Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ein Alltagsromänchen,

das der geehrte Leser ohne Verlust und Schaden überschlagen darf

Gustavs Vater war ein Staatsdiener, der für mäßiges Gehalt ein schweres und mit großer Verantwortlichkeit verknüpftes Amt verwaltete. Des einzigen Sohnes Erziehung fiel deshalb in die Hände der Mutter und trug den Charakter und die Gebrechen eines weiblichen Gouvernements. Der hübsche, talentvolle, lebhafte Knabe wurde als ein keimendes Genie betrachtet, die mütterliche Eitelkeit prunkte mit ihm, schmeichelnde Freundinnen überboten sich in seinem Lob, und sein Wille fühlte nirgends Fesseln oder Schranken. Daß der ernste, von Sorgen belastete Vater ihn nur selten sah und dann die bemerkten Unarten mit großer Strenge rügte und strafte, vermehrte die falsche Richtung, welche die kindliche Entwicklung genommen hatte. Eine schlaffe Weichheit, ein Eigendünkel, mit Furcht vor dem natürlichen Aufseher gepaart, mutwillige Ausgelassenheit, mit Verstecktheit verknüpft, bildeten die Hauptzüge im Charakter des Knaben; die frische Kraft wurde dazu durch Sentimentalität gelähmt, und unklar über Lebensbestimmung, unsicher in den Grundsätzen für Tun und Lassen schickte die elterliche Sorglosigkeit den Jüngling auf die Bahn, die für seine ganze Zukunft die Entscheidung gibt. Die Affenliebe überzärtlicher Eltern brach auf solche Weise mehr der jungen Fruchtbäume, als die Hand des Schicksals vernichtet hat, dem man später meist die Schuld aufzubürden gewohnt ist.

An Gustavs Erziehung war nichts gespart worden. Er lernte leicht, doch gerade darum versäumte er, in die Tiefe des Wissens zu tauchen; er wußte vieles, schwamm aber nur auf der schimmernden Oberfläche. Vom Vater zu der durch äußeren Glanz verlockenden Beamtenkarriere bestimmt, studierte er anfangs Kameral- und Rechtswissenschaft, doch beide schienen dem arbeitsscheuen Jüngling zu mühevoll und trocken. Er tauschte den Sattel und fiel auf das buntere Studium der Medizin; die Anatomie war ihm gar bald zu schmutzig und kostete ihn zuviel Windsorseife, die Chirurgie erschien ihm zu blutig und herzlos; so warf er ebenfalls den Hippokrat von sich und schöpfte nun zwecklos an allen Quellen des Wissens, die seiner Neigung zusagten, trieb Poesie und Redekunst, botanisierte mit dem Blechbüchschen und verwandelte sein Studierzimmer in eine Menagerie, malte mit Eifer Menschenlarven in Öl und Baumfamilien in Aquarell und hörte architektonische Kollegia. Leider fehlte ihm der ratende Freund, der den Schleier zu lüften vermochte, mit dem eigener und fremder Leichtsinn ihm die Zukunft verhangen hielt. Wie ein Reicher erzogen, mit schädlichen Opfern der nachsichtigen Mutter unterstützt, glaubte er die freie Wahl für einen Beruf späterhin gesichert, wie Neigung und Glück ihn darböte, und der blühende, wahrhaft ritterliche Jüngling, der wie ein Dioskur zu Rosse saß, wie ein Franzose focht, wie ein Engländer schoß, sang wie ein Troubadour, für den geschmackvollsten Modisten galt und der Adonis jedes Tanzfestes war, versank durch die Schmeichelei seiner Umgebung in einen so süßen Taumel eigener Überschätzung, daß ihm nimmer das Licht der Selbsterkenntnis zu leuchten und ihn aus seinem gefährlichen Narkotismus zu wecken vermochte.

Die Familie eines Landedelmanns kam von einem benachbarten Gütchen zur Universitätsstadt, um den Rat eines berühmten Professors zu benutzen. Sie bestand aus der Mutter und zwei Töchtern, wovon die ältere an einem unheilbaren Übel litt. Der längere Aufenthalt dieser Damen brachte auch unseren Gustav mit ihnen in Berührung, und er wußte sich bald zum Liebling der Edelfrau zu erheben. Das jüngere Fräulein, eben dem Flügelkleid entronnen, zog ihn an. Die frische Knospe, die nur eben erst und scheu die zartgefärbten Rosenblätter der Sonne entfaltete, gewinnt am leichtesten den Preis im Kranz der Schwestern. Doch der Geist der Kleinen hatte dem schönen Körper in der Entwicklung den Vorsprung abgewonnen, und das Bild des ritterlichen Gustav, der ihren Namenstag mit einem so gefühlvollen Gedichtchen feierte, echt spanische Serenaden brachte, die bescheidene Pauline, beneidet von allen reizenden Tänzerinnen, zum Vortanz führte, erhob sich rasch zum Traumgott ihrer Phantasie, zum Idol ihrer Seele.

