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Seelensfroh, des sogenannten politischen Lebens entledigt zu sein, ergab sich Otto mit Wollust dem geschäftigen Müßiggang eines Gutsbesitzers. Er gefiel sich in der Rolle des Familienvaters, scherzte mit Melisse v. Behr, der Gesellschafterin seiner Frau, las sehr viel, von Zeitungen aber nur die »Kreuzzeitung«, und schwelgte in idyllischer Einsamkeit. Er wälzte sich im Gras, alle viere von sich gestreckt, und huldigte seiner alten Vorliebe für Verspoesie. Daneben hörte er Musik und wartete auf das Reifwerden der Kirschen. »Dies Pastorale wird sicher auf mein ferneres politisches Debüt abfärben, ich gehöre fortan zur Schule Beckerath und werde Sonnenluft aushauchen, geschwängert mit Blütenduft«, lachte er Frl. Melisse an, die ihn in einer romantischen Schäferstunde mit Hanna überraschte. »Doch was Bücher betrifft, von denen ich zu viel verschlinge, so möchte ich wie Kalif Omar alle verbrennen – natürlich außer dem christlichen Koran. Die Buchdruckerkunst ist die Waffe des Antichristen, das Schießpulver ist schon verständiger, nur gleicht es dem Doktor, der Krebs heilte durch Amputierung des Kopfes.« Krebs aber im Staatswesen erschien ihm die Bureaukratie, deren Magen allein gesund sei, deren Exkremente in Gestalt von Gesetzen der natürlichste Dreck seien. Nicht die zu große Bevormundung durch die Beamten sei das schlimme, sondern die zu große Schlechtigkeit der Bureaukraten, Richter und Staatsanwälte inbegriffen. In dieser nonchalanten Weise verachtete der vielgetreue Schönhauser das hohe preußische Beamtentum, von dem man damals nicht mal sagen konnte: Travailler pour Ie roi de Prusse. Servil gegen die Revolution wurde es alsbald neu servil gegen die Monarchen, sobald diese ihr Übergewicht betätigten. Den Anfang machte der hessische Minister Hassenpflug, der für den elenden Tyrannen von Hessen die Verfassung brach und a tempo mit seinem Gebieter selber an die Luft gesetzt wurde. Da nun Preußen laut der Erfurter Reichsverfassung die hessische Verfassung schützen mußte, ließ es Truppen dort einrücken, Österreich aber auch mit Vollmacht des Bundestags, um besagte Verfassung noch in der Wiege umzubringen. Dieser bethlehemitische Kindermord gelang, weil die Preußen auf Befehl mutig zurückwichen. Radowitz löste mittlerweile Brandenburg als Ministerpräsident ab, und sein Rat, den Übergriffen Österreichs mit Waffengewalt entgegenzutreten, bewies entweder, wie wenig er mit Österreich liiert war oder zu sehr. Aber da beschloß plötzlich königliche Laune, ihn abzusägen, weil sein Erfurter Programm ohnehin schon durchlöchert schien.

Otto hatte im September Johanna nach Reinfeld begleitet und von dort seinen Bruder in Külz besucht. Herr v. Derenthal, der ihn bis Köslin in ein politisches Gespräch verwickelte, fand ihn schlaftrunken und unendlich gleichgültig. »Bismarck interessiert sich für nichts als seinen türkischen Weizen, der drei Fuß über seine eigene Mannshöhe stehe«, klagte er später. In Külz versank Otto in die platteste Alltäglichkeit. Seine Schwägerin strotzte vor Fett und Gesundheit »wie ein Fäßchen voll Drillinge«, seine Nichten Elise und Jenny, sein Bruder und Moritz Blanckenburg, der sich mit Kreisgeschäften wichtig tat, die Herren v. Marwitz und Lettow unterhielten ihn mit Typhus in Kolberg. »Wilhelm Löper wird kaum wieder aufkommen, seine Frau liegt schwer darnieder, früher ein Goldfischchen mit 300 000 Talern, dem alle Welt den Hof machte. Was hilft das Geld! Wilhelm Ramin ist auf und davon, hinterläßt nichts als 200 000 Taler Schulden.« So ging die Litanei weiter. Such is life! sagt der Londoner Cockney. Er erinnerte sich des geschwätzigen Löper aus jener Postfahrt, Ramin war ein Jugendgespiele. Das Leben rennt den Durchschnittsmenschen wie Wasser durch die Finger, lauter kleine Miseren.

