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Jugendjahre und Vermählung.

Wie wohl jedes lebhafte, zum Frohsinn geneigte junge Mädchen, hatte auch Komtesse Amalie sich auf ihren Eintritt in die Gesellschaft von Herzen gefreut; sie versprach sich Wunderdinge von den Ausfahrten, den Gastmählern und Bällen, den Kartenpartien und Gesellschaftsspielen, mit denen man sich damals in den Salons der vornehmen Welt die Zeit vertrieb. Groß war daher ihre Enttäuschung, als sie sich bald inmitten der Gäste ihrer Mutter von entsetzlicher Langeweile geplagt fühlte. Das stundenlange Tafeln und das oberflächliche Geplauder erschienen ihr ebenso ermüdend als albern, und wenn sie bei ihren Altersgenossinnen Unterhaltung suchte, sah sie sich ihres natürlichen Wesens, das Premonvals Erziehung ihr zu rauben zum Glück nicht im stande gewesen war, und ihrer offenen Fragen und Antworten wegen verlacht und verspottet. Denn die andern jungen Mädchen benahmen sich geziert und altklug und verstanden es, über ernste wie über heitere Dinge mit wichtiger Miene, aber grenzenloser Oberflächlichkeit zu schwatzen. Amalie, die sich neben ihnen plump und unwissend vorkam, beschloß, sich durch eigene Kraft die Kenntnisse zu verschaffen, die ihr ein sicheres Auftreten in der Gesellschaft ermöglichen sollten. Als das geeignetste Mittel hierzu erschien ihr fleißiges Lesen. Doch im Hause ihrer Mutter fand sie kein anderes Buch als eine Predigtsammlung des französischen Theologen Bourdaloue, aus welcher sie an jedem Sonntage eine Predigt vorlesen mußte – eine Aufgabe, die ihr stets Vorwürfe von der Mutter eintrug, weil sie wegen mangelnden Verständnisses schlecht und ausdruckslos las. Fest entschlossen, sich auf irgend eine Weise Bücher zu verschaffen, wandte Amalie sich ohne Scheu an mehrere Buchhändler mit der Bitte um Rat und war überglücklich, als einer von ihnen sich erbot, ihr gegen geringe Bezahlung Bücher zu leihen, »die für eine junge Dame geeignet seien, welche sich selbst zu unterrichten strebe«. Aber woher das Geld für die Leihgebühr und den Boten nehmen, der die Bücher hin- und zurücktragen sollte? Das Taschengeld der Komtesse war nur knapp bemessen, und der Mutter scheint sie von ihrer Sehnsucht nach Büchern nichts verraten zu haben; vielleicht fürchtete sie, daß die Gräfin ihren Wunsch nicht verstehen würde. Da kam ihr die Geschicklichkeit zugute, die sie in dem schon als Kind geübten und zu jener Zeit von allen Damen auf das eifrigste betriebenen Kartenspiel besaß: hatte sie bisher nur gezwungen am Spieltische ausgeharrt, so verließ sie ihn jetzt oft den ganzen Abend hindurch nicht, – das gewonnene Geld aber wanderte zum Buchhändler. Die Bücher, die dieser ihr schickte, enthielten zumeist französische Romane. Amalie stürzte sich gierig darauf und las bis spät in die Nacht hinein, da sie sich am Tage auch kleinen häuslichen Geschäften und der von ihr leidenschaftlich geliebten Musik widmen mußte.

