Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Herr v. Thadden, ein älterer Mann von würdevollem Aussehen, empfing ihn sehr freundlich: »Moritz hat uns so viel Merkwürdiges von Ihnen erzählt, mein werter Herr v. Bismarck. Wir sind alle darauf gespannt, Ihnen näher zu treten.« Er stellte ihn den Damen des Hauses und einigen Bekannten vor mit dem Hinweis: »Herr Deichhauptmann v. Bismarck waltet in der Altmark seines Amtes mit besonderer Pflichttreue. Alle sind seines Lobes voll.«

Nachdem das Eis gebrochen, fühlte sich Otto sehr behaglich. Eine wohltuende Wärme ging von den Herren und Damen dieses Kreises aus, auch ein anwesender Pastor benahm sich nichts weniger als muckerhaft. Bei einem zweiten Besuch verstärkte sich noch der angenehme Eindruck. »Das ist ja wirklich eine Freude, lieber Herr Nachbar«, rief Herr v. Thadden. »Wir dürfen dies für ein Zeichen nehmen, daß es Ihnen gut bei uns gefallen hat. Darf ich Sie mit lieben Freunden bekannt machen? Herr v. Puttkamer-Reinfeld und Fräulein Johanna v. Puttkamer.« Bismarck kannte die Herrschaften schon von früher her sehr flüchtig, ohne daß ihm eine besondere Erinnerung haften geblieben wäre. Diesmal aber gefielen ihm der freundliche und joviale ältere Mann und die bei würdevoller Ruhe doch lebhafte Tochter ausnehmend. Daß diese altpommerschen Adelsfamilien noch lebten wie in der guten alten Zeit, sozusagen das Kirchengesangbuch in der Tasche, erschien nichts weniger als lächerlich, da es sich mit so würdiger menschenfreundlicher Haltung und Gesinnung paarte, sondern im Gegenteil als vornehm angesichts der zunehmenden materialistischen Verflachung und Verseuchung. Er schied wieder mit wohltuender Anregung, und dabei blieb es, als ein fernerer Verkehr mit dem ganzen Kreise sich entspann, zu welchen auch besonders Marie v. Blanckenburg auf Cardemin gehörte, nächste Freundin der Puttkamers, die ein schwesterliches Wohlwollen für ihn faßte und zu der er viel Vertrauen gewann. Alle, ohne je den wunden Punkt zu berühren, wo ihre seelischen Wege sich trennten, schienen ihn als ein verirrtes Schäflein zu schonen, das schon durch Gottes Fügung auf den rechten Weg geraten werde.

Die Güter Blanckenburgs, Cardemin und Zimmerhausen, und die Puttkamers, Reinfeld und Koglizow, lagen so nahe, daß man sich an diesen verschiedenen Orten mehrmals traf. Frau Marie v. Blanckenburg teilte die Vorliebe ihres Gatten für den wilden Kniephofer und widmete ihm eine reine Zuneigung. Er hing sehr an diesem trefflichen Ehepaar, so verschieden die geistigen Grenzen. Die Nachbarschaft des Gemütes verschiebt diese Grenzen liebevoll. Überall sang man das Lob von Fräulein Johanna v. Puttkamer, die eine erwärmende Herzensgüte besaß. Sie war nichts weniger als eine Schönheit, ihr Mund etwas zu breit, ihre Nase ziemlich unregelmäßig, an der Spitze zu fleischig. Doch das Oval ihres Kopfes mit etwas zu großen Ohren hatte etwas freundlich Weibliches, von reichem schwarzen Haar umrahmt, in ihren dunkeln Augen, die in mehreren Farben schillerten, lag ein äußerst angenehmer, kluger und sinnender Blick, obschon sie manchmal an Augenschwäche litt und dann die matten Pupillen ihren Glanz verloren. Ihre Stirn war breit und an den Schläfen gewölbt, sie verriet eine gewisse geistige Anlage, und das gab dem sonst nicht gerade auffallenden Gesicht etwas Charaktervolles. Übrigens besaß sie trotz ihrer frömmelnden Erziehung und orthodoxen Glaubensschwärmerei oft einen gesunden Humor und harmlose Fröhlichkeit. Ihre Haltung im Umgang hatte eine ungesuchte schlichte Herzlichkeit, wie sie unter vornehmen Leuten von guter Rasse als die wahre gute Manier gilt. Ein gewisser Reiz fraulicher Behaglichkeit ging von ihr aus.

