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VII.

Herr Bernhard Sieveking, Rechtsanwalt am Königlichen Kammergericht zu Berlin, hatte ja schon seit mehreren Tagen erheblichen Grund zur Unzufriedenheit mit dem Verhalten seines Kollegen und Associés, des Herrn Gustav Herold, gehabt. Aber in den kommenden Tagen wuchs diese Unzufriedenheit sich zu einer chronischen Verstimmung aus. Sein Dezernat in der gemeinschaftlichen Praxis verwaltete Herr Herold mit einer derartig offensichtlichen Interesselosigkeit und Zerfahrenheit, daß der Bürovorsteher sich verpflichtet fühlte, mit dem jüngeren seiner beiden Chefs wegen dieses Verhaltens des älteren in aller schuldigen Ergebenheit denn doch einmal Rücksprache zu nehmen. Herr Herold scheine überhaupt nur noch für den Betrieb der einen Sache, der Strafsache Mengershausen, zu existieren, klagte der Beamte. Vorgestern habe er einfach die ganze Kammergerichtssitzung versäumt, und es seien in drei wichtigen Sachen gegen das Büro Herold und Sieveking von seiten der Herren Kollegen Versäumnisurteile genommen worden. Die laufenden Eingänge blieben unbearbeitet ... die Klienten, die zur Rücksprache bestellt seien, müßten stundenlang warten, da Herr Herold die Sprechstunde nicht mehr innehalte; und dann würden sie häufig unter irgendeinem Vorwand weggeschickt, weil Herr Herold nicht in der Stimmung sei, sie anzuhören und ihre Sache ordnungsmäßig zu fördern. Das könne doch unmöglich so weitergehen ... ob Herr Rechtsanwalt Sieveking nicht einmal mit Herrn Rechtsanwalt Herold dieserhalb sich offen aussprechen wolle –?

Das versprach Herr Sieveking zu tun, kam aber an diesem und dem folgenden Tage nicht dazu, seinen Vorsatz zur Ausführung zu bringen, da sein Sozius überhaupt nicht auf dem Büro erschien und nur in einem zwar sehr flüchtigen, doch auch sehr dringlichen persönlichen Brief an Sieveking bat, einige Tage mit ihm Geduld haben und seine Arbeit so gut als möglich mit übernehmen zu wollen ...

Ja, Gustav Herold war wirklich verwandelt. Er, der sonst als einer der gewissenhaftesten Arbeiter unter den Kammergerichtsanwälten bekannt war, der mit seinem Associé niemals die leiseste Differenz gehabt hatte, vernachlässigte alle seine Pflichten auf das gröblichste, um sich einzig und allein dem »Fall Mengershausen« zu widmen. Und wahrlich, es gab genug zu tun ...

Übrigens nicht nur in der schwebenden Ermittlungssache. Herr Rechtsanwalt Meyer XIII von den Landgerichten I, II, III entfaltete eine unheimliche Rührigkeit. Schon am Morgen nach der ersten Unterhaltung, die er mit seinen beiden Auftraggeberinnen gehabt hatte, den Schwestern des verstorbenen Geheimrats, richtete er an das Nachlaßgericht einen Antrag, dahingehend, es möge in Gemäßheit des Paragraphen 1960 des Bürgerlichen Gesetzbuches das Verfahren zur gerichtlichen Sicherung des Nachlasses eingeleitet und ein Nachlaßpfleger bestellt werden. Es möge der gesamte Nachlaß unter Siegel gelegt, sowie die Hinterlegung von Geld und Wertpapieren, soweit solche vorhanden wären, und der sämtlichen vorhandenen Gegenstände höheren Wertes, endlich die Aufnahme eines Nachlaßverzeichnisses angeordnet werden.

