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Friedrich Leopold Graf zu Stolberg.

Es erübrigt noch, eines vertrauten Freundes der Fürstin zu gedenken, an dem ihr wohltätiger Einfluß mehr als an jedem andern zu Tage trat, des Grafen Friedrich Leopold Stolberg.

Der Dichter Matthias Claudius, Herausgeber des durch ihn berühmt gewordenen »Wandsbeker Boten«, gleich dem Grafen gläubiger Protestant, hatte diesem von der Fürstin Gallitzin erzählt, von dem Besuche, den sie ihm in Begleitung Overbergs und ihrer Kinder zu Anfang des Jahres 1791 in Wandsbek abgestattet, und von der Bewunderung, mit der sie ihn und die Seinen erfüllt hatte. Da Stolberg auch von andern Seiten viel Rühmliches von der edeln Frau gehört hatte, beschloß er, sie persönlich kennen zu lernen. Auf einer Reise nach dem Süden, die er mit seiner zweiten Gemahlin Sophie, gebornen Komtesse von Redern, unternahm, machte er in Münster Halt (Juni 1791), wurde von der Fürstin mit großer Herzlichkeit begrüßt und verlebte in ihrem Kreise einige »beseligende Tage«. Der Eindruck, den er von ihr empfing, war mächtiger, als er erwartet hatte. Sie »verbindet in so eminentem Grade das Hohe und Gute mit dem Lieblichen, daß sie einem gleich unentbehrlich wird«, schrieb er an seinen Bruder; »sanfte Sehnsucht nach ihr wird mich im Leben nicht verlassen«. Der Geist des Christentums, des christkatholischen Glaubens ruhe so sichtbar auf ihr, daß ihm durch sie ein Begriff von der Heiligung, die in der katholischen Kirche zu erringen wäre, gegeben sei. Seine Gemahlin urteilte über die Fürstin: »Es ist unmöglich, herzlicher, natürlicher, liebenswürdiger zu sein als sie. Sie hat ausgebreitetere Kenntnisse, als ich sie bei einem Weibe fand ... Ihre Kenntnisse sind jedoch ihr geringstes Verdienst: ihr Geist, ihre Seele, ihre Frömmigkeit erfüllen mit so inniger Bewunderung und Liebe. Diese Frau, die sich durch ihre Gelehrsamkeit so sehr auszeichnet, die mit eiserner Festigkeit tausend Hindernisse überwand, um ihrem Erziehungs- und Lebensplan treu zu bleiben, näht selbst die Wäsche für ihre Kinder, ist äußerst einfach, sanft, so innig liebend.«

