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Der singende Fisch

Drama in drei Nächten

Gestalten:

Wendefeuer

Frau Wendefeuer

Anatolie Wendefeuer

Stöbsand

Frau Stöbsand

Veronika Stöbsand

Gailus

Bragström

Der Schauplatz ist auf der Kurischen Nehrung.

 

Die erste Nacht

Schauplatz

Große Stube bei Wendefeuers. Die eine Seite ist von einem riesigen Lehmofen vollständig eingenommen. Nur an der Hinterwand befindet sich ein schmaler Gang, in dem ein Bett steht, dessen Fußende sichtbar ist. Durch die Hinterwand führt eine Tür mit Glasfenstern ins Freie, dem Ofen gegenüber eine Tür zu einem zweiten Raume. Das Zimmer macht einen ärmlichen Eindruck. Tisch mit langer Bank und Stühlen usw. Ein Öllämpchen erhellt die Stube dürftig.

Anatolie (sitzt auf der Bank am Tisch und liest in einem alten dicken Buche. Plötzlich werden ihre Augen größer, sie richtet sich auf, schlägt das Buch zu und stößt es von sich.) Ein furchtbares Buch!

Veronika (tritt ein).

Anatolie (beachtet sie kaum). Ein furchtbares Buch . . .

Veronika. Die Bibel – – ach – – –

Anatolie. »Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.«

Veronika. Unsinn, Anatolie. Barer Unsinn! Das heißt, es ist Unsinn, daß du dieses zwei Tage vor deiner Hochzeit liest. Ich würde mich dann lieber an die Bücher Ruth und Esther halten. »Ansieht, ihrer zu 116 begehren –«, hör mal: wenn wir Mädchen durch die Straßen gehn, stehen in den Häusern hinter den Gardinen die Selbstbeflecker. Wieviel Mal hat man uns schon so besessen! Mit Gewalt und ohne Gewalt – in roten Zimmern und in dunkeln Wäldern. Kann man da keusch sein, wenn so 'was ist?

Anatolie. Quäl mich nicht noch, Veronika. Kannst du denn keine milden Worte finden?

Veronika. Ha!! Aber ich habe das Glück gefunden, das Glück! Ja – in demselben Buche hab ich es gefunden.

Anatolie. Es ist ja alles so voll Elend. Und dies Buch ist so hoch. (Sie sinkt sinnend auf die Bank zurück.)

Veronika. Sieh mal! Wir haben alle eine große Meinung von uns. Und wenn wir uns den Geliebten unseres Herzens geträumt haben, so war das doch immer der Beste, der Herrlichste, der Schönste, der Reinste, der Süßeste aller Männer dieser Erde. Und wir haben hierhin und dorthin gesehn, aber gefunden haben wir ihn nie, denn es scheint ihn nur ein einzig Mal gegeben zu haben – und dann nicht mehr. Aber wir werden nicht müde, ihn immer von neuem zu suchen. So tragen wir sein Bild in uns. Und dieses Bild nur lieben wir. Ja – ich liebe Ihn, Ihn, Ihn und immer nur Ihn, den Seltsam-Empfangenen, Ewiggerechten, den Sohn Gottes . . . Gib acht: eines Nachts hat er mich besucht!

Anatolie. Was du da – redest!

Veronika. Und was gehn mich dann noch die mattroten Gemächer an, in denen sich schöne Frauen blonden Herren hingeben! Was kümmert mich dann noch der Transtiefel des Fischers, der sich vielleicht einmal in mein Bett legen wird! Ich sage nichts, Anatolie, gar nichts. Ich habe ja Ihn, Ihn, Ihn und immer nur Ihn! Er nur berührt mich, wo er nur will. Er liebkost mich in den Nächten! Hier – hier – da! Ich hab ihn immer bei mir. Nicht am Kreuz. 117 Nein. Er steht und lächelt mich an. (Sie stellt ein kleines Standbild auf den Tisch.) Sieh! Ist er nicht herrlich? Ich will Magdalena heißen . . . Du! Du! Du! (Sie küßt die Plastik voll Leidenschaft.)

Anatolie. Das ist entsetzlich, Veronika! Siehst du denn keine Sünde?

Veronika. So es eine Sünde ist, ist es die kleinste von allen. Ich liebe Ihn. Er wird mir vergeben.

Anatolie. Wer hat dich auf diesen Weg gestoßen?

Veronika. Du.

Anatolie. Ich versteh dich nicht.

Veronika. Du ganz allein. Ich hab es gegen das Meer gebrüllt, als es am stärksten tobte. Ich hab's den Möwen und Sternen erzählt bei Tag und Nacht. Die Möwen haben gelacht, und die Sterne – die machen auch bloß traurig. Wenn man die Sterne fragt, bekommt man zur Antwort, daß das alles ganz klar und richtig sei. Und damit haben sich ja die Menschen noch immer beschieden.

Anatolie. Du bist weh und wund, Veronika. Komm, wir sitzen nebeneinander und schweigen. Vielleicht begreifen wir es dann!

Veronika (setzt sich auf den Tisch und blickt Anatolie schweigend an). Hast du bemerkt, daß alles, was man gern haben möchte, im Leben immer ein anderer bekommt?

Anatolie. Zunächst . . . Ja . . . Das kommt vor. Aber der Beharrliche empfängt die Frucht.

Veronika. Schön. Schön!! Aber diesmal ist das nicht wahr. Ich werde dir das beweisen. Bin ich häßlicher als du? Sieh mich an. Ich ähnele 118 dir so, daß ich fast glauben möchte, wir hätten eine Mutter oder einen Vater gehabt. Du bist wie meine Mutter. Du bist so langsam, so ganz langsam. Weißt du denn, daß meine Mutter deines Vaters erste Frau gewesen ist?

Anatolie (erhebt sich). Wer – – – was sagst du? Mein Vater ist . . . Deine Mutter – Frau – –

Veronika. Ja – ich las unter alten Schriften heute eine Ehescheidungsurkunde. Aber da stand nur ganz kurz die Tatsache drin. Meine Mutter ist deines Vaters erste Frau gewesen. Und sie wurden, ich weiß nicht, aus welchem Grunde, geschieden. Abgesehen davon ist nicht daran zu zweifeln, daß deine Mutter wirklich deine rechte Mutter ist. Du hast dasselbe Mal auf deinem Arm wie sie und dein linker Fuß ist ein wenig kürzer, genau so wie der ihrige. Aber es ist seltsam, daß sie die geborene Hast ist und du so sonderbar langsam bist. Sie läuft, läuft, läuft. Es muß ein großer Schmerz in ihr sein, nicht so langsam gehn zu können wie die anderen Menschen.

Anatolie (mitten im Zimmer). Du sprichst heute, als habest du das alles auswendig gelernt; als seist du hergekommen, um – – ich weiß nicht –

Veronika. Um dich zu quälen. Sprich es nur aus. Nein, Anatolie. Ich habe meinen Liebsten immer bei mir. Er ist der Herrlichste, der Einzige! Ich will deinen Bräutigam nicht mehr! Es gab Stunden, Tage, da glaubte ich, irr zu werden. Das geht alles vorüber. Und man kann nachher nicht einmal sagen, warum das alles so und gerade so und nicht anders und auch nicht ein wenig anders gewesen ist oder hätte sein können.

Anatolie. Gailus? Hast du Gailus geliebt? Liebst du Gailus? (Laut hinaus.) Weshalb hast du ihn denn nicht genommen? Weshalb hast du ihn denn nicht genommen?! Herr Gott!! 119

Veronika. Du und ich, wir sind zueinander zu leise gewesen. Man ist oft so leise, daß man sich verirrt. Aber die Sterne meinen, das sei alles ganz so in der Ordnung. Wir sind zu leise gewesen, und das muß schon so stimmen, sagen die Sterne. Dennoch bin ich erstaunt, daß dich dieses erregt. O ja – ich hätte ihn wahrhaftig mögen. Er ist so lieb und gut und rein. Er trinkt keinen Schnaps. Er ist so sanft wie sein litauischer Name. In meinen Träumen bin ich ihm oft begegnet, und Mutter erzählte mir, ich hätte oftmals im Schlafe den Namen Gailus gestöhnt. Aber du warst ja ärmer als ich. Ich glaube, das hat den Ausschlag gegeben. Du freust dich nicht?

Anatolie. Das fragen mich alle Menschen. Und ich weiß nicht warum. Ich weiß auch nicht, warum ich mich nicht freuen kann. Höre, Veronika! Ich habe eine so große, große Angst! Und kein Mensch ist da, dem ich mich an die Brust werfen könnte. Das kann doch alles nicht richtig sein. Mir graut es vor dieser unsittlichen Berührung, in die die Menschen uns mit ihren unsichtbaren Gesetzen hineinziehen! Ein fremder Mann soll plötzlich mit mir machen dürfen, was er Lust hat! Das kann doch gar nicht möglich sein! Kinder haben, und keine Kinder haben: das hat man alles so gehört und gesprochen. Aber auf einmal steht man davor. Ist es nicht grauenvoll, wenn ein Mann sinnlich ist und das Weib will davon nichts wissen! Ja – ich liebe Gailus. Wahrhaftig, ich liebe ihn so sehr. Aber – wenn man liebt, muß das denn gleich mit den Händen sein?! Die Seele ist es, die da liebt, aber die Eingeweide sind doch etwas anderes! Veronika! Erbarme dich doch! Steh nicht so stumm! Ich glaube, es ist eine Nadel in meinem Hirn, die mich so sticht.

