Alfred Brust
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Alfred Brust

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Ostrom

Gestalten:

Fotius Spatzki

Der Zar

Eufemia Aleksandrowna Bobrikoff

Staretz Ssladki

Der Fürst

Die Fürstin

Der Minister

Peter. Lakai

Akim. Bauer bei Fotius

(Sehr langsames Spiel.)

 

Zimmer auf einem Landsitz. Drei Türen, deren eine in die Badstube führt. Sessel an den Wänden. Kleiner Tisch mit Büchern.

Peter (am Schlüsselloch zur Badstube. Er lauscht mit Zeichen höchster Erregung, die er, immer wenn sie den Höhepunkt erreicht zu haben scheint, durch einen Schluck aus dem Fläschchen, das er dann aus der Tasche zieht, zu sänftigen sucht. Dann lauscht er aufs neue und versucht auch durch das Schlüsselloch zu sehen. Plötzlich scheint er etwas Furchtbares gesehen und gehört zu haben. Es gelingt ihm nicht mehr zur Flasche zu greifen. Er hält sich zu gleicher Zeit mit den Daumen die Ohren und mit zwei Fingern die Augen zu und stürzt mit einem erschütternden, aber noch unterdrückten Aufschrei durch das Gemach. In eine Ecke kriechend, ruft er aus) Christus, erbarme dich! Weshalb muß ich dies alles erleiden!

Akim (der leise eingetreten ist und Peter eine Zeitlang verwundert zugeschaut hat).

Weil du da hinsiehst – wahrscheinlich, Kleinerchen.

Peter (fährt herum). Euer – Euer Gnaden, hätte ich bald gesagt. Wie ist es möglich! Ich fasse es nicht, Väterchen. Aber leise, in Christi Namen, ganz leise. Sonst werden wir gehört.

Akim. Also ist Eufemia Aleksandrowna heute nacht aus Wilna zurückgekehrt . . .

Peter. Über euern Scharfsinn, Väterchen Akim! Richtig, sage ich! Richtig! Sie kam heute nacht an. 78

Akim. Du bist krank, Peter Petrowitsch, ernstlich krank.

Peter (erschreckt). Nein! Was du sagst! Aber ja, ja, ja! Ist denn dieses zu verwundern? Ein Mensch wie ein Baum kam ich hierher. Seht mich an! Mit vertrockneten Adern besorge ich jetzt das Bad und die Menschen im Schloß. Und kennst du diese Krankheit? Kennst du sie, frage ich dich im Vertrauen? Nein! Du kennst sie nicht. Aber du bist immer so freundlich zu mir. Nachts aus dem Schlafe heraus muß ich manchmal laut aufweinen über deine Freundlichkeit zu mir. Da will ich dir meine Krankheit sagen. Die Liebe ist es, Väterchen! Die Liebe! Jetzt wißt ihr's. Und ich weiß, ihr werdet es für euch behalten.

Akim. Da kannst du sicher sein, Peter. Und ich will dem heiligen Fotij Spatzki sagen, daß er dich in sein Gebet einschließe.

Peter. Ja – solch ein Mann, Akim. Was?! – Hm. Trinkst du vielleicht ein Schnäpschen, sieh? . . .

Akim. Da will ich nicht nein sagen. So ein Schlückchen, weiß du. Hm . . .

Peter (reicht ihm das Fläschchen).

Akim (leert es in einem Ansatz).

Peter (ist außerordentlich verblüfft).

Akim (reicht ihm die Flasche zurück. Dann leise fühlend.) Also die Liebe, sagst du.

Peter (schnappt zu). Ja – Väterchen! Hast du schon jemals geliebt? Sage mir das. Hast du jemals einer schönen Frau auch nur den Fuß geküßt? 79 Nein,Väterchen. Wie könntest du auch. Du bist ja bloß ein Bauer. So ein weiches Geschöpf! (Er macht die Geste des Fleischkneifens.) Und diese wundervollen Armhöhlen: Und dann so von den Waden an ganz langsam aufwärts. (In der Ausmalung dieses Gedankens stützt er sich, um nicht umzusinken, auf einen Stuhl. Er schweigt eine Weile mit verschleiertem Blick.) Und das kam so.

Akim (tritt einen Schritt näher).

Peter. Sie hat nämlich eine Leidenschaft.

Akim. Wer?

Peter. Eufemia Aleksandrowna, sage ich. Ja – sie badet gern, Väterchen. O, sie badet! Seife, Seife und nochmals Seife und das viele, viele Wasser. Und eines Tages, – der Zar ist nach Wologda – was meinst du, wen sie sich ins Bad bestellt?

Akim. Dich natürlich!

Peter. Wer hat dir das gesagt?! Wahrhaftig. Peter, sagt sie; ich muß dich baden, sagt sie . . . Und dann hat sie mich gepeitscht. Und dann hat sie mich gewaschen. (Er schüttelt den Kopf und schweigt.) Und dann – – ja – weiter auch nichts!! Das ist es, verstehst du mich!

Akim. Und sie war so schön?

Peter (hastig abwehrend). Sei still, sei still, sag ich! (Er weist auf die Tür.) Da – da – seh ich sie jeden Tag. Auch jetzt. Auch jetzt! Sie badet . . .

Akim (schnell). Wen? 80

Peter (sieht ihn verblüfft an). Ja – das – das ist eine eigentümliche Geschichte, muß ich dir erzählen. Nicht allein ist sie zurückgekehrt, sondern hat einen Mann, einen Staretz, Staretz Ssladki mitgebracht. Ein nobler Herr, sage ich dir, der weiß, daß wir Russen in Europa leben. Sie wird ihn dem Zaren empfehlen, hat sie gesagt. O – sie ist um ihn herum. Ssladki hinten und Ssladki vorn und Ssladki hier und Ssladki da und Ssladki dies und Ssladki das und Ssladki allerwegen. Fotius Spatzki trägt nur die Kutte, und darunter ist er nackt wie Adam. Aber Staretz Ssladki hat seidene Hemden und Strümpfe und gestickte Westen und Gegenstände, die noch keinen Namen haben mögen. Stundenlang kann er sich die Fingernägel mit einem Dingrich reiben, das ich nicht kenne, und mit sieben verschiedenen Gewässern spült er sich den Mund. An allen Enden duftet er nach bitteren Mandeln. So er eintritt, erfüllt er das ganze Gemach mit diesem unerhörten Geruch. Ich roch einmal in Warschau an dem Testament eines polnischen Grafen. Das duftete auch so nach bitteren Mandeln, Myrten und Reseden. Da muß irgendwie ein Zusammenhang bestehen.

Akim. Das ist wichtig. Darüber muß man wohl nachdenken. Es ist so wie im Traum, weißt du . . . oder – oder –

Peter. Träumerisch ist der richtige Ausdruck. Ich lese zuweilen in diesen Büchern da. Träumerisch! O – du kennst die Sprache nicht, Väterchen, um den Gedanken mit der Weihe der romantischen Erkenntnis zu versüßen. Wer einmal im Westen gewesen ist, kommt nicht ohne den rhythmischen Schwung seelenschöner Ansichten in die Heimat zurück.

Akim (kurz). Versteh nicht! Hab auch keine Zeit jetzt. (Wärmer.) Aber über die Liebe, da müssen wir noch einmal reden. (Er geht.) 81

Peter. Ja – ja – oder – oder – – – (Wie Akim hinaus ist.) hätte ich das für mich behalten sollen . . . Wer weiß . . . (Steht in Gedanken versunken.)

Der Zar (tritt ein).

