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Goslar

Jedem Fremden muß auffallen, in dem Winkel eines nordischen Gebirges, von kahlen Bergen und rauhen Steinmassen umgeben, eine Kaiserstadt zu finden, die überdies einstens ein Lieblingsort der deutschen Herrscher gewesen zu sein scheint und von mehreren derselben zur zeitigen Residenz erkoren wurde. Heinrich, mit dem gemütlichen Beinamen der Vogelsteller, In den historischen Jahrbüchern von Ranke hat unser Waitz neuerdings Zweifel gegen diesen gemütlichen Beinamen erhoben, den wir uns ungern rauben ließen. der erste wirkliche Herzog zu Sachsen – nicht Statthalter, sondern wahrer Fürst –, wird als Goslars Begründer angegeben. Der kräftige, kerngesunde Braunschweiger liebte die Jagd und das freie Leben in den Bergen, und der herrliche Harz wurde sein jugendlicher Tummelplatz. Wird doch nicht selten neben hochherziger und unerschrockener Männlichkeit, neben einem ernsten, durchgreifenden Charakter jene Kindlichkeit des Gemüts angetroffen, wodurch die Größe so liebenswürdig erscheint und, indem sie sich herabneigt, zweifach auf ihre Umgebung einzuwirken vermag.

Er, der später als einer der ausgezeichnetsten Könige des deutschen Reiches seinen Nachfolgern vorleuchtete, der Erbauer vieler Städte und Burgen zum Schutz Deutschlands gegen die Einfälle räuberischer Nachbarvölker; er, der den deutschen Adel zuerst den Reiterdienst im Feld lehrte, der die Wehrmänner in die Städte zog und dadurch dem Stadtadel seinen Ursprung gab; er, anno 933 der Sieger in der mörderischen Hunnenschlacht bei Merseburg, der Bezwinger der Wenden, Sorben, Böhmen und Dänen – er liebte vor allen das buntgefiederte, zarte Sängervolk der Wälder, und allenthalben im Harz standen seine Dohnenstiege, seine Vogelherde und sein Vogelhäuslein, wo er mit Kloben und Netz und Schlinge sich für das öde Winterzimmer die lieblichen Gesellschafter einfing und zähmte.

Und wo hätte er dieser kindlichen Neigung ungestörter nachgehen können, wo hätte er ein reicheres Feld für sie zu finden vermocht? Der bunte Distelfink und der gelehrige Dompfaff, die bewegliche Bachstelze und der muntere Bergfink, das zarte Goldhähnchen und der geschmeidige Zaunkönig, der närrische Spottvogel und die flinke Meise, Zeisig, Star, Rotkehlchen und Krammetsvogel umflatterten in zahllosen Heeren seinen versteckten Lieblingsplatz; selbst der seltene Eisvogel und der elegante Seidenschwanz zeigten sich damals noch öfter als jetzt im Harz; und kam ihm das Gelüst, seine Leidenschaft ritterlicher zu treiben, so boten Adler und Falke, der gelbe Pirol und die blaue Mandelkrähe, Auerhahn, Reiher und Haselhuhn ihm würdige Zielscheiben seines sicheren Geschosses.

Am Vogelherd war es, wo ihn der Frankenherzog Eberhard nach langem Suchen fand, um ihn als Abgesandter der Reichsfürsten und im Auftrag seines sterbenden Bruders, Kaiser Konrads des Saliers, die Reichskleinodien zu überbringen und ihn nach Fritzlar zur Krönung zu berufen; und ebendieser Konrad war lebend sein schlimmster Gegner gewesen, und dieser Eberhard von ihm in der großen Frankenschlacht anno 915 schimpflich geschlagen worden – Zeugnisse für Heinrichs echten Goldwert, die den Stolz der Stadt Goslar auf ihren Begründer nur erhöhen müssen.

Doch auch als Oberhaupt des Reichs vergaß Heinrich den Schauplatz seiner Jugendfreuden nicht, sorgte für Goslars Flor, und seine Nachkommen, die Ottonen, überhäuften des Stammherrn Kind mit Privilegien und kaiserlichen Spenden. Der dritte und besonders der vierte Heinrich hatten oft ihre Hoflager in der freien Reichsstadt. Jener schmückte Goslar mit einer prächtigen Pfalz, berief 1056 sogar Papst Viktor dorthin, um seinen sechsjährigen Sohn zum Erben des Reichs zu weihen; und der letztere begründete Goslars historischen Ruf, als er, verführt von seinem übermütigen Erzieher, Erzbischof Adalbert von Bremen, die Unterjochung der sächsischen Edlen versuchte, dem Stamm der Billingen ihr schönes Erbe zu rauben beschloß, den ganzen Harz mit festen Burgen umgab und hohe Warten auf seine Felsen stellte, von denen aus übermütige Ritter und Günstlinge das heimische Volk preßten und aussogen, und als er die treuen Freunde, den ernsten Herzog Magnus und jenen tapferen Otto, Grafen von Nordheim, den die Kaiserin Agnes mit dem erledigten Herzogtum Bayern beschenkt hatte, gegen sich aufrief zur unversöhnlichen Fehde, obgleich beide den Schwertgang für Freiheit, Recht und Heimat mit langer Gefangenschaft zu büßen bestimmt waren.

