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Er saß mal wieder allein in der warmen Stube. Sein Verwalter, der Graukopf Bellin, verließ ihn nach gehaltenem Vortrag, nur die Uhr tickte, und das braune Hundevieh Odin gähnte und leckte sich die Pfoten. Als er damals das Gedicht des armen Chatterton, der Hungers starb, für die Braut abschrieb, spiegelte seine aufgeregte Einbildungskraft ihm vor, daß er nebenan in der offenstehenden Schlafstube ein Kritzeln und Umblättern von Buchseiten vernahm. So seltsam verflochten sich in diesem wunderbaren Menschen die zarteste Sensibilität, wie bei einem Medium für alle Geisterstimmen des Alls, und realistische Derbheit, nur daß auch sein kühler Commonsense den Stempel des Ungewöhnlichen trug. Seine unermüdliche Arbeitslust und sein stets nach Beschäftigung und Nahrung suchender Geist ließen ihn heute, wo seine gefestigten Nerven sich vor keiner Spukstunde bei mitternächtiger Lampe fürchteten, sogar nach polnischen und russischen Grammatiken und Diktionären greifen. Daraus schöpfte er neue polnische Liebesbeschwörungen der Anrede und rief »Pilna Panna« (fleißiges Fräulein), als er einen Brief der Braut an dem gewöhnlichen rosaroten Siegel und dem verschnörkelten »Hochwohlgeboren« erkannte. Sie klagte, daß sie blasser und blasser werde, sich aber nicht vor Scharlachfieber fürchte, das in der Umgegend herrsche. Er, der sich vor nichts fürchte, werde sie dafür loben. Das tat er denn auch, man müsse sans peur sein und sans repoche wenigstens danach streben. Furchtlosigkeit halte die Ansteckung ab, doch habe er allen Respekt vor solchen Krankheiten, und sie möge sich nicht einbilden, daß er sich niemals fürchte, mindestens fürchte er für sie. Sie müsse vor allem reiten, und sollte es auf ihm selber sein. Wenn sie die launenhafte Luna nicht lenken könne, dann ein anderes Pferd, das er womöglich selber auswählen wolle. Die Werke von Thomas Moore, für dessen Verse sie nach den Proben schwärme, könne er ihr mitbringen, das werde sie aber enttäuschen, denn nur selten breche bei ihm die süße Schwermut durch, die sie so liebe. Leider habe Moore meist leichtfertiges und sogar unschickliches Zeug geschmiert. Doch sende er ihr ein reizendes Lied »Weinen« als galante Huldigung. Solange ihre Augen gesund seien, möge sie immerhin mit »verträumtem Weh« spielen, es stehe ihr so gut. Er fügte tiefsinnige Wahrheiten bei anläßlich seines eigenen kleinen Wirkungskreises, wie wenig selbst ein König für das Wohl seiner Mitmenschen vermöge, und empfahl ihr Lenau I. Teil, S. 226 das Gedicht »Der Indifferentist« nachzulesen. – Düster erinnerte er sich dabei einsamer Streifereien, den Lenau in der Tasche, wo er am Kniephofer Teich in unergründliche Schwermut versank und auch das Bild von Isabella Loraine aus dem Wasser aufstieg. Und ich mein', ich höre wehen leise deiner Stimme Klang ... Heut hörte er nichts mehr. Wie lange lag das hinter ihm, long long ago! – –

»Werden Sie bald zu Ihrer Braut reisen?« fragte ihn sein Freund, der Jurist v. Gerlach in Magdeburg, wohin er in Geschäften hinüberreiste.

»Ich zähle die Stunden, wohl noch 280. Doch l'homme propose, dieu dispose. Das Wetter ist ja toll veränderlich. Als ich im offenen Wagen abfuhr, konnte ich mit Uhland singen: Die linden Lüfte sind erwacht. Eine halbe Stunde später sandte die Elbe eine Windsbraut auf meinem Filzhut, daß mir scharfkörniger Hagel das Gesicht peitschte!«