Veronika. Ja – wenn man liebt, dann muß das nicht gleich mit den Händen sein. Aber die Menschen können nur noch mit den Händen – lieben . . . Wenn du meine Mutter hättest, würdest du ruhiger, abgeklärter sein. Da du aber deine ewig laufende Mutter hast, wirst du dich wohl mit den Händen lieben lassen müssen. Überhaupt, ich glaube, wir haben uns in unserer einsamen Landschaft, die die Maler so gern malen, zu viel mit Büchern und fernen 120 Menschen beschäftigt, haben träumen gelernt und noch keinen Mann verführt. Nun mußt du den Rest deiner Tage schweigen . . .

Anatolie. Und du?

Veronika. Ich weiß nicht. Es kommt ja immer alles ganz anders. Da draußen vor dem Strande wurde den ganzen Nachmittag der einsame Kutter herumgeworfen. Er schoß Raketen im Sturm. Es hat ihm alles nichts geholfen. Unsere Boote konnten nicht hinaus. Er muß seinem Schicksal überlassen bleiben. Und drei Tage pflegt hier der Sturm zu brüllen. Ein heißes Gebet und ein kühles Grab. Gute Nacht . . . Aber nein! Der Sturm ging vorüber. Und Boot und Leute werden bald geborgen sein. Der Mond steht hoch. Auch in dieser Leute Schicksal ist das alles ganz anders gekommen, siehst du. Ist das nicht beruhigend?

Anatolie. Ja – sie werden gerettet, und sie treten an den Tisch. Und sie fangen an zu sprechen. Und ihren Worten haftet auch das sinnliche Zittern an. Ihre Augen sind ebenfalls verschleiert, wenn sie ein Mädchen ansehn. Sie blicken uns gar nicht an. Sie blicken immer vorüber. Wenn wir nicht hinsehn, dann fressen sie uns. Es ist furchtbar, so einen Mann zu überraschen, wenn er uns mit den Augen frißt, und er wird sich, glaube ich, immer rächen.

Veronika (durch die Tür blickend). Gailus kommt über die Düne. Da will ich schnell zu den Leuten an den Strand gehn.

Anatolie (fliegend). Veronika! Wenn du mich lieb hast, Veronika, dann bleibe hier, hörst du mich! Bleibe bei mir! Laß mich nicht allein, bis die Leute kommen. Sei mir gut, sei mir nicht böse! Ich habe dir keinen Schmerz zufügen wollen. Bleibe. Bleibe. Geh doch nicht, Veronika! Ich war noch nie allein mit diesem Manne!

Veronika. Warst noch nie mit ihm allein? Niemals, sagst du?! Dann kannst du ihn ja gar nicht kennen. Dann muß ich doch gehn, sieh! Muß 121 doch! O Gott – wie leben die Menschen traurig. (Sie ist schnell draußen.)

Anatolie (blickt in Angst erstarrt minutenlang auf die Tür).

Gailus (tritt ein. Er blickt sich um und atmet auf.) Allein! Begreifst du das, Anatolie? Wir sind allein in der Nacht. Die anderen sind um Schiffsnöte draußen am Strande. Wie das so warm ist, daran zu denken. Guten Abend. (Schweigen.) Ich glaube, du mußt sprechen, Anatolie. Mir fehlt dein Wort in diesem Raume. Weshalb sind deine Augen wie Glas? Weshalb ist dein Gesicht wie Stein? Es gibt nicht Steine auf dieser Nehrung, Bernstein nur, der wie dein Haar ist. Steh nicht so starr, liebliches Mädchen. Ich bin dir gut. O – ich bin so gut, wie ich es gar nicht sagen kann. (Schweigen.) Zu Hause backen sie Kuchen für die kommenden Tage, denn den meisten Menschen geht das Glück durch den vollen Bauch. Ich begnüge mich mit Wasser und Brot, wenn ich glücklich sein darf. Dir aber hab ich etwas gewerkt. Da wir allein sind, will ich es dir geben. Du sollst es tragen in unserer Einsamkeit. Sieh, ein Kettchen aus Bernstein mit einem goldenen Christus am Kreuz daran. Leg es um. So . . .

Anatolie. Das – das ist schön. Und – ich habe auch etwas. (Sie holt ein schmales, gewebtes, sehr buntes Band.) Da. Ich habe nicht so viel. Aber ich hatte große Freude, als ich es arbeitete.

Gailus. Meiner Voreltern Volk, von dem die alten Inder abstammen, wie jetzt die Gelehrten wissen, nannte dieses Band Juosta, ein Sinnbild der Reinheit und Schöne, in das die Liebende ihre geheimsten Wünsche hineinwebte. Ich will es lesen und antun, Anatolie, wenn wir den großen Weg gehn werden.

Anatolie (plötzlich). Du – du mußt ganz ruhig sein, wenn wir zusammen sein werden. Du – du mußt nichts tun, was – was stören könnte, verstehst du 122 mich! Du mußt freundlich sein zu mir und allen Menschen und immer so ganz gleichmäßig! Begreifst du, was ich sage?! Es kann so ein Schweigen, ein furchtbares Schweigen kommen, in dem die Körper ohne Seele sind; dann mußt du hinausgehn ans Meer, hörst du! und mußt so lange lauschen, bis die Seele wieder stark ist. Dann geh du zu den Elchen und sieh, wie sie stundenlang bewegungslos auf der Düne stehn. Da hole dir von ihnen ihre Urweltsruhe. Und dann komm wieder, wie ein edler Elch im Herbst; fremd, fremd, fremd in der weiten Zeit und ganz groß inmitten aller kleinen Dinge.

Gailus. Sieh mich an, zarte Seele. Kannst du mich fürchten? Ich kann keinen Fisch sterben sehn und habe keine Peitsche für meine Pferde. Mich bangt um den Wurm im Schnabel des Huhns und um die Vöglein, wenn die Weihe über den Baumkronen stehn. Sollte ich dich so anrühren können, daß du mir zerbrichst?

Anatolie. Ich weiß nicht . . . Die Menschen leben alle in ihren Gedanken ein ganz anderes Leben als dasjenige, welches dem schnellen Auge sichtbar ist. (Sie geht nach dem Ofen, bückt sich und ist beschäftigt.)

Gailus (verfolgt sie unbeobachtet mit heißen Blicken, aus denen unverhohlene Liebe spricht).

Anatolie (zuckt unter diesem Blicke plötzlich zusammen und wendet ihm das volle Gesicht zu).

Gailus (erschrickt).

Anatolie (steht aufrecht und erbebt).

Gailus (geht mit rotem Gesicht langsam auf sie zu). Ich werde dich küssen . . .

Anatolie (steht steif, groß, aber innerlich zusammengepreßt). 123

Gailus Ich werde dich küssen, schöne Braut. (Steht dicht vor Anatolien, zittert am ganzen Leibe und küßt sie leise auf die Stirn, ohne sie sonst zu berühren.) Ich habe dich zum erstenmal geküßt. Ich habe dich zum erstenmal geküßt. (Er sieht sie tief an.) Deine Brust muß so weiß wie Marmor sein. Herrlich war dein Gang immer in den Dünen. Diese Arme werden mich umschlingen. Morgen – – – übermorgen – – – weshalb dauert das so lange, lange! . . . Bist du mir nicht gut? Hast du mich nicht gern? Lieblich zittern deine Knie. (Er betastet Anatolie leise mit den Fingerspitzen.) Leise. Leise. Du bist fest, Mädchen . . . Mädchen . . .

Anatoliens (Augen werden größer und entsetzen sich).

Gailus. Schweige. Schweige. Sprich kein Wort! Du bist fest und schön. Fühlst du, wie dein Blut mich in die Fingerspitzen sticht? Küsse mich, Anatolie. Sprich kein Wort und küsse mich. Auf den Mund. Auf den Mund. Willst du nicht? Sieh, dich greifen meine Arme. (Er hebt sie empor.) Du bist leicht, leicht, leicht! Du bist voll. Du bist voll. Weib! Weib!! Weib!!! (Er trägt sie schnell nach dem Bette hinter den Ofen.)

Anatolie. Christus, rette mich! Christus, rette mich! Allmächtiger. (Ein kurzer Kampf.)

Gailus (schreit auf, stürzt zurück, von Anatolien am Halse gewürgt). (Ein Poltern von Holzschuhen vor der Tür.)

Anatolie (steht wieder starr).

Gailus (faßt sich schnell. Er greift zum Halse. Blut. Er schlägt rasch den Rockkragen hoch.) 124

Frau Wendefeuer (kommt ins Zimmer gelaufen. Diese Frau kann nicht langsam gehn. Ihr Gang ist ein immerwährender gleichmäßiger, langsamer Laufschritt. Sie schlüpft aus den Holzschuhen.) Kinder. Kinder. Das Boot ist da. Eben haben sie es eingebracht. Und nur ein einziger Mann war drin, denkt mal. Der ist allein von Schweden quer über die Ostsee gefahren. Sie bringen ihn her. Sie bringen ihn her. Gleich werden sie hier sein. Warmes Wasser, Anatolie. Warmes Wasser. Der Mann muß Grog trinken. Er war ganz steif vor Kälte.

Anatolie (am Ofen). Das Wasser kocht.

Gailus. Da will ich ihnen aber schnell noch entgegengehn. (Ab.)

Frau Wendefeuer (läuft hierhin und dorthin, sucht, ordnet, wirtschaftet). Im Fischerboot quer über die Ostsee. Ist das nicht seltsam? Die Männer unten, die auch schon weit herumgekommen sind, haben Derartiges noch nie gehört. Aus Schweden. Drei Tage und drei Nächte allein und ohne Schlaf auf dem Wasser. Ein sonderbarer Mensch. Ein sonderbarer Mensch.