Ein Beweis des edeln Kernes, welcher in der sich selbst überlassenen jungen Komtesse steckte, ist der Umstand, daß die ihrem Alter durchaus nicht angepaßte Lektüre zwar ihre Phantasie belebte und ihr eine herrliche Welt vorgaukelte, schöner als die sie umgebende, daß aber das Niedrige und Häßliche, das in vielen dieser Romane enthalten war, ohne jeden Eindruck auf sie blieb. Im Gegenteil: »Eine entschiedene Verachtung hatte ich mir angeeignet«, schreibt sie selbst später einmal in einem Briefe, »gegen alle gemeinen Fehler und Laster, wie Geldsucht, Lügenhaftigkeit, körperliche Wollust jeder Art, gegen den groben Egoismus, kurz gegen alles, was mich von dem romanhaften Thron, worauf ich mich erhoben hatte, hätte herabsetzen müssen. Die feurigste Liebe für jede Vollkommenheit, die mir als solche auffiel, beseelte mich.«

Amalie hätte sich nun, teils in einer behaglichen Wirklichkeit teils in einem Land der Träume und des Glückes lebend, vollkommen zufrieden gefühlt, wenn nicht eine letzte Erinnerung an den Religionsunterricht im Kloster ihre Ruhe gestört hätte: das Trostvolle und Beglückende ihres Kinderglaubens hatte sie vergessen, die Furcht vor Gottes Zorn und einer ewigen Strafe aber war ihr geblieben und quälte sie so, daß sie oft des Nachts nicht schlafen konnte. Sie wußte nicht, wo sie Trost finden sollte. Zwar führte die Mutter sie jeden Sonntag in die Kirche, wo sie gleich andern vornehmen Damen aus dem Fenster einer Art Loge auf den Altar hinabblickte; doch weil die tiefe Bedeutung der heiligen Messe ihr nie verständlich gemacht worden war und sie während des Gottesdienstes in einem französischen Gebetbuche lesen mußte, empfand sie bei den Kirchenbesuchen nichts als Langeweile. Sie ging auch zuweilen zur Beichte, weil sie hörte, daß die Bekannten der Gräfin das auch taten, und daher dachte, es gehöre wohl zum guten Ton, aber die befreienden Tränen, die sie im Kloster bei der Gewissenserforschung vergossen hatte, blieben jetzt aus. Auf den Gedanken, Gott um Erleuchtung und Frieden zu bitten, verfiel sie nicht, ebensowenig konnte sie sich entschließen, jemand aus ihrem Freundeskreise um Rat zu fragen. So grübelte sie denn in schlaflosen Nächten immer wieder darüber, wie sie wohl werden mußte, welches Leben sie führen sollte, um der ewigen Verdammnis zu entgehen. Und wenn dieses Grübeln sie auch noch nicht auf den rechten Weg leitete, den Weg, den sie erst viele Jahre später finden sollte, so ließ es doch in ihren Gedanken eine bestimmte Vorstellung von Gut und Böse, Schön und Häßlich entstehen; sie formte im Geiste, mit Zuhilfenahme ihrer Lieblingsgestalten aus den gelesenen Romanen, ein Idealbild vollkommener geistiger Schönheit, als welche sie Entschlossenheit, Edelmut, Rechtschaffenheit, Selbstlosigkeit, Geduld im Leiden und treues Wirken für das Wohl anderer betrachtete, und nahm sich vor, ihrem Ideal gleich zu werden. Dieser Entschluß gab ihrer suchenden Seele einige Ruhe und ihrem Streben ein Ziel.

Komtesse Amalie war inzwischen in ihr siebzehntes Jahr getreten, und die Mutter fand es an der Zeit, sie zu vermählen. Gelegenheit hierzu schien sich während eines Besuches bei Verwandten in Grätz (Posen) zu bieten, wo ein als sehr reich geltender Baron von Gersdorff, Gutsherr auf Retkau, sich um das junge Mädchen bewarb. Amalie selbst hatte noch gar nicht ans Heiraten gedacht und fühlte sich durch den Antrag des Barons eher erschreckt als beglückt; vor dem Zureden der Mutter suchte sie Schutz bei der guten Wohlauer Tante, der Beschützerin ihrer Kindertage, die damals auch in Grätz weilte und die einzige im Verwandtenkreise war, die auf Amaliens Seite stand und ihr riet, sich nicht überreden zu lassen, wenn ihr Herz nicht für Gersdorff spreche, »denn in diesem Falle sind die Kinder nicht verbunden, denen Eltern zu gehorsamen«. Die Gräfin Schmettau jedoch behauptete: »Du kennst Amalien nicht; die Liebe wird sich schon finden!« Und sie brachte das Mädchen dazu, dem Baron das Jawort zu geben.