Das ist mal kein blondes deutsches Gretchen, sondern ein schwarzes, dachte der blonde Otto, den nach dem üblichen Spiel der Natur mehr die dunklen als die hellen anzogen. Übrigens ist Gretchen kein passender Name für diese sanfte, aber würdevolle Weiblichkeit. Die hat auch Haare auf den Zähnen, ihre schönen schwarzen Haare mit den seiden- oder samtweichen Flechten. Johanna – das erinnert so an die Jungfrau von Orleans, aber damit hat sie gottlob nichts gemein. Nicht als ob ich die Jeanne d'Arc nicht bewunderte, die prächtige Heldin. Das war auch eine Einigerin ihres Vaterlandes, und nach dem, was wir notdürftig wissen, wahrscheinlich ein militärisches und politisches Genie, natürlich ganz anders als der gute Schiller sie schildert. Shakespeare und Voltaire haben die Pucelle zwar ruppig beschimpft, doch niemand nimmt das ernst, dagegen wohl das sentimentale Mannweib Schillers, das noch gar etwas Ideales vorstellen soll. Ich wette, die wahre Jungfrau hat nie mit dem Schwert einen armen Jungen erschlagen und erst recht nicht sich in die Larve eines Lionel verliebt. Sie wird wohl überhaupt kein Mannweib gewesen sein, denn tapfer ist jede Frau, wenn es sich um ihre Kinder handelt, und die Franzosen waren ihre Kinder. Die keusche Jungfrau wird wohl eine mütterliche Seele gewesen sein, und gestorben ist sie viel gewaltiger und schöner, als in Schillers phantastischer unhistorischer Pose. Daß diese Ästheten sich doch immer an Geschichtsgestalten heranwagen, zu denen sie gar keine Beziehung haben! Wie soll denn solch ein braver Stubenhocker wissen, wie einem zumute ist, der mit Blut und Eisen hantiert! In diesen sogenannten Geschichtsdramen geht es unsagbar lächerlich zu. Max, bleibe bei mir, geh nicht von mir, Max! So soll der grimme Friedländer gedacht haben, der die deutsche Einheit im Kopfe hatte! Erträglich ist höchstens Schillers feile Queen Beß, die sogenannte jungfräuliche Königin. Darin steckt was von Kenntnis einer großen Fürstin und kleinen schlechten Frau. Gott beschütze uns vor ehr- und ränkesüchtigen Weibern, die ihre Händchen in die Regierungsräder stecken! Ich preise mein Schicksal, daß ich nie mit solchen Kanaillen zusammenstoße, sintemal ich ja nie mit dem Staat zu tun bekomme. Aber die wahre Jungfrau, die von Orleans, o die versteh' ich sehr gut! Nur möcht' ich sie nicht zur Frau haben.

Die wahre Pucelle, die nie ein Schwert trug, nur mit ihrer weißen Fahne in den Feind drang, dreimal auf den Tod verwundet, und die nach jeder Schlacht mütterlich die Verwundeten pflegte, auch die feindlichen, vor der hätte er andächtig das Knie gebeugt. »Meine Stimmen waren von Gott, sie haben mich nicht betrogen«, rief sie auf dem Scheiterhaufen im Sterben. Doch es gibt viele göttliche Stimmen und viele Scheiterhaufen. –

Bei zunehmendem Verkehr sah er ein, daß die Mitglieder dieses Kreises, zu welchem auch jüngere Männer wie Hans v. Kleist-Retzow, Alfred v. Below auf Reddenthin und die Versiner Puttkamers gehörten, in Worten und Werken vorbildlich lebten. Er beneidete sie um ihre Zufriedenheit und Zuversicht, um den Seelenfrieden, dessen sie sich erfreuten. Das überraschte ihn eigentlich nicht, denn es schien von Natur gegeben, daß kindliche Frömmigkeit so willkommene Begleiterscheinungen auslöste. Er traf durchaus keine sonstige geistige Armut, wie er gefürchtet hatte, bei diesen geistlich gestimmten Landedelleuten, sondern viel ruhige Klugheit. Was man als Pietismus verschrie, schien eher ein Streben nach vornehmer Reinlichkeit des Lebenswandels, was sie freilich allzu pomphaft Heiligung nannten. Überlegene Geister waren es gewiß nicht, aber gesunde, bei denen ein Müder ausruhen konnte von krankhafter Aufregung modernen Trachtens. Er begrüßte dies neue Milieu einer ihm bisher fremden Gesellschaft, abseits vom Tageslärm, wie ein Ermatteter ein Schlummerkissen. Der Reiz des Neuen spielte dabei mit, ein oft entscheidender Beweggrund bei psychologischen Wandlungen. So wurde ihm allmählich ein Bedürfnis, auf den Gütern der Puttkamers, Retzows, Thaddens vorzusprechen, ein gern gesehener Gast, da nichts der frommen Eitelkeit so schmeichelt, als verlorene Sünder zum Himmel emporzuheben, wenn auch nicht gerade mit feurigen Armen.