Anatolie (steht am Ofen und sieht die Mutter unverwandt an). Weshalb hast du das damals getan, Mutter?

Frau Wendefeuer (bleibt erschreckt stehn und blickt ihre Tochter mit offenem Munde an). Das . . . Damals . . . Was . . .

Anatolie. Weshalb hast du nie zu mir gesprochen, Mutter? Weshalb muß ich das von fremden Menschen hören und mir Falsches dabei denken?

Frau Wendefeuer (schluckt an Worten). Sonst – sonst pflegen die Eltern ihren Kindern solches auf dem 125 Totenbett zu sagen. Aber ihr lebt heute schneller, trotzdem ihr langsamer seid.

Anatolie. Weshalb hast du das getan?

Frau Wendefeuer (zuckt mit den Achseln und läuft aufgeregter umher). Die Kinder sollen froh sein, daß man sie in die Welt gesetzt hat. Aber sie sind gar nicht froh. Sie sind unfreundlich und klagen. Schließlich muß man seine Kinder um Entschuldigung bitten, daß man sie überhaupt gemacht hat.

Anatolie. Hab ich das verdient? Doch wer kann sagen, was er verdient hat, wenn nicht in diesem, dann vielleicht in einem früheren Leben. Aber ist es dir denn gar nicht angenehmer, dich deinem Kinde gegenüber so von Herzen ausgesprochen zu haben?

Frau Wendefeuer Laß mich sein, Mädchen. Wirst schon noch alles erfahren.

Anatolie. Sieh, Mutter, ich weiß jetzt, warum du mich oft so seltsam ansahst; warum du so schmerzvoll weintest, wenn du von der Jugend sprachst und plötzlich stille schwiegst. Glaubst du denn, ich weiß es nicht, daß sehr viel Leid in dir sein muß? Und daß es mit den Jahren immer schwerer wird, dieses Leid so einsam herumzutragen? Wenn ich Mutter würde, hätte ich keinen anderen Wunsch, als mich einmal an der Brust des erwachsenen Kindes von Herzen auszuweinen.

Frau Wendefeuer (die Worte unwillig abschüttelnd). Du sprichst, wie du das in deinen dummen Büchern, die ich dir hätte verbieten sollen, gelesen hast. Bücher machen Kinder bloß störrisch und undankbar.

Anatolie. Aber weshalb sprichst du jetzt unwahr? Du wirst rot. Das habe ich nicht gewollt. Ich will mit deinem Körper gar nicht rechten. 126 Körper sind wirklich nur Körper. Ich will mit deiner Seele reden. Alle Seelen sind gut. Es gibt keine schlechten Seelen. Und deine Seele schämt sich für deinen Körper, wenn du nicht recht redest.

Frau Wendefeuer. Hör auf, sag ich. Das ist mir zuviel. Du bist nicht meine Großmutter. Du bist da. Gib dich zufrieden, daß ich dich als ein in Bett und Wirtschaft strammes Weibsbild in die Welt gesetzt habe. Wenn du erst wissen wirst, wie überhaupt so ein Mann riecht – übermorgen – dann redest du ganz anders und trachtest nicht mehr nach Alfanzereien.

Anatolie. Du hast mich hinausgestoßen, ohne mich zu kennen. Ihr treibt mich in ein fremdes Haus zu einem fremden Menschen, den ich nie gesucht habe. Ihr seid grausam, grausam, grausam! Kein Tier ist so grausam wie der Mensch.

Frau Wendefeuer. Hör mal, Anatolie. Ich will dir was erzählen, da du mich durchaus reden hören möchtest. Meine Eltern waren Fleischer, richtige Fleischer. Mein Vater schlachtete die Schweine und meine Mutter machte Wurst. Ich hatte von Kindesbeinen an immer nur Schweinefleisch gegessen. Dieses saftige Fleisch, dessen Fett einem so aus den Mundwinkeln hervorspritzt, wenn man hineinbeißt. Fast alle Fleischer und Schlächter essen in der Hauptsache Schweinefleisch. Und das sieht man diesen Leuten an. Und alle Leute, die viel Schweinefleisch essen, sind außerordentlich sinnlich. Das weißt du noch nicht. Aber es ist so. Später, als alles vorüber war, und als ich erfuhr, daß vornehme Leute und ganze Völker sogar den Genuß dieses Fleisches meiden, da hab ich es nie mehr gegessen, siehst du . . . Und auch du hast noch niemals davon gegessen.

Anatolie. Weshalb erzählst du mir das?

Frau Wendefeuer. (sehr erstaunt). Ich glaubte doch, du wollest dieses wissen!? 127

Anatolie (lächelt). So . . .

Frau Wendefeuer (atmet erleichtert auf, als sie draußen Stimmen und Schritte hört). Jetzt kommen sie! Jetzt kommen sie! (Sie setzt sich hin und her in Bewegung, stellt Flasche und Gläser auf den Tisch, holt warmes Wasser und ist beschäftigt.)

Anatolie (tritt weit ins Zimmer zurück).

(Die Tür wird geöffnet von jemandem, der draußen bleibt.)

Bragström (tritt ein. Hellblonder Schwede. Hüne. Frau Wendefeuer, die gerade vorüberläuft, hält er freundlich mit beiden Armen auf.) Langsam, liebe Frau. Langsam. (Peinliche Minute.)

Frau Wendefeuer (versucht schleppend und trippelnd nach dem Vordergrunde zu kommen. Da bleibt sie stehen, wird übermannt und weint verstohlen in ihre Schürze.)

Bragström (bemerkt es und murmelt). Sünde.

Anatolie (horcht auf).

Bragström (sieht Anatolie groß und frei an, tritt auf sie zu und reicht ihr mit weiter Geste die Hand). Ich heiße Bragström, liebe Schwester.

(Vor dem Hause hörte man Stimmen »Gute Nacht« sagen. Inzwischen treten ins Zimmer Wendefeuer, Gailus, Stöbsand, Frau Stöbsand und Veronika.)

Wendefeuer. Jetzt wollen wir uns diesen Mann bei Licht besehn.

Stöbsand. Bragström heißt er. 128

Wendefeuer. Bragström . . . Und er weiß nicht, weshalb er über die Ostsee fuhr und gerade hier landen mußte. Er weiß es nicht, kann es nicht wissen. Aber etwas muß es wohl schließlich sein. Denn es ist immer etwas dabei, wenn wo ein fremder Mensch ohne Ursache plötzlich da ist.

Frau Stöbsand (geht zur Frau Wendefeuer und legt ihr die Hand auf die Schulter).

Frau Wendefeuer. Und ich habe mich doch so gefreut.

Bragström (setzt sich schwer auf die Bank am Tisch). Es muß wohl seinen Zweck haben, da ohne Grund auf Erden kein Ding geschieht.

Stöbsand. Aber ihr müßt doch wissen, weshalb ihr auf Gotland die Segel hißtet.

Wendefeuer. Ts, ts, ts . . .

Bragström. Der Mensch pflegt in der Regel gar nichts zu wissen. Packt euch denn nicht manchmal die Lust, wenn die Brise das Segel füllt, das Boot einmal laufen zu lassen, wohin es lustig ist?

Stöbsand. Das schon – – –

Wendefeuer. Aber – – –

Bragström. Das sind wichtige Momente im menschlichen Leben. Dann will uns das Schicksal an den gehörigen Ort bringen. Und ich ließ den Kahn laufen, um der Zukunft keinen Stein in den Weg zu schmeißen.

Wendefeuer. Ts, ts, ts. Was ihr da drüben für Gedanken habt! 129

Bragström (greift von ungefähr zur Bibel und wirft sie aufgeschlagen auf den Tisch). So macht man das! Was steht da oben?

Gailus (nimmt und liest). »Der Herr tut nichts, er offenbare denn sein Geheimnis den Propheten, seinen Knechten. Der Löwe brüllt, wer sollte sich nicht fürchten? Der Herr redet, wer sollte nicht weissagen?!«

Anatolie (tritt gespannt näher).

Stöbsand. Aber da unten bei den Fischen ist es naß und kalt.

Frau Stöbsand. Und die Schlösser im Meer hat noch niemand gesehn.

Bragström. Glücklich sind die Fischlein, liebe Freunde. Sie hungern nicht, sie frieren nicht, sie sammeln nicht für morgen und haben keinen Widerstand. Sie treiben keine Unzucht und kennen keinen Freund; und an ihren Räubern rächen sie sich nicht, denn sie wissen, daß ein Wesen immer Tilger und auch immer Brot sein muß.

Gailus (blickt Anatolie unsicher an).

Bragström. Und dann ist noch eine Sehnsucht in meiner Seele. Vielleicht finde ich einmal den Menschen, der schon den singenden Fisch gehört hat. (Alle horchen lächelnd auf.)

Anatolie (geht, während Bragström redet, ganz langsam, Schritt für Schritt, auf den Tisch zu und sitzt plötzlich ihm genau gegenüber und hängt gespannt an seinem Munde). 130

Veronika (im Hintergrunde, mit großen Augen). Den singenden Fisch? – – –

Bragström. Es geht eine Sage vom singenden Fisch. (Aufmerksames Schweigen.)

Bragström (erzählt jetzt langsam, mit Pausen, das Folgende. Nach und nach ketten sich die Blicke Bragströms und Anatoliens aneinander und zuletzt spricht er nur noch zu ihr.) Als die ersten Menschen auf der Erde alt genug waren, daß sie sterben mußten, nahm Gott ihre Seelen und gab sie neuen, jungen Menschen. Denn in sein Reich konnte er sie nicht aufnehmen, da sie noch nicht reif und stark genug waren. So mußten sie viele Leben leben, in Menschen und in Tieren. Aber die erste gottreife Seele nahm er hin und legte sie in einen Fisch. Seit der Zeit gehen all die Seelen guter und ganz herrlicher Menschen in Fische ein und leben dort ihr stilles Leben auf den Gründen der Meere bis zum jüngsten Tage. ( Bewegung.)