Peter (beugt schlotternd die Knie). Ma – Majestät – tät –

Der Zar. Eufemia Aleksandrowna zurück?

Peter. Sie sie sie kam heut nacht zurück – ja – ja –

Der Zar. Und?

Peter. Sie sie sie sie sie sie sie badet, wenn Majestät gestatten.

Der Zar. Raus.

Peter (in höchster Eile ab).

Der Zar (geht schnell einmal durchs Zimmer und dann auf die Badstubentür zu. Er klopft leise.) Eufemia! Ich bin's. Öffne doch. (Er blickt durchs Riegelloch.) Weshalb schweigst du, Liebling? Da – da – sehe ich dich! Hörst du?

Fotius Spatzki (durch die Mitteltür. Ein von bezwungenen Leidenschaften durchwühltes Gesicht mit den Augen eines Heilandes. Er trägt Bart, Haar und Mantel russischer Popen.) 82

Der Zar (fährt im Zorn herum und schmilzt beim Anblick des Heiligen langsam zusammen. Nur die Augen flammen noch ein erzürntes Leuchten.) Wer – – – –!! Ah . . . Fotius.

Fotius. Guten Tag, Nikolai Pawlowitsch. Ja – alles will baden.

Der Zar Das – das Schloß ist klein. Es ist wirklich eng. Und dann kommen noch heute der Minister Maifeld-Samson und Fürst und Fürstin Rantin. Wir müssen doch nach Pawlowsk oder Petersburg zurück.

Fotius. Aber die Luft hier draußen ist gut. Und man sieht und fühlt so viel. Der Bauer lenkt den Pflug durch den schweren Acker, glaubt an Christus und erinnert uns fortgesetzt an die Aufgabe unseres Volkes auf Erden.

Der Zar. Vergiß nicht, daß wir Europäer sind. Und da kann der graue Bauer uns nicht helfen.

Fotius. Die Biene ist ein klein Vögelchen und gibt doch die allersüßeste Frucht. Dein Volk ist der östliche Bauer. Weshalb liebst du nicht dein Volk?

Der Zar. Ich – ich – ich liebe mein Volk.

Fotius (heftig). Wenn du das Volk nicht liebst als ein Vater, dann wird man dich steinigen und Christus an deine Stelle setzen. Du bist es, der die Stelle Christi auf Erden vertritt. Du mußt dich als ein Christus beweisen, denn dein Volk ist das einzig rechte Volk der Gotträger.

Der Zar. Aber in Rom – – – 83

Fotius (heftiger). Wo ist Rom? Hier ist Ostrom. Und aus dem Osten kommt das Volk, hat der Christ geweissagt.

Der Zar. Kann man das alles so glauben?

Fotius. Du brauchst nicht zu glauben, denn ich glaube für dich. Und so wird immer jemand sein, der für euch Zaren glaubt. Und wenn man demjenigen, der für euch glaubt, nur ein Haar krümmen wird, dann werdet ihr ausgelöscht werden aus dem Buche der Menschheit. Und eines Tages, der kommen wird, wird einer von euch einem für euch Glaubenden ein Haar krümmen, damit wir Christus an deine Stelle setzen können, denn ihr seid zu schwach, die Liebe eines solchen Volkes zu tragen.

Der Zar (drohend). Fotius, wer bist du? Ein frecher Bauer oder ein Prophet?!

Fotius. Ich bin Baumeister an Gottes Baukasten. Du aber bist nicht von Ihm, sondern vom Tier.

Der Zar. Peter hat St. Petersburg gebaut. Glaubst du nicht, daß er des Volkes Sendung gewußt hat?

Fotius. Nein – das hat er nicht – wie so viele vor ihm. Aber von dem Leben und den Taten großer Menschen wird nur dasjenige euch Wesen offenbar, was zur Vollendung der Erde folgerichtig und notwendig ist.

Der Zar. Du bist der frömmste Mann in Rußland und darfst mir alles sagen. So will ich dich denn auch um Rat befragen. Ist es gut, gegen die Türken in den Krieg zu gehen, auf daß Konstantinopel endlich unser werde? 84

Fotius. Laßt doch die Stätten, die die Erinnerung mit großen Namen meldet. So wie der Juden Herz Jerusalem, ist unser Herz Byzanz, darin wir jeder Kaiser sein wollen. Werdet nicht müde, es zu erobern, und hütet es fein.

Der Zar. Es ist so schwer, mit dem Schwert in der Scheide zu leben.

Fotius. Solange du noch den Ruhm nach der Größe der Faust mißt, hast du noch nichts von Christus und deinem Volke begriffen. Du bist das Tier aus Westen. Wach auf, daß dir der Osten teuerer werde.

Der Zar (gereizt). Laß diesen Ton! Ich will ihn nicht mehr ertragen! Ich bin Zar. Vergiß deine Herkunft nicht!! Steh mir Rede, weshalb du der lutherischen Geliebten des Ministers Samson die heiligste Zeremonie der Bestattung gewährt und der Mutter eines Wilnaer Staretz die heiligen Sakramente verweigert hast?!

Fotius. Diese Mutter war aus Rom. Aber Luther war der erste Mann, der gen Rom »nein« brüllte.

Der Zar (heftig). Was kümmert das uns? (Er folgt dem Gedankengange nicht mehr, sondern ist sichtbar nur noch mit der Badstube beschäftigt. Seine Erregtheit Fotius gegenüber wird durch dessen Reden nur noch gesteigert.)

Fotius. Wir sind Reußen – sie sind Preußen. Ich weiß nicht, wo das P da herkommt. Beide Völker werden einst zum gemeinsamen Kampfe über die Brücke am Meere hin einander die Hände reichen.

Der Zar (böse). Du träumst. Ich sehe nichts! 85

Fotius. Es wird vielleicht auch niemals sichtbar sein, sondern mit ganz anderen Bezeichnungen ans Licht kommen. Die himmlischen Dinge werden auf Erden mit sehr irdischen Mitteln ausgekämpft: ein Mord, ein Krieg, eine Lüge; es geschieht Unglück, und hinter dem Schmerz erkennt man auf einmal die himmlische Hand.

Der Zar (in hellem Zorn, zitternd am Leibe). Das ist Unsinn! Gotteslästerung! Lüge mich nicht an, du! Ich jage dich vom Hofe! Hast du mich verstanden?!

Fotius (tritt lächelnd auf ihn zu, schlägt das Kreuz über ihn). Christus sei mit dir . . . (Dann läßt er schweigend den geschlagenen Monarchen und geht.)

Eufemia (öffnet die Badstubentür, steht einen Augenblick strahlend auf der Schwelle und fliegt dann jauchzend dem Zaren an den Hals). Da bist du, mein Gott und mein Engel! Ah! Deine Stirn ist umwölkt. Dein Auge blickt durch alles Lächeln düster.

Der Zar. Es gibt Menschen, liebes Herz, die mir durch sonderbare Worte in den Arm fallen.

Eufemia. Ist es möglich? – Nun denn – erfülle die Stunde meiner Rückkehr eine ernste Sprache. Ich bin gestimmt. Ich weiß. Ich erkenne.

Der Zar. Nicht doch! Rede von deiner Reise. Du hast Buntes gesehn.

Eufemia. Ja, du. Es ist bunt in der Welt. Fremde Städte zeichnen seltsame Linien. Allerhand Völker bewohnen den Kontinent, aber sie sind bei aller Verschiedenheit eins wie das andere.

Der Zar. Aber Wilna – Wilna – 86

Eufemia. Wenn man Wilna sieht, tut einem der Kopf weh, aber das Herz lacht. Die Glocken läuten über den Stätten furchtbarer Erinnerung, und die heiligen Männer aus Rom gehen schwarz mit feierlichen Gesten. Ah! Du! Solch eine Prozession! Ich habe geweint. Ich habe geweint!

