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»Ne, Bismarckchen, Bangemachen gilt nich, jetzt wird de Jeschichte sengerich, und wir sind mang in de Brühe.« Der so sprach, war der alte General v. Rauch, früher von der Gardekavallerie, mit Gerlach zusammen der Einflußreichste in des Königs nächster Umgebung. Die offizielle Stellung beider Herren war nicht genau umschrieben, sie standen sozusagen gemeinsam dem Zivil- und Militärkabinett vor. Rauch hatte ein etwas verschmitztes Soldatengesicht, kreuzbrav, doch mit Neigung zur Spottsucht gegenüber unpraktischen Theoretikern, zu denen er den König und Gerlach rechnete. Schulbildung hielt er für überflüssig, sprach oft ein schauderhaftes Deutsch.

»Ja, Brandenburg geht los«, bekräftigte Leopold v. Gerlach, dessen Erscheinung zum sehnigen Rauch einen unerfreulichen Gegensatz bot, schwerfällig und beleibt, ungeschickt im Benehmen und von übertriebener Bescheidenheit. Doch dieser phlegmatische Herr, der hilflos wie ein Kind aussah, hatte hohen Schwung der Gedanken und geistvollen Überblick in allgemeinen Fragen. Nicht nur hierin glich er dem König, sondern auch in der Unfähigkeit, zu bestimmenden Augenblicksgeschehnissen entschlossen Stellung zu nehmen. Seine edle Gesinnung schützte ihn vor dem Hetzeifer seines Bruders Ludwig, der am liebsten durch Blut waten wollte, um jede liberale Selbständigkeit auszumerzen. Vollkommen selbstlos hing er dem König mit Mannestreue an, selbst wo dieser ihm zu irren schien. Hochkirchlich orthodox, veranstaltete er täglich Andachten mit seinem Haushalt.

»Wenn die Burschen des v. Unruh nicht zu Kreuze kriechen, wird man ihnen Mores lehren. Jetzt setzt's Keile.« Rauch legte die Hand an den Mund, wie eine Trompete.

»Rauch bläst zur Attacke, als hätt' er die Posaunen von Jericho«, lächelte Gerlach. »Nun, Sie, lieber Freund, sind ja aus dem Kreise Jerichow und verstehen sich auf Mauern. Werden die Demokraten umfallen?«

»Ich bin kein Prophet. Ihr Bruder tobt über unser lahmes Zögern –«

»Mein Bruder, der Präsident, ist ein Fanatiker. Ich riet Seiner Majestät jetzt auch zu energischem Vorgehen im Verein mit meinem Kollegen Rauch.«

»Sie werfen det Schwergewicht Ihrer umfangreichen Person in die Wagschale,« spöttelte Rauch, »aber Sie wissen, Gerlach, das Handeln überlassen Sie anderen. Ihr neunmal weiser Herr Bruder is ooch recht unpraktisch.«

»Meinen Sie das auch?« fragte der gute Mann, zu vornehm für verletzte Eitelkeit.

Bismarck verbeugte sich. »Darf ich ein Gleichnis brauchen? Gesetzt, da draußen vor dem Fenster fiele etwas vor, ein Anfall oder desgleichen, so würde mein Freund Ludwig, der Herr Präsident, eine tiefsinnige Betrachtung anstellen, wie mangelhaft unsere Einrichtungen und wie gering unser Gottvertrauen. Sie, Exzellenz, würden sofort das Rechte einsehen, wie man helfen müsse, aber in Ihrem Stuhle sitzenbleiben.«

»Und Sie wären der einzige, der hinunterspränge und Leute zu Hilfe riefe«, ergänzte der General mit mattem Lächeln.

»Das weiß ich sehr wohl, darum habe ich Sie auch dem König –« er hielt inne und schüttelte wehmütig den Kopf.

