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I

Die weite Ebene dehnte sich unter dem bläulichen Schimmer der Dämmerung, dem breiten Lichtband, das sich vom Meere her näherte.

Wie verwundet von den stählernen Reflexen des Morgengrauens, schmetterten die Nachtigallen ihr Finale. Von den strohgedeckten Dächern flogen die ersten Sperlingsschwärme auf, eilig wie ein Trupp aufgescheuchter Gassenbuben, und die Laubkronen der Bäume erzitterten unter dem mutwilligen Jagen dieser ausgelassenen Nichtsnutze.

Langsam erstarben die Stimmen der Nacht, … das Murmeln der Wassergräben, das Rauschen des Rohrs, das Bellen der wachsamen Hunde. Die Huerta erwachte, und ihr Gähnen wurde immer lauter. Von Hütte zu Hütte pflanzte sich das Krähen der Hähne fort; die Glöckchen der kleinen Dörfer antworteten mit eiligem Gebimmel auf den Ruf zur Frühmesse, der von den im blauen Dunst verschwimmenden Türmen Valencias erklang, und aus den Ställen drang vielstimmiger Lärm: Pferdewiehern, Kuhgebrüll, Hühnergegacker, Schafblöken, Schweinegrunzen das geräuschvolle Erwachen der Tiere, die der frische, mit dem würzigen Duft der Wiesen erfüllte Hauch des Morgens ungestüm nach der Weide verlangen liess.

Immer siegreicher drang das Licht vor. Wie von den Ackerfurchen und Laubmassen verschluckt, verschwanden die Schatten, und aus den dünnen Nebelschleiern traten die feuchtglitzernden Umrisse langer Reihen von Maulbeer- und Obstbäumen hervor, wiegende Linien wilden Rohrs, grosse Vierecke von Gemüsefeldern – grünen Riesentüchern ähnlich – und die rote, sorgfältig bearbeitete Erdscholle.

Auf den Wegen reihten sich dunkle Rosenkranzperlen – Ketten schwarzer Punkte, die sich zur Stadt hinbewegten. Überall knarrten Räder, erklangen fröhliche Lieder, und bisweilen zerriss, alles übertönend, das ärgerliche Geschrei des grauen, vierbeinigen Paria die Luft; sein Protest gegen die schwere Arbeit, die ihn überfiel, kaum, dass der Tag geboren war.

Lautes Plätschern erschütterte den glatten, rötlich schimmernden Wasserspiegel der Kanäle. Lärmendes Flügelschlagen, das die Frösche verstummen liess! Und wie kleine elfenbeinerne Galeeren, den Schlangenhals als beweglichen Bug, schwammen die Enten vorwärts.

Das Leben, das mit dem Licht die Ebene überschwemmte, drang auch in das Innere der Hütten und Gehöfte.

Kreischend öffneten sich die Türen, und unter den Laubengängen sah man weisse Gestalten, die sich, die Hände im Nacken, reckten und den leuchtenden Horizont betrachteten. Aus den Ställen quollen Milchkühe, Ziegenherden, kleine Pferdchen zum Dungholen, und hinter den Gardinen der niedrigen Bäume zu seiten der Wege ertönten Viehglocken und lustiges Schellengeklingel, gelegentlich von dem hellen Ruf »arre, aca!« unterbrochen, der die Tiere antrieb.

»Gott gebe uns einen guten Tag!«

»Einen guten Tag!«

Nach diesem Gruss, der mit dem ganzen Ernst der Bauern, die Maurenblut in ihren Adern haben und nur mit feierlicher Geste von Gott sprechen können, ausgetauscht wurde, zog der Passant weiter. War es aber ein guter Bekannter, so trug man ihm auf, in Valencia kleine Besorgungen für den Haushalt zu machen.

Heller Tag! Der feine Nebel, nächtlicher Schweiss der feuchten Felder und lärmenden Gräben, war verschwunden; die Sonne wollte aufgehen. Aus den rötlichen Ackerfurchen stiegen die Lerchen, froh, einen neuen Tag zu erleben, und die gewohnheitsmässigen Schmarotzer, die frechen Spatzen, mahnten an noch geschlossenen Fensterläden: auf, ihr Faulen! An die Feldarbeit, damit wir zu essen haben.