Am Geburtstage der jugendlichen Braut wurde ein glänzendes Verlobungsfest gefeiert, an dem Amalie selbst in kindlicher Fröhlichkeit teilnahm; im nächsten Sommer schon sollte die Hochzeit stattfinden. Nach Berlin zurückgekehrt, machte sich die Gräfin mit Eifer an die Besorgung der Ausstattung. Der Winter verging schnell genug, und schon war der Tag der Vermählung festgesetzt, der Bräutigam hatte bereits das Maß zu den Trauringen genommen, – da tauchte das Gerücht auf, Baron Gersdorff sei ein Betrüger und stecke tief in Schulden. Nun setzte die Tante alle Hebel in Bewegung, um ihre chère nièce vor der Ehe mit einem unehrenhaften Mann zu bewahren, um so mehr, als die Liebe – trotz der Versicherung der Gräfin – sich in Amaliens Herzen nicht »finden« wollte. Auf ihre Veranlassung bewirkte der Vormund des jungen Mädchens, der Preußische Großkanzler Baron von Fürst, die Lösung des Verlöbnisses.

Bald nach diesem romanhaften Erlebnis wurde Komtesse Amalie Hofdame bei der Prinzessin Ferdinand von Preußen, Schwägerin Friedrichs des Großen. Sie benahm sich bei Hofe ebenso unbefangen und natürlich wie daheim und kam jedem Menschen mit so herzlichem Zutrauen entgegen, daß einige Freunde ihrer Mutter – diese selbst konnte sie kränklichkeitshalber nur selten begleiten – sie zu größerer Vorsicht mahnen mußten. Das genügte, um dem klugen Mädchen die Augen zu öffnen über das oberflächliche, oft frivole Treiben der damaligen vornehmen Welt, und Amaliens bisherige harmlose Offenherzigkeit und naive Fröhlichkeit verwandelten sich in hohen sittlichen Ernst, der ihr zwar den Spott ihrer Altersgenossinnen zuzog, aber die Achtung aller älteren Personen ihres Kreises sicherte.

Nach wie vor widmete Amalie ihre Mußestunden der Lektüre, doch war sie jetzt verständig genug geworden, um die Bücher selbst auszuwählen, und ihre Wahl fiel nur noch auf ernste, ja sogar gelehrte Schriften. Ein Buch, das großen Eindruck auf sie machte, war das Werk »Vom Geiste« des französischen Philosophen Helvetius, das damals viel gelesen wurde, obgleich es wegen der darin enthaltenen Angriffe auf Religion und Politik in Frankreich verboten worden war. Amalie gestand später: »Ich wüßte nicht zu sagen, was ich in diesem Buche richtig und unrichtig oder gar nicht begriff. Aber ich war von diesem Augenblick an wie verschlungen in das neue Schauspiel, welches diese Ideen mir eröffneten. Es schien mir, als wäre eine dicke Kruste weggefallen von meinen Augen, welche, noch schwach und unsicher, kaum es wagten, den geblendeten Blick auf so manche neue und verworrene Gegenstände zu heften. Ich dachte und träumte von nichts als von diesen Ideen. Bisher hatte ich noch gar keinen bestimmten Begriff gehabt von Körper, Geist, Sinn, Materie usw. Mancherlei Fragen fielen mir auf, die ich nicht zu lösen wußte, und in dem Verlangen, meiner Wißbegier Genüge zu leisten, legte ich diese Fragen ohne Unterschied einem jeden vor. Ich sprach kreuz und quer über Metaphysik, worüber die Jüngeren mir ins Gesicht lachten, und die Älteren straften mich mit Vorwürfen, weil ich unsinnig spräche und mit Dingen mich befaßte, die einer jungen Dame nicht ziemten.« Sie wurde nun vorsichtiger im Fragen und bat schließlich nur noch ein paar alte Herren – darunter den Baron von Redern, den Onkel ihrer nachmaligen treuen Freundin Sophie Gräfin Stolberg – um Aufklärung, die ihr gern erteilt wurde. Durch solche Gespräche erweiterte sie ihren Ideenkreis und regte ihre Gedanken zu selbständiger Arbeit an; das Ideal von Tugend und Schönheit, das sie in sich trug, gewann an Tiefe und Klarheit, sie begann, ihre Begriffe von sittlicher Vollkommenheit mit der Vorstellung von einem höchsten Wesen zu vereinen, aber sie gelangte noch nicht zu der Überzeugung von der Existenz eines persönlichen Gottes und dessen Beziehung zu den Menschen.