Auf der Fahrt nach Berlin verwechselte man seinen Koffer mit dem eines Kösliner Juden. »Die Sorte verfolgt mich.« Geärgert suchte er Frau von Manteuffel auf und hielt ihr eine ironische Kapuzinade, wie er durch des Ministeriums liberale Maßregeln gegen die Gutsbesitzer heruntergekommen sei. Nicht mal anständige Kleider besitze er. Er schraubte die Bestürzte so lange, bis er den Kofferunfall eingestand und die Spannung sich in allgemeine Heiterkeit löste. »Ein Regierungsassessor Wunderlich, den ich auf der Treppe traf, klagte über demokratisch-französische Stimmung in den Rheinlanden«, erzählte er dem Redakteur Wagener, bei dem er speiste. »Ja, ja, die Zeit ist wunderlich!«

Eiligst machte er sich wieder nach Schönhausen auf, um Deichgeschäften obzuliegen. Die politische Ära war für ihn hoffentlich so gut wie zu Ende. Leider sollte die Kammer Mitte November einberufen werden, »wenn nicht der große Betrüger, der eigentlich ein edler, etwas beschränkter Mensch ist, unberechenbare Änderungen macht«, schrieb er an Nanne. Der große Betrüger? Wen meinte er damit? Hoffentlich nicht den König, auf den so viel zu schimpfen er ihr untersagt hatte, weil sie ihm doch Treue geschworen hätten. In Berlin hatte er sich schrecklich gelangweilt und bei seinem Vetter Fritz Bohlen in der Ritterstraße nur über Kinderlätzchen und andere Haushaltsachen mit dessen Frau geplaudert, die ihm seine geplatzten Handschuhe nähte und seinen verwilderten Anzug in Ordnung brachte. Kleist-Retzow, Thadden und Wagener bestellten ihn zum Rendezvous nach Magdeburg bei L. Gerlach, wo sich mehrere österreichische adlige Herren auf der Durchreise einfanden. Man hatte den Plan gefaßt, sich nach Österreich zu begeben und dort Fühlung zu suchen. Otto riet davon ab, die Wiener versicherten in munter witziger Art, daß es »ssehr erfreilich, doch wennikg nitzlik ssein werrdeh. Denn schauens, bei uhns ischt ehs füll r'volutionärer als bei eich. Irr seid halt so ahngenehmeh Leit, daß Irr bessär singet: Dös geht uhns goar nix an!«

Ein Siebenbürger Baron Josica schwärmte sowohl für die gottselige Metaphysik von Stahl als für den Ungarnschlächter Haynau. »Err ihs auf meiner Ärre aussgezeuchnet.« Der kluge Hans schwärmte seinerseits von einem Polizeirat Stieber, den er entdeckt habe und der hoffentlich bald aus der Versenkung auftauche, um sein ruhmreiches Wirken zu beginnen. »Der macht nicht viel Federlesens, er hat ein Gift auf alles, was liberalisch riecht, er wird den Kerls auf die Spur kommen und sie aus ihrem Schlupfwinkel ausräuchern. Auch wird's erst besser, wenn mein Freund, der Geh. Justizrat Simon, das Portefeuille für Justiz bekommt.«

»Ja,« bekräftigte Wagener, »der ist unser Mann, mit dem geht man sicher.«

»Noch ein getaufter Jude!« brummte Otto.

Der herrliche Hans blickte würdevoll auf. »Wie kannst du nur an solchen Vorurteilen kleben! Mit der heiligen Taufe ist aller Sündenfall ausgelöscht.«

»Wasser tut's freilich nicht. Pardon, das ist von Luther.«

»Der teure Gottesmann hat es nicht so gemeint, verlaß dich auf mich! Gewiß haben die Juden unseren Herrn und Heiland gekreuzigt, aber solches war vorbestimmt, und sie bleiben doch das auserwählte Volk des Alten Testamentes. Ich weiß mich eins mit den Spitzen unserer hohen Geistlichkeit. Unser großer Stahl und Simons sind wahre Leuchten in Israel, ich meine im evangelischen Volk Gottes.«

Otto dachte sich seinen Teil über zunehmenden Pastoreneinfluß. Politiker in langen Kleidern, ob Priester, ob Weiber, o jeh!