In der Hütte Tònis, den die ganze Gegend nur unter seinem Beinamen »Pimentó« Der Gepfefferte kannte, war trotz der frühen Stunde seine Frau Pepeta schon von ihrem ersten Gange nach der Stadt zurück. Blass und welk infolge von Blutarmut und dennoch die Fleissigste der ganzen Gegend, schleppte sie um vier Uhr morgens die Körbe voll Gemüse zum Markt, das Toni am Abend vorher unter Flüchen und Verwünschungen gegen solch elendes Leben, in dem die Arbeit nie aufhört, gepflückt hatte. Langsam auf den Fusspfaden vorwärts tastend, fand sie sich als Kind der Huerta auch in der Dunkelheit zurecht und setzte in Valencia ihr Gemüse ab, während der gute Junge noch im warmen Estudi Schlafzimmer der valencianischen Bauern schnarchte.

Die Gemüseaufkäufer kannten sie gut, diese kleine Frau, die, in ihr dünnes, fadenscheiniges Tuch gehüllt, schon vor Tagesanbruch fröstelnd unter ihren Körben hockte, mit sehnsüchtigen Augen auf die Leute sah, die sich mit einer Tasse Kaffee gegen die Morgenkühle wappneten, und geduldig darauf wartete, so viel Geld für ihr Gemüse zu erzielen, wie nach ihren komplizierten Berechnungen zur Bestreitung des Haushalts und der Passionen Tònis erforderlich war.

Kaum hatte sie alles verkauft, so eilte sie hastig heim, um sich in neue Obliegenheiten zu stürzen: nach dem Gemüse die Milch. Die stattliche Kuh, an deren Schwanz das mutwillige Kälbchen wie ein liebevoller Satellit hing, am Halfter führend, kehrte die fleissige Frau nach Valencia zurück, einen Stock unter dem Arm, in der Hand das zinnerne Mass für die Kunden.

Die Ròcha, wie die Kuh wegen ihrer roten Farbe hiess, brüllte sanft, schauerte in der kühlen Luft unter ihrer Decke aus Packleinen und wandte, stehenbleibend, ihre feuchten Augen zurück nach dem dunklen Stall mit seiner warmen, dicken Luft und dem duftenden Heu.

Pepeta gebrauchte den Stecken: »Vorwärts! Es wird spät, die Kunden werden sich beschweren.« Und eilig trabten Kuh und Kälbchen in der Mitte der sumpfigen, von tiefen Rädergleisen durchfurchten Strasse von Alboraya, auf deren hohen Böschungen ununterbrochene Reihen junger Mädchen zu den Tabakfabriken und Seidenspinnereien der Stadt strebten.

Der Segen Gottes breitete sich über die Flur aus. Hinter den Bäumen und Häusern, die den Horizont säumten, stieg wie eine ungeheure rote Oblate die Sonne empor, vor deren wagerechten, goldenen Pfeilen man die Augen schliessen musste. Berge und Stadttürme waren mit rosigem Schimmer übergossen, die am Himmel segelnden Wölkchen wurden zu karmesinroten Seidenflocken, und in den Gräben und Tümpeln schienen feurige Fische zu spielen.

Aus den Hütten klang das Kratzen fegender Reiserbesen und Klirren von Geschirr, alle die mit der morgendlichen Säuberung verknüpften Geräusche. Am Ufer der Kanäle knieten Frauen, neben sich den Wäschekorb; braune Kaninchen neckten sich in den Höfen, machten Männchen und zeigten beim Laufen die helle Blume. Und hoch oben auf dem Mist, umgeben von seinen demütigen Odalisken, stiess der grimmigen Auges umherspähende Hahn – ein Sultan von hitzigem Temperament – seinen Kampfruf aus.