»Nur nicht so hitzig!« Fräulein Johanna v. Puttkamer zog die reine weiße Stirn etwas in Falten, als eine Freundin, Fräulein Anna v. Blumenthal, sich in schüchterne Lobeserhebung über den stattlichen Kniephofer ergoß. »Seine Vergangenheit soll nicht die beste sein. Mama hat so was gemunkelt. Er ist ein schrecklicher Trinker. Unser Herr Pastor sagte früher – es ist schrecklich, es nur zu denken – Herr v. Bismarck sei ein greulicher Atheist.«

»O ist das möglich?« Die junge Dame schlug entsetzt die Hände zusammen. »Gibt's denn solche Unmenschen? Der Ärmste! Doch heut ist er sicher bekehrt, denn neulich vorigen Sonntag ist er zur Kirche gegangen, das weiß ich bestimmt.«

»Woher denn?« frug Johanna mißtrauisch. »Hast du ihn so beobachtet?«

»Du glaubst wohl, ich interessiere mich für ihn?« gab Anna errötend zurück. » Pas si bête! An heiraten denkt der ohnehin nicht. Nein, Vetter Bruno hat es selbst gesehen und gestaunt.«

»Das wäre ja ein sehr guter Anfang!« Johanna sah sinnend in die Ferne. »Die heilige Schrift sagt, es sei so viel Freude im Himmel über Bekehrung eines Sünders. Ja, dann kann er wohl noch gerettet werden.«

Moritz v. Blanckenburg rieb sich vergnügt die Hände über das Gelingen seines Plans, Ottos Gottentfremdung durch Zufluß von Menschenfreundlichkeit zu heilen. Auch die schöne Kusine, die gräfliche Bismarck, die von jeher an seiner Entwicklung Anteil nahm und wiederholt darin einzugreifen suchte, freute sich, jedoch mit andern Absichten. »Das ist der erste Schritt zu vernünftigem gesetzten Leben, und nun die Hauptsache: er muß heiraten!« entschied sie. Um den Boden vorzubereiten, vertraute sie einigen mit Otto gutbekannten Husarenoffizieren der Garnison Schlawe, die bei ihr in Manöver-Einquartierung lagen, unter dem Siegel des Geheimnisses an, daß ihr Vetter sich bestimmt noch dies Jahr mit Komtesse Schulenburg verloben werde. Es war dies jene Ballschönheit, für die ihr bevorzugter Tänzer, der Schönhauser, einen Tag und eine Nacht lang ein menschliches Rühren spürte und Symptome von Verliebtheit zeigte, die aber ebenso rasch verpufften. Ein schöner weiblicher Körper hatte für ihn nur geringe Anziehungskraft, und weiter hatte die Dame nichts zu bieten, auf der Innenseite standen nur die gewöhnlichsten Lettern des Durchschnittsweibchens.

Übrigens machte sein alter Skeptizismus nicht immer Halt vor den neuen Bekanntschaften, und er ließ seiner satirischen Laune öfters den Zügel schießen oder urteilte schroff. Die Pastorin unter Puttkamer-Reinfelds Kirchenpatronat fand er unliebenswürdig, obschon sie die Angel gottseliger Liebenswürdigkeit nach ihm auswarf. Einen Musikbeflissenen, der sich um eine Puttkamer-Versin bewarb, bezeichnete er als ein bloßes Klavier mit einem Affen darauf als Porzellannippes. Einen Assessor Lepsius, der schmachtend dem schwarzhaarigen Fräulein Johanna huldigte, konnte er nicht ausstehn. Die Vettern Albert und Bruno schienen ihm frauenzimmerlich geziert. Da diese jungen Männer alle so viel von der oft munteren und herzlichen Johanna hielten, lenkte dies sein Aufmerken auf sie hin, und er unterhielt sich lange mit ihr auf einem Spaziergang durch die Puttkamerschen Vorwerke Reddis und Alt-Koglizow.

»Wir sprechen es Kautschlow aus«, belehrte sie ihn. »Warum, weiß ich nicht, denn Platt ist's nicht. Vielleicht heißt es so von alters her, wo die heidnischen Kassuben hier hausten ... ach Gott, wir haben noch viele davon in der Nähe, und mit ihrem Christentum ist's nicht weit her.«

»Sind sie denn sonst schlechte Menschen, lügnerisch, diebisch?«

»Nicht gerade das. Aber sie haben alle keinen rechten Glauben.«

»Wenn aber nun einer nicht glaubt, aber gleichwohl Gottes Geboten folgt, ist er dann schlechter als einer, der stramm glaubt, aber sündigt?«

»Das versteh' ich nicht. Wer glaubt, sündigt doch sicher am wenigsten.«

»Wer's glaubt! Der alte Streit über Glauben und Werke! Es gibt einen toten Buchstabenglauben, der sicher nicht zum ewigen Leben führt. Auch die Beschaulichkeit nicht, die sich von irdischen Genossen absondert und sich in einer Nische isoliert, wo sie vermeintlich allein mit Gott verkehrt. Man nennt das Quietismus.«

»Was heißt das?«

»Kommt vom lateinischen Quies, Ruhe. Man nennt es auch Pietismus, dem Frauen so leicht verfallen. Das Wort ist abgeleitet von Pietas, Frömmigkeit. Doch die Spötter nennen es Frömmelei.«

»Sie meinen wohl geistlichen Hochmut, der sich heiliger dünkt als andere? Davor soll jeder Christ sich doch hüten, denn unser Heiland hat die Pharisäer verworfen. Ich meine, Frömmigkeit ist nur ein stilles Harren auf den Tag des Herrn voll Hoffnung auf seine Gnade.« Sie sagte es sanft und milde, er sah mit weichem Wohlwollen auf sie nieder, schüttelte aber den Kopf.