Rauch, der im Grunde seinen Nebenbuhler in der königlichen Gunst sehr gerne hatte, tröstete gutmütig: »Nehmen Sie's nicht zu Herzen, alter Sohn. Wir kennen ja Majestät, der Dienst ist nicht immer leicht, allerhöchste Launen machen ungerecht. Lassen Sie heut bei Abendandacht das schöne alte Kirchenlied singen: ›Verlasse dir auf Fürsten nich!‹ Gerlach hat Sie nämlich mit uf die Ministerliste vornotiert und empfohlen, Majestät geruhten aber die Marginalbemerkung: ›Roter Reaktionär, riecht nach Blut, später zu brauchen.‹ Oder so ungefähr.«

»Nicht so!« berichtigte Gerlach. »Es hieß: »Nur zu gebrauchen, wo das Bajonett schrankenlos waltet.«

Wie doch ein falscher Ruf entsteht! dachte Otto. Weil ich festes Durchgreifen wünsche, soll ich ein brutaler Pascha sein wie Haynau und Windischgrätz. »Ich danke für Ihr gütiges Wohlwollen, doch ich fühle keinen Beruf zum Minister. Ist denn die Liste komplett?«

»Sonst wohl, doch Brandenburg, auf den Rauch schon solche Häuser baut oder ihn vielmehr alle Berliner Häuser einreißen läßt, ist selbst nicht taktfest. Er stellt eine conditio sine qua non. Lassen Sie sich doch von ihm selbst die Lage erläutern, vielleicht richten Sie jüngerer Mann etwas aus!« –

Graf Brandenburg, ein stattlicher, alter Offizier mit offenem, freimütigen Ausdruck, verhehlte nicht sein Bedenken. »Ich ziehe auf Posten, weil mein König und Kriegsherr befiehlt. Befürchtungen für meine geringe Person kenne ich nicht, ich trage einfach meinen Kopf zu Markte nach Soldatenpflicht. Aber ich tappe im Dunkeln, Staatsgeschäfte liegen mir fern, ich lese kaum die Zeitungen. Ich bin wie ein Elefant, der einen Treiber braucht, einen, dem er traut und der ihm den Stachel gibt.«

»Kennen Erlaucht denn keinen solchen Kornak?«

»Nur Otto Manteuffel. Auf den verlaß ich mich, und der ist vorgebildet. Aber er will nicht. Mein Gott, die Herren vom Zivil – der grüne Tisch ist kein Schlachtfeld – Sie verstehen. Beharrt er bei seiner Weigerung, so bin ich aufgeschmissen, man wähle dann einen anderen.«

»Aber wenn er will, gehen Erlaucht sofort nach Berlin?«

»Sofort. Erweisen Sie mir die Gefälligkeit und fahren selbst hinüber, Manteuffel zu bewegen.« –

Otto v. Manteuffel, Direktor im Ministerium des Innern, hatte einen weltmännischen Typ und entbehrte nicht dessen, was man im modernen Französisch » ariviste« nennt. Der andere Otto hatte ein unbestimmtes Vorgefühl, dies sei ein kommender Mann auf der politischen Schaubühne, und er werde noch viel mit ihm zu tun haben. Bis zu einem gewissen Grade gefielen sich die beiden Herren. Es war schon 9 Uhr abends, und es schlug Mitternacht, als Manteuffel sich endlich ergab.

»Meine Frau in Potsdam schwebt immer in tausend Ängsten –« wandte er noch ein.

»Ich werde die Dame selbst beruhigen. Für die Sicherheit der Ministersessel ist ausreichend gesorgt. Im Schauspielhaus fügt man der starken Polizei noch dreißig auserlesene Gardejäger hinzu, die auf Signal sogleich von der Galerie ihre Schüsse in den Saal richten sollen, sobald man zu Tätlichkeiten schreitet.«

»Und unsere Deckung beim Rückzug?«

»An den Fenstern des Theaters und in umliegenden Gebäuden sind gleichfalls Schützen postiert, die den ganzen Gendarmenmarkt bestreichen können.«

»Wie steht es mit dem Theatereingang? Die Charlottenstraße ist doch sehr eng, und das Volt könnte dort –« Von schwächlichem, kleinen Wuchs, bebte er vor jeder Gewalttätigkeit.