Der Nachlaßrichter fühlte sich verpflichtet, bei der Höhe der in Frage kommenden Interessen auch den »andern Teil« zu hören und begab sich persönlich in das Untersuchungsgefängnis. Frau Mengershausen verweigerte indessen jede Erklärung, bevor sie mit ihrem Anwalt Rücksprache genommen, und die Gefängnisverwaltung erlaubte ihr, Herrn Rechtsanwalt Herold telephonisch zu einer mündlichen umgehenden Besprechung herzitieren zu lassen. Sie bat den Nachlaßrichter aufs dringendste, die Ankunft des Rechtsanwalts abzuwarten, und auch der vielerfahrene Herr Amtsgerichtsrat, obwohl des Verkehrs mit bittenden Frauen wahrlich nicht ungewohnt, konnte der schönen Gefangenen nicht widerstehen. Und so stand Gustav Herold schon nach zwei Tagen wiederum seiner Klientin gegenüber ... und zwar selbstverständlich wieder in Gegenwart des kleinen Referendars, ohne den er die Genehmigung der Untersuchungsbehörde zur Verhandlung mit seiner Klientin nun einmal nicht erhielt ...

Dem Nachlaßrichter kam es vor allem darauf an, zwei Punkte aufzuklären:

»Also sehen Sie, liebe Frau Mengershausen –« sagte der alte Herr, als er nun der in tiefes Schwarz gehüllten Witwe an dem schmalen Tisch im Verhörzimmer des Untersuchungsgefängnisses Aug' in Auge gegenüber saß, »da ist wirklich ein kitzliger Punkt – genau vierzehn Tage vor dem Tode Ihres Herrn Gemahls ist das Testament errichtet worden ... das Testament, das Sie zur Universalerbin einsetzt ... während die andern gesetzlichen Erben, also die beiden Schwestern des Verstorbenen, leer ausgehen ... Ja – in Geldsachen hört die Gemütlichkeit auf ... Sie dürfen sich also nicht wundern, daß die beiden Damen und ihre respektiven Herren Ehemänner nicht gerade sehr gut auf Sie zu sprechen sind. Und Sie werden ohne weiteres zugeben: ein bißchen auffällig ist dies Zusammentreffen – nicht wahr –?!«

Mit voller Ruhe hielt Frau Susanne den Blick des Richters aus, dessen Schärfe sich unter jovialer Galanterie zu verstecken suchte.

»Ich verstehe das alles sehr wohl,« sagte sie mit einem leisen, schmerzlichen Lächeln. »Wenn mein Mann geahnt, wenn er es sich klar gemacht hätte ... welch seltsame Auslegung man der gütigen Fürsorge geben würde, die er noch so kurz vor seinem Tode für die Gefährtin seines Lebens betätigt hatte, dann würde er den verhängnisvollen, unseligen Schritt, den er getan hat ... dann würde er den wohl nicht so unmittelbar auf diese letzte Handlung seiner Liebe für mich haben folgen lassen.«

»Ja – das dürfen Sie Ihren Schwägerinnen nun schließlich nicht gar so sehr übelnehmen – daß sie sich über dieses Zusammentreffen Gedanken machen, nachdem von anderer Seite eine so merkwürdige Lesart über den Tod Ihres Herrn Gemahls in die Debatte geworfen worden ist ... Nun sagen Sie mir gefälligst eins: hat Ihr Herr Gemahl sich aus freien Stücken entschlossen, oder haben Sie ihn dazu veranlaßt?«

»Diese Frage, Herr Richter, können Sie nur stellen, weil Sie mich nicht kennen. Fragen Sie alle Menschen, mit denen ich je in Berührung gekommen bin – die wissen, wie ich in Geldsachen denke und handle ... wie ich mit meinem verstorbenen Mann gestanden habe ... fragen Sie die alle, ob sie es auch nur entfernt für möglich halten, daß ich meinen Mann veranlaßt haben könnte ... daß ich überhaupt Roheit genug besessen hätte, um mit meinem Manne darüber zu sprechen, daß er vielleicht in Kürze eines unerwarteten Todes sterben könnte ... Jeder wird Ihnen sagen, daß ich mir eher die Zunge abgebissen haben würde, als meinem Manne solche Zumutung zu stellen ...«

»Also Ihr Mann ist ganz aus freien Stücken mit der Absicht hervorgetreten, ein Testament zu machen?«