»Eine Braut, die sich schon als Xanthippe gebärdet, behütet vor Enttäuschung!« lachte Gerlach behaglich. »Unsere Altvordern müssen ja ausbündige Erfahrungen mit unseren schönen Urahninnen gemacht haben, als sie das ominöse Wort Windsbraut erfanden.« Geistreich und weltkundig, dabei tadellos als praktischer Jurist stand dieser Freund Bismarcks bei ihm in hohem Ansehen. Gerlach fesselte seinen Geist, wie Blanckenburg sein Gemüt. »Ja, die ganze Gegend wird wieder weiß, heute früh hatten wir sechs Grad Kälte. Die Elbe kann nochmals zufrieren und der ganze Deichkram Ihnen wieder auf den Hals kommen.«

»Diesmal hält mich nichts ab, ich verlange Urlaub von der Regierung. Am 27. März gebe ich mich auf die Post nach Pommern, am 20. habe ich leider noch Termine.«

»Und die Politik?« sondierte Gerlach vorsichtig. »Beiläufig klagt Brauchitzsch über Unwohlsein. Würde es Sie gar nicht reizen, an seiner Stelle nach Berlin zu gehen? Sie wären dafür der rechte Mann.«

»Wie kamen Sie nur auf solchen Einfall! Der majestätische König – will sagen des Königs Majestät – vermißt gern in mir einen seiner trefflichsten Vertreter, er merkt es gar nicht, kennt den Namen nicht mal!« lachte Otto heiter. »Na, die Liebe geht immer vor und jetzt soll jede Scheidewand fallen, die mich von meiner Liebsten fernhielt.«

Gerlach schwieg eine Weile und trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Hm! Sprachen Sie mit Wartensleben und anderen Gutsnachbarn über die Landtagsberufung?«

»Sehr wenig. Was geht's mich an! Ich glaube nicht an politische Reformen, nämlich, daß sie etwas Wesentliches am menschlichen Dasein ändern. Was versteht denn solch ein Präsident oder Minister! Er rührt Aktenstaub auf, immer nur mit Papier und Tinte in Berührung.«

Gerlach rückte unruhig auf seinem Stuhl, er fühlte sich getroffen: »Wer ehrlich seine Akten durcharbeitet, wird doch wohl verständig verfügen.«

»Mitnichten! Der tote Buchstabe, den man unter die Menschen ausschickt, tötet das Lebendige mit der kalten Unbiegsamkeit seiner papiernen Floskel. Das Gute, was eine Regierung sich ausdenkt, wird un- und mißverstanden, weil es fast immer mit der schnöden Wirklichkeit und der lieben Gewohnheit kollidiert.«

»Ein großer König oder Staatsmann mildert doch sicher das Elend der Untertanen.«

»Materiell durch amtliches Wirken? Nie, höchstens ideell, indem er irgendein seelisches Streben seiner Nation erfüllt oder durch sein Vorbild die Zeitgenossen erhebt. Das ist vorübergehend. Erziehen kann man die Menschen nicht zum Idealismus, das Materielle hat sein ewiges Recht, und nur ein selbstbetrügender Narr kann wähnen, er habe eine wirkliche Lebensnot beseitigt, und um eine wirkliche Freude das Volk bereichert.«

»Dann müßte jeder in Verzweiflung die Augen schließen, der seinen Mitmenschen nützen will, Sie unverbesserlicher Pessimist!«

»Für andere, für das Allgemeine vermögen wir nichts. Übrigens ist schnuppe, ob wir anderen ein irdisches Paradies bereiten würden, denn im Verhältnis zu endlosen Jahrtausenden der Ewigkeit ist das alles eitler Plunder, Staub und Moder. Was hilft den Toten, ob sie im Diesseits Leid oder Freud hatten!«

»Ich verstehe ganz wohl.« Gerlach dämpfte die Stimme. »Sie stehen also auf ganz positiv christlichem Standpunkte, der die Erde als Jammertal verwirft.«

»Das tue ich auch, doch bedurfte es dazu nicht meiner Bekehrung, denn über den Unwert des Menschenlebens dachte ich immer so.«

