Alfred Brust
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Alfred Brust

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Höllenspiel

Personen des Spiels:

Der Lehrer

Der Schüler

Die Frau

Der Freund

Der Schauspieler

Der Landstreicher

Der Dichter

Die Handlungen gehen im Freien vor sich.

 

Der Lehrer (kommt, bleibt stehn und zeichnet mit dem Stock im Sande). Blau – noch mehr blau. Aber sehr viel rot und schwarz.

Der Schüler (kommt ihm entgegen).

Lehrer. Das sage ich dir für allemal: sehr viel rot und schwarz. – Was ist dies?

Schüler. Ein quadratisches Gesicht.

Lehrer. Nein, mein Lieber. Eine phantastische Notwendigkeit. Aber genug. Du kannst wieder gehn.

Schüler. Wohin denn?

Lehrer. Gehn – gehn – gehn. Ich muß auch gehn. Immerzu gehn.

Schüler. Du hast deine unruhigen Tage.

Lehrer. Nein – ich bin in die Hölle gekommen.

Schüler Das versteh ich nicht.

Lehrer. Man lebt ganz ahnungslos, vielleicht mit einer gewissen Unruhe, auf die man nicht achtgibt. Und plötzlich stürzt man mitten hinein in die Hölle.

Schüler. Und wie fühlt man dieses? 68

Lehrer. Alles muß reif werden. Auch die Hölle muß reif werden. Nun werde ich vierzig Tage in der Hölle sein. Denn vierzig Tage, das ist so die Zahl. Sie steht in allen wichtigen Büchern, doch wird sie nicht gleich entdeckt.

Schüler. Der Teufel also steckt in dir, und du bist beschäftigt, ihn auszutreiben.

Lehrer. In mir ist nur das Gute und das Wahrhaftige. Du aber bist der Teufel, und alle Menschen, die ich kenne und die ich nicht kenne, die Guten und auch die Schlimmen, das ist der Teufel.

Schüler. Ich bin wahrhaftig und weiß von nichts Teuflischem.

Lehrer Auch du wirst lügen, sage ich dir, wenn auch andächtig, wie ein Hund bei der mittleren Kotfrummel.

Schüler. Ich könnte dir ein heftiges Wort sagen. Aber da ich dein Schüler bin, gehn wir.

Lehrer. Es riecht nach Windkugeln. Spürst du das?

Schüler Ich spüre nichts.

Lehrer (geht).

Die Frau (kommt). Hier ist mein Mann gewesen. Das rieche ich. Es riecht hier nach schlechten Worten wie eine Dunggrube.

Schüler. Ich glaube wirklich, es ist was passiert. 69

Frau (abwinkend). Nicht reden. Ablenken und weiterleben.

Schüler. Der Geduldige kennt nicht Verzweiflung.

Frau. Soll ich heut stehn?

Schüler. Ja – ich will arbeiten.

Frau. Ich glaube – mein Leib berstet. Das muß gut sein – für das Bild.

(Beide ab.)

Der Lehrer (tritt wie gefoltert auf).

Der Freund. (folgt ihm). O – diese Farben, die du gebrauchst, und diese unnachahmliche Geste deiner Gestalten sind doch der Brennpunkt aller Bewunderung.

Lehrer. Laß mir die Bilder in Ruh – meine Bilder. Ich will nichts hören, sage ich dir. Nimm Michelangelo. Diese Kerle mit Weiberbeinen! Und sieh dir diese Weiber mit Männermuskeln an! Ja – das war ein Mann! Und immer nur Schmerz. Nichts, nichts als Schmerz.

Freund. Davon andermal. Jetzt will ich nur die Werkstatt sehn.

Lehrer. Und nie noch hat jemand Geschlechtsteile herrlicher gemacht als er!

Freund (geht voran).

Lehrer (schlägt von hinten über ihn das Kreuz). 70

Freund (sich wendend). Mich friert.

Lehrer Das ist innerlich, Jakob, innerlich.

(Beide ab.)