Unempfänglich für dieses Erwachen der Landschaft, das sie alle Tage erlebte, verfolgte Pepeta mit leerem Magen, schmerzenden Gliedern und schweissgetränkter Wäsche ihren Weg. Sie schlängelte sich durch den Strom von Arbeitern aus den Vorstädten, der sich über die Brücken nach Valencia hineindrängte, machte bei der städtischen Steuereinnahme Halt, um ihren Schein zu kaufen – ein paar Kupfermünzen, die ihr jeden Tag das Herz schwer machten – und wanderte durch die einsamen Strassen, die nur das Läuten von Ròchas Glocke belebte, eine monotone Hirtenmusik, bei der die Bürger in ihren Betten von grünen Wiesen und idyllischen Schäferszenen träumten.

Es war eine mühselige, verwickelte Pilgerfahrt, denn Pepetas Kunden wohnten verstreut über die ganze Stadt. Hier ein Schlag mit dem Türklopfer, dort zwei, auch drei Schläge und Läuten der Kuhglocke, immer gefolgt von dem gellenden Ruf: »die Milch!«, so laut und durchdringend, wie man es ihrer armen, flachen Brust nicht zugetraut hätte. Und wenn die Tür sich öffnete, erschien das Dienstmädchen mit unfrisiertem Haar und verschlafenen Augen oder auch die alte Pförtnerin, schon in der Mantilla für die Frühmesse.

Um acht Uhr – die Stammkundschaft war bedient befand sich Pepeta in der Nähe des verrufenen Fischerviertels. Auch dort gab es bisweilen Absatz, und mutig drang das schmächtige Frauchen in die schmutzigen Gassen ein, die zu dieser Stunde wie tot dalagen. Jedesmal verspürte sie hier eine geheime Unruhe, einen instinktiven Abscheu, doch das Bewusstsein, eine ehrbare Frau zu sein, half ihr, und mit einer gewissen Genugtuung setzte sie ihren Weg fort, zufrieden bei dem Gedanken, dass sie, schwach und vom Elend gedrückt, immer noch über diesen Dirnen stände.

Aus all den verschlossenen, schweigsamen Häusern kroch eine Ausdünstung, wie sie diese billigen, lärmenden und unverschleierten Orgien hinterlassen: ein Geruch von schmutzigem Fleisch, von Wein und Schweiss. Und durch die Ritzen der Türen und Fenster schien der röchelnde Atem des schweren Schlafes nach einer Nacht tierischer Brunst und trunkener Kaprizen zu dringen.

Pepeta hörte, dass man sie rief. An der Tür einer Aussentreppe stand ein noch junges Mädchen, weder hübsch noch hässlich. Mit nacktem Busen, zerzaustem Haar, den roten Schminkflecken der vergangenen Nacht noch auf den Backen … eine wahre Karikatur des Lasters.

Zeichnung: A. J. Welti

»Nein, schlecht bin ich nicht …«

Die Lippen verächtlich zusammengepresst, um die Distanz zu betonen, melkte die Bäuerin in den Topf des Mädchens, das keinen Blick von ihr liess.

»Pepeta …« kam es unsicher, fragend von den bemalten Lippen.

Die kleine Frau hob den Kopf und richtete ihre Augen zum erstenmal auf die Dirne.

»Marieta … bist du es wirklich?«

Ja, sie war es. Ein Nicken bejahte die erstaunte Frage.

»Du hier? … Tochter solch ehrenhafter Eltern! Allmächtiger, welche Schande!«

Nach der Gewohnheit ihres Berufs versuchte die Dirne, die Worte der entrüsteten Bäuerin mit zynischem Lächeln und der Überlegenheit der Frau abzutun, die die Geheimnisse des Lebens kennt und an nichts mehr glaubt. Doch der Blick dieser klaren Augen beschämte sie. Langsam senkte sie den Kopf, um ihre Tränen zu verbergen.

