Laurids Bruun
Van Zantens glückliche Zeit
Laurids Bruun

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Fünfzehntes Kapitel

Ein Kind in Erwartung

Seit dem Tage beim Zauberer ging Ali mit Zuversicht und seliger Erwartung in ihren großen Augen umher. Ich dagegen dachte mit Besorgnis daran, was geschehen würde, wenn die Zauberkraft nicht die gewünschte Wirkung hätte.

Ihr Gemüt ist so stark, sie hängt mit allen Sinnen an dem, was einmal von ihr Besitz ergriffen hat – sei es Hoffnung oder Haß – daß ich befürchtete, sie könne gleichsam verbluten, wenn das, woran sie ihr Herz gehängt hat, fehlschlägt.

Ich versuchte mehrere Male, sie auf eine Enttäuschung vorzubereiten, sagte, wie gut wir beide es zusammen hätten, wir beide allein, wenn wir in dem Schatten unseres Hauses lagen und zu den wehenden und schwankenden Kokoskronen hoch über den schlanken Stämmen des Königshaines hinaufblickten, während wir dem gedämpften Atemzuge der Brandung beim Riff lauschten.

Ich glaubte, es sei die Furcht, zurückgeschickt zu werden, wenn sie mir kein Kind gebäre, die sie so stark bewegte. Deshalb versuchte ich sie bei jeder Gelegenheit zu überzeugen, daß ich sie gar nicht entbehren könne. Wie sollte es mir wohl in Haus und Hof und Tarofeld ergehen, wenn sie mal stürbe oder mich verließe?

Sie sah mich mit strahlenden Augen und weit geöffneten Lippen an, wenn ich so etwas sagte. Wenn ich dann aber fortfuhr, daß ein Kind nur eine Last sei und daß sie es statt meiner versorgen müsse, schlossen ihre Lippen sich augenblicklich, und ihr Blick wurde dunkel und verständnislos.

»Wie kann ich dich deines Kindes wegen vergessen?« sagte sie, »du bist es ja, den ich gebäre.«

Sie blickte nachdenklich vor sich hin. Dann ging ein Aufleuchten über ihr Gesicht. Sie nahm meine Hand und sagte: »Vergesse ich deine Hand deines Kopfes wegen?«

Sie legte ihre Hände um meinen Nacken und sagte mit einem großen Lächeln: »Vergesse ich deinen Kopf deines Herzens wegen?«

Dann wurde sie wieder ernst und sagte, als sei es die natürlichste Sache von der Welt: »Wie könnte ich dich für alle Zeiten behalten, wenn ich dich nicht in mir aufnehmen und dich gebären darf?«

Ich schloß sie in meine Arme und flehte alle guten Mächte an, daß ihr keine Enttäuschung bereitet werden möge.

Wie es kam und wer half, das weiß ich nicht zu sagen. Aber einen Monat nach ihrem letzten Aufenthalt im Frauenhaus entdeckte Ali, daß sie schwanger sei.

Sie, die die Freude schon auf Vorschuß genossen hatte, nahm die Tatsache wie die natürliche Bekräftigung einer sicheren Hoffnung. Ich aber war überrascht und glücklich.

Ali wurde still und nachdenklich. Sie bewachte sich selbst und saß oft mit den Händen im Schoß, den Blick geistesabwesend ins Leere gerichtet, als lausche sie beständig.

Sie erlaubte mir nicht, daß ich ihr bei ihrer Arbeit half. Sie versorgte ihre täglichen Pflichten mit der größten Gewissenhaftigkeit. Des abends aber, wenn wir uns in den Schatten vor unserem Hause streckten, die Hände unterm Kopf verschränkt, wich ihr Blick nicht von mir.

Jedesmal wenn ich den Kopf drehte, sah ich in zwei Augen, die von einem so sicheren und unbeschränkten Glück leuchteten, daß es mich gleichsam hob und trug. Ich habe diesen Ausdruck nie in den Augen eines anderen Menschen gesehen. Der Augen meiner Mutter erinnere ich mich nur ganz dunkel.

Eines morgens fing Ali einen unserer jungen Hähne. Während er schrie und nach ihr hackte, klemmte sie ihn zwischen ihre Knie und riß ihm zwei von seinen Schwanzfedern aus, eine grüne und eine rote.

Dann ließ sie ihn laufen und kam freudestrahlend auf mich zu, mit beiden Federn im Haar.

»Weshalb hast du das getan?« fragte ich.

»Dann wird es ein Sohn!« sagte sie, »das hat mir geträumt.«

Ali unternahm nichts, ohne vorher zu überlegen, ob es möglicherweise »ihm« schaden könne.

Sie vernichtete sorgfältig jede Spur von sich selbst, ließ nie einen Mundvoll übrig, verbrannte die Knochen und Gräten von den Hühnern und Fischen, die sie abgenagt hatte, und ging so wenig wie möglich vor unseren Bambuszaun, damit ihre Fußspuren nicht von einem Neidischen, Mensch oder Geist, gefunden würden, der dadurch das Kind in ihrem Schoß behexen konnte.

Sie hatte als Kind im Hause des Königs durch das Geschwätz der Weiber gehört, wenn eine schwangere Frau sehr viel Yamswurzel äße, so würde das Kind lang und dünn. Deshalb rührte sie sie nicht an.

Von Taro dagegen würde es kurz und dick. Darum aß sie auch davon nicht.

Wenn die Mutter aber Fisch aß, bekam das Kind einen guten Verstand. Und von Hühnerfleisch bekam es einen starken Willen. Darum lebte sie meistens von Fisch und Hühnern; außerdem von Bananen, die dem Kinde ein mildes und ruhiges Gemüt geben sollten, und Kokoskerne und Kokosmilch, die gute und reichliche Milch gaben.

Schweinefleisch wagte sie nicht zu essen, weil sie von einer Frau gehört, die ein Kind zur Welt gebracht, das Schweineborsten statt Haare auf dem Kopf hatte.

Die Tage vergingen in einer langen und glücklichen Reihe.

Wir hatten einen guten Monsunwechsel mit viel Windstille, hin und wieder etwas Regen, aber fast keinen Sturm. Einen richtigen Wirbelsturm hatten wir in der ganzen Zeit, während ich auf der Insel war, überhaupt noch nicht gehabt.

Eines nachts erwachte ich dadurch, daß Ali mich am Arm rüttelte.

»Was ist los?« fragte ich noch halb im Schlaf.

»Er hat sich gerührt!« sagte sie mit einer Stimme, die vor Bewegung zitterte, »hier, gerade unter meinem Herzen hat er sich gerührt.«

Sie nahm meine Hand und legte sie unter ihre linke Brust. Ich konnte nichts fühlen außer der Bewegung ihres Zwerchfelles beim Atemholen.

»Jetzt hat er sich wieder bewegt!« sagte sie und legte sich still nieder, »hast du es nicht gefühlt?«

»Doch«, sagte ich, um sie zu erfreuen, als ich aber am Einschlafen war, hörte ich ein heißes Weinen in ihrer Kehle gurgeln.

»Weshalb weinst du?« fragte ich und nahm ihre Hand.

»Ich weine, weil er sich gerührt hat!« sagte sie und fuhr fort, ihre ersten mütterlichen Tränen zu weinen.

Es waren Freudentränen.


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