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Rauchpeter.

Vater Zehse selbst trug keuchend einen Armvoll trockenen Holzes herein, der Hüterjunge Janzit wurde hinausgejagt, dürre Späne zu holen, und der Knecht Martin kam mit Birkenrinde herbei. Alle umstanden in großem Halbkreise den neuen Ofen.

Peter Swirgsd hatte die lehmbeschmutzte Schürze abgenommen und wusch seine knochigen Hände. Seine bläulichen, von dünnem, grauem Bart beschatteten Lippen waren fest zugekniffen, als sollten sie irgend ein wichtiges Wort zurückhalten. Die grauen, tief eingesunkenen Augen hüteten sich, den erwartungsvollen Blicken der Zehseleute zu begegnen, und in dem gelbgrauen, hageren Gesichte zuckte es. Peter Swirgsds Hände zitterten, als er nun, auf den Knien liegend, feingespaltenes Birkenholz in den Ofen stopfte. Es war das kein gewöhnlicher Ofen: Peter hatte ihn auf ganz besondere Art aufgemauert, mit dreifachen Röhren und so, daß er sowohl langsam als auch schnell heizen konnte, – wenigstens behauptete das Peter selbst. Diese Art des Ofensetzens hatte er niemand abgeguckt, sondern im vergangenen Winter selbst erfunden, – erfunden und ausprobiert mit kleinen, selbstverfertigten Ziegelchen. Und nun war Zehses Ofen fertig, und Zehse und die anderen Hausgenossen umstanden ihn und sahen zu, wie er angeheizt wurde, und Peter bemühte sich zu verbergen, wie ihm dabei die Hände zitterten.

Peter hatte die letzten Holzscheite in den Ofen gestopft und trocknete sich den Schweiß von der Stirne, an der die dünnen, hellgrauen Haarbüschel klebten. Jetzt erst kam es ihm zum Bewußtsein, welch' große Verantwortung er mit diesem Ofen auf sich geladen hatte. Wenn der Ofen nun nicht zog?

Vater Zehse war noch der einzige, der an Peters neue Erfindung glaubte. Die andern hatten schon genug von seinem Kochherde, in dem man angeblich Weißbrot und Braten zu gleicher Zeit bereiten konnte. Einen solchen Herd hatte Peter im Winter vor drei Jahren erdacht und dann dem Lejis gemauert. Doch der Braten war. roh geblieben und das Brot hatte sich nicht einmal mit einer Kruste bezogen. »Der unausgebackene Maurer«, so wurde Peter noch heute genannt, obgleich er den Fehler des Herdes längst ergründet und verbessert hatte. – Und wenn der Ofen nun keinen Zug hatte? Und wenn Peter den Vater Zehse betrogen hatte? Vater Zehse, den einzigen Menschen, dem vor seinem neuen Ofen nicht bange gewesen war!

Jetzt ist der Ofen vollgestopft und Peter Swirgsd richtet seine dürre Gestalt gerade auf.

»Zuerst werden wir das langsame Heizen ausprobieren,« sagt er und faßt einen Griff, »seht, wenn man diesen Schieber auf diese Seite rückt«, – irgendwo im Innern des Ofens klappert etwas. Vater Zehse tritt heran und rückt ebenfalls an dem Griff. Auch bei diesem Ruck klappert es da innen. Nun will auch die Hausfrau die Geschichte probieren, doch Vater Zehse hält sie zurück. »Laß nun Peter selbst –,« sagt er und in seiner Stimme liegt unverhohlene Ehrfurcht vor »Peter selbst«. Dann zündet er ein Zündholz an und reicht es dem Maurer.

Knisternd beginnt die gelbe Birkenrinde sich zu drehen; schwarzer Rauch wirbelt schnell in die Höhe, zieht sich langsam in den rückwärtigen Teil des Ofens, schlüpft über die Holzscheite, als wolle er aufmerksam in das Innere schauen, – und wälzt sich dann wieder zurück, zur schwarzen Wolke geballt. Peter sieht das alles recht gut, doch er will nicht glauben, daß der Rauch zurückschlägt. Er bläst in den Ofen hinein; die Flamme schlängelt sich ein wenig in den Hintergrund und fährt dann wieder zurück, ihr ungehorsames Haupt in schwarzem Rauch verbergend. Und Peter fühlt, wie der heiße Rauch an seiner Stirne vorbei nach oben steigt.

»Zieht nich!« sagt irgend wer hinter Peters Rücken.

Peter fühlt, daß soeben das Urteil über ihn und sein Werk gesprochen wurde, allein er will diesem Urteilsspruch nicht glauben. Gleich, gleich wird der Ofen zu ziehen anfangen und alles wird gut sein! Er muß ziehen, es ist ja nicht anders möglich!

»Die Luft hat sich noch nicht erwärmt,« sagt Vater Zehse bedächtig; »wenn ein Ofen lange nicht geheizt wurde, zieht er immer schlecht – bis die Luft sich erwärmt hat!«

Peter sieht, daß hier weder von gutem noch von schlechtem Zuge die Rede sein kann, denn die Stube ist schon voller Rauch. Doch er will glauben, daß Zehse recht hat.

»Der Schieber wird zu sein,« sagt der Knecht Martin prustend. Peter weiß, daß der Schieber auf ist, dennoch rüttelt er am Griff.