»Gut, daß Sie mich aufmerksam machen. Ich werde –« Otto dachte einen Augenblick nach. »Gegenüber liegt die Hannoversche Gesandtschaft. Die muß man militärisch besetzen.«

»Ob dies angängig ist? Gesandtschaftsboden, exterritorial! Doch sprechen Sie mit Oberst Griesheim im Kriegsministerium, der hat ja wohl das Ganze unter sich.« –

Der Oberst äußerte den gleichen Zweifel. »Übrigens ist Graf Kniephausen auf Urlaub, die Geschäfte führt Graf Platen unter den Linden.«

»Ah! Vetter von Malortie, dem Mann meiner Kusine Lienchen! Den wollen wir schon kriegen!«

Der Unermüdliche eilte zu Platen. Dieser sagt verbindlich: »Ich werde dem Wunsche willfahren. Offiziös betrachtet befindet sich augenblicklich die Gesandtschaft bei mir, es steht also nichts im Wege, die Privatwohnung meines abwesenden Freundes Kniephausen zu benutzen. Ich ermächtige Sie gern, dies im Kriegsministerium zu melden.«

Todmüde spät zu Bett gekommen sah sich Otto morgens 7 Uhr von einem Boten geweckt. »Sie möchten gleich zu Graf Platen kommen.« Aus Mißverständnis marschierte nämlich eine Halbkompagnie gerade im Hof der Platenschen Wohnung auf. Da sich der Irrtum aufklärte, setzte sich die Truppe auf der Charlottenstraße in Marsch. Da dies schon bei Tageslicht geschah, erregte es Aufsehen. Einige Blusenmänner wisperten sich zu, und als später die Minister eintrafen, hatte sich der Gendarmenmarkt ganz geleert. Dem neuen Kriegsminister v. Strotha hatte Otto noch einen Zivilanzug aus naher Kleiderhandlung just vor Toresschluß verschaffen müssen. Trotz solcher Überstürzung bestand das improvisierte Ministerium am 9. November die Kraftprobe und kündigte die bevorstehende Auflösung der Versammlung an, ohne daß es außer ungeheurem Lärm zu Gewalttaten kam. Mit einer Protestdeputation der Majorität ließ sich der König nachher auf keine Erörterungen ein.

»Die Entscheidung schwebt auf des Schwertes Schneide, Wrangel muß mit allen Truppen einrücken«, drangen verschiedene Royalisten in den Ministerpräsidenten, mit dem Rauch soeben konferierte.

»Wenn Sie meinen! Dann bitt' ich um sofortigen Befehl Seiner Majestät, mich mit Wrangel in Verbindung zu setzen. Was meinen Sie, Manteuffel?«

»Erlaucht müssen um Schutz durch die Armee ersuchen, weil die Behörden bedroht sind. Das ist die Handhabe.«

»Kommt es zum Kampfe, um so besser!« betonte Bismarck. »Die Furcht vor all dem, was man Barrikade nennt, ist leere Einbildung. Man weicht vor der Drohung mit etwas Ungeheurem und Unfaßbarem, was in Wirklichkeit gar keine Macht hat. Das ist heut allgemein so in Deutschland. Die Dynastien unterschätzen sich und überschätzen die Machtmittel der Revolution. Sind Majestät wieder in die deutschen Angelegenheiten vertieft?«

»Janz jehörig!« Rauch zog den Mund schief. »Det Hemd is mich aber näher als der Rock. Det janze deutsche Reich kann mich in Rauch ufjehen, wenn nur Preußen uf seinem Posten stehenbleibt.«

»Mein Programm ist auch der schlichte soldatische Gehorsam«, erklärte Brandenburg, dessen Erziehung im Waffenrock ihm ruhige Zuversicht einflößte. Der illegitime Hohenzoller macht ja schon den Befreiungskrieg mit.