»Nein, schlecht bin ich nicht! … Ich habe in den Fabriken gearbeitet, bin Dienstmädchen gewesen, aber schliesslich folgte ich dem Beispiel meiner Schwestern, die nicht mehr hungern wollten. So kam ich hierher, wo ich mal gestreichelt, mal verprügelt werde, bis ich eines Tages krepiere. Und wer ist schuld an allem? … Dieser Don Salvador, der sicher in der Hölle brennt. Ah, dieser Schurke! Wie er unsere Familie ruiniert hat!«

Pepeta gab ihre kühle, reservierte Haltung auf, um in die Entrüstung des Mädchens einzustimmen.

»Recht hast du. Die ganze Huerta weiss es. Grosser Gott, wie eine Familie so zugrunde gehen kann! Wenn der gute Onkel Barret jetzt seine Töchter sehen würde! … Wir haben gehört, dass er vor zwei Jahren in Ceuta starb und deine Mutter kurz darauf im Hospital. Und zu denken, dass ihr Schwestern wie Prinzesschen in eurem Hause lebtet! Wer hätte geahnt, dass ihr so jämmerlich enden würdet! Herr, allmächtiger Gott, schütze uns vor schlechten Menschen! …«

Marieta schien bei dem Gespräch mit der Freundin aus der Kinderzeit jünger zu werden. Ihre trüben, matten Augen leuchteten bei der Erinnerung an die Vergangenheit.

»Was macht die Barraca? Name des valencianischen Bauernhauses Immer noch verlassen, nicht wahr? … Das freut mich von Herzen. Mögen sie verrecken, die Söhne Don Salvadors! Ich bin Pimentó und den anderen so dankbar, dass sie jeden daran hindern, das Land zu bearbeiten, das rechtmässig unserer Familie gehört. Und sollte es doch einer wagen: ihr kennt ja das Mittel … Päng! Eine Ladung Blei in den Kopf!«

Marieta bebte; ihre Augen funkelten wild. In dem passiven, an Schläge gewöhnten Bordellmädchen erwachte die Tochter der Huerta, die von der Geburt an die geladene Flinte neben der Tür hängen sieht und an den Festtagen mit Wonne den Pulvergeruch wahrnimmt.

Neugierig erkundigte sie sich nach Freunden und Bekannten, wobei sie Pepeta, deren schüchterne, unschuldige Augen allein ihr wahres Alter verrieten, teilnahmsvoll ansah. Der Körper der kleinen Frau war erschreckend mager, und in ihr Haar, blond wie junge Maiskolben, mischten sich schon einzelne weisse Strähnen.

»Du Ärmste! Man sieht, dass du nicht glücklich bist. Was magst du wohl ausstehen mit Pimentó! Trinkt er noch immer so viel und drückt sich vor jeder Arbeit?«

Pepeta hatte ihn gegen den Wunsch ihrer Eltern, gegen den Rat der ganzen Welt geheiratet. Schmuck und keck war er, die verwegensten Burschen zitterten vor ihm, wenn er am Sonntag mit ihnen in der Taverne Truck spielte. Aber als Ehemann? … Unerträglich.

»Schliesslich,« fuhr Marieta fort, »sind alle Männer, richtig betrachtet, über denselben Leisten geschlagen. Ich weiss ein Lied davon zu singen. Kanaillen, nicht der Mühe wert, sie anzusehen!«

Eine tiefe Stimme ertönte oben an der Treppe.

»Elisa, komm sofort herauf mit der Milch! Der Herr wartet!«

Marieta brach in ein tolles Gelächter aus. »Weisst du, hier heisse ich Elisa. Das gehört mit zum Beruf, ein schöner Vorname. Auch müssen wir alle andalusischen Akzent sprechen.«

Und mit boshafter Grazie ahmte sie die Stimme oben nach, zog es dann aber doch vor, hinauf zu eilen.

Noch eine Stunde erklang Ròchas Glocke in den Strassen Valencias, bis das Euter die letzte Milch hergegeben hatte und Pepeta sich traurig und nachdenklich auf den Heimweg machen konnte. Unter dem Eindruck der heutigen Begegnung stand die entsetzliche Tragödie, die den alten Barret mit seiner ganzen Familie dem Elend preisgab, wieder so klar vor ihren Augen, als hätte sie sich erst gestern zugetragen.

