Laurids Bruun
Van Zantens glückliche Zeit
Laurids Bruun

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Sechzehntes Kapitel

Die freudlose Witwe und die Niederkunft

Als die Zeit herankam, wo Ali stark und unbeholfen wurde, ging sie still und in Gedanken versunken umher.

Sie lächelte mir zu, wenn ich mit ihr sprach, aber sie antwortete nicht.

Eines nachts stand sie auf, nahm die eine Schlafmatte und richtete sich einen Schlafplatz für sich allein ein.

Ich wurde ärgerlich darüber und wollte sie wieder an meiner Seite haben; sie aber sah mich mit einem scheuen und bittenden Blick an.

Als ich meinen Arm um sie legte, löste sie ihn sanft und rollte sich auf ihrer Matte zusammen.

»Nein – nein!« bat sie.

Ich konnte ihrer Stimme anhören, daß sie mit sich kämpfen mußte, um mich zurückzuweisen. Ich war so daran gewöhnt, sie an meiner Seite zu haben, daß ich ärgerlich wurde und nicht umhin konnte, ihr Benehmen als eine unzeitige Laune zu betrachten.

Eines Abends sagte ich es ihr mit zornigen Worten. Sie antwortete nicht; kurz darauf aber horte ich ein Schluchzen in ihrer Kehle gurgeln; noch im Schlaf wurde sie davon geschüttelt.

Am darauffolgenden Abend, als wir uns beim Sonnenuntergang erhoben, um ins Haus zu gehen und uns schlafen zu legen, stand sie lange und sah mir mit einem großen, betrübten Blick forschend ins Auge.

Dann legte sie die Arme um meine Schultern und sagte mit einem tiefen Seufzer: »Weshalb gehst du nicht zu Ikala?«

»Niemals!« antwortete ich und sah sie vorwurfsvoll an.

»Das tun doch die anderen Männer!« sagte sie und lächelte wehmütig.

Ich lag noch lange wach und dachte an die aufopfernde Liebe, die sie dazu gebracht hatte, selbst die freudlose Witwe zu nennen.

Ich wußte wohl, daß es Sitte und Brauch war, daß die Männer an anderer Stelle Liebe suchten, wenn ihre Frauen krank waren. Mit mir und Ali aber dünkte es mich etwas ganz anderes zu sein.

Einige Zeit darauf begegnete mir, als ich vom Strande kam, wo ich gefischt hatte, Ikala.

Sie schlenderte an meinem Zaun vorüber, als suche sie jemanden.

Als sie mich kommen hörte, wandte sie sich hastig um. An ihrem großen, einladenden Blick, den sie auf mich richtete, während sie ihre Lippen mit ihrer roten Zungenspitze feuchtete, sah ich, daß ich es war, den sie suchte.

Jetzt begriff ich die Arbeitsweise der freudlosen Witwen. Sie verschaffen sich zu wissen, was in den Hütten vorgeht, und wo Gebrauch für sie ist, da treten sie von selbst an. Man braucht sich nicht einmal dazu zu überwinden, sie aufzusuchen.

Ohne ein Wort zu sagen, ging sie langsam an mir vorbei, während sie sich in ihren starken, trägen Hüften wiegte. Sie verwandte keinen Blick von mir, und es lag eine so eigentümliche Macht in ihren Augen, daß ich ihr unwillkürlich folgte.

Sie reizte meine Neugierde, so daß ich mit zu ihrer Hütte ging, die abseits liegt, hinter einem hohen Yamsgebüsch verborgen, das den ganzen Zaun umschlingt.

Die grüne Üppigkeit der großen Blätter warf einen dichten Schatten über den kleinen Hof, der rein und gut gehalten war.

Sie bot mir drinnen im Hause einen Platz auf einer Matte an, die von Reinlichkeit glänzte. Dann nahm sie, noch immer ohne ein Wort zu sagen, eine Kawawurzel vom Bort, legte sich auf den Rücken, öffnete den Mund und zeigte mir zwei Reihen blanker, brauner Zähne und einen Gaumen, der rein und frisch war.

Ich riß ihr die Kawa aus der Hand und richtete sie auf.

Mochte ihr Mund auch noch so frisch sein, sie sollte nie und nimmer Kawa für mich kauen. In einem Rausch, wie der, den Winawa mir im Felde bereitete, würde ich ganz in ihre Gewalt geraten.

Sie blickte mich mit einem herausfordernden Lächeln an und mit jenem Zug von kaum unterdrückter Verachtung in den Mundwinkeln, den ich schon das erstemal, als ich ihr begegnete, bemerkt hatte.

Mit ihrer tiefen Stimme vor sich hinsummend, erhob sie sich und nahm eine Kokosschale vom Bort. Sie enthielt Meerwalzen, gekocht und getrocknet, wie ich sie mal auf Yap zu Mittag bekommen hatte.

Sie nahm selbst eine und steckte sie in den Mund, bevor sie mir die Schale reichte.

Ich aß eine; sie war ausgezeichnet. Ich nahm noch eine; und eine dritte.

Ihr Blick ruhte unverwandt auf mir, groß und unverhüllt. Ihr Summen wurde zu einem Knurren tief drinnen in der Kehle, das seltsam einschmeichelnd und verlockend klang.

Es war eher Neugierde als Lust, das mich zurückhielt.

Die Sonne ging unter. Ich war wohl ein paar Stunden bei ihr.

Tongu hatte mir bereits dies und jenes von den freudlosen Witwen erzählt, das meine Neugierde geweckt, die Wirklichkeit aber überstieg bei weitem das, was ich mir vorgestellt hatte.