»Du solltest es zuerst mit dem schnellen Heizen probieren,« meint Vater Zehse aufmunternd; »wenn die Luft sich erwärmt hat, versuchst du das langsame.«

Peter sträubt sich. »Nein, es muß auch so geh'n!« sagt er ärgerlich, »schließt die Tür!«

Die Tür wird geschlossen. Die Zuschauer neigen sich niedriger. Die Hausfrau selbst hat sich dicht hinter Peter niedergehockt und blickt ihm über die Schulter in den Ofen. Auch Vater Zehse setzt sich nieder. Die Stube füllt sich mehr und mehr mit Rauch.

»Janzit, geh' und steh', ob der Rauch schon aus'm Schornstein steigt!« befiehlt Zehse, und Janzit läuft hinaus, die Tür offen lassend.

»Aus'm Schornstein raucht's nich,« schreit er, »aber aus der Tür wohl, und aus'm Fenster auch!«

»Macht das Fenster zu!« ruft der Maurer; sein eingefallenes Gesicht ist vom Pusten gerötet. Vater Zehse geht zum Fenster und schließt es.

»Raucht's jetzt durch den Schornstein?« ruft er dem Jungen zu.

»Nein, und durchs Fenster auch nich mehr!« lautet die Antwort.

Der Knecht Martin geht zur Tür hinaus. Ihm folgen zwei Frauenzimmer. »Rauchpeter!« tönt es von draußen herein.

Der Trotz regt sich in Peters Herzen. »Und er hat doch Zug!« knurrt er; seine Augenbrauen ziehen sich zusammen und die bläulichen Lippen beben unter der dünnen Nase.

»Peter, versuch's mit dem Schnellheizer!« sagt Vater Zehse, dessen Augen durch den Rauch voller Tränen sind, »versuch's mit dem Schnellheizer! Man kann ja ersticken!«

Peter streckt unsicher die Hand aus und irgendwo im Ofen klirrt ein andrer Schieber. Ganze Rauchwolken fahren ihm ins Gesicht.

»He! Peter! lauf' nach Haus, – ein Junge is da!« ertönt plötzlich an der Tür eine atemlose Frauenstimme.

Peter Swirgsd hört nicht. In dumpfer Verzweiflung sieht er, daß auch der »Schnellheizer« nichts hilft. Heiß steigt ihm das Blut zu Kopfe und sein Herz krampft sich zusammen.

»He, Peter Swirgsd! hörst du?« tönt die Stimme wieder und Martin setzt hinzu: »Maurer, du wirst gerufen!«

»Was denn?« fragt Peter.

»Bei dir is ein Junge angekommen, lauf' nach Haus!«

»Was für ein Junge?« stottert Peter verständnislos, mit der Hand den Rauch abwehrend.

»Ein kleiner!« erwidert die Stimme.

»Wo?«

»Bei dir!«

»Bei mir? Was für'n Unsinn!«

Doch das Weib läßt nicht ab. »Deine Frau hat'n kleinen Jungen gekriegt, Peter; man hat mich geschickt dich zu holen.«

Ein paar Augenblicke lang blieb Peter mit aufgerissenem Munde am Ofen hocken, dann fuhr ein neuer Gedanke durch seinen erhitzten Kopf. Wie ein angeschossenes Tier sprang er auf und stürmte zur Tür hinaus, so wie er war, ohne Rock und Hut.

»Wart' doch, Peter, wart'!« rief Vater Zehse ihm nach, »ich weiß ja nicht, welches die verschiedenen Schieber sind!«

Doch Peter Swirgsd war schon am andern Ende der Allee. Dort rannte ihm der Nachbar in die Quer, eine Ofengabel auf der Schulter und einen Eimer in der Hand, schon von weitem rufend: »Wo brennt's? wo brennt's?«

Peter schwang sich kaum zu der Antwort auf: »Ein Junge! ein Junge!« und der Nachbar blieb unentschlossen stehen: sollte er nun laufen, Zehses neues Wohnhaus löschen, das wie ein Feuerherd an allen Ecken und Enden rauchte, oder sollte er dem verrückten Peter folgen, der geradenwegs durch das Gerstenfeld dahinrannte?

»Ganz richtig war's mit ihm längst nicht mehr!« dachte der Nachbar im Weitereilen, »der Heidenmensch hat gewiß Zehses Haus angezündet!«

Wenn man der Straße folgt, hat man bis Attaugen etwa fünf Werst 1 Werst – 1060 Meter.zurückzulegen; aber heute hatte Peter keine Zeit, an die Straße zu denken. Zuerst durch Zehses Gerstenfeld, dann durch Nachbars Kartoffelacker, dann über die abgemähte Wiese und das Stoppelfeld, dann über den frischgesäten Roggen und das Mengkorn, – durch den Hafer, – über die Viehweide, – es konnte noch keine halbe Stunde vergangen sein, als er vor dem Attaugenschen Wohnhause ein wenig zu sich kam.