Gerlach war, wie gewöhnlich, aufgeregt. »Radowitz Premier! Und Schleinitz geht!«

»Der war ohnehin eine Drahtpuppe«, zuckte Otto die Achseln. »Ernster nehm' ich's, daß Polte sich vom König trennen will.«

»Mein Bruder muß bleiben!« brauste der Präsident auf. »Sonst haben wir keinen von unseren Leuten mehr am Hoflager.«

Otto gähnte. »Hol' der Henker die Politik! – Ich habe Scherereien mit der Wirtschaftsmamsell, kündige meinem Gärtner Kahle, habe Ärger mit Viehfutter, und viel Kartoffelkrankheit. Mein Kleinwild haben die verschiedenen Jagdpächter weggeschossen, die Hirsche will mein Gutspächter in der Heide nicht dulden. Man hat sich wirklich totzuärgern.«

»Deshalb haben Sie keinen Ärger mehr übrig für die Staatswirtschaft? Wenn auch Manteuffel abgeht –«

»Mein Weizen ist all mein Stolz«, fuhr Otto unentwegt fort. »Dichtgeschlossen, höher als ich mit der Hand langen kann. Obst hatten wir viel. Von netten Pflaumen sitzen zwar nur noch ein paar saftigblaue, doch im Treibhaus werden wir hübsche Trauben haben, reif ist heut erst die gemeine grüne Art. Kürbisse haben wir fabelhafte, ihre Ranken hängen auf die Terrasse herab.« Für nichts anderes war er zu haben.

*

In Schönhausen saß er vor dem leeren Kinderbettchen. Es war so still, daß man draußen die Kastanien in abgemessenen Zwischenräumen fallen hörte. Es verlangte ihn unendlich nach Frau und Kind. Mehlsuppe, Schinken, Eier und Treibhausfeigen aus Langeweile in Masse als Abendmahl verschlingen, erfordert den Trost der Rumflasche. Seine Schwiegereltern schloß er auch sehr ins Herz, »Väterchen« mit dem grauen Bart, den er sich abrasieren lassen wollte, und sein »liebes Mutsch« studierte soeben Macaulays Geschichte Englands, die Verräterin, um ihre Verfassungstreue zu stärken. Da hockt man nun als einsamer, trauriger Strohwitwer in den leeren Stuben, bildet sich zum Kettenraucher aus und muß sich bei Tage mit neugierigen Schafen, sogenannten Regierungsräten, herumquälen, die nicht wissen, was sie mit ihrer leeren Zeit anfangen sollen und sich ihr Gehalt damit verdienen, daß sie ihre Aufsichtsnase in Deichsachen stecken, von denen sie einen Dreck verstehen. Im verglimmenden Kaminfeuer sah er allerlei Gespenster von nahendem Unheil.

Um sich zu zerstreuen, fuhr er zum Gutsnachbar Wartensleben. Die Gräfin war eine angenehme Wirtin, ihre Töchter waren auch anwesend, Frau v. Rochow aus Perleberg und Frau v. Bülow aus Braunschweig, sowie die Jüngste, Mathilde, ein Backfisch im Wachstum, mit einem zu starken Kopf. Sie staunte den riesigen Schönhauser an und las dann nachts »Chamissos Frauenliebe«, weil es dort so schön heißt: »Er, der herrlichste von allen.« Die Damen nannten ihn einen Charmeur, weil er liebenswürdig über Nichtiges drauflosplauderte und ihre Klavierstücke mit zweifelhaftem Vergnügen anhörte. Mit dem dritten Sohn, Leutnant der 6. Brandenburger Kürassiere, spielte er Billard, mit dem Grafen rauchte er vor dem Kamin. »Ja, ja, da hab' ich nun fünf Leutnants in der Familie, zwei Kürassiere, einen Ziethenhusaren, zwei der Fußgarde. Der eine ist gerade beim Okkupationskorps in Hessen.«