»Ja, ein Stillsitzen! Da, dünkt mich, fehlt doch die rechte Liebe. Die ist nicht still, sondern eifrig. Wo die ist, will sie sich gewiß nicht isolieren, sondern sich auch an sichtbare Wesen mit irdischen Banden anschließen.« Sie errötete unwillkürlich und antwortete nicht. »Ach, mein gnädiges Fräulein, die Welt ist so voll Lieblosigkeit. Die Frauen leiden darunter am meisten, schon als Mütter. Meine Mutter vermerkte es übel, wie ich mich allmählich von ihrem Herzen löste. Solche Erfahrung machen fast alle, die Kinder haben. Sie kannten jede Regung des Kindes und fast keine des Erwachsenen, der sich vielleicht schämt und eine Blöße verdecken will. Das ist der erste Sündenfall ... vor der Mutter.«

Sie sah ernst zu ihm auf. »Sie waren also kein guter Sohn? Reut Sie das nicht?«

»Ich habe so viel zu bereuen«, gestand er düster. »Verzeihen gnädiges Fräulein, daß ich Sie so mit Bekenntnissen meiner schönen Seele langweile«, brach er ab. »Ich bin halt ein halber Pommer, vom zweiten bis zum siebenten Jahr in Pommern erzogen, deshalb kein Spaßversteher.«

»Mir ist's gar nicht zum Spaßen«, versicherte sie eifrig. »Das ist doch alles so traurig. Wie muß es in Ihnen aussehen! Verzeihen Sie, daß ich so etwas sage! Ich bin ja nur ein schwaches Mädchen, sehr ungelehrt. Aber mir ist, als wäre ich stärker als Sie, der Sie so groß und stark sind; doch was ist das ohne Glauben! Vor dem Herrn sind wir alle nur schwach und klein.« Sie sah ihm mit ihren dunklen Augen voll ins Gesicht mit keuscher Unschuld. »Ich weiß nicht warum, ich fühle so, der Herr wird Ihnen helfen!«

Er beugte sich nieder und küßte ihr ritterlich die Hand. »Beten Sie für mich! Wollen Sie?« Sie nickte ernst, befangen errötend. –

Dies Mädchen hat etwas an sich ... die möcht' ich wirklich zur Freundin haben. Weiß der Himmel, warum ich mich versucht fühle, mit ihr über ernste Dinge zu plaudern! Sogar von Mutter selig hab' ich gesprochen, was ich noch nie vor jemand tat. Solch ein reines, weibliches Herz übt einen merkwürdigen Zauber. Die kleine Quäkerin! Die wird mich noch mit Bibelsprüchen traktieren. Da muß ich sattelfest sein, sonst blamier' ich mich. Werde das alte Buch mal aus dem Schrank nehmen. Es muß doch was dran sein. Die guten, braven Leute hier nehmen natürlich alles wörtlich, doch es mag ja ein tieferer Sinn drin liegen, den man erst durch reifere Lebenserfahrung würdigen lernt. Wer bloß als Konfirmand und in obligatorischen Religionsstunden des Knabenalters dies sogenannte Buch der Bücher zur Hand nimmt, kann unmöglich davon Gewinn haben. Laß sehen, wie es jetzt auf mich wirkt! Was ist im Grunde für ein geistiger Unterschied zwischen den kindlich Gläubigen, die prüfungslos diese Überlieferungen für Gottes offizielle Botschaft halten, und mir, der ich wie alle Modernen gleichfalls prüfungslos mich davon abwende? Das dürftige Talglicht, das wir als unsere Vernunft anzünden, ist doch wirklich keine Sonne, die in alle dunklen Winkel hineinleuchtet. Die also das sacrificio dell' intelletto bringen, sind eigentlich vernünftiger als die Neunmalweisen, die sich kindlich einbilden, ihr bißchen Gehirn habe keine Mysterien nötig. –