»Selbstverständlich,« erwiderte sie ruhig. »Ich muß gestehen: als er mir seine Absicht eröffnete – schon damals habe ich einen furchtbaren Schreck bekommen. Ich habe mir sofort die schwersten Sorgen um seine körperliche und seelische Verfassung gemacht – habe mich gefragt, ob er nicht am Ende als Arzt sein eigenes Befinden selber ungünstiger beurteile, als er es mir gestanden hatte ... Jetzt freilich ... jetzt ist es mir völlig klar: als er mir mitteilte, er wolle zu meinen Gunsten ein Testament errichten – da hatte er seinen Zustand erkannt, vielleicht sogar ... schon ... die Absicht gehabt –«

Die klaren Augen der schönen Frau hatten sich umdunkelt. Ihre Lippen zuckten, ihre Stimme versagte.

»Also ... Ihr Mann hatte Ihnen von seinem Entschluß, ein Testament zu errichten, Mitteilung gemacht –?« fragte der Richter.

»Wie Sie hören, Herr Richter! Er hat mich gebeten, den Notar zu bestellen ...«

»So –? Sie haben selber den Notar bestellt –?«

»Allerdings. Schweren Herzens, wie Sie sich denken können ... aber ich hatte das Gefühl, daß es besser für ihn sein würde, wenn ich selber die Sache leicht nähme, als wenn ich meine Erregung und Sorge verriete ... Ich habe mich gestellt, als ob mich sein Entschluß weiter nicht beunruhige ... Er war ja in allen seinen Angelegenheiten von einer so peinlichen Ordnungsliebe ... ich habe so getan, als ob ich das als eine einfache ... wie soll ich sagen –? als eine ... eine Verwaltungsmaßregel ansähe, als eine Handlung, die schließlich über kurz oder lang doch einmal vorgenommen werden müsse ... Und so habe ich, ohne weiter zu widersprechen, den Notar bestellt ... obwohl sich mir das Herz dabei umdrehte ... das können Sie mir glauben, Herr Richter.«

»Ich bin überzeugt, gnädige Frau ... und nun – nun zu dem zweiten Punkte, über den ich gerne Ihre Ansicht erfahren wollte. Der Antrag, den Ihre Schwägerinnen bei mir eingereicht haben, stellt die Eventualbehauptung auf, Ihr Gatte möge sich zur Zeit, als er das Testament niederlegte, nicht mehr im Vollbesitz seiner – wie das Gesetz es nennt – seiner Geschäftsfähigkeit befunden haben ... das will sagen, seine Geistestätigkeit habe sich schon damals in einem Zustande der Störung befunden ... der Störung durch dieselben krankhaften Einflüsse, die ihn dann vierzehn Tage später veranlaßt haben, Hand an sich zu legen ... Wie stehen Sie dazu?«

Frau Susanne dachte einen Augenblick nach.

»Ich weiß nicht, ob ich mir darüber ein Urteil erlauben darf ...« sagte sie langsam mit bebender Stimme. »Ich bin selbstverständlich vollkommen überzeugt gewesen, daß mein Mann bei ganz und gar ungetrübtem Verstande sei ... er befand sich ja doch in dauernder ärztlicher Behandlung ... fragen Sie doch den Arzt, der ihn behandelt hat ... den Notar, der das Testament aufgenommen hat ... was für Eindrücke sie von der geistigen Verfassung meines Mannes bekommen haben ... diese Herren können doch ein viel unbefangeneres Urteil abgeben als ich – nicht wahr?«

»Aber diese beiden Herren stehen unter dem Gebot der Amtsverschwiegenheit in bezug auf alle ihre Wahrnehmungen, die sie bei diesen Berufshandlungen gemacht haben,« warf der Richter ein.

»Das verstehe ich nicht –« sagte Frau Susanne. »Wenn ich doch damit einverstanden bin, daß sie Ihnen erzählen, was sie wissen –?«

»Das heißt, Sie entbinden die beiden Herren von der Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit?«

»Aber selbstverständlich, Herr Richter! Ich bitte im Gegenteil ausdrücklich darum, daß Sie die Ansicht dieser beiden Herren einholen. Das kann nur zur Klärung der Sachlage beitragen – und ich wünsche nichts sehnlicher, als daß vollständige Klarheit geschaffen wird.«

Der Blick des alten Herrn milderte sich sichtlich.

