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Das Rendezvous

Als Alex aufwachte, wußte er weder Ort noch Zeit. Teufel! Er lag auf einem Sofa in einem Chambre particulier eines Restaurants. Und es war hellichter Tag, wie man aus der Sonne schließen konnte, die durch die nicht ganz dichtenden Vorhänge drang und den Raum in zwei Hälften teilte: die flimmernde Bahn ging über einen mit den üblichen Resten eines Mahles bedeckten Tisch: Obst, Flaschen, halbvolle Gläser, Tassen, Zigarrenstummel, Asche.

Alex monologisierte: Die hätten mich doch aufwecken und mitnehmen können, weiß Gott. Brankas und Guttinger sind entschuldigt, die kenn' ich zuwenig. Aber Kolo, mein Freund und der meiner Frau, dieser Esel!

Alex streckte den Arm und drückte die Klingel. Der Kellner kam.

»Wie spät ist's denn?«

»Mittag, Herr Baron.«

»Die Rechnung.«

»Ist alles bezahlt.«

»Dann geben Sie mir meinen Paletot.«

Alex hielt sich etwas schwankend aufrecht, als ihm der Kellner in den Paletot half. Dann steckte er ganz mechanisch eine Hand in die Tasche. Darin fühlte er ein gefaltetes Blatt Papier und zog es heraus. Mehr aus Stumpfsinnigkeit denn aus Neugierde las er:

»Ich erwarte Dich morgen mittag um zwei. Karlstraße siebzehn. Hotel. Zimmer siebenundzwanzig. Ich bin so glücklich! Frage unten nach Frau Pohl.«

»Morgen?« dachte Alex. »Aber morgen, das ist doch heute!« Er rieb sich die Augen und las noch einmal die zierliche Schrift auf dem duftenden Papier. Er monologisierte. »Ich kann mich durchaus nicht erinnern, welche der Damen von heut' nacht mir ein Rendezvous gegeben hat. Aber ich war auch nicht in der Verfassung, was zu merken, und bin jetzt nicht in der, mich zu erinnern. Also da war das Primelchen ... die war's nicht. Die kann mich nicht aussteh'n. Dann war da die Lisa Kersavenn ... aber über die wacht doch Brankas wie ein vorgetretener Augapfel. Bleibt also nur Lotti Huyzhausen, die so reizende Holländerin ... ich war nett mit ihr, und sie mit mir. Die hat aber doch Kolo mitgebracht! Seine Freundin! Kolo mit seiner Freundin betrügen ist ja nicht der Gipfel der Delikatesse, aber sie ist reizend, diese Lotti! Und schließlich hat mich Kolo wie ein Kolli hier liegenlassen, dieser gemeine Mensch. Außerdem erwartet mich meine Frau erst heute abend vom Gut zurück. Und schließlich kann ich gegen diese entzückende Lotti nicht den keuschen Joseph spielen. Wir leben doch in einer zivilisierten Gesellschaft. Ich werde um zwei Uhr auf Nummer siebenundzwanzig von Nummer siebzehn sein und ›Frau Pohl‹ besuchen und Kolo betrügen. Vor allem das. Punktum.«

Alex klingelte dem Kellner.

»Ich will frühstücken und ein Viertel vor zwei ein Auto.«

Punkt zwei hielt das Auto in der Karlstraße vor Nummer siebzehn. Ein kleines Absteigehotel, dem man es aber von außen nicht anmerkte. Alex hatte ein paar Dutzend Austern gegessen und einen vorzüglichen Chablis getrunken. Er war wieder völlig in Form. Der Portier gab ihm, als er nach Frau Pohl fragte, den Schlüssel für Nummer siebenundzwanzig.

Die Tür ging geräuschlos auf wie eine Tür, die weiß, was sich gehört, und Alex trat in einen Salon, dessen Vorhänge heruntergelassen waren. Eine halb hochgezogene Portiere gab Aussicht in ein anderes Zimmer, in dem, wie er merkte, Kerzen brannten. Alex machte ein paar Schritte über den weichen Teppich und erblickte eine junge Frau auf einem Kanapee, die ihm den Rücken zugewendet las. Sie hatte wenig an, aber dies mit vollendetem Geschmack. Da drehte sie sich zu Alex und wurde bleich wie ein Linnen. Alex fiel der Hut aus der Hand.