Mit der ungeheuren Konzentration, deren er fähig war, warf sich Otto also plötzlich auf Bibelkunde. Sehr bald stutzte er über die Abgrundtiefe vieler Jesu-Parabeln und -Sprüche, über die der Naive achtlos hinliest, ohne die theosophische Gewaltigkeit auch nur zu ahnen. Freilich entging ihm nicht, daß das Neue in gar keinem Zusammenhang mit dem Alten Testament steht und die künstliche Verkoppelung beider nur einer gewaltsamen theologischen Auslegung dient, die das Phänomen des Gottmenschen geradezu lästerlich mit kleinlich menschlichen Prophetien vermenschlicht, förmlich einen Stammbaum des Messias ausklügelt, wie bei einem Fürstenhause. Auch verkannte er nicht, daß vieles in den eigentlichen Evangelien dem sogenannten Bibelchristentum der bestehenden Christenkirchen ins Gesicht schlägt und orthodoxe Dogmen rein aus hierarchischem Bedürfnis herausgelesen wurden, denen ganz klare Worte Christi aufs schneidendste widersprachen. Sein Sinn für historisch Gegebenes ließ ihn aber auch die Notwendigkeit dieser Sinnfälschungen begreifen, um das sonst im Äther schwebende Himmelreich des urchristlichen freien Denkens dem geistigen Pöbel mundgerecht zu machen. Jedenfalls versenkte er sich mit Ungestüm in diese Welt des reinsten Idealismus, der nur das Reich Gottes »in uns inwendig« und die ewige Liebe des Urgrundes ( pater) in den Himmeln ( uranoi im Plural, d. h. das All) gelten läßt. Bald hatte er auch die ganze Masse der Paulinischen Briefe in sich verarbeitet und als Motto für alles gefunden: »und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts«. –

*

Sein Aufenthalt in Kniephof ging nun zu Ende, er mußte nach Schönhausen zurück, um seinen Pflichten als Deichwart zu genügen. So empfahl er sich persönlich den Puttkamers in einem Abschiedsbesuch, wobei er der gnädigen Frau und der Wirtschafterin Fräulein Adelheid Harder besondere Komplimente über ihre Kunstfertigkeit in Wurstbereitung machte. »Auch lernte ich hier Milch mit Salz trinken, eine höchst bekömmliche Neufindung!« begeisterte er sich. »Nie werde ich diese herrliche Zeit vergessen!« Ob er dabei auch an die Milch der Menschenliebe dachte, zu der er selber etwas attisches Salz beisteuerte?

Der alte Puttkamer schüttelte ihm kräftig die Hand: »Auf baldiges Wiedersehen! Es war mir eine Freude, mein junger Freund, daß Moritzens warme Freundschaft den schönen Kern in Ihnen erkannte ... in vormals etwas rauher Schale,« setzte er schelmisch hinzu, »verzeihen Sie die Offenheit, doch Sie haben sich so glatt poliert, daß Ihr Schutzengel sicher seine Freude daran hatte.«

»In der Gesellschaft edler Frauen«, verbeugte Otto sich mit ritterlicher Grandezza. »Das sind fürwahr die besten Schutzengel. Es fällt mir schwer, zu scheiden, doch fatta sia la tua volunta

»Was heißt das wieder?« Johanna lächelte anmutig. »Wir armen Deutschen verstehen nicht all Ihre Fremdsprachen. Italienisch, nicht?«

»Das Vaterunser. Dein Wille geschehe!« erläuterte er ernst. Alle schwiegen. »Ich muß meinen Diensteid pünktlich auf die Minute halten. Das Schwerste war freilich schon im März vorbei, doch es kann noch Hochwasser nachkommen. Haben die Herrschaften noch nie den Eisgang eines großen Stromes gesehen? Ein gewaltiges Schauspiel!«

»Wie ist es denn?« interessierte sich Johanna.

»Wie eine Schlacht. Die weißblauschillernden Eisfelder liefern sich Kämpfe auf Leben und Tod. Man glaubt lebendige Riesen zu sehen, die sich in die Haare geraten. Sie lösen sich in Zwietracht voneinander, sie berennen sich mit Sturmböcken, bis sie sich gegenseitig in Trümmer zersplittern. Dann türmen sie sich wie Leichenhaufen über dem Aufruhr der Fluten.«

»Wie poetisch Sie das sagen!« seufzte die gute Frau v. Puttkamer. »An ihnen ist ein Schriftsteller verloren. Ein solches Pfund, das uns der Herrgott gab, mit dem sollte man doch wuchern, sagt die heilige Schrift.« Ihr kluges, großes Auge weilte auf ihm.

»Zu gütig, meine gnädigste Frau! Jeder hat sein bißchen Poesie für den Hausbedarf. Aber ich muß sehr praktisch sein, sonst würden meine Bauern aus ihrem Herzen keine Mördergrube machen: 'n bisken doll war der gnä' Herr ja immer schonst, aber nu redt er ooch noch in Rimkes!« Alle lachten. »Vielleicht habe ich mal das Glück, Sie in unserer Gegend zu sehen?«

»Uns Alten wohl nicht.« Herr v. Puttkamer klopfte bedächtig die Asche seiner Pfeife ab. »Aber Nanne passiert wenigstens Ihre Ufer im Sommer. Eine Gesellschaft von uns macht im Sommer eine Harzreise, und da geht ja die nächste Bahnroute über Magdeburg.«

»Aber das trifft sich ja herrlich! Auch ich hatte schon lange die Absicht, mal den 'Brocken zu ersteigen. Meine Freunde Gerlachs in Magdeburg möchten auch hin, ebenso mein Gutsnachbar Graf Wartensleben. Dürften wir uns da anschließen?«