»Man kann aber anderen in höherem Sinne helfen, seelisch.«

»Nein, da muß sich jeder selber helfen. ›Selbst ist der Herr von Selbst.‹ Nur für uns selber hat das Erdenleben einen Sinn, bittere Erfahrung bleibt uns unverloren und wird folgenreich. Man erstrebt die eigene Heiligung oder büßt sie ein. Und später –« Er senkt tiefsinnend das Haupt. »Früher glaubte ich an die Wiedergeburt der Inder, was man bei uns irrtümlich Seelenwanderung nennt. Auch ein kluger Kopf wie Lessing glaubte daran, obschon er die Lehre nur verfälscht von den Ägyptern überkam. Heut als Christ – nun, da hab' ich keine klare Vorstellung vom Jenseits, doch verlasse ich mich auf Gottes Weisheit, die schon das Förderliche kennen wird. Übermorgen«, brach er ab, »habe ich eine sonderliche Schweinerei. 41 Bauern zanken, jeder haßt die anderen 40, jeder opfert gern 30 Taler, wenn nur der andere 10 verliert. Mein biederer Vorgänger verschleppt die Chose vier Jahre mit Terminen ohne Ende, wobei er von jeder Partei Geschenke bekam, die Gerichtstage aber zu Wirtshausprügeleien ausarteten.«

»Dies zweifelhafte Vergnügen wird wohl ein Danaidenfaß werden, ein unausschöpfbares. Verbissene Bauern bringt kein Mensch auseinander.«

»Na, wollen mal sehen, ob ich's nicht zustande bringe. Die selige Mutter schimpfte mich immer Diplomat. Diplomatie der Grobheit ist mein Stil, und ich werde mit den Kerls Plattdütsch reden, so gediegen, hanebüchen, saftig, daß sie die Mäuler aufsperren.« –

Bravo, Junker v. Bismarck! Schmeichelnd, liebenswürdig und klotzig grob, selber oft als Jubiter tonans brüllend und zornig, brachte er alle unter einen Hut. Vier Stunden dauerte dies Behämmern widerborstiger Bauernschädel, doch endlich hatte er sie zusammen. Als er mit sämtlichen Unterschriften in den Wagen stieg, empfand er ein Hochgefühl. Ja wahrlich, wer vierzig störrige Bauern vereinigt, der könnte auch vierzig giftige Kleinstaaten einen. So vermessenen Vergleich zu ziehen lag ihm fern, doch sagte er sich, daß nur persönliche Suggestion in einem Kreise, den man kennt und übersieht, zum Ziele führt. Zankende Bauern sind kein Gegenstand, wohl aber die Gewißheit, daß das Volk nur Frieden hält, wo der Regierende unmittelbar mit den Regierten verkehrt. Da hat man noch Freude an einem Amt, und es ist ein Fluch der Könige und der meisten Minister, daß sie von der wahren Realität nichts wissen. –

Der König fuhr in seinen Widersprüchen fort, ermutigt durch seinen Vertrauten, den Gesandten v. Bunsen, der überall tiefsinnig beteuerte: »Der König weiß, was er will.« Erst berief er die Ausschüsse aller Provinziallandtage nach Berlin, behandelte aber den konstitutionellen Standpunkt als eiteln Wind von Tageslehren. Erst lüftete er der Presse den Zensurknebel, verbot aber dann selbst den Verkauf auswärtiger liberaler Zeitungen. Er ließ den badischen Abgeordneten Hecker als Unheilstifter ohne weiteres von der Grenze weisen, weil dieser unter Vorwand einer Vergnügungsreise ins Preußische nur böses Blut machen wollte. Da war der König in seinem guten Recht, nur hätte er dann nicht vorher großartig ein freies Wort gestatten sollen. Und so ging es im Zickzackkurs hin und her, weder die Konservativen noch die Liberalen zufriedenstellend, bis plötzlich am 3. Februar 1847 die Bombe platzte und ein »Patent« wirklich eine Art Reichstag berief. Doch was er mit dieser Hand gab, zog er mit der anderen zurück, denn er stellte es als bloßen Akt der Gnade dar, wodurch er natürlich jeden Rechtsbegriff für Verfassungslehre unterband.

Bei mehreren elbischen Standesgenossen fand der Schönhauser Deichhauptmann Verständnis für seine halbliberalen Anwandlungen. Man besprach die Broschüre eines jüdischen Justizrats Simon, welche einfach riet, ein solches bloßes Gnadengeschenk abzulehnen.