Der Schauspieler (tritt auf, blickt sich vorsichtig um und atmet auf). Nein! Hier ist kein Mensch. Gott im Himmel, wie hast du mich gestraft. Nirgend ist mir gegeben, meine Rolle zu memorieren, denn in der Wildnis. Hier hört mich niemand, nur Gott, der dem Poeten das absurde Zeug eingab. Mag er sich daran ergötzen. Auf der Bühne, da ist es ernst für die Bohnen. Zwischen den Menschen ist es verrückt. Punkt. – Rechts also, von rechts kommt der einsame Storch geflogen. Und hier ist sein Nest. Da hat schon jemand das Nest gezeichnet.

(Er geht ab, kommt sogleich wieder angelaufen, mit den Armen wie mit Flügeln auf- und niederschlagend. Auf der Sandzeichnung bleibt er auf einem Beine stehn und blickt beschaulich um sich her. Dann hebt er plötzlich das Gesicht nach oben und neigt es wieder zu Boden, dabei das Klappern des Storches nachahmend.)

Bläck bläck bläck bläck bläck bläck bläck bläck bläck bläck bläck black black black black black black black block block block block bläck bläck bläck bläck black black black block. (Spricht schwer, wie in angestrengter Erinnerung.)

Als ich in der Arche Noahs klapperte, da hat es die ganze Welt gehört. Heute bin ich der einsame Storch, und das kurze Lied ist bald gesungen. Die Sperlinge wischen ihre Schnäbel an dem Aste, worauf sie stehn, aber ich bin von Gott als Säule der Welt gelassen. Strindberg schätzte mein Alter auf hundert Jahre, doch er hat nicht gewußt, daß der Wald des himmlischen Vaters Hanfgarten ist.

Hi, hi, hi, hi! Heute Nacht, wenn ich schlafen werde, wird mich der Herr Professor von dort unten greifen. Guten Tag, Herr Professor, guten Tag! Gewiß! Ihr Ringlein ist noch an meinem Fuße. Es macht mich stolz, und ich knabbere daran zuweilen in langsamen 71 Stunden. Aber wo ich in diesen Monaten war, werden Sie doch nicht ergründen. Auch wo unsere Millionen von Jungen bleiben, nicht, ohne die wir jedes Jahr wiederkehren. Der Herr schickt den Hund, der Hund treibt den Schwanz, der Schwanz treibt das Schwanzende, aber das Ende sagt: Haare, springet selbst! Bläck bläck bläck bläck usw.

Der Landstreicher (tritt unterdes auf und bleibt stehn). Na – hören Sie mal!

Schauspieler (läßt das Bein sinken und dreht sich schnell um. Er sieht ergriffen drin, lüftet den Hut und geht fort.)

Landstreicher (sitzt nieder, zieht eine Flöte hervor, probiert darauf allerhand Töne). Das ist sauer, aber doch sehr wichtig. (Bläst.) Im Anfang war ein Ton. (Bläst.) Der Ton war im Anfang. (Bläst.) Der Mensch erfüllt die Erde mit Geräusch und zeigt sich darüber außerordentlich zufrieden. (Bläst und springt plötzlich nervös auf.) Der Mensch hält das Geräusch nicht aus!! Deshalb braucht er ein Antiphon. (Er bedient sich eines solchen.) Und nun geräuscht er nach Belieben. (Er geht umher und bläst aus Leibeskräften.) Ho, ho! Da kommt ein Dichter. Grüß Gott, Bruder in Apoll . . .

Der Dichter (tritt auf. Er weint).

Landstreicher (nimmt den Ohrenschließer ab). Sie haben Tränen? Sie weinen?

Dichter (schluchzend). Schmerz, zuviel Schmerz ist auf Erden.

Landstreicher. Die Menschen von heute weinen bloß immer. Legen sie sich auf den rückwärtigen Bauchnabel, junger Mann. Da sehn Sie die Wolken wandern. Und plötzlich sind Sie nicht mehr hier. 72

Dichter. Und wer weiß, ob nicht auch in den Wolken Schmerz ist, so vor dem Winde hergehen zu müssen.