Die kranke Schwester erlag ihrem Übel, und Gustavs warme Teilnahme, das freundliche, aus tiefem Herzen quellende Trostwort, die zarte Sorgfalt, mit der er am fremden Ort die Lasten dieses betrübten Ereignisses den Freundinnen zu erleichtern wußte, brachen die letzte Schranke zwischen ihm und der schönen Pauline. Ein geliehenes Buch, Schillers Braut von Messina, sandte sie ihm zurück, und eine voll blühende Rose auf dem Buch. Der Selam sprach deutlich, deutlicher sprachen die Lippen der Liebenden an demselben Abend; heiße Gelübde, Schwüre voll Himmelsglut und Ewigkeit strömten gleich flammenden Kaskaden, zarte Haarringe wurden getauscht, und ein Paradiesesglück senkte sich auf die unbewachten Herzen, und die Mutter war blind oder wollte nicht sehen, was sich zu bergen nicht beabsichtigte.

Kluge Mütter sollten es nimmer versäumen, Wacht zu stehen am Herzenstor der Töchter; heilige Pflicht und heiliges Recht rufen sie zu diesem Ehrenplatz, und die Wacht ist bedeutender als jene über Fallhut und Gängelband.

Mehrmals beriet sich Pauline mit dem Liebling über den Wunsch, sich und ihre Liebe der Mutter in die Arme zu werfen, um ihr zartes, noch gänzlich jungfräuliches Gewissen zu entlasten; Gustavs Unentschlossenheit verzögerte den wichtigen Schritt, der Reiz des Geheimnisses verlockte, und die Ankunft des Vaters, der seine Familie abzuholen eintraf, schnitt wie ein Schwert jeden guten Entschluß ab. Herr von Stahlhut war ein alter Ritter von deutschem Schrot und Korn, das heißt, er hielt streng auf Sitte und Zucht, auf Herkommen und Gebrauch, auf die Rechte, die ihm vererbt worden waren, auf Hausordnung und Lebensregel; und die große militärische Sündflut, die er von Anfang bis zu Ende mitgeduldet hatte, das Anschauen der schleierlosen Unmoral, der Zerrüttung und Verschiebung des ganzen politischen Uhrwerks hatte, nachdem die Flut glücklich verronnen war, seine alten Grundsätze noch strenger und spröder werden lassen. Dazu war er Pietist, aber von der würdigeren Sorte; er hielt selbst seinen Hausgottesdienst, litt kein Fluchwort und keine Liebeshändel unter der Dienerschaft, war sparsam mit Wort und Rede, sorgte väterlich für die Seinen, bestand jedoch streng auf kindlichem Respekt und wurde von seinen Nachbarn, wenn auch nicht für einen besonders geselligen und angenehmen, aber für einen höchst achtbaren, selbst dienstfertigen Mann gehalten, und die Bauern lobten ihn als einen christlichen Herrn, dessen Linke nicht wisse, was die Rechte getan. –

Gustavs lebhaftes Auffassungsvermögen wußte schnell, was er von dem ehrsamen Ritter zu halten habe, und mit innerem Zittern sah er die ernsten Augen desselben unter den dichten, grauen Augenbrauen auf sich gerichtet, als die Edelfrau ihn mit warmem Lob vorstellte. Daß er diesem Vater seine dreiste Herzensokkupation nicht vertrauen durfte, wollte er anders seinen jungen Liebestempel nicht sofort einstürzen sehen, stellte sich augenblicklich ihm als klarste Überzeugung fest, und er wußte dies auch Pauline einzureden, indem er den Wermutsbecher mit der Sicherheit seiner Zukunft, mit Hindeutung auf den schönen, unausbleiblichen Tag, wo er in einer glänzenden Anstellung als Werber in ihr Schlößchen einritte, zu versüßen suchte.