Der Zar. Und das Volk sang . . .

Eufemia. Es sang. Ja. Aber es war, wie wenn das Meer braust. Kein Anfang war und auch kein Ende. Wie ein langsamer Donner von ungewöhnlicher Stärke lag es über den Straßen und Plätzen.

Der Zar. Wie du blühst, wenn du so sprichst!

Eufemia. Ich trage eine heilsame Blume im Herzen. Wo ich nun bin, wird ihr Duft gespürt.

Der Zar. So anders bist du geworden, Eufemia Aleksandrowna. Leg dein Geheimnis in diese Hand.

Eufemia (mit leichtem Schreck). Mein Geheimnis? Ich – ich habe doch keins. Ja, doch, ich habe ein kleines. Doch ich will dich damit überraschen. Warte. Aber du bist krank. Dein Auge ist müde. In deinem Körper liegt ein gelähmter Schwung. Ich werde dich küssen. Mein Atem wird dir die springende Seele wiedergeben.

Der Zar (mit wachsendem Staunen). Du bist anders, Eufemia, ganz, ganz anders.

Eufemia. Ich habe so viel gesehn. Und vieles ist in mir reif geworden. Das ist es. Aber du bist krank. Und dein Reich ist krank. Du und dein Osteuropa sind krank. Und ich will den Zahn ziehen, denn niemand 87 hat die Kraft sonst. Und ich muß ihn ziehen, wenn ich mit euch nicht ersticken will. Denn Stickluft ist, wo du gehst. In Wilna aber wachsen Myrten und Reseden. Und die gebundenen Bücher der frommen Männer riechen so schauersüß nach reinem Geist.

Der Zar. Du siehst schwarz. Ich bin nicht krank. Nein! Nie noch war so viel Kraft in mir wie heut.

Eufemia (mit fernen Augen). Kraft? Hast du Kraft? Durch wen denn hast du die Kraft bekommen? Nein – du hast keine Kraft. Und wenn ich nur eine geringe Bitte hätte, siehe, du hast nicht Kraft, sie mir zu erfüllen.

Der Zar. Du weißt doch gar nicht, was du da sprichst!

Eufemia. Gib mir hunderttausend Soldaten und deine Hand für deinen Bruder, den Papst.

Der Zar (erschreckt). Was – du da redest.

Eufemia (heftig drängend). Hunderttausend Soldaten nur und die Hand, sag ich! Ich will dir Byzanz geben und Wien und die ganzen Völker im Süden, hörst du!

Der Zar. Wo hast du das her! Wo hast du das her, sprich! Du redest von unerhörten Dingen in dieser Stunde.

Eufemia. Zieh doch den Bauer empor, wenn du schon willst, aber stoß nicht deines Landes Intelligenz vor die Brust. Du zwingst uns, mit übelriechenden Leuten zusammenzuleben, die aus Wollust nackt unter der Kutte sind. Fotius Spatzki, er stinkt wie ein Ackerknecht, der er gewesen ist. Du befiehlst; er sagt nein. Du beugst dich und speiest so ins Gesicht der Adligen deines Landes. 88

Der Zar. Ich regiere! Ich! Eufemia! Ich dulde nicht solche Sprache.

Eufemia. Wer verhindert es, daß du dem Papst die Hand gibst und dich zum Mächtigsten dieser Erde aufhebst? Versuche es doch, den Arm zu heben. Die Faust des Knechtes wird ihn berühren. Dann hebst du ihn nicht mehr.

Der Zar. Hier ist nicht der Ort, von solchen Dingen zu reden, Eufemia. Laß uns gehn. Du bist müde, bist erregt. Ruhe noch, und du wirst anders denken.

Eufemia (läßt sich geleiten). Ich bin müde, dieses Bauernlebens unsäglich müde – ja. Und wer in Petersburg wäre es nicht müde, so regiert zu werden!

(Während der Zar die Tür öffnet, steckt Akim den Kopf durch die Hintertür, läßt sie offen und schlüpft lautlos in die Badstube, stößt aber in der Tür mit Staretz Ssladki zusammen, der gerade heraus will. Erstauntes Mustern. Ssladki geht auf die Mitteltür zu, schließt sie heftig, um an dieser Stelle gehört zu werden.)

Eufemia (dreht sich rasch um). Ah! Der Staretz. Das ist die Überraschung. Ich habe Majestät einen Staretz mitgebracht.

Ssladki (trägt auch den Vollbart und das lange Haar, beides aber deutlich verschnitten. Er ist eine außerordentlich einnehmende Erscheinung. Er verneigt sich.) Der gnadenreichen Majestät Nikolai Pawlowitsch untertänigster Staretz Ssladki.

Der Zar. Ssladki . . . Ich erinnere mich. Deine Mutter stammte aus Rom.

Ssladki. Majestät verzeihen, daß meine Mutter in Wilna geboren war. 89

Der Zar. Ah! Wirklich! Dann hat man mich belogen. Ja.

Eufemia. Wie kann die Mutter eines Rechtgläubigen aus Rom stammen? Weshalb Rom? Rom? Oder doch – ja –. Ich verstehe! Eine Zunge, die im Nachtschweiß entstanden ist.

Der Zar. Wo hast du studiert? Denn man sieht dir an, daß du studiert hast.

Ssladki. In den steinernen Gärten der Troitzka Lawra und lateinisch in Rom.

Der Zar. Rom. Also doch Rom . . .

Ssladki. Nur in Rom kann man lateinisch lernen. Ich war dort Sekretär an der vatikanischen Bibliothek.

Der Zar. Ah! Gibt es das? Auch für Nichtkatholiken?

Ssladki. Ja – das gibt es. Und ich schulde Rom ewigen Dank, weil es mich lehrte, an der Welt Vergangenheit die Zukunft des irdischen Seins zu erkennen.

Der Zar. Und – hast du den Papst gesehn?

Ssladki. Ich habe den Vorzug gehabt, häufig zu Seiner Heiligkeit geladen zu werden.

Der Zar. Ganz seltsam. Wer hat dich empfohlen? Ich begreife dies nicht.

Ssladki. Ich habe gewiß eine Empfehlung gehabt, eine Empfehlung Eurer Majestät in Gott ruhenden Vaters! 90

Der Zar. Meines – Vaters – –

Eufemia. Das ist sehr – spannend.

Ssladki. Und – ich bitte, mich damit auch hierorts in Empfehlung bringen zu dürfen . . . .

Der Zar. Gib her . . .

Ssladki (reicht ihm die Schrift).

Der Zar. Wa – was? Dann – dann – dann wärst du – du – du mein – Halbbruder, wie man so sagt!

Ssladki. So ist es, Nikolai Pawlowitsch. Ich bin Ihr Halbbruder. Und meine arme Mutter starb mit einem Gebet für Sie auf den Lippen. Sie hat Sie auf den Händen getragen, als Sie noch klein waren. Denn sie war Amme in St. Petersburg. Und unser Vater hat ihren schönen Leib sehr geliebt.

Der Zar. Und – ich begreife es kaum! Weshalb wurdest du nicht Militär? Du hättest einen Adel und einen hohen Rang bei deinen Fähigkeiten erreicht.

Ssladki. Rang und Adel regieren die Menschheit nur bedingt. Aber der treibende Geist fühlt seines irdischen Dauerns Wohnstatt vor.

Der Zar (reicht ihm das Papier zurück). Und – und du wünschest jetzt?