Peter Swirgsd lebte nun schon das achte Jahr in Attaugen. Anfangs hatte er sich nur für den Winter dort einquartiert, denn im Sommer konnte er ja nur selten zu Hause sein. Aber – ich weiß nicht, wie's dazu gekommen war: an einem schönen Frühlingssonntage wurde er mit der Schwester des Attaugenschen Bauern kirchlich aufgeboten. Und der Bauer hat dem Schwager und der Schwester ein Zimmerchen als Wohnung überlassen – »solange sie selbst dableiben wollten.« Peter hatte eine ins Freie führende Ausgangstür durchgebrochen, dagegen die Tür zum Zimmer des Wirtes zugemauert. So konnte man sagen, daß sie »ganz für sich« dort hausten. Die Frau ging im Sommer zum Bauern auf Taglohn arbeiten, im Winter spann und webte sie. Peter selbst kam im Sommer höchstens zum Sonntage heim, im Winter aber saß er Tag für Tag an dem eigenhändig gesetzten Ofen und stellte Ziegelchen zusammen. »Ganz wie ein kleines Kind!« pflegte seine arbeitsame Madde zu sagen. Anfangs hatte sie Herz und Mund keinen Zwang angetan, aber es war schwer, mit Peter zu zanken: er hörte die Schelte ruhig an, neigte zustimmend den Kopf oder wiegte ihn hin und her, ganz als wollte er sagen: »Ja, ja, schlecht ist er, – so ist er wohl, der Peter Swirgsd!« und fuhr fort, mit seinen Ziegelchen zu kramen. Nur wenn das Herz vor Ärger schon gar zu sehr zum Munde heraus wollte, versetzte Madde ihrem Manne zwei, drei Klapse auf den Rücken, aber nach einer kleinen Weile tat's ihr dann selber leid. »Was soll man machen, – so hat Gott nu 'mal das Mannchen erschaffen!« seufzte sie dann, »aber von Herzen is er ja nich schlecht!«

So lebten sie in ihrem Stübchen nun schon sieben Jahre, und die Welt wußte nichts weiter von ihnen, als daß Peter seine Wohnung in jedem Jahre frisch ausweißte – Madde ging noch lange nachher mit kalkbespritzten Ärmeln und weißem Rücken herum – und daß er den Herd in jedem Herbste von neuem setzte; das hörten die Nachbarn an Maddes Gezänk. Im übrigen herrschte in der Stube Tag und Nacht tiefe Stille; nur Maddes Webspule und Peters Fiedel verrieten zuweilen den Hausgenossen, daß jenseits der Wand noch Menschen wohnten. Und Peter liebte diese Stille ganz besonders. Sobald der Feierabend gekommen war, wusch er sich schnell, kleidete sich an und eilte, ohne das Abendbrot abzuwarten, nach Attaugen, oft zehn bis fünfzehn Werst weit. Bei der großen Birke am Kreuzwege machte er halt: von dort konnte er Maddes Fenster erblicken. Und wie warm wurde ihm dann ums Herz, wenn er das kleine Lämpchen aus dem Fenster leuchten sah, wie ein kleines rotgoldenes Sternlein im Frieden der Sommernacht! Was sind es doch zuweilen für nichtige Dinge, um die sich unser Denken und Sehnen dreht!

Doch jetzt stand Peter Swirgsd ganz erschreckt vor seiner Tür, wie im Zweifel, ob er nicht am Ende falsch gegangen sei. Aus dem Zimmerchen drang ein eigentümlicher Ton – halb Quieken, halb Piepen – einmal ums andre, wie das Winseln eines getretenen oder geprügelten Hündchens. Und dazwischen erklang eine Stimme, – Maddes Stimme kannte er, die klang anders. Plötzlich schoß es ihm durch den Kopf: »So weinen ja ganz, ganz kleine Kinder!« und ein Schwindel erfaßte ihn. Beinahe stolpernd stürzte er in die Stube, vor übermächtiger Freude laut schreiend: »Madde, ist's wahr?« Dann aber erschrak er: sein sonst so helles Zimmerchen war fast dunkel, das Fenster verhängt, und aus der Ecke, wo sich das Bett seiner Frau befand, wandte sich ihm ein wütendes altes Gesicht zu, dessen zahnloser Mund ihm entgegenzischte: »Wirst du still sein, Vieh!«

Peter blieb dort an der Tür wie angenagelt stehen und fragte sich betrübt, was denn da in der Ecke eigentlich vor sich ginge und wieso er soeben zu der Ehre gekommen, »Vieh« genannt zu werden? Allein seine Augen gewöhnten sich bald an das Dunkel und er begann in der Stube allerlei Gegenstände zu unterscheiden, die er sonst nie darin gesehen: eine kleine Badewanne auf dem Stuhle, einen Wasserschöpfer, Seifenstücke; an der Wand hingen hier und da kleine Kleidungsstücke und ein breites, gestricktes Wickelband. Nun erblickte er auch den krummen Rücken einer alten Frau und ein kleines weißes Bündel, das sie in den Armen wiegte, und dann, dort im Hintergründe, Maddes blasses, von wirrem Haar umgebenes Gesicht auf dem Kopfkissen, und Madde lächelte so müde, wie nach überstandenem Leiden ... So hatte sie noch nie gelächelt, wenn sie ihn angeschaut hatte, und Peter war's, als würden ihm die Augen heiß und als würgte ihn etwas in der Kehle. Als er sich ein wenig gefaßt hatte, trat er leise an das Bett, streichelte mit den Fingerspitzen Maddes feuchte Stirn und flüsterte: »Madde, ist's denn wahr?«

Maddes matte Hand ergriff Peters Finger und legte sie an ihre Wange. Dann blickte sie nach dem Bündelchen im Schoß der Alten und sagte: »Hast du geseh'n, was für ein hübsches Naschen er hat? Ganz dein Gesicht!«

Peter wandte sich um und ging auf den Fußspitzen zu der Alten. Anfangs wußte er nicht recht, an welchem Ende des Pakets er eigentlich das »hübsche Naschen« suchen sollte, dann jedoch entdeckte er trotz der Dämmerung ein rotes, rundes Etwas von der Größe einer guten Kartoffel, ganz in ein wollenes Wickelband eingehüllt. Sollte dieses Etwas ein Mensch mit Mund und Nase sein? – Und Peter überkam auf einmal ein grenzenloses Mitleid mit der Schwäche dieses kleinen Dingelchens; er fühlte, daß aus seinen Augen etwas Heißes zum grauen Schnurrbart hinabrieselte, und beschämt und erschreckt lief er zur Tür hinaus und verbarg sich im Strohschober hinter der Tenne.