Damals wurde der herrliche Wald lange Jahre hindurch ein wilder Schlachtplatz; dumpfe Heerhörner weckten den Widerhall in seinen Tälern und scheuchten das Wild; Kriegspaniere flatterten im Sturm auf seinen Felskuppen, und seine reinen Bergbäche färbten sich blutig und wälzten Leichen. Sechzigtausend Sachsen bedrohten damals Goslar, zu der sich schon früher der verhaßte Adalbert geflüchtet hatte, um dort zu sterben; der belagerte Kaiser entwich nach der Harzburg (1073), alle Harzschlösser wurden gestürmt und ein Jahr später die Harzburg selbst vom Bauernvolk eingeäschert.

siehe Bildunterschrift

Die Harzburg

Doch abermals schlug sich das blinde Glück, wie leider nicht selten in den Wirren der Erde, auf die Seite der Ungerechten; die wilde Schlacht bei dem Kloster Hohenburg (1075) brach die letzte Kraft des Sachsenvolkes; die Braven mußten sich beugen, und ein Reichstag zu Goslar hielt Gericht – wenn auch kein ganz grausames – über die Besiegten. Drei Jahre dauerte dennoch die Zerrüttung im Lande, da zeigte sich die immer lange schlafende Nemesis; Absetzung, Acht und päpstlicher Bann rächten das zügellose Walten Heinrichs, und jene schimpfliche Bußnacht im Schnee unter dem Fenster der berüchtigten Mathilde zu Canossa strafte auf unwürdigste Weise den Übermut und das in grenzenloser Schwelgerei vergeudete Fürstenleben, und auch der tief gedemütigte Nordheimer Otto hatte vor seinem Ableben die Genugtuung, bei Mühlhausen die Lorbeeren des Gegenkaisers Rudolf von Schwaben zu teilen und, nachdem dieser bei Mölsen einen echten Soldatentod gestorben war, die deutsche, ihm angetragene Königskrone ausschlagen zu können.

In diese Zeit fällt ebenfalls noch eine für Goslar merkwürdige Begebenheit, die erwähnt zu werden verdient: es ist die Ermordung des Bischofs Buko von Halberstadt. Dieser hochherzige Sachsenfreund war nach Goslar gereist, um sich mit dem Markgrafen Ekbert von Braunschweig über den Kriegszug gegen den Kaiser zu besprechen. Die kaiserlich gesinnten Bürger stürmten sein Haus, mordeten sein Geleit und seine Chorknaben, durchbrachen die Decke seines verschlossenen Gemachs und erstachen mit einem Speer den Betenden, den der Abt von Ilsenburg tags darauf wehklagend in seinem Kloster bestattete. Ein Kinderlied erhält noch jetzt die Schauermär im Gedächtnis der Bewohner jener Gegenden, in dem aber mancher Ammenmund den mächtigen Buko von Halberstadt unschuldig in eine Muhkuh verbessert.

Mit jener schwerwiegenden Epoche ist jedoch die historische Merkwürdigkeit unserer Reichsstadt nicht abgeschlossen. Auch König Lothar hielt 1130 seinen Fürstentag zu Goslar; Konrad III. von Schwaben fällte hier seinen Kaiserspruch 1138 über Heinrich den Stolzen von Sachsen; und Friedrich Barbarossa verfolgte bis hierher mit seinen siegreichen Heeresmassen im Jahre 1181 den großen Welfenherzog Heinrich Leo, der kurz vorher die Reichsstadt überfallen und ihre Bergwerke verheert hatte, und nahm ihm stürmend die Schlösser Lichtenberg, Rinstein, Stauffenburg und Herzberg, und zu Goslar schlug sogar jene finstere, schwerwiegende Stunde, in der der Löwenherzog 1188 vor einem Reichstag verurteilt wurde, drei Jahre sein Erbland zu meiden und im fernen England seine Gegner von der Furcht vor seiner Kühnheit und seinem Heldenarm zu entlasten. Das große Reich des tapfersten und berühmtesten der Welfen wurde zerrissen und zerstückelt, auch Goslar gewann damals einige Gerechtsame am Harz, einige Hufeisen vom edlen weißen Roß, wie der Chronikschreiber sagt und in gemütlicher Poeterei hinzufügt:

Ob sie wohl viel des Pferds genossen,
Sind sie doch dessen sehr verdrossen!

Und nicht lange blieb der Glanz des Welfenhauses umschleiert, denn schon den Sohn Leos, Otto IV., sehen wir wiederum geschmückt mit der kaiserlichen Krone. Auch gegen ihn stemmte sich das unruhige Goslar, stolzer auf seinen Reichsadler als anhänglich an seinen natürlichen Schutzherrn, und hielt zum schwäbischen Philipp. Der Herlingsberg wurde als eine Zwingburg gegen die Reichsstädter erbaut, und Ottos Truchseß Günzel erstieg bei Nacht am Kloster Neuwerk die Stadt, erwürgte die Wächter und ermordete die gerüstet zu den Wällen eilenden Bürger, und es bedurfte dreier Tage, die vorgefundene reiche Beute auf Lastwagen fortzuschaffen.

Die Ruhe, die Ottos weises Regiment dem deutschen Reich versprach, dauerte leider nur eine kurze Frist. Die Schlacht bei Bruvine (1214) gegen Frankreich brach seine Macht wie seinen Ruhm. Entthront und im Bann zog er sich in seine Erblande zurück, starb 1218 auf seiner Harzburg, und wiederum war es zu Goslar, wo Pfalzgraf Heinrich von Braunschweig Kaiser Friedrich II. die Reichsinsignien auslieferte.

Seit jener Zeit verlor die Kaiserstadt allmählich ihr Ansehen und ihre Bedeutsamkeit, wenn sie auch noch in kleineren Fehden gegen die Braunschweiger Herzöge focht und ihr Name im Dreißigjährigen Krieg während Tillys greuelvollen Kriegszügen zuzeiten gehört wurde. Braunschweigs Herzöge zwangen die freien Reichsstädter, jährliches Schutzgeld zu zahlen; Kriegsnot und fremde Einquartierung machten sie arm; Feuersbrünste legten Goslar in Asche und verwüsteten es; in dem verhängnisreichen Jahre 1803 wurde es eine preußische Landstadt und 1816 dem Königreich Hannover einverleibt – ein Ereignis, dessen Vorteil seine wachsende Blüte und der Ruf seiner Fabriken schon gegenwärtig bezeugen und von dem es sich eine glückliche Zukunft versprechen darf. –