Und der Heiland kam auf die Welt und redete von Gott und all den großen Dingen Gottes. Und als er ausgesprochen hatte, was zu sprechen war, ging er hin und starb den schweren, süßen Tod am Kreuz. Und auch seine Seele legte Gott in einen Fisch und nahm dabei allen Fischen, die bis dahin hatten reden können, ihre Sprache; denn es war genug von Gott gesprochen worden, und die Fische sollten nichts mehr von den heiligen Dingen den Menschen verraten. Selber sollten die Menschen durch die Gabe des Geistes, die der Herr ihnen geschenkt, die guten Dinge dieser Welt ergründen und dabei durch Not, Kampf und Arbeit die Erde für den jüngsten Tag vorbereiten. Doch dem Fisch, der die Heilandseele trägt, gab er einen Ton zu singen. Da war eine stille Freude in den Fischen . . . (Bewegung.)

Als die Mutter Jesu starb, fragte sie der Herr Herr, ob sie auch ein stiller Fisch werden wolle. »Blind und bloß sind die Menschen«, sagte er und sah sie an. Und sie sprach:»Ich will bis ans Ende dieser Tage Frauenleben leben, denn die Frauen sind sehr arm und gestoßen. Da will ich ihnen Trost und Leuchte sein in der bangen 131 Nacht bis zum Tage.« Froh und traurig wurde der Fisch, der die Heilandseele trägt, als er dieses hörte. Er sollte seine Mutter nicht an seiner Seite fühlen. Deshalb hörte er auf zu singen. Nur von Zeit zu Zeit singt er einmal seinen Ton. Und dann hört ihn von all den Menschen nur die eine einzige Frau, welche das Marienleben lebt. Und er singt den Ton zum Zeichen, daß sie die Maria sei, denn ihr süßer Leib weiß es nicht; singt zum Zeichen, daß er sich nach der Marienseele sehne. Singt ihr Kraft zu ihrem schweren Wege hin. (Er ist aufgestanden.)

Anatolie (hat sich ebenfalls erhoben. Ihre geöffneten Lippen beben. Sie haben sich beide über den Tisch gebeugt, um einander näher zu sein.)

( Schweigen bei den übrigen, die Anatolie mit grenzenlosem Staunen anstarren.)

Bragström (mit lauter Innigkeit, ganz nahe Anatolien). Hat sie den Ton der Heilandseele einmal gehört, kann sie ihn nie mehr vergessen, sondern trägt seine Schönheit in Seele und Ohr und bleibt unbefleckt bis an das menschliche Ende!!! 132

*

Die zweite Nacht

Schauplatz

Es ist das Mittelstück eines kleinen Gartens sichtbar, der auf einer Anhöhe liegt. Im Hintergrunde geht es hinab zum Strande, und dahinter liegt das offene Meer. Auf der einen Seite des Gartens steht das Fischerhäuschen, eine Veranda davor. Der Garten ist der Beschaffenheit des Bodens gemäß nur spärlich bewachsen. Niedriges Nadelbuschwerk, dazwischen die welken Stauden verblühter Blumen. Denn es ist Herbst. Das Laub kümmerlicher Birken ist gelb. Dem Hause gegenüber wächst die Krone einer versandeten Kiefer trotzig aus dem Boden. Daneben steht eine kleine hölzerne Bank. Das Meer rauscht gedämpft.

Wendefeuer (strolcht mit einem langen Säbel wie ein Indianer durch den Garten).

Bragström (kommt vom Strande her).

Wendefeuer (stellt ihn). Halt! Halt!! Steh still, sag ich, oder du bist eine Leiche.

Bragström (windet ihm mit kurzem Griff die Waffe aus der Hand). Warum nicht gar, lieber Bruder! Was seid ihr hier für gefährlich Volk?

Wendefeuer. Ist ja bloß ein Scherz, Bragström. Gib her. So. Ts, ts, ts, was ihr da drüben für Menschen seid. Keinen Spaß versteht ihr. Wer kann da das Leben noch ertragen!

Bragström. Was kampiert ihr denn mit blanken Waffen herum? Das ganze Gehöft ist eine Festung. Ist der Elch ausgebrochen, oder gibt es Wegelagerer? 133

Wendefeuer. Das ist ja doch alles bloß so, Bragström. Jedes Volk hat seine Sitten. Bei uns pflegt der Bräutigam die Braut zu rauben. Das ist in der Nacht vor der Hochzeit. Aber das ist, sage ich dir, bloß so. Nachher wird gegessen und getrunken. Und es ist alles ganz ordentlich und sittsam. Am Morgen wird dann zur Kirche gefahren. Verstehst du. In alten Zeiten hat sich das alles in Wirklichkeit zugetragen. Da sind die Menschen noch besser gewesen.

Bragström. Ernste Spiele . . . Spielt nur weiter . . . (Er geht ins Haus.)

Wendefeuer (ihm nach). Aber das ist doch alles bloß so. Ts, ts, ts . . .

Stöbsand (kommt ihm entgegen). Ich sage dir, Wendefeuer, wir haben sonderbare Kinder. Wenn bloß schon erst morgen wär.

Wendefeuer. Ta, ta, ta . . . Wird alles zwischen die Beine genommen, Stöbsand. Wird alles zwischen die Beine genommen. Wenn bloß der Bragström unter Segel wär.

Stöbsand. Wie will der da zurück!

Wendefeuer. Gefällt mir nicht. Gefällt mir nicht. Sieht Geister am hellichten Tag. Ist einer von den sogenannten guten Menschen. Kuck mal untern Tisch, wenn wir sitzen, ob da nicht ein Schwarzfuß stampft.

Stöbsand. Unter drei Tagen läßt der Sturm niemals locker. Große Schiffe sind da vorn in den Stunden gestern abgesackt. Aber der Teufel hängt sich Gottes Regenmantel um. Nichts von Sturm. Und der Kahn läuft glatt auf den Strand. – Auch noch nicht so schlimm; wenn bloß die Weibsleut nicht so drehig wären, wenn wo ein sonderbares Ding passiert. Die haben immer gleich Gefühle, hast du mich verstanden . . . 134

Wendefeuer. In Rio de Janeiro hatt ich einmal Eine, muß ich dir erzählen . . . Ts, ts, ts, das war so . . . (Sie gehen um das Haus ab.)

Frau Wendefeuer (aus dem Hause). Mann! Mann! Mann! Wo bist du? Bist du nicht hier? Sie will nicht! Sie will nicht! Heut am Polterabend will sie plötzlich nicht! Sie will überhaupt nicht! O Gott! O Gott! Welche Schande bereitet mir mein Kind! Welche Schande, Schande, Schande! Mann! Mann! Mann! Sie will nicht! Sie will nicht. (Sie läuft um das Haus ab.)

Veronika (tritt hinter der versandeten Kiefer hervor. Sie reckt sich und streckt sich; streckt die Arme ganz hoch zum Himmel hinauf, dabei auf den Fußspitzen stehend.) Sie will nicht! Sie will nicht! Kannst du es fassen? Sie will nicht! (Geht so leise jauchzend vorwärts.) Ich will! Ich will! Hahahaha! Ich will!

Frau Stöbsand (steht in der Verandatür). Was tust du hier, Kind?

Veronika. Ich? – Ich saß in der Laube dort. Da ist man so einsam und winzig zwischen Himmel, Haff und Meer.

Frau Stöbsand. Du bist ganz schwer heut nacht, Veronika. Sind die Stunden so weh?

Veronika. Mir ist plötzlich ganz leicht, Mutter. Ich möchte springen, daß alles zittert.

Frau Stöbsand (näher). Du weinst? Ist denn das Tränen wert? Nein – das ist nicht Tränen wert. Ich möchte alle Frauen auf Erden lehren, nicht mehr zu weinen. Lächle, lächle! Aber lache und weine nicht. Lächeln ist das Los der Gesichter! 135

Veronika. Und dann ist man auf einmal in Lächeln erstarrt.

Frau Stöbsand. Habe Christus, Kind. Und dann bleibt dein Lächeln flüssig. Hab ich ihn dir nicht gegeben? Liebe ihn in der Glut. So ganz aus Innen heraus. Schaue, so sagte meine Mutter. Schaue. Schweig stille und schaue.

Veronika. Mutter, ich habe solche Angst, daß ich nicht verstehe, was du zu mir sprichst. Du sagst ein Wort und fühlst. Ich aber höre ein Wort und fühle nicht. Oder ich fühle etwas anderes. Die Worte klingen, aber dasselbe Gefühl kommt nicht mit.

Frau Stöbsand. Die Menschen haben es schwer.

Veronika. Das versteh ich.

Frau Stöbsand. Laß mich gegen dein Blut reden. Auch das wirst du verstehn. Du liebst einen Mann.

Veronika. Lieb ich ihn, Mutter? Lieb ich ihn bloß? Ist das denn nicht etwas anderes? Sag mir, was ist Liebe, damit ich weiß, ob ich den Mann liebe.

Frau Stöbsand. Liebe ist, wenn – wenn – – (Schweigen.)

Veronika. Du weißt es nicht . . .

Frau Stöbsand. Wart. Ich hab den Satz auswendig gelernt. Als ich noch jung war, hat ihn mir jemand gesagt: Liebe ist der Wunsch, seinem Mitmenschen ohne jeden Grund und Selbstzweck Gutes zu erweisen. Alles andere ist nicht Liebe.

