Alfred Brust
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Ein Bauspiel

Gestalten:

Baumeister Steen

Hortense

Sebastian

Ein Arbeiter

 

Im Hintergrunde der Torso eines seltsamen Gebäudes.

Hortense (kommt). Was ist das für ein sonderbares Haus?

Sebastian (mit Gießkanne und Harke). Das ist gewiß kein Haus, aber es sollte vielleicht eins werden.

Hortense. Ein Fragment also?

Sebastian. Ganz recht. Wenn es Dichtungen und Bilder gibt, die Fragmente geblieben sind, weshalb sollte es nicht auch fragmentarische Bauten geben? Und die Fragmente gehören manchmal zum Besten des Schaffenden, wie die unvollendeten Sklaven des Michelangelo.

Hortense. Aber dieser Torso, scheint's, ist bewohnt.

Sebastian. In der Tat. So ist es auch. Hier lebt der eigentümliche Mensch, der dieses Ding ersonnen hat.

Hortense. So ganz einzeln in dieser Natur . . . .

Sebastian. Die Natur ist gar nicht so einzeln. Hier wachsen Bäume, halb Vogelbeerbaum und halb Weidenbaum, und in ihren alten Kronen gedeihen noch Himbeer-, Brombeer- und Johannisbeersträucher.

Hortense. Ich verstehe nicht. Ich meine: was tut der Mensch hier allein? 44

Sebastian. Ich glaube, er wartet auf das Schicksal, das er in diese Mauern hineingebaut hat. Aber gesehen hab ich ihn noch nie, trotzdem ich schon zehn Jahre den Wald und die Heide bewächtere.

Hortense. Und Sie haben Kenntnisse?

Sebastian. Ja – wissen Sie: ein gebildeter Mensch muß sich doch in dem irdischen Strom der Umwertung nach einem poetischen Berufe umsehn.

Hortense. Und in der Stadt kennt man den Baumeister auch nicht?

Sebastian. Sicher nicht. Aber ich bin noch niemals in der Stadt gewesen.

Hortense. Sonderbar! (Im Gebäude werden Fenster und Türen geöffnet.)

Sebastian. Hören Sie mal. Da werden ja plötzlich Fenster und Tore geöffnet!

Hortense. Ist das etwas Besonderes?

Sebastian. Das sah ich noch nie. (Er geht mit einiger Aufregung hin und her.)

Hortense. Gehen Sie nicht fort! Hören Sie!

Sebastian. Das ist sehr schwer. Denn ich heiße bloß Sebastian.

Hortense. Immerhin! Sie müssen jetzt unter allen Umständen warten.

Sebastian. Sie fürchten sich ja, Fräulein Hortense! 45

Hortense (erschrickt). Woher kennen Sie meinen Namen?

Sebastian. Wissen Sie denn noch immer nicht, daß man den Namen eines Menschen fühlen kann?

Hortense. Allerdings. Mein Geliebter hat mir das einmal erzählt.

Sebastian. Weshalb sind Sie dann einsam geblieben?

Hortense. Es gibt Fragen im Sein, die man sich selber nicht beantworten kann. Es muß wohl so stimmen, auf daß irgendein wichtiges Ding geschehe. Aber wie können Sie dies vermuten?

Sebastian. Alte Leute wissen zuweilen alles. Sie hören nicht mehr, und sie sehen nicht mehr. Aber dann ist ihnen wahrscheinlich ein sechster Sinn aufgegangen.

Eine Stimme (vom Hause her). Worauf wartest du, Hortense?

Hortense (erstarrt).

Sebastian (stellt Gießkanne und Harke fort und faltet die Hände).

Hortense (gläsern). Ein Baumeister, der mir zehn Jahre Kraft in den Schoß sendet . . . Worauf warte ich? Muß ich nicht gehn?

Sebastian (in höchster Erregung). Er tritt herfür! Da ist irgendeine Sache. Und die wird bewegt. 46

Baumeister Steen (tritt langsam aus dem Gebäude heraus und kommt näher).

Sebastian (nimmt die Gießkanne und gießt).

Steen. Da ist das Haus, Hortense. Es hat lange gedauert, bis du es gefunden hast.

Hortense. Aber es ist ja noch nicht fertig.

Steen. Noch immer nicht? Nein! Aber es wird gleich der Fall sein.

Hortense. Es kann doch nicht wachsen.

Steen. Solche Häuser wachsen wirklich. Sie werden vielleicht nicht größer, wenn man sie ausmißt, aber sie runden sich ab in den Jahrzehnten, und die Landschaft zieht sie zu sich hin.

Hortense. Du hast es mit Liebe gebaut.

Steen. Ja – aber nicht mit der menschlichen Liebe, sondern mit jener mystischen und übersinnlichen, die weit höher ihren Ursprung hat. Mit derselben Liebe, mit der ich dich liebe und die du nicht verstandest und um derentwillen du hinausgingst, um sie verstehen zu lernen. – Und? –

Hortense. Die Hütte der Wilden ist stilvoll. Es läßt sich darin wohnen. Aber ich habe doch in den Käfigen der Menschen gewohnt.

Steen. Ich kenne sie nicht mehr. Wahrscheinlich verlangen sie noch immer nach einem ausdrucksvollen Baustil für Fabriken und Warenhäuser! Millionenpreise habe ich gestiftet für den abschreckendsten 47 Fabrikentwurf, Fürstendiplome für den elendsten Schacherkasten. Aber diese Baumeister grübeln doch lieber über die künstlerische Verhüllung von Kloaken und bemühen den Geist, idyllische Zuchthausfassaden zu ersinnen. Bauen! Bauen!! Sie legen Steine übereinander und nennen das »bauen«. Das Genie ist auch boshaft. Aber boshafte Baumeister gibt es nicht!

