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XIII.

Johan Lind beschloß, Massen nichts von dem Zustand des alten Jakob zu sagen. Es wäre Mißbrauch des Vertrauens. Unrecht gegen einen vom Schicksal betroffenen Menschen.

Als er Massen den Bogen gab, prüfte dieser die Unterschrift genau. Sie war etwas zittrig, sonst aber war an dem bekannten Namenszug keine Veränderung zu sehen.

»Wozu raten Sie mir?« fragte er schelmisch, »soll ich eine Hausse oder Baisse arrangieren?«

»Ich bin kein Spieler,« sagte Johan Lind kurz.

»Wir hatten es doch so verabredet.«

Massen sah gekränkt aus. Er maß das Zimmer mit langen Schritten, die Hände verdrießlich in den Seitentaschen. Darauf zündete er sich eine Zigarette an, warf sich in den Klubsessel, der seinem Gast gegenüberstand und sah ihn mit verheißungsvollen Augen an.

»Sie ahnen nicht, was ich für eine Neuigkeit für Sie habe.«

Johan Lind erwiderte seinen Blick, verriet aber keine Neugierde.

Was fehlt dem trockenen Gesellen, dachte Massen ungeduldig; dann aber platzte er heraus:

»Ich habe einen Verein gebildet, das heißt, zusammen mit der Baronesse und dem Propst, die Idee aber ist von mir.«

Er richtete sich auf, rieb sich die Hände und erzählte eifrig:

»Einen philantropischen Verein, der Leuten helfen soll, die unverschuldet Ursache zum Unglück anderer geworden sind. Ist das nicht etwas ganz Neues?«

Johan Lind sagte nichts, sah Massen nur an.

»Den Geschädigten wird geholfen, aber an den Unglückseligen, der den Schaden verursacht hat und sich über sein unverschuldetes Schicksal zu Tode grämt, denkt niemand.«

»Soll das in die Zeitung kommen,« sagte Johan Lind mit einem seinen Lächeln.

»Selbstverständlich!«

Es zuckte verwegen in Massens Faltennetz; dann aber besann er sich und sagte verdrießlich:

»Es ist gar nicht zum Lachen. Uebrigens haben Sie ja neulich schon etwas Aehnliches vorgeschlagen.«

»Das ist wahr. Wer ladet dazu ein?«

»Die Baronesse und der Propst und ich und dann dieser Journalist Jensen, der durch das Unglück berühmt geworden ist, der soll die Pressepropaganda in die Hand nehmen.«

»Dazu waren alle gleich bereit?«

»Mehr als das, sie waren begeistert! Der Propst nannte es einen edlen Gedanken, die Baronesse sagte ›Mein Gott‹ und war gerührt. Sie aber möchten wir auch dafür gewinnen. Sie haben ihn ja entdeckt.« »Wen?«

»Den Weichensteller mit seiner Frau und den acht Kindern. Wenn Sie beitreten, sind wir gerade fünf, das ist die richtige Zahl für ein Komitee.«

»Vielen Dank. Und wer soll Mitglied werden?«

»Alle diejenigen, die die Adresse unterschrieben und Geld gegeben haben. Feine Sache, was?«

Massen rieb sich die Hände und lachte offen.

»Sie sollen sehen, keiner gibt uns einen Korb; denn es wird vornehm sein, dem Verein beizutreten, –und trotzdem demokratisch; Leute aus allen Klassen werden vertreten sein.«

Johan Lind betrachtete grübelnd das frohe Gesicht ihm gegenüber, mit der sorglosen Verschmitztheit.

»Und wie soll das Kind heißen?«

Massen sprang auf und ging mit großen Schritten über den Teppich.

»›Die Notbremse‹! Was sagen Sie dazu?«

»Nicht übel. Was meinen die anderen dazu?«

»Die anderen kennen ihn noch nicht. Die Baronesse wollte den Verein ›Die Auserwählten‹ nennen.«

»Das ist viel gesagt.«

»Ja, nicht wahr, etwas großspurig?«

»Vielleicht. Viele sind berufen, aber wenige auserwählt.«

»Das meine ich auch. Jensen hatte einen bescheideneren Vorschlag. Er meinte, wir sollten uns einfach ›Die Geretteten‹ nennen.«

»Und der Propst?«

»Der macht's nicht billig.« Massen lachte herzlich und rieb sich die Hände. »Er will, daß wir uns ›Die Begnadigten‹ nennen sollen.«

»Hört! Hört!«

»Wir machen uns lächerlich.«

Johan Lind sagte nichts; aber er sah so ernst aus, daß Massen ihm anmerkte, er sänne auf etwas Besseres.