»Dort werden wir uns furchtbar blamieren.« Als er von Carow nach Hause fuhr, regnete es unablässig, so daß er und Kammerdiener Hildebrand, der kutschierte, pudelnaß wurden. Auch windete es so, daß der leichte Korbwagen einmal, auf der Chaussee weggeschoben, stillhalten mußte. Weiß der Teufel! dachte er mürrisch, ich spüre so was von politischem Rheumatismus in den Gliedern, wir werden dies Jahr noch einen heftigen Anfall erleben. Bah, laß fahren dahin! Meine verrückte Mamsell werde ich entlassen, die schwatzt den ganzen Tag von ihrem erhabenen Bruder, Großkaufmann in Berlin, der ein großes Tier in Eisenbahndingen sei. Wohl möglich, diese Bourgeois geben heut den Ton an. Wozu die politischen Etiketten, die man auf die Flaschen klebt! Konservativ lies Agrarier, liberal lies Kapital, Demokrat lies gelehrtes und ungelehrtes Proletariat. – Nichts als Regen und Verdruß. Mit Wasserstiefeln meilenweit in Sümpfen waten, im Kahn an den Deichen herumkriechen, zu Hause sich geschlagene drei Stunden durch das grausame Stadträtchen Gärtner anklöhnen lassen! Schöner Morgentraum von Meerufer mit Fels und Lorbeer, davor eine italienische Stadt, wohl Genua, das ich so gern mit Nanne sehen möchte. – Aufweckung durch Gerichtsdiener, Vorladung als Geschworener nach Magdeburg! Man ist doch ein geplagtes Menschenvieh in diesem modernen Staat, jeder nur ein Hammel mit aufgebrannter Stempelnummer. Der demokratische Kreissekretär des Landrats, der alles in Händen hat, tat mir sicher aus Bosheit den Tort an. Bei der ganzen Couleur bin ich bête noire, soeben bringt die Kölner Zeitung eine alberne Notiz über mich als politischen Giftmischer. Wenn die Kerls doch wüßten, wie mir die ganze Politik zum Halse rauswächst!

In hellem Zorn nach Magdeburg gefahren, um den Schwurgerichtsmonat loszuwerden, fand er bei Gerlach nicht die geringste Ermunterung, der ihn an den Gerichtspräsidenten Meier verwies. Dieser, ein getaufter Jude, sah Otto durch die Brille neugierig an und erinnerte sich an Bismarcks Landtagsrede gegen die Judenemanzipation. »Ach, bitte sich an Kriminaldirektor Fritze zu wenden.« Dieser wunderte sich über solche Ausflucht, er habe doch keine Befugnis, die Liste zu ändern. Gerlach aber zeigte sich pikiert. »Sie sperren sich gegen ein so gewichtiges Ehrenamt, zu dem sich jeder gute Staatsbürger drängen sollte. Das bißchen Unbequemlichkeit in Magdeburg –« »Das ist's ja gar nicht, sondern die Sehnsucht nach Weib und Kind.« Gerlach verbeugte sich lächelnd und schaukelte den Oberkörper verbindlich, als quittiere er höflich über eine konventionelle Redensart. Darüber geriet Otto in solchen Grimm, daß er über alberne Einrichtungen tobte. »Dann werden Sie eben vier Wochen Arrest auf Festung ziehen«, versetzte Gerlach kühl. »Übrigens, mäßigen Sie sich, alter Freund! Sind Sie mal im Zorn, so scheint Ihnen gleichgültig, gegen wen. Ich bitte Sie, mich ein wenig zu respektieren.« Auf der Heimfahrt kränkte er dann noch den Landrat v. Alvensleben, wie er sich von seinem Sekretär am Gängelbande führen lasse. Um die Stettiner Bank zu befriedigen, von der er eine Hypothek aufnahm, schloß er einen Holzhandel ab. Das Gerücht verbreitete sich, er werde Schönhausen aufgeben, es meldeten sich schon Käufer für die Orangerie. »Wie ist denn das, Liebster?« erkundigte sich auf einem Fest im Gutshof Scharteuke, dessen kinderloser Besitzer sich in Nippes und Marmorwaren großen Luxus erlaubte, ein Herr v. Britzke, ein kleiner, kahler Kerl mit schwarzen Bartborsten. Die Herren v. Byren, Katt, Ostau klagten im Chor: »Sie wollen uns doch nicht untreu werden?« »Unsinn, dummes Gerede!« Es hat etwas Wohltuendes, daß die Landjunker unter sich wie ein besondere Clan verkehren, schottischer Stil, jeder ein schottischer Vetter zehnten Grades! dachte Otto, der gerade Scotts »Kloster« las. Für all die Kinkerlitzchen hier der Scharteukeschen Herrlichlichkeit gebe ich aber noch nicht den winzigen Zeigefinger meines Töchterchens.