Nach der Rückkehr aus Italien im März 1793 trat Graf Stolberg das Amt eines Kammerpräsidenten in Eutin an. Hier besuchte ihn die Fürstin mit ihrer gewöhnlichen Reisebegleitung, Overberg, ihren Kindern und ihrer Nichte Amalie, schon im ersten Sommer. Unterwegs wurde abermals bei Claudius Station gemacht: In einem langen Leiterwagen, in Stroh gebettet, zog die kleine Gesellschaft in Wandsbek ein und mußte, da das Claudiussche Haus von Gästen bereits überfüllt war, von Haus zu Haus um Quartier betteln, wurde aber überall wie Lumpenvolk abgewiesen, wie die Fürstin in einem heiteren Brief an die Drosteschen Brüder erzählt. Erst durch die Vermittlung einiger vornehmer Damen des Ortes erhielten die Reisenden, die für arme Emigranten gehalten worden waren, ein anständiges Quartier. Die mit dem frommen Claudius verlebte Zeit nennt die Fürstin »wahre Erbauungsstunden«, in denen sie Gott und das Christentum lebendig wirksam gefühlt habe. – In Eutin fand die Reisegesellschaft im Hause der freudig überraschten Stolbergs die liebevollste Aufnahme. Prinzessin Mimi schrieb an die beiden älteren Droste: »Unserer lieben Mutter ist es hier so ganz wohl. Sie wird auf Händen getragen und kann ihrem Herzen freien Lauf lassen; denn Christentum und Liebe herrschen so ganz in diesem Zirkel. Aber kaum kann sie die ihr zu ihrer Ruhe so nötigen Stunden der Einsamkeit zur näheren Unterhaltung mit Gott finden, so beständig sind Stolbergs einzeln oder alle zusammen um sie und mit ihr, ich möchte sagen, wie die Eisenfeile um den sie anziehenden Magnet ... Das einzige Unangenehme ist, daß wir keine katholische Kirche hier haben und daher des Sonntags nach Lübeck, acht Stunden von hier, fahren müssen. Vorigen Sonntag fuhren wir in der Nacht um 12½ Uhr hin ...« Und die Fürstin selbst warnte die jungen Freiherren in bester Laune: »Liebe Kinder, reiset nie nach Eutin, es ist wie die Löwenhöhle; man sieht wohl die Fußstapfen der Kommenden, aber die der Gehenden nicht!« – eine Anspielung auf die Schwierigkeit, sich zur Abreise zu entschließen. In der Tat weilten die Gäste einen ganzen Monat im gastlichen Hause des gräflichen Paares und machten sich erst aus den Heimweg, als Overbergs Anwesenheit in Münster unumgänglich notwendig geworden war.

siehe Bildunterschrift

Friedrich Leopold Graf zu Stolberg.
Nach einem Gemälde von J. C. Rincklake; Stich von J. G. v. Müller

Was die Anwesenheit der Münsteraner für Stolberg bedeutete, geht aus den Briefen hervor, die er in jener Zeit an Freunde und Verwandte richtete. »Heilig und teuer wie eine Erscheinung aus jener Welt« ist ihm der Besuch der Fürstin, »denn Kräfte jener Welt leben und weben in ihr und gehen wohltätig von ihr aus.« – »Jeder Tag macht mir diese allerliebste Freundin noch lieber«, heißt es ein andermal; »möchte jeder Tag, den ich in ihrem himmlischen Umgang zubringe, mich Gott näher bringen! Geschieht das nicht, so ist es meine Schuld und eine schwere Schuld. Aber ich hoffe, daß Gott, welcher mir und den Meinigen diesen Engel zugeführt hat, an uns seine Absicht nicht ganz verfehlen werde ... Es wird mir das Herz bluten bei der Trennung von ihr, aber ich werde mich doch, solange ich lebe, von ganzem Herzen und von ganzer Seele freuen, ihres geisterhebenden und herzerquickenden Umgangs einen ganzen Monat genossen zu haben.« Und Gräfin Sophie fügt hinzu: »Ach, wer mit der Fürstin leben und sterben könnte! Engel der Finsternis müßten durch sie zu Gott kommen, deucht mich. Wie lieb sie mir ist, wie jeder Blick auf sie sie meinem Herzen näher bringt, können Worte nicht sagen. Auch ihre Begleiter alle habe ich sehr lieb, alle nach Stand und Würden, und Overberg obenan.«

Zwischen der Fürstin und dem gräflichen Paare wurden von nun an häufig Briefe gewechselt, in denen von seiten Stolbergs aus seiner großen Verehrung für die Freundin so wenig ein Hehl gemacht wurde, daß sie ihm einmal schrieb: »Daß Du mich in kolossaler Proportion siehst, weiß ich und habe Dir's längst schon ohne Mäntelchen gerade herausgesagt. Da es aber Deiner lieben Seele wohltut, mich so zu sehen und auch so mit mir zu reden, und es der meinigen, solange ich mir meiner bewußt bleibe, wie ich glaube, nicht sonderlich schaden kann, da mir nicht unbewußt ist, daß Gott sich ja auch wohl einmal eines Esels bedient hat, durch ihn mit einem Propheten zu reden, – so habe ich mich darein ergeben.«

