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IX

San Juan, die fröhliche Erntezeit war gekommen. Die Luft vibrierte von Licht und Wärme. Eine afrikanische Sonne sandte Ströme von Gold auf die Erde, die unter diesen heissen Liebkosungen barst, und die glühenden Pfeile drangen sogar durch das grüne Laubdach, in dessen Schutz die murmelnden Gräben der Huerta vor der Hitze flüchteten.

Die Äste der Mispelbäume bogen sich unter der Last der gelben Früchte; saftige Pfirsiche zeigten ihre rosigen Backen. Gierig suchten die Kinder nach den dicksten Feigen, und überall mischte sich in den Geruch des Getreides der berauschende Duft von Jasmin – und Magnolienblüten.

Auf den Tennen häufte sich das Stroh zu gelben Bergen, blähte sich der Weizen unter Wolken von Staub, und zwischen den Stoppeln pickten emsige Spatzen die letzten Körner auf.

Alles war freudig; die Arbeit wurde zur Lust. Mit Genugtuung sahen die Bauern, wie sich ihre Kornspeicher füllten. Die Kinder dachten an frischen Weizenkuchen, und selbst die Ackerpferde gingen in flotterem Schritt.

In der Huerta begann das Geld zu zirkulieren, und abends füllten sich die Tavernen mit sonnenverbrannten Männern in schweissgetränkten Hemden, die über Preise und die fällige Pacht diskutierten.

Mit der Ernte kehrte die Freude auch in Batistes Barraca ein und liess das Bild des armen Pilín verblassen. Die vollen Kornsäcke, die der Vater mit Batistet auf den Speicher schleppte, nahmen das ganze Interesse der Familie in Anspruch. Es gab überreichliche Arbeit, aber die Tage verliefen in gleichmässigem Frieden, ohne dass irgendein hässlicher Vorfall ihr Leben störte.

Die freundlichen, ihnen beim Begräbnis des Kleinen gezeigten Gefühle waren zwar etwas erkaltet. Es hatte den Anschein, als bereuten die Menschen ihr spontanes Entgegenkommen, und langsam tauchte wieder die Erinnerung an die Katastrophe des alten Barret auf. Immerhin wurde an dem einmal geschlossenen Frieden nicht gerüttelt. Wenn auch etwas kühl und zurückhaltend, so tauschte doch jeder einen Gruss mit ihnen aus. Die Kinder konnten, ohne belästigt zu werden, überall hingehen, und sogar Pimentó nickte mit dem Kopf, so oft er Batiste begegnete.

Mit Staunen und Bewunderung schaute der auf seine Ernte. Der Boden schien in einem einzigen Male alles gegeben zu haben, was er während zehn Jahren der Ruhe an Fruchtbarkeit in seinem Schoss aufgespeichert hatte. Und das Beste war, wie sich der Bauer schmunzelnd sagte, dass er den Ertrag dieses Überflusses mit niemandem zu teilen brauchte, da er zwei Jahre pachtfrei wirtschaften durfte.

Der zunehmende Wohlstand spiegelte sich in der ganzen Barraca wieder. Niemand würde in dem hübschen, von einem Blumenflor umgebenen Häuschen, dessen spitzer, hoher Giebel sich schneeweiss von dem blauen Himmel abhob, die von Tragik umwitterte Hütte des alten Barret erkannt haben. Steifgeplättete Vorhänge hingen vor den Türen der Schlafzimmer; auf den Borten glänzten schräggestellte Schüsseln, mit phantastischen Vögeln und roten, Tomaten nicht unähnlichen Blumen bemalt, und im Küchenschrank reihten sich dickbäuchige, glasierte Tonkrüge neben Becher aus Porzellan. Auch die alten, gebrechlichen Möbel verschwanden allmählich, um durch neue ersetzt zu werden, die Teresa bei gelegentlichen Gängen nach Valencia aussuchte. Und erst die Kinder! Roseta hatte zwei hübsche Kattunkleidchen bekommen, und die drei Jungens stolzierten Sonntags von Kopf bis zu den Füssen in neuer Kleidung.