Wir verweilten uns bei der Geschichte Goslars, von der Mannigfaltigkeit seines Schicksals gefesselt. Es ist die wichtigste Stadt, die unsere Wanderung berührt, ihre Geschichte enthält: gleichsam eingeschachtelt die des ganzen Harzes, und das Geschick dieser Stadt, ihre Erhebung und ihr Fall, ihr stolzer Prunk und ihr banges Leid, wie sie geliebt worden ist und verlassen wurde, der Tausch des kaiserlichen Hermelinmantels mit dem schlichten Bürgerrock dünkt uns ebenso romantisch und steht als ein ebenso brennendes, moralisches Warnungsbild da wie das Einzelleben mancher Helden der Romanze, und wir haben hoffentlich dadurch keine Sünde gegen den Titel dieses Werkes auf uns geladen. Goslar ist eine Art Griseldis; ein Kaiserjüngling liebte und verlockte das frische Bergmannskind, machte sie abtrünnig von Stand und Vaterland, gab ihr Schimmerehre und Trughoheit, marterte sie mit herrischem Sinn und zerfleischte als eine männliche Medea ihre Kinder, verstieß sie zuletzt, und ihr blieben nur die ewig treue Vaterbrust unter dem Bergmannskittel und das unverwüstliche Gotteserbe frischer Berge und grüner Wälder.

Treten wir jetzt ein in die Stadt, nur nicht mit der Hoffnung, in ihr auf eine Masse trefflicher Denkmäler der großartigen gotischen Architektur zu stoßen, wie solche fast jede süddeutsche Reichsstadt aufzuweisen vermag. Was übriggeblieben ist aus den Tagen des goslarischen Glanzes, entspricht der schwerfälligen und plumpen altgermanischen Bauart, die nur Festigkeit beabsichtigte, nicht zur Wolkenhöhe, zum klaren Licht der Kunst emporstrebte. Die Gebrechen aller alten Städte – die Mehrzahl enger und verbauter Straßen – trägt auch Goslar; selbst Gärten liegen zwischen den Häusern, und dazu kam vormals noch ein Makel der meisten Bergstädte: wilde Wässer plätschern durch ihre Gassen, und die Gose, ein helles Gebirgsflüßchen, von dem die Stadt den Namen erhielt, durchströmte sie, spaltete die Wege und war hie und da mit rohen Stegen und Sprungsteinen versehen, damit ein Nachbar zu dem anderen gelangen konnte; ein Mißstand, der in neuerer Zeit durch Ableitung des Flusses um die Außenseite und Anlage eines trefflichen Straßenpflasters mit breiten Quadertrottoirs in den Hauptstraßen verschwunden ist. Neue Bauten verschönerten überdies den Ort, unter denen die massive Kaserne in der Nähe der Domkapelle den ersten Platz einnimmt, und die projektierte Eisenbahn von Braunschweig nach Harzburg wird den Bürgern willkommen sein.

Trotzdem aber hat Goslar, obgleich es über tausend Häuser und an siebentausend Einwohner zählt und ehedem mit Wällen und Gräben stolzierte, im Äußeren außer seinen Antiquitäten wenig vor den übrigen größeren Städten am Harz voraus und legt ein sprechendes Zeugnis ab von der bescheidenen Anspruchslosigkeit und dem beschränkten Hausstand der höchsten Herren in früheren Jahrhunderten.

Ihre Hauptantiquität, das Münster oder der Kaiserdom, von Heinrich III. erbaut, wurde ihr 1820 genommen; das Gebäude mit seinen kurzstämmigen und dickköpfigen Säulen, seinen düsteren Gängen, seinem steinernen Kaiserstuhl mit eiserner Lehne, seinem verrufenen Mönchskopf, Er ist das Abbild eines Kelchverfälschers und giftmischenden Fürstenmörders, erzählt die Sage. seine ungetümen Heiligenbilder mußten wegen Baufälligkeit abgebrochen werden. So ist die Stätte verschwunden, wo die Ottonen und Heinriche ihre Tedeums sangen, die Stätte, die 1063 von zwei hohen Kirchenfürsten zum blutigen Schlachtfeld gemacht wurde: vom Bischof Hetzel von Hildesheim und dem Abt Winderrad von Fulda, die um eines elenden Rangstreites willen, uneingedenk des heiligen Ortes und nicht hörend auf Befehl und Friedenswort der Majestät, ihre Freunde und Diener zum Schwertkampf ermunterten, der erst nach der Niedermetzelung des letzten Mannes vom Geleit des Abtes endete und das fröhliche Pfingstfest in einen Trauertag verwandelte. Auch der böse Feind nahm teil an jenem Unfug, trat durch einen später nie zu vermauernden Spalt in das Gotteshaus als ein in Scharlach gekleideter riesiger Rittersmann und hetzte hohnlachend die geistlichen Diener zum Streit, und als man nachher die Hymne anstimmte: »Hunc diem gloriosum fecisti!«, soll der kecke Höllenfürst mit grober Baßstimme, vor der jedermann zitterte, die Litanei in ein »Hunc diem bellicosum Ego feci!« verteufelt haben.

Von diesem Münster ist jetzt nur eine kleine, restaurierte Kapelle übriggeblieben, ein Probestückchen des ungeheuren Baus, gleichsam das Blatt einer Tränenweide vom versunkenen Heldengrab, das abgerissene Stück vom versengten Mantel des letzten großen Templermeisters. In diese Kapelle ist gerettet worden, was noch von Merkwürdigkeiten im Dom zu finden gewesen ist, so jener bronzene sogenannte Götzenaltar, den vier greuliche Priestergestalten tragen – von jeher ein Kreuz und eine Rätselnuß für die forschenden Antiquare, wahrscheinlich ein italienischer Reliquienkasten des Mittelalters, der sogar zur Zeit der französischen Raubzüge die Reise nach Paris mitgemacht hat, ebenfalls einige seltene Schnitzwerke und Gemälde wie auch die auf Glas gemalten Kaiserbilder, die ehedem des Münsters Fenster schmückten. In dieser Kapelle schworen in der Mitternacht des 30. Juni 1073 die edelsten Sachsenritter auf die mächtigen Schwerter ihren Racheschwur, da Kaiser Heinrich, der sie herbeschieden, bei seinem Brettspiel verweilend sie verächtlich abgewiesen hatte.