Der König lud ihn persönlich als »Schloßgast« nach Letzlingen zur Jagd mit Nachtquartier ein, wollte ihn also sprechen. Doch er schrieb ab. Er besuchte einen Herrn v. Levetzow, der paralytisch war und nur an zwei Kücken stehen und gar nicht mehr gehen konnte, weil dessen allgemeine Unbeliebtheit ihn anzog. Er fand den armen Teufel sehr freundlich, gutmütig und geduldig und erfuhr von seiner ungemein großen Wohltätigkeit. Da haben wir's wieder! Vox populi vox asini, nicht dei. Der Welt Urteil ist fast immer launische Falschheit. Da mag ich mich über meine eigene Unpopularität trösten, über all die Lügen, die man über mich in Umlauf setzt.

»Sie lesen ja wohl täglich Ihre Kreuzzeitung«, sagte Levetzow. »Da steht heute das traurige Ende eines Bekannten von mir drin, Leberecht v. Borstel auf Schwarzlosen.«

»O, den kannt' ich sehr gut. Was ist's mit ihm?«

»Der hat sich einen Korb von einem Fräulein v. Hymmen in Bonn so zu Herzen genommen, daß er gemütskrank wurde und sich erschoß.«

»Herr, du mein Gott! Die armen Angehörigen! Seine Tante ist die Katte auf Wilhelmstal. Er stand früher bei den Gardekürassieren und stammt vom alten Borstel der Befreiungskriege. Daß ein kerniger Mann sich so weit vergessen kann!«

»Sie haben gut reden, Herr v. Bismarck«, erinnerte Frau v. Levetzow. »Sie sind so glücklich verheiratet und ein exemplarischer Ehemann.«

»Die Liebe, ach die Liebe hat ihn so weit gebracht!« summte der arme Gichtbrüchige.

»Larifari! Ein Mann hat Pflichten gegen sich selbst und gegen den Staat. Solch unmännliche Hingabe an eine Leidenschaft rührt mich nicht. Gott sei seiner Seele gnädig!« –

