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Das Glück aus dem Abenteurer

Herr von Assolan lag an diesem fünften Mai gegen zehn Uhr im breiten Bett seines Schlafzimmers, in diesem köstlichen Zustand zwischen Wachen und Schlummern, wo man sich hinreichend leben fühlt, um an die Wirklichkeit zu glauben, soweit sie Träume erfüllt, und doch nicht wieder so genug, sich zu erinnern, daß es Wechselagenten auf der Welt gibt, Steuerbeamte und Coiffeure. Assolan hatte die Nacht durch davon geträumt, Seele und Sinne von Heddy Uhralt zu besitzen, der sechsundzwanzigjährigen blonden Frau des Herrn Uhralt, Cognacfabrikant ebenso wie von Automobilen. Uhralt-Uralt war eine beliebte Marke seit neunzehnhundertneunzehn. Und die achtzigpferdigen Achtzylinder nicht minder. Herr Uhralt hatte die eine Hälfte seines Lebens auf dem Lande verbracht und verbrachte nun die andere in seinen Fabriken und Kontoren, was es Heddy leicht machte, ihr Leben zu führen wie sie wollte, in Junggesellenwohnungen, wo man Opium raucht, in Ateliers, wo man nicht malt, bei Modistinnen, wo man keine Zeit findet, Hüte zu probieren. Böse Zungen behaupteten, daß sie dem allen nächtliche Droschkenfahrten vorzöge -- aber was sagt man nicht alles über eine hübsche Frau. Assolan gab dem keine Bedeutung. Heddy liebte eben den Wechsel in ihren Toiletten, Hüten, Liebhabern, und niemand brauchte sich deswegen zu beklagen. Sie machte viele glücklich und war es daher selber. Ohne der Liebe mehr als eine mäßige Bedeutung zu geben, versah sie sich doch, und dies war ihr Bemerkenswertes, mit einer reizenden Delikatesse. Vielleicht verbarg sie hinter der Süßigkeit ihrer Haltungen eine ganz kleine Nuance von Hysterie. Und ihre ehrliche Anerkennung jener, die sie geliebt hatten, war Garantie einer charmanten und vollendeten guten Laune. Als sie eine Bekannte einmal fragte, ob sie Frauenrechtlerin sei, antwortete sie erstaunt: »Ich? Wo ich den Männern doch so viel glückliche Momente verdanke? Das wäre undankbar.« Wäre noch zu sagen, daß Heddy alles, was sie tat, mit einer unschuldsvollen Grazie, einem jungfräulichen Zauber trieb, schönem Effekt ihrer Erziehung bei den Schwestern von Sacre-Cœur.

»Ich mag Sie gern«, hatte sie zu Assolan gesagt, »Sie amüsieren mich, und ich mag Männer, die mich amüsieren.« So weit war er also und hoffte weiter zu kommen. Er gähnte behaglich und dachte, sich von der linken Seite auf die rechte des Kissens legend, an einige wichtige Sachen wie: die 4500 Mark, die er heute bei seiner Bank beheben würde, an das dritte Kapitel eines Buches von Beardsley, an ein Paar Pantoffeln aus Kolibrifedern für Heddy, an den Hummer à l'americaine, den er zum zweiten Frühstück essen würde, und schließlich an die leiblichen Details von Heddy. Andere Gedanken wollten dagegen nicht aufkommen wie: an Mariette, seine letzte Freundin, an eine Schuld von 7000 Mark -- 1000 in bar, 6000 in Fayencen, Papierkuverts und Reispuder -- an sein verpfändetes Auto ...

Es war zwischen dem behobenen Gelde und dem Hummer, daß Assolan Heddy traf.

»Ich dachte gerade daran, Sie anzurufen«, sagte Heddy. Und man sprach von dem und dem, um was zu reden, wohinter sich, wie man weiß, nur schlecht ein gegenseitiges Verlangen verbirgt. Assolan lud zum Hummer ein. Erst lehnte Heddy ab, dann nahm sie an. Nachher würde man mit dem Auto wohin fahren. Auf dem Lande sei es jetzt so schön; aber nach dem Frühstück erinnerte sich Heddy, daß ihr Mann mit dem Auto heute früh weg sei und es den ganzen Tag brauche. Das vorgeschlagene Taxi fand sie zuwenig komfortabel. »Darf ich Ihnen meine Sammlungen zeigen, Frau Heddy?« -- »Wozu?« -- »Das wissen Sie doch ...« Diese Vermutung bestimmte Heddy, zu Assolan zu gehen. Die Sammlung bestand: aus einem Album mit meist falschen Briefmarken, einem Roulett, einigen Stichen von Rops, einer balsamierten ägyptischen Mumienhand, aus einem Paar Brillen, die Kaiser Franz Josef getragen hatte, aus einem Bidet und sonstigen Toilettengegenständen der Madame Pompadour. Heddy verbrachte den Nachmittag damit, sich diese verschiedenen Gegenstände von Assolan erklären zu lassen, was dieser gern hat, ja sogar zustimmte, daß Heddy einen und den anderen dieser Gegenstände praktisch ausprobierte.