Veronika. Hör mich, Mutter! Ich liebe ihn. Jetzt weiß ich, daß ich ihn liebe! 136

Frau Stöbsand. Liebst du ihn nicht doch, weil er dir gefällt?

Veronika. Ja! . . .

Frau Stöbsand. Also ist es keine Liebe. Du möchtest – jede Stelle seines Körpers küssen. Aber möchtest du auch einem Siechen, einem Aussätzigen jede Stelle seines Körpers küssen?

Veronika. Soll man denn nicht nur das Schöne lieben?

Frau Stöbsand. Man soll allen Menschen ohne jeden Selbstzweck Gutes erweisen. So ist mir das damals gesagt worden. Du aber bist sinnlich.

Veronika. Dann bin ich sinnlich, Mutter; aber ich muß ihn lieben.

Frau Stöbsand. Du gehst in sein Bett. Und dann ist es vorbei. Ich weiß es, Kind. Laß dir doch sagen, was ich weiß. Du gehst immer in sein Bett. Und dann weißt du, wie er dich umarmt. Und dann weißt du, was er dir gibt; weißt, was er dir noch geben kann, was er dir nicht gibt und zu andern Frauen trägt. Andere Männer gehn in deinen Kreis, denn die Sinnlichkeit hat kein Genügen. Und dann kommt das Ewiggleiche, die unsittliche Qual.

Veronika. Ich versteh nicht, was du sagst, Mutter.

Frau Stöbsand. Nein – du verstehst mich nicht. Kannst mich nicht verstehn. Sieh, ich hab es auch nicht verstanden, Kind, als mir jemand dieses alles in der Jugend sagte. Und da hab ich es an meinem Leibe erfahren müssen. Und dann hab ich es verstanden. Aber später erinnerst du dich all der Worte; trauerst ihnen nach. So ist es im Leben . . . 137

Anatolie (in der Verandatür). Ich bin so müde – müde – –

Frau Stöbsand. Wenn man nicht schlafen darf, dann ist man müde.

Anatolie. Und ich will nicht, will nicht!!

Frau Stöbsand. Geh hinein, Veronika, daß ihr Fehlen nicht ins Gewicht fällt.

Veronika (läuft zu Anatolie hin und küßt sie heftig auf den Mund und auf die Hände).

Anatolie (fährt zurück). Dein Kuß ist kalt und heiß. Zwei Flammen tanzen in deiner Glut . . .

Veronika (jauchzend). Ich habe dich lieb! (Ins Haus.)

Frau Stöbsand. Sie schwärmt . . .

Anatolie. Du bist glücklich in der Ehe – – so sagt man.

Frau Stöbsand. Ja – denn ich habe auf alles verzichtet.

Anatolie. Aber– als du die Ehe schlossest – wolltest du dich da besitzen lassen?

Frau Stöbsand. Ich habe zwei Ehen geschlossen. Und ich wollte in beiden dasselbe, was alle wollen. Aber vielleicht wollte ich es anders. Und deshalb ist das alles so gekommen. Die jungen Dinger sehen den Bart und zittern. Und nach dem ersten Male entheiligen sie die Aufgabe der Frau. – Liebe du Gailus . . . 138

Anatolie. Er ist – so schlecht!

Frau Stöbsand. Aber er hat einen Charakter. Das heißt, er ist bestimmt so und so. Die anderen Menschen haben nur eine Ansammlung von Gewohnheiten. Und ein schlechter Charakter ist immer noch besser.

Anatolie. Aber ich will das Häßliche nicht!

Frau Stöbsand. Du mußt es hinnehmen, wie ein Feld das Korn hinnimmt, welches in seinen Schoß geworfen wird. Auch das Feld trägt die Frucht und fragt nicht, wem sie zugute kommt.

Anatolie. Müssen die Seelen nicht reif sein, wenn der Leib das Korn empfangen soll?

Frau Stöbsand. Du hast so früh – ich weiß nicht woher – die ganze Tiefe und Schwere des Lebens erkannt. Das muß eine Gabe des Himmels sein. Die anderen Menschen erfahren dies erst alles langsam und qualvoll am eigenen Leibe, und dann ist es immer zu spät, das gerechte Leben zu beginnen. Auch ich würde denken und sein wie du, wenn ich heute noch einmal anfangen könnte – Tochter meiner Seele.

Anatolie. Weshalb sagst du das?

Frau Stöbsand. Du bist meiner Seele Tochter, Anatolie. Deine Mutter aber war die Beharrliche; deshalb hat sie dich empfangen.

Anatolie. Wie ist das gewesen?

Frau Stöbsand. Es war – wie morgen . . . Hochzeit war. Die Männer waren – wie immer – betrunken. Da nahm er deine Mutter und hat vielleicht an mich gedacht. So bist du unbefleckt von mir empfangen 139 worden. Und deshalb bist du so geworden wie ich sein möchte – so langsam und von Innen heraus. Die Langsamkeit ist eine Tugend. Sieh einen Baum mit seinen Früchten an; das alles ist so herrlich langsam. Und am langsamsten sind die Sterne.

Anatolie. Unbefleckt, sagst du!! – Aber – ist es denn nicht furchtbar, wie die Menschen leben?!

Frau Stöbsand. Sie wollen es nicht besser haben. Und wer sie glücklich machen will, den nageln sie ans Kreuz. Denn der christliche Heide frißt dir deine Eingeweide aus, und nachher verübt er Unzucht an deinem Leichnam.

Anatolie (in Angst). Celina, ich will doch nicht! Hilf mir! Hilf mir! Ich will doch nicht!! Habe Seele – tiefe Seele! Hilf deiner Tochter aufwärts, aufwärts, Celina!! Willst du mich zerreißen und beflecken lassen?!

Frau Stöbsand. Die Menschen haben es schwer, denn in ihrem Leben kommt immer alles so wie es muß. Bragström schlug vorhin für dich die Bibel auf. Er tut es ungern so oft. Aber er tat es doch. Und da zitterte das Wort, Anatolie: »Wenn du stille bist, wird dir geholfen.«

Bragström (unvermittelt in der Tür). Wenn du keinen Ausweg weißt, mußt du es schon tun. Tu es, Mädchen, tu es . . . Wenn es nicht das Rechte ist, wird der Gott schon stoßen!!

Anatolie (mit breiten Armen). Und soll ich denn niemals den singenden Fisch hören?

Frau Stöbsand. Den singenden Fisch?

Bragström. Es täte der Welt not, daß wieder einmal eine Frau den singenden Fisch hörte. Seid wachsam und habet den Willen . . . 140

Frau Stöbsand. Wachsam zu sein ist der Frau von allem Können geblieben. Willen zu haben ist ihr nur spärlich vergönnt. (Schmerzvoll.) Wir sind ja alle einmal schön gewesen!

Bragström. Im Süden lodern die Leidenschaften. Da ist das Weib ohne Willen. Aber im Norden ist der Mensch befreiter vom Leibe. Da regt sich der Wille der Frau. Seht nach Norden, wenn ihr betet; immer nach Norden . . .

Anatolie. Frei sein – – –!

Bragström. Das heißt nur: vom Leibe befreit. Der Mensch muß stöhnen, wenn er nicht lächeln kann. (Mit abwesenden Augen.) Und – es wird ein Geschehen in diesem Hause sein . . .

Frau Stöbsand. Welch ein Geschehen?

Bragström (wieder gegenwärtig). Was sprach ich?

Frau Stöbsand. Welch ein Geschehen wird in diesem Hause sein?

Bragström. Ich weiß nicht. Ich – höre – manchmal auf zu denken. Und dann spreche ich so etwas hin . . . Ich weiß nicht.

Frau Wendefeuer (kommt ums Haus gelaufen). Da ist das Frauenzimmer. Sie will auf einmal nicht, Celina. Ist dir schon so was jemals vorgekommen? Sie will ihn nicht heiraten! Und heute sagt sie das! Heute! Sie will ihre armen Eltern in Not und Schande stürzen. Ich möchte alles hinschmeißen und ins Meer laufen. O Gott, Weibsbild, weshalb hab ich dir nie den Hintern versohlt. Tanzen hättest du vor Hiebe müssen, tanzen! 141

Wendefeuer (von Stöbsand zurückzuhalten versucht, kommt ebenfalls ums Haus). Ach was! Ich schlag ihr eins auf die Fresse: Dann wird sie schon wollen, sag ich. Paß auf. Da ist sie.

Stöbsand. Na – dann mach. Ich tät's auch nicht anders.

Wendefeuer (greift sie brüllend an und stößt sie bis zur Kiefer). Dummes Balg! Denkst du, das ist ein Spaß!?

Frau Stöbsand. Das tut man nicht.

Stöbsand (zieht sie mit festem Griff zurück). Halt's Maul . . .

Frau Wendefeuer. Sie glaubt, wir haben sie zum Spaß in die Welt gesetzt.

Wendefeuer. In die Städte gehn möchtest du und die Straßen auf- und ablaufen, wenn es dunkel wird. Du Kröte, ich will dich lehren, wart.

Frau Wendefeuer. »Ja« – soll sie sofort sagen – »ja«. (Sie reißt einen Birkenast ab.) Ich hab dich noch nie geschlagen. Aber jetzt gibt es was! Das Mensch! Das Mensch!

Wendefeuer. Ich hänge sie auf, wo sie steht.

Frau Wendefeuer (schlägt Anatolie mit der Rute ins Gesicht). Du Schwein! Du Schwein!

Anatolie (steht bleich und regungslos).

Wendefeuer. Gib ihr. Gib ihr. Ordentlich. (Er geht mit dem Säbel auf sie zu.) 142

Bragström (löst sich langsam los und geht vorwärts).