»Der Gallitzin gehe ich entgegen mit denselben Gefühlen wie das Kind dem heiligen Christ«, meldete Stolberg im nächsten Herbste seiner Schwester, als er sich mit seiner Gemahlin zu einer zweiten Reise nach Münster rüstete. Bei der Ankunft in der westfälischen Hauptstadt fand er die Fürstin krank an Körper, aber heiteren Sinnes und sehr erfreut über das Wiedersehen, und auch diesmal konnte er berichten: »Ihr Umgang tut mir unaussprechlich wohl.« Die ernsten Gespräche über religiöse Fragen, die bei diesem Beisammensein geführt wurden, fanden während der nächsten Jahre briefliche Fortsetzung. Denn Graf Stolberg, seit seiner Bekanntschaft mit den Münsteranern von religiösen Zweifeln gequält und nach der Erkenntnis strebend, welches die eine, wahre, von Christus gestiftete Kirche sei, rang in hartem Seelenkampfe nach Erleuchtung und Wahrheit. Und die Fürstin stand ihm in diesem Ringen treu zur Seite: sie erbaute ihn durch ihr christliches Beispiel, gab ihm aufklärende Antworten auf alle seine Fragen, sandte ihm Bücher, aus denen er Belehrung schöpfen konnte, vor allem aber schloß sie ihn in ihr tägliches Gebet ein und empfahl ihn auch der Fürbitte ihrer übrigen Freunde. »Der Gedanke, daß so viele Kinder Gottes für mich beten, erhebt mir oft das Herz«, heißt es in einem Briefe des Grafen an den ihm ebenfalls innig befreundeten Weihbischof Kaspar von Droste-Vischering, »soll mich aber auch mit Furcht und Zittern erfüllen. Denn wie schändlich wäre es, wenn meine Untreue so viele Treue der andern vereitelte!« Der Mahnung der Fürstin folgend, ließen auch er selbst und seine Gemahlin nicht ab, in heißem Gebete Gott anzuflehen, daß er sie in die katholische Kirche, wenn diese wirklich die wahre Kirche sei, einführen möge.

Auch während eines neuerlichen Besuches, den die Fürstin und Overberg in Eutin im Sommer 1797 abstatteten, kamen fast nur religiöse Fragen zur Sprache, ohne daß Stolberg zu einem Entschluß gelangt wäre. Sein Herz sei längst katholisch, meinte er, der Kopf aber finde immer noch etwas zu protestieren und bleibe somit protestantisch. Doch verlor er nicht die Überzeugung, daß Gott ihm zur rechten Zeit »den Port der Wahrheit und des Friedens« öffnen werde. Weit davon entfernt, ihn zu einer Entscheidung zu drängen, ermahnten die Freunde ihn zu Geduld und Beharrlichkeit; »prüfen Sie, aber übereilen Sie nichts!« redete Overberg ihm zu, »und vor allem beten Sie und seien Sie demütig vor Gott; denn nur Gebet und Demut gibt die rechte Erleuchtung und Erkenntnis der Wahrheit«.

Eine Zeitlang schien es freilich, als drängen all die Gebete nicht bis zu Gottes Thron: Stolberg kam aus dem Zweifeln und Grübeln nicht heraus. Es gingen noch Jahre hin, bevor ihm, nach seinen eigenen Worten, Gott hinüberhalf »über den breiten Graben, der den gelehrten Prüfer der verschiedenen Lehrsätze von dem gehorsamen Kinde des Glaubens an die eine, unfehlbare Kirche und ihre Lehre scheidet«. Die Fürstin aber ließ nicht ab, an seinem Seelenheil zu arbeiten; mit unermüdlicher Geduld beantwortete sie immer wieder seine Fragen, zerstreute sie seine Zweifel, tröstete sie ihn, wenn er verzagen wollte. »Sie besitzen das Vertrauen der ganzen Familie in höchstem Grade und Sie werden, wie ich hoffe, für dieselbe das Werkzeug der göttlichen Barmherzigkeit sein«, schrieb der Fürstin der Hauslehrer der Stolbergschen Kinder, einer der emigrierten französischen Geistlichen, den sie an den Grafen empfohlen hatte; »indes muß ich doch sagen«, fügt er hinzu, »daß ich das glückliche Geschehnis als noch in weiter Ferne stehend und selbst als zweifelhaft betrachte.«