Ich hab' mich später oft gewundert, daß das enge Zusammenleben mit der Natur die Eingeborenen nicht ganz von dieser Erniedrigung auf geschlechtlichem Gebiet verschont, die ich für eine der vielen zweifelhaften Früchte der Zivilisation gehalten hatte.

Ich schämte mich vor mir selbst und vor Ali und ging lange im Mondschein am Strande hin und her, bevor ich mich zur Heimkehr entschließen konnte.

Als ich meinen Zaun erreichte, hörte ich Stimmen von drinnen. Es war Alis Stimme und eine fremde, die ich nicht kannte.

Ich hielt den Atem an und lauschte.

Die andere war auch eine Frauenstimme. Im selben Augenblick durchfuhr es mich: Ali ist krank geworden und die Geburt hat schon begonnen.

Ich eilte hinein.

Ali lag im Mondenschein in der offenen Tür und klammerte sich mit ihren Armen um den niedrigen Pfosten.

Hinter ihr saß eine Frau, deren Züge ich nicht zu unterscheiden vermochte, weil Ali sie beschattete.

Sie lag auf den Knien und stützte Ali die Hüften.

Ali krümmte sich. Ihre Augen irrten unruhig und wild in den Höhlen; aber es drang kein Schrei von ihren festgeschlossenen Lippen.

Als sie meiner im Mondlicht ansichtig wurde, heftete sie ihren Blick auf mich wie ein verwundetes Tier, das bereits fern vom Leben ist. Aber sie sagte nichts. Ihre Seele war bei dem neuen, starken Leben, das sich aus ihrem Innern zum Licht hervorkämpfte.

Die fremde Frau zog ihre Hände zurück, beugte sich zu mir und winkte mir entsetzt mit beiden Armen, daß ich fortgehen solle.

Da ich statt dessen näher kam, sah ich, daß es Alis Mutter war, – sie, die Ali damals beim König im Nacken gepackt und fortgeschubst und sie später zum Gemeinschaftshaus begleitet hatte. Meine Schwiegermutter.

Wie es zugegangen war, daß sie hier bei Ali saß, die während der letzten Tage unseren Hof nicht verlassen und niemand außer mich zum Schicken gehabt hatte, das begriff ich ebensowenig, wie daß Ikala vor einigen Stunden wußte, daß es an meinem Zaun eine Chance für sie gab. Das ist ein Zeichen für den rätselhaften, untrüglichen Instinkt, der die Eingeborenen leitet.

Als ich keine Miene machte, mich fortzubegeben, ja, sogar näher an Ali Herangehen wollte, sprang die Alte auf, eilte auf mich zu und sagte mit zornigen Augen: »Weißt du nicht, daß kein Mann zusehen darf, wie eine Frau gebiert?«

Ich zögerte, unentschlossen, was ich tun sollte. Als ich aber Ali ansah, sandte sie mir einen bangen Blick, der deutlich genug von Abschied sprach.

Da ging ich vor den Zaun hinaus.

Voller Angst stand ich auf dem Sprung, um beim ersten Schrei hineinzustürmen. Aber da wurde meine vollkommene Hilflosigkeit mir plötzlich klar. Ich sah ein, daß ich nur im Wege sein würde und daß Ali in keinen besseren Händen sein konnte als in denen, die sie getragen hatten, als sie selbst das Licht erblickte.

Ich hielt den Atem an und lauschte auf jedes Rascheln, jedes Murmeln, während ich beschämt die Erinnerung an die Stunden bei Ikala verscheuchte.

Ich konnte dieses angespannte, untätige Lauschen nicht lange ertragen und begann zwischen dem Zaun und dem Tarofeld hin und her zu gehen; aber nicht weiter fort, als daß ich jeden Ruf von drinnen hören konnte.

Ich hätte viel darum gegeben, wenn Ali nach mir gerufen hätte; aber es kam kein Laut.

Mehrere Stunden lang schlich ich so umher, bis meine Nerven wie Saiten bebten und meine Knie zitterten, während das Mondlicht die langen Streifen« und Netzwerkschatten der Lianen über den Weg warf.

Da endlich erklang ein Schrei. Wie ein Blitz nach stundenlanger, unheilverkündender Schwüle brach er durch die Stille.

Ein vereinzelter, schneidender Schrei. Nicht wie der eines Menschen in Angst und Not, sondern wie der eines Tieres.

Einige Tauben flatterten verwirrt aus einer dunklen Baumkrone auf. Von irgendeiner Hütte fing ein Hund an zu bellen.

Noch ein Schrei – heiß und wild – der mir den Atem vor Angst stocken machte. Und noch einer, der schwoll und schwoll, bis er abbrach, um in einer langgezogenen, erlösten Klage zu verlaufen.

Da krähte eine kleine, kräftige Stimme ins Leben hinaus.

Meine Spannung löste sich so heftig und gewaltsam, daß ich in Tränen ausbrach, während ein unbeschreibliches Glücks- und Siegesgefühl mich durchbrauste.

Ich stürmte zum Zaun und schrie: »Ali!« Die Tür aber war verschlossen und niemand antwortete mir.

Lange stand ich und lauschte. Hin und wieder konnte ich das gesegnete Krähen hören; jetzt aber klang es gedämpfter, so daß ich mir sagen konnte, daß Ali auf ihre Matte getragen und die Haustür geschlossen worden sei.

Dann begann ich wieder vom Zaun zum Tarofeld hin und her zu laufen.

Als es aber über dem Meere zu dämmern begann, als der Himmel zu einem einzigen bleichen Opal wurde, da lief ich zum Strande hinunter und wartete stolz und voller Jubel auf das erste Strahlenbündel.

Ich erinnere mich nicht mehr, was ich dachte und was ich gelobte, denn ich glaube, ich gelobte irgend etwas. Aber ich streckte der Sonne meine Arme entgegen und war glücklich.


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