Wer in den heissen Tagesstunden durch die Huerta musste, den überkam ein Gefühl des Wohlseins angesichts der schmucken, frisch und kühl anmutenden Barraca. Im Hof führten die Hennen ihre unaufhörlich piepsenden Küchlein, huschten Kaninchen flink zwischen die Stapel von aufgeschichtetem Brennholz, und im nahen Graben tauchten schnatternd, unter Aufsicht eines frechen Erpels, muntere Enten.

Und alles das, ohne Teresa zu erwähnen, die sich bisweilen in ihr Schlafzimmer zurückzog, wo sie aus einer Kommodenschublade ein Häuflein Silber hervorholte, das sie mit glänzenden Augen wieder und wieder zählte. Es war ein kleiner Anfang, aber wer weiss, ob man im Laufe der Jahre nicht genug ersparen konnte, um die Jungens später loszukaufen, wenn die Aushebung an sie herankam.

Eine stumme, verhaltene Freude machte sich auch bei Batiste bemerkbar. Man musste ihn Sonntagnachmittags sehen, wie er sich eine Zigarre zu vier Centavos gönnte und liebevoll seine unmittelbar nach dem Schnitt mit Mais und Bohnen bestellten Äcker musterte.

»Man sollte Gott auf den Knien danken,« meinte er, »dass er einen in diesem Paradies leben lässt. Was für ein fruchtbarer Boden! Umsonst weinten die Mauren nicht, wie es in den alten Geschichten steht, als sie von hier vertrieben wurden!«

Das Korn, das bisher gleich einem gelben Wall die Aussicht nach allen Seiten versperrt hatte, war geschnitten, und die von zahllosen Pfaden und Rieselgräben durchzogene Ebene schien sich ins Grenzenlose zu erstrecken.

Sonntägliche Ruhe lag über der Landschaft. Alte Frauen wanderten, ihr Betstühlchen am Arm, zur Kirche des nächsten Dorfes, deren Glocke mit eifrigem Gebimmel die Gläubigen antrieb. Auf dem Fahrweg tauchten die roten Hosen von Soldaten aus Valencia auf, die ihren Sonntagsurlaub benutzten, um einige Stunden bei ihren Angehörigen zu verleben. In der Ferne, wo unruhige Taubenschwärme hin- und herflogen, knallten Flintenschüsse, und unter den Laubengängen einer Meierei bewegten sich geblümte Röcke und bunte Tücher, ertönten Guitarren zur Begleitung des Klapphorns, das den eigenartigen Rhythmus der Jota Valenciana Valencianischer Tanz bis an die Grenzen der Huerta zu tragen suchte.

Ein fleissiges, glückliches Arkadien! Hier konnte es keine schlechten Menschen geben.

Wohlig reckte Batiste seine Glieder und beantwortete von seinem kleinen Brückchen aus die Grüsse der Nachbarn, die zum »Vollen Gläschen« gingen, um der berühmten Wette zwischen Pimentó und den beiden Terreròla beizuwohnen, einem berüchtigten Brüderpaar, das gleich ihm die Arbeit hasste und sich Tag für Tag in der Taverne herumtrieb.

Diese drei Faulenzer rivalisierten in Roheiten, da jeder den Ehrgeiz hatte, das Renommé der anderen zu verdunkeln, woraus sich eine unaufhörliche Folge von Wetten ergab, besonders im Sommer, wenn sich die Kunden in der Schenke drängten.

Diesmal handelte es sich darum, solange Truck zu spielen, ohne dabei etwas anderes als Branntwein zu trinken, bis zwei von ihnen unter dem Tisch lägen.

Am Freitag Abend hatten sie angefangen. Heute am Sonntagnachmittag sassen sie noch aufrecht bei der hundertsten Partie, neben sich den Becher mit Schnaps, und legten die Karten nur aus den Händen, um die saftigen, in Öl eingelegten Blutwürstchen – eine berühmte Spezialität des Lokals – zum Munde zu führen.