Ssladki. Ich habe vielleicht nur deshalb gelebt, um diesen Wunsch einmal aussprechen zu dürfen. Vielleicht werd' ich ihn zwei-, dreimal in meinem Leben aussprechen müssen. Ich weiß es nicht. Doch es bringt mich dem Ziele näher. (Schweigt kurz.) Hunderttausend Soldaten und Ihre Hand für den Papst. 91

Der Zar (auf Eufemia zu). Ah – das – so. Aber, aber so schnell. – :– Wie siehst du die Zukunft Rußlands, Staretz?

Ssladki. Ich kenne Rom. Und ich kenne Ostrom. Ich habe sie beide in meinen Händen gewogen und für gleich schwer und voll befunden. Sie ruhen beide mächtig an den zwei Polen der Angel der Welt. Sie streben beide kraftvoll aufwärts. Um wie viel stärker wäre gemeinsames Wollen mit einander entgegengebogenen Armen! Dann würden die orthodoxen Völker von einem Zepter regiert und der Stab einer auserwählten Intelligenz könnte die himmlischen Segnungen in die kleinste Hütte tragen. Aus Mangel und Überfluß entstünde ein fruchtbarer Ausgleich. Ja – Rom wäre imstande, uns mehr zu bieten, als wir Rom zu senden vermöchten. Ich denke da an ein Heer von Bildnern und Formern, die ihre gewaltige Kunst in den Dienst unserer Tempel stellen würden. Vor Skulpturen und Gemälden von erdrückender Wucht würden die russischen Völker mit noch tieferen Erschütterungen des wahrhaftigen Gottgedankens inne werden. Das Vorbild schafft Eifer. Das breite Land der Bauern würde die Auswahl geförderter Geister weit über sich selbst hinausheben. Ein Schwung und ein nie gespürter Rhythmus käme über das Land – über Europa – und damit über die ganze Welt. Tempel würden entstehen, nicht in der kalten Pracht der gekuppelten Türme nur: nein! – die intelligente Wärme exotischer Düfte würde den Betern verkünden, daß der Erdteile Bestes als Altaragium gesandt sei . . .

Eufemia (sinkt mit Verzückung in einen Sessel). Ist das nicht groß – groß – groß?!

Ssladki. Es würde sich endlich erweisen, daß eines deutschen Mönchleins Kraft von etlichen hundert Jahren nicht ausgereicht hat, einen eisernen Keil zwischen zwei Kirchen zu treiben, der heute noch eine unerforschliche Festigkeit aufweist, aber durch zwei gemeinsame Hände wie ein lästiger Splitter entfernt werden kann. 92

Der Zar. Und – dann käme – –

Ssladki. – das grenzenlose Strömen der Völker!

Der Zar. Ja – das – kommt dann! Aber wie, wie, wie?!

Ssladki. Das – das weiß man noch nicht.

Der Zar. Wenn du wissen wirst, wie das kommt, dann– dann will ich die Hand gen Rom recken. Du bist mein Gast. (Zu Eufemia.) Wir gehen wohl! (Er reicht ihr den Arm. Sie gehen.)

Ssladki (verneigt sich).

Akim (kommt aus der Badstube, sieht lächelnd auf Ssladki, zieht eine Schnupftabaksdose und priest und reicht sie auch Ssladki hin).

Ssladki (verwundert und mit heftiger Stimme). Was ist denn das?!

Akim. Tabak, Väterchen, Tabak . . .

* * *

Abenddämmerung. Kleiner bebuschter Platz mit Ruhebänken im Schloßgarten. Mit einer scharfen Ecke ragt das Schloß in die Szene hinein.

Akim (kommt langsam, geht bis zur Schloßecke und blickt vorsichtig herum. Dann stößt er zweimal einen Pfiff aus und winkt jemanden zu).

Peter (kommt; verstört, bleich, zerfahren, übernervös). Meiner Seel! Da hat man dich bis auf der Terrasse gehört. 93

Akim. Ist Fotius Spatzki dort? Ich kann schlecht sehn, weißt du.

Peter. Nein, Väterchen. Der heilige Mann zeigt sich heut nicht. Ist ihm auch nicht zu verdenken.

Akim. Wie? (Tief Atem schöpfend.) O . . . Peter! Du riechst nach Südwein. Da sieh dich fein vor bei den Herrschaften.

Peter. Die haben den Geruch immer in der Nase und riechen's nicht . . . Aber weshalb redest du davon? Ich habe das alles so satt, satt, satt! Es ist furchtbar schwer. Es ist ganz furchtbar schwer, sage ich dir.

Akim. Was denn?

Peter. Das kann man nicht so aussprechen. Ich weiß nicht. Aufstehen und anziehen. Und die täglichen Geschäfte vom Morgen bis zum Abend. Und die Dienstboten. Und dann der Zug im Herzen. Und alles – alles! Wenn man doch Geld hätte, Geld!

Akim. Gott hat den Menschen nicht erschaffen, um Pfennige zu sammeln. Arbeiten und stille sein, das ist die Rettung.

Peter. Ich tu's. Ich bin's. Aber nimm die Frauen weg vor meinen Augen; nimm sie alle weg, daß sie nicht mehr mit ihrem Fleisch, Fleisch, Fleisch mit breiten Beinen auf den schmalen Stühlen sitzen, hörst du! Nimm sie doch weg! Lösche sie aus! O – daß ich in brennender Wüste lebte, vierzig Jahre! Ich will nicht klagen.

Akim. Du bist krank, Peter. Das hab ich dir schon heut in der Früh gesagt. Steck das Evangelium in deine Tasche. Und wenn dich das Weib reizt oder das Fleisch knechtet, bohre die Augen ins Buch, ganz fest ins Buch, verstehst du!! 94

Peter. Ich – ich habe schon den Herrgott verleugnet, Akim. Es ist doch nichts mehr zu machen! Im Schlaf plötzlich überfällt es mich; so aus dem Traum heraus; ganz heiß und rot. Die Wände tanzen. Und kein Weib ist da, das einem das Hirn kühlt.

Akim. Das – das – das kenne ich nicht, Peter.

Peter. Du bist ja bloß ein Bauer – bloß ein Bauer . . . Du kennst das nicht. Du fühlst das nicht. Und die Dienstmädchen riechen nach muffigen Zimmern und abzutrocknenden Geschirren und nassen Lappen. Nein! Nein!! Nein!!! Eine Dame muß es sein. Eine Dame. Eine Dame. Und warum gerade sie, sie, sie! Eufemia . . . Es liegt ihr so im Gesicht. Irgendwie liegt ihr das Ding im Gesicht.

Akim. Höre – du solltest ihr einmal sagen, wie schrecklich sie in deinen Träumen rase, wie furchtbar ihr Leib dein Hirn zerklüfte. Aus der Tiefe deiner geschlagenen Seele solltest du einmal zu ihr reden. So ganz warm, weißt du. »Euer Gnaden – Euer Gnaden – ich sterbe an Ihrem Körper«, oder so ähnlich. Die Weiber sind ein gar hilfreich Volk, Kleinerchen. Auch ich – kannte einmal eine Frau. Aber das war da ganz anders. Doch im Grunde ist ja die Ursache immer dieselbe.

Peter (mit großen Augen). Akim. Du hast das Rechte gesprochen. Wahrhaftig. Du hast den Kern, wie man so sagt, auf den Teller gelegt. Ich knie nieder vor ihr. Und die Worte, Akim, die Worte werde ich schon finden! Ich weiß ja, wo sie allein ist. O Gott! Wie das Herz mir klopft, wenn ich mir das nur leise vorstelle! Ich knie vor ihr – und – und – rede – rede – trunken – selig – und sie – sie – ja – was? Sie! Hahaha! Sie stößt mich mit dem Stiefel ins Gesicht! Äh!! (Er sinkt erschüttert gegen Akim.)