Landstreicher. Ach was, weinen Sie nicht! Hier schenke ich Ihnen auch eine Flöte. Sehn Sie. (Drückt ihm die Flöte in die Hand.) So. Und nun weinen Sie nicht mehr . . .

Dichter. Aber ich bin doch durchaus nicht musikalisch.

Landstreicher. Sagen Sie das ja nicht. Die Menschen haben einen unberechenbaren Geschmack. Und die Flöte steht Ihnen gut zu Gesicht. Blasen Sie nur, blasen Sie nur, und dann klappern Sie ein wenig mit den Fingern. (Er nötigt ihn dazu.) Sehn Sie! Es ist ganz genau so wie dichten! Und nun werde ich singen. Und Sie werden mich begleiten. Jawohl . . . Also eine Arie! Arie, gesungen von einem Irrsinnigen!

Dichter. Und ich soll dazu blasen?

Landstreicher. Bloß blasen. Also los! (Singt.)

        Zieht, zieht, zieht –
ach du Holde –
Regen rauscht durch mein Gemüt.
Flieht, flieht, flieht
nach dem Golde.
Dideldideldideldideldideldumdüt.
Hahahahaha li la lu.
Hahahahaha li la lu.
Ha! Ha! Ha! Ha!
Hahahaha li la lu.

Die Frau (kommt im Hemd). 73

Landstreicher (verdreht die Augen). Man soll sich nicht wundern . . . Jetzt fehlt bloß noch, daß jemand Wagner spielt. – Wie hast du gefehlt, Schwester irdischen Jammers?

Frau. Was kümmert es euch?

Landstreicher. Blut kennt des Blutes Mühsal! Und die Reue ist immer unterwegs.

Frau. Wenn Abend ist, werden meine nackten Füße in Tau sein. Busch und Baum werden mir das Dach bereiten zur Nacht.

Landstreicher. Ein tiefsinniger Satz: wenn man in Not ist, merkt man plötzlich, weshalb so ein Busch eigentlich wächst.

Frau. Und ich werde entbehren. O – es wird eine Lust sein zu entbehren!

Landstreicher. Gnädige Frau verzeihen eine Verwechslung: nicht mehr nicht reich sein wollen ist noch lange kein Streben nach Armut. Gnädige Frau verzeihen, diese vielgeübte Verwechslung.

Der Lehrer (tritt auf; ihm folgt, ihn beschwörend)

Der Schauspieler. Ich verspreche Ihnen, Herr Malermeister, ich kenne diese Dame nicht. Ich bin der Menschendarsteller, der heute abend den einsamen Storch zu spielen hat.

Frau (laut). Trauerweiden will ich mir zur Hütte biegen und Nachtigallen in meine Kammer laden!

Landstreicher. Schmerz, laß nach! Blase, Flötmann, blase! 74

Dichter (bläst).

Landstreicher (singt).

        Zieht, zieht, zieht –
ach du Holde –
Regen rauscht durch mein Gemüt.
Flieht, flieht, flieht
nach dem Golde.
Dideldideldideldideldideldumdüt.
Hahahahaha li la lu.
Hahahahaha li la lu.
Ha!Ha!Ha!Ha!
Hahahaha li la lu.

Frau (geht während der letzten Töne langsam fort).

Lehrer. Fredegunde, laß ab!

Landstreicher. Den Sinn der Liebe kennt der Atmer nicht, deshalb richtet er sich nach dem Kompaß des Unterleibes.

Schauspieler. Erbarmen Sie sich. Da muß irgendwas geschehn, irgendwas geschehn! (Er geht der Frau nach.)

Landstreicher. Flötmann, ich glaube, wir lassen den Vorhang fallen, damit der Bürger unruhig bleibt!

Dichter (bläst leise in die Flöte).

Lehrer (wendet sich ab und spricht voll Inbrunst). »Man wird wiederum Weinberge pflanzen an den Hängen Samarias, pflanzen wird man und dazu pfeifen.«

 


 


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