»Ich bin zu allem bereit, was dem königlichen Willen genehm. Also jetzt bitt' ich um eine Portion Wrangel-Eis, um die hiesige Hitze abzukühlen.« –

Dem König fiel es wie gewöhnlich schwer, raschen Entschluß zu fassen. Bismarck, der Rauch begleitet hatte und ehrerbietig im Hintergrund stand, hörte ihn ächzen.

»Ich werde dies Parlament doch nur vertagen und nach Brandenburg verlegen, außerhalb des Druckes der schlechten öffentlichen Meinung meiner guten Berliner.«

»Ach, die Rolle dieser lichtscheuen Versammlung ist doch ausgespielt!« verlautbarte sich Gerlach.

»Noch nicht. Wir sprechen noch darüber. Ich brauche sie noch als Hebel für die deutschen Sachen. Der deutsche Beruf Preußens steht doch wieder im Vordergrund.«

»Bei mir nicht,« räusperte sich Rauch vernehmlich, »halten zu Gnaden, mir pressiert's mit der Order an Wrangel. Es ist nicht viel Zeit zu verlieren, wenn wir blanke Bahn machen wollen.«

»Ach Sie oller General!« Der König nahm seinem Günstling solche dreisten Einreden nicht übel. »Kümmern Sie sich um Ihr militärisches Ressort! Ich als Großpolitiker habe andere Stimmen zu hören. Ist die Armee auch ganz zuverlässig?«

»Unbedingt.« Bismarck trat vor. »Dafür verbürge ich mich. Ich habe die Truppen im März genau beobachtet.«

»Sie, Herr Ultra, setzen natürlich Ihren werten Kopf zum Pfande für alles, was Ihnen in den Kram paßt«, rief der König ärgerlich. »Was man hofft, glaubt man. Doch mag's so sein.«

»Die Truppen brennen darauf, die Scharte auszuwetzen, die – Majestät gestatten die untertänigste Einwendung, daß manche den Rückzug vor Dänemark bitter empfinden.«

»Duell einer Dogge mit einem Schwertfisch! Da konnte man doch nicht zupacken. Sei dem wie ihm wolle, ich stimme ja bei, Wrangel mag kommen, doch wir setzen so viel aufs Spiel, die teuer erkaufte Popularität in Deutschland. Wir müssen moralische Eroberungen machen. Ein Gewaltstreich kann alles verderben. Wir sind so schön im Zuge. In Frankfurt bereitet sich Großes vor, überall wirkt man in nationalem Sinne. Da ist z. B. in Sachsen Herr v. Carlowitz, ein sehr beredter Mann.«

»Am beredtesten sind meist die Gewehre«, warf Gerlach hin. »Alle hohen Pläne Eurer Majestät sind undurchführbar, wenn man in Berlin nicht reinen Tisch macht. Die Majorität der Kammer wird sich nicht gutwillig fügen.«

»Da haben Sie recht.« Der König versank in Nachdenken.

Da riß Rauch plötzlich die Uhr aus der Tasche und zeigte auf das Zifferblatt. »In 20 Minuten geht mein letzter Zug nach Berlin. Da werden also Euer Majestät schon die Gnade haben, mich zu befehlen, ob ich dem Jrafen Ja sagen soll oder Nee oder ob ich melden soll, dat Euer Majestät weder Ja noch Nee sagen.«

Friedrich Wilhelm stand verdutzt vor dieser disziplinarisch nur halbgedämpften Gereiztheit. Selbst ermüdet durch das fruchtlose Hin- und Herreden, platzte er los: »Na, dann meinetwegen, ja!«