Gailus (springt aus dem Hintergrunde hervor).

Bragström (bleibt stehn). Es wird klar . . .

Gailus (stößt im Sprung mit seinem Körper die Mutter zurück und entreißt Wendefeuer den Säbel, den er diesem ins Kreuz wirft). Pöbel! Packt euch!! Wer hat diese Schmach zugelassen?

Frau Wendefeuer. Schimpf nur. Schimpf nur. Sie will dich ja gar nicht!

Gailus (mit ganzer Kraft). Ich frage euch, wer diese Schmach zugelassen hat?!

Bragström (ruhig). Sei froh, daß du jetzt handeln darfst. (Er geht ins Haus.)

Frau Stöbsand. So ist es. (Sie folgt ihm.)

Gailus. Geht ins Haus, sag ich euch. Alle miteinander! Ich brauche keine krummen Ohren!

Stöbsand. Wer wird doch gleich so schimpfen am Polterabend!

Wendefeuer. Ts, ts, ts. Es ist ja doch bloß so . . .

Frau Wendefeuer. Weil sie doch nicht wollte! Verstehst du . . . Weil sie doch durchaus nicht wollte. 143

Wendefeuer. Ts, ts, ts . . .

Stöbsand. Wir haben sonderbare Kinder. Die werden immer sonderbarer. Wenn die noch Kinder haben, sind wir schon verrückt . . .

Wendefeuer. Ts, ts, ts . . .

(Alle ab ins Haus.)

(Schweigen.)

Gailus. Muß ich – wieder gehn? – Sieh, ich bin nicht gekommen, um dich zu rauben, wie die anderen das zu tun pflegen. Ich bin gekommen, dich zu fragen. Und nun find ich alles so . . . Muß ich – wieder gehn? Ich will gehn, Anatolie. Ich will gehn! Sei ganz ohne Furcht. Niemand wird dir etwas tun in diesem Hause. Oder komm zu mir. Ich will dir Wohnung geben und alles, was ich habe. Will hinauslaufen an das Meer, wenn das Blut zu rasen anfängt. Will so tun, wie du sagtest. Willst du? Sprich . . . Wie du bleich bist. Wie ich mich nach deiner Stimme sehne, Anatolie! Sage nur ein Wort. Ich will gehn, gehn, gehn! – Glaubst du nicht, daß ich es können werde? Zwei junge Menschen im großen Hause allein! Das ist furchtbar, Anatolie! Das ist ganz entsetzlich, sage ich dir. Zwei junge Menschen im großen Hause allein! Muß es dann nicht kommen? Muß es dann nicht kommen? Jede Nacht Haben und Nicht-dürfen! Wir sind keine Götter, Anatolie! Und auch die Götter, glaub ich, haben das getan!

Anatolie (eintönig). Und der christliche Heide frißt mir meine Eingeweide aus. Und dann verübt er Unzucht an meinem Leichnam.

Gailus. Das ist nicht wirklich! Das ist nicht wirklich!

Anatolie. Es war ein Traum in dieser Nacht . . . Ich war eine edle Hündin und hatte einen guten Herrn, den ich verließ. Und wie ich meinen 144 guten Herrn verlassen hatte, verfolgte mich ein kleiner, kleiner Hund mit sehr langen Haaren und ganz entsetzlich bösen Augen. Und ich große Hündin floh vor diesem kleinen Hunde mit der bösen spitzen Schnauze. Und als ich nicht mehr weiter konnte, weil da ein großes Wasser war und die Männer an den Seiten grinsend standen, warf ich mich in die Flut und lag bewegungslos auf dem Rücken. Und der kleine Hund mit den langen, langen Haaren und den ganz entsetzlich bösen Augen sprang auf meinen Leib. Und mit der spitzen, spitzen Schnauze biß er in rasend stiller Wollust in meinen Bauch, soff mein Blut und fraß die Eingeweide auf. Und ich rührte mich nicht, weil mir so sehr angst, so sehr angst, angst, angst war!! Denn er würde mich berühren, wenn er mich getötet hatte! Und ich starb. Und ich starb in namenloser Angst um die Reinheit meines Leichnams. Und wie ich so tot war, fiel der kleine böse, grauenvolle Hund von mir ab, drehte mich dem Ufer zu, stierte in mein ausgehöhltes Inneres. (Mit furchtbarem Schrei.) Und dann mußt ich es geschehen lassen!!! – – – – – – Die Männer aber freuten sich . . .

Gailus (entsetzt). Das war doch bloß ein Traum!! Das war doch bloß ein Traum, den ich verschuldet habe!! O Gott!

Anatolie. Und ich war wieder Mensch, und ging durch eine große Stadt, die ich schon oft in meinen Träumen sah. Und überall gingen Männer und Frauen ganz nackt. Und die Männer gingen mit auflebendem Fleische umher. Die Mädchen schämten sich, und die Frauen lachten. Weshalb weiß ich dieses alles, wo ich es doch niemals sah!? Meine Träume waren diese Nacht der Abglanz deiner schreienden Gedanken!

Gailus. Ich – ich fürchte mich vor dir! Du bist nicht von derselben Erde, Anatolie! Deine Geburt war doch schon so anders, reden alle Leute! Du wächst fremdes Schicksal heraus . . . Das ist noch alles nicht zu Ende! Das ist noch alles nicht zu Ende!! 145

Anatolie (ekstatisch). Ich will euch hinausjagen auf das blache Feld und euch mit einem neuen Feuer verbrennen. Ich will euch blenden mit einem neuen Stahl, der mit einem anderen Hammer gespitzt und in einer neuen Glut geläutert ist. Ich will die Krüge und Löffel eures Daseins zerbrechen, und eure Finger will ich euch vom Rumpfe trennen. Die Ohren will ich euch zuwerfen, daß ihr hinfort nicht hören könnt. In euere Münder will ich Lehm stopfen, auf daß er von der Hitze eures Fleisches zu Stein brenne! Ich will den Schoß eurer Weiber krank machen nach der Erstgeburt! Ekel soll euch davor erfüllen! Und der Saft in euern Stöcken soll erstarren!! Das »Gift meiner Seele« will ich in euer Blut tröpfen . . . (Ein reiner, sanft anschwellender Ton, klar und von nie erreichter Schönheit erfüllt den Raum.)

Anatolie (verklärt gegen das Meer). Hörst du? – – Hörst du? – – –

Gailus (weicht ganz nach dem Hause zurück). Ich höre nichts!

Anatolie (stärker). Hörst du?! – – Hörst du?! – –

Gailus (verzweifelt). Ich – höre – nichts!!

Anatolie (geht langsam mit weiten Armen dem Strande entgegen). Ich höre den singenden Fisch . . . Ich höre den singenden Fisch . . . 146

*

Die dritte Nacht

Schauplatz

wie in voriger Nacht. Es ist Schnee gefallen.

Wendefeuer und Stöbsand (kommen betrunken aus dem Hause).

Stöbsand. Nun hat sie das Dach auf dem Kopfe. (Stößt auf.) Aber den Hochzeitsschnaps ist mir der Gailus noch schuldig.

Wendefeuer. Kerls, die den Rum nicht vertragen, haben Dreck in den Knochen, sag ich. (Stößt auf.) Prost, Bruder, Prost. Da liegt Gewürze drin. Das Zeug ist heut verdammt süffig. (Sie gehen nach dem Hintergrunde und schlagen Wasser ab.)

Stöbsand (stößt dabei Wendefeuer an). Du. Ich glaub, der Gailus hat gar keinen Priapus.

Wendefeuer (sieht ihn verdutzt an). Ts, ts, ts . . .

Stöbsand. Verstehst nicht? Er ist so Einer. Er hat vielleicht gar keinen – – Hahahaha! Arme Anatolie! Wir haben uns bewiesen. Das ist wahr! Aber paß auf. Er hat gar keinen Priapus.

Wendefeuer. Das ist kein Spaß. Ist ein Grund zur Scheidung. Ts, ts, ts.

Stöbsand. Versteh mich. Ich meine das bloß so. Weißt du, was ich ihm sagen werde? Gailus, werd ich ihm sagen, wenn du den Schnaps nicht trinkst, dann werd ich den Leuten erzählen, daß du keinen Priapus hast! 147

Wendefeuer. Hihihi! Er hat keinen! Das ist gut. Haha!!

Stöbsand. Wirst sehn, der trinkt dann, wieviel ich bloß will.

Wendefeuer. Ich lache mich tot, Stöbsand. Hihihihi! Komm.

Stöbsand. Er hat keinen – – – Er hat keinen – – –

(Ab ins Haus.)

Bragström (kommt sinnend vom Strande her. Er bleibt stehn, setzt sich dann auf die Bank. Bitter.) Sind Menschen am Meer, die wie die Igel am Krampfbein leben. Wenn sie vollgesogen sind, fallen sie ab. Ruhe! Ruhe!! Wo ist da Ruhe? Dort draußen – – –

Anatolie (aus dem Hause). Luft! Luft!!

Bragström. Hier oben geht sie klar und rein. Und der frische Schnee leuchtet weit hinaus.

Anatolie. Du hier – so einsam . . .

Bragström. Ich bin doch Dichter, müßtest du begriffen haben.

Anatolie. Du schreibst.

Bragström. Ach was! Schulmeisters schreiben auch . . .

Anatolie. Wie ist das? 148

Bragström. Ich weiß das nicht. Dichter aber sind Menschen, die allen Dingen durch Berührung einen unendlichen Festtag bereiten.

Anatolie. Und deshalb sind sie immer unterwegs in der Welt . . .