Akim (richtet ihn auf). I nun! Kleinerchen! Steh doch grade, siehst du! Wer denn stößt dich? Keiner stößt dich. Und alle Sünden werden noch in 95 demselben Leben bestraft, denk mal. Keiner stößt dich! Was du dir gleich ausmalst! Und wie es dich anpackt. Du bist krank, mußt ins Bett.

Peter. Bett, Bett, Bett, Bett!! Das eben fürcht' ich. Das Bett! Bett! Bett! Hörst du . . .

Akim. Ja – sieh. Es wird ja schon besser. Wirst wieder stark werden, Kleinerchen. Und wenn auch nicht hier, dann im Himmel. Glaube nur an den Himmel. Und wenn auch das Fleisch wild wird und ganz aus Sünde besteht, glaube du an den Himmel. Früh oder spät – der Himmel ist ja schließlich doch das Richtige.

Peter. Ich – muß wohl gehn. Ja – und ich verzeih euch allen. Hörst du wohl! Das ist wichtig. Ich verzeih euch allen alles. Auch dir, Väterchen, auch dir.

Akim. I nun! Was hättest du mir zu verzeihen! Hab dir ja nie was zu Leid getan.

Peter. Hm . . . Hm . . . Ja . . . Aber – ich verzeih dir doch. (Reicht dem verwunderten Akim die Hand und geht rasch ab.)

Fotius (kommt).

Akim (auf ihn zu). Väterchen, es geht schief. Es geht schief. Mehr weiß ich nicht zu sagen.

Fotius. Wo drückt denn wieder Rußlands Schuh?

Akim. Ich weiß nicht, welche Zehe das ist. Aber der Staretz hat das Loch gefunden.

Fotius. Was gefunden, Akim? 96

Akim. Das – das Ding, das da kommen soll nach dem Strömen der Völker, weißt du. Ich versteh' nicht recht. Aber er hat gesiegt. Eufemia Aleksandrowna hat schon dreimal heut gebadet. Zeig' dich dem Zaren, und du wirst die Richtung der Deichsel hören. Und wir beide, Väterchen, fahren einsam eine Strecke über Land. Darauf – darauf freu' ich mich am meisten. Rußlands Hütten an den Straßen werden unsere Wohnstatt sein.

Fotius. Wie? Ich weiß nicht, was du redest. Alle Menschen reden heute fremd zu mir. Und ich denke mir, daß da irgendwie ein kurzer Satz in meinem Hirn fehlt.

Akim. Weißt du es denn wirklich nicht? Der Wagen ist für dich nach Tomsk bestellt – nach Tomsk – nach Sibirien. Heute abend sollst du reisen.

Fotius. Reisen? Ich soll reisen? Wer befiehlt, wann Fotij Spatzki reisen soll?! Fotij Spatzki hat nicht Zeit zum Reisen. O – er ginge gern nach Tomsk in die Einsamkeit. Aber Rußland läßt's nicht zu.

Akim. Väterchen, es sind doch alles Menschen, die deine große Liebe nicht wert sind. Willst du mit dem Munde streiten?

Fotius. Ich streite nicht. Es gibt nichts zu streiten. Es sind ein paar Köpfchen in Rußland verwirrt. Siehe – sie sollen gesunden.

Akim. Väterchen, du bist groß. Und diese Menschen sind so klein und schlecht – – –

Fotius. Wenn sie auch schlecht sind: ich liebe diese Menschen, denn sie sind geistig furchtbar arm und bedrängt. Ich liebe sie, und wenn sie's nicht wollen. ich liebe sie und sollte es mit Knuten sein!!

Akim. Mit Knuten? 97

Fotius. Geh jetzt . . . Und der Wagen fährt vor, wie es befohlen ist.

Akim (geht). Sicher wirst du das Rechte treffen.

Eufemia (kommt). Ah! Fotius Spatzki! Sie reisen nach Tomsk, habe ich gehört. Das ist schade. Es verspricht jetzt sehr spannend zu werden am Hofe.

Fotius. Eufemia Aleksandrowna, ich bedauere Sie. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie ich Sie von ganzem Herzen bedauere. Ich habe Sie bisher so sehr geduldet. Und wenn es hoch kam, befragte ich meinen Gott und schwieg und litt Ihr Wesen weiter. Nun aber muß ich Sie ausstreichen, vollkommen ausstreichen. Immer noch wollen Sie Rußland regieren, und nun Sie so nah am Ziel sind, muß ich Sie ausstreichen.

Eufemia. Der Griffel, Freund, ist nicht mehr in Ihrer Hand. Aber ich will gern an Sie denken und – vielleicht – Sie einmal in Ihrer Einsamkeit besuchen.

Fotius. Vergessen Sie dies nicht! Ich will dann später alles für Sie tun, denn ich werde Ihnen in gewisser Beziehung dankbar sein müssen.

Eufemia (reicht ihm die Hand). Keine Feindschaft also.

Fotius (bewegt).» Ich liebe meine Feinde.

(Ab.)

Peter (fällt in die Szene. Überstürzend.) Eu – Euer Gnaden! Geruhen Sie – geruhen Sie den Aufschrei einer gepeitschten Seele zu vernehmen; ja – ich sage – den 98 Aufschrei einer gepeitschten Seele, die aus entsetzlicher Not furchtbare Träume gebärt.

Eufemia. Peter? Was willst du?

Peter. Ich will, will reden, reden! Senken Sie Ihre stillen Blicke nicht so strenge in mein Gesicht. Ein von Verzweiflung durch den Zirkus gehetzter Sklave steht vor Ihnen, bar aller Gewalt über seinen Verstand und voll bis zum Halse von der Bitterkeit eines empörenden Gifts!

Eufemia. Was habe ich denn damit zu tun, Mensch?»Mensch« rief man in Rußland verächtlich den Kellner. A. B.

Peter (sucht krampfhaft nach Worten). Ich – das – Sie –. Endlich findet die Flamme den hohlen Weg, und nun jagt sie dahin, ohne das Ziel zu kennen. Schmale Brust reckt sich aus Körper hoch, keucht unter den Faustschlägen des rasenden Herzens. Irrlichtert es aus den rollenden Wagenrädern der Augen; trübsalgesandten Wollens nicht mehr achtend, formt Geist magere Lippen zum runden Ton.

Eufemia (zurücktretend). Was – was denn? Was willst du?

Peter (gellend). Heulen knechtet den ausgespritzten Leib auf nächtigem Lager! Sehnsuchtsvoller Tanz weicher Arme geht rot bis in grauenden Tag!! (Auf beiden Knien.) Dein, göttliches Weib, dein, dein, dein, dein!!! schreit, was heiß und Fleisch an mir ist, Stunde und Stunde um Stunde!

Eufemia (mit wollüstiger Wut). Hundsblut! Du wagst es!! (Sie stößt ihn mit dem Stiefel ins Gesicht.) 99

Peter (sinkt aufs Gesicht, es mit den Händen bedeckend). Äh!!

Eufemia (bespeit ihn). Pfui! Pfui! Pfui!

Peter (springt auf). Ich – verzeih dir. Ja – ich – verzeih dir. Auch dir, dir, dir!! (Er taumelt seitwärts vorüber.)