»Das werde ich also zu Protokoll nehmen, wenn Sie gestatten, nicht wahr? Ich meine, daß Sie die beiden Herren von der Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit entbinden, nicht wahr?«

Susanne nickte stumm.

»Hm –« sagte der Amtsgerichtsrat. »Das waren die Punkte, über die ich mich von Ihnen persönlich informieren lassen wollte, gnädige Frau. Ich danke Ihnen verbindlichst – ich glaube genug zu wissen. Wenn ich dennoch ... ganz abgesehen von meiner persönlichen Auffassung der Sachlage ... mich genötigt sehen sollte, dem Antrag Ihrer Schwägerinnen nachzugeben – und das Verfahren zur Sicherung des Nachlasses Ihres Gatten einzuleiten ... so bitte ich Sie, das nicht so aufzufassen, als ob der leiseste Verdacht gegen Sie bestände. Im Gegenteil – Sie haben ja noch selbst hervorgehoben, daß Sie eine völlige Klarstellung der Verhältnisse wünschen. Und da Sie ja leider möglicherweise noch auf längere Zeit ... der persönlichen Fürsorge für Ihre ... für Ihre häuslichen Verhältnisse entzogen sein möchten ... so könnte es, meine ich, auch in Ihrem Interesse nur wünschenswert sein, wenn die Behörden ihre Hand auf die Hinterlassenschaft Ihres Mannes legen und damit jeden Verdacht ausräumen, als sei von Ihrer Seite dort irgendwelche Veränderung veranlaßt worden ...«

»Ich werde versuchen, mir diese Auffassung zu eigen zu machen ...« sagte Susanne leise, »obwohl ich das Gefühl habe ... doch nein – auf meine Gefühle kommt es ja nicht an. Also erfüllen Sie den Wunsch meiner Schwägerinnen. Meine persönlichen Empfindungen über diesen Schritt der beiden Damen behalte ich mir natürlich vor.«

– – Nein, sagte Gustav Herold zu sich selber, als er sich von den beiden anderen Juristen getrennt hatte und nun, um sich ein wenig zu sammeln, langsam durch Alt-Moabit gen Südosten schlenderte – nein! das war ja alles Wahnsinn! wie hatte er jemals auch nur auf die leiseste Idee kommen können, diese Frau wäre eine ... es ist lächerlich, es ist barock, es ist eine Majestätsbeleidigung!

Und schließlich – sieh dich doch einmal an, Gustav Herold! wer bist du denn eigentlich, daß du dir auch nur einen Augenblick einbilden konntest, eine solche Frau hätte zur Mörderin werden können um deinetwillen –! Was ist denn groß an dir dran? Ein leidlich hübscher Kerl – na ja, das vielleicht ... der Spiegel sagt's, Helene sagt's, und außer ihr hat's in diesem Leben wohl noch eine oder die andere mehr oder weniger schöne Frau gesagt ... aber das ist doch auch alles! Geist –?! Na ja, knapp soviel, um als biederer Rechtsanwalt nach Schema F sein bissel tägliches Brot zu verdienen ... Charakter –?! Ach Gott – war einem in diesem Leben eigentlich nicht immer alles geradezu in den Schoß gefallen –?! Da war Mengershausen denn doch ein ganz anderer Kerl gewesen ...

Also nichts als das bißchen blonde Manneskraft seiner dreiunddreißig Jahre ... Und dafür hätte eine Susanne das Glück der Gemeinsamkeit mit einem der berühmtesten Menschen der Zeit zerstört –?

Und doch – wie war doch das damals gewesen? Die Unterhaltung, tief einsam wie auf einer seligen Insel inmitten des Menschenozeans –?!

Ah bah – Karnevalslaune ... tändelndes Spiel eines nervös-überschwenglichen Augenblicks –!

Nein – das war es doch nicht ... denn ... damit hatte es ja doch nicht angefangen ... es war ja doch schon so vieles voraufgegangen ... in Blick und Wort hatte sich doch schon längst ein Einverständnis angebahnt, aus dem jene ... Aussprache nur erwachsen war als die Erfüllung von etwas, das man längst kommen gefühlt ... Er wenigstens – ob sie auch –?! gesagt zum mindesten hatte sie es ...