»Zweifellos steht das im Widerspruch zu den allerhöchsten Verordnungen vom 22. Mai 1815 und 17. Januar 1820«, bemerkte Herr v. Schierstädt. »Alles, was recht ist.«

»Bah, Macht geht vor Recht«, lachte der Deichhauptmann geringschätzig. »Wenn die Doktrinärs ihren Rechtsboden haben, so hat der König Kanonen genug, ihn zu durchlöchern. Auf so was laß ich mich nicht ein. Wahr aber ist eines: Nicht weil der König es will, soll Recht recht sein, sondern weil es recht ist, will es der König. So denkt sich der loyale Staatsbürger das wahre Königtum.«

Der andere räusperte sich. »Man denkt sich viel. Majestät sind sich gewiß der reinsten Absichten bewußt, doch sollen allerhöchst sie noch vor zwei Jahren zu Herrn v. Bunsen und Lord Aberdeen geäußert haben – ich habe es aus bester Quelle –: Im Laufe der Jahrhunderte möge sich wohl aus unserer städtischen Ordnung eine Verfassung entwickeln. Glauben Sie, unsere hitzige schnellebige Zeit, die schon per Eisenbahn fährt, werde so lange warten?«

Der Schönhauser zuckte mißmutig die Achseln. »Die Welt wird schöner mit jedem Tag, man weiß nicht, was noch werden mag.«

»Das ist von Uhland, nicht? Der hat auch gesungen: Wenn heut ein Geist hernierstiege, zugleich ein Sänger und ein Held ... na, von Sängern haben wir schon übergenug, aber Helden sind rar. Überall in Deutschland drängt sich das Revolutionäre vor, in Baden, Bayern, Hannover, Sachsen ... alles ein großer Augiasstall und nirgends ein Herkules mit dem Kehrbesen oder der Mistgabel. Hehe, lieber Bismarck, wenn's die Gliedmaßen täten, dann wären Sie selber zum Herkules bestellt ... aber auf den Zollstock kommt's dabei leider nicht an, man müßte auch einen herkulischen Schädel haben mit Genie drin. Und wo im ganzen deutschen Vaterland würde solch Genie ausgebrütet!«

»Ich lasse bisher meine Hennen brüten«, brummte der Schönhauser unwirsch. »Die gackern auch über jedes gelegte Ei, wie unsere Berufspolitiker, bis man sie selber mit faulen Eiern wirft. Tant de bruit pour une omelette!«

»Sie zählt man eigentlich schon zu den Liberalen,« lächelte Graf Wartensleben-Karow, ein liebenswürdiger und begüterter Edelmann, »denn gegen die Bureaukratie schimpfen Sie doch ohne Rückhalt, wozu ich Beifall klatsche.«

»Bah die Beamten sind aber gerade die eigentlichen Liberalen ... rein politisch betrachtet«, lehnte Bismarck ab. »Die wollen alle mit Haut und Haar eine demokratische Reform. Es steckt ihnen eben die Erbschaft von Stein und Hardenberg in den Kaldaunen!«

»Ich fürchte, selbst im hohen Adel gibt es räudige Schafe, die zu sehr nach links ausbrechen«, fiel Herr v. Schierstädt-Dahlen ein. »Ich hörte da allerlei über Äußerungen des Fürsten Lichnowski. Übrigens, Bismarck, können Sie kaum leugnen, daß Sie wirklich ein Stück Liberaler sind. Denn gegen eine Verfassung wenden Sie nicht viel ein.«

»Das kommt drauf an. Ja, ich bin ständisch-liberal. Im übrigen muß man zugeben, daß der hochselige König einst eine Verfassung versprach, dafür gab er uns im Edikt von 1823 die Provinziallandtage. Daß das Volk damit nicht zufrieden ist, versteht man. Doch die aufsässige Art, womit jetzt vom neuen Monarchen alles Mögliche und Unmögliche verlangt wird, widerstrebt meiner monarchischen Gesinnung. Immerhin, es muß etwas geschehen.«

»Se. Majestät erklärten ja gleich nach dem Regierungsantritt, eine Verfassung passe nicht für preußische Bedürfnisse«, bemerkte Graf Wartensleben und strich sich nachdenklich den Bart.