Ein gleicher ehrwürdiger Rest der Kaiserpfalz ist auf demselben Platz vorhanden; freilich noch immer ein Glied, das auf einen Gigantenkörper hindeutet, doch nur ein von einer Feuersbrunst verschonter Flügel, der jetzt als Kornmagazin gebraucht wird. – Sic transit gloria mundi!

Spiegelt sich aber in Tracht, Waffen und Wohnung der Charakter der Volksstämme ab, so sind unsere deutschen Altvorderen derbe Männer gewesen; die tiefen, fast maßlosen Fensterwölbungen, der Turm des Kaiserhofs und vor allem der Zwinger am Thomaswall mit seinem zwanzig Fuß dicken Mauerwerk erzählen den Urenkeln davon. Auch der Letztgenannte, der viele ernste Dinge gesehen, hat eine eigentümliche Verwandlung dulden müssen; Gastzimmer füllen seine drei Stockwerke, und man kann sich in ihnen an der berühmten »Gose« laben, jenem wachsgelben, trüben, dickschäumigen Weizenbier, dem Freudenwein der Harzer – von ihnen auch Ehestandsbier wegen seiner geheimen Eigenschaften genannt –, das dem Fremdling anfangs nicht mundet und auch im Ausland, da es nicht verfahren werden kann, nur durch den Volksreim bekannt ist, den ein von ihm Gequälter als ein Memento seiner Leiden gedichtet hat.

Besser erhalten prangen auf dem Marktplatz das altertümliche Rathaus und der Wohrt – jetzt eine ansehnliche Gastwirtschaft und Lokal der Kramergilde –, ein Gebäude, in wahrhaft grandiosen Verhältnissen ausgeführt, mit immensen Vorhallen und kühnen Verzierungen, von einem sechseckigen Halbturm in der Mitte auslaufend und zwischen den Fenstern des Hauptstocks durch die lebensgroßen Steinbilder der gerüsteten Kaiser geziert, die ernst auf den Beschauer herabblicken und die, dem Geisterzug von Königen ähnlich, wie ihn Macbeth in der Hexenküche sah, wunderlich das Gemüt bewegen. Dieses alte Wohrtgebäude hat man in jüngster Zeit mit dankenswerter Sorgfalt neu aufgeputzt und vor dem Verfall gesichert.

Unter mehreren Kirchen und Klöstern wollen wir nur noch für ein besonderes Paar die Aufmerksamkeit wecken. Zuerst für das Kloster Neuwerk (jetzt zum Asyl dürftiger Jungfrauen bestimmt) – ein Gebäude, in dem der Liebhaber des altgermanischen Geschmacks ein Musterbild in den trefflichsten Verhältnissen finden kann – und für die Marktkirche, deren Bau kurz vor der Reformation begonnen, durch diese aber gestört wurde, und die sich deshalb durch eine Zwillingsarchitektur von verschiedener Manier auszeichnet. In ihrem Taufregister glaubt man den berühmten Marschall Moritz von Sachsen verzeichnet, den die schöne Königsmark in dem von Busch und Wald versteckten Goslar geboren hat. Der Taufschein lautet vom 18. Oktober 1696. Siehe Dr. Fr. Cramers »Denkwürdigkeiten«, Leipzig 1836. Das köstliche Panorama vom Turm dieser Kirche macht uns die alte Kaiserstadt zu eng und lockt uns von ihr fort in die freiere Natur. –

Wohin sollten wir aber unsere Schritte zuerst richten als zu einem der interessantesten Plätze des harzischen Bergbaus, zum

Rammelsberg,

bei älteren Schriftstellern auch Rammesberg genannt. Durch das Scharztor verläßt man die Stadt und steht nach kurzem Marsch am Fuß der terrassenförmig aufsteigenden Höhe, die, von schlanken Tannen beschattet, eines der merkwürdigsten Bergwerke in ihren Tiefen birgt.

Man hält dieses Bergwerk für das älteste im ganzen Harz, zuerst unter Kaiser Otto I. betrieben und ihn mit einer so reichen Ausbeute überschüttend, daß er ein Dutzend geistliche Stifte davon zu erbauen und alle seine Lieblingsstädte kaiserlich zu beschenken vermochte. – Ein Edelknecht Ottos band einst sein Pferd an einen Baum und ging im Dickicht dem angeschossenen Wild nach. Als er zurückkam, hatte das ungeduldige Tier – Rammel hieß das mutige Roß – den Boden aufgescharrt, und eine blanke Silberstufe lag unter seinen Hufen zutage. Dies soll sich um das Jahr 968 begeben haben.

Eine Varietät dieser Sage erzählt man sich von einem Jäger Ramm und seiner Frau Gosa und beruft sich auf einen uralten Leichenstein, den man zufällig in der Augustinerkapelle aufgefunden habe; doch war es nie und nirgends Sitte, Leute der dienenden Klasse mit Schwert und Krone abzukonterfeien, und die Namen hat augenscheinlich eine spätere Hand, von gutgemeintem Patriotismus geführt, hinzugekritzelt.

Die Sachsen, des Bergbaus unkundig, verstanden anfangs nicht, den beispiellosen Erzschatz ans Licht zu fördern; ein Kanzler Heinrichs II. rief daher geübte Franken herbei, von denen ein Teil der Stadt Goslar bis heute den Namen Frankenberg trägt, und im vierzehnten Jahrhundert verschrieb man Meißner Bergleute, nach denen auch noch jetzt ein tiefer Stollen benannt ist.