Die Trennung, die Entbehrung sind Dornen an der Liebesrose, die aber, wie bekannt, ihren Wert nicht herabdrücken; die Gefahr ist Ansporn für die pflückende Hand. Gustav durfte nur selten den Besuch nach dem Landsitz wagen, und dort quälte die verwöhnten Kinder das nötige Verstecken. Sein ungeduldiger Sinn, der verzogene Wille ertrug diese Ketten nicht lange. Bald flog, wenn der Tag sich zu neigen begann, ein kecker Reiter auf dem höchsten und schnellsten aller Gäule toraus durch Äcker und Wiesen und Wald, als ritte er, ein Begnadigungstuch zum Richtplatz zu tragen. Die Nacht sah ein leeres Roß, gebunden an den knorrigen Ast einer Eiche, und leuchtete mit ihrer Sternlaterne dem heißen Reiter durch einen Waldbach, der einen kleinen Park einfriedete. Jenseits schimmerte im Busch weißes Gewand, aber die Sterne leuchteten nicht durch das duftige Blütengezweig. –

»Um diese Zeit«, sprach Ernst weiter, »machte ich Gustavs Bekanntschaft, kurz vor meinem Abgang von der Hochschule. Seine Abendritte waren nicht unbemerkt geblieben. Mutwillige und unzarte Bekannte hatten ihren Witz daran geübt, er hatte eine Parodie mit dem Anfangsvers ›Pauline fuhr ums Abendrot‹ aufgegriffen und erbat mich als den ältesten seiner Landsmannschaft zum Begleiter in dieser Ehrensache. Wenn auch kein Freund dieses Nachbleibsels mittelalterlicher Barbarei, für das einen Hemmschuh zu schmieden noch keinem der geschicktesten Staatskünstler gelang, mochte ich ihm den Wunsch nicht versagen; er focht sich männlich und mit Glück durch drei solcher Blutgänge, obgleich er mir jedesmal die Fieberschauer gestand, die ihn auf dem Hingang geschüttelt hatten, die aber wie weggehaucht waren, sobald sich die blanken Klingen küßten. Man liest ja, daß es manchem großen Helden der Welthistorie ebenso ergangen sei, und diese Erfahrung möchte der beste Advokat der sogenannten Ehre sein, an deren Zauber zu glauben so manche sich weigern. Pauline erfuhr die Rittertaten ihres Lanzelots, und wie natürlich stieg ihre Vergötterung des Geprüften, wuchs ihr Glaube an ihn bis zur Unerschütterlichkeit; doch auch von den Ursachen seiner Schwertkämpfe schlich sich ein boshaftes Gerücht bis in das Schlößchen der Stahlhuts, und Pauline empfand die ersten Strafen ihrer Heimlichkeit in der Furcht, mit der sie jedes Geschwätz der Zofe und der Jungfern zitternd bewachte, in der Angst, die jeder ernste Blick der Eltern in ihr erweckte, der vielleicht absichtslos schärfer und länger als sonst an ihr haften blieb.

Um diese Herzensangst zu verdoppeln, fand sich gerade jetzt auch ein Werber – ein reicher Edelmann, dessen Güter am Fuß des Harzes lagen und den die Eltern begünstigten. Daß die Liebe, die wahre und echte, selbst in der Schwäche Heldensinn zu erwecken vermag, bewies sich an dem schüchternen Fräulein. Zum Erstaunen der Alten ertönte ihr Nein so fest und scharf, daß selbst der Vater nur die Achseln zuckte, kopfschüttelnd den Spruch brummte: ›Die Ehen werden im Himmel geschlossen!‹ und die Sache als abgemacht nicht weiter berührte. –

Aber auf den so treu und heiß geliebten Gustav machte dieses Ereignis einen besonderen Eindruck. Statt nach der natürlichen Junkerweise in Entzücken zu schwelgen, erbebte sein Gemüt zum ersten Mal in dem ernsten Hinblick auf die Zukunft, und unstet und unruhig erschien er seinen Freunden, als drücke ein Verbrechen seine Seele. Der kleine Fränzel, einst sein Spielgenosse, kam damals von Heidelberg zu uns, und seine Ankunft wirkte nicht heilsam auf den schwachen Freund. Franz war ein lebenslustiger Egoist, der die Welt nur wie einen Spielplatz, für sich eigens erschaffen, zu betrachten gewohnt war, ein heilloser Spötter, der vorzüglich alle Bande und Schranken haßte, die menschliche Weisheit gezogen und gestellt hatten, um Ordnung im großen Gewühl zu halten und die Besseren gegen die Verwilderung zu sichern. Gleich einem Barbaresken galt ihm das weibliche Geschlecht nur für eine untergeordnete Spezies, zur Dienstbarkeit und dem Vergnügen des Herrn der Schöpfung bestimmt, und es fehlte ihm nicht an Geist und Witz, seine bizarren Grundsätze zu verfechten.

