sie auf, nenne sie bei den schönsten Namen; bei den Namen ihrer Lieblingsvögel und Lieblingsblumen nenne ich sie.

»Nie im Leben werde ich dich zurückschicken, Ali.«

Sie aber hebt den Kopf, sieht mich mit blitzendem Ernst an und sagt mit einer harten Stimme, die ihren Lippen einen Zug von grausamem Eifer gibt: »Solltest du, der du groß und gut bist, eines Weibes wegen ohne Kinder bleiben? – Dein Blut soll in deinen Kindern weiterleben und dein Alter soll durch Kinder hell sein; und du sollst mich töten, wenn ich keine bekomme.«

Sie wirft sich mir an die Brust und verlangt, daß ich verspreche, sie zu töten, wenn sie keine Kinder bekommt. Lieber das, als wie die freudlosen Witwen werden.

Erst als ich es ihr versprochen hatte, bekam sie Frieden.

Dann begleitete ich sie zum Saum des Waldes. Weiter durfte ich nicht mit. Und wir nahmen Abschied, als sei es fürs ganze Leben. Ich stand und sah ihr nach, bis die Lianen sie meinem Blick entzogen hatten. Sie wandte sich nicht ein einziges Mal um.


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