»Mag sein, dann hätten Majestät aber nicht häufig sich in Begeisterung hineinreden müssen, er wolle Preußen Freiheit und Deutschland Einheit schenken. Majestät sind ein großer Theologe und meditieren viel über das göttliche Recht der Könige. Aber daneben ist der hohe Herr sozusagen belletristisch angelegt und schwärmt für Kunst und Wissenschaft, weniger fürs Militär, wie unsere anderen Hohenzollern. Das scheint mir bedenklich.«

»Der König redet, unter uns gesagt, ein bißchen viel«, setzte Schierstädt fort. »Er redet ja großartig, nur etwas zu pompös, aber oft versteht man nicht, was er eigentlich sagt. Er hat so was wie ein griechischer Lehrer der Rhetorik.«

»Hoffentlich meinen Sie nicht die Sophisten«, lächelte Wartensleben fein. »Ich werde manchmal nicht klug daraus, wohin der neue Kurs geht. Heut heißt es so, morgen so. Der abscheuliche Strauß in Süddeutschland soll ja ein Pamphlet losgelassen haben: ›Julian Apostata oder der Romantiker auf dem Throne‹ von deutlicher Anspielung.«

»Das ist unverschämt und voreilig«, brauste Bismarck auf. »Man soll dem König doch Zeit lassen. Ein bloßer Kunstprofessor ist er gewiß nicht, kein Pedant und Philister. Daß er seine ultraliberale Bureaukratie nicht leiden kann, fühle ich ihm nach. Nur schmerzt mich, daß die Armee, wie man vielfach hört, sich über Gleichgültigkeit des Monarchen für militärische Interessen beklagt. Das darf doch nicht sein. Wenn die Offiziere zu murren anfangen, dann wehe Preußen! Wenn man historische Vergleiche ziehen will angesichts so revolutionärer Neuerungen, dann möcht' ich lieber Karl I. als Jakob I. von England haben.«

»O weh, was für tragische Vergleiche!« Schierstädt schüttelte sich in komischem Grausen. »Nur nicht den Teufel an die Wand malen! Bis zu den Stuarts ist's noch weit. Doch freilich, wenn Majestät immer nur für Vollendung des Kölner Doms schwärmt, dann wird man auch bald über Papismus schreien. Wie ich höre, sind auch die Frau Prinzessin von Preußen sehr katholikenfreundlich. Das macht in Altpreußen nur übles Blut. Unser Adel ist protestantisch bis in die Knochen.«

»Nun der König will ja auch ein protestantisches Bischofstum in Jerusalem errichten, und vom Besuch in England brachte er Neigung für die anglikanische Kirch« mit. Vielleicht will er Katholizismus und Protestantismus ein wenig annähern und verschmelzen.« Bismarck hatte ein müdes ironisches Lächeln dabei. »Die Reform der Kirche kann offenbar nicht warten, die politische hat noch gute Weile.«

»Gott ja, die Kirchenangelegenheiten sind so schrecklich zeitgemäß!« Schierstädt lachte laut. »Kommen wir zur Sache! Die Vereinigung der acht Provinziallandtage als vereinigter Landtag wird dem Volke kaum genügen, solange nur Eisenbahn- und Steuerfragen dort behandelt werden sollen. Die Zweite Kammer sticht auch sehr ab gegen die Erste, das Herrenhaus. Immerhin ist's ein guter Anfang, und ich beglückwünsche Sie nicht, Bismarck, daß Sie bei der Eröffnung nicht anwesend sind. Dieser 11. April 1847 wird sicher von Bedeutung sein, und das wäre was für Sie unruhigen Geist.« – –

Otto Bismarck war ganz einfach ein verliebter Bräutigam. Wenn seine Braut mal nicht zur rechten Zeit einen Liebesbrief schickte, lief er umher wie ein brüllender Löwe, »Jeanne la méchante!« »Tigresse!« »La chatte la plus noire!«

Das Einstreuen französischer und englischer Brocken konnte er nicht lassen. Sogar Byrons Gedichte an die Schwester Augusta schrieb er seitenlang ab, um seine Gefühle auszudrücken, als sei er ein von aller Welt verlassener Verfemter, dem nur ein treues Frauenherz gehört. Zuletzt mußte er selber lachen und setzte darüber: » All nonsense!« Worauf er als echter Diplomat eiligst dem Gefühlskreis Johannas sich anpaßte und einen Bibelspruch hinsetzte: »Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet. Alle Engel wollen Dich behüten, mein geliebtes Herz.« So geschehen am 14. März. Die politischen Ereignisse, die sich vorbereiteten, ließen ihn völlig kalt. Bruder Bernhard in Naugard, Schwester Malwine von einer Tochter entbunden, Termin wegen Kreissparkassen, andere Polizeigeschäfte als Gemeindevorsteher – das alles kümmerte ihn weit mehr. Die Langeweile war sonst sehr groß. Ein Sonntag auf dem Lande hat's in sich. In seiner Unruhe über Ausbleiben des gehofften Liebesbriefes lief er zwei Stunden im Regen auf der Chaussee herum, ohne sogar die geliebte Zigarre anzuzünden, und summte nach erfundener Melodie vor sich hin: »Qu'est que cela veut dire? And why don't you write?« Am Abend kam sein Herr Nachbar, ein Stadtrat Gärtner. Verfluchter Kerl! Bleibt noch zum Abendessen, den Sonntagabend darf man auf dem Lande nichts anderes vorhaben, als sich besuchen lassen.