Im kritischen Moment zur Tür hinauslaufen, das ist keine Kunst. Die Kunst beginnt, sobald es gilt, für dieses Davonlaufen eine taugliche Erklärung zu finden, wenn die unterbrochenen diplomatischen Beziehungen wieder ausgenommen werden sollen. Das fühlte auch Peter, als er nun in Hemdärmeln in dem aus diesjährigem Roggen gedroschenen Stroh saß. Es war ihm klar, daß er hier nicht übernachten konnte. Und was sollte Madde von ihm denken? Das arme Menschenkind hätte dem Manne doch gewiß gern von seiner Freude gesprochen und davon, wie's nun werden sollte, – der Mann aber war davongerannt wie der Ochs vor den Bremsen! Und ganz verzagt blickte Peter um sich. Je mehr er sich mühte, sich auszumalen, was Madde von seiner Flucht denken würde, umso verworrener wurde es in seinem Kopfe. Die Zeit verrann und Peters Unruhe stieg wie ein Bienenschwarm am Apfelast. Endlich erhob er sich und ging um die Tenne herum, um wenigstens um die Ecke nach seinem verhängten Fensterchen zu blicken. Auf dem Hof war alles still, nur der Hahn gluckste hie und da, seine Hühner zusammenrufend, und eine große schwarze Fliege lief über das Beil, das in dem Holzblock inmitten des Hofes steckte. Peter sah die Unruhe der Fliege.

»Was rennt sie auf dem Beil herum?« dachte er, »ist damit vielleicht Fleisch gehackt worden? Das ist das Beil des Bauern –« Und plötzlich brach ein Sonnenstrahl durch die wirren Wolken seiner Gedanken! »Eine Schwungstange« Die russischen und lettischen Bauern befestigten früher die Wiege an einer biegsamen Stange, die an den Balken der Zimmerdecke angebracht wurde und bei dem leisesten Stoß auf und nieder schaukelte. für die Wiege!« hätte er beinahe laut ausgerufen; dann ergriff er das Beil und eilte im Trabe über den Weideweg dem Walde zu.

Ich kenne jenen Wald. Er steht gleich hinter meines Vaters Weideplatz. Jetzt ist er ja wohl ausgehauen, klafterweise als Brennholz aufgestapelt und mit der roten Kreide des Buschwächters = Waldhüters. bezeichnet. Damals aber war dort noch alles voller Frische und Leben. Die Haselnußsträucher durchbrachen unsre Grenzlinie, breit, üppig, voll grünfaseriger Nußbüsche, und hinter den Haselnußsträuchern standen jene unzähligen Birken: schlank, frisch, weiß, mit den großen weichen Blättern, eine dicht bei der andern, und eine wie die andere strebte höher, immer höher in die blaue Luft hinauf. Noch ahnten diese Birkenstämmchen nicht, daß es ihnen bald in der Heimatserde zu eng werden sollte, daß die größeren den kleineren Brüderchen Luft und Licht rauben, daß die kleineren die allerkleinsten bedrängen würden, als wollten sie die ganze Welt mit ihren schlanken Asten erfüllen. So trieben sie dort Schößling um Schößling, wuchsen und freuten sich, daß die Welt so weit war und daß ihre Häupter, von keiner Grenze beengt, sich strecken konnten. Die alten Baumstümpfe aber zogen allmählich eine grüne Moosdecke über das Haupt, und im Herbste streuten ihre Kinder mit leichter Hand gelbe Blätter über sie. Und die alten Stümpfe klagten nicht mehr über ihr zerstörtes Leben: durch das grüne Moos und die gelben Blätter hindurch hörten sie wie im Traume ihrer Kinder Hoffnungslied.

Ich kenne auch jenen Baumstumpf, auf dem der Rauchpeter saß, als er für seines Kindes Wiege eine Schwungstange zurechtschnitt. Das Geräusch der Außenwelt gelangt nur im Verhallen bis zu jenem Platze, und die Birkenstämmchen und Haselnußsträucher stehen im Herbstfrieden da wie in einer stillen, durchsichtig grüngoldigen Flut; die herabfallenden Tannenzapfen rascheln wie Schilfblätter durch diesen Strom von Stille und das Eichkätzchen schießt darin gleich einem Silberfischlein hin und her.