Aus dem Umkreis einer Legua strömte alles herbei und umringte die Spieler, die auch nachts nicht allein blieben; denn wenn der Wirt abends nach Erneuerung der Branntweinration die Kneipe schloss, harrten neben ihnen ihre Parteigänger zur Kontrolle des Spiels aus, das vor dem Hause beim Schein der an einer Pappel aufgehängten Küchenlampe seinen Fortgang nahm.

Einige Bauern taten entrüstet über diese brutale Wette. Aber im Grunde waren alle stolz darauf, dass es bei ihnen solche Kerle gab, denen der Branntwein wie Wasser durch die Gurgel lief. Die Berichte über den Stand der Wette schwirrten durch die Huerta: »Zwei Cántaros sind schon geleert, ohne dass man es ihnen anmerkt … Der dritte! … Jetzt nehmen sie den vierten in Angriff, alle drei vollkommen frisch …« Und die Bauern beeilten sich, auf ihren Favoriten zu setzen.

Auch Batiste hatte von dieser Wette gehört, die seit zwei Tagen alles in Aufregung brachte; er verspürte Lust, sich mal mit eigenen Augen die Sache anzusehen. Durfte er nach so viel Arbeit sich nicht etwas Zerstreuung gönnen?

Die Kinder waren beim Tanz in der Meierei, während seine Frau unter der Laube ein kleines Schläfchen machte. Er rief ihr zu, was er vorhatte, und schlug den Weg zum »Vollen Gläschen« ein.

Der kleine Platz vor der Taverne wimmelte von hemdärmeligen Männern mit Plüschhosen, dunklen Leibbinden und bunten Kopftüchern. Die Alten stützten sich auf gelbe, mit schwarzen Arabesken verzierte Krückstöcke; die jungen Leute schwenkten kokette, dünne Eschengerten in ihren klobigen Händen.

Zum erstenmal betrachtete Batiste eingehend das berühmte Wirtshaus mit seinen weissen Wänden, blaubemalten Scheiben und den prächtigen Fliesen der Tür- und Fensterrahmen.

Von den beiden Türen führte eine in die Bodega, die einen betäubenden Dunst von Alkohol und Wein ausströmte. Durch die offenstehenden Torflügel sah man eine Doppelreihe bis zum Dach aufgetürmter Fässer, Haufen von leeren Wein- und Ölschläuchen, Trichter aller Grössen, enorme, auf der Innenseite rot angelaufene Masse aus Zink und ganz im Hintergrunde den schweren Karren, der bis an die äussersten Grenzen der Provinz rollte, um die Weine heranzuholen.

Hier lagerten auch die Schätze der Taverne, von denen die Huerta mit ehrfürchtiger Bewunderung sprach. Nur der Wirt kannte die einzelnen Marken, und es galt als besondere Auszeichnung, wenn er eigenhändig einem Gaste einen Becher kredenzte, den er in der Bodega mit einer Andacht füllte, als hielte er die Monstranz in Händen.

Durch die andere Tür gelangte man zur Schankstube, die von einer Stunde vor Tagesanbruch bis zehn Uhr abends geöffnet blieb. Die bis in Mannshöhe reichenden, glasierten roten Ziegelsteine der Wände schloss ein Fries blumenverzierter Kacheln ab. Der Raum zwischen ihnen und der Decke war der Malerei geweiht. Denn wenn der Wirt auch scharf aufs Geschäft achtete, so hatte er doch viel für die Kunst übrig und als echter Mäzen mindestens fünf Duros geopfert, um von einem Maler aus Valencia eine Woche lang die vier Wände schmücken zu lassen.

Und wirklich konnte man sich weder nach rechts noch nach links wenden, ohne auf irgendein Meisterwerk zu stossen. Da wuchsen blaue Bäume in einen gelben Himmel; pürschten Jäger mit sonderbaren Schiesseisen auf lila Feldern; zügelten andalusische Stutzer mit Mühe feurige Rosse, neben denen die Häuser wie kleine Streichholzschachteln wirkten. Die Stilleben über den Türen dagegen waren eine zarte Anspielung des Künstlers auf den Zweck des Raums: aufgeschnittene Granatäpfel, die blutenden Herzen glichen; Melonen, bei denen man an riesige Pfefferkörner dachte, und rote Knäuel, die Pfirsiche darstellen sollten.