Am 2. Mai 1800 trafen Graf und Gräfin Stolberg wieder zum Besuche der Freunde in Münster ein. Fürstenberg, den der Graf sehr verehrte, weilte damals in Paderborn, Overberg und Fürstin Amalie aber nahmen sich der Gäste abermals auf das liebevollste an und versicherten sie von neuem ihrer unablässigen Fürbitte, ohne zu ahnen, wie nahe die Erhörung ihrer Gebete war. In jene Zeit fiel der Tag, den Overberg als den freudenreichsten des ganzen Jahres zu bezeichnen Pflegte: der Tag der heiligen Erstkommunion seiner Schulkinder. Mit der Fürstin begaben sich auch Graf Stolberg und seine Gemahlin, die im Herzen längst alle Glaubenszweifel überwunden hatte, zur festlich geschmückten Kirche. Nachdem die Kinder die heilige Kommunion empfangen hatten, forderte Overberg sie auf, ihre Gebete mit dem seinen zu vereinigen, um den göttlichen Heiland in einer bestimmten Angelegenheit um Beistand anzuflehen. Ohne ihnen näher zu sagen, warum es sich handelte, betete er um Erleuchtung für Stolberg. Dieser aber fühlte mit unbeschreiblicher Freude, wie alle ihm bisher unüberwindlich scheinenden Zweifel aus seiner Seele schwanden, und wie die Überzeugung von der Wahrheit des katholischen Glaubens siegreich Einzug hielt.

Wenige Tage später, am Pfingstfeste (1. Juni 1800), gab es in der familia sacra einen unvergeßlichen Festtag: Graf und Gräfin Stolberg legten in der Hauskapelle der Fürstin vor Overberg ihr katholisches Glaubensbekenntnis ab. »Der Vogel hat seine Wohnung und die Schwalbe ihr Nest gefunden, um ihre Jungen darin zu bergen«, frohlockte Stolberg, »das heißt: deine Altäre, Herr Gott der Heerscharen, mein König und mein Gott! In einen Strom heiliger Freude getaucht, sollte mein Herz ein Tempel sein, worin das Lob des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs sich unaufhörlich vernehmen ließe, denn er hat mir und meiner Sophie Barmherzigkeit erwiesen, und er wird sie auch meinen Kindern erweisen.« Und diese frohe, zuversichtliche Stimmung blieb ihm auch trotz der mancherlei Kränkungen und Schmähungen, die ihm von einigen seiner früheren protestantischen Freunde in der Folge zugefügt wurden. Fand er doch reichlichen Ersatz und Trost im Verkehr mit dem Münsterer Freundeskreise, mit dem er sich durch seine Konversion noch inniger, noch fester vereinigt fühlte. Um diesen Verkehr nach Herzenslust genießen und an den edeln Bestrebungen der familia sacra eifriger teilnehmen zu können, als es ihm aus der Ferne möglich war, beschloß er, seine Ämter niederzulegen und mit den Seinen nach Münster zu übersiedeln. Schon im Oktober desselben Jahres kam dieser Entschluß zur Ausführung. »Gott sei gelobt, daß und warum wir nach Münster ziehen!« schrieb der Graf am Tage vor seiner Abreise aus Eutin an den Erbdrosten; »schon lange zählten wir die Tage, bald werden wir die Stunden zählen und dann mitten unter Euch sein, im Schoß der Kirche, in welche der gute Hirt selbst uns hineingeführt hat.«

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