Dort saß Peter auf dem bemoosten Baumstumpf und die braunen Zweige einer schlanken Birke fielen, von seinem Messer getroffen, raschelnd auf das grüne Moos. Hoch am blauen Himmel bemerkte er eine weiße Wolke, und über den Wipfeln der Bäume ertönte das Geschrei abziehender Kraniche. »Herbst«, flüsterte er, und das Birkenbäumchen entglitt seinen Händen. Seltsame Gedanken bewegten plötzlich seine Seele: warum erschien ihm der Herbst diesmal nicht so traurig wie in anderen Jahren? Sonst, wenn Heuschober an Heuschober sich auf der gemähten Wiese erhebt, wenn des Schnitters Sense laut im Roggenfelde erklingt, wenn die Sonne irgendwo anders glüht, während über die Erde merkliche Kühle weht, wenn in der Luft weiße Fäden schwimmen, – dann schwimmt mit diesen Fäden auch alles Denken und Hoffen und Erwarten davon, nirgends ein grüner Zweig, an den man sich klammern könnte! Und dann ruft das Herz sehnsüchtig den Sommer zurück; es möchte ihn halten, ihn und alles das, was es von ihm erwartete. O Herz, dann fühlst du es deutlich, daß deine Lebenssonne sich abwärts neigt und daß dein unbearbeiteter Acker nicht mehr vom Lärm der Ernte widerhallt! Dann ist dir's, als müßtest du mit dem Sommer vergehen, als solltest du mit den Zugvöglein ziehen, wenn du nur eine Heimat hättest, in welche du eilen dürftest!

Rauchpeter gedachte des Sommers, den er verbracht hatte, ohne etwas von all der Pracht ringsumher zu sehen oder zu hören. Und schau, nun röten sich schon die Espenblätter, und des Kranichs Schrei tönt durch den Wald. Und trotzdem beginnt Peters Herz zu jubeln und ihm zuzuflüstern, daß ein neuer Frühling komme, daß nur das Alltagsleben vergehe, er selbst jedoch weder vergehen noch sterben könne. Da versteht er plötzlich, was die Zugvögel empfinden, die eine doppelte Heimat haben: indem sie der einen ade sagen, grüßen sie schon die andere. Und hat denn er nicht auch eine doppelte Heimat? Und wird nicht alles, was in seinem Herzen erlischt und was mit seinem Sommer verschwindet, wird das alles nicht in seinem Sohne von neuem aufsprießen?

Peter erinnert sich wieder des winzigen, hilflosen Bübchens, das ihm von nun an Bürge sein sollte für jene andere Heimat und das in seiner kleinen Hand alles das hielt, was die Lebensstürme im Laufe der Jahre dem Vater genommen hatten. O, ihr kleinen, kleinen Händchen, haltet ihr das alles wirklich?

Großes Mitleid und große Freude, wie über einen heimlichen Schatz, erfüllte Rauchpeters Herz. Er warf sich mit dem Gesicht ins kühle Moos und weinte und lachte und fühlte sich geborgen, wie der Schiffer, der morgens beim Erwachen sich und seine kostbare Ladung im sichern Hafen sieht.

»Guten Tag, Peter!« ertönte auf einmal dicht neben ihm eine rauhe Stimme.

Peter fuhr zusammen und blickte wie geistesabwesend auf den Buschwächter, der seine Pfeife stopfend vor ihm stand. Es war eigentlich ein Verwandter von Peter, der Taufpate seiner Frau; dennoch schämte Peter sich jetzt vor ihm: er hatte ohne des Buschwächters Wissen das Birkenbäumchen abgehackt und dann – – ja, welcher erwachsene Mensch wälzt sich denn auf dem Moose und lacht und weint zu gleicher Zeit?

»Ich habe so gräßliche Zahnschmerzen –« log Peter stammelnd.

»Und mit dieser Stange wolltest du sie wohl vertreiben?« fragte der alte Buschwächter, die Pfeife in den Mundwinkel steckend und nach Zündhölzchen suchend. »Ich kenne deine Zahnschmerzen, Peter, ich kenne sie! ach ja!« Er seufzte und setzte sich auf den nächsten Baumstumpf.

»Ich könnte es ja – vielleicht – bezahlen –« meinte Peter unsicher, auf das gefällte Bäumchen blickend.

Über des Buschwächters derbknochiges braunes Gesicht huschte ein Lächeln.

»Für Wiegenstangen verlangt unser Herr keine Bezahlung,« erwiderte er, »das ist ein für allemal so eingeführt. Aber was wirst du nun machen?«

»Wieso, ich?«

»Nun wie denn, du!«

»Nu – nach Haus werd' ich geh'n.«

»Ach! wie ein Kind bist du!« rief der Buschwächter ärgerlich; »so sag' mal, – wieviel Geld hast du denn noch im Haus?«

»Ich weiß nicht – vielleicht hat die Frau noch was –« antwortete Peter erschreckt.

»Wann hast du ihr zum letztenmal Geld gegeben?«

Peter kratzte sich hinterm Ohr. »Es wird wohl schon recht lange her sein –« meinte er betrübt.

»Nu also!« schalt der Buschwächter; »und von wem hast du noch Geld zu kriegen?«

»Von Zehse, – eben jetzt hab' ich ihm einen Ofen gemauert –« brachte Peter tief errötend über die Lippen.

»Für den Ofen willst du dir noch zahlen lassen?« ereiferte sich der Alte, »sei froh, wenn Vater Zehse dich nicht verklagt! Das ganze Haus wär' beinah' niedergebrannt!«

»Das ganze Haus?« rief Peter erbleichend.

Der Buschwächter zog ein paarmal an seiner Pfeife. »Nu, und womit willst du denn die Taufe ausrichten?« fragte er nach einer Weile.