Jetzt freilich, da sich in der Korrespondenz, deren Mitwisser er jetzt war, ein so beklemmend verworrenes Bild ihres Charakters und ihrer Gewohnheiten aufgerollt hatte ... jetzt meinte er jener Aussprache bei Kroll überhaupt nicht mehr die Bedeutung beimessen zu dürfen, die ihn so sehr gequält ...

Nein – bilde dir nur nichts ein, Gustav Herold! Für Frau Susanne bist auch du nichts andres gewesen denn einer aus jener großen Schar, deren Huldigungen sie entgegengenommen hatte als etwas, das ihrer Schönheit, ihrem Geiste ... ihrer ... Unbefriedigtheit ... von Rechts wegen gebührte als Ausgleich für etwas, was das Leben ihr versagt hatte –!

Und doch – welch unheimlicher, welch befremdlicher Widerspruch! Dies wirr zerfahrene Leben, das er – er nur kannte ... und dabei diese untadelige Haltung angesichts der furchtbaren Anklage, die über ihrem Haupte schwebte – die hoheitsvolle Sicherheit, deren Eindruck offenbar bei den beiden Justizbeamten der gleiche überzeugende, überwältigende gewesen war wie bei ihm selber –?!

Was war nun eigentlich ihr Wesen –?! War nicht doch am Ende dies – die ruhige Ganzheit, aus der ihr Verhalten als Angeschuldigte allein zu erklären war – war dies nicht doch die eigentliche Susanne?!

Wenn aber das wahr wäre ... wenn du, Gustav Herold, glauben dürftest, glauben müßtest, daß das Gefühl, das sie seit Monden dir entgegengetragen – daß gerade dies nicht bloß ein Spiel – nein, daß es der harte, kampfestrotzige Ernst einer großangelegten Natur wäre ... die jetzt erst – und ach, zu spät – ihr Widerspiel in einem anderen Menschen gefunden hätte, in dir, Gustav Herold!

Aber ... tauchte dann nicht wieder der grausame Verdacht empor, daß diese Empfindung sie zur Mörderin ihres Gatten gemacht haben möchte –?! Und war diese Ruhe, diese Sicherheit, die jeden in ihren Bann schlug, auf den sie wirkte – war die am Ende nur eine Ausgeburt des felsenfesten Entschlusses, den Mann ihres Begehrens zu erobern, und müßte der Weg über Leichen und durch die Nacht der Gefängnisse, durch die Gefahren und Schrecknisse einer Verhandlung um Leib und Leben sich winden –?!

Nein – das war zuviel für Gustav Herolds korrekte Advokatenseele ...

War vielleicht Frau Susanne eine so große Psychologin – kannte sie ihn, den Mann, für den sie so Ungeheures gewagt hatte – kannte sie ihn so genau, um sich sagen zu können, daß auch er sie niemals durchschauen dürfe – weil sie ihn sonst sofort wieder verlieren würde, noch ehe die ungeheuerliche Tat zum Ziele geführt hätte –?

Gustav Herold riß seinen Hut vom Kopfe und tupfte den Schweiß von der Stirn.

Und wie ein tiefes Heimweh riß es ihn weg aus diesem Wirbel der Gefühle zu seinem stillen Konsultationszimmer, zu seinem Schreibtisch, zu seinen Akten ... Wie ein harmloses Geistesturnier erschienen ihm jetzt die ernsthaften und verbissenen Kämpfe um Mein und Dein, von denen sie zu reden wußten ... gegenüber dem verzweiflungsvollen Ringen um Wahrheit und Klarheit, um Sein oder Nichtsein, das der »Fall Mengershausen« umschloß ...