Viele Leute vertraten die Ansicht, dass die starke Konkurrenz, die das »Volle Gläschen« allen anderen Wirtshäusern der Huerta machte, auf diese geschmackvolle Dekoration zurückzuführen sei, und der Wirt selbst verfluchte die ruchlosen Fliegenschwärme, die die Gemälde mehr und mehr mit schwarzen Punkten besäten.

Gleich an der Tür befand sich der klebrige, fettige Schanktisch, hinter ihm drei Reihen kleiner Fässchen, und für spezielle Wünsche eine ansehnliche Batterie von Flaschen. Darüber hingen wie groteske Soffitten Schlackwürste, Bratwürste, Schnüre aufgereihter spanischer Pfefferschoten und, die Monotonie gewaltsam unterbrechend, drei rosige Schinken.

Für delikate Magen war in einigen Glasschalen gesorgt, die mit Zuckerbretzeln, Rosinengebäck und weichem Murviedrokäse – so weich, dass er lief – gefüllt waren, während zwei riesige Zuber neben dem Schanktisch die am meisten begehrten Artikel bargen: entkernte grüne Oliven und Blutwürstchen in Öl. öffnete sich die Hoftür, so sah man ein halbes Dutzend Bratöfen, gross genug, um für die ganze Huerta darauf zu britzeln.

Batistes Blick suchte neugierig den Wirt, der, von seiner Frau und einem Angestellten unterstützt, die Gäste bediente, und dessen aufgeschwemmtes, blaurotes Gesicht verriet, dass er selbst sein bester Gast war. Für diese Wette, die alle Gemüter erregte, hatte er kein anderes Interesse, als jeden neuen Liter Schnaps für die Spieler schleunigst anzukreiden.

Von dem Schanktisch aus hielt er ein wachsames Auge auf seine Kunden. Er liebte keinerlei Auseinandersetzungen in seinem Lokal, und sobald Sonntagabend Messer blitzten, säuberte er mit Hilfe eines massiven, sogar Pimentó und seinen Kumpanen Respekt einflössenden Knüppels im Handumdrehen die Schenke. Mochten sie sich draussen die Köpfe blutig schlagen – drinnen herrschte Ordnung und Sitte!

Allmählich hatte sich Batiste durch das Gewühl der schmatzenden, schlürfenden, lebhaft diskutierenden Bauern in die erste Reihe geschoben bis vor den Tisch, auf dem neben dem mächtigen Schnapsglas ein Häuflein Maiskörner lag, die als Spielmarken dienten. Nach jedem Stich hob einer der Spieler das Glas, trank mit Würde, um es sodann den anderen weiterzureichen, die in gleich feierlicher Weise Bescheid taten.

»Holla,« brummte Pimentó verwundert, als er, von den Karten aufschauend, Batiste erblickte.

Möglich, dass er noch vollkommen Herr seiner Sinne war, aber die geröteten Augen flackerten unruhig und das Gesicht wurde bisweilen für einen Moment weiss wie Kalk. Den anderen ging es um nichts besser, trotzdem lachten sie über die derben Witze der Umstehenden, die, von der Torheit angesteckt, der Reihe nach eine Runde zum Besten gaben. Auch Batiste musste mittrinken, und allmählich begann er die Wette gar nicht mehr so albern und brutal zu finden …

Die soundsovielte Partie – niemand mehr vermochte die richtige Zahl anzugeben – war gespielt, und mit dem einen Terreròla ging es zu Ende. Seine Augen fielen zu, der Kopf sank schwer auf die Schulter seines Bruders, der ihm umsonst unter dem Tisch wütende Tritte gegen das Schienbein versetzte.

Einer erledigt! Pimentó lächelte verschmitzt. Siegesgewiss bestellte er ein opulentes Abendessen, – trug doch die verlierende Partei alle Kosten – während der ältere Terreròla seinen schnarchenden Bruder jetzt mit Fausthieben zu wecken suchte.