»Wissen Herr v. Bismarck schon, daß es in Berlin nun wirklich losgeht mit dem Vereinigten Landtag? Die Magdeburger Stände senden alle Herrn v. Brauchitzsch. Leider ist der etwas leidend, wird sich hoffentlich geben. Man wird aber für alle Fälle unter den sechs Stellvertretern Sie an die erste Stelle setzen.«

»Mich? Mein Gott, ich bin ja noch fremd in der Provinz, so lange in Pommern.«

»Aber doch hier erbeingesessen. Wir halten alle große Stücke auf Sie, mein verehrtester Herr. Mit Ihrem offenen Kopf und freimütigem Wesen werden Sie uns sicher im Landtag Ehre machen.«

»Das Vertrauen freut mich. Aber fürs erste ist Brauchitzsch an der Reihe, und ich habe viel Wichtigeres zu tun, nämlich mich bald zu verheiraten!«

»O, gratuliere. Ich sehe wohl, wir dürfen nicht so plötzlich aus dem Hinterhalt ein Attentat auf Sie verüben, hehe! Ihre gnädige Frau Schwester hat ein glückliches Ereignis hinter sich, wie aus der Zeitung ersehe? Hoffentlich alles gut gegangen?«

»Danke, beide Damen befinden sich wohl, Mutter und neues Töchterlein. Wissen Sie, werter Herr Nachbar, die Familie ist doch das einzig wahre, das ist das einzige warme Nest, was man hat fürs Gemüt. Die Politik mag für sich selber sorgen, die läuft von selber ihren Gang. Alles kommt doch so, wie es kommen muß.«

»Ha, die patriotische Staatsbürgerpflicht, die doch Herr Deichhauptmann so pflichtgetreu in Ihrem Ehrenamt erfüllen –«

»Das ist was anderes. Noblesse oblige man muß natürlich sein tägliches Pensum abarbeiten für das Gemeinwohl. Aber was darüber ist, das ist vom Übel. Seine Majestät haben nur Bedarf für einen Staatsmann, sich selber, den unumschränkten Herrn von Gottes Gnaden, der die Verantwortung trägt, und er allein. Was hat man sich da viel hineinzumischen!«

»Nun ja, aber man hat doch seine Grundsätze, politische, meine ich.«

»Grundsätze sind nur dazu da, um auf die Probe gestellt zu werden. Dann schmeißt man sie nämlich weg, wie der Bur seine Pantinen, und läuft barfuß durch den Dreck. Unsere Beine sind alle von Natur gleich gewachsen, jeder marschiert seine eigene und doch die gleiche Route, sie heißt ungesunder Eigennutz, lieber Herr Stadtrat!« Dieser Herr wollte sich krümmen vor Lachen und schwor sich zu, solche faulen Witze des tollen Bismarck recht weit zu kolportieren.