*

Hans Fritze war glücklich. Es stimmte alles, alles. Elsbeth Krölke war ein roter, schlangenhaariger Teufel – Susanne Mengershausen war eine Lichtgestalt, und alle, die um sie herumstanden, sie zu beargwöhnen, auszupressen, zu foltern, mußten in die Knie sinken vor ihr – einer nach dem andern ... Oh Frau Susanne – nie wirst du ein Wort erfahren von Hans Fritzes Huldigung ... nie werde ich die Spitzen deiner Finger, nie den Saum deines Gewandes berühren – nur dich retten – in aller Stille dich retten will ich ... und dann – und dann ... dann werde ich verschwinden aus dem Kreise deines Lebens ... Und niemals wirst du es erfahren, daß einer lebt, der für dich noch ganz andre Dinge täte als die Detektivdienste, die er geleistet hat – wenn du aber einmal einen brauchen solltest, der sich mit Wonne totschlagen läßt für dich – dann bitte über Hans Fritze zu verfügen!

Hans Fritze war heute morgen noch beim Frühstück im Elternhause von dem telephonischen Befehl seines Chefs erreicht worden, sofort nach dem Untersuchungsgefängnis zu fahren und dem Termin, den der Nachlaßrichter angesetzt hatte, als Vertreter der Untersuchungsbehörde beizuwohnen. So kam es, daß er erst nach Erledigung dieser Mission das Amtszimmer des Untersuchungsrichters XXIII betrat. Der unterbrach sich bei seiner Vernehmung, gab dem Referendar das inzwischen recht hübsch angeschwollene Aktenstück gegen die p. Mengershausen und sagte:

»Ja, Herr Kollege – da hatte ich nun schon abschließen wollen ... aber prost die Mahlzeit! von allen Seiten wird mir in die Suppe gespuckt. Da ist zunächst ein Antrag zweier Schwestern des verstorbenen Mengershausen, unterzeichnet vom Rechtsanwalt Meyer XIII, der die Beschlagnahme der Korrespondenz des Ehepaares Mengershausen beantragt. Ferner verlangt er, daß wir den Notar vernehmen, der das Testament des Geheimrats beurkundet hat – beiläufig bemerkt, ist das Testament – hm, hm! – erst vierzehn Tage vor dem Tode aufgenommen worden! Und endlich verlangt er, wir sollen einmal einen Sachverständigen auf dem Gebiete der hypnotischen Suggestion hören, und schlägt als solchen den Professor Doktor Aldringen von der Universität vor. Sodann war soeben der Dezernent der Staatsanwaltschaft bei mir, Assessor Neumann. Sie kennen ihn ja wohl schon ... er hat mir einen endlosen grundgelehrten Vortrag über die in Frage kommenden medizinischen und psychologischen Probleme gehalten und ebenfalls die Vernehmung eines Sachverständigen schon in der Voruntersuchung beantragt. Die Quintessenz seiner Weisheit ist in dem Antrage niedergelegt, den Sie oben auf dem Aktenstück finden ... Prüfen Sie gefälligst mal die ganzen Eingänge, sagen Sie mir Ihre Ansicht, entwerfen Sie die sachgemäßen Verfügungen.«

Hans Fritze zog sich mit dem Aktenfaszikel an seinen Tisch in der Fensternische zurück. Hatte er sich gestern abend, solange er freiwillig zugunsten der schönen Frau Spionendienste leistete, einseitig nur als ihren Verteidiger fühlen dürfen – nun stand er ihrem Fall als Inquisitor gegenüber ... da galt es die rosenfarbene Brille der Verehrung abzusetzen und kühl und klar den Fall von allen Seiten ins Auge fassen. Aber war ein Konflikt hier überhaupt möglich – ein Konflikt zwischen seinem Herzen, das sie verteidigte bis zu seinem letzten Blutstropfen – und seinem Verstande, der sich der Pflicht seiner Dienststellung bewußt zu bleiben bemühte! Ach nein ... hier durfte das Urteil des Verstandes einmal mit dem Urteil des Herzens gehen ... von dieser Überzeugung war der kleine Referendar bis ins Mark durchdrungen.