Blitzschnell machte Rauch seine militärische Verbeugung und rannte mit langen Beinen davon. Die Anwesenden gerieten in freudige Bewegung. Der König schwieg eine Weile, wie betroffen von seiner eigenen Entschlossenheit, die man dem Überrumpelten abzwang. »Da hat er nun seinen Willen! Sturmschritt, tambour battant! Dieser Rauch! Spricht nicht richtig deutsch und spricht doch Fraktur in unserer geliebten Muttersprache. Hat mehr gesunden Menschenverstand wie wir alle, mein bester Bismarck – klüger wie Sie war er schon immer«, warf er dem armen Gerlach seine Ungnädigkeit ins Gesicht und verließ rasch das Zimmer. Gerlach zuckte betrübt die Achseln, doch focht die Ungerechtigkeit seine fromme Ergebenheit nicht an, den König von Gottes Gnaden umwob ihm ein Heiligenschein.

»Sie werden sehen, Wrangel wird friedlich verhandeln und die Bürgerwehr zu freiwilligem Abzug bringen. Er ist schlau, trotz seiner soldatischen Derbheit, und kennt die Scheu Seiner Majestät vor jeder Brutalität«, raunte er Otto zu.

»Ich halte das für einen politischen Fehler. Wird Berlin mit Sturm genommen, so stärkt dies die Monarchie. Fällt es bloß durch Kapitulation, so haben wir die alten legalen Scherereien. Die Rechtsfrage ist ja theoretisch zweifelhaft, denn an einem Königswort darf man nicht drehen und deuteln, und ein Staatsstreich bleibt es ja. Entweder oder! Mein Universitätsfreund Schramm, der jetzt in Berlin das große Wort beim Janhagel führt, sprach mal was von Blut und Eisen. Staatsstreiche brauchen Blut, das ist ein ganz besonderer Saft. Doch als Christen müssen wir uns freudig drein ergeben, wenn es nicht dazu kommt.« –

Die Nationalversammlung konnte kein Blut sehen! Ihr Präsident v. Unruh leitete zwar eine platonische Gegenwehr ein, sich der befohlenen Auflösung wiedersetzend und das Volk zur Steuerverweigerung auffordernd. Aber als General Wrangels Truppen von allen Seiten einrückten, erlosch jeder bewaffnete Widerstand. Die Deputierten trieb man aus dem Konzertsaal, eine Versammlung im Schützenhause sprengten Gewehrkolben auseinander, die Bürgerwehr lieferte freilich erst sehr allmählich und zwangsweise die Waffen ab. Wrangel proklamierte das Standrecht und nahm Verhaftungen vor. Die Bauern aus Belzig, Teltow, Havelland drohten den bösen Großstädtern. Der König rief und alle, alle kamen, die bisher nicht den Mund aufgetan.

Die Sozialisten arbeiteten später bis auf heutige Tage, wo bei jeder Feier für die Märzgefallenen die Verleumdung sich wiederholt, mit der Legende: Die lauen zweideutigen Bürger hätten die »Freiheit« verraten, weil ihnen das Geschäft über alles ging und das rote Gespenst umherschlich. Für die Hochfinanz vom Schlage der geadelten Frankfurter Bankierfamilie Bethmann-Hollweg und außer den Plutokraten für weite Kreise der besitzenden Bourgeoisie traf dies zu. Doch der eigentliche Kern der Bürgerschaft wäre zum Kampfe entschlossen gewesen, wenn nicht gerade die Arbeiter sich nach der alten Ordnung zurücksehnten, weil beim Stocken des Erwerbslebens die tägliche Löhnung wegfiel und bürgerliche Almosengelder nicht ausreichten, da man den Schwindel der Pariser »Nationalwerkstätten« noch nicht erfand. Die von Otto erwarteten Gewaltszenen, wenn es bei den Haussuchungen an die Maschinenbauer und einige Teile der Königsstadt kam, blieben daher aus. Vielmehr schrieb er, wohl mit viel Übertreibung, an Nanne: »Die Arbeiter lassen König und Militär hochleben und wollen, daß der König wieder allein zu befehlen habe.«