Die Geschworenenpflicht war er durch Regierungsprotektion losgeworden, doch eine andere sehr unerwartete traf ihn, als er gerade in Pommern anlangte. Die Einberufungsorder der Landwehr! Am gleichen 26. Oktober, wo er von Jerichow abreiste, hatten sich Kaiser Franz Josef und Fürst Schwarzenberg in Warschau eingefunden, um den Schiedsspruch des hochmütigen russischen Despoten zu vernehmen, der in der hessischen Frage frech und roh die Parole ausgab: »Auf den ersten, der schießt, schieße ich.« Also eine intern deutsche Angelegenheit gehörte vor sein Forum, und die beiden deutschen Großstaaten hatten nicht das Ehrgefühl, ihm zu antworten: Und wir beide schießen auf Sie, wenn Sie sich unbefugterweise einmischen! So viel Anstand besaß der Hohenzoller aber doch noch, daß er nicht selber kam, sondern den Grafen Brandenburg schickte, nachdem er vergeblich seinen zarischen Schwager bestürmte, seine Unionspolitik zu billigen. In Reinfeld vernahm Otto durch Wagener das Nähere über die Warschauer Zusammenkunft, von der Brandenburg unverrichteter Sache heimkehrte. Düster erzählte Otto den pommerschen Verwandten: »Brandenburg hat im Ministerrat Bericht erstattet und sich dann aufs Krankenbett gelegt. Sein point d'honneur als Patriot und Offizier ist tödlich verwundet worden. Der Zar unterfing sich, ihn anzuschnauzen: »Ich habe meinen Schwager hierher vor mich beschieden«, worauf Brandenburg wundervoll: »Ich darf solche Worte nicht hören.« Der Zar belegte hierauf unsere Minister mit Schimpfworten, die natürlich unserem König galten. »Die Hessen sind Rebellen, die man zusammenhauen muß wie die Schleswig-Holsteiner.« Wir haben also jetzt einen allergnädigsten Oberherrn in Petersburg, der über alle deutschen Staaten mit der Knute verfügt.« Als aber alle Anwesende ihre Empörung äußerten, setzte er hinzu: »Verdenken kann ich's ihm nicht, das Treiben bei uns mußte ihn rasend machen, hoffentlich bricht sich jetzt Radowitz das Genick.«

»Du bist und bleibst eben ein hartgesottener Reaktionär«, tadelte Vetter Albert Below spitz.

»Na, diesseits und jenseits des Gallenbergs gibt's ja ein reaktionäres und liberales Pommern. Auf unserer Seite werden wir Radowitz's Gesundheit in Champagner trinken, zum erstenmal ihm dankbar, und ihm gute Reise wünschen.« Der Gallenberg, eine Wasserscheide, konnte freilich erregte Stimmung in Vor- und Hinterpommern erblicken, als die Kunde kam, Radowitz habe im entscheidenden Ministerrat am 2. November den Krieg gegen Österreich empfohlen, der König aber abgelehnt, und Manteuffel sei Premier geworden.

»Mir fällt eine Last vom Herzen«, jubelte Otto. »Ich kann nicht glauben, daß der Austriake Radowitz so borussisch sprach, da muß ein Irrtum sein. Jetzt komme Krieg, gegen wen man will, all unsere Preußenschwerter werden hoch in der Sonne blitzen.« So schrieb er auch an Wagener und bedauerte nur, daß Finanzminister Heydt, den er übrigens in Erfurt um eine private Gefälligkeit (Unterstützung eines jungen Malers) ersucht hatte, im neuen Ministerium wieder sauer aufstoße, nachdem man ihn schon verdaut glaubte. Otto litt in dieser Zeit öfters an Sodbrennen, was eine gestörte Verdauung bewies, bei ihm ein ungewöhnlicher Fall. Die am 6. November erfolgende Mobilmachung schien ihm recht zu geben, daß Manteuffel festbleiben werde. Die Sage, Brandenburg habe im Todesfieber nach Helm und Schwert gerufen, um als Ritter die Ehre Preußens zu rächen, ergriff ihn zwar, doch auf dem Wege über Berlin zum Marschquartier seines Regiments erlebte er einen Vorfall, der ihm zu denken gab. Ein pommerscher Schulze stieg zu ihm in den Postwagen. »Wie geht's, Stranzke?« »Dunnerkiel, de gnä'ge Herr von Kniephof! Gut geit's.« »Auch einberufen? Wir machen mobil.« »Wat Sa nich seggen. Wo steht de Franzos?« »Die Franzosen sind nich dran, sondern die Holters, die Österreicher.«

»O je, dat tut mir leid. Dat sinn doch deutsche Brüder und de weißen Kolletts waren doch neben Preußischblau in Anno Tobak bei Leipzig. Uf die Hundsfötter von Franzosen, dat lumpige Lausevolk, da geht's besser druf, da holt jeder pommersche Jung sein Schietprügel.« Also so tiefgewurzelt blieb noch der Franzosenhaß im deutschen Volk, daß nur ein Krieg gegen den Erzfeind allgemeine Begeisterung versprach. Und erst wenn man Slowaken und Kroaten im Feld begegnete, konnte sich der Deutsche von dem Wahn befreien, das sei ein Bruderkrieg.

*


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