Sein Entschluß war schnell gefaßt. Allen diesen Anträgen, sei es der erbneidischen Schwägerinnen, sei es der Anklagebehörde, die selbst in einer Susanne Mengershausen von vorneherein die Verbrecherin sah – allen diesen Anträgen mußte stattgegeben werden. Es konnte gar nicht Licht genug in die dunkle Sache kommen ... Um so heller mußte Susannes Unschuld erstrahlen. Schnell war die Verfügung entworfen, und da der Chef noch immer mit seiner Vernehmung beschäftigt war, so kniete sich der Referendar noch einmal in die Akten Mengershausen hinein, las noch einmal sämtliche Protokolle Wort für Wort mit angespannter Aufmerksamkeit ... und zuletzt nahm er die Abschrift des Abschiedsbriefes, den der Geheimrat seiner Frau hinterlassen hatte, aus dem braunen Kuvert des Umschlagdeckels und las noch einmal den Abschiedsbrief Mengershausens und verglich ihn mit dem angeblichen Original, prüfte auch beide Schriftstücke mit peinlicher Sorgfalt, ob er irgend etwas entdecken könne, das für die Angeschuldigte von Nutzen sein möchte. Und plötzlich gab es ihm einen Ruck: er hatte den zweiten der blauen Bogen, die aus der Schatulle der schönen Frau stammten, bereits umgedreht, um beide wieder zusammenzufalten und in das Kuvert zu stecken. Dabei widerstand er nur schwer der Versuchung, die Bogen wiederum, wie schon einmal, an seinen Mund zu führen, um sie mit seinen Lippen zu berühren und den Duft einzuatmen, der ihnen entstieg, wie er die schwarzgekleidete Gestalt der Schreiberin umschwebte ... Da entdeckte er plötzlich auf der Rückseite etwas, das ihm bisher völlig entgangen war – das matte Graublau des steifknisternden Briefpapieres wies zwei, drei Abdrücke von Fingerspitzen auf, ganz matte, kaum hauchartig erkennbare Spuren, wie von der Berührung einer Hand, die feucht gewesen sein mußte ... schweißfeucht oder ein wenig fettig ...

Wenn man das Papier gegen das Licht hielt, so traten diese Spuren ganz deutlich hervor, da sie nicht, wie der glatte, satinierte Karton, die schräg einfallenden Lichtstrahlen aufglänzend reflektierten ...

Soviel war sofort klar: es waren die Spuren einer weiblichen Hand ... sehr schmale, feine Fingerspitzen, was die Gesamtform anbetraf ... insofern hätten sie wohl von Susanne herrühren können ... die Struktur aber des feinen Netzwerkes, welches die tausend zarten Rippen und Fältchen der Haut der glatten Unterlage ausgeprägt hatten, war offensichtlich die einer nicht sorgfältig gepflegten, sondern durch die Berührung mit allerhand Scharfem und Nassem ein wenig entstellten Hand ... einer Domestikenhand ...

Wenn das die Hand der rothaarigen Elsbeth wäre – fuhr's ihm durch den Kopf. Susannes Hand war es ganz bestimmt nicht, allenfalls kam noch das Hausmädchen Emmy in Betracht, das er Elsbeth gegenüber hatte aufmarschieren lassen, und das in Wirklichkeit existierte. Ein anderes weibliches Wesen hatte doch – soweit bisher die Information reichte – das Schriftstück überhaupt nicht in die Hände bekommen ... Und Elsbeth –? hatte sie denn nicht überhaupt zu Protokoll gegeben, sie habe die Abschrift nie gesehen, nie berührt –?!

Der Referendar blätterte hastig in den Akten und fand das Protokoll über die erste Vernehmung der Anna Krölke. Richtig, da stand es groß und breit:

»Es ist mir nichts davon bekannt, daß der Geheimrat Mengershausen einen Brief hinterlassen hat, in dem er sich über seine Absicht, sich selbst das Leben zu nehmen, aussprach. Ebensowenig weiß ich, daß von diesem Schriftstück noch eine gleichlautende, von der Hand der Angeschuldigten herrührende Abschrift existiert. Ich selber habe jedenfalls eine derartige Urkunde niemals gesehen, geschweige denn in den Händen gehabt ...«

Hans Fritze erinnerte sich – weniger aus den Kollegien über gerichtliche Medizin und Polizeiwissenschaft, die er zwar belegt, aber niemals gehört hatte, als aus der Zeitung, in der gelegentlich bei Berichten über Sensationsprozesse derartige Fragen angeschnitten worden waren – er erinnerte sich, daß es ein Verfahren geben müsse, derartige Fingerabdrücke photographisch zu vergrößern und zu vergleichen ... Müßte es also nicht ein Leichtes sein, mit mathematischer Sicherheit festzustellen, ob diese Fingerabdrücke von der Anna Krölke herrührten oder nicht –?!