siehe Bildunterschrift

Sophie Gräfin Stolberg-Redern.
Nach einem Aquarell

Es läßt sich begreifen, daß das viele Nachdenken, die anhaltende Beschäftigung mit Büchern und die Vorliebe für ernste Gespräche die junge Komtesse dem gesellschaftlichen Kreise, auf den sie angewiesen war, mehr und mehr entfremdeten. Man verstand sie nicht, spottete über sie und ließ sie deutlich merken, daß man nichts mit ihr zu tun haben wolle, daß sie eine langweilige Gesellschafterin sei, so daß sie zuweilen an sich selbst und ihrem Streben irre wurde. Als reife Frau schrieb sie daher einmal in ihr Tagebuch: »Verfolgungen in der Jugend hatten mir so viel Mißtrauen in mich selbst eingeflößt, daß Liebe mir nicht wohl Tribut meines Verdienstes scheinen konnte und mir immer große Dankbarkeit einflößte.«

Im Sommer des Jahres 1768 mußte Komtesse Amalie die Prinzessin Ferdinand ins Bad nach Aachen begleiten. Dort weilte damals, auf der Durchreise von Paris nach St Petersburg begriffen, der einem angesehenen altrussischen Bojarengeschlecht entstammende Fürst Dimitrij Alexejewitsch Gallitzin Nach der russischen Schreibart richtiger Golizyn., welcher der Prinzessin seine Aufwartung machte und bei dieser Gelegenheit auch deren junge Hofdame kennen lernte. Amaliens Ernst und Natürlichkeit, die so vorteilhaft gegen das gezierte, kokette Benehmen der übrigen Damenwelt abstachen, und ihr bei näherer Bekanntschaft zu Tage tretender Witz und Humor zogen den Fürsten ebensosehr an wie ihr angenehmes Äußere. Sie war nicht schön, hatte scharfe, fast männliche Gesichtszüge, eine starke Nase, einen großen Mund, aber leuchtende blaue Augen, in denen sich Herzensreinheit, Güte und Klugheit spiegelten; ihre Gestalt war eher klein als groß, doch, wie sie selbst gelegentlich erwähnt, »fest und stark, zu jeder Bewegungsart bequem, behend und beugsam«.