»Das wäre famos. Männliche Bedeckung kann Damen niemals schaden. Nannes Freundinnen gehen nämlich auch mit«, rief der Alte erfreut. »Und Marie Blanckenburg wird sie chaperonnieren, wenn auch Moritz zu Hause bleibt. Da können wir ja, wenn's Zeit ist, Ort und Stunde fixieren für den Sammelplatz zur Völkerwanderung.«

»Werde nicht verfehlen. Meine gnädige Frau – mein gnädiges Fräulein – die Pferde sind gesattelt, wie der Statist im Theater so schön sagt. Behalten Sie mich in gutem Angedenken! Ich werde als Ihr Ritter und untertäniger Knecht mein Fähnlein schwingen, vom Elbwind zerfetzt. Die Hoffnung auf so fröhlichen Sommer wird mich warmhalten.« – –

Die Harzreise verlief programmäßig, eine Art Picknick von pommerschen und altmärkischen Herren und Damen. Das Brockenhaus versteckte sich wie gewöhnlich so im Nebel, daß man es erst sah, als man mit der Nase darauf stieß. In Harzburg fand man die übliche Hitze, im Bodetal und auf der Roßtrappe die gewöhnliche angenehme Kühle. Auch traf man die üblichen flegelhaften Engländer, die damals häufig das romantische deutsche Barbaren- und Bärenland ihrer insularen Kultureinbildung mit ihrer erhabenen Anwesenheit beglückten. Seit Bulwers »Pilgrim des Rheins« wurde es noch mehr wie früher »the rage«, auf der »großen Tour« der vornehmen englischen Jugend die deutschen Bäder Homburg, Ems, Schlangenbad, Aachen zu besuchen und von da die Schritte nach München und in fernere böhmische Dörfer und Urwälder Germaniens zu richten. Die Brockenhexen hatten es manchem Byroniker angetan. Die berühmten Fragen: »Sie sei'n Deutsches? Welche Buch haben Sie geschrieben?« fand der echte Brite zu seinem schmerzlichen Bedauern nicht mehr »the right thing«. Diese Foreigners hatten, man denke, Industrie und Eisenbahnen, aßen auch andere Speisen als Wurst und Sauerkraut, rauchten Zigarren und nicht übelriechenden Knaster aus Pfeifen, wie doch in englischen Illustrationen herkömmlich. Das erfüllte englische Touristen mit berechtigtem Unmut, sie kamen nicht auf ihre Kosten.

»Wo sein die Hexen? All humbug! Wir sind gekommen zu sehen Hexen und Gretchens«, gröhlte ein edler Jüngling in einer Talkneipe vor Harzburg und knüpfte daran in heimatlichem Idiom so kritische Bemerkungen über die dreist angegafften deutschen Damen der Bismarckschen Gesellschaft, daß Otto ihn auf Englisch zur Ruhe verwies und ihm anriet, das Maul zu halten. Zwei andere Zierden britischer Jugend wollten darob aufbegehren und machten Boxbewegungen.

» Hold your tongue!« brüllte er sie an. Auch den anderen deutschen Herren kochte schon früher das Blut, als sie dies freche Betragen bemerkten, wobei die manierlichen Londoner mit dem ganzen Stolze Albions die Schenkwirtin mit Eierschalen und Löffeln bewarfen. Sie zogen es jedoch vor, ihren Touristenrucksack umzuwerfen und das Weite zu suchen, als sie Ottos finsterem Blick begegneten, der halblaut zwischen den Zähnen knirschte: »Come on!« Sie verbreiteten nachher, daß »a boar of a German, Baron« von ihnen verprügelt worden sei.

»Daß wir Deutsche von diesen Bulldoggen auch alles hinnehmen!« murmelte ein pommerscher Herr. »An unsern kleinen Höfen gilt jeder hergelaufene englische Schneider als adelig und hoffähig. Ein Franzose ist vollends ein höheres Wesen.«

»Natürlich, seit dem alten Versailler und dem Bonaparteschen Prestige änderte sich nichts«, bemerkte Graf Wartensleben. »Übrigens, wir preisen Waterloo, mir gibt's immer 'nen Stich ins Herz, daß dort Hannoveraner, Hessen, Braunschweiger unter englischem Kommando fochten, ganz wie zur Zeit Marlboroughs. Außerdem,« er dämpfte die Stimme, »ist's ein Skandal, daß der Sohn des Braunschweiger Helden, der dort fiel, heut hier so wirtschaftet.« Er meinte den jungen Diamantenherzog, der seine langmütigen Untertanen geradeso zur Verzweiflung brachte wie der elende Tyrann von Hessen. Otto schwieg mit gerunzelter Stirn. Im Waterloojahr war er geboren, doch weltgeschichtliche Fragen lagen seiner jetzigen Resignation so fern. Ihn kümmerte höchstens das Heil seiner eigenen armen Seele, von religiösem Odem angehaucht.