Die Dame war seine Frau. Sie erhob sich, und es gab eine entsetzliche halbe Minute. Bis Alex mit Geistesgegenwart begriff, daß ihm seine Frau hinter die Schliche gekommen und darauf vorbereitet sei, ihm eine große Szene zu machen. Er versuchte, sie durch demütige Unterwerfung zu entwaffnen.

»Verzeih mir, Gretl ...«

Bei diesen Worten zuckte die gnädige Frau ein bißchen zusammen, aber fand sich sofort wieder wie durch ein Wunder.

»Du hast's in deiner Eifersucht erraten, daß meine dreitägige Reise nach Märzdorf auf's Gut ein Schwindel war. Du hast mich verfolgen und mir das Billett da in die Tasche praktizieren lassen und erwartest mich hier. Ich hätte übrigens deine Schrift erkennen müssen. Verzeih, Liebstes!«

Er überreichte seiner Frau das Billett. Sie sah es mit einiger Verblüfftheit an und zerriß es.

»Man kann dir nichts verbergen, Alex. Ja, ich habe das arrangiert.« Und mit bedeutend strengerer Stimme: »Ich weiß jetzt, was ich zu tun habe. Du bist ein gemeiner Betrüger! Aber geh nur wieder zu deinen Frauenzimmern! Es gibt noch Richter! Ich lasse mich scheiden! Mich so gemein zu hintergehen!«

Der Zorn stand ihr prachtvoll. Nie war sie so schön gewesen. Alex merkte das. Er legte sich auf die Knie. Er war zerknirscht. Er bat, er flehte, er wurde leidenschaftlich. Und wie soll ein schwaches Weib dem widerstehen? Frau Gretl verzieh ihm. Mehr noch! Es kam eine Stunde, die wie im Honigmond vergessen war, wieder, und man verbrachte sie dort, wo die Kerzen brannten. Ich habe doch eine reizende Frau, dachte Alex, als sie Arm in Arm das Hotel verließen.

Man ging zu Fuß nach Haus. Die frühe Dämmerung des Winters paßte so gut zu ihrer zärtlichen Stimmung. Endlos hätten sie am liebsten den Weg gewollt. Aber, wie man weiß, ist endlos nur der Weg der Schmerzen, nicht der Freuden.

Das öffnende Stubenmädchen empfing den gnädigen Herrn mit der Mitteilung, Herr Kolo sei schon fünfzehnmal hiergewesen und hätte nach dem gnädigen Herrn gefragt. Schließlich hätte er einen Brief hinterlassen. Und Alex las:

»Lieber Alex. Du mußt meinen Paletot haben, denn ich habe den Deinen. Der Trottel von Kellner hat sich geirrt. Schicke ihn mir sofort. Ich habe höchst wichtige Papiere in der Tasche, die ich sehr brauche und die Du bei Deiner bekannten Diskretion wohl auch nicht ansehen wirst. Dein treuer Kolo.«

Alex wurde etwas grün. Er ließ den Arm seiner Frau los und trat nah' unter das Licht. Kein Zweifel, er hatte Kolos Paletot an, und das Rendezvous galt gar nicht ihm. Er wollte einen Fluch tun, aber er besann sich und lächelte. Denn schließlich hatte er doch Kolo betrogen, nicht?

 

Die Moral: Niemals entspricht der Konstruktion des im bürgerlichen Leben »pikant« Genannten irgend etwas in diesem oder einem sonstigen Leben. Die Gattung ist rein fiktiv und behauptet sich gerade deshalb trotz ihrer schwermütig machenden Dummheit. Sie ist das Phantasieprodukt eines spießbürgerlichen Hirnes und hat überall deren Spuren nicht nur, sondern deren Textur, vor allem in der moralischen Wohlanständigkeit, die das »Unsittliche« im Komischen »nicht existent« macht.


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