»Ich kann Ihnen ansehen, Sie Philosoph, daß Sie sich etwas ausgedacht haben. Heraus damit.«

Johan Lind sah ihn fest an und sagte ernst:

»Ich schlage vor: ›Die bedingt Begnadigten‹.«

Massen sah ihn von der Seite an.

»Bedingt begnadigt, das klingt, als ob man etwas ausgefressen hat und eine Frist bekommt, in der man sich bessern soll.«

Massen blickte Johan Lind geradeswegs in die grauen Augen. Und da war es wieder, was er schon neulich bemerkt hatte, so etwas wie ein Hinterhalt. Als ob er etwas wüßte, was kein anderer wußte, womit er aber nicht herausrücken wollte, obgleich es furchtbar wichtig war.

Massen konnte sich von diesen merkwürdigen Augen nicht losreißen.

Von ihm kann man etwas lernen, dachte er und fühlte den seltsamen Wunsch, ihn bei sich zu behalten. Er beugte sich vor und legte seine Hände auf Johan Linds Schultern.

»Wissen Sie, was Sie sollen?« sagte er ernst. »Sie sollen Vorsitzender werden. Denn Sie wissen, wie alle Dinge von innen aussehen. Ohne Sie wird nur Geschäft und Großtuerei aus der Sache.«

Massen sprach immer ganz impulsiv. Ueberlegung kannte er nicht.

Johan Lind lehnte sich in den Stuhl zurück und blickte verwirrt auf.

Redet er wie Kinder, die nicht wissen, was sie sagen? Hatte er, Johan Lind, hier wirklich eine Mission? Aber er war ja selbst nur ein »Bedingt Begnadigter«, ein Suchender. Kann ein Blinder einen anderen Blinden sehend machen?

Er suchte in Massens blanken Augen einen Schimmer von dem eigentlichen Menschen. Aber er sah nur Massen, Massen mit dem Faltennetz unter dem linken Auge, der stets zuzugreifen verstand. Konnte er zu einer heimlichen Botschaft gebraucht worden sein?

Massen nimmt die Hände von seinen Schultern. Johan Lind sieht seine Enttäuschung und sagt:

»Ich will es mir überlegen.«

»Was ist da zu überlegen?« sagt Massen ärgerlich. »Die Idee stammt ja ursprünglich von Ihnen.«

»Habe ich je von einem Verein gesprochen?«

»Verein –«, sagte Massen wegwerfend, »das ist ja nur der zweite Schritt, aber der erste, die Hilfe für den armen Weichensteller, stammt doch von Ihnen.«

»Ach, Sie Spieler,« sagt Johan Lind zornig und steht auf. »Sie sind gewohnt, im Blinden zu tappen. Ich aber muß erst wissen, was dahinter steckt.«

»Es steckt nichts dahinter!« Massen sieht ihn verdrießlich an. »Ist es verdächtig, daß ich Sie zum Vorsitzenden machen will. Es ist ja ein Ehrenposten.«

Johan Lind antwortet nicht. Er starrt gedankenverloren auf die Lilien in der Goldledertapete; plötzlich aber wird er durch etwas Gedämpftes, Innerliches in Massens Stimme gefesselt.

»Oder finden Sie es vielleicht verdächtig,« hört er ihn sagen, »daß ich gern mit Ihnen zusammen arbeiten möchte, um Sie näher kennen zu lernen, Sie Philosoph? Sie sagen so viel, worüber man nachdenken muß; bisweilen scheint es mir nämlich selbst, als ob ich das Leben zu leicht nähme –«

Das letzte war nur wie ein Murmeln, Johan Lind aber hat es doch gehört.

»Dank!« sagt er und faßt schnell Massens schmale gepflegte Hand.

Darauf eilt er zur Tür, dreht sich noch einmal um und sagt:

»Sie haben mich mißverstanden. Ich habe nicht Sie im Verdacht, es handelt sich um etwas ganz anderes. Lassen Sie mir Zeit, ich werde mir die Sache überlegen.«


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