Einen Monat lang kam Heddy jeden Tag, die Sammlung ihres Freundes besichtigen. Sie gab sich ihm mit dem kopflosen Elan einer kapriziösen Frau, die nicht mehr genau weiß, was sie will, und die sich forciert, alles zu wollen. So geliebt zu werden ermüdet. Assolan wurde müde. Es gab keine solchen Liebesfeste mehr wie zu Anfang. Sie sah ihn nervös, verstimmt von einem Nichts. Sie versuchte alles, ihn von der schlechten Laune zu befreien, deren erstes Opfer sie selber war. Lachte über ein Nichts, war heiter über ein Wenig. Assolan wurde noch nervöser. Endlich allein, ging er in seinem Salon auf und ab und konstatierte: »Sie ödet mich an, ich mag nicht mehr.«

Und jeden Tag kam Heddy und versuchte, die Nervosität und die schlechte Laune ihres Freundes zu kurieren.

Nichts macht uns generöser als der Egoismus. Heddy liebte Assolan und widmete sich ihm, weil sie unglücklich gewesen wäre, ihn traurig und einsam zu wissen. Eines Tages, wo er ärger als sonst war, konnte Heddy ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.

»Ich liebe dich wie niemanden auf der Welt. Alle meine Liebhaber habe ich um deinetwegen aufgegeben! Du hast mir das Herz zerbrochen. Ich hab' dir meinen Schmerz verborgen, um dich nicht zu irritieren. Es ist schlecht von dir, mir so viel Kummer zu machen.«

Assolan tröstete als guter Junge, der er war. »Armes Kleines, schmeiß dich nicht durch das Fenster der Verzweiflung. Ich war nervös und schlecht gegen dich, verzeih.« Er nahm sie in die Arme, küßte sie schweigend. »Ich wußte ja, daß du mich immer liebst«, sagte Heddy leise.

Und von der Stunde an wurde Heddy Assolan ebenso eine Freundin wie ein Spielzeug seiner Leidenschaft. Ihre Worte, ihre Einfälle, ihre kleinsten Gesten berauschten ihn, wie einst der zärtliche Blick ihrer Augen, der süße Duft ihres festen Leibes, die runden Formen ihres gewährenden Körpers ihn berauscht hatten. Er riskierte es nicht mehr, sich an ihr zu ermüden, denn was er nun an Heddy liebte, das war das Unfaßbare, das Unbestimmte. Und jedesmal, wenn sie kam, glaubte er, das Glück in Person zu empfangen, das da ganz plötzlich durch seine Tür gebrochen sei. Heddy hatte aus ihrem Schmerz ein bißchen Klarheit gewonnen. Sie gebrauchte sie, und das Leben wurde für Assolan heiter und süß, seitdem sich seiner eine intelligente und liebende Person angenommen hatte.

Einmal dachte er über das nach, was ihm da seit zwei Monaten passiert war. Faul aus Überzeugung, hatte er sich bisher keine Mühe damit gemacht. Zu Heddy hatte ihn eine ganz banale Laune geführt. Eine nicht weniger banale Sinnlichkeit hatte sie dazu gebracht, einander zu lieben. Daraus gab es die Ermüdung, gekrönt von Nervosität und Leiden. Und in diesem Leiden hatten sie bemerkt, einander mehr wert zu sein, als es anfangs schien. Sie hatten ihre Liebe wieder von vorne begonnen, und aus dem faden Hinleben ihres Daseins hatten sie das Glück gefunden.

Herrn von Assolan hatte dieses Überdenken ein bißchen ermüdet, und so schloß er, als Mann von Geist, der er war, daß es nur einiger Klugheit bedürfe, um aus den flüchtigsten Ereignissen des Lebens Freude und Glück zu gewinnen.


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