Der Fürst fand so großes Gefallen an der Komtesse, daß er schon nach kurzer Zeit, während welcher er soviel als möglich ihre Gesellschaft gesucht und ihr zu Ehren einige glänzende Festlichkeiten veranstaltet hatte, um ihre Hand anhielt. Amalie ihrerseits glaubte in dem dreißigjährigen, weltgewandten und gescheiten Mann, der in Paris mit berühmten Schriftstellern und Gelehrten verkehrt hatte und mit Voltaire und Diderot in freundschaftlichem Briefwechsel stand, einen der besten und gebildetsten Männer der damaligen höheren Gesellschaft kennen gelernt zu haben. Sie liebte ihn nicht, wenngleich er ihr sehr sympathisch war; in einem ihrer späteren Briefe an einen Freund sagt sie: »Mein Herz bedurfte nicht, was man in der Welt Liebe nennt; aber die Neigung, welche den geliebten Gegenstand zu vervollkommnen strebt und wovon das Ideal die tiefsten Wurzeln in mein Gemüt geworfen hatte, war mir höchstes Bedürfnis geworden, und dieses Ideal war mir unabhängig von der Gestalt. Ich fühlte, daß der Fürst alles für mich werden könne, wenn er diese Gesinnungen mit mir zu teilen fähig wäre.« Er sollte ihr helfen, klüger und besser zu werden, sollte sie in ihrem Ringen um Vervollkommnung unterstützen, ihre wissenschaftliche und sittliche Erziehung vollenden. So erklärte sie ihm denn, sie werde seinen Antrag annehmen, wenn ihre Mutter ihre Wahl billige. Es wurde sofort ein Kurier nach Berlin geschickt, der nach einigen Tagen mit der Einwilligung der sehr erfreuten Gräfin zurückkehrte, und da Gallitzin zur bestimmten Zeit am Petersburger Hofe eintreffen mußte, fand die Vermählung ohne Aufschub in einer Kapelle zu Aachen statt (10. August 1768).

Das junge Paar reiste über Brüssel und Berlin nach St Petersburg, wo der Fürst seine Gemahlin der ihm sehr wohlgesinnten Kaiserin Katharina vorstellte. Amalie wurde bei Hofe aufs liebenswürdigste ausgenommen und mit dem fast freundschaftlichen Vertrauen der Zarin beehrt; unter anderem erhielt sie den Auftrag, vom Haag aus, wohin Gallitzin sich demnächst als Gesandter begeben sollte, nach Paris zu fahren und dort einen großen Einkauf kostbarer Spitzen für sie zu besorgen. Die Fürstin freute sich, bei dieser Gelegenheit »die nach dem Urteil der großen Welt als den alles übertreffenden Sitz des Schönen und Erhabenen geachtete Stadt Paris« kennen zu lernen, doch, so berichtet ihr Biograph Dr. Katerkamp, »die Beobachtungen, welche sie daselbst machte, stimmten merklich ihre Hochachtung herab; zwar wurde sie beim ersten Eintritt in die Gesellschaften geblendet durch das Farbenspiel wetterleuchtenden Witzes, bald merkte sie aber, daß in diesem Blendwerke nur ein kleiner Kreis stets wiederkehrender Ideen sich bewegte. Gleichwie die Gesellschaft sprach auch die hochbewunderte Philosophie bei näherer Bekanntschaft der Pariser Gelehrten ihren Geist nur wenig an«.

Bevor Fürst Gallitzin den Gesandtschaftsposten am holländischen Hofe antrat, nahm das junge Paar für einige Zeit in Berlin Aufenthalt. Hier gebar die Fürstin am 7. Dezember 1769 ein Töchterlein, das den Namen Marianne erhielt, und dem am 22. Dezember des nächsten Jahres im Haag ein kleiner Dimitrij folgte. Beide Kinder, von den Eltern Mimi und Mitri genannt, wurden katholisch getauft, wahrscheinlich, weil der der griechischen Kirche angehörende Fürst religiösen Fragen viel zu gleichgültig gegenüberstand, um zu verlangen, daß die Kinder in seinem Glauben erzogen würden.