Der Rammelsberg liefert eine Probekarte der Reichtümer des ganzen Harzes, vom Mantel des trübschimmernden Bleis verdeckt; so das blendende Silber wie das königliche Gold, das gelbe Kupfer neben dem brennbaren Schwefel, dem braunknospenden Zink, Vitriol, Ocker und giftigen Arsenik – das alles bricht nebeneinander, und nicht leicht möchte irgendein Berg von so geringem Umfang eine solche Mannigfaltigkeit von Naturschätzen umschließen; aber auch die Gewinnung derselben hat ihr Eigentümliches. Nicht mit Stein und Schlegel raubt man hier dem Berggeist sein Erbgut, sondern mit dem zerstörendsten Element: mit dem Feuer verbündet sich der Mensch und zwingt es, seiner Habsucht dienstbar zu werden.

Sind wir in die Tiefe gefahren, im Stollen fortgewandert, so empfangen uns unerwartet weite Gewölbe, von Mauerwerk unterstützt, deren finstere Wände das ungewohnte Auge nicht auszumessen vermag und in deren Schluchten die Arbeiter mit ihrem Lämpchen wie Zwerge anzusehen sind. Mächtige Scheiterhaufen sind errichtet bis zur Decke der Klüfte hinan; der Feuerwächter legt seinen Kienspan hinein, und schnell zuckt die Flamme auf, schießt in hundert lebenden Feuerzungen gegen das Gestein und beleuchtet bald den ganzen Raum auf eine wahrhaft grauenvolle Weise. Da steht man wie in einer unterirdischen Hölle, wie in der Werkstatt des hinkenden Hephaistos, die der Bauch des Ätna umschließt; dicke Rauchwolken wirbeln auf und wälzen sich nach den Zugschächten hin, Schwefeldunst drückt die Brust, die mächtigen Holzscheite knistern, das erhitzte Steingewölbe kracht und springt, in den Wänden werden die tiefen Vitriolgrotten sichtbar mit einer unbeschreiblichen Schönheit; geöffnete Schmuckkästlein der Geisterkönigin voll strahlender Smaragde, bunte Jöckelzapfen und traubenförmiges Rosengut Jockel und Rosengut heißt in der Bergmannssprache auswachsendes Vitriol; jenes in der Form von Eiszapfen, dieses drusenartig gebildet. hängen überall von der Decke und an den Stützen als Zierat und Schnörkel unheimlicher Künstler, und dazwischen wandeln, um die Täuschung zu vollenden, die nackten, kräftigen Zyklopengestalten, mit der Eisenstange die Flammen schürend, sich zuweilen erquickend aus der wunderbar süßen Quelle des ummauerten unterirdischen Brunnens, sich dann und wann ruhend auf dem in den Fels eingehauenen, mit Moos gepolsterten Lager und nach vollbrachter Arbeit außen in kältester Luft den unverwüstlichen Körper mit hartem Krätzer vom strömenden Schweiß und zähen Schlamme säubernd.

Eingewachsener Hornstein und Spattrümmer machen die Erze des Rammelsberges so fest, daß sie nur auf diese Weise zu gewinnen sind. Acht Stunden brennt solch ein Holzstoß, dann finden sich die Schwefeladern aus dem Gestein gelöst, das Erz stürzt in Brocken herunter, wird vollends, wo es mürbe ist und nicht klingt, durch Brechstangen losgestoßen, gesammelt und im großen Treibschacht hinausgewunden.

So überraschend das seltene Schauspiel, welches das Innerste dieses Bergwerkes darbietet, für den Fremden ist, so sehnt man sich doch sehr bald wieder hinaus an Luft und Licht;

Denn da drunten ist's wahrhaft fürchterlich,
Und man fühlt vom Himmel verlassen sich! –

Der Qualm mehrt sich, die Hitze steigt bis zum Unerträglichen, die ungewohnten Puchkleider drücken, und man freut sich, vom Tag wieder begrüßt zu werden, und steigt entlastet und in dem Doppelgefühl eines vollbrachten Wagestücks und einer zerronnenen Gefahr mit geschmeidigen Gliedern die steile Berglehne hinan bis zu dem Glockenturm, dessen eherne Zunge die Arbeiter befehligt. Mitleid mit dem jammervollen Tagewerk dieser fleißigen Menschen füllt die Seele, wenn man den gähnenden Bergbruch betrachtet, den man in der Nähe dieses Weges trifft, weitverbreitete Risse, zackige Erdlöcher und verwirrte Haufen, von denen der Führer mit düsterem Auge erzählt, daß wir neben dem Trümmerfeld eines entsetzlichen Einsturzes stehen, der durch unvorsichtigen Bau veranlaßt wurde, einst eine Menge Schächte vernichtet und in einer Stunde vierhundert Witwen gemacht hat (1353). Und trotz der Warnung grub Menschenhand sich wieder ein in die tückische Tiefe, und die Söhne der Begrabenen, der Zerschmetterten suchten neben den Gebeinen der Väter mit gleicher Gier nach dem blanken Metall, das der Gott des Menschengeschlechts geworden scheint.