Sie streiften durchs Selketal und kamen auch in die Herrschaftsgegend der mediatisierten, gefürsteten Reichsgrafen Stolberg. »Dort drüben liegt Wernigerode!« Kusine Cäcilia v. Below hauchte: »Es muß doch schrecklich für all die alten souveränen Herren sein, wie die Stolbergs, Isenburgs, Arembergs, daß sie heut bloß Untertanen sind.« »Ade, du alte Burschenzeit, du alte Ritterherrlichkeit!« sang Otto etwas ironisch. »Für die Allgemeinheit kein Schade, meine Damen, große Betriebe funktionieren besser.« Melissa und Julia v. Behr, arme Verwandte von Puttkamers, erzählten viel Schönes von Charlotte Stolberg, die sich in Berlin werktätigem Christentum unter Anleitung des Seelsorgers in Bethanien widmete. »Nur im Adel trifft man solche frommen und tapfern Seelen!« rief der kleine Hans Kleist-Retzow begeistert. »Glaub' ich auch«, bekräftigte Otto und sah Johanna von der Seite an. Die Wälder von Letzlingen, wo der König manchmal Hofjagden abhielt, lagen vor ihnen ausgebreitet, vom Mond beleuchtet. »Geisterhaft wie ein Geheimnis von ewigem Frieden!« flüsterte er Marie Blanckenburg zu. Diese schauerte leise und zog den Schal fester zusammen. In der Gartenstadt Quedlinburg besuchte man die altertümliche Domkirche, die aus sehr frühen Zeiten des sogenannten romanischen Stils stammt.

»Warum nennt man das romanisch?« fragte eine Dame v. Mittelstädt, die bald einen Mittelpunkt der Gesellschaft bildete. Nicht ohne Geist, eine hoch aufgeschossene Blondine von erheblicher Lieblichkeit, mit einem unerfreulichen Gatten behaftet, wählte sie den stattlichen Schönhauser zu ihrem besonderen Kavalier und Reisemarschall, der sich dieser Obliegenheit gern unterzog.

»Das weiß kein Mensch, denn gerade dieser Stil ist deutsch, und was man gotisch nennt, ist eher romanisch, aus Frankreich und Italien importiert. Es gibt Architekturkenner, die trotz aller Bewunderung für Kölner Dom, Straßburger Münster, Notre-Dame gerade die romanische, d. h. deutsche Bauart für die reinste und vornehmste halten.«

»Wie Sie über alles informiert sind!« bewunderte sie mit schmachtendem Augenaufschlag. »Aber ist denn das möglich, daß man etwas Deutsches romanisch nennt und umgekehrt?«

»Auf Erden ist alles möglich, denn Dummheit und Lüge sind unbegrenzt, die Welt will betrogen sein. Fast immer sieht die Wahrheit anders aus, als in Geschichtsbüchern zu lesen. Deshalb soll kein Mensch sich von zeitgenössischen Phrasen blenden lassen im Urteil über Menschen und Dinge. Die Nachwelt stößt fast jedes Urteil um. Doch auch sie fälscht oft, was tatsächlich war und ist. Fälschung und Fabel, davon nährt sich jede Überlieferung.«

»Nur nicht die der Heiligen Schrift«, tönte eine Stimme dazwischen. Johanna Puttkamer sprach mit großer Bestimmtheit. Frau v. Mittelstädt hob graziös die Schultern hoch und warf Otto einen vielsagenden Blick zu, als wollte sie sagen: das arme Ding, die dumme Person! wir beide bissen es besser, wir Hochgebildeten. Sie fand leider dabei keine Gegenliebe, denn Otto wandte sich respektvoll zu Fräulein v. Puttkamer: »Diese Ausnahme lasse ich gelten. Auch schon der Glaube daran ist eine Wirklichkeit, denn es steht geschrieben: Gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen.«

Er gehört doch innerlich zu uns! dachte Johanna. Die falsche Katze, die Mittelstädt, wird umsonst miauen. Oder nicht? Die Männer geben ja nur was auf das Äußere. Sie nimmt ihn in Beschlag, und er läßt sich's gerne gefallen.

Als ein Trupp Halberstädter Kürassiere vorüberzog, die eine Übung abhielten, grüßte der Schönhauser. »Das ist das Regiment, bei dem ich als Landwehroffizier eintrete, wenn es zum Kriege kommt.«

» Fi donc! Wer wird von solchen gräßlichen Möglichkeiten sprechen! In unsern gebildeten Zeiten wird man so barbarische Bräuche hoffentlich nie wieder einführen. Der schändliche korsische Tyrann brachte Unheil genug für ein ganzes Jahrhundert.«

»Wünschen Sie, meine Gnädigste, Abschaffung der Armee?«

»Ich? wieso denn?« frug sie naiv erstaunt. »Das wäre ja furchtbar. Die Uniform kleidet die Herren so gut ... ich möchte Sie auch mal in Uniform sehen.«

Er verbeugte sich militärisch. »Zu Befehl. Mit andern Worten, die Damen schwärmen für ein Heer von Tanzhusaren und den ewigen Frieden. Möchten Sie mir aber erklären, wozu ein stehendes Heer dann taugt, wenn immer die Schwerter in der Scheide rosten?«

»Aber wofür sollte man heut Krieg führen?« sprang sie mit weiblicher Logik ab. »Alles ist doch so schön geordnet, jeder Staat hat, was er braucht. Die unteren Stände haben ihr gutes Auskommen, und die gute Gesellschaft interessiert sich doch nur für höhere Dinge, für die schönen Künste und Oper und Theater.«

»Das Ballett nicht zu vergessen«, meckerte halblaut ein altmärkischer Geck.