Sebastian. Und wie ist es mit den Nägeln?

Steen. Sie sind ein Dichter, Herr. Das sieht man Ihren Augen an. Und Dichtergespräche sind langweilig. Ich rede lieber mit Malern oder mit armen Leuten.

Hortense. Aber wie ist es denn mit den Nägeln?

Steen. Kein einziger Nagel. Alles, alles ist gebaut.

Hortense. Dann darfst du mich tragen.

Steen (hebt sie hoch und trägt sie in das Haus). Zehn Jahre Kraft, Hortense. Kannst du das begreifen?

Hortense. Ich glaube! – Meine Mutter starb daran. Und das Kind bin ich.

Ein Arbeiter (kommt mit einer Kneifzange).

Sebastian (scharf, leiernd). Wo will er mit der Kneifzange hin?

Arbeiter. Wissen Sie nicht, daß ich mit einer Kneifzange ein ganzes Haus abbrechen kann? 48

Sebastian. Nein – das wußte ich nicht. Aber welches Haus?

Arbeiter. Es steht nur eines hier. Und dasselbe! Die Regierung hat das so befohlen.

Sebastian (stolz). An diesem Hause befindet sich nicht ein einziger Nagel. Alles, alles ist gebaut!

Arbeiter. Kein Nagel, sagen Sie? Dann muß ich der Regierung sagen, daß ich diese Arbeit nicht übernehme.

Sebastian. Tu er das!

Arbeiter (sehr feindlich). Aber wenn Sie vielleicht das Haus schützen wollen, so aus einer poetischen Schwäche heraus, das sage ich Ihnen, wir haben noch ganz andere Werkzeuge, noch ganz andere! (Geht.)

Sebastian. Du lieber Gott, bis dahin ist ja alles vorüber.

(Das Gebäude teilt sich. Der Vordergrund wird dunkel. Der Hintergrund wird hell. Es ist ein weißes Zimmer sichtbar mit weißen Möbeln, die aber niemals in den Raum gebracht worden sind, sondern aus dem Fußboden und den Wänden herausgewachsen scheinen. Sie sind aus Stein, wie alles in dem Raume. Ein mystischer Glanz liegt auf allem.)

Baumeister Steen (sitzt ganz steif und eckig in einem steinernen Sessel. Seine Sprache ist ebenfalls kalt, steif und eckig.) Seit die Kraft der zehn Jahre von mir gegangen ist, fühle ich meine Glieder hart werden – hart und kalt.

Hortense. Heute ist deine rechte Hand zu Stein geworden. 49

Steen. Ja – es ist jetzt schon dicht am Halse – ganz kalt und hart. Über meine Zunge läuft ein leises Frösteln.

Hortense. Es geht jetzt sehr schnell.

Steen (spricht immer schwerer und schwerer von Wort zu Wort). Dann muß ich noch manches wissen. Was malen die Maler jetzt?

Hortense. Noch immer die Menschen und den Mond. Aber es braucht nicht mehr immer der Vollmond zu sein; auch der Halbmond ist schon gestattet.

Steen. Ja, ja. Der Halbmond. Ich möchte einmal den Halbmond von vorn oder von hinten sehn. Das Profil wird auf die Dauer langweilig. – Und haben die Baumeister schon das Dach abgeschafft?

Hortense. Nein – sie haben einige neue Dächer dazu erfunden. Doch – vielleicht hole ich den Arzt.

Steen. Weshalb immer soviel Menschen?

Hortense. Ich habe so schlecht geträumt.

Steen. Die Menschen haben meistens schlechte Träume.

Hortense. Du blinkst ja gar nicht mehr mit den Augenlidern!

Steen. Wirklich nicht? Dann – dann gib mir noch einen Kuß.

Hortense (tritt zu ihm). Ich glaube nicht, daß er dich erwärmen kann. Du bist völlig astral. (Sie küßt ihn.)

Steen. Der Kuß schmeckt nach Erde. 50

Hortense. Deine Lippen sind hell und kalt wie Eis.

Sebastian (tritt aus dem Vordergrunde in das Zimmer).

Hortense. Sind Sie der Arzt?

Sebastian. Weshalb immer soviel Menschen? Ich bin eben der Arzt.

Hortense. Dieses Mannes Fleisch ist Stein geworden!

Steen (verhauchend). Das Dach . . . Das Dach . . .

Sebastian (feierlich). Aber der Geist darin wird ewig leben. (Pause.) Deshalb auch sollen sich die Menschen in Gebäuden und vor Bildwerken gesittet benehmen, denn sie können niemals wissen, wie der tiefe Geist, der darin steckt, sie durchschaut und vielen Grund findet, sie aus ganzer Seele zu verachten.

Hortense. Sollte man nicht beten?

Sebastian (hält die Hände wie offene Schalen hin). Ja – und ich sage die Worte: Es ist schon recht, daß einmal ein Künstler zu der Materie eingeht, aus der er sein Leben lang geschöpft hat. Bisher haben das nur die Weltheilande gekonnt! Gib auch uns von diesem Können!

(Das Gebäude schließt sich.)

Hortense (tritt heraus und wendet sich nach der einen Seite).

Sebastian (kommt und wendet sich nach der anderen Seite).

Der Arbeiter (kommt mit der Kneifzange und bewegt sich mit eiligen Schritten auf das Gebäude zu).

 


 


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