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Maß für Maß

Die Zusage kam so rasch, daß Klemens nichts Besseres für das Rendezvous mit Frau Dalia Ornotoby fand als dieses Stundenzimmer in einem kleinen Hotel der Passauer Straße. So etwas passiert auch dem geschmackvollsten Menschen zuweilen.

Frau Dalia aber blieb dabei: »Wir wollen nichts als Freunde sein, lieber Klemens. Vergessen Sie nicht, daß ich nicht frei bin. Ich habe einen Geliebten, habe einen Mann und habe mein Töchterchen Susy, das süße Kind. Wir wollen vernünftig sein.«

»Sie haben recht, Daly, wir wollen vernünftig sein. Eine nichts als ideale Liebe. Nichts Fleischliches. Bloß unsere Seelen sollen sich vereinen. Seelen vereinen sich ja schlecht, aber wir werden's versuchen. Wenn Sie auch tausend entzückende Dinge besitzen, deren Gegenwart ich aufreizend spüre! Sie sind eine entzückende Frau, Daly. Ich schwöre Ihnen nicht ewige Liebe. Das Vergnügen ist so ephemer! Meine Lust ist, Lust zu geben nicht weniger, als Lust zu empfangen. Das gibt Ihnen doch Garantien, nicht?«

Nun, als man nach einigen Stunden -- oder war es nur eine? -- wegging, mietete Klemens das Zimmer Passauer Straße achtundsiebzig für einen Monat.

Klemens traf drei Wochen später Lia Lia (von den Three Sisters, you know).

»Donnerwetter, bist du schick, Lia!«

»Weißt du nicht?«

»Was denn?«

»Ich hab' doch einen Bankdirektor, nicht so ein neues Bänkchen, sondern richtige alte Großbank. Gibt viertausend im Monat. Komm mich doch in meiner Wohnung besuchen. Ja? Machen wir gleich den Tag aus. Übermorgen um halb fünf zum Tee.«

Klemens kam. Reizend hatte die Bank Lia eingerichtet. In Rosa, Grün und Grau. Weiße Lackmöbel. Sie sprachen von der Vergangenheit. Sie hatte manches in sich gehabt, das hervorzuholen Lia Lia geneigt war. Aber man wurde durch das Eintreten des Bankdirektors gestört, eines etwas korpulenten Herrn um die Fünfzig. Lia Lia besitzt Geistesgegenwart und läßt sich nicht leicht durch etwas aus ihrer Sicherheit bringen. Sie stellte Klemens vor: »Luk Hoggy, ein Kollege. Er wollte gerade gehn. Ich begleite ihn zur Tür.«

»Du erlaubst«, sagte der dicke Herr mit etwas gerötetem Gesicht, »du erlaubst, daß ich das besorge ...«

Vier Tage später bekam Klemens diesen Brief:

»Wo kann ich Dich sehn, mein Liebling? Ich muß Dich durchaus sprechen.

Lia Lia.«

Und Klemens antwortete:

»Zwei Schritte weit von Dir. Passauer Straße achtundsiebzig. Zwei Treppen links. Morgen vier Uhr. Dein Klemens.«

Klemens war anderentags als erster in der Passauer Straße. Er entdeckte, daß Frau Dalia Ornotoby tags zuvor ihren kleinen Handspiegel vergessen hatte. Während er ihn zu sich steckte, kam Lia Lia. Man setzte die Unterhaltung dort fort, wo man von der Bank unterbrochen worden war. Aber man kam nicht sehr viel weiter, denn im Türschloß kratzte ein Schlüssel. Kaum war Zeit, sich oder Lia zu verstecken, denn schon öffnete sich die Tür, und Frau Daly trat ein. Frau Daly Ornotoby, es genüge zu versichern, ist eine große Meisterin in Szenen, Wutausbrüchen, Beleidigungen, Tränen ... Lia Lia merkte, daß sie überflüssig war und wurde nicht weniger wütend als Daly.

Klemens fand lange keine Zeit, sich durch ein Wort in die Lebhaftigkeit Frau Dalias und die Lebhaftigkeit Lias zu mischen. Nun aber war eine erschöpfte Pause, und da sagte er:

»Schau, Liebes, wir sind jetzt quitt. Ich kam zu dir, und dein Geliebter setzte mich vor die Tür. Du kommst zu mir, und meine Geliebte zeigt dir denselben Weg.«

Da verschwand Lia, und Klemens war mit Frau Ornotoby allein.

»Hör zu, Daly, der Schein ist ja gegen mich ...«

Aber Frau Dalia unterbrach:

»Ich hab' meinen Taschenspiegel an der goldenen Kette vergessen. Wollen Sie ihn mir bitte geben.«

Klemens gab Daly den Spiegel. Sie ging, nicht ohne die Tür sehr heftig zuzuwerfen.

Klemens schien, wenn auch nicht lebhaft erfreut, so doch durchaus zufrieden mit dieser Lösung. Es fiel ihm zudem ein, daß am nächsten Tage die Monatsmiete für das ereignisreiche, aber mäßig möblierte Zimmer abgelaufen war.


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