»Lass ihn schlafen, bis das Essen kommt,« sagte der grossmütige Pimentó. »Schade nur, dass ich selbst wenig Appetit habe.«

Sofort holte jemand vom Schanktisch eine Schnur Pfefferschoten, die er ihm unter dem Lachen der Gäste anbot. Doch Pimentó machte Ernst aus dem Scherz, lud seinen letzten Gegner ein sich zu bedienen, und fing an, das infernalische Zeug gleichmütig, als ässe er Brot, zu verspeisen. Für jede Schote, die Terreròla mühsam herunterwürgte, nahm er drei. Nebenher gab er dem Wirt Anordnungen über die Zubereitung der Hähnchen.

Ein Murmeln der Bewunderung wurde laut. Auch Batiste schaute voll Staunen auf diesen Mann, dessen Magen mit Blech ausgeschlagen sein musste, und der gerade wieder einen Zug aus dem Schnapsglase nahm, ohne darauf zu achten, ob sein Gegner mittat. Leise mahnten ihn seine Freunde:

»Vorsichtig, Pimentó! Noch hast du nicht gewonnen, und wenn es schief geht, wirst du nicht genug Geld haben, um alles bezahlen zu können.«

Und ein unvorsichtiger Bursche, der sich der Tragweite seiner Worte nicht bewusst war, fügte hinzu:

»Denk auch daran, dass du das nächste Mal nicht um die Pacht herumkommst.«

Ein beklemmendes Schweigen senkte sich für einen Augenblick auf die vergnügte Gesellschaft. Etwas Feindseliges schwebte in der Luft, und Batiste schien es, als schauten alle verstohlen zu ihm hin. Gern wäre er fortgegangen. Aber konnte ein plötzlicher Aufbruch nicht wie Flucht aussehen? … Glücklicherweise forderte irgendeiner der Zuschauer Pimentó auf, zu erzählen, auf welche Art er es fertig brachte, sich jedes Jahr von der Pachtzahlung zu drücken, und mit gespielter Bescheidenheit berichtete der Raufbold von seinen Heldentaten.

»Wenn die anderen an den Zahlungsterminen nicht das ganze Geld beisammen haben, nehmen sie ein paar Hühner, einen Korb voll Obst oder sonst irgend etwas mit, um die Besitzer in Valencia freundlich zu stimmen, und weinen solange, bis sie Aufschub erhalten. Ich, ich nehme nichts mit!

Meine dicke Witwe empfängt mich stets im Esszimmer; nebenan im Salon sitzen ihre Töchter, lauter Spitzen und Bänder an den Kleidern. Dann holt sie ein Büchlein, rechnet nach, wieviel ich schulde und fragt, ob ich zahle. Und wisst Ihr, was ich antworte? ›Señora, unmöglich, denn ich besitze keinen Centavo. Ich weiss auch, wofür Sie mich jetzt halten … Mein Grossvater, ein kluger Mann, sagte immer: Kann man zahlen, ist man ein ehrlicher Mensch, kann man nicht – ein Gauner. Aber was soll ich tun?‹

Und dann kommt mein grosser Trick. Ich ziehe ein Riesenmesser aus dem Gürtel, fange an, ganz langsam Tabak für eine Zigarette zu schnippeln, und fuchtele ihr bei jedem Wort mit der Klinge vor der Nase herum. Ei, dieses Messerchen! … Immer unruhiger wird die Señora, und zuletzt ist sie froh, wenn ich meinen Hut nehme. Ja, umsonst hat man nicht seinen Ruf! Vor zwei Jahren sagte sie mir sogar, da ich doch nie bezahlen könnte, möchte ich sie mit meinen Besuchen verschonen. Aber ich denke nicht daran. Ich weiss, dass es meine Pflicht als Pächter ist, zu Weihnachten und San Juan meine Aufwartung zu machen. Übrigens, warum soll ich auch zahlen? Die Señora in Valencia soll mal selbst den Pflug führen und ihre Töchter in den Spitzenkleidern davor spannen. Dann werde ich sie als rechtmässigen Besitzer anerkennen.«

Der Witz mit dem Pflug war so recht nach dem Herzen der Bauern. Boshaftes Gelächter ertönte.