Ssladki (kommt langsamen Schritts). Ist – Fotius da? Ich mag ihm nicht begegnen. Leicht ums Herz wird mir's erst, wenn ich ihn unterwegs weiß. Dennoch muß er ein Weiser sein. Weshalb hindert doch hier das Schicksal mit strenger Hand die Herrlichkeit einer wahrhaftigen Freundschaft?

Eufemia. Deshalb bist du so still zu mir den ganzen Tag?

Ssladki. Bin ich's? Ja – es ist möglich, daß ich das bin. Und ich weiß es eigentlich auch.

Eufemia. Hat dich mein Handeln nicht befriedigt? Hab ich dir nicht bewiesen, daß eine Frau zehn Männer ersetzen kann? Aber du sprichst bedrückt, wenn du mich siehst, so auch ein heimliches Leuchten in deinen Augen zittert.

Ssladki. Zittert es wirklich? Ja – es zittert. Deshalb ist es nicht stark genug. Wenn du es klar sehn wirst, dann erst wird man das Steuer spüren in meiner Hand.

Eufemia. Das also ist es?

Ssladki. Nein – auch nicht das. Weshalb willst du es wissen? Neugierde ist nur geringen Seelen zu eigen; denn sie fürchten oft, Schlechtes von sich zu hören. 100

Eufemia (erregt). Nein – ich fürchte nicht. Ich hab mich noch nie gefürchtet. O – ich habe Kraft! Faß meinen Arm! Da ist Kraft, dich und Fürsten und Heilige vor die Tür zu stoßen! Hast du in Rußland so einen Arm gesehn? Man fürchtet ihn, wenn meine Stirnader schwillt, aber man beißt hinein, wenn er liebend umfängt. Ich steh auf zwei schönen Beinen, Mönch. Gib acht, daß sie dich nicht erwürgen!

Ssladki. Kleine Seele . . . Arme kleine Seele . . . Glaubst du wirklich, man habe mich so schutzlos nach Osten gesandt? Rom, Seelchen, ist klug. Rom ist weise. Rom ist der Herr der großen Idee der Einheit der Menschheit. Du aber wirst Rom niemals erkennen. wenn du so bleibst, wie du bist.

Eufemia. Wie denn – bin ich? Schlechter als du? Wirfst du mir Sünde vor?

Ssladki Der Vorwurf ist immer verspätet. Es gibt Momente im Leben, da wird die Seele ganz licht. Sieh – ich weiß, daß auf Sünde Schmerz kommt. Ich werde ihn tragen, denn ich bin schlicht, wie ich auch sei. Dein großer Schmerz aber wird dich vernichten.

Eufemia. Der Schmerz? Welch ein Schmerz?

Ssladki. Ja – dein Schmerz kommt. Fühlst du das nicht? Ist die Luft um dich her nicht ganz voll davon? Jetzt flieht mich dein Blick. Deine Seele ist reif für den großen klärenden Schmerz deines Lebens. Aber du weißt es nicht; denn du hast dir selber noch niemals die Wahrheit gesagt.

Eufemia. Wer – wer denn bist du auf einmal, daß du so sprichst? Ich – ich versteh' deine Worte nicht, wenn ich vielleicht ihren Sinn auch ahne. 101

Ssladki. Worte kommen, klingen, gehen. Und wenn wir sie nicht begreifen: etwas in uns nimmt sie auf und trägt sie durch unser ganzes Leben. Werde klar! Greife dich an! Geh hinaus! Ganz plötzlich geh du hinaus – ohne Grund – ohne Wort – nur geh, geh, geh! ganz gleich welchen Weg!

Eufemia (starr – tonlos). Ich – begreife dich plötzlich. Nun ich mein Werk getan, das Werk, das sonst niemand vollbracht hätte – nun ich mein Werk getan, kann ich gehn. Du brauchst mich nicht mehr. Das ist es. Ich habe Kraft, ich bin dir im Wege.

Ssladki. Nicht im Wege bist du mir in dem Sinn deiner Worte. Ich will dir beweisen, daß du mir nicht im Wege sein kannst, daß ich dich liebe, daß ich schweigen würde, wenn ich dich nicht liebte. Ja – ich liebe deine schöne Schale und deinen guten Kern, den noch kaum jemand gekostet hat, deinen Kern, dessen herben Geschmack du selber nicht kennst, weil dein Verstand oder Unverstand ihn unablässig trübt. Nicht im Wege bist du mir, denn ich weiß, daß du in Wilna katholisch wurdest!

Eufemia (verfärbt sich). Ah – dieser Wortbruch!!

Ssladki. Er war eine Waffe, um mich vor dir zu schützen, denn Rom hat deine Sehnsucht erkannt. Sieh – wir könnten mit dieser Waffe gemeinsam leben. Dennoch sag' ich: geh – wie du stehst – geh – geh!

Eufemia. Niemals, Lieber, niemals wird ein Wort von mir dein Handeln beschränken. Alles, was ich weiß und habe leg' ich in deine Hand. Fürchte nicht meine Sünde, ich bitt' dich, fürcht' meine Sünde nicht. Ich habe heut meine letzte schlechte Tat begangen. Höre du! Stoß' mich nicht fort! Lösch' mich nicht aus. Meine Kerze brennt nur für dich! 102

Ssladki. Du hast brutal gesündigt. Wie kannst du als Strafe verfeinertes Unglück erwarten? Ich fürchte dein Unglück, spürst du das nicht? Dein Unglück kann das große Werk in den Abgrund stürzen.

Eufemia. Ist denn das Werk nicht gelungen? Weißt du denn nicht, daß dieses Werk gelingen mußte? Liegt es nicht im Rhythmus der Zeit, im Wollen der Erde und Menschheit? Geht der Kurier des Zaren nicht morgen nach Rom?

Ssladki. Ja – es gelang. Drum trage dein Unglück von diesem Werk fort Geh! Eh' es zu spät ist – ich weiß nicht – geh!

Eufemia. Ich – bleibe! Und wenn du willst – du hast es in deiner Hand – du kannst mich vernichten, wenn du mein schwarzes Unglück siehst. Ich bleibe. Denn du hast von Rom einen Okkultismus geerbt, den ich nicht teile.

Ssladki. Nicht aus Rom stammt diese Lehre. Ein westlicher Bauer lehrte mich's.

Eufemia. Ein Bauer . . . Auch ein Bauer! Ich pflege die Lehren der Bauern und kleinen Leute mit einer Bewegung zu brechen. (Sie atmet auf.) Mut, Mönch, Mut! Der Fels, den du auf meine Brust gewälzt, fiel ins Meer und machte nur leichte Wellen im weiten Wasser. – – Da kommt Fotius. Laß uns durchs Schloß die Terrasse erreichen.

(Sie gehen.)

Die Fürstin und Fotius (treten auf).

Die Fürstin. Es scheint, er flieht dich, Väterchen. Und ist doch ein Mann von großen Talenten.

Fotius. Ja – ich glaube, daß er große Talente hat. 103

Die Fürstin. Weshalb müssen die großen Talente immer gegeneinander wirken? Können sie nicht einmal nur Hand in Hand Gemeinsames wollen!?

Fotius. Doch; wir Menschen wollen ja dasselbe. Aber wir wollen es jeder auf andere Art. Da entsteht dann die Reibung, welche die treibende Wärme der Umwertung der Dinge erzeugt.

Die Fürstin. Und er sprach so herrlich von Michelangelo.

Fotius. Eines Tages wird offenbar werden, daß der russische Bauer in Bild und Skulptur größere Innigkeiten der Menschheit geschenkt, als einst Michelangelo, der Römischen Größter.

Die Fürstin. Das versteh ich nicht.