Aber was tut denn die Mehrzahl der Adamskinder anderes als sie? Ob wir dem bodenlosen Meer uns anvertrauen, ob wir wuchern und feilschen mit dem Nachbar, ob wir in der Rennbahn eitler Ehre dem Nebenmann den Rang abzujagen suchen, ob wir auf glattem Parkett uns bücken und kriechen, ob wir bei der schwalkenden Grubenlampe des Studierzimmers die Gesundheit opfern – geschieht's nicht meistenteils um dasselbe kalte Metall, das nun einmal eine Notdurft geworden ist? Wohl dem, der wie der Bergmann mit unbelastetem Gewissen zutage fährt von seiner Schatzgräberei und gleich ihm einem Schlaf ohne böse Träume entgegeneilt und dem unaufhaltbaren Wettlauf und dem, der darüber waltet, die Verantwortlichkeit seines Schicksals zuschieben darf. –

Ein Blick vom Glockenturm aus zerstreut schnell die Nebel solch trübsinniger Betrachtungen. Die Aussicht ist weit und schön und wahrhaft erquickend! Unter uns die Stadt – ein wimmelndes, fleißiges Ameisennest; rundum, wo sich nur eine Ebene entfaltet, eine Schlucht sich öffnet, Dörfer und Flecken; fernhin, wo die Sonne hell leuchtet, sogar das prunkende Halberstadt, und zur Seite überall Berge von verschiedenster Form. Hier erhebt sich der Petersberg, der, wie der Bräutigam die Braut, eine freundliche Anhöhe beschirmt, die mit Lustgärten bedeckt ihrem Namen Rosenberg Ehre macht; dort der Sudmerberg, mit seiner Warte abgerundet und glatt wie ein englischer Pudding; in der entgegengesetzten Himmelsgegend ein stumpfer Felsenberg, der die Trümmer des Stammschlosses der Steinberge trägt und nach ihnen benannt ist; seinen Fuß ziert ein grüner Anger: der Lindenplan mit dem Schützenhaus – berühmt durch sein sommerliches Scheibenfest, zu dem groß und klein von weither wallfahrt, sich der Goslarschen Gastlichkeit erfreut und wo alsdann der grüne Plan von einem bunten Menschenmeer überflutet erscheint, wie es kaum geschehen sein mag, als hier Theodorikus Schmiedeken zuerst seine lutherische Bergpredigt gehalten hat.

Nicht weit davon stolziert noch der bewaldete Nordberg und zuletzt der flachere Kattenberg – vielleicht eine historische Reminiszenz jenes tapferen Volksstammes, der seinen Schlachtenruhm nach den Eisenringen am sieggewohnten Arm zu zählen gewohnt war. –

Ehe wir diese anziehende Gegend verlassen, müssen wir trotz der Ermüdung noch eine Strecke ins Gebirge gegen den Oberharz und Clausthal hinauf, wo der Weg von da nach Goslar sich niedersenkt. Umgeben von dem Saum des dichten Tannenwaldes trifft der Blick auf einen Platz, der den Gereisten wie mitten in die Herrlichkeiten seiner unvergeßlichen Schweiz versetzt. Schwarze Schieferflöze streichen hier unbedeckt bis zur Kaiserstadt hinab; rechts und links senken sich wüste Berggründe in eine wilde Tiefe, und ein furchtbar dunkler Spalt schneidet plötzlich vor des Wanderers Füßen die Landstraße durch und ist mit einer Brücke überbaut, von der man schwindelnd an den senkrechten Wänden hinabstarrt, zwischen denen das Wasser des nahen Schieferbruchs träge und kaum bewegt fortschleicht. Es ist ein Platz, der dem Neugierigen die Reise zur Teufelsbrücke am Gotthard zu ersparen vermag, und wir bedauern, daß unser Maler ihn zu zeichnen vergaß. –

Die erste Schüssel auf der Tafel eines wackeren Wirts weckt den Appetit für die folgenden, und wir möchten uns überzeugt halten, daß gleichermaßen der Eintritt in den Harz von dieser Seite eine Befriedigung spendet, die mit frischem Reiz zur weiteren Bekanntschaft anspornt und den Abschied von der Kaiserstadt erleichtert. Unsere Pilgerstraße läuft jetzt östlich fort, und nur der sonderbare Sandsteinfelsen am Fuß des Petersbergs, der an fünfzig Fuß hoch aus der Ebene hervorstarrt und dräuend mit seinem gespaltenen Gipfel auf das Brücklein herabschaut, hemmt auf einige Augenblicke unseren Marsch in der lieblichen Morgenkühle.

Die Claus

heißt diese einzelne Klippe, in der man von fernher die in ihr mühsam ausgearbeitete Wohnung nicht vermutet. Zur Zeit als das vom Kaiser Heinrich III. 1046 erbaute St.-Peters-Stift noch auf des Berges Gipfel stand, war es eine Kapelle, der jungfräulichen Mutter geweiht. Auch soll einmal ein Eremit dort gewohnt haben, dem es eben nicht an munterer Gesellschaft gefehlt haben mag. Nachdem die Bürger von Goslar das Stift eingeäschert hatten (1527), blieb es lange ein unwohnlicher Aufenthalt für Zigeuner und lichtscheues Gesindel, bis der jetzige Besitzer, Cramer von Clausbruch, das seltsame Steinhaus wiederum freundlich einrichtete und mit einem Lustgärtchen umkränzte. –

siehe Bildunterschrift

Die Claus und die Rummelsburg

Der nächste Ort, den unser Weg nach stündlichem Marsch berührt, ist der ansehnliche Hüttenort Oker, und wir dürfen nicht vorüberziehen, ohne einen Blick in das ihn berührende, höchst romantische