In Potsdam ging es hoch her. Vom Himmel schneite es, doch er hing voller Geigen. Man mußte tausend bewaffnete Bauern nach Hause schicken, die »ihrem guten König gegen die verfluchten Berliner, das hochnäsige Pack«, helfen wollten. Früher hatte sich keine Hand gerührt. Majestät unterhielt sich mit Bauerndeputationen, bewirtete sie mit Malaga und riß leutselige Witze. Der Prinz von Preußen grüßte sehr heiter seinen Kumpan, den Schönhauser, mit der Hand, um den sich eine dichte Gruppe jauchzender Edelleute versammelte. »Gestern hat Wrangel einen Demokratenklub aufgehoben und 50 Kerle vors Kriegsgericht gestellt. Der versteht's mit seinem Belagerungszustand.« Man erzählte lachend, wie der alte Knabe, weil man ihm Repressalien gegen seine Frau androhte, auf dem Kreuzberg beim Einrücken knurrte: »Soll mich doch wundern, ob sie ihr gehängt haben.« Ein Uckermärker Grande schnarrte: »Das Standrecht ist proklamiert. Die feige Bande feuert ja aber keinen Schuß ab und so gibt's leider kein Blutvergießen.«

Otto nickte ihm geringschätzig zu: »Ob Sie dafür schwärmen würden, wenn Sie mitten drin säßen, ist eine andere Frage. Wir beiden wählten ja das bessere Teil der Tapferkeit und flanieren hier fern vom Schuß. Wozu unnütz seine Haut zu Markte tragen! Na ja, meinen alten Bekannten Schramm hat Wrangel auch schon am Wickel. Ob er jetzt noch so forsch tut? Der sogenannte ›passive‹ Widerstand der Herren Berliner scheint mir nur zeitgemäße Umschreibung für das einsilbige Wörtchen Angst. Da zeigten freilich die Wiener andere Courage.«

»Das Scheusal Robert Blum hat der Windischgrätz auch forsch erschießen lassen. Kerl soll sozusagen tapfer gestorben sein«, bemerkte der gleiche Grande, der vorhin hatte auffahren wollen: »Wie meinen Sie das?«, aber bei beschwichtigendem Zuraunen »das ist Bismarck-Schönhausen«, betreten den Kopf hängen ließ.

»Schade. Ein anständiger Mensch, verrückter Idealist. Übrigens war Blum als Abgesandter des Frankfurter Parlaments eigentlich immun, und Fürst Windischgrätz hat nicht ganz korrekt gehandelt.« Otto drehte sich auf den Hacken um und ging höflich grüßend davon. Diese Leichenbeschauung und das triumphierende Halali von Leuten, die selber nie mitgejagt hatten und bisher hübsch zu Hause saßen, fiel ihm ziemlich auf die Nerven. Er hatte schon Anfang November sich nach Berlin gewagt und seine Adresse, »Goltz, Leipziger Platz 14«, offen angegeben, als der König noch nicht zum Äußersten schreiten wollte und Berlin ein richtiges Rebellenlager schien. An Mut hatte es ihm also nicht gefehlt. Der arme Premier, Graf Brandenburg, ein illegitimer Sprößling Friedrich Wilhelms II., ein ritterlicher Herr, der sich schon zur Zeit Yorks verdient machte, versicherte ihm damals, der König werde nicht nachgeben. Er hatte nicht recht daran geglaubt, um so größer die freudige Überraschung. »Haben Sie eine Ahnung von solcher Unverschämtheit?« unterrichtete ihn nachher Brandenburg. »Als Majestät, nach Überweisung der Adresse mit dem Mißtrauensvotum, den Rücken wandte, rief ihm der Jude Jacoby nach: ›Das ist das Unglück der Fürsten, daß sie die Wahrheit nicht hören wollen.‹ Jede Ehrerbietung ist geschwunden.«