Fotius. Nein – wie sollten Sie auch. Aber was wissen die Preußen, was wissen die Franken, was wissen denn alle Menschen von Michelangelo? Nichts – Liebe – fast gar nichts. Aber die Kunst aller russischen Bauern zusammen ist größer als Michelangelo war. Und der russische Bauer kennt seinen Nachbar. Da liegt es.

Die Fürstin. Also die Volkskunst?

Fotius. Sehn Sie, Sie wissen es . . .

Die Fürstin. Schwer . . . Schwer . . . Schwer . . . Es ist so ein schwerer Abend heut. Die Menschen am Fluß singen traurige Lieder. Und von den Feldern kommt der herbstliche Geruch der abgeblühten Kartoffeln.

(Eine leidenschaftliche Musik ertönt im Hintergrunde.) 104

Fotius. Ah! Welch eine Musik!

Die Fürstin. Ein Tanz, ein russischer Tanz jenseits des Flusses.

Fotius. In meiner Heimat tanzt man solche Tänze. Als ich noch jung war, hab auch ich im Dorf die Mädchen in Arm genommen. Es war eine leichte Zeit, kann man sagen. Nacht für Nacht mit den Liebchen im Feld – und die lieben Lieder an den stillen Flüssen. – In meiner Heimat schläft man nur im Winter . . .

Die Fürstin. Wie du von deiner Heimat sprichst –! Deine Augen sind ganz jung geworden . . .

Fotius (leise jauchzend). O – wieder so einmal tanzen, – Fürstin!! Sich wieder so einmal drehen im Kreise und das warme Kind auf die schönen Backen küssen. Läßt der heilige Beruf dies nicht zu? Auch Christus besuchte ja schließlich die Feste der Pharisäer. Wir sind dumpf geworden in unserem sittsamen Vorbild . . . Wein trinken! Und einmal wieder die Brüste schöner Frauen drücken. Ah – – es ist wirklich ein schwerer Abend.

Die Fürstin. Zu wem sprichst du, Väterchen?

Fotius. Solche Worte spricht man zu keinem Menschen. Solche Worte spricht man überhaupt nicht. Man denkt sie nur.

Die Fürstin. Dies ist dein Herbst, der ans Tor klopft. Aber nur himmlische Frucht kannst du ernten. Bist kein irdischer Sämann gewesen; kannst kein irdischer Ernter sein.

Fotius. Hätte sich mir ein Schoß entgegengereckt wie Sie, ich würd' auch dem irdischen Teil meines Daseins gezollt haben. 105

Die Fürstin (erbebt). Fotius . . . Fotius . . . Sprich . . . Sprich du. Rede weiter.

Fotius (leise). Ja – ich liebe dich sehr, kleine Frau.

Die Fürstin (sinkt langsam auf eine Bank und blickt ihn unverwandt mit brennenden Augen an).

(Sie schweigen lange, vielleicht eine halbe oder ganze Minute lang.)

Fotius (löst sich dann langsam aus dem Schweigen heraus und geht hinter das Schloß, immer der Musik entgegen). Wieder so einmal tanzen. Fürstin! Lachen und singen und trinken, und das warme Mädchen auf die schönen Backen küssen! (Leise singend.) Hoi . . . Hoi . . . Hoi . . . Hoi . . . Hoi . . . Hoi . . . Hoi . . . Hoi . . . Hoi . . . Hoi . . . Hoi . . . Hoi . . .

Die Fürstin (blickt ihm weit übergebeugt mit seligen Augen lange nach. Plötzlich greift sie sich entsetzt an den Kopf, taumelt mit krampfhaft hinausgerichteten Blicken zurück und stöhnt laut auf).

(Man hört von der Schloßterrasse her entrüstete Rufe, lautes grelles Auflachen. Das Geräusch von umgestoßenen Tischen und Stühlen dringt her. Tumultartiges Rufen, Schreien, Lachen.)

Eufemia (rast mit fliegender Erregung in die Szene und fällt auf eine Bank). Dieser – Knecht! Dieser – schamlose Empörer! Sehn Sie doch nicht hin, Teuerste! Sehn Sie nicht hin! Sehn Sie dort nicht hin! Er tanzt – tanzt nackt, nackt, nackt! zu der banalen Musik. Er hat die Kutte abgeworfen und tanzt nackt, ganz nackt, nackt, nackt!!! (Sie schlägt die Hände vors Gesicht.) O!! 106

Die Fürstin (sieht mit seligen Augen lächelnd hinaus. Sie hebt einen Arm und jauchzt leise empor). Wie schön ist dieser Greis!

(Es ist still geworden. Nur die Musik spielt leise weiter.)

Eufemia (erhebt sich mit sprachlosem Staunen).

* * *

Gleich darauf. Zimmer im Schloß. Im Hintergrunde große Glastüren, die auf die Terrasse und ins Freie hinausführen. Links und rechts Türen. Rings an den Wänden goldene Leuchter mit brennenden Kerzen. Kleine Tafel mit bequemen Sitzgelegenheiten. Karaffen mit Schnaps auf der Tafel. Weinflaschen, Trinkbecher und die beladenen kalten Schüsseln. Auf besonderem Tischchen der Samowar mit Gläsern.

Der Fürst und der Staretz Ssladki (treten aus dem Hintergrunde in den Raum).

Der Fürst. Jenseits des Flusses stand eine Menge und staunte. Ist er verrückt? Nackt!!

Ssladki (begeistert). Das glaube ich nicht. Aber alle bedeutenden Menschen sind so sonderbar in den täglichen Handlungen. Er war – wer weiß – hingerissen von der Musik, die so schön klang. Mit der Kutte konnt' er nicht tanzen; da warf er die Kutte ab. Und er lebt vielleicht im Geiste so weit von hier entfernt, daß er den Ort dieser Tat wirklich vergessen konnte.

Der Fürst (gerührt und ergriffen). Das ist eine außerordentlich edle Deutung, Staretz; möge sie so auf die Nachwelt kommen! Denn es ist möglich, daß die Kinder und Kindeskinder und die Kinder der Kindeskinder davon noch reden. Nicht soll von diesem Zaren ein trüber Geschmack in die Geschichte kommen. 107

Ssladki. Nein, nein! Alle Menschen ringsher erkannten den Schmerz in seinem Gesicht, Fürst, als er wieder zu seinem Mantel griff.

Der Fürst. Weshalb denn Schmerz, sagen Sie!

Ssladki. Du lieber Gott – es ist ja so sehr viel Schmerz nur deshalb auf Erden, damit sich die Nebenmenschen in der Barmherzigkeit üben. Die Seele mahnt und klopft, im Traum genau so wie im Wachsein.

Der Fürst (mit prüfendem Blick). Sonderbar . . .

Ssladki. Immer aber pflegt sie uns dann zu überraschen, wenn wir ganz ahnungslos sind.

Der Minister (kommt. Kleiner, dicker Herr.) Hahahaha! Meine Herren, da ist ja ein ganz tolles Ding passiert. Ein ganz tolles Ding ist da passiert, sage ich Ihnen. Da ruhen alle Hände und wackeln alle Köpfe, und alle Bäuche platzen da.

Der Fürst. Sie sind ja einiges erregt, Minister. Ich glaube, wir machen einen Sakuski, bevor Sie beginnen.

Der Minister. Sakuski! Prächtig! Von morgens bis abends Sakuski. Schenken Sie ein, schenken Sie ein, Fürst. Staretz, eine Seele flog in den Himmel. Ich hab's gehört. Mit eigenen Ohren hab ich's gehört. Denn ich schnitt ihn ab, und es entlud sich aus seinem Hintern der übliche Donner.