Der Alleingebliebene sah trübe in die Nacht hinaus. Abends befiel ihn stets eine Aufregung, wenn er einsam für sich blieb, als drängen von allen Seiten erdrückende Gedankenmassen auf ihn ein, seltsame, düstere Ahnungen ungewisser Zukunft. Eine ungeheure Einsamkeit schien sein Inneres zu umlauern, als ob ihn niemand verstehen könne und er sich selber nicht. Wenn seine Johanna nun von den Sumpffiebern ihrer Gegend erkrankt wäre, wenn der Tod sie ihm nähme, dann wäre er so einsam wie noch nie in seinem einsamen Leben. Willig dem Weltschmerz untertan, der damals noch seit Byrons Tode in ganz Europa umging, hatte er in seinem wüsten Wandel der Kniephofer Zeit oft Byrons Vers gemurmelt: The heart, the heart is lonely still. Er hatte niemand, dem er sich anvertrauen konnte, seine glücklich verheiratete Schwester schied aus seinem näheren Dasein. Er blickte zu dem verblaßten Ahnenbild jenes burschikosen Vorfahren auf, dem er leiblich so glich, und lächelte bitter. Mit dem Degen in der Rechten und dem Humpen in der Linken durchs Leben trotten, das taugte für jenes robustere Geschlecht. Doch der Burschikosus Otto in Göttingen und der wilde Junker vom Kniephof wußten beide, daß Fechten und Saufen nicht ein menschenwürdiges Dasein ausfüllen. Und das Tagewert der Landwirtschaft, dem er sich gewidmet, um einen Lebenszweck zu haben, konnte unmöglich für immer befriedigen. Das mochte gut für all die anderen Standesherren sein, die gelegentlich auch für Weib, Wein, weniger Gesang, schwärmten und dabei doch Narren blieben ihr Leben lang. Den alten Luther in Ehren, aber das Schwärmen für Weiber macht doch erst recht zum Narren. Davon wußte der stürmische Schönhauser Riese ein Lied. Mais que faire! Lang und öde dehnte sich die Zukunft vor ihm aus, man wurde recht alt in seiner Familie, sollte das stets so weitergehen? Den Staatsdienst hatte er sich abgeschnitten, jetzt war's zu spät, als älterer Mann nochmals dort anzuklopfen, und alles, was Examina hieß, brachte ihm das Frieseln auf die Haut. Sein Leben lang hier verbauern? Vierzig Meilen in der Runde kein sterblicher Mensch, mit dem man versucht wäre sich auszuplaudern. Man schwatzt so hin über Tagesgeschäfte, was gerade die Höflichkeit verlangt, sonst jede Seele so wolkenfern, als hätte man sie nie gekannt. In diesen öden, kahlen Räumen ist nicht schön hausen, nur Johannas liebendes und geliebtes Herz kann sie erwärmen. Wenn nur sie mir bleibt! Politics, all nonsense, love is every thing. Aber wenn das Geliebte stirbt, ist der Überlebende der ewige Sterbende. Ich bin eine alte Eiche, Nanne ist zart. So lebt man in Schmerz und Furcht dahin, es gibt keine ärgeren Egoisten als Schmerz und Furcht, die sich immer nur in sich selber einbohren. – Na, Gott sei Dank! Der geliebte Brief kam nun. Chére et bonne, geliebteste Geliebte! Und die Eifersucht auf Freundinnen, Hunde, Bücher, Blumen, Vögel, die meine Süße von ihrem Otto ablenken könnten, ist auch nur krankhafte Empfindlichkeit. Der liebe Schwiegerpapa ist auch geneigt, die Heirat zu beschleunigen, »als Trauung ohne alles Aufsehen«, weil Frau v. Puttkamer immer noch leidend. Jetzt geht's wieder an die Deicharbeit, Inspektionsreise.

Um Mitternacht in Genthin schlug die erste Nachtigall, und der gestrenge Herr Deichhauptmann hätte beinahe Verse gemacht, wovor er sich aber trotz seiner Leidenschaft für Poesie geschmackvoll hütete. Sonst hätte er ein Gedicht verzapft »Auf Johanna und Brunette«, ihr Reitpferd, das sich störrig zeigte und ihm angst machte, das er aber, weil die Stute auch weiblichen Geschlechts, ritterlich entschuldigte, es sei nicht bös gemeint gewesen. Lieblich und traulich, offen Herz zu Herz, in der Sofaecke mit Nanne plauschen, davon sang die Nachtigall. Und außen stand er wieder in Wind und Wetter auf dem Deich mit Schulzen und Baubeamten. Nur Geduld, es dauert nicht lange mehr. Juanita better half of myself!

Aber alle Welt dachte nicht an Herzenssachen und redete von noch Stürmischerem als Deichen der Elbe, bei deren brausenden Frühlingslaunen der stramme Wachtposten Bismarck doch singen konnte: Steh' ich in finstrer Mitternacht, so denk' ich an mein fernes Lieb! Nein, nur der neue Landtag stand auf der Tagesordnung, weil er auf jede Tagesordnung neue Anklagen der starken Opposition setzte und sich von Tag zu Tag verbitterter zeigte.

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