Er hatte den ganzen Morgen schon geschwankt, ob er die Ergebnisse seiner gestrigen Detektivexpedition seinem Chef mitteilen solle. Er hatte das dunkle Gefühl, als ob dieser möglicherweise doch nicht ganz einverstanden sein möchte mit einer derartigen außerdienstlichen Nachhilfetätigkeit seines Referendars ... und hatte sich schon halb und halb entschlossen, mit diesen Enthüllungen bis zum Falle äußerster Not zurückzuhalten, um sich nicht selber in Verlegenheit zu bringen. Einstweilen lief ja doch die Karre so ganz und gar nach Wunsch, daß irgend etwas Ernstes für das Schicksal der angebeteten Frau nicht zu besorgen war ...

Diese letzte Entdeckung nun bestärkte ihn in seinem Entschluß aufs nachdrücklichste. Gelang es nachzuweisen, daß Anna gelogen hatte, wenn sie behauptete, sie habe das Schriftstück niemals in den Händen gehabt – dann war die Vermutung gerechtfertigt, daß sie es in der Tat gewesen war, die das Schriftstück auf dem Pult ihrer Herrin entdeckt und in die Nachttischschublade praktiziert hatte – ein Umstand, von dem er sich ja gestern selber den unumstößlichen Beweis verschafft zu haben meinte! Also hier war eine zweite Möglichkeit, diesen Beweis zu führen, ohne daß er mit seinen eigenen Untersuchungsergebnissen in die Verlängerung zu springen brauchte –! Zugleich eine zweite Möglichkeit, die Glaubwürdigkeit der Krölke überhaupt von Grund aus zu erschüttern!

Er konnte es kaum erwarten, bis sein Chef die Zeugen abgefertigt hatte, und trat dann sofort in gelassener Ruhe auf den Untersuchungsrichter zu.

Der war von diesem Beweis inquisitorischen Scharfsinns seines Ausbildungszöglings nicht wenig erbaut. Selbstverständlich war er über das Verfahren derartiger Ermittlungen auf das genaueste unterrichtet, belehrte den Referendar und wies ihn an, wie die betreffenden Verfügungen zu entwerfen seien. Es mußte also zunächst Fräulein Elsbeth Krölke nochmals vorgeladen und veranlaßt werden, einen Abdruck ihrer Finger anzufertigen, und zwar in Gegenwart des vereidigten Gerichtschemikers, der sich die Vornahme derartiger Untersuchungen zu einer seiner zahllosen kriminalistischen Spezialitäten herausgebildet hatte. Dieser Herr war telephonisch zur Rücksprache zu bestellen, etwa eine halbe Stunde vor dem Termin, der zu der Vernehmung des Fräulein Krölke angesetzt werden mußte.

Hans Fritze mußte seine ganze Willenskraft zusammennehmen, um während der endlos langen Dienststunden, die noch vor ihm lagen, den Anforderungen seines Amtes gerecht zu werden. Aber das Glück saß neben ihm und steifte ihm den Nacken. Und manchmal dachte er auch mit Zärtlichkeit an seinen alten Herrn daheim – der heute morgen beim Frühstück seine beklommene Beichte über das gestern abend fast bis zum letzten Rest verposamentierte Taschengeld nicht allzu ungnädig aufgenommen und das entstandene Loch in einer Anwandlung von besonderer Großmut gestopft hatte ...

Kommen wird der Tag, alter Herr, wo dein Filius vor dich hintreten darf, um dir den Beweis zu liefern, daß du weder die Extraspende von Siebzig Mark heute morgen zum Fenster hinausgeworfen hast, noch auch alles, was du in die Ausbildung deines Sohnes zum Juristen hineingesteckt hast.


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