Der Fürst. Was ist das?

Ssladki. Sie scherzen etwas sehr heftig. 108

Der Minister. Scherz? Ich versteh nicht. Das Wort ist doch kein Knoten.

Ssladki (darauf eingehend). Doch! Das ist es! Ein Dichter erzählte mir, daß es einen Volksstamm gegeben habe, der die Schrift nicht kannte, dafür aber eine Knüpfsprache besaß, sodaß man aus einem Bindfaden ein ganzes Buch knoten konnte. Alle Worte der Menschen sind Knoten, kleinere oder auch größere.

Der Minister (blickt ihn mit blöden Augen tiefsinnig an). Es – hat – seine Richtigkeit mit dem Knüpfen. Ja – es ist da zweifellos eine Art Verbindung zwischen Ihren Worten und dem Ding, das da geschehn ist. Denn Peter, der Mensch, hat sich wirklich aufgeknüpft!

Der Fürst. Hier im Schloß?

Ssladki. Nicht möglich, was Sie da sagen!

Der Minister. Weshalb sollte das wohl nicht möglich sein, wie? Aber der Umstand, der Umstand! Das ist ja die Sache.

Der Fürst. Wie denn? Wo denn?

Der Minister. Im Zimmer der Dame Eufemia ist es geschehn.

Ssladki. Eu – Eufemia – – sagen Sie –

Der Minister. Sie kennen doch das Bild, Fürst, das Bild, von dem sie sich nicht trennen kann? 109

Ssladki. Das – das Bild?

Der Minister. Ja – wissen Sie – es ist das Bild, das von Orlow gemalt ist. Eine staunenswerte Leistung müssen Sie begreifen.

Der Fürst. Staunenswert?

Der Minister. Der Lakai hat nämlich auf dem Bilde irgendwo herumgekratzt. Und was meinen Sie? Der Maler hat sie wirklich zuerst nackt gemalt, dann mit einer Masse überzogen und erst darauf das Kostüm gemeistert. Jetzt hat der Lümmel das Kostüm herabgekratzt – und im Angesicht dieser Blöße hat er sich erhängt! Wie?

Ssladki (hängt völlig leblos im Sessel).

Der Fürst (verwirrt). Ist denn dieses – dieses möglich . . . Und – und die Dame?

Der Minister. Liegt in Schreikrämpfen und hat dennoch so viel Gegenwart, daß sie behauptet, sie werde sofort den Verstand verlieren.

Der Fürst. Na – wir – wir müssen uns dann wohl schnellstens mit der Tatsache abfinden. Auch Eufemia wird sich beruhigen.

Der Minister. Ach, das Teufelsweib! Das alles macht sie ja bloß noch reizender. Ja – sie hält das Messer fest – fest! Das Unglück wird bei ihr zum Glück.

Ssladki (atmet auf).

Der Fürst. Es hat Sie angegriffen, Staretz. 110

Ssladki (erhebt sich). Danke. Es ist vorüber, wenn es auch sehr seltsam ist.

Der Minister. O – und wie stolz doch die Dame sein wird; denn ein Licht, das ihretwegen verlöscht – und sollte es nur auch eine Tranfunzel sein – erweckt in den Weibern sonderbare Gefühle.

Eufemia und der Zar (treten ein).

Eufemia (stolz, mit einem Anflug von Schlichtsein, aber unerhört fern). Ein Glas Tee, Fürst.

Der Fürst (bemüht sich).

(Schweigen.)

Eufemia (setzt sich). Danke. Sie geben mir wohl ein Zimmer auf Ihrem Flügel, Fürst.

Der Fürst (verneigt sich).

Eufemia. Können Sie auch Träume deuten, Staretz?

Ssladki (ganz beklommen über diese Frage). Es – gibt nur eine einzige Deutung. Der Traum ist das Barometer der menschlichen Seele. Je nach dem Zustand derselben sind die Träume schlecht oder gut. (Holt aus.) Und da die meisten Menschen böse sind, haben sie auch meistens schlechte Träume.

Eufemia (schweigt betreten).

Der Minister (lächelt boshaft). Na – dann erzählen Sie uns nur Ihren Traum. 111

Eufemia. Danke . . .

(Heftiges Geschrei einer weiblichen Stimme im Nebenraum. Aufregung.)

Der Zar. Was ist denn dieses nun wieder!!!

Der Fürst (auf die Tür zu). Meine – Meine Frau – – –

Die Fürstin (stürzt herein. Ihre Garderobe ist mitgenommen. Sie hält den vorderen Saum ihres Rockes empor, atmet mühsam. Ihrem Munde entquillt ein Gurgeln)

Fotius (folgt mit ruhigem Schritt. Bart und Haar sind wild. Sein Mantel ist offen). Verzeihen Sie mir . . . Es war doch ganz dunkel in dem Zimmer. Und ich habe wirklich geglaubt, es sei Eufemia Aleksandrowna.

Der Zar (verliert den Boden und sinkt in einen Sessel).

Eufemia (springt auf, sinkt wieder zurück und springt wieder auf). Wa – was – – –?

Fotius Täubchen – – ich dachte – – du – – –

Eufemia (blickt in Verzweiflung um sich. Niemand sieht sie an. Sie fühlt plötzlich, daß ihre Stunde geschlagen hat). Staretz, Staretz. Mönch! Weshalb – weshalb hast du mich nicht ausgelöscht?! (Der Teufel blitzt aus ihren Augen.) Nun ist das russische Rom für die Welt verloren! (Sie blickt sich noch einmal um. Im eisigen Schweigen wankt sie mühsam durch die Glastür ab.)

Akim (tritt im selben Augenblick durch diese Tür ein). Ihr Wagen ist vorgefahren, Staretz. 112

Ssladki. Mein – mein – Wagen? Wohin denn?

Akim. Die Deichsel zeigt in der Richtung auf Tomsk.

Ssladki (lächelt vornehm und gefaßt). Können die Pferde hier rückwärts laufen?

Der Zar (hat sich gesammelt und erhebt sich innerlich kochend).

Fotius (brüllt ihn mit geballten Fäusten in den Stuhl zurück). Das Volk!!! (Die ganze Gesellschaft verharrt gebannt unter den Blicken des Bauern.)

Ssladki (findet sich zurecht). Es – ist noch zu früh – noch zu früh. Dein Volk, Fotius Spatzki, ist noch nicht reif, mein Volk zu werden. In fünfzig Jahren will ich wiederkommen. Denn ich lebe sehr lange . . . (Im Abgehen bleibt er vor Fotius stehen und blickt ihn mit ehrlicher. Bewunderung an.) Trotzdem!

Fotius (hebt die Hand zum Segen). Christus sei mit dir . . .

Ssladki (geht schweigend hinaus).

(Die Spannung löst sich. Man blickt einander verwundert ins Gesicht.)

An den Leser der Handschrift!

Es ist wirklich gleichgültig, ob Fotius Spatzki die Fürstin vergewaltigt hat, oder ob sie sich ihm freiwillig hingab und die Aufregung inszeniert hat. Ja – es ist eine ganze Anzahl anderer Deutungen möglich. Diese aber, so sage ich, ist ganz unwichtig. Tatsache ist jedenfalls, daß Fotius Spatzki gelogen hat. Man wolle ihn nicht mit Grigorij Rasputin verwechseln, obgleich dieses lockend genug erscheint. Doch am Ende ist ja der Fotius-Typ dem Russen geläufiger, als derjenige Tschitschikoffs. Und Fotius Spatzki hat bisher seinen Gogol nicht gefunden. Seltsam genug!

A. B.

 


 


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