Bismarck lachte bitter. »Die Wahrheit nicht hören wollen, ist eine allgemeine menschliche Schwäche. Ich habe mir sagen lassen, das kommt besonders häufig bei sogenannten Volksvertretern vor in der Hitze des Gefechts. Die Wahrheit nicht hören können, mag ja bei Hofe passieren, wenn Schmeichler und in Watte gewickelte Günstlinge das Ohr des Herrschers belegen. Aber Volksschmeichler sind noch schwerhöriger. Denn daß sie die Wahrheit gut hören können, wenn Kugelwechsel bevorsteht, zeigen uns die National-Verunruhten, die sofort ohne Sang und Klang mit Sack und Pack das Weite suchten.«

»National-Verunruhten, hohoho, köstlicher Witz!« amüsierte sich der halbe Hohenzoller. »Der v. Unruh soll sich zum Teufel scheren. Die Stadtverordneten unserer Haupt- und Residenzstadt haben sich auch gnädigst unterworfen, dank's ihnen der Henker. Nun ist's perfekt, der Bruch mit der Revolution.«

»Ganz vorüber ist die Sache nicht, die andern Städte machen Schwierigkeiten. Gerlach schreibt mir, daß in Magdeburg die Hölle los sei, in Danzig machen sie auch Dummheiten. Der König ist außer sich, wie mir Manteuffel sagt.«

Er aß zu Abend beim alten Savigny und fuhr dann heim, des vagabundierenden Trubels satt, voll Sehnsucht nach Hannas Kamin, um behaglich zu plaudern. »Mein süßer Engel«, war die ständige Anrede seiner Briefe an die geliebte Frau, und sein Fräulein Tochter ließ er immer zärtlich grüßen. Auf seiner Heimfahrt dachte er an seine letzte Unterredung mit dem König, der ihn zur Tafel zog. Die Königin zeichnete ihn aus und ließ ihn von ihrem Nähtisch einen Erikazweig pflücken, den er an Johanna schickte, die auf eine Hofdame Frl. v. Marwitz spaßhafte Eifersucht markierte. Der König hielt nach gewohnter Weise eine stundenlange Standrede an seine lieben Getreuen. »Versichern Sie alle Gutgesinnten, daß ich zwar gegebene Verfassungsversprechen unverbrüchlich halte, doch die Rechte der Krone von jetzt ab konsequent verteidige. Jedes Schwanken würde mich und das Land vollends in den Abgrund der Anarchie stürzen.« – Ob die Festigkeit anhält? Wie schwer ist doch das Herrschen und wie töricht die Anmaßung, womit jeder gebildete Straßenjunge mit Kot nach Fürsten wirft, als wären sie minderwertige Menschen zweiter Klasse. Dieser König steht an Geist und Bildung, auch an Herzensgüte und edlem Wollen himmelhoch über demokratischen Dauerrednern, die ihre hohlen Psalmen herunterleiern und sich in Ermangelung von Verdienst in der Selbstverliebtheit ihrer Zeitungsreklame sonnen. Und doch wird wohl leider die Geschichtschreibung über ihn herfallen und ihn lächerlich machen, weil er nie gewußt habe, was er wolle. Aber schwierigere Verhältnisse hatte noch kein Fürst zu bearbeiten. Das hamletisch-wallensteinische Schwanken, »Ich will es lieber doch nicht tun«, entspringt am Ende keiner besonderen Weichlichkeit, sondern dem Mangel an Rücksichtslosigkeit oder gar Bosheit, ohne die man nun mal die Menschen nicht regieren kann. Wie traurig ist das alles! Und es wird nicht besser, bis nicht ein strammer Kerl mit Grütze im hellen Kopf diese deutsche Ochsenschwanzsuppe mit eisernem Löffel umrührt, ohne sich das Maul zu verbrennen. Aber wo den finden!

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