Seit jener Zeit lagen die Ländereien, die durch mehr als hundert Jahre vom Vater auf den Sohn gekommen waren, verlassen am Rande des Weges. Die unbewohnte Barraca zerfiel, weil keine Hand sich fand, das Dach zu flicken oder die Risse in den Mauern auszubessern.

Zehn Jahre lang gingen die Leute ständig an dieser Ruine vorbei und verlernten es allmählich, dem baufälligen Gemäuer Beachtung zu schenken. Nur die Buben drangen, getrieben durch den von ihren Eltern ererbten Hass, in das Brennesseldickicht ein, um die Hütte mit Steinen zu bombardieren und den Brunnen unter der brüchigen Laube mit Erde und Geröll zu füllen. Heute aber blieb Pepeta stehen und hielt Umschau.

Das Land des alten Barret oder, besser gesagt, des Juden Don Salvador und seiner verfluchten Erben bildete mitten in der lachenden, fruchtbaren Ebene einen Fleck völliger Verwahrlosung. Das hartgewordene Erdreich brachte nur Disteln und all das Unkraut hervor, das Gott zur Strafe des Bauern schuf. Ein Zwergwald von Parasiten überwucherte alles mit einem seltsamen Grün, buntscheckig durch Blumen, wie sie auf altem Gemäuer und Kirchhöfen wachsen.

Ungestört vermehrte sich hier in seinen Schlupfwinkeln allerlei Gewürm: grünliche Eidechsen mit runzeligem Rücken, Riesenkäfer, deren Flügeldecken metallisch glänzten, grosse Spinnen mit kurzen, haarigen Beinen, ja, sogar Schlangen, die bis in die Nachbarfelder streiften. Da lebten sie, ein Staat für sich, inmitten der schönen, sorgfältig bebauten Huerta, verschlangen sich gegenseitig und wurden, auch wenn sie in der Umgebung etwas Schaden anrichteten, gewissermassen respektiert, denn die sieben Plagen Ägyptens dünkten den Bauern eine noch zu geringe Strafe für dieses verfluchte Stück Erde.

In der Mitte der trostlosen Wildnis – ein Schmutzfleck auf dem grünsamtenen Königsmantel der Huerta – stand die Barraca mit klaffendem Strohdach und liess durch die von Wetter und Wind gefressenen Löcher ihr morsches Balkengerüst sehen. Auf den regenverwaschenen Mauern aus Lehmziegeln erinnerten nur noch vereinzelte weisse Flecke an die ehemalige Tünche. Tür und Fensterläden, das Ziel für die Steinwürfe der Bauernkinder, hingen, halbzertrümmert, schief in den Angeln und warteten auf den nächsten Sturmwind, um ganz herauszufallen.

Der Anblick dieser Ruine bedrückte das Herz und erweckte den Eindruck, als müssten nachts Gespenster dort umgehen, Schreie ermordeter Menschen in ihrem Innern ertönen … als sei die ganze verwilderte Vegetation ein Leichentuch, das viele, viele Tote verbarg. Sogar die Vögel flüchteten von dieser Stätte des Grauens, vielleicht aus Angst vor dem Gewürm, vielleicht vor dem Hauch der Verwesung. Und wenn bisweilen von dem riesigen Strohdach etwas aufflog, so waren es schwarze Flügel, düsteres Gefieder, vor dem alles lustige Flattern und frohe Piepen verstummte, als gäbe es im Umkreis einer halben Legua keine Sperlinge mehr.

Pepeta schickte sich gerade an, nach ihrem Häuschen, das in der Ferne zwischen den Bäumen weiss aufleuchtete, weiterzuwandern, als ein von Valencia kommendes Fuhrwerk sie zwang, zur Seite zu treten. Ein Blick auf das Gefährt … und die Neugier der Frau wurde rege.