»Wie denn, womit?«

»Hast du Geld?«

»Geld? – aber – vielleicht könnte man – vielleicht so – ohne Geld!«

»Ohne Geld kann man nicht 'mal sterben!« erwiderte der Buschwächter kurz; »das erste Kind, – das einzige Kind, – und er will nicht 'mal die Taufe feiern!«

Peter schoß es heiß in die Augen. »Wie werd' ich denn das nicht wollen –« die Stimme versagte ihm.

»Nu, und womit wirst du die Kuh kaufen?« fragte der Buschwächter wieder in barschem Tone.

»Die Kuh? muß auch eine Kuh gekauft werden?« Peter stammelte es mit ängstlich aufgerissenen Augen.

Der Buschwächter stopfte mit dem Fingernagel den Tabak tiefer in die Pfeife, entlockte ihr einige dicke Rauchwolken, spuckte aus und sprach: »Ich sag's ja, Peter, du bist ein ganzes Kind. Was denkst du dir denn, wovon soll dein Weib nun leben? Soll sie mit'm Säugling auf'm Arm auf Tagelohn ausgeh'n? Wenn Ihr wenigstens ein Schweinchen hättet oder ein Kuhchen – auf'n Augenblick könnt' sie ja zum Stall laufen, das Vieh füttern –, so wär' doch ein Schluckchen Milch da und ein Bissen zum Zubeißen! Aber was denn nun? Auf Erwerb kann sie nicht geh'n, – zu Haus ist keine Arbeit, – und ganz ohne Geld! Und du selber, was bist denn du für'n Verdiener? Sag', was werdet Ihr beide mit'm Kindchen anfangen?«

Peter saß da wie zerschmettert. Von dieser Seite hatte er das tägliche Leben noch niemals angesehen. Ja, was nun anfangen? Das Kind braucht Essen, die Frau braucht Brot – und der Buschwächter hat recht: der Sommer ist schon vorüber, – wieviel kann er jetzt noch verdienen?

»Und Kleidungsstücke sind doch auch nötig,« fuhr der Buschwächter vorwurfsvoll fort, ohne Peters Antwort abzuwarten. »Hast du auch bemerkt, was dein Weib noch an Kleidern hat? und wann sie wieder in die Kirche will, was soll sie da anziehen? Alle Männer sind froh, wenn sie der Frau was zum Anzieh'n kaufen können, – hast du was gekauft, für etwas gesorgt? Und wenn sie selbst auch nichts sagt, – sieht man denn nicht, wie traurig sie in der Kirche die andern Weiber anblickt, wenn die in neuen Kleidern vorbeigeh'n? Auch sie hat doch ein menschliches Herz! Aber du, wann hast du wohl an sie gedacht?« – Ärgerlich zerbrach er einen dürren Ast.

Große Tränen rannen Peter in den grauen Bart, so schnell, als wollte eine die andere fangen. »Taufvater,« schluchzte er, »ich bin ein nichtsnutziger Kerl! Jahr für Jahr quält sie sich und duldet still und verdient für mich – und ich sehe das alles nicht!« Und er schlug beide Hände vors Gesicht.

»Das ist eben die Sache, daß du nicht Augen hast!« schalt der Buschwächter, »wie im Schlaf gehst du umher, – weiß nicht, was du für Dummheiten im Kopf hast. Und das will nun Vater sein!«

»Und der Sommer ist schon vorbei,« schluchzte Peter, »und Zehses Ofen zieht nicht – und andere Arbeit gibt's nicht mehr –« und wand und krümmte sich, als wollte ihn jemand aus voller Kraft schlagen.

»Und nun wirst du wieder den ganzen Winter beim Herd sitzen und wie'n Kind mit kleinen Ziegelchen spielen,« warf der Alte ein, »und wirst zuseh'n, wie Weib und Kind frieren und vor Hunger sterben.«

Peters Mitleid überwog seine Beschämung: laut weinend warf er sich wieder zu Boden, raufte bald sein Haar und bald das Moos und jammerte immerzu: »Wer ließ mich Maurer werden? Wer ließ mich Maurer werden? Und mir gefiel diese Arbeit so sehr!«

Der Buschwärter räusperte sich ein-, zweimal, doch Peter achtete nicht darauf. Da packte der Alte den unglücklichen Maurer an der Schulter und schüttelte ihn derb.

»Laß jetzt die Possen!« sagte er streng, »hier aus dem Moos kannst kein andres Handwerk herausscharren. Und essen müßt ihr doch den Winter hindurch.«

Von Schmerz gerissen fuhr Peter wieder in die Höhe. »Ja, was soll ich anfangen? ach, was soll ich anfangen? Mir steht der Verstand still!«

Der Buschwächter räusperte sich wieder. »Nu – eine Arbeit wüßte ich noch,« meinte er, »aber versprichst du, so zu mauern, wie man's dir sagt, und nicht so, wie du selber denkst?«

»Taufvater, gib mir nur Arbeit!« bat Peter mit gefalteten Händen, »gib nur Arbeit und glaub' mir, daß ich jetzt so arbeiten werde, wie sich's gehört.«

»Ganz so wie andere Meister? alle Röhren ganz so?« fragte der Buschwächter nochmals.