Okertal

zu werfen. In einem reizenden Halbkreis sanft gewölbter Höhen verstecken sich eine bedeutende Anzahl ansehnlicher Gebäude, zwischen denen die Oker, einer der bedeutenderen Bergflüsse, ihr geschlängeltes Bett gebrochen hat, über zertrümmerte Granitblöcke und zackiges Ufergestein mit ihrem krausen, rauschenden Wasser sich Bahn macht, von vier Schwesterflüssen verstärkt und ansehnlich genug geworden ist und zur älteren Welfenstadt hinunterströmt. Die Gebäude, die man an sie lehnte, dienen dem fleißigen Gewerk. Es sind Schmelzhütten voller Öfen und Herde, Scheidehäuser und Hammerwerke, Messinghütten und Kesselfabriken, Mahl-, Walk-, Öl-, Säge- und Papiermühlen. Der Reichtum des Rammelsberges wird hier für den Gebrauch der Menschen zurecht gemacht, und der kleine Fleck könnte einem Wilden der amerikanischen Urwälder mit eins einen anstaunenswerten Begriff von demjenigen geben, was seine Brüder mit dem bleichen Angesicht ihm voraus haben, und er würde das stutzende: Hugh! auf seine Lippen rufen. Doch wohler noch müßte dem Kind der Natur werden, flüchtete es aus dieser Stätte der Mühe und des Fleißes und aus ihrem das Ohr ermüdenden Geräusch von unmelodischen Klappern und Gestampf der Räder und Hämmer höher den Fluß entlang und träte in die wirre und doch so wundersam gestellte Wildnis, die das ganze Tal mit hundertfältigen Schönheiten ausschmückt. Gestreifte Marmorklippen legen sich hier in Trauerfarben und terrassenförmig übereinander; bläulicher Tonschiefer lehnt sich in schrägen Senkungen dort zum Wasserspiegel nieder; aufgetürmt hier, dort wie von Titanenfaust zersprengt und hingeworfen lagern helle Granitfelsen ringsumher, und Steinpyramiden schießen steil auf aus der düster beschatteten Schlucht; und all das ist gemildert, besänftigt durch die lieblichen Baumgruppen, durch dichten Laubwald oder einzelnen, auf das Gestein verstreuten Tannenbusch.

Kühn steigt der Treppenstein himmelan und bewahrt noch die Zellentrümmer und den Altar des verschwundenen furchtlosen Klausners; die Studentenklippe begnügt sich mit dem einzelnen, dürren Baum – ein Bild manchen Scholarenlebens; und der Ziegenrücken, in seiner Zerrissenheit ein Muster wildester Naturschönheit, gönnt auf seinem Gipfel einen unerwarteten Freiblick in das flache Land, der den romantischen Flug der Seele verdoppelt. Und überdies hat ein Naturfreund durch bequemere Stege, durch natürlich scheinende Gelände, durch versteckte Ruhesitze den Genuß weniger mühevoll gemacht, ohne der Natur zu schaden und ihren gewaltigen Eindruck zu zerstören. –

Der Fußweg von Oker nach der

Harzburg

zieht sich friedlich und freundlich durch Wiesen und stilles Gehölz, und das aufgeregte Gemüt gewinnt Zeit zur Erholung und Besänftigung – ein Vorteil, den der Wechsel der Harzgegenden gewährt und den eine Harzreise vor vielen anderen Bergfahrten voraus hat. Man trifft auf eine stille Ziegelei, auf ein einladendes Försterhaus, dessen Hirschgeweihe an Gipfel und Pforte das männliche Tagesgeschäft seines Herrn loben, und an einem silberklaren Bächlein darf man sich lagern und erquicken. So verläuft die Stunde schnell und unbemerkt, und man steht unvorhergesehen schon wieder an einem Harzfluß, die Radau genannt – nicht unwichtig, weil sie gleich der Oker Bau- und Brennholz nach Braunschweig trägt –, man steht im Flecken Neustadt neben der reichen Saline Juliushall und unter dem Burgberg, der einst die Ehre hatte, die wichtigste Feste des Gebirges zu tragen. Sonderbar fällt es auf, daß sich die Einwohner mehrerer Harzflecken, so hier wie in dem bereits erwähnten Langelsheim, Männer nennen; hätten sie sich vielleicht dadurch von den trägeren und weniger wehrhaften Bürgern der Städte im wohlanstehenden Stolz zu unterscheiden gedacht? –

Der Burgberg ist ziemlich hoch, steil und ermüdend und voller Dickicht. Aber was blieb auch hier übrig von der Kaiser- und Fürstenpracht? Zerbrochenes Gemäuer, mit tristen Flechten bewachsen, die Reste eines Turmes, trockene, von Disteln und Unkraut gefüllte Gräben und der weite Schlund eines verschütteten Brunnens, der mitten im Busch unvermutet und erschreckend vor uns aufgähnt. Vieles könnte dieser Berg erzählen, hätte er eine Zunge oder wir ein Ohr für die Stimmen, die in den uralten Baumgipfeln flüstern, aus den Spalten des Gemäuers zischeln und in den vielfachen, hohlen Steinklüften murmeln, wenn der Nachtwind sie berührt, und die Schatten derer, die in ihnen früh und unwillkommen schlafen gingen, wach ruft. Ein Götze soll in diesem Versteck seinen Wohnsitz gehabt haben, bis Karl der Große, dieser hochherzige Franke, der ein Typus war eines Selbstherrschers, und den bislang kein Nachfolger – der verwegenste Mann des Jahrhunderts selber nicht – erreicht hat, dem versteckten Priesterdienst auf dem Hartisberg ein Ende machte und eine christliche Kapelle auf das blutbefleckte Fundament stellte, wo das Priestermesser manchen gefangenen Wehrmann geschlachtet und manchem Verbrecher den tödlichen Blutadler in das Fleisch geschnitten hat. Krodo tauft die Sage jenen Götzen; Heineccius schrieb eine eigene »Dissertatio de Crodone Harzburgico«. Er soll ein und dieselbe Person gewesen sein mit dem mythologischen Scatur, dem Gebieter der Erde, den man mit einem Rad in der Linken, einem Fruchtkorb in der Rechten abgebildet hat, von dem der Saturday, der Sonnabend, den Namen tragen soll. Vielleicht war es der Surtan, der dunkle Sohn des bösen Loki, den Wodan in die Feuerwelt schleuderte, weil er gegen den Allvater Verrat gesponnen hat. Es ist die Mythe vom Satan; der Teufel spielt überhaupt auf dem Harz eine große Rolle.; ein Name, den der Forscher vergeblich im Stammbaum der nordischen Götter sucht und den ein neuerer Geschichtsfreund nicht ungeschickt als eine Volkskorruption des niedersächsischen »dei Grote = der Große« zu erklären versucht hat. Doch der tägliche Wechsel des Schicksals traf auch diesen Platz; das Heiligtum wich dem Weltlichen, eine Zwingburg nahm es in mütterlichen Schutz und umbaute es mit ihren Warten und Zwingern, bis auch sie wiederum den Zoll der Zeit zahlte, das Menschenwerk durch Menschenhand zerbrach und die Natur sich in ihr altes, nie verlöschendes Recht einsetzte.