Bragström. Sahst du am Tag die ziehenden Kibitze lärmen? Drei Stare waren noch unter dem Haufen. Die sehen ihre Eltern niemals wieder und auch ihre Kinder nicht, wenn sie schon welche hatten. Und haben keine Scholle, kein bleibendes Dach. Wo die Sonne wärmt und der Acker grünt, da sind sie zu Hause und leben mit einem neuen Weibchen – einen Sommer lang.

Anatolie. Aber sie wissen doch so wenig mit ihrem kleinen Hirn.

Bragström. Wer hat das gesagt? Von allen Wesen der Welt scheint der Mensch am allerwenigsten zu wissen. Da seh ich das Leben großer Männer und ihre Werke an. Dieser hat Dieses gewußt und Jener Jenes gekonnt. Aber ist es nicht ein furchtbarer Schmerz, daß ein Einziger nicht Alles gewußt und gekonnt hat, sondern jeder nur sein Teil?! Haben dich Tieraugen noch nie so angesehn, daß dir angst wurde? Und hast du denn noch niemals in die Augen vieler Menschen auf einmal geblickt?! Ich hab's getan und sie angebrüllt: Gott redet, ihr Herren, ich spreche nur! und betete dabei zu meinem Gott: Laß mich nicht knechten von Knechten, die meiner Knechte Knechte sind! Aber der Mensch hat so einen langsamen Rhythmus. Der Mensch ist etwas so Langsames, wie es noch kaum begriffen worden ist. Es gibt Menschen, die sind schon viele tausend Jahre alt und noch immer nicht zu Ende. (Er schweigt. Dann springt er plötzlich auf, greift sich an den Kopf und blickt mit großen Augen in See. Er reckt die Arme in die Ferne.) Jetzt stirbt meine Mutter! Sie stirbt! Sie stirbt!

Anatolie (erschreckt). Wer – – – was – – – wo – – –? 149

Bragström. Tot – tot – tot – tot. Und ich bin nicht auf Gotland.

Anatolie. Was sagst du da?

Bragström (erschüttert). Jetzt ist sie tot, Mädchen.

Anatolie. Wie kannst du dieses wissen?

Bragström. Du wirst es sehn.

Anatolie. Ich? – Ich? Wie – – das – – –

Bragström (wieder gegenwärtig). Ja – wie neu – neu – neu – Nun muß ich wieder reisen . . . reisen . . .

Anatolie Wohin denn?

Bragström. Ich muß meine Mutter begraben . . .

Anatolie. Jetzt fürchte ich mich.

Bragström. Ja – ihr habt hier voreinander so viele Geheimnisse; und dann erschreckt ihr immer, wenn ihr etwas Altes hört. Ihr lebt hier dauernd in der Furcht, etwas Unangenehmes zu hören. Heute ist dein zwanzigster Geburtstag. Weißt du das? Keiner hat den Mut gehabt, dir dieses zu erzählen. Auch Frau Stöbsand nicht. Ich soll es tun. Ich – der Fremde . . .

Anatolie. Zwanzig . . . Nein – das ist nicht richtig.

Bragström. Doch, doch, doch. Heut vor zwanzig Jahren wurdest du gezeugt. Ein höchst seltener Fall, daß ein Kind den Tag seiner Zeugung, seiner wahrhaftigen Geburt angeben kann. 150

Anatolie. Aber weshalb ist das alles so? Ich verstehe nicht.

Bragström. Ich auch nicht. Und es ist im Leben großer Menschen immer die Hauptsache, daß sie nicht verstehen. Wenn du etwas nicht verstehst: das ist ein großer Augenblick. Wenn du weise werden willst, mußt du nicht verstehen.

Anatolie. Du sprichst so durcheinander, so ganz bunt. Dennoch wunderst du dich nicht, daß ich mich so plötzlich – entschlossen habe . . .

Bragström. Es ist doch so sehr gleichgültig im Grunde, was ein Mensch tut.

(Im Hause erklingt ein litauischer Trettanz nach diesem Rhythmus:

– ᴗ – ᴗ – ᴗ ᴗ
– ᴗ ᴗ – ᴗ ᴗ
– ᴗ – ᴗ – ᴗ ᴗ
– ᴗ ᴗ ᴗ –
– ᴗ – ᴗ – – –
– ᴗ – ᴗ – – –
      ᴗ ᴗ ᴗ
      ᴗ ᴗ ᴗ
– ᴗ – ᴗ –

Den starken Ton unterstreichen die Tänzer regelmäßig mit kräftigem Auftreten des Fußes. Bei den drei starken Tönen hintereinander klatschen die Tänzer dreimal in die Hände.)

Anatolie. Weshalb bist du hier?

Veronika (aus dem Hause). Gailus sucht dich, Anatolie. Er will mit dir tanzen.

Anatolie. Du weißt, daß ich nicht tanze.

Veronika. Er will aber doch. Und da du ja seine Frau bist, mußt du gehorchen. 151

Bragström (zeigt auf Veronika). Das ist Anatolie. Und (auf Anatolie zeigend) du bist Veronika. (Dann geht er ums Haus ab.)

Veronika. Ein sonderbarer Mensch! Könntest du ihn lieben?

Anatolie. Ich liebe doch Gailus.

Veronika. Du! Du!! Du!!! Das ist ja doch nicht wahr! Du liebst ihn nicht. Du willst etwas anderes . . .

Anatolie. Was denn?

Veronika. Er hat jetzt getrunken.

Anatolie. Wer?

Veronika. Gailus hat getrunken.

Anatolie. Mag er sich freuen. Er hat doch solche Angst vor mir. Da mußte er wohl trinken.

Veronika. Nein, Anatolie. Die Männer haben ihm etwas gesagt. Ich hab's gesehn. Da ist er blaß geworden. Und dann hat er getrunken. Immerzu . . . Jetzt will er mit dir tanzen . . . Freust du dich auf das Bett? Es ist schon spät. Bald wird er dich nach Hause führen.

Anatolie. Ich freue mich, Veronika. Ich freue mich so sehr. Denn ich werde Schicksal sehen. Es wird ja nicht sein . . .

Veronika. Was wird nicht sein? Die jungen Burschen, die das Bett erproben, kommen bald zurück. O Gott! Anatolie!! Dann . . . Gib mir die Hand. 152

Anatolie. Was denn?

Veronika. Er hat noch nie ein Weib berührt. Und dann werdet ihr zusammen sein. Anatolie! Das ist doch gar nicht möglich!

Anatolie. Nein, Veronika. Das ist nicht möglich. Fühlst du, daß das alles gar nicht möglich sein kann? Es wird etwas dazwischen kommen. Muß ja! Muß ja! Fühlst du dieses auch?! Denn ich habe doch – – – – gehört. Ich habe doch – – – – gehört . . .

Veronika. Aber es kommt ja doch! Es kommt ja doch!! Ich fühle jetzt, wie du im Schlitten sitzest, fühle, was du selig fühlen wirst. Jetzt seid ihr gleich da! Jetzt seid ihr gleich da!! Der Schlitten hält, Ihr steigt aus, und er bringt dich ins Haus! ins Haus!! Alles bebt, bebt, bebt und will!! Alles zittert so . . . Rot von Innen und Außen! (Weint wild auf.) Ich möchte Du sein! Du sein!! (Erstickend.) So ganz bis zum Halse schwer möchte ich Du sein . . .

Frau Stöbsand (verstört aus dem Hause). Veronika! Veronika! Du mußt hineingehen! Du mußt heut Nacht immer da sein, wo das Licht brennt. Du mußt immer sein, wo ich dich sehen kann. Geh hinein. Tanze! Tanze! Bis du umfällst, tanze!

Veronika (mit schweren Schritten ins Haus). Die See geht hoch auf der Erde.

Frau Stöbsand (in steigender Erregung). Der Schlitten muß gleich da sein, um dich zu holen. Fahre dann sofort! Sofort!! Hörst du, Anatolie! Die Menschen sind es, die das Schicksal machen und vererben!

Anatolie (mild). Bragström sagt, ich habe heut Geburtstag.

153 Frau Stöbsand. Ja, ja. Vor zwanzig Jahren heiratete ich deinen Vater. Er war betrunken. Und da nahm er deine Mutter! So war es. Es ist noch dasselbe Haus. Und da steht noch dieselbe Laube. Es war Schnee. Und alles war so wie heute. Ich saß auf der Bank und ließ es geschehn. Ob das eine Sünde war, weiß ich nicht.

Bragström (kommt ums Haus. Er hat einen Pelz angezogen, einen zweiten trägt er auf dem Arme. In der anderen Hand trägt er eine große Tasche.)

Frau Stöbsand (fiebernd). Wo – wo willst du hin, Bragström?

Bragström» Ich muß wieder über See nach Schweden hin. Meine Mutter ist gestorben. Da muß ich sie begraben.

Frau Stöbsand. Warte noch! Warte noch eine Stunde oder zwei. Wenn der Schlitten fährt, will ich mit dir reisen . . .

Bragström. Ich kann nicht noch zwei Stunden warten. Ich muß ganz schnell fahren. Drei Tage warte ich doch schon. Siehe, jetzt will ich das Schicksal drängen.

Anatolie. Kann – er – das?

Bragström. Weil ich kam, mußte doch ein Ding geschehn. Ich darf nicht mehr zögern . . .

Frau Stöbsand. Ich will mit dir fahren, Bragström. Gleich muß der Schlitten kommen. Aber bis dahin muß ich doch wachen, wachen! Verstehst du nicht. Ich muß beide Hände vor ein Fleisch halten; ganz fest muß ich sie halten. Denn das Leben darf nur diesen einen einzigen Weg gehen; immer nur den einen Weg, den ich sehe . . . 154

Bragström. Sieh doch nur! Du weißt, daß das Schicksal in uns drin ist. Dennoch willst du mit den Händen handeln.