»Ziegel um Ziegel so!« rief Peter flehend, »laß mich nur nicht ohne Arbeit!«

»Nun gut, ich werd' dem Herrn Förster sagen, er soll dich unsere Öfen umsetzen lassen. Das wird für etwa drei Wochen Arbeit geben. Und im Winter –«

»Ja, im Winter?« wiederholte Peter und die Tränen traten ihm wieder in die Augen.

»Im Winter wirst du zu mir kommen Holz sägen!« sprach der Buschwächter streng, »verstanden?«

Peter ließ den Kopf hängen. Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust, dann aber schlug er die Augen zum Buschwächter auf und in ihnen lag ein eigener Glanz.

»Ja, ich werde Holz sägen gehen,« sprach er, »so werd' ich doch meine dreißig Kopeken täglich verdienen. Danke, Taufvater.«

»Nu, wirst vielleicht sogar fünfzig verdienen,« brummte der Alte etwas freundlicher, »so werden wir uns schon irgendwie durchschlagen. Du bist ja kein so schlechter Arbeiter, nur denkst du zu viel! Laß die Gelehrten denken, – das ist ihr Handwerk; aber du, ein ungeschulter Mensch, arbeit' du deine Arbeit!«

»Du hast recht, Taufvater,« antwortete Peter traurig, »was ist der Mensch ohne Schulbildung? Manchmal denkt man so von ganzem Herzen – denkt: es muß ja gelingen. Aber wenn's dann gemauert ist, kommt der Rauch ganz wo anders heraus!« Und er schaute betrübt zu den Birkenwipfeln empor, als entschwebe da oben der Rauch seiner Erfindungen.

»Nu darum!« meinte der Buschwächter aufmunternd; »wir woll'n deinen Sohn ausbilden, – soll der denken. Jetzt aber laß uns nur denken, daß wir selbst nicht ohne Brot bleiben. – Ja, Peter, nun ist's auch Zeit, daß ich nach Haus geh'.«

Und den Flintenriemen wieder über die Schulter werfend, erhob er sich ächzend: »Die Knochen, die Knochen!« Dann begann er in der Hosentasche herumzusuchen, als suche er dort den Knochenschmerz, und zog endlich etwas in zerknittertes Papier Eingehülltes hervor. Peter stand da und wußte nicht, oh er die Wiegenstange auf die Schulter nehmen oder ob er warten sollte, bis der Buschwächter fortgegangen. Der Alte wandte sich wieder zu ihm und streckte ihm die geballte Faust entgegen.

»Das bring' deinem Weibe,« sagte er leise, »sie braucht jetzt doch auch 'n kräftigen Bissen.«

Und ehe Peter sich besinnen konnte, glitt ein goldenes Zehnrubelstück in seine Hand.

»Wir können's ja im Winter verrechnen,« fügte der Buschwächter hinzu, als er Peters Erröten sah, »und was die Taufe betrifft – nu, meine Alte wird wohl schon – –«

»Taufvater,« flüsterte Peter, »diesen Augenblick werd' ich dir bis an des Grabes Rand nicht vergessen!«

»Nu, nu, was denn?« wehrte jener ab, »wenn du arbeitest und wenn Gott nur Gesundheit gibt, wird ja alles gut sein. Nur nicht so viel denken! Und dann – die Kuh und das Schweinchen – hab' schon mit meiner Alten gesprochen – wir müssen im Herbst so wie so verkaufen – also doch lieber in der Verwandtschaft. Wirst's schon allmählich abarbeiten. Wir brauchen das Geld jetzt nicht allzu sehr. So kommt also einer von Euch das Vieh abholen, wenn dein Weib wieder auf'n Füßen ist. – Sieh' mal, was für eine lange Kranichreihe!« Er zeigte auf einen schwarzen Strich am blauen Himmel. Hell tönte das Geschrei der Vögel, als täte es ihnen gar nicht leid, von hier zu scheiden. Nun ja, sie flogen einem neuen Sommer entgegen!

Wie betäubt blickte Peter dem Buschwächter nach, als der schweren Schrittes zwischen den Birken verschwand. Ihm fiel's wie Schuppen von den Augen: so viel Herzlichkeit hatte ihn Jahr für Jahr umgeben, und er wurde dessen erst heute gewahr! Dann fuhr er sich mit der Hand über die Augen, schaute nochmals dorthin, wo die Kranichschar hinter den Baumwipfeln verschwunden war, und nahm die Wiegenstange auf die Schulter. Doch als er aus dem Walde heraustrat, erschrak er wieder: der Buschwächter vertrat ihm plötzlich den Weg.

»Und die Kuh – weißt du –« sagte er, »die soll so – unserseits dem kleinen Taufsohn geschenkt sein. So haben wir's mit meiner Alten schon abgemacht, als das Warten anfing.«

Peter konnte sich nicht mehr beherrschen; schnell bückte er sich über des Buschwächters sehnige Hand und drückte einen Kuß darauf.

»Nu, nu!« wehrte der Alte ab, »wir sind ja doch verwandt? Aber das eine vergiß nicht –« und seine Stimme klang wieder streng, »wenn du keine Flügel hast, so versuch' nicht, durch den Wald zu fliegen! Möge der Sohn wachsen, möge er sich erheben, so hoch es Gott erlaubt.« Und dann verschwand er im Walde.