»Ach, Fanny Elsler verdrehte sogar Staatsmännern den Kopf«, schmachtete die Blondine. »Ich für mein Teil bete den großen Schauspieler Devrient an. Wie göttlich ist er als Marquis Posa!«

»Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!« parodierte Graf Wartensleben. »Eine verfängliche Aufforderung auf einem königlichen Theater! Nu, Gedanken sind zollfrei, unser lieber, guter Zollverein hat sich noch nicht mit dieser Ware beschäftigt.«

»Bücher sind's aber nicht«, betonte ein Pommer. »Der hohe Bundestag paßt strenge auf. Das sogenannte Junge Deutschland, diese Bande frecher Federfuchser, weiß davon ein Lied zu singen.«

Das Gespräch kam natürlich oft auf Heines »Harzreise«, wofür die gebildeten Altmärker Junker und Damen schwärmten. »Ich bin die Prinzessin Ilse und wohne am Ilsenstein«, sang einer melodisch. Die Damen beklagten den armen Heinrich, daß er verbannt in Paris lebe, die Herren meinten jedoch mit frivolem Augenzwinkern, daß man solch ein Asyl sich gefallen lassen könne.

»Ach, sein ›Buch der Lieder‹ ist göttlich!« schmachtete eine Freundin Johannas. »Wie muß der geliebt haben!«

»Mit dem Munde!« belehrte sie ein Aufgeklärter. »Ich habe mir sagen lassen, seine ›Neuen Gedichte‹ und sonstigen Pariser Sachen seien – Pardon! – verflucht unanständig.«

»Dem Manne ist ganz recht geschehen.« Johanna hielt für nötig, ihren Gott zu bekennen. »Er ist ein Lästerer und Rebell, ein Jude, der alles Heilige verhöhnt. Unser Herr Pastor hat uns Unglaubliches darüber erzählt.« Die Gebildeten wollten sich mokieren, doch Bismarck fiel hastig ein:

»Bravo, gnädiges Fräulein! Er wäscht die schmutzige Wäsche des Vaterlandes zum Gaudium des Auslands. Das ist die Sünde, die nimmer vergeben wird, wider den heiligen Geist. Nun hockt er ja bei seinen geliebten Parisern, wohl bekomm's, ein guter Deutscher wird ihn anspeien.«

Andere waren anderer Meinung, denn es gehörte zum guten Ton, in Kunstdingen sich liberal zu gebärden. Einer zitierte »Ich hatte einst ein schönes Vaterland«, »Das küßte mich auf deutsch und sprach auf deutsch, man glaubt es kaum, wie süß es klang, das Wort: Ich liebe dich. Es war ein Traum.«

Otto horchte auf, ein unhörbarer Seufzer hob seine breite Brust. Gewiß mußte es schön klingen: Ich liebe dich. Doch es war eben ein Traum, und der nämliche Heine sang: Wenn du sprichst: Ich liebe dich, so muß ich weinen bitterlich. Und siehe da, diese Harzreise endete nicht so idyllisch wie die Heines. Wie eine Bombe platzte eine Ehetragödie hinein, die man nicht ahnen konnte. Obschon nicht handelnd beteiligt, erwarb er Kenntnis der geheimnisvollen Ereignisse. Was ihn daran erschütterte, war die Einsicht, daß auch er eine handelnde Person dabei hätte sein können. Wie flach und unwürdig seine bisherige laxe Weltanschauung, drängte sich ihm auf. Welchen Wert hatte dies Tändeln der guten Gesellschaft, das nur künstlich einen Sumpf verdeckte! Mit inniger Rührung sah er bittere Tränen der reinen, keuschen Johanna fließen, die so auch einen unheimlichen Begriff von den Abgründen bekam, deren Drachen im Menschenherzen lebendig werden.

Bei Rückkehr nach Magdeburg soupierte man im Garten an der Eisenbahn. Die Pommern mußten ihren Waggon aufsuchen. Otto behielt Johannas Hand länger als schicklich in der seinen und murmelte: »Auf Wiedersehen!« Ihr gingen die Augen über. Er war ja kein gläubiger Christ, aber im Grunde doch wohl ein guter Mensch und entschieden ihr Freund. Es mußte doch etwas an ihr sein, wenn ein solcher Mann –! Ja wieso? War er denn bedeutender als andere? Darauf wußte sie keine Antwort und versteckte sich scheu vor ihren Gedanken.

*


 << zurück weiter >>