Ihr armen Töchter der Eva, für den ersten illegitimen Verkehr der Mutter müßt ihr büßen lang und bitter! Der Mann nennt euch das schöne Geschlecht, solange ihm der Apfel schmeckt, aber später wird er selber die Schlange, die euch beißt zu Tode!

Wie ein böser Engel wich Franziskus nicht von Gustavs Seite, umspann den Schwächling nur zu schnell mit seinem Giftnetz, und das Schicksal, das seine schwarzen Wetter über dem Haupt des armen Jünglings plötzlich entlud, half den Ratlosen gänzlich in die Gewalt des kleinen Mephisto zu werfen. Ein schwarz gesiegelter Brief traf ein, Gustavs Todesurteil lag in ihm. Sein Vater war gestorben ohne Nachlaß, ja verschuldet; die trostlose Mutter rief den Sohn zurück zu sich, da sie ihm nichts mehr zu geben hatte; im Gegenteil, in ihm die Stütze ihres Alters erwartete. Da zerriß mit einem Mal das rosenfarbige Traumbild, das ihn umgaukelt und so lang geblendet hatte; wachgeschüttelt von der ehernen Hand der Wirklichkeit, fühlte er sich zerschmettert und war nach Art der schwachen Gemüter der Verzweiflung nahe. Franziskus hielt ihn zwar aufrecht, ob aber zu seinem Besten, ist zweifelhaft. Der Kleine kam nur zu der Landesuniversität, um sich den Doktorhut aufkneten zu lassen; sobald die Komödie abgespielt war, trug er sich als Gustavs Begleiter, Tröster und Ratgeber an.

Im Park am winterlichen Waldbach sah der kalte Mond der letzten Liebesszene zu, wo die in Schmerz vergehende Pauline dem nicht über die Trennungsstunde, sondern über die Vernichtung seines eitlen Glückstraumes verzweifelnden Geliebten ihre Sparkasse, ihre Uhr und ihren Schmuck aufzunötigen versuchte, um wenigstens das Mögliche für ihn zu tun. Daß er Kraft genug besaß, die Liebesgabe des reinen, kindlichen Gemüts zurückzuweisen, ist ein Lichtschein in dem Nachtbild seiner Verirrungen. Er zuerst riß sich los aus dem Liebesknoten der in Tränen zerrinnenden Arethusa und floh mit dem Gefühl eines Mordbrenners, hinter dem seine Sünde zum Himmel dampft.

In der Residenz fand er statt Balsam anfangs neue Wunden. Er wußte vieles, aber wenig von dem, was im Staatshaushalt nützen konnte, und war dazu leider gescheit genug, seine vergeudete Jugend, seinen bis dahin verfehlten Lebenszweck zu verkennen. Könnte man den inneren Menschen aufblättern, das zerfetzte Gemüt für fremde Augen beleuchten, Gustavs Innerstes hätte das nützlichste Warnungsbild für viele junge Seelen geben können, die gleich ihm in der Irre gehen. Ein paar bewährte Freunde seines Vaters, angesehene Staatsdiener, wurden seine Retter; sie fanden einen Platz, wo einige seiner von ihm am wenigsten geachteten Talente im Kammerfach verwendet werden konnten, aber der Lohn dafür reichte kaum für den mäßigsten Bedarf. Sein Leben glich von da an dem schwankenden Baum, dem der Wind den Gipfel heute hierhin, morgen dorthin biegt. Ich beachtete mit Mitleid den Versunkenen, der meine Teilnahme geweckt hatte, und Franziskus, der beim Antritt meiner verwickelten Erbschaft mit mir als Notar und Rechtsmann in Geschäftsverhältnisse gekommen war und dessen bewegliche Zunge die Tugend der Verschwiegenheit gar leicht vergaß, machte mich nach und nach sowohl mit den früheren Auftritten als auch mit dem späteren Schlußakt dieses Rührspiels bekannt. Von der Notwendigkeit ergriffen, arbeitete der Jüngling monatelang mit strengerem Fleiß und rühmlicher Ausdauer an dem Mangelhaften seines Wissens und erwarb sich das Lob seiner Gönner und nährte ihre Hoffnungen. Erschöpft und zweifelnd am Erfolg überließ er sich dann aber wiederum monatelang dem trägsten Schlendrian, trieb sich in Tavernen und leichten Gesellschaften umher, in denen man das Brillierende seiner Naturgaben überschätzte und wo er immer noch eine Glanzrolle spielte, vergeudete Zeit und Gesundheit und zog den Unwillen seiner Vorgesetzten auf sich.