Die Kühe waren schon brüllend heimgekehrt, als Peter zur Scheune am Wegrande kam; die Hausgenossen hatten noch auf dem Hofe zu schaffen und die Bäuerin selbst ging mit der milchgefüllten Kippe zum Keller. Peter schämte sich, mit der Wiegenstange auf der Schulter über den Hof zu gehen, den lächelnden Blicken der andern ausgesetzt. Daher ließ er sich auf der Schwelle der Scheunentür nieder, um abzuwarten, bis die Leute schlafen gegangen wären. Er zog des Buschwächters Geschenk, das Goldstück, hervor, drehte es zwischen den Fingern und überlegte, was alles er dafür kaufen würde.

»Neue Schuhe für die Frau, – die braucht sie auf jeden Fall,« murmelte er vor sich hin, »und ein neues Kleid auch –,« doch dann fiel's ihm ein, daß sie ja auch etwas essen müßte; was ihr wohl am besten zusagen würde? Und für den Kleinen wird man wohl etwa zehn Pfund Grieß kaufen müssen, – kleine Kinder essen ja Grießbrei gern. – – –

Es war schon recht dunkel, als Peter, um die Ecke der Tenne schleichend, sich seiner Tür näherte. Den Atem anhaltend lauschte er: nur das Heimchen ließ irgendwo sein seltsames Zirpen ertönen, als würde mit scharfer Schere Wolle geschnitten. Peter lehnte die Stange behutsam an die Wand und stahl sich leise ins Zimmer. Die »weise Frau« hatte einige Kleidungsstücke neben dem Herde ausgebreitet und ihren ausgemergelten Körper drauf ausgestreckt. Im breiten Ehebett schlummerte ruhig atmend seine Frau, bleich und matt, zwei dunkle Haarbüschel waren unter dem Kopftuch hervor auf die weiße Stirn geschlüpft. Es lag ein tiefer Frieden auf dieser sonst so sorgendurchfurchten Stirn. Und neben der Frau – leise, leise, auf den Fußspitzen schlich Peter näher – –: Ach du kleines, unscheinbares Dingelchen, kaum wahrnehmbar im Schatten, den das Blechschild der kleinen Lampe auf dich wirft! Wirst du denn je ein großer Mensch werden?

Peter bückte sich und fühlte, wie ihm schon wieder eine Träne auf die Hand fiel. Wie wollte diese Hand jetzt ohne Unterlaß arbeiten für sie, für diese zwei lieben, lieben Schläfer hier! Arbeiten und dafür sorgen, daß kein Kummer über ihre Schwelle komme und ihren sanften Schlummer störe!

Und dann richtete Rauchpeter sich auf und ging in die Ecke, in der sich der Sack mit seinen Ziegelchen befand. Leise hob er ihn auf, leise lud er ihn sich auf die Schulter und schleppte ihn zur Tür. Niemand bemerkte sein Hinausgehen.

Hinter dem Hügel befindet sich ein tiefer, versumpfter Quell. Es wird erzählt, daß einst, in alten Zeiten eine Tonne Goldes darin versunken sei. Viele haben von diesem Golde geträumt, viele haben danach gesucht, niemandem jedoch war's bisher eingefallen, dem Quell ein Geschenk zu machen. – Dorthin schleppte Peter seine Last. Er setzte sich auf einen Stein am Rande des Quells und legte den Sack nieder. Jetzt, wo er von seinen Träumen scheiden sollte, fühlte er erst, wie lieb sie ihm gewesen waren. Ach, jene lichten Nächte, wenn neue Gedanken wie Sonnenglut durch seine Seele geflutet! Und der feste Glaube, daß es nun endlich einmal die rechten Ideen seien! Wie dann der Atem stockte, wie die Finger zitterten, wenn sie sich eilig daran machten, die Ziegel in neuer Ordnung zusammenzustellen! Und dieses Hoffen, daß nun ein Auftrag nach dem andern kommen werde, daß alle Welt sich seines Werkes freuen und ihm danken werde! Andere Maurer würden kommen, von ihm zu lernen, und würden erkennen, daß er recht gehabt ...

Mit diesen Träumen muß es nun zu Ende sein, lieber Peter!

Und dann jene finstern Nächte voll dumpfer Verzweiflung, wenn alle Arbeit vergebens gewesen, wenn alles wieder von vorne begonnen werden mußte! Da gab's kein Hoffen mehr und kein Glauben; da hieß es wieder in die alten Geleise einlenken und das Gespött der Leute über sich ergehen lassen. – Ach ja, es ist auch manche Träne auf euch gefallen, ihr Genossen der Trübsalszeiten!

Diese Tränen müssen nun versenkt werden, lieber Peter! Alles muß versenkt werden! Bleiben soll nur das winzige rote Gesichtchen dort im Schatten des Lampenschirmes.

Der Mond guckte aus den Wolken hervor und ein zweiter Mond leuchtete ihm aus dem schwarzen Sumpf entgegen. Da erhob sich Peter, fuhr mit der Hand noch einmal liebkosend über seine Bürde und ließ sie dann ins Wasser hinabgleiten. Hoch spritzte das Wasser auf, indem es das Spiegelbild des Mondes wie flüssiges Silber über den Rand des Quells schüttete.

Peter tönten des Buschwächters Worte ins Ohr: »Wenn du keine Flügel hast, so versuche nicht, durch den Wald zu fliegen. Möge der Sohn wachsen, möge er sich erheben, so hoch Gott es erlaubt!«

Wird er wachsen? wird er sich erheben? – Ja, mein lieber Peter, das eben ist das große Weltenrätsel – und der große Weltenglaube.

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