Heinrich IV. wird als der Erbauer der Harzburg genannt (1068), wahrscheinlich blieb aber der für Raubsucht und Wolfsgier gelegene Platz nicht bis zu ihm ungenutzt. Von den Sachsen zerstört und von Friedrich Barbarossa wiederhergestellt, saßen die Grafen von Waldenberg als kaiserliche Vögte auf ihr. Sie barg das Sterbebett Kaiser Ottos IV.; sie war im Besitz der Grafen von Wernigerode, denen der rastlose Herzog an der Leine, Otto der Quade, die Feste abnahm und den von Schwimhalde schenkte; später trieb ein ritterlicher Wegelagerer aus dem Geschlecht derer von Utze sein Unwesen auf dem neu befestigten Kastell und wurde von den Braunschweigern (1438) im bösen Faustwerk gestört, bis Herzog August zuletzt (1653) den für Aberglauben und versteckte Gewalttat günstigen Ort völlig niederlegen zu lassen und unbewohnbar zu machen beschloß.

So liegt denn der Ort jetzt wüst und öde, wo sich ehedem in Silberwams und Eisenzeug die Ritter zum Saal des kaiserlichen Herrn gedrängt, wo die höchste deutsche Frau im Blumengarten der schönsten Fräuleins zu Hofe saß oder zur Kapelle zog am hohen Fest, von blühenden Pagen begleitet, die das kostbare Gebetbuch und den Goldstoff ihrer Schleppe trugen, wo im mächtigen Silberpokal des Rheins herrliche Traube schäumte und das Turnierspiel den Tag, der Minne schamhafte Freude den Abend würzte; und nur wenn die herbstlichen Stürme durch die Wälder sausen und das ersterbende Laub von den Zweigen fegen, wenn die dunklen Wolken am Himmel sich treiben und den Mond verhüllen, nur dann wird es lebendig im alten Gemäuer. Um Mitternacht rast alsdann hinaus der tobende Hackelnberg mit seiner wilden, gespenstischen Jagd. Voran fliegt als sein Leibhornist die Tutursel, einst eine in Weltlüsten versunkene Nonne, deren heulende Stimme wie ihr sündhafter Lebenswandel ihren frommen Schwestern gleich zuwider war und die jetzt in der Gestalt einer gewaltigen Ohreule den Genossen ihrer Frevel zu begleiten verdammt worden ist. Der Unholdin folgt der endlose Zug von heiser kläffenden Hunden und kreischenden Jagdbuben und füllt mit gellendem Hussa die Lüfte; und zuletzt spornt der wilde Jagdfürst seinen feuersprühenden Rappen und schwingt die knallende Peitsche und droht mit blitzendem Wurfspeer. Und wenn der späte Wandersmann die Tutursel hört, so wirft er sich in den Sand oder lang auf das Waldmoos und birgt das Gesicht, bis der Höllenspuk über ihn hingerauscht ist und kein kluger Jagdmann streift in dem Revier, wo nachts zuvor der Wilde Jäger gehaust hat, sein Gewehr würde nicht losbrennen, sein Fangmesser fehlen und er beschämt oder gar wund nach Hause kommen.

Dieser gespenstische Hackelnberg aber war ein fürstlicher Jagdmeister und ein gefürchteter Waidmann von hoffärtiger und gottloser Gemütsart. Er ehrte nicht den Sonntag und schonte nicht des Landmanns goldenes Saatfeld noch die Herde des flehenden Schäfers. Flüche gingen aus seinem Mund statt des Morgengebets, Flüche statt des Abendsegens, und seinen Gelüsten blieb selbst die Mauer des Schwesternklosters nicht heilig und unantastbar. Da träumte ihm in einer Nacht, der grimmige Keiler, dem er schon mehrere Tage im Gebirge nachgespürt hatte, werde ihn schlagen bis zum Tode. Aber mit wüsterem Fluch fuhr er morgens vom Polsterbett empor, fluchte Rüden und Buben zusammen und hetzte sie auf die frische Fährte des Ebers. – Hohnlachend des warnenden Prophetentraumes stand am Abend der stolze Gesell an einen Eichenstamm gelehnt und trat mit der Ferse auf das erlegte, schwarzborstige Wild und schlug mit dem Fuße spöttisch nach des Feindes struppigem Haupt. Da fuhr der weiße Hauer des verendeten Ebers scharf und tief in des Siegers Fleisch, zerriß Ader und Nerv und strafte den Übermut.

Und als der wüste Waidmann verblutend und sterbend lag auf seinem Bett in der Harzburg, schauderte ihm vor der Aussicht in das dunkle Reich, das sich ihm auftat, und er sprach mit lallender Stimme im Todeszucken: »Was soll mir das Himmelreich, wenn mir anders der Pförtner auch den Einlaß nicht versagte! Ich gäbe hin das Himmelreich, wenn mir erlaubt wäre, zu jagen im schönen Wald bis man zum Jüngsten Gerichte geblasen hat!«

Burgpfaff und Schloßgesinde wichen entsetzt von dem röchelnden, todbleichen Frevler; ihm aber geschah, wie er gewünscht hatte, und er rast bis heute in seiner mächtigen Lust, und der Harzer hört ihn über sich, flucht jedoch gar öfter unbedacht gleich ihm und gedenkt der schauerlichen Warnungsmär nicht länger, als das »Tuhu!« der Tutursel sein Ohr berührte.


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