Die arme Pauline litt indes mehr wie er. Seine düsteren, kalten Briefe trieben das Mädchen zu einem Schritt, der einen Mann beschämen mußte. Sie warf sich in die Arme der Eltern, gestand alles, was ihr Herz bedrückte, und die Beredsamkeit der Liebe wirkte so wunderbar, daß die Strenge des herrischen Vaters in der Flamme der Tochter zerschmolz, daß die Familie zu Rate saß, um für das Glück des Undankbaren die Mittel zu finden, daß man nach einem Ohm schickte, der im Nachbarland einen glänzenden Posten errungen und als reicher Hagestolz der schönen Pauline, seinem Patchen, immer väterlich zugetan gewesen ist, und durch ihn vielleicht dem dunklen Geschick der Liebenden schnell eine leuchtendere Bahn vorzuzeichnen versuchte, und dieser Ohm hatte seinen Beistand nicht ganz versagt.

Da warf Mephisto eine Feuerkugel zwischen diese junge Schöpfung, die alles bis auf die eben sprossenden Keime zertrümmern mußte. Die Liebesfessel des Freundes, den er mit Hochmut als sein Geschöpf, als seinen Leibeigenen betrachtete, war immer ein Dorn im Auge des Franziskus geblieben. ›Diese Kette ist dein einziges Elend; es ist der Stein an deinem Fuß, der deinen Flug lähmt, es ist die Binde, die dein Auge blendet. Ohne sie wäre die Welt dein, denn überall ist offener Turnplatz für den Freien und Lebensmutigen, und die Welt ist groß und reich. Des Gebundenen Gegenwart zehrt sich ab in der Furcht der beengten Zukunft, und die Frühlingssonne, auf die er hofft, wird zuletzt doch nichts als eine kümmerliche Lampe neben einer Wiege und neben dem Krankenbett eines bleichen Eheweibes. Oder denkst du wohl gar dich in die Garde jener Erbärmlichen einschreiben zu lassen, die vom Geld der Frau leben, sich füttern lassen am Tisch der Frau und dafür zahlen mit einem lebenslänglichen, willenlosen Vasallentum? Nein, so tief kannst du nicht sinken! Schneide darum die Wunde kühn aus, und du wirst gesunden. Mache dich frei, und du wirst der alte furchtlose Glücksmensch sein!‹ – So sprach Franziskus täglich, und der schwache Gustav hörte ihn täglich lieber.

Der Brief des Treubruchs lag in Paulines bebender Hand, frostig und grausam wie ein Skalpell zerschnitt er unwiderruflich jede gewonnene Hoffnung, verwundete tödlich eine Seele ohne Falsch und voller Vertrauen. Wehe der Brust, auf der der Fluch solcher Tat lastet, mir würde sie die ehernen Knochen zusammenquetschen, obgleich die Welt für sie als etwas Alltägliches keine Gesetze und kein Richtschwert hat. – Ob Pauline lebt, wie sie lebt, weiß ich nicht. Gustav aber trägt den offenen, fressenden Krebs im Herzen, und des kleinen Mephisto Universalmittel hat nicht gewirkt bei ihm; seine Freude ist der Rausch eines Fieberkranken, seine Genußsucht der Durst eines Vergifteten. Und daß er so ist, daß er Paulines Ring noch an der Hand trägt, läßt mich seine Gesellschaft ertragen, wenn er auch meine Achtung verloren hat. Hat das Weh nicht Paulines Herz längst gebrochen, so ist er ärmer als sie und bemitleidenswerter, denn Selbstverachtung ist der längste Tod und der schmerzlichste.«

   

Traugott Faber streckte sich lang hin, richtete sich verwundert auf und blickte nach der Sonne, die schon in die krausen Gipfel des Hochwalds zu tauchen begann. »Gesegn' es Gott, das heißt geschlafen wie eine Haselmaus«, gähnte er. »Und der alte Berg ist ein so gutes Kopfkissen, wie es der Jakob hatte, als er die Himmelsleiter sah; nicht wahr, meine Herrschaften? Man muß nur keinen wunden Fleck am Leib haben, sonst drückt auch der Daunenpfühl.«

Ernst lächelte, indem er aufstand und sagte: »Möchte jedem Novellisten ein so duldsam-zufriedenes Publikum beschieden werden und jeder Novelle eine so einfach-kräftige Schlußsentenz.«


 << zurück weiter >>