Frau Stöbsand. Ganz steil steh ich jetzt in der Welt. Ich habe Willen. Ich trommle mit den Fäusten gegen die himmlische Tür. Gib acht! Der Pförtner wird der gläubigen Seele öffnen . . .

Anatolie. Mutter meiner Seele.

Bragström. Es stürmt hinter deinen Bergen . . . Der zweite Föhn deines Lebens bricht das Eis. Der Jammer der Ertrinkenden wird dich festhalten. Und wenn du dort weit mein Segel siehst in der Früh, so schick ihm dein Segel »Hoffnung« nach, das durch wilde Fahrt den ruhigen Hafen erreichen wird. Seid schwer und zusammen . . . (Er geht zum Strande hinab.)

Frau Stöbsand. Bragström. Bragström . . . Höre doch! Bragström! Er hört nicht, will nicht hören. Ich komme. Ich komme . . . Bis das Boot frei ist, bin ich bei dir! Bragström . . . Bragström . . .

Anatolie. Mutter meiner Seele!!

Frau Stöbsand. Kann ich dir trauen, Kind? Kann ich dir von ganzem Herzen vertrauen? Sage »ja«. Sage »ja«. Ich flehe dich an, Anatolie! Mich erstickt der Ekel, der sinnliche Ekel. Stöbsand mißbraucht mich Nacht für Nacht. (Auf Knien.) Rette mich, Anatolie! Rette mich doch! Es wird auch dir so gehn. Es wird auch dir so gehen! Aber ich hab es doch solange ertragen. Da kann ich nicht mehr. Laß mich doch mit Bragström fahren. Laß mich doch mit Bragström fahren!!

Anatolie. Ich hindere dich nicht.

Frau Stöbsand. Ja – du – du hinderst mich. Halte Gailus fest. Ganz fest halte ihn, nur diese, diese Nacht. Er ist betrunken. Halte ihn fest. 155

Anatolie. Steh auf. Ich werde mit ihm schlafen.

Frau Stöbsand. Wirst du es wirklich tun? Kann ich hinab zum Strande? Kann ich? Kann ich? Ich will den Mann – den Mann nicht mehr sehen! (Schlittengeläute, das langsam näherkommt, jetzt in der Ferne.)

Anatolie (steht teilnahmlos in der Szene, ganz nach Innen gekehrt).

Frau Stöbsand (mit ausbrechender Freude). Anatolie! Jetzt kommt der Schlitten. Hörst du? Er kommt schon vom Haff herauf. Was die Pferde langsam sind! Und die Burschen haben doch keine Mädchen mit. Freust du dich nicht, Kind, daß du die Mutter deiner Seele rettest? Du tust es mit deinem ganzen Leibe. Du trägst den Schmerz. Und wenn er zu groß wird, kommt auch für dich ein fremder Schiffer aus Schweden und fährt dich über die See!

Anatolie. Was tut dein Mann?

Frau Stöbsand. Sei ruhig. Quäle mich nicht! Die Menschen haben kein Gesetz, dieses zu bestrafen. Und Gott verhüllt sein Gesicht und läßt das zu. Er nimmt mich Nacht für Nacht im Dunkel für deine laufende Mutter! Er nennt mich mit ihrem Namen. Er kleidet mich an wie sie es tut, und dann muß ich – laufen – – – laufen – – –

Anatolie (schüttelt sich).

Frau Stöbsand. Schüttele es heraus aus deinem Hirn, wenn du es kannst. Was die Pferde langsam sind. Und es sind doch keine Mädchen mit. Bragström ist schon am Boot. Siehst du dort! Der Vollmond hängt über dem kleinen Schiff. Hat er Kraft, es ins Wasser zu stoßen? – Ein harter Mensch . . . Er lebt nach anderen Gesetzen . . . Was die Pferde langsam sind . . . Ich muß doch sehn. (Sie läuft ums Haus ab.) 156

Anatolie. Sieh nur! Und siehe recht, recht, recht!

Frau Wendefeuer (kurz in der Tür).

Anatolie! Der Schlitten kommt. Dein Mann wird dich ins Bett bringen . . .

Anatolie. Ich komme.

Frau Wendefeuer (ab).

Anatolie. Jetzt ist – es noch Zeit. (Sie geht nach dem Hintergrunde und blickt nach dem Strande hin.) Er müht sich mit dem Boote ab. (Sie blickt noch einmal nach dem Hause zurück und will entfliehen.) Ich – bin – gleich – frei – – – Sonst ist es nur ein Märchen gewesen . . . Und es darf doch kein Märchen sein . . .

Veronika (aus dem Hause). Anatolie! Wo bist du? Anatolie! Ich habe mit deinem Manne getanzt! Sein Atem liegt mir noch ganz heiß im Haar. Und – und – du – der – Schlitten – – –

Anatolie (weicht nach dem Strande zurück). Geh nur. Geh nur . . . Ich will dich nicht. Ich muß noch einen Augenblick allein sein.

Veronika. Er nannte mich Anatolie und – hat mich gedrückt – so von Innen heraus.

Gailus (vollkommen betrunken). Anatolie! Jetzt bring ich dich ins Bett. Hörst du? Klinglingling! Das ist – der – Schlitten – ist das Klinglinglinglingling. (Er faßt Veronika um die Hüfte.) 157

Veronika (lacht). Steh aufrecht! Er ist glatt!

Gailus. Du bist glatt.

Anatolie (ist entsetzt zurückgewichen und nicht mehr zu sehen).

Veronika (blickt sich forschend um). Hab ich dich doch! . . . Schnell . . . Schnell . . . Bis der Schlitten kommt . . .

Gailus. Und das bimmelt und das bammelt, daß die Düne wackelt. (Er beißt sie in den Hals.)

Veronika (zieht ihn hinter die versandete Kiefer).

Anatolie (wird im Hintergrunde sichtbar). »Ich fürchte mich vor dir, daß mir die Haut schauert. Ich entsetze mich vor deinem Gericht.« (Sie kommt bis zur Bank.) Es war schon alles einmal so. (Sie setzt sich.) So war das doch schon . . . (Schweigt.)

Veronika. Du – Lieber – Lieber –

Gailus (schreit plötzlich auf).

Frau Stöbsand (kommt hinter dem Hause hervor. Sie bleibt wie erstarrt stehn.)

Gailus. Aas!! Aas!!!

Veronika (stürzt hinter der Kiefer hervor mit geängstigtem Lachen. Ihre Augen flackern. Sie sieht niemanden.) Hab ich dich doch! 158

Gailus. Du – du hast mich gestohlen!! Aas! Ich schlag dich tot!

Stöbsand (aus dem Hause). Was – was ist hier los!?

Gailus (torkelt auf die Bühne). Dein Luder hat mich gestohlen. Dein Luder hat meine Frucht! Sie sagt – sie sagt – sie sei Anatolie . . .

Stöbsand (würgt). Das – das – das – wart!! (Er läuft ins Haus.)

Veronika. Ja!! – Der Beharrliche empfängt die Frucht!! (Sie läuft nach dem Hintergrunde hinter das Haus ab.)

Gailus. O! Ich kriege dich schon! Ich kriege dich schon! Und dann ist es mit dir aus!! (Torkelt hinterdrein.)

Wendefeuer (kommt). Was ist passiert? Sind die Weibsleut besoffen?

Frau Wendefeuer (kommt). Ach Gott! Ach Gott! Das wird ein Unglück. Habt ihr denn keine, keine Worte? Das gibt ein Unglück, sag ich bloß!

Stöbsand (mit einer Flinte). Wo ist sie? Wo ist sie, frag ich! (Er läuft nach dem Hintergrunde.) Euch hab ich schon. Und das gleich . . . (Er läuft Gailus und Veronika nach.) 159

Frau Wendefeuer. Halt ihn doch! Halt ihn doch! Er schießt sie. Er schießt sie noch!

Wendefeuer (hinterdrein). Ts, ts, ts!

Frau Wendefeuer (folgt ihm). Sind das Menschen! Sind das Kinder!

Frau Stöbsand (schwer aus der Starre heraus, mit aufsteigendem Haß). Und – – du!?!

Anatolie (aufstehend, mit Güte). Kann ich es sagen?

Frau Stöbsand (dämonisch). Du fährst! – – –

Anatolie. Wenn du es nicht tust . . .

Frau Stöbsand. Fahre! Fahre nur!! Fahre! Fahre! Ja! Du sollst fahren! Jetzt geht alles vorüber. Im Frühjahr muß ich Gräber vor dem Treibsand schützen . . .

Anatolie. Denk auch an meines, falls es ein nasses sein sollte.

Frau Stöbsand (mit kaum verhaltener Schadenfreude). Und wenn er dich liebt? O!! Er wird dich lieben. Du bist jung und schön. Und er ist auch bloß ein Mann.

Anatolie. Dann – werden wir singen! 160

Frau Stöbsand. Singen! Ja – singen ist gut. Singen! Singen!! Aber man kann nicht immerzu singen. Haha!!

Anatolie. Schweig stille und schaue . . . Ich hab ja den singenden Fisch gehört!!! (Sie wendet sich schnell und ist ausgelöscht wie ein Licht.)

Frau Stöbsand Du! – – Du hast!! – – – Höre doch! Sie läuft hinab! O Gott!! Was hat sie?? (Sie sinkt an der Bank zusammen.)

(Das Schlittengeläute ist jetzt ganz nahe.)

(In einiger Entfernung hört man zwei Schüsse fallen.)

 


 


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