Im Haag legte die Stellung ihres Gemahls der Fürstin gesellschaftliche Pflichten auf, denen sie sich anfangs recht gerne unterzog. Es schmeichelte ihr, daß sie, die als junges Mädchen so oft über die Achsel angesehen worden war, jetzt eine große Rolle in der vornehmsten Gesellschaft spielen durfte, daß man ihren Geist, ihre Liebenswürdigkeit, ihr musikalisches Talent pries; sie kam sich beinahe wie eine der Romanheldinnen vor, die sie in ihren Backfischtagen so sehr bewundert hatte. Der Ernst der letzten Jahre war einer fast übermütigen Fröhlichkeit gewichen, und das Ideal der Vollkommenheit, das sie im Herzen getragen hatte, verlor an Glanz. Eine Schilderung ihres damaligen Wesens findet sich in einem Briefe des französischen Philosophen Diderot, der, von der Kaiserin Katharina nach St Petersburg eingeladen, auf der Reise dorthin im Sommer 1773 im Haag weilte und viel mit dem ihm befreundeten Gallitzin verkehrte. Er schrieb nach Paris: »Die Fürstin ist eine sehr lebhafte, sehr lustige, sehr geistreiche Frau von recht angenehmem Äußern, mehr als ziemlich jung, unterrichtet und voller Talent; sie hat viel gelesen, sie spricht mehrere Sprachen, wie das bei deutschen Damen meist zu sein pflegt, sie spielt Klavier und singt wie ein Engel; sie ist reich an freimütigem und treffendem Witz. Dabei ist sie gutherzig: gestern bei Tisch sagte sie, es sei so süß, Unglücklichen zu begegnen, daß sie es der Vorsehung gern verzeihe, einige davon auf den Straßen verteilt zu haben ... Sie ist äußerst empfindsam, fast ein wenig zu sehr, um glücklich zu sein. Da sie Kenntnisse und Gerechtigkeitsgefühl besitzt, disputiert sie zuweilen wie ein kleiner Löwe.«

Doch die Freude, welche die Fürstin Gallitzin an dem neuen Leben fand, war nicht von Dauer. Wie es bei ihrer ganzen Charakterveranlagung gar nicht anders sein konnte, ward sie bald des hohlen Gesellschaftstreibens müde, der Triumphe ihrer Eitelkeit überdrüssig. Nun erinnerte sie sich, daß sie den Fürsten nicht geheiratet hatte, um sich von ihm in die Welt führen zu lassen, sondern um an ihm einen Berater, einen Erzieher zu finden, um mit ihm ihrem hohen Tugendideal nachzustreben. Nur zu bald mußte sie jedoch erkennen, daß sie sich in ihm bitter getäuscht hatte, und daß sein Ideal von dem ihren sehr verschieden war. Vor allem gebrach es ihm an Willenskraft, ein Mangel, der ihr, der ungewöhnlich energischen Frau, am unangenehmsten auffiel. Gutmütig, liebenswürdig, verschwenderisch, gern mit Gelehrten verkehrend, ohne selbst gelehrt zu sein, obwohl er sich den Anschein davon gab, den Ernst des Lebens übersehend und sich um religiöse und sittliche Fragen nie bekümmernd, – so verbrachte der Fürst seine Tage, die mehr dem Genuß als der Arbeit geweiht waren. Die glänzende Rolle, die seine junge Gemahlin an seiner Seite spielte, schmeichelte ihm; er war zärtlich um Amalie besorgt, bemühte sich, ihr stets neue Vergnügungen zu verschaffen, und hatte dabei nicht das geringste Verständnis für ihr Geistes- und Seelenleben, für das Suchen nach Wahrheit, bei welchem er ihr Führer hätte sein sollen.

Die traurige Entdeckung, daß sie in ihrem Streben und Ringen doch wieder nur auf sich allein angewiesen war, daß ihr Traum von gemeinsamem Arbeiten, von gegenseitigem Stützen auf dem Pfade, der zur Vollkommenheit führen sollte, unerfüllt bleiben müsse, machte die Fürstin tief unglücklich. »Vergebens«, so schrieb sie später in der Erinnerung an diese Zeit in einer Skizze über ihren Lebenslauf, »warf ich mich nun noch mehr als jemals in die Arme der Zerstreuungen und Lustbarkeiten der großen Welt; ich brachte aus diesem ewigen Kreis von Spielen und Besuchen und Schauspielen und Tänzen und Nichtigkeiten immer des Abends nur ein vermehrtes, vergebliches Streben nach etwas Besserem, das ich dennoch nicht kannte und keinem anvertrauen durfte, nach Hause; ich schlief selten ohne Tränen ein. Mir war wie jenen Schauspielern, die auf der Bühne andere belustigen, indes sie selber bittere Tränen vergießen.«

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