»Er trifft doch immer den Nagel auf den Kopf, der Pimentó!«

Doch dessen Gesicht verdüsterte sich plötzlich. In seinen Augen zuckte ein heimtückischer Funke auf, für alle, die ihn kannten, das sichere Anzeichen, dass er Streit suchte.

»Lacht nur!« rief er mit belegter Stimme. »Aber vergesst nicht, dass Ihr zum letzten Mal lacht! Zehn Jahre lang hatten die Besitzer Furcht vor uns. Damit ist es nun vorbei, sie zeigen uns wieder die Zähne. Sogar meine Dicke besass die ungeheure Dreistigkeit, mir letzthin am St. Johannistag zu erklären, dass ich entweder zahlen oder das Land abgeben müsste.

Und weshalb, zum Teufel, ist es dahin gekommen? Weil Barrets Ländereien, deren wüster Anblick sie stets mit Schrecken an Don Salvadors Ende gemahnte, wieder bebaut werden. Zehn Jahre lang waren die Herrschaften zahm; doch der Zauber ist gebrochen, weil sich ein Lausekerl gegen unseren Willen hier eingenistet hat!«

»Richtig! … So ist es!« brüllten erregt die Bauern, denen der letzte Zahltag noch in den Gliedern lag.

Hassfunkelnde Blicke suchten Batiste, der die Stunde verwünschte, in der ihm der Gedanke kam, die Taverne aufsuchen zu wollen.

Lebewohl, du erst vor kurzem geschlossene Freundschaft! Alle durch den Tod seines Kindes wachgerufene Sympathie brach zusammen wie ein Kartenhaus, verflüchtigte sich wie ein Dunst. Und was wieder erschien, war der alte Groll, das wilde Zusammenhalten der ganzen Huerta gegen den Eindringling, von dem sie ihre eigene Existenz bedroht glaubte.

Da sprang Pimentó so heftig auf, dass sein Schemel umfiel. Nur mühsam hielt er sich auf den Beinen. Seine blutunterlaufenen Augen schienen aus dem Kopf herauszuspringen. Den Arm drohend gegen Batiste gereckt, sagte er mit heiserer Stimme:

»Geh! Geh fort – oder ich mache dich kalt …«

Fortgehen von hier? Nichts anderes wünschte Batiste. Aber er hatte den wirklichen Sinn dieses gebieterischen »Geh fort«, dem die Übrigen durch Zeichen des Beifalls zustimmten, wohl verstanden. Nicht die Kneipe sollte er verlassen, um die Anwesenden von seiner verhassten Gegenwart zu befreien. Nein, dieser drohende Befehl bedeutete, die Barraca aufzugeben, mit der ihn schon so viel Leid und Freude verknüpfte; diesen Boden, den er der Wildnis mühsam wieder abgerungen hatte. Und blitzartig stand das alte Bild vor seiner Seele: der mit dem Hausrat beladene Karren auf ungewisser Fahrt, verfolgt von dem Gespenst des Hungers … Ah, das nicht! An das Brot der Seinen durften sie nicht rühren.

»Gehst du?« fragte Pimentó.

»Nein!« antwortete Batistes ruhige Stimme. Nein sagte auch sein verächtliches Kopfschütteln und der kaltblütige Blick, den er auf seinen Feind heftete.

»Lump du!« knirschte der zwischen den Zähnen und schlug Batiste mit der Faust ins Gesicht.

Als sei dieser Hieb das Zeichen zum allgemeinen Angriff gewesen, stürzte sich jetzt alles auf den Verhassten. Doch im selben Moment wirbelte einer der massiven Schemel durch die Luft und sauste krachend auf den Kopf Pimentós, der im Fall den mit Karten und Schnapsgläsern bedeckten Tisch umriss.

Messer blitzten. Niemand jedoch wagte sich an Batiste heran, der, den blutigen Schemel hiebbereit in der Hand, langsam rückwärts schritt und im Dunkeln verschwand.


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