Es war ein Bauernwagen, von einem knochigen Pferd gezogen, das ein grosser, kräftiger Mann mit Zuruf und Peitschenknallen antrieb. Die Art, wie er das Tuch um den Kopf geknotet hatte, seine Hosen aus Plüsch und andere Einzelheiten verrieten, dass er nicht aus der Huerta stammte. Ein Fremder …

Auf dem Karren türmten sich allerhand Haushaltungsgegenstände zu einem wirren Durcheinander: schwindsüchtige Kissen, maisstrohgefüllte Bettsäcke, Stühle mit Seegraspolsterung, Pfannen, Kessel, Teller, Körbe, grüne Pritschen, kurz, der gesamte Hausrat einer auswandernden Familie. Schmuddelig, ärmlich, abgenutzt, redete er von Hunger und verzweifelter Flucht vor dem Elend, das der Familie auf den Hacken sass. Oben auf dieser wüsten Pyramide hockten drei kleine Kinder, die mit weit offenen Augen die ihnen neue Welt betrachteten.

Hinter dem Fuhrwerk gingen eine Frau und ein schlankes, hochgewachsenes Mädchen und gaben acht, dass nichts vom Wagen herunterfiel, während ein etwa zwölfjähriger Knabe bei den schlechten Stellen des Weges helfend ins Rad griff. Sein ernster Gesichtsausdruck kennzeichnete das an den Kampf mit der Not gewöhnte Kind, das schon zum Manne gereift ist, wenn seine Altersgenossen noch unbekümmert spielen. Ein struppiger Hund mit lechzender Zunge schloss die Karawane.

Gegen ihre Kuh gelehnt, betrachtete Pepeta mit immer grösserem Interesse diese armen Leute. Wohin mochten sie ziehen? … Dieser Weg, der weiter zurück auf die Strasse von Alboraya mündete, führte nirgends hin. Wie erschöpft von den Abzweigungen der zahllosen Pfade nach den einzelnen Barracas, hörte er am Rande der Huerta auf.

Heilige Mutter Gottes! … Der Wagen bog vom Wege ab, fuhr über das wacklige, aus Stämmen gebaute Brückchen auf das Land des alten Barret. Die Räder zermalmten prasselnd das jahrelang geschonte Gestrüpp … und schnurstracks liefen sie auf das verfallene Häuschen zu, als nähme jemand Besitz von etwas, das ihm rechtmässig zustand.

Mehr wollte die Bäuerin nicht sehen. Sie stürzte davon, Kuh und Kälbchen im Stich lassend, die ruhig weitertrotteten zum warmen Stall.

Pimentó lag, eine Zigarre im Mund, hinter der Hütte im Grase und beobachtete gespannt drei Leimruten, um die ein paar neugierige Vögel umherhüpften. Eine Beschäftigung, ganz nach seinem Geschmack.

Als er das Keuchen seiner Frau hörte, drehte er sich um.

»Was ist passiert? Hat man dir die Kuh gestohlen?«

Atemlos vor Aufregung und Erschöpfung konnte Pepeta kaum die Worte hervorbringen:

»Barrets Land … eine ganze Familie … zieht eben in die Barraca ein …«

»Hölle und Tod!«

Bei dieser unglaublichen Neuigkeit konnte selbst Pimentó – der Feind aller Arbeit, der Schrecken der Gegend – die unerschütterliche Ruhe eines grossen Herrn nicht bewahren. Mit einem Satz war er auf den Füssen und stürmte fort, ohne weitere Worte seiner Frau abzuwarten.

Pepeta sah ihn querfeldein bis zu einem Röhricht laufen, sah, wie er sich auf den Bauch legte, um durch die Stengel nach dem fluchbeladenen Boden zu spähen. Einige Minuten später rannte er zurück und verschwand in dem Labyrinth der Pfade.

Voller Leben, in Licht gebadet, streckte sich die lachende Huerta wohlig unter der goldenen Kaskade der Sonnenstrahlen.

Doch von fern tönten Schreie, wilde Rufe. Die Nachricht flog von Feld zu Feld, und ein Schauer der Entrüstung lief durch die ganze Ebene, als wäre wie vor Jahrhunderten die Kunde gekommen, dass eine algerische Galeere ihren Kurs aufs Land